Inhalt des ersten Bandes:
0. Prolog
1. Atsui Kimochi
2. Hitori de
3. Ookami no Uta
Prolog
Ich weiß genau, was du jetzt denkst, du fragst dich, was will der Kerl eigentlich von mir?
Warum muß er mich hier mit lauter Blödsinn zutexten, der nichts mit mir und meinem Leben zu tun hat, und mich außerdem einen Scheißdreck interessiert? Warum kann er sich nicht einfach verpissen, und mich meinem Frust und meinem Selbstmitleid überlassen? Denn es ist sowieso alles wurscht, alle hassen mich und kein Mensch versteht meine Gefühle! Ich hab‘ einen miesen Charakter, und kann andere immer nur verletzen, und das Beste für alle wäre, ich würde mich hier und jetzt einfach in Luft auflösen.
Schlechte Karten, Kleiner, es kann noch sehr, sehr lange dauern bis die Welt wieder anders aussieht. Wen sich der Strudel aus Verzweiflung, Selbsthaß, und Schuldgefühlen einmal gekrallt hat, den läßt er nicht wieder los, sondern zieht ihn unerbittlich in die Tiefe. Da gibt’s nur eins: Schwimmen, schwimmen, und nochmal schwimmen, auch wenn man dabei nicht vom Fleck kommt.
Kein Mensch versteht dich, hm? Sogar, wenn das wirklich stimmt, hast du immer noch dein Digimon. Das kann dir zwar in den meisten Fällen auch nicht viel helfen, schließlich sind die bösen Digimon immer viel größer und stärker als die Guten. Das nennt man dann das Gesetz der Serie.
Ob es dich verstehen kann, sei mal dahingestellt, auf alle Fälle aber wird es dir zuhören. Es wird niemals rumjammern, daß du ihm schon seit Ewigkeiten den gleichen Mist um die Ohren haust, es wird dich nicht auslachen, dir nichts vorwerfen, dich nicht mit wohlmeinenden Ratschlägen zutexten. Es ist einfach nur da, und guckt dich aus seinen Kulleraugen an. Und dann weißt du, daß du nicht allein bist.
Kein Mensch wird dich jemals so bedingungslos lieben, wie dein Digimon. Und das ist auch gut so, denn wenn du willst, daß andere dich lieben, mußt du erst mit dir selber klarkommen.
Ach, du willst überhaupt nicht, daß andere dich lieben? Woher kommt mir das nur so verdammt bekannt vor?
Muß sich eigentlich immer alles wiederholen? Irgendwie ist es schon verdammt unfair. Da rennen wir monatelang in der Digiwelt herum, schlagen uns mit Monstern, Gefahren, und unseren vorpubertären Problemen herum, und wozu das alles? Damit ihr dann ein paar Jahre später wieder genau das Gleiche tun könnt!
Niemand hat dich jemals gefragt, ob du ein Digiritter sein willst. Aber wir wurden auch nicht gefragt, sondern einfach mittenrein geschmissen, und konnten zusehen, wie wir da wieder rauskommen. Und das war zeitweise verdammt mies, das kannst du mir glauben.
Du denkst, wir sind sowas wie Helden? Die strahlenden Digiritter, die allen Gefahren trotzen, das Böse aus dem Efef heraus besiegen, und der Digiwelt ewigen Frieden bringen. Weiter kannst du ja gar nicht daneben schießen!
Was waren wir schon? Ein Haufen blöder kleiner Kinder, die von einem Fettnäpfchen ins nächste gestolpert sind. Unsere Taten waren viel eher mit Dummheit besudelt, als mit Rum.
Taichi, der sich als Anführer aufspielte, und immer seinen Kopf durchsetzen wollte. Mimi, die verwöhnte Prinzessin, die ihre Freunde in den Kerker geworfen hat, Jou, der Angsthase, der sich am liebsten in der Erde verkrochen hätte, Sora, die immer alle lieben wollte, und dabei jedem was vorgemacht hat.
Und darüber, was ich den Menschen, die ich liebe, alles angetan habe, darüber will ich gar nicht reden. Es gibt Dinge, die wir lieber verschweigen, wenn wir euch von unseren Abenteuern erzählen.
Oh, entschuldige, daß ich ‘euch‘ gesagt habe, natürlich gehörst du nicht zu den anderen. Jetzt hätte ich doch beinah‘ vergessen, was du hier so verzweifelt versuchst, mir klarzumachen. Du hast einen miesen Charakter, und kannst andere immer nur verletzen, und das Beste für alle wäre, du würdest dich hier und jetzt einfach in Luft auflösen.
Du brauchst mir das Zeug nicht nochmal vorzubeten. Ich kann‘s auswendig. Jahrelange Übung! Du bist leider doch nicht der große Einzelfall für den du dich hältst.
Das ist jetzt ein ganz gemeiner Angriff auf dein Ego, gell?
Ich sag’s ja immer wieder, wenn die Dunkelheit sich jemanden krallt, ist es ein langer und mühsamer Weg wieder ans Licht zu gekommen. Düstere Gedanken sind wie Mühlsteine, die einen wieder und wieder in die Tiefe ziehen. Selbst jetzt, nach drei Jahren, sind manche Erinnerungen für mich noch verdammt schmerzhaft und ich rede nicht gerne darüber.
Aber ich glaube, in diesem Fall muß ich es einfach tun, sonst wirst du bis an dein Lebensende glauben, du wärst schon mit einem Gen zum Bösesein auf diese Welt gekommen. Du wirst hier tatenlos rumhocken, deinem Didschi die Ohren volljammern, und dich schließlich und endlich in deinem Selbstmitleid ersaufen.
Sorry, bin manchmal ein bisserl zynisch!
Und weil ja immer alles so kommt, wie es kommen muß, wird die Digiwelt dann untergeh’n. Weil die anderen fünf Digiritter die Digiwelt natürlich nicht alleine retten können, weil man dazu nämlich immer alle Digiritter braucht. Wenn du etwas weniger pauken, und etwas mehr fernglotzen würdest, wüßtest du das. Selbst die Amis wissen das! Es ist das Power Ranger Prinzip! Der sechste Power Ranger muß immer die ersten zehn Folgen böse sein, das erhöht die Einschaltquoten!
Und weil ich schließlich nicht dran schuld sein will, daß die Digiwelt untergeht, erzähl‘ ich dir jetzt meine Geschichte.
1. Atsui Kimochi
(Leidenschaftliche Gefühle)
Yamato wa tereya na no sa, atsui kimochi ore ni wa wakaru.
Dir ist es einfach nur peinlich, daß ich deine leidenschaftlichen Gefühle kenne.
- Gabumon zu Yamato-
Ich sag’s ja immer wieder, der Typ hat einfach kein Brain. Klettern wir mal schnell auf den Berg der Unendlichkeit, schlagen wir uns ‘ne Runde mit Devimon, ist ja alles überhaupt kein Problem. Nicht für Taichi, den unerschrockenen Helden, Taichi, den coolen Anführer, Mr. “da muß man nur mal kurz draufhauen, dann geht das schon!" Wenn Jou wirklich Medizin studiert, hätte ich schon das perfekte Thema für seine Doktorarbeit: “Hirnzellentod durch akuten Sauerstoffmangel, verursacht durch das Tragen von Taucherbrillen“ Ist doch klar, daß so ein Gummiding die Blutzufuhr zum Gehirn unterbricht. Abgesehen davon, daß es absolut bescheuert aussieht. Nicht, daß es bei der Visage noch etwas ausmachen würde!
Aber egal, es reichte, daß er uns von einem Trouble ins nächste jagte. Es war zwar nicht seine Idee gewesen in dieses blöde Haus, und damit direkt in Devimon’s Arme zu marschieren, aber irgendein Grund würde mir schon noch einfallen, weshalb er und nur er an unserer ganzen Misere schuld war. Ich bin sehr erfinderisch, was diese Dinge angeht. Wenn der einsame Wolf von der Odaiba Grundschule mal jemanden in den Krallen hat, läßt er so schnell nicht wieder los.
Aber im Augenblick war dem einsamen Wolf einfach nur arschkalt, denn auf dieser beknackten Insel gab es nichts als Eis und Schnee. Ich hatte Mühe mein Didschi nicht aus den Augen zu verlieren, dabei stapfte Gabumon gerade einen halben Meter vor mir durch die Schneemassen. Der Sturm tobte nun seit mehreren Stunden, und machte nicht den Eindruck als ob er sich bald wieder beruhigen würde. Wahrscheinlich würde es eher die ganze Nacht so weitergehen.
Kein Peil, wo die anderen abgeblieben waren. Bloß nicht in diesem Mistwetter! Ich mochte gar nicht daran denken, daß Takeru vielleicht hier irgendwo rumirrte. Er würde keine zehn Meter weit kommen in diesem Schneesturm. Ich mußte ihn unbedingt finden, so schnell wie möglich. Seit Stunden brüllte ich mir nun schon die Lunge aus dem Hals und langsam wurde es dunkel.
“Sieh mal, Yamato, dort vorne! Dort ist eine Höhle!“ versuchte Gabumon den Krach zu übertönen. Ich konnte nichts erkennen, und prallte beinahe gegen den Felsen, der plötzlich vor uns auftauchte. Na ja, ich nehm‘ mal an, er war vorher schon da. Aber in dieser verrückten Welt ist schließlich nichts unmöglich.
“Gehen wir nachsehen, ob Takeru da drin ist!“ Ich stürmte an Gabumon vorbei auf die Dunkelheit zu, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, daß ich mich gerade ebenso bekloppt aufführte wie Taichi. Aber wenn es um meinen kleinen Bruder geht, brennen bei mir einfach die Sicherungen durch. Sonst fällt es mir eigentlich nicht schwer, sogar in extremen Situationen cool zu bleiben. Ich bin nicht so der emotionale Typ, muß man wissen. Der einsame Wolf von der Odaiba Grundschule bewahrt stets seine Distanz zu den Dingen.
Die Höhle war leer, kein gefährliches Riesendidschi, kein Takeru, kein gar nichts! Nur ein Haufen vertrockneter Zweige, die Gabumon mal eben schnell in Brand steckte. Wenn er etwas abfackelt, kann er mich wenigstens nicht zutexten, das ist ganz gut so. Sobald er das Feuer in Gang gebracht hatte, fing er nämlich wieder damit an.
“Du mußt dich ausruhen, Yamato, du hast sowieso schon eine Erkältung. In diesem Sturm kannst du niemanden finden, du wirst dich nur verlaufen, und irgendwo im Schnee erfrieren.“ Er schob mich näher ans Feuer. “Bitte sei vernünftig!“
Vernünftig? Was bildet er sich ein, der verdammte Besserwisser! Ich bin doch kein Kleinkind, auf das er aufpassen muß. Soll sich gefälligst um seinen eigenen Kram kümmern und mich in Ruhe lassen! “Du kannst dich gern ausruhen, wenn du müde bist,“ fauchte ich ihn an. “Mir jedenfalls geht’s gut, und ich such‘ weiter!“
“Bitte, bleib‘ hier und warte, ich werde Takeru ganz bestimmt finden.“ Gabumon sah mich flehend mit seinen Knopfaugen an. “Ich hab‘ ein warmes Fell und mit meiner Nase finde ich mich im Schneesturm zurecht. Ich komme mit ihm zurück, ich verspreche es dir! Warte hier auf uns!“
Er sah so verzweifelt drein, daß ich tatsächlich am Feuer sitzen blieb und wartete, bis er gegangen war. Dann stürmte ich raus in das Mistwetter. Ich bleib‘ doch hier nicht hocken, und dreh‘ Däumchen, während sich mein kleiner Bruder da draußen die Eier abfriert! Das kann Gabumon total vergessen! Ich hatte jetzt echt nicht den Nerv, mich mit ihm rumzuzoffen, aber er hat mir nicht vorzuschreiben, was ich zu tun oder zu lassen habe. Keiner darf das! Keiner hat....oh, verdammt!
Irgendwie wollten meine Beine nicht mehr so, wie ich wollte. Sie knickten unter mir weg, und es haute mich volle Kanne auf die Schnauze. Nur seltsam, daß der Schnee sich überhaupt nicht kalt anfühlte. Eher weich und warm, wie eine gigantische Wattewolke!
Wattewolke, so was Blödes! Bin ich hier auf ‘nem Trip? Hab‘ doch überhaupt nix geraucht, ist doch völliger Quatsch. Ein Traum. So ein Nebel, der sich in meinem Kopf ausbreitet. Ein Gefühl, als ob ich schweben würde. Total strange!
Und dann kam die Dunkelheit.
Meine Augenlider sind Rolläden aus Metall, die ich nur mit größter Anstrengung hochziehen kann. Gleißendes Licht blendet mich, und mein Kopf brummt. Mir ist so verdammt heiß. Auf meinem Körper liegt irgendetwas Schweres, Warmes, das sich verdächtig nach Gabumons Fell anfühlt, und auch verdammt danach riecht. Nur steckt Gabumon nicht drin. Was zur Hölle ist passiert?
Als meine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, beruhigte sich auch mein Schädel. Ich war wieder zurück in der Höhle, nur war es jetzt hellichter Tag, und der Schnee leuchtete im Sonnenlicht. Neben mir brannte immer noch das Feuer, Gabumon mußte es wohl die ganze Nacht in Gang gehalten haben. Verschämt schnappte sich mein Didschi sein Fell, mit dem es mich zugedeckt hatte, und streifte es sich wieder über.
“Es tut mir leid, ich habe Takeru nicht gefunden,“ sagte Gabumon. Kein dummer Spruch, kein Vorwurf, keine Standpauke wegen meiner bescheuerten Aktion. Nur eine Entschuldigung. Für etwas, für das er überhaupt nichts konnte.
“Danke, daß du dich um mich gekümmert hast, Gabumon.“ Er lächelte mich verlegen an, und ich konnte förmlich spüren, wie er sich freute. “Ohne dich wär‘ ich jetzt wohl Geschichte.“
“Geht es dir jetzt besser, ja?“ Gabumon legte seine Pfote auf meine Stirn, um festzustellen, ob ich noch Fieber hatte. Ich muß welches gehabt haben, fühlte mich total ausgepowert. Aber langsam ging es schon wieder. Ich konnte aufstehen, ohne daß mir schwindelig wurde, und hatte auch nirgendwo mehr Schmerzen.
Erst jetzt fiel mir auf, daß ich auf einem Haufen vertrockneter Blätter gelegen hatte, die vorher auch noch nicht da waren. Mein tapferes Didschi mußte wirklich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt haben, um mich Idiot wieder fit zu kriegen. Anscheinend hatte er sich auch noch bei mir angesteckt, denn ich hörte ihn mehrmals kräftig niesen.
Plötzlich war ich mir aber nicht mehr so sicher, daß ich wirklich schon wieder fit war, denn ich hörte Stimmen. Eine Stimme, die wohl nur in meinem Kopf existieren konnte.
“Siehst du, Agumon“ sagte die Stimme. “Da muß man nur mal kurz draufhauen, dann geht das schon!“
Mein Fiebertrip war wohl noch nicht ganz vorüber. Entweder ich träumte noch immer, oder mein Brain hatte sich gerade dauerhaft von mir verabschiedet. Weiß ja nicht, ob so ein paar Stunden Schneesturmaufenthalt nicht genauso ungesund für die kleinen grauen Zellen sind, wie eine Taucherbrille.
“Guck mal, da ist ja Tai -Tschi “ nieste Gabumon, der zum Eingang der Höhle gelaufen war.
Ich stürzte nach draußen, und traute meinen Augen nicht. Da marschierte doch tatsächlich ein dämlich grinsender Taichi, nebst einem Agumon, und einem großen weißen Didschi - Ungetüm, das mich irgendwie entfernt an den Marshmellowmann erinnerte.
Ja, ich geb’s ja zu, ich ziehe mir diese kranken Cartoons aus USA rein. Wozu hat man schließlich ‘nen Vater, der beim Fernsehen arbeitet, und den Balkon mit Satellitenschüsseln zupflastert?
Taichi hielt mich wohl für einen Geist, er riß ungläubig die Glubscher auf, als er mich sah. Er machte einen Luftsprung, wie ein betrunkener Geißbock, und wir rasten aufeinander zu. Nein, natürlich eher er auf mich. Sowieso ein wahres Wunder, daß er mich nicht gleich abgeknutscht hat, vor Freude. Aber zum Glück beließ er es dabei, mit seinen Patschpfoten meine Hände zu packen. Das ließ ich mir grad noch eingehen.
Wie gesagt, ich bin wirklich nicht so der emotionale Typ. Ich wollte halt wissen, ob er tatsächlich da war, und nicht nur eine Fieberhalluzination, sonst hätte ich nie im Leben seine Hände einfach so festgehalten. Er dagegen fing natürlich sofort wieder an rumzusülzen :“Ich hab‘ nicht mehr dran geglaubt, daß wir uns wiedersehen,“ So ein Weichei!
“Wie habt ihr uns denn hier gefunden“, fragte ich, noch völlig außer Atem vom Rennen. Taichi hatte endlich meine Hände losgelassen, nur unsere Didschis knuddelten sich immer noch fröhlich, und kugelten im Schnee herum, bis das arme Gabumon wieder zu niesen begann.
“Durch Yukidarumon!“ Stolz wies Taichi auf das fremde Digimon, das hinter ihm hergestapft kam. “Er hat uns erzählt, daß er euch beide hier auf der Insel gesehen hat!“
Wenn dieses Yukidarumon, oder wie auch immer der wandelnde Marshmellow hieß, uns gefunden hatte, wußte es vielleicht auch, wo Takeru war. Ich schubste Taichi aus dem Weg, und ging auf das Vieh zu : “Hast du noch jemanden gesehen?“
Marshmellowmann (Mann? Mon!) zog einen Flunsch : “Auf dieser Insel hab‘ ich nur euch gesehen, aber vielleicht sind eure Freunde ja auf einer anderen Insel, es gibt hier viele davon.“
Noch mehr Inseln? Na toll! Dann konnte Takeru ebenso gut mitten in der Wüste, oder einem Dschungel voller gefährlicher, menschenfressender Säbelzahntigerdidschis gelandet sein. Mein Stimmungsbarometer war wieder unter Null gesunken, passend zur Außentemperatur.
“Laß den Kopf nicht hängen!“ Taichi klatschte mir auf die Schulter. Muß der Typ mich ständig angrabschen, das nervt langsam! Und kann er nicht mal damit aufhören, so dumm daher zu reden? Jetzt fiel ihm nichts Besseres ein, als dem armen Gabumon einen blöden Spruch an die Rübe zu knallen. ‘Ich wußte ja gar nicht daß Digimon sich auch erkälten.‘ Haha.. Wie einfallsreich.
“Hey!“ Langsam hatte ich echt die Schnauze voll. Ich packte Taichi am Arm und riß ihn von Gabumon weg. “Mach dich nicht auch noch über ihn lustig, verstanden!“
Ein dämlicher Blick war alles, was ich als Antwort bekam. So ein richtig typischer Taichi - Ich muß erst mein Brain hochfahren- Blick, aus seinen riesigen Glubschaugen. “Ich hab‘ doch nur Spaß gemacht, reg‘ dich doch nicht gleich auf!“ Jetzt spielte er auch noch den Beleidigten. “Sei doch nicht so empfindlich!“
Empfindlich? Ich? Das sagt dieser Depp zu MIR, dem einsamen Wolf von der Odaiba Grundschule? Dem coolsten Typen, den diese verrückte Welt jemals...
“Tschi! Hatschi! Tschiiii!“ Gabumon ließ eine ganze Serie von Niesern los, und Agumon warf ihm einen besorgten Blick zu. “Du solltest da reingehen, und dich hinlegen,“ meinte er, “wird dir guttun.“ Beide Didschis verschwanden in Richtung Höhle. Marshmellowmon stapfte in irgendeiner anderen Richtung davon, wohin wußte ich nicht, war mir auch scheißegal. Er hatte offensichtlich nicht die Absicht uns suchen zu helfen.
“Und was machen wir jetzt?“ Kaum zu glauben, Taucherbrillenbrain fragte mich doch tatsächlich nach meiner Meinung.
“Na, die anderen suchen, was denn sonst? Oder willst du dich auch lieber hinlegen?“ Wie schaffte Taichi es nur immer wieder mich so auf die Palme zu bringen? In seiner Nähe halt‘ ich es keine fünf Minuten aus, ohne in die Luft zu gehen.
“Sehr witzig!“ Er baute sich vor mir auf, was allerdings nicht besonders eindrucksvoll wirkte. Immerhin ist er zwei ganze Zentimeter kleiner als ich, das Drahtgeflecht, das anstatt Haaren auf seinem Kopf wächst, nicht mitgerechnet. “Ich meine, wie sollen wir sie finden? Wir wurden alle getrennt, und sind auf verschiedenen Inseln gelandet. Wir haben auch keine Flügel, um zu fliegen, und sie zu suchen, oder, du Schlaumeier?“
Irgendwo hatte er recht, allerdings hätte ich mir in diesem Moment lieber die Zunge abgebissen, als das zuzugeben. Wie konnten Takeru und die anderen ihm so gleichgültig sein? “Ich würde sogar schwimmen, um sie wiederzufinden!“ fauchte ich ihn an.
“Du bist doch bloß ein Spinner!“ schrie Taichi. “Hier ist sowas, wie der Nordpol, du würdest in dem Eiswasser nicht mal eine Minute überleben, auch mit deiner großen Klappe nicht!“
Ich überlegte fieberhaft, was wir machen konnten. “Wir könnten ein Floß bauen, wir könnten im Wald Bäume fällen, und...“
“Hey, Yamato-kun, nun komm mal langsam wieder runter!“ Taichi packte mich bei den Schultern und schüttelte mich. Allein dafür hätte ich ihm eine reinhauen können. Es gibt zwei Dinge, die man mit mir absolut nicht machen darf, das erste ist, mich anzufassen, und das zweite ist, mich anzufassen, wenn ich wütend bin. Dann werd‘ ich echt zur Bestie. Aber von einem Idioten wie Taichi kann ich natürlich nicht erwarten, daß er das checkt, das ist zuviel für diesen Volltrottel. Er redet weiter, und weiter, daß ich mir keine Sorgen machen, und einen kühlen Kopf behalten soll, und daß alles in Ordnung käme.
Solche Sprüche hab‘ ich oft genug von meinen Eltern zu hören gekriegt, und nichts ist in Ordnung gekommen, gar nichts. Ist alles nur blödes Gerede für Leute, die dumm genug sind, an so einen Scheiß zu glauben. Ich bin es jedenfalls nicht. Schon lange nicht mehr!
Als Taichi noch irgendwas vom Kontinent hinter der Insel blabberte, und daß wir danach suchen sollten, setzte es bei mir aus. Ich packte ihn, und war kurz davor, tatsächlich zuzuschlagen. Jetzt endlich schien es ihm langsam zu dämmern, daß man so mit mir nicht umspringen kann, er riß sich los und wich einige Schritte zurück. Zum erstenmal konnte ich richtige Wut in seinen Augen sehen. Taucherbrillenbrain hat also doch Gefühle, die man verletzten kann, ich hätt‘s gar nicht mehr geglaubt.
Beide waren wir in Abwehrhaltung gegangen, und hatten angefangen zu schreien. “Such‘ doch meinetwegen nach deinem Kontinent,“ brüllte ich ihn an, “ich werde mich jedenfalls zuerst um Takeru und die anderen kümmern. Ich werde...“
Meine Stimme überschlug sich, ich brach ab, drehte mich um und ließ ihn stehen. Ich rannte los, einfach los, irgendwohin! Nur weg von Taichi. Nur weg, von seinem albernen Mut-mach Geplapper, und seinen Glubschaugen. Ich konnte echt darauf verzichten. Ich brauche ihn nicht, um nichts in der Welt!
Ihn nicht, und überhaupt niemanden! Der einsame Wolf kommt allein klar! So ist es immer gewesen!
“Yamato-kun, warte doch!“ Taichi rannte mir hinterher, und versuchte mich am Pulli festzuhalten. Ich rutschte aus und schlug der Länge nach hin, Taichi landete auf mir drauf. Die Wut in seinen Augen war verschwunden, und er redete wieder auf mich ein :“Wenn wir erst einmal da sind, finden wir sicher einen Weg, den anderen zu helfen, denkst du nicht?“
Seine Stimme klang fast bittend. “Ich weiß, was du fühlst! Mir liegt genauso viel daran, die anderen zu....“
Das hätte er besser nicht gesagt! Das nicht! Niemand weiß, was ich fühle, schon gar nicht so ein unterbelichteter Möchtegern-Held wie Taichi, der sich einbildet, hier in meiner Seele rumwühlen zu können. Für den das ganze Leben doch nichts weiter ist, als ein Spiel, eine Hetzjagd von einem Abenteuer ins nächste.
“Du wirst nie verstehen, was ich fühle! Niemals!“
Und dann tue ich das, was ich schon seit mindestens zehn Minuten tun will, was ich eigentlich schon tun will, seit wir in dieser Welt gelandet sind, und er nichts anderes zu tun hat, als mir auf den Sack zu geh’n, was ich eigentlich schon immer tun wollte, seit ich ihn kenne! Ich haue ihm eins mitten in seine blöde Fresse, daß er zwei Meter rückwärts in den Schnee fliegt.
Sein Schmerzensschrei ist Musik in meinem Ohren. In mir hat sich zuviel aufgestaut, als daß ich irgend etwas anderes fühlen kann, als eine grenzenlose Wut. Wut auf Taichi, weil ihm die anderen so scheißegal sind, Wut auf unsere beschissene Situation, und Wut auf mich selbst. Ich hab‘s nicht geschafft, Takeru zu beschützen. Ich hab versagt, auf der ganzen Linie versagt!
“Taichi!“ Ein entsetztes Agumon kam angelaufen, gefolgt von Gabumon, das mich vorwurfsvoll ansah. Aber im Augenblick konnten mir unsere Didschis echt gestohlen bleiben, ich war so in Rage, daß mir alles andere am Arsch vorbei ging.
Ich sah auf Taichi hinunter, der vor mir im Schnee lag. “Du bist herzlos,“ sagte ich, und trotz meiner Wut klang meine Stimme eiskalt. “Deine Gedankenlosigkeit widert mich einfach an.“
Das mußte ihn härter getroffen haben, als jeder Schlag, denn er sprang hoch, und stürzte sich, wie vom wilden Affen gebissen, auf mich. Ich war so überrascht von seinem Angriff, daß ich seinen ersten Schlag gar nicht abwehren konnte, er erwischte mich voll.
Dann hatte ich die Situation wieder unter Kontrolle und schlug zurück. Endlich Schluß mit dem albernen Gelaber, jetzt sprechen die Fäuste! Jetzt wird sich zeigen wer recht hat, und wer nur blöd daherredet.
Wir rollten durch den Schnee, als wir aufeinander einschlugen, ich spürte weder Schmerz noch Kälte, noch verstand ich die warnenden Rufe unserer Didschis, die uns irgendwas von Gefahr und Abgrund hinterherbrüllten. Jetzt gab es nur noch ihn und mich, und unsere grenzenlose Wut.
Es war klar, daß es eines Tages soweit kommen würde, gezofft haben wir uns immer, und jetzt gab es keine Sora, und keinen Jou, die uns Vernunft einhämmern konnten.
Irgendwann wurde mir wohl klar, daß ich mich wie der letzte Idiot benahm, aber jetzt war es zu spät, es gab kein Zurück mehr. Es ging weder um die blöden Inseln und Kontinente, noch darum, wer von uns recht hatte, es ging einzig und allein um Takeru. Mein kleiner Bruder war höchstwahrscheinlich in Gefahr, und es gab nichts, was ich für ihn tun konnte. Es war diese Hilflosigkeit, die mich so rasend gemacht hatte, mehr noch als alles andere. Taichi hatte nur das Pech gehabt, mit seiner nervigen Art noch Öl ins Feuer zu gießen.
‘Ich weiß, was du fühlst!‘ Wie in aller Welt soll er denn verstehen, wie ich mich fühle? Kann das überhaupt jemand verstehen? Ist das nicht alles nur dummes Gerede?
Takeru...
Ich hab‘ ihn schon einmal verloren.
Ich will nicht flennen!
Tränen sind was für Schwächlinge und Weicheier, nicht für coole Typen wie mich. Und daß Taichi da ist, macht die ganze Sache nur noch schlimmer. Um nichts in der Welt soll er mitkriegen, wie dreckig es mir geht, das fehlt gerade noch. Dann wird er wieder einen Haufen dummer Sprüche loslassen, und...
Aber die Tränen kommen, ohne daß ich was dagegen machen kann. Sie steigen mir in die Augen, und purzeln meine Wangen runter, und es werden immer mehr, je stärker ich versuche, sie zurückzuhalten.
“Hör auf“, bringe ich mühsam raus, als Taichi wieder die Faust hebt. “Takeru ist doch noch so klein, er kommt ohne mich nicht zurecht!“
“Du bist,... du bist einfach...“ Taichi fehlen die Worte. Das kommt bestimmt nur einmal in hundert Jahren vor, bei dem Plappermaul. Er läßt die Fäuste sinken, und schaut mich an, mit seinen riesigen Glubschaugen. Jetzt sieht er nicht mehr so aus, wie jemand, der mir eine reinhauen will. Auch nicht wie jemand, der gerade sein Brain hochfahren muß. Er sieht verdammt aus, wie jemand, der mich am liebsten in den Arm nehmen möchte, und sich nicht traut.
Plötzlich begann die Erde zu beben, und der Boden brach unter uns weg, wie Glas. Wir waren am Rand eines Abgrunds gelandet, und die dünne Eisschicht, auf der wir uns befanden, konnte uns nicht länger tragen. Das also war es gewesen, wovor unsere Didschis uns warnen wollten. Zu spät, wir sausten hinunter in die Tiefe.
Oder doch nicht?
Ein kräftiger Ruck an meiner Schulter, Taichi hatte meine Hand festgehalten. Er selbst klammerte sich an etwas, das aussah, wie ein Ast, oder eine Art überdimensionaler Wurzel. Egal, was es war, hoffentlich hielt es! Unter uns ging’s nämlich ganz schön tief runter, ich mochte gar nicht hinsehen.
“Halt dich fest!“ Taichi machte einen matten Versuch, sich hochzuziehen, ließ es aber schnell bleiben, als die Wurzel gefährlich zu knacken und zu ruckeln begann. “Ich werd‘ dich nicht loslassen, und wenn mir der Arm abreißt!“ Mann, der hat vielleicht Nerven!
“Wartet, ich komme!“ “Haltet durch! Tschi!“ Über uns auf der Klippe plärrten ein verzweifeltes Agumon, und ein ängstliches Gabumon in der Gegend herum. Sie waren immer noch zu hungrig für die Digitation, hatten also keine Möglichkeit uns zu helfen. Na ja, noch hielt die Wurzel. Es hätte schlimmer kommen können!
Und es kam schlimmer! Ein riesiges brüllendes Fellbüschel sauste mit einem erhobenen Knochen in der Pratze durch den Schnee auf uns zu.. “Moyamon!“ schrie Agumon, “das ist unsere Rettung!“ “Siehst du denn nicht!“ plärrte Gabumon, “es hat auch ein schwarzes Zahnrad!“
Das Büschel wußte definitiv, wie man einen bühnenreifen Auftritt inszeniert! “Eiswolke!“ brüllte es, und gab damit unserer Klippe den Rest. Alles zersplitterte und zerbarst in tausend Stücke, die uns um die Ohren flogen. Wir flogen auch, allerdings eher abwärts. Wenn ich Pech hatte, würden also zwei Didschis, samt einem Taichi auf mir landen. Keine angenehme Vorstellung!
“Wir stürzen ab!“ schrie Taichi. Oh, Mann, dieser Schnellchecker! “Fall bloß nicht auf mich drauf!“ schrie ich zurück. Er umklammerte meine Hand fester, na gut, ich seine auch. Es gibt Momente, in denen selbst der einsame Wolf von der Odaiba Grundschule nichts gegen ein bißchen Händchenhalten einzuwenden hat. Wenn er kurz vorm Abkratzen ist, zum Beispiel. Ich kniff die Augen zu, und landete – weich!
Weich und federnd, wie auf einem Marshmellow. Unter der Klippe war nämlich niemand anderes als –Tadah – Tusch, Herr Kapellmeister – Yukidarumon, Das arme Didschi schaute ziemlich dumm aus der Wäsche, als wir der Reihe nach auf seinen Bauch plumpsten. “Was soll denn das?“ grummelte es. “Erschreckt mich doch nicht so!“
“Das war ‘ne Notlandung!“ Ausnahmsweise waren wir uns mal alle vier einig. Wir bedankten uns bei Yukidarumon, das gleich noch eine weitere Überraschung für uns parat hatte : Essen! Es hielt einen Satz Wurzeln, in seinen Schneepfoten, auf die sich Taichi und Agumon sofort stürzten.
Taichi und Essen, das ist echt ein Kapitel für sich. Ich glaube, sogar wenn der Typ kurz vorm Ausrasten wäre, bräuchte man ihm nur etwas Mampfbares unter die Nase zu halten, und er würde sich auf der Stelle in ein sanftes Lämmchen verwandeln. Nur schade, daß man ihn damit nicht zum Schweigen bringen kann. Er gehört nämlich zu den seltenen Exemplaren der Gattung Mensch, die gleichzeitig essen und reden können. Das nennt sich dann Multi-tasking, oder so ähnlich.
Auch das arme Gabumon wurde nicht vergessen. Yukidarumon hatte ein paar ekelhaft bittere Kräuter mitgebracht, die sich allerdings als äußerst heilsam für Erkältungen erwiesen. Somit hätte eigentlich alles in Butter sein können.
Hätte! Dem knochenwedelnden Büscheldidschi war es inzwischen gelungen, einen anderen Weg hinunter zum Strand zu finden, und es wollte uns immer noch angreifen. Wir machten lieber die Mücke, sogar Taichi war es ausnahmsweise mal nicht nach Heldenspielchen zumute. Nur Yukidarumon war zuversichtlich: “Ich kümmere mich um den!“ Es stapfte auf seinen Gegner los, während es mit den Fäusten auf seiner Brust herumtrommelte und ein paarmal seinen eigenen Namen brüllte. Nicht besonders beeindruckend, wenn ihr mich fragt. Und irgendwie so gar nicht digimonlike.
Trotzdem, es gab sich die größte Mühe, uns zu beschützen, also sollte ich das Lästern besser bleibenlassen. Deutlich konnten wir in Moyamon’s Fell ein schwarzes Zahnrad erkennen, gegen das Yukidarumon’s Attacken völlig wirkungslos schienen. Der erste Tiefkühlschlag haute es zwar noch in die Ecke, aber dann schlug es mit seiner Eiswolke zurück, und unser Marshmellow setzte sich auf den Hosenboden. Als dann der Knochenbumerang über uns hinwegsauste, und unsere Köpfe nur haarscharf verfehlte, war es an der Zeit einzugreifen.
Los geht‘s! Unsere Didschis sind wieder voll da, bereit sich für uns in den Kampf zu stürzen. Das Licht unserer Digivices strahlt, und ich kann förmlich spüren, wie ihre Energie stärker und stärker wird. Agumon und Gabumon hüpfen aufgeregt hin- und her, bis das Leuchten sie erreicht, und sie in funkelnden Glanz taucht. Wie jedes Mal, bei einer Digitation habe ich das Gefühl, daß die Zeit nur für einige wenige Augenblicke langsamer wird, und schließlich völlig stillsteht.
Dann war der Moment vorüber. Mit gewaltigen Sätzen jagte Garurumon auf Moyamon zu, und fing den Knochenbumerang mitten in der Luft. Einen Augenblick später schoß ihm auch schon Greymon’s Megafeuer entgegen. Perfektes Timing!
Angriff, und Abwehr, unsere Didschis waren ein absolut phantastisches Team, beinahe so als hätten sie ihr Lebtag nichts anderes getan, als zusammen zu kämpfen. Vom Kampffieber gepackt, brüllten wir uns die Lunge aus dem Hals, als wir sie immer weiter anfeuerten. Garurumon war wirklich einsame Spitze, kein anderes Digimon konnte mit ihm mithalten. Hundertpro, daß Taichi über Greymon genauso dachte, man konnte es ihm an den Augen ablesen. Jetzt hätte ich es ihm locker abgenommen, daß er meine Gefühle versteht, denn wir fühlten beide dasselbe. Dazu brauchte es überhaupt keine Worte.
Auch Yukidarumon griff in den Kampf ein, nachdem es sich wieder hochgerappelt hatte. Es gelang ihm, Moyamon festzuhalten, damit Greymon und Garurumon auf das schwarze Zahnrad zielen konnten. Greymon schrottete das Ding mit links, während Garurumon noch den halben Berg mit erwischte. Jetzt kriegten wir echt den Schock unseres Lebens, denn die Klippen waren innen hohl. Kein Wunder, daß sie vorhin auseinander gebrochen waren.
Und während Moyamon’s Zahnrad sich noch in Luft auflöste, lichtete sich der Rauch, und gab den Blick auf das Innere des Berges frei. Hier wimmelte es nur so von schwarzen Zahnrädern, die alle ineinander griffen, und sich unaufhaltsam drehten.
Mich packte die kalte Wut, und Garurumon schickte gleich noch eine Feuerattacke auf das ekelhafte Gewimmel, bevor er zu Gabumon zurückdigitierte. Für einen Moment standen die Zahnräder still, dann begannen sie sich wieder zu drehen, diesmal in die andere Richtung.
“Was war denn los?“ Ein bedaddeltes Fellknäuel hockte vor uns auf dem Boden. Jetzt da der Bann des Bösen gebrochen war, hatte sich auch Moyamon wieder zurückverwandelt. Es war jetzt viel kleiner als vorhin, und irgendwie noch büscheliger. “Ich hab‘ euch doch nicht etwa angegriffen?“
“Du kannst nichts dafür!“ Yukidarumon hob das Büschel auf und setzte es auf seine Schulter. “Die Zahnräder verwandeln gute Digimon in böse Digimon. Das ist mit mir auch passiert. Aber zum Glück haben die Kinder und ihre Digimon uns gerettet!“
“Vielen, vielen Dank!“ Moyamon freute sich wie ein Schneekönig.“
“Seht mal!“ Taichi stierte angestrengt in sein Taschenfernglas, und wedelte in eine unbestimmte Richtung. “Der Berg der Unendlichkeit rückt wieder näher!“
Eigentlich ganz logisch, jetzt wo sich die Zahnräder in die andere Richtung drehten, schwamm auch die Insel wieder zurück. Wenn wir das früher herausgefunden hätten, hätten wir uns jede Menge Streß sparen können. Aber hinterher ist man ja bekanntlich immer schlauer.
“Dort wird Devimon auf uns warten.“ Taichi steckte das Fernglas wieder ein, und streckte mir die Hand hin. “Wir sollten jetzt zusammenhalten, und das Kriegsbeil begraben!“
Ich schlug ein, wo er recht hat, hat er recht. Selbst ein blindes Huhn findet ab und zu mal ein Korn.
“Na, also, dann werdet ihr eure Freunde ja bald wiedersehen,“ freute sich Yukidarumon. “Spätestens morgen früh sollten die Inseln wieder zusammensein.“
Taichi nickte. “Könnte hinkommen. Wir haben einen halben Tag und eine Nacht gebraucht, um von einer Insel zur anderen zu kommen.“
“Wie genau seid ihr eigentlich von einer Insel zur anderen gekommen,“ wollte ich wissen. “Das hast du mir immer noch nicht erzählt!“
“Du warst ja auch viel zu beschäftigt, dich mit mir zu streiten. Aber wenn du’s genau wissen willst, Yukidarumon hat mit seinem Tiefkühlschlag eine Eisbrücke zwischen den Inseln gebaut.“
So etwas ähnliches hatte ich mir schon gedacht. Das Problem war nur, daß es auf den anderen Inseln wesentlich wärmer war als hier, also würde eine Eisbrücke niemals halten. So kamen wir also nicht voran.
“Was hältst du davon, wenn wir die Insel nochmal in Ruhe absuchen, solange es noch hell ist?“ fragte Taichi, der meine Gedanken zu erraten schien. “Nur um sicherzugehen, daß wir nichts übersehen haben! Heute nacht sollten wir schlafen, damit wir morgen früh wieder fit sind. Wenn unsere Digimon zu müde sind, können sie nicht digitieren, und wir werden sie morgen sicher brauchen.“
“Für deine Verhältnisse ist das ja ein ganz brauchbarer Plan, Taichi-kun.“ stimmte ich ihm zu. Leider raffte Taucherbrillenbrain wieder mal nicht ab, daß ich ihm soeben ein Kompliment gemacht hatte. “Was meinst du mit ‘für deine Verhältnisse‘? beschwerte er sich. “Wenn du einen besseren hast, laß hören!“
Wir durchsuchten die Insel in Zweiergruppen, und trafen uns bei Sonnenuntergang wieder an der Höhle. Keiner von uns war sonderlich überrascht, daß unsere Suche erfolglos geblieben war, aber wenigsten konnten wir jetzt sicher sein, daß außer uns niemand auf der Insel gelandet war.
Yukidarumon brachte uns ein paar neue Wurzeln zum Abendessen mit, die allerdings keiner mehr haben wollte, weil Moyamon uns Fische gefangen hatte. Gabumon und Agumon durften wieder ein bißchen zündeln, damit wir sie braten konnten, (die Fische, nicht unsere Didschis!) und es in der Höhle warm hatten. Das paßte wiederum Yukidarumon nicht, denn er konnte die Wärme nicht abhaben. Ob er wohl schmolz, wenn er zu nahe ans Feuer kam? Das probierten wir lieber nicht aus.
Wir legten noch Holz nach, damit uns zumindest die Glut über Nacht erhalten blieb, denn unsere Didschis brauchten Ruhe, und konnten nicht andauernd aufstehen, und das Feuer wieder in Gang bringen. Sie waren sofort nach dem Abendessen eingepennt, kein Wunder nach dem anstrengenden Tag.
“Ich denke, wir sollten auch schlafen“. Mit Mühe und Not fieselte Taichi seine Taucherbrille aus den Haaren. Der Verhau auf seinem Kopf würde echt den perfekten Nistplatz abgeben, falls Birdramon mal auf den Gedanken kommt, Eier zu legen. Das heißt, wenn sich seine Haare nicht wie Stacheldraht anfühlen, und sie sehen verdammt danach aus.
“Denk‘ lieber nicht soviel, sonst schmilzt deine Taucherbrille!“ brummelte ich und rückte ein Stück weg von ihm. Sein Atem kitzelte mich am Ohr, und das nervte.
“Das is‘ ‘ne Fliegerbrille, du Depp! Komm wieder her, mir ist kalt!“ Taichi’s Haare fühlen sich kein bißchen wie Stacheldraht an, sie sind sogar verdammt weich. Und riechen um einiges besser als Gabumons Fell.
“Ich seh‘ da keinen großen Unterschied!“ Zumindest nicht, was die Auswirkungen auf sein Denkvermögen angeht. Aber wahrscheinlich sollte ich jetzt lieber Fliegerbrillenbrain zu ihm sagen. Fliegenbrain tut’s allerdings auch.
“Ach, du hast ja keine Ahnung!“ gähnte Taichi, und kuschelte sich an mich. Was muß der mir jetzt wieder auf die Pelle rücken? Wahrscheinlich weil Koushirou und Sora nicht da sind, mit denen kuschelt er sonst. Wenn er mich jetzt auch noch in den Arm nimmt, krieg‘ ich einen Schreikrampf! Ich bin die blöde Schmuserei einfach nicht mehr gewohnt, schon zu lange her. Außerdem bin ich inzwischen viel zu alt dafür.
Ich kann noch nicht gleich einschlafen, mir gehen zu viele Gedanken im Kopf rum. Hoffentlich geht es Takeru und den anderen gut, hoffentlich finden wir sie morgen. Und dann steht uns auch noch der Kampf mit Devimon bevor. Und dann, was wird dann passieren? Können wir dann endlich nach Hause zurück?
Ich drehe mich auf die Seite und starre noch ein bißchen die Flammen an. Taichi hat’s gut, er kann immer und überall schlafen. Eigentlich ist er gar kein so ätzender Typ, aber daß er mich checkt, kauf‘ ich ihm immer noch nicht ab. Was wohl passiert wäre, wenn es die Klippe nicht genau in dem Moment zerfetzt hätte?
Nein, das ist bescheuert. Absoluter Blödsinn!
Taichi rollt sich auch auf die Seite, und legt im Schlaf seinen Arm um mich. Sein Atem kitzelt mich schon wieder am Ohr. Zum Glück merke ich von alledem nichts, sonst würd‘ ich ihn natürlich wegschubsen. Ich bin schließlich ein Wolf, und kein Knuddelviech!
Aber jetzt ist es egal. Jetzt krieg‘ ich ja nix davon mit.
Weil ich grad‘ beschlossen hab‘, daß ich schon längst schlafe.
2. Hitori de
(Allein)
Ore wa hitori de daijoubu sa.
Mir geht's gut, wenn ich allein bin!
-Yamato-
Ich raff‘ zwar immer noch nicht ganz ab, was das alles soll, aber zumindest weiß ich jetzt, daß es kein Zufall ist, daß wir hier sind. Wir sind nämlich was ganz Besonderes, wir sieben! Wir sind keine gewöhnlichen Kinder, oh nein! Wir sind die Erabareta Kodomo! Wir sind die Digidestined, die Chosen Kids, die sieben Samurai, die einzigen die das Böse besiegen, und diesem armen Phantasieländle den Frieden bringen können.
Mit anderen Worten: Die Digiritter! Toll, gell? So einen Schwachsinn hab‘ ich ja noch nie gehört!
Nix mit Devimon verprügeln, und ab nach Hause! Wir dürfen jetzt noch ‘ne Weile auf so ‘nem komischen Kontinent rumgurken, und irgendwelche bescheuerten Wappen und Amulette suchen. Wenn wir diesen Krampf schon mitmachen, hätten sie uns wenigstens ein paar anständige Laserstrahler geben können!
Oder wie wäre es mit ein paar stählernen Mechas, die sich dann zum riesigen Supermegakoloss vereinigen? Sogar ein paar blöde pinke Plastikzepter, die Glitzersternchen, und rosa Herzchen abfeuern, hätten es getan! Prinzessin würde sich bestimmt gut damit machen, sie müßte dann nur noch ihr Kleidchen auf Gürtellänge kürzen, und schon könnte sie unter den armen Numemon große Verwirrung stiften.
Und blöde Sprüche, Leute! Wir brauchen unbedingt ein paar blöde Kampfsprüche, sonst können wir’s sowieso vergessen.
Die sollten wir am besten unserem Champion für blöde Sprüche überlassen, dann ist er wenigstens beschäftigt, und kann uns anderen nicht auf den Wecker fallen. Das ging schon los, als uns Whamon, das riesigste aller Riesendidschis, auf seinen Rücken verlud, um uns zu diesem Kontinent zu schiffern. Taichi hatte nichts Besseres zu tun, als die arme Sora auf Whamons Kopf zu zerren, um dort ‘ne Runde “King of the World“ zu brüllen. Den checkte sie aber nicht, ihre Mutter läßt sie nicht in diese perversen westlichen Filme.
Dann wollte er unbedingt schwimmen gehen, aber keiner von uns hatte Bock auf die Eisbrühe. Und allein macht es natürlich keinen Spaß, da kann er ja niemanden naßspritzen und untertauchen, der Kindskopf!
Koushirou hockte an seinem Laptop, der ausnahmsweise grad mal wieder ging, Sora wollte sich in Ruhe mit Mimi unterhalten, und Jou, die Zimperliese kriegten eh keine zehn Pferde ins Wasser.
Sogar Takeru, der normalerweise bei jedem Wink von Taichi aufspringt, wollte diesmal nicht. “Ich muß mein Ei streicheln!“ verkündete er. “Patamon soll endlich wieder ausschlüpfen!“
“LOL!“ sagte Koushirou, ohne von seinem Laptop aufzuschauen, und grinste sich einen ab. Manche Leute sollten sich echt das Denken abgewöhnen, kommt eh nur Unsinn bei raus.
“Soooraaa-kuuun!“ bettelte Taichi. “Bitte, bitte, komm doch mit, es ist überhaupt nicht kalt!“
“Ich hab‘ dir doch schon gesagt, daß ich keine Lust habe.“ Sora verzog das Gesicht. “Wie oft willst du es denn noch hören?“
“Wieso hast du denn keine Lust? Euer albernes Mädchengetratsche, könnt ihr doch auf später verschieben!“
“Albernes Mädchengetratsche!“ entrüsteten Sora und Mimi sich aus einem Munde. “Was nennst du hier ‘albernes Mädchengetratsche‘! Du bist doch derjenige, der den ganzen Tag nur Blödsinn redet!“
“Das ist doch sowas von überhaupt gar nicht wahr! Du willst doch bloß nicht ins Wasser, weil du deine Tage hast!“
Den letzten Satz hatte er so laut gebrüllt, daß wohl jeder auf unserem Traumschiff, Mensch wie Digimon ihn verstanden haben mußte. Obwohl, verstanden vielleicht doch nicht so ganz, denn der größte Teil unserer Truppe guckte ziemlich dumm aus der Wäsche. “Du hast was?“ fragte Piyomon neugierig, und wippte auf ihren Krallen hin und her.
“Gar nichts,“ stammelte Sora. Sie war über und über rot geworden, was Taichi offensichtlich sehr amüsant fand.
Ende der Vorstellung! Der Kerl hatte sich eine Abkühlung gründlich verdient. Ein Blickwechsel zwischen Jou und mir reichte, und im nächsten Moment beförderten wir Taucher-Flieger-oder was auch immer-brillenbrain, mitsamt Klamotten und Taschenfernrohr in die Eisbrühe. Er quiekte wie ein Ferkelchen, als das Wasser über seinem Kopf zusammenschlug, und tauchte einen Augenblick später keuchend und prustend wieder auf.
“Ihr miesen Schweine!“ plärrte er, und wir beobachteten genüßlich seine verzweifelten Versuche, sich an Whamons glattem Rücken hochzuziehen.
“Ich helfe dir, Taichi, ich ziehe dich raus!“ Agumon kam auf seinen kurzen Beinen angedackelt, und versuchte nach Taichi’s Hand zu greifen. “Ich werde dich retten....uahhh!“
Platsch! Jetzt war unser Möchte-gern-Anführer nicht mehr allein in der Kälte! Agumon ruderte wild mit den Armen, und Koushirou schloß ängstlich seinen Laptop, damit der bloß kein Wasser abkriegen würde. Jou trat einen Schritt zurück, und dabei versehentlich auf Gomamon, der plötzlich hinter ihm aufgetaucht war. Das konnte Jou’s Didschi sich natürlich nicht bieten lassen.
Einmal Zimperliese über Bord! Jetzt fing es langsam an interessant zu werden! Koushirou ließ den Laptop Laptop sein, und sogar mein Brüderchen vergaß für einen Moment sein kostbares Digi-Ei. Leider endeten sämtliche Versuche, unsere durchnäßten Kumpels aus dem Wasser zu ziehen, in einer Katastrophe. Koushirou und Tentomon machten auch noch einen Abgang, und Prinzessin kriegte eine ordentliche Wasserladung auf ihr pinkes Kleid. Ich hielt mich zwar so grade noch auf Whamon’s Rücken, hatte aber inzwischen auch keinen trockenen Faden mehr am Leib.
Genaugenommen gab es überhaupt nichts Trockenes mehr, also war es sowieso schon wurscht. Wenn der einsame Wolf von der Odaiba Grundschule sich in die Fluten stürzt, dann natürlich mit Klasse. Elegant köpferte ich ins Wasser, tauchte zwischen Taichi’s Beinen hindurch, und packte anschließend Jou am Fuß, der natürlich den reinsten Anfall bekam, und irgendwas von Meeresungeheuerdidschis brabbelte. Wir anderen erstickten beinahe vor Lachen.
“Ihr seid alle so gemein zu mir,“ Jou verzog das Gesicht, als ob er kurz vorm Losheulen wäre. Statt dessen stürzte er sich jedoch auf mich und tauchte mich unter. Damit hatte ich natürlich am allerwenigsten gerechnet, nie im Leben hätte ich Jou so was zugetraut. Ich war so überrascht, daß ich vergaß, den Mund zu schließen, und meine Lunge erstmal Bekanntschaft mit ein paar Litern scheußlich brennendem Salzwasser machte. Danach mußte ich erst mal kräftig nach Luft schnappen.
Sora beobachtete uns mißbilligend. “Wenn ihr jetzt doch alle schwimmen geht, solltet ihr eure Klamotten ausziehen, und zum Trocknen auf Whamon’s Rücken ausbreiten,“ schlug die Stimme der Vernunft vor “Ihr kriegt sie nie mehr trocken, wenn ihr noch länger damit im Wasser bleibt.“
“Sora-kun hat recht, wir könnten uns böse erkälten!“ Jou zog eine ängstliche Grimasse.
“Ohgottohgottohgott, wir werden uns eine Lungenentzündung holen, und alle, alle sterben!“ heulte Taichi. “Da ist es besser heroisch im Kampf zu fallen.“ Er wollte sich auf Jou stürzen, der verzweifelt versuchte, zurück auf Whamon’s Rücken zu klettern. Aber sich in nassen Klamotten zu bewegen, ist nicht so ganz einfach.
Palmon amüsierte sich großartig über die tolpatschigen Kraxeleien der beiden. “Warum einfach, wenn’s kompliziert auch geht!“ Sie wickelte einen Tentakel um Jou, und zog ihn aus dem Wasser. Taichi griff ins Leere. “Verräter!“ schrie er. “Du bist bestimmt ein feindlicher Spion!“
Ein paar Minuten später planschten wir wieder weiter, außer den Mädchen, und ihren Digimon, denen die Wasserschlacht anscheinend zu wild war. Auch Gabumon weigerte sich strikt ins Wasser zu kommen, er haßt es, wenn sein Fell naß wird.
Jetzt wo mein kleiner Bruder auch dabei war, mußte ich aufpassen, daß die anderen ihn nicht zu sehr tauchten, schließlich kann er noch nicht so gut schwimmen.
“Zum Angriff!“ Neben mir lieferten Jou und Koushirou sich einen Unterwasserkampf. Nur hin und wieder tauchten der eine oder andere Kopf aus den Fluten, um irgendwelche geistreichen Befehle zu plärren.
“Feindliches U-Boot gesichtet!“ Taichi jagte unterdessen Takeru hinterher. “Sofort Verfolgung aufnehmen! “
“Diese Jungs sind doch gräßlich, findest du nicht, Sora-chan?“ Prinzessin zog einen Flunsch. “Immer müssen sie Krieg spielen!“
“Hm, ja,“ antwortete Sora ziemlich abwesend.
Irgendwie schien das gräßliche Spiel von den gräßlichen Jungs um einiges interessanter zu sein, als der Girl Talk mit Mimi.
“SOS!“ An der anderen Front schien Jou die Oberhand zu gewinnen, und Koushirou war in arger Bedrängnis. Taichi verfolgte immer noch Takeru, konnte also nicht eingreifen. Wetten das....
Richtig geraten! “Verstärkung ist unterwegs, Captain!“ Sora’s Klamotten flogen auf einen Haufen, nur die Unterhose behielt sie an, typisch Mädchen eben. Sie stürzte sich ins Wasser, und jetzt mußte Jou gegen alle beide die Stellung halten. Ich hätte ihm ja gern geholfen, allerdings wurde die Yamato zuerst an anderer Front gebraucht.
“Feindlicher Zerstörer hat uns im Visier,“ prustete Takeru, den Mund voller Wasser. “Sofort Tauchvorgang einleiten.“ Er tauchte unter, und versuchte Taichi unter Wasser davonzuschwimmen, der war ihm allerdings dicht auf den Fersen.
Er versuchte Takeru zu packen, aber ich war schneller, ich tauchte, so daß er mich nicht gleich sehen konnte, und näherte mich unter Wasser.
“Torpedos, Ziel erfassen!“ Ich tauchte hinter Taichi auf, und als er sich überrascht umdrehte, haute ich ihm eine Ladung Wasser ins Gesicht. “Torpedos, Feuer!“
Yosh, voll erwischt! Der ist erstmal außer Gefecht gesetzt! “Die Yamato ist unschlagbar!“ brüllte ich, und so ein blöder kleiner Kahn wie du einer bist, sollte sich besser vom Acker machen!“
“Das werden wir noch seh’n, Großmaul!“ schimpfte Taichi, der sich das Wasser aus den Augen rieb. “Ich bin nämlich auch ein Zerstörer, und zwar der allerbeste der ganzen amerikanischen Flotte! Hab‘ zwar vergessen wie der heißt, ist aber auch egal, ich versenk‘ dich trotzdem!“
“Vielleicht bist du ja die Tai-tanic!“ ärgerte ich ihn, und schwamm im Halbkreis um ihn herum. Ich hab‘ keine Mutter daheim, die mir irgendwelche Filme verbietet, ich kann machen, was ich will. “Dann sinkst du nämlich von ganz alleine, ohne daß ich irgendwas tun ...“
Die letzte Silbe ging irgendwie in einem Blubbern unter, denn ein taucherbebrilltes Etwas war gerade dabei meinen Kopf unter Wasser zu drücken. Ich schloß den Mund – der Geschmack des Wassers war mir noch in zu unangenehmer Erinnerung – und versuchte Taichi in den Schwitzkasten zu nehmen.
Der quiekte schon wieder, und zappelte wie ein Fisch. Abgesehen davon, daß Fische keine Beine haben, mit denen sie zutreten können.
Autsch, das war mein Knie. Nur gut, daß er nicht höher gezielt hat, das hätte unangenehm werden können.
Trotzdem hab‘ ich ihn jetzt, da kann er noch soviel rumstrampeln! Sein Atem kitzelt sogar unter Wasser, das ist echt krass. Und ich hab‘ schon wieder seine Haare in der Fresse. Kann der Typ nicht mal zu Friseur gehen?
In dieser Eisbrühe fühlt er sich wärmer an, als ein Ofen. Seine Hände sind irgendwie zwischen uns eingeklemmt, deswegen kann er sie nicht benutzen. Er will mich in den Arm beißen, damit er endlich freikommt, aber seine Zähne rutschen an meiner Haut ab. Ich halte seine Beine mit meinen fest, damit er mich nicht wieder treten kann, und er versucht, sich rauszuwinden. Ich verstärke meinen Griff, damit er...
“Bist du jetzt völlig bescheuert? Du ertränkst ihn ja!“ Sora riß meinen Arm weg, oh Mann, die hat vielleicht Kraft für ein Mädel. Taichi kämpfte sich frei, und kam nach Luft schnappend an die Oberfläche.
“Alles okay!“ Er grinste sie an. “Hat mich beinah‘ dersoffen, der Spack, das gibt Rache! Los komm, machen wir ihn fertig!“
“Du bist so ein blöder Idiot,“ schrie Sora. Sie drehte sich um, und schwamm weg. War sie etwa sauer auf mich? Oder auf Taichi? Ich checkte das nicht ab.
Taichi offensichtlich auch nicht “Spielen wir nachher weiter, okay?“ meinte er zu mir, dann schwamm er ihr hinterher. “Warte doch Sora-kun, was hast du denn? Hab‘ ich was Falsches gesagt?“
Wir anderen überlegten, ob wir noch ein bißchen Seeschlacht spielen sollten, aber irgendwie konnten wir uns nicht drauf einigen, wer jetzt die Amis, und wer wir waren, und den Didschis konnten wir das Ganze sowieso nicht erklären.
Außerdem waren wir klatschnaß, hungrig, und todmüde.
Whamon bot uns an, kurz unterzutauchen, damit wir auf seinen Rücken klettern konnten, aber da Whamon’s Rücken der einzige noch trockene Platz war, wollten wir das dann doch nicht.
Palmon beschwerte sich lautstark, daß sie wieder einmal Aufzug für uns spielen mußte, aber dann holte sie uns doch der Reihe nach aus dem Wasser.
Zum Essen hatten wir diesmal nur Seegras, aber man gewöhnt sich an alles. Sora hatte sich anscheinend wieder beruhigt, sie diskutierte noch mit Taichi und Koushirou über die letzte Fußballweltmeisterschaft, als wir anderen uns schlafen legten, und uns gegen die Kälte aneinander kuschelten, ja, ich weiß auch, daß Kuscheln nicht gerade Einsamer-Wolf-like ist. Ich bin trotzdem ein harter Typ, das muß ich keinem beweisen.
Aber unsere Klamotten waren immer noch nicht ganz trocken, und da Whamon ganz schön Fahrt machte, war es wirklich nicht gerade warm. Und eine Erkältung kann ich mir nicht leisten, ich muß ja mein Brüderchen beschützen, das samt Digi Ei im Arm neben mir lag, und sich an Gabumon’s warmes Fell kuschelte. Also war ich ganz froh, daß Gomamon auf der anderen Seite lag, das Viech ist nämlich auch ziemlich fellig. Der arme Jou dagegen hatte ständig einen von Palmon’s Tentakeln in der Fresse.
Eigentlich halte ich es für eine Unsitte, anderer Leute Gespräche zu belauschen. Aber auf Whamon’s Rücken kann man gar nicht außer Hörweite gelangen, noch nicht mal gegen den Wind.
“Sora-kun, ich muß dich was fragen,“ sagte Taichi, nachdem sie sich gerade fünfmal hintereinander gegenseitig versichert hatten, daß Izumi Takuto der Welt bester Stürmer war.
“Ja, klar, schieß los!“
“Sag mal, was macht man eigentlich, wenn man mit jemandem geht?“
“Häh?“ Sie zog erstaunt die Luft hoch. “Wie in aller Welt kommst du denn auf sowas?“
“Weiß nicht, so halt. Ich will’s halt einfach nur wissen, das ist alles. Oder weißt du es auch nicht?“
“Na ja, ich glaube, man geht eben zusammen irgendwohin, deswegen heißt es ja ‘miteinander gehen‘. Ins Kino, oder Eis essen, oder so. Ach, frag‘ doch lieber Mimi, die weiß das bestimmt besser.“
“Frag‘ mich!“ erklärte Koushirou stolz. Ausgerechnet unser wandelnder Datenanalyzer glaubte wohl, etwas Sinnvolles zu diesem Thema betragen zu können! “ AFAIK gehe ich nämlich mit jemanden.“
Ja klar, mit der Tuss aus Final Fantasy sieben wahrscheinlich. Oder so einem Prügelweib aus Mortal Kombat.
“WAS!“ schrien Sora und Taichi gleichzeitig. “Wieso hast du uns das nie erzählt?
“Ich hätt‘ nicht gedacht, daß euch das interessiert.“ Es schien ihn verlegen zu machen, so im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. “Es hat ja nicht direkt etwas mit Fußball zu tun.“
“Fußball?"
"Glaubst du etwa, mit uns kann man nur über Fußball reden?"
Das find‘ ich aber schwach! Jetzt sind wir schon jahrelang beste Freunde, haben uns immer gegenseitig vertraut, und alles zusammen gemacht!“ Taichi redete sich richtig in Fahrt.
“Das stimmt!“ fiel Sora ein. “Wir waren schon ein Team, lange bevor wir überhaupt in diese Welt gekommen sind.“
“Ja, wir sind die... die Odaiba Super Kickers!“ Was Blöderes ist Taucherbrillenbrain wohl nicht eingefallen.
“LOL, das sind wir!“
“Odaiba Super Kickers, das gefällt mir.“ Sora kicherte. “Aber es stimmt. Abgesehen von uns dreien sind die Digiritter wirklich ein sehr zusammengewürfelter Haufen. Ich glaube, wenn wir nicht in der Digiwelt gelandet wären, hätten wir gar nicht viel miteinander zu tun gehabt.“
“Ich bin jetzt schon zwei Jahre mit Mimi in einer Klasse, und wir haben noch keine drei Worte miteinander geredet. Ich hätt‘ mich gar nicht getraut, so einfach mit ihr zu reden. Und Takeru ist ja nicht einmal auf unserer Schule.“
“Aber jetzt müssen wir uns alle zusammenraufen, unser Überleben hängt davon ab.“ Sora’s Stimme klang nachdenklich. “Aber es gibt schon viel weniger Streit als am Anfang, das ist gut so. Bestimmt haben wir bald alles geschafft, und können wieder nach Hause.“
Na, wenn sie sich da mal nicht täuscht! Ich wette wir hängen hier noch ‘ne halbe Ewigkeit ‘rum.
“Hoffentlich, ich hab‘ nämlich keine Lust meinen Geburtstag zu verpassen.“ Tja, du Schlaumeier, es bringt halt doch nicht immer Vorteile in den Sommerferien Geburtstag zu haben. Ich hab‘ noch Zeit, meiner ist erst im November.
“Hört mal alle zu!“ Auweiah, was kommt jetzt wieder für ein toller Text. Taucherbrillenbrain hält eine Ansprache. Na, da bin ich aber gespannt.
“Wir sollten schwören, daß wir immer Freunde bleiben, und immer zusammenhalten, ganz egal, was passiert. Hand drauf!“
“Ich schwöre!“
“Ich schwöre auch! Odaiba Super Kickers forever!“
Meine Güte, was sind die kindisch! Gleich werden sie einen Kriegstanz aufführen, und Blutsbrüderschaft trinken! Sowas von bekloppt, echt! Fehlt nur noch, daß sie anfangen, Herzchen in Bäume zu ritzen.
Wie kann man nur so unglaublich bescheuert sein? Spätestens in einem halben Jahr ist der Schmarrn vergessen, und jeder geht seinen eigenen Weg. Ist doch immer so!
“Koushirou-kun wollte uns noch was erzählen, ich hab’s nicht vergessen! Also spuck’s endlich aus, mit wem gehst du?“
“AFAIK heißt sie Blossom, und wohnt in Okinawa!“ Koushirou redete mit leiser Stimme, und ich würde darauf wetten, daß er knallrot angelaufen war. “Ihren richtigen Namen weiß ich nicht, ich kenne sie bloß aus dem Chat.“
“Moment mal, wie kannst du denn mit ihr gehen, wenn sie in Okinawa wohnt? Das geht doch gar nicht!“
“Taichi-kun, du checkst mal wieder überhaupt nichts, wie immer! Koushirou kennt sie aus dem Internet, er chattet mit ihr. Und ich wette, sie schreiben sich sogar Emails, stimmt’s“
“Stimmt! Und ich lade jede Menge Software für sie runter, damit sie nicht solange online sein, und so viele Gebühren zahlen muß. IMHO ist es gar nicht notwendig, daß man zusammen ins Kino oder Eis essen geht.“
“Das ist mir alles viiiiel zu kompliziert,“ sagte Taichi mit schläfriger Stimme. Er gähnte ausgiebig, und lehnte sich zurück. Sora und Koushirou streckten sich links und rechts neben ihm aus, und legten die Köpfe auf seine Schultern.
“In der Digiwelt gibt es doch weder Kinos noch Eisdielen, und auch keine Emails,“ informierte Taichi seinen Fanclub. “Und ein Internet schon gleich dreimal nicht. Ich glaube, ich sollte morgen doch mal Mimi fragen, vielleicht weiß die was Besseres.“
Am nächsten Tag hielt Mimi ihm einen langen Vortrag übers Knutschen. “Igittigittigitt!“ war sein einziger Kommentar dazu.
“Na, dann frag‘ doch Jou,“ erklärte Prinzessin mit beleidigter Miene. “Der weiß es bestimmt. Er ist schließlich der Älteste von uns, und immer so schrecklich gescheit, stimmt’s nicht, Jou-kun?“
Sie kicherte, und Jou wurde rot wie eine Tomate.
Wir erreichten tatsächlich diesen komischen Kontinent, fanden unsere Amulette und Wappen, schleiften unsere Didschis durch diverse Abenteuerlandschaften, (aber die Digitation aufs Ultralevel brachten die Viecher nicht zustande), feierten Taichi’s zwölften Geburtstag in einem geklauten Pagumon Dorf, nervten uns mit einer Kreischtüte namens Etemon rum, und landeten auch einmal auf einem Schiff, das zum Glück weder Yamato noch Tai-tanic hieß.
Aus Takeru’s Digi Ei schlüpfte ein niedliches Hosentaschengespenst. Prinzessin durfte wieder mit den Numemon flirten, (langsam kriegt die Frau echt Übung darin), und Taichi kriegte von so ‘ner schwirrenden Biene Maja namens Pixiemon mächtig eins auf die Rübe. Das geschah ihm ganz recht, immerhin hatte er Agumons ersten Versuch auf das Ultralevel zu digitieren gewaltig verbockt. Agumon hatte sich in eine knochige Bestie verwandelt, die uns um ein Haar zum Mittagessen verspeist hätte.
Was mich überraschte war, daß Taichi seinen Fehler ohne mit der Wimper zu zucken einsah. Das klang überhaupt nicht nach ihm, irgendwie war er wohl doch erwachsener geworden, zumindest ein bißchen.
Damals hatte ich zum allerersten Mal den Verdacht, daß das alles Quatsch ist. Mit den Digivices, den Amuletten, und den Wappen. Das es einen ganz anderen Grund hat, warum unsere Digimon digitieren. Einen Grund, der irgendwie mit uns selber zusammenhängt.
Die einzigen, die ihr Wappen noch nicht hatten, waren mein Brüderchen und Sora. Ausgerechnet Sora, die alles weiß, immer so schlau und so vernünftig ist, Taichi’s allerbeste Fußball und Busenfreundin. So ein Pech aber auch, böse Schlappe für die Odaiba Super Kickers.
“Warum redest du schlecht über Sora, hast du dich mit ihr gestritten?“ Meinem Didschi entging wieder mal überhaupt nichts. Wieso kann Gabumon mich nicht einfach in Ruhe lassen?
“Nein, hab‘ ich nicht!“ Mit Sora kann man sich irgendwie nur schwer streiten, und das obwohl sie ziemlich direkt ist. “Ich bin einfach nur genervt, es hat gar nichts mit ihr zu tun. Ich glaube, ich muß nur ein bißchen rumnörgeln, das ist alles.“
“Nörgel ruhig,“ grinste Gabumon. “Dann geht’s dir vielleicht besser.“
Wir machten gerade ein Break mitten in einer Wüste. Weit und breit nichts anderes als Sand, und Sonne. Mein Didschi und ich hockten etwas entfernt von den anderen auf einer Düne, und stierten in die Ferne.
“Ich finde einfach, daß Taichi, Sora und Koushirou es etwas übertreiben. Mit ihrer, ach so tollen ewigen Freundschaft, und dem ganzen Gesäusel. Das ist doch so albern! Irgendwie sind sie richtige Weicheier, alle miteinander!“
“Wer ist denn dein bester Freund, Yamato?“
So eine dämliche Frage! Der einsame Wolf von der Odaiba Grundschule kommt am allerbesten allein klar. “Gabumon, hör auf, so einen Quatsch zu reden. Ich brauch‘ so was nicht! Reden wir von was sinnvollem, okay? Zum Beispiel davon, wie wir Etemon besiegen, und wieder nach Hause kommen können.“
Ich sah Gabumon nicht an dabei, ich starrte immer noch auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne. Die Hitze ließ die Luft flimmern, und der Horizont verschwamm vor meinen Augen.
“Hier nimm das, damit geht es besser!“
Taichi streckte mir sein Taschenteleskop entgegen. Ich hatte gar nicht gemerkt, daß er auch auf die Düne geklettert war. War er mir gefolgt? Wo in aller Welt steckte Agumon?
“Die anderen wollen schon wieder eines von diesen Denkspielen machen,“ sagte Taichi, als ob er meinen Gedanken erraten hätte. “Du solltest auch mitspielen, Gabumon, damit es eine gerade Anzahl ist. Im Moment können sie sich nicht auf die Teams einigen.“
Denkspiel! Kann ich mir ja denken, daß das nichts für Taucherbrillenbrain ist, da müßte er ja seine eine Gehirnzelle anstrengen! Viel zu viel Aufwand!
Ich nahm das Teleskop. Bildete ich mir das nur ein, oder hielt Taichi tatsächlich einen Augenblick lang meine Hand fest?
Bestimmt nicht!
Ich starrte in die Ferne, und er starrte auf den Boden. So ging das eine ganze Weile lang. Wenn er was will, soll er’s gefälligst ausspucken!
“Ich hab‘ gedacht, daß du vielleicht Mundharmonika spielst, und das wollte ich hören.“ Es klang ziemlich verlegen, und nicht besonders überzeugend.
“Wie du siehst, nicht.“
Irgendwie hatte ich plötzlich den Geruch von seinen Haaren in der Nase, aber das war ja gar nicht möglich dafür stand er viel zu weit weg. Spinn‘ ich jetzt, oder was?
“Na ja, dann ein andermal vielleicht. Ich find‘ das cool, wenn du Mundharmonika spielst. Ich find‘ dich überhaupt ziemlich cool.“
Verdammt, was soll man dazu noch sagen? Da bleibt einem ja jedes Wort im Hals stecken.
“Und ich wollte dich was fragen, aber du mußt versprechen, daß du nicht lachst.“
“Ich lach‘ nicht!“ Meine eigene Stimme kam mir fremd vor. “Was gibt’s denn?“
“Ich wollte dich fragen, ob du... na ja, ich meine ob wir... also weißt du, ich....“
“Taichi-kun, Yamato-kun, wo steckt ihr?“
Atemlos kam Sora die Düne hinaufgeprescht. “Koushirou-kun hat etwas mit seinem Laptop herausgefunden! Er sagt, er weiß jetzt, warum Etemon uns immer aufspüren kann.“
Kann jemand die Frau mal eben einpacken, und zum Mond schießen? So mit Überlichtgeschwindigkeit, und ohne Rückfahrkarte? Das wär‘ doch mal echt ‘ne interessante Abwechslung!
Als wir die Düne hinunterliefen, sahen wir, daß die anderen sich bereits um Koushirou’s Laptop versammelt hatten. Unser superschlauer Computerfreak setzte gerade zu einem laaangen Vortrag über technische Einzelheiten an, als er auch schon von Takeru unterbrochen wurde: “Ui, was blinkt denn da so lustig?“
“Eine Email!“ rief Koushirou aufgeregt. “Hier in der Digiwelt!“ Das hörte sich vielversprechend an.
War es aber nicht! Irgendsoein computerisierter Cyberspack behauptete doch tatsächlich, Sora’s Wappen gefunden zu haben. Gaaanz zufällig war er auch noch der Erzfeind von der Kreischtüte und darum doch glatt bereit uns zu helfen, wenn wir ihm auch halfen. Warum nur kam mir das alles so verdächtig vor?
Der Spack hieß Datamon, und wohnte inmitten einer altägyptisch aussehenden Pyramide.
Da es schon dunkel war, als wir sie erreichten, machten wir Camp, und teilten die Wachen ein. Jeder eine Stunde, selbst Mimi schloß sich nicht aus.
Was immer es war, das Taichi mich fragen wollte, schien wohl doch nicht so wichtig gewesen zu sein, denn er machte keinen Versuch mehr, mich allein zu sprechen, obwohl die Gelegenheit sicher dagewesen wäre. Hinterherlaufen tu ich ihm bestimmt nicht, dem blöden Deppen!
Am nächsten Morgen zog die Fußballtruppe los, um sich mit Datamon zu treffen, Zitat Taucherbrillenbrain: “weil wir es schon gewohnt sind, zusammenzuarbeiten!“ Zitat Ende. Jou schloß sich auch noch an, weil er ja so erwachsen und vernünftig ist, wir anderen blieben draußen, um die Umgebung im Auge zu behalten.
Irgendwo hier krebste auch Kreischtüte rum, daran bestand kein Zweifel.
Verdammt, wir hätten wissen müssen, daß es eine Falle war. Wir hätten nicht blauäugig und treudoof mittenreinspazieren, sondern unser Brain anstrengen sollen.
Aber wir brauchten das Wappen unbedingt, und hinterher ist man bekanntlich immer schlauer.
Mimi, Takeru und ich wurden erst auf den Kampf aufmerksam, als eins von den Didschis irgendwas in die Luft jagte. Wir kamen buchstäblich in letzter Minute angewetzt, um die tollen Fußballstars samt Zimperliese aus Etemons Klauen zu retten.
Taichi stand wieder mal ziemlich planlos in der Gegend herum, und bot ein vortreffliches Ziel für alle bösen Didschis, die gern mal ein bißchen Moorhuhnjagd spielen wollten. Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig, ihn wegzuziehen, bevor die Kreischtüte auf dumme Gedanken kam.
In Panik hetzten wir zurück in unser Versteck am Rande der Pyramide. Wir waren nicht vollzählig, Sora und Piyomon fehlten.
Was passiert war, erfuhren wir kurze Zeit später von Jou und Koushirou, denn Taichi brachte keinen zusammenhängenden Satz mehr heraus.
Er war an unserem Lagerfeuer zusammengebrochen, und heulte, und heulte, und kriegte sich gar nicht wieder ein.
Mein Gott, ich hab‘ noch nie jemanden so weinen sehen!
Die Tränen schossen ihm aus den Augen wie Sturzbäche, und er biß sich in die Faust, um vor Schmerz nicht laut aufzuschreien.
“Ich Feigling,“ stammelte er unter Schluchzen, “es ist alles nur meine Schuld! Alles meine Schuld!“
“Es war Datamon.“ Jou’s Stimme klang gefaßt, obwohl auch er den Tränen nahe schien. “Er hat Sora-kun und Piyomon in der Pyramide gekidnappt, und ist mit ihnen geflüchtet.“
“Taichi-kun denkt, daß es seine Schuld ist, weil er sich nicht getraut hat, durch das elektronische Gitter zu gehen.“
Koushirou nahm Taichi in den Arm. "Es ist nicht deine Schuld, du kannst überhaupt nichts dafür. Wir hatten alle Angst vor dem Gitter!“
“Laßt uns ein bißchen allein, ja?“ bat er, zu uns gewandt.
Takeru hockte sich zu unseren Didschis hinüber, Jou unterhielt sich flüsternd mit Mimi. Als sie leise zu weinen begann, sah es einen Moment lang so aus, als wolle er sie auch in den Arm nehmen, aber im letzten Moment ließ er den Arm wieder sinken.
Das war wieder mal so typisch für ihn.
Ich stand blöd in der Gegend ‘rum, ich hab‘ absolut keine Ahnung vom Trösten.
Ich kann ja noch nicht einmal meinen Bruder trösten, wenn er mal hingefallen ist, und sich weh getan hat.
Früher vielleicht, aber das ist alles schon so schrecklich lange her, ich kann mich kaum noch dran erinnern.
Gut, ich kann mich daran erinnern. Trotzdem fühlt es sich an, als ob das alles in einem anderen Leben passiert wäre.
Vielleicht mag Takeru Taichi ja deswegen lieber als mich.
“Kann ich etwas tun?“ fragte ich Koushirou leise, doch er schüttelte nur mit zusammengepreßten Lippen den Kopf. “Wir müssen sie wiederfinden.“
Als auch ihn die Tränen übermannten, versuchte er verzweifelt dagegen anzukämpfen.
“Taichi-kun hat sie am liebsten von uns allen,“ stieß er hervor, “nur damit du’s weißt!
Und jetzt laß uns endlich in Ruhe!“
Ist ja gut, ich verzieh‘ mich schon! Was hat das alles bitteschön mit mir zu tun? Es interessiert mich einen absoluten Scheißdreck, wer wen wie lieb hat, f... dich doch ins Knie, du kleiner Giftzwerg! Ihr könnt mich doch alle mal kreuzweise, mit eurer beschissenen Superkickerfreundschaft, ihr seid doch....
“Gabumon, was ist, wenn es meine Schuld ist?“ Mitten im Rennen war ich so plötzlich stehengeblieben, daß Gabumon, der mir gefolgt war, beinahe gegen mich geknallt wäre.
“Wie... wie kommst du auf so was?“ stammelte mein Didschi überrascht. “Du warst doch nicht einmal dabei!“
“Weißt du noch, warum Greymon zu Skullgreymon digitiert ist?“
“Weil Taichi einen Fehler gemacht hat. Er wollte um jeden Preis eine Digitation erreichen, ohne Rücksicht zu nehmen. Er war so besessen von dem Gedanken...“
“Gedanken..“
“Was in aller Welt meinst du, Yamato?“ Verwirrt sah er mich an, aber ich wich seinem Blick aus. Ich konnte ihm jetzt nicht in die Augen sehen. Jetzt nicht.
“Es waren seine Gedanken. Er war voller böser Gedanken, deswegen ist Greymon auch zu einer Bestie geworden, so ist es doch gewesen, nicht wahr? Ich bin auch voller böser Gedanken, deswegen hab‘ ich Sora-kun in Gefahr gebracht. Ich hab‘ mir gewünscht, daß sie verschwinden soll, und jetzt ... jetzt ist es wirklich passiert.“
“Aber das ist doch Unsinn!“ rief Gabumon entgeistert. “Jeder ist mal auf andere sauer, das ist überhaupt nichts Schlimmes. Und Gedanken können schließlich nicht die Wirklichkeit beeinflussen!“
Doch das können sie! Ich weiß, daß es so ist, ich weiß nur nicht, wie ich es ihm erklären soll. Manchmal wünscht man sich etwas, und es passiert, dabei wollte man gar nicht wirklich, daß es passiert. So wie damals, als Takeru mich bis zum Umfallen genervt hat, und ich mir gedacht habe, warum kann er sich nicht einfach in Luft auflösen?
Sora hat mich auch genervt, ich hab‘ seit ewigen Zeiten diese Wut auf sie. Ich raff’s nicht, sie hat mir überhaupt nix getan, genausowenig wie Koushirou. Eigentlich besteht überhaupt kein Grund, warum ich auf die beiden sauer sein sollte. Wenn sie sich unbedingt einbilden, sie müßten den ersten offiziellen Taichi-Yagami-Fanclub gründen, ist es wirklich ihre Sache, ich hab‘ nix damit zu tun.
Ich ging zurück zum Lager, von unserem Feuer war nur noch die Glut übrig. Die anderen schliefen bereits, in der ganzen Aufregung hatte niemand daran gedacht, daß es vielleicht sinnvoll gewesen wäre, Wachen einzuteilen.
Im Schlaf traute sich Jou, was er in wachem Zustand nie übers Herz bringen würde, er hatte einen Arm um Mimi gelegt, und sie lehnte ihren Rücken an seine Brust. Taichi und Koushirou hielten sich eng umschlungen, auf ihren Gesichtern waren noch deutlich die Spuren von Tränen zu erkennen. Mein kleiner Bruder lag inmitten eines Didschihaufens, und hatte alles gepackt, was sich irgendwie weich und fellig anfühlte.
Weicheier und Saftsäcke, alle miteinander!
So einsam wie heute hab‘ ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Ich schaue zu Taichi hinüber, im Schlaf sieht er fast so kindlich aus wie Takeru, das Gesicht in seiner Wuschelmähne vergraben. Diese Zotteln, die aussehen wie Stacheldraht, und sich doch so weich anfühlen. Unser Abenteuer auf der Schneeinsel ist nun schon eine Weile her, aber irgendwie kommt die Erinnerung daran immer wieder hoch, und versetzt mir jedesmal einen Stich.
Ist Taichi der Grund, daß ich auf Sora und Koushirou sauer bin? Nein, das ist absoluter Bockmist! Taichi ist nur ein unterbelichteter kleiner Volltrottel mit einer häßlichen Taucherbrille. Oder Fliegerbrille. Oder was auch immer, egal. Er bedeutet mir nichts, weil ich der einsame Wolf bin, und mir niemand etwas bedeutet. Wenn‘s drauf ankommt, ist man doch immer allein.
Wir müssen uns alle zusammenraufen, weil unser Überleben davon abhängt.
Sora’s Worte. Und sie hat recht damit. Wenn wir nicht zusammenhalten, erreichen wir gar nichts. Wir müssen uns alle wieder einkriegen und einen Plan schmieden, wie wir sie und Piyomon retten können. Es bringt nichts, wenn jeder nur im Eck hockt, vor sich hingrübelt, und sich schuldig fühlt. Auch als einsamer Wolf muß man einsehen, wann Teamwork gefragt ist.
Teamwork, okay. Aber mehr ganz bestimmt nicht!
Bis zum nächsten Morgen waren wir wohl alle, unabhängig voneinander, zu ähnlichen Entschlüssen gelangt, denn die Stimmung war eine ganz andere, als am Abend zuvor. Jeder hatte plötzlich Ideen und Pläne, und als Koushirou herausfand, daß Datamon sich in einem versteckten Raum innerhalb der Pyramide befand, waren wir wieder sehr zuversichtlich. Höchstwahrscheinlich würden Sora und Piyomon auch dort sein.
Das größte Problem würde es sein, wieder in die Pyramide hineinzukommen, denn Etemon hatte eine Armee wildgewordener Didschis um sie herum versammelt. Er war wohl auch immer noch auf der Jagd nach Datamon. Und nach uns.
Also wieder mal Trick siebzehn. Die tollen Fußballstars gehen die holde Lady retten, und der Rest sorgt für Chaos und Ablenkung. Hoffentlich ist Kreischtüte auch blöd genug, um zweimal auf denselben Trick reinzufallen.
War er aber nicht. Einmal in hundert Jahren fährt sogar ein Spack wie Etemon sein Brain hoch. Taichi und sein inzwischen wieder vollständiger Fanclub brachten ihn als Überraschungsgast mit, als sie aus der Pyramide zurückkehrten. Er war ihnen gefolgt, und hatte zunächst Datamon erledigt. Jetzt waren wir an der Reihe.
Uns blieb keine Zeit für Wiedersehensfreude. Wir waren alle erleichtert, daß unseren Freunden nichts passiert war, aber die Erleichterung hält sich irgendwie in Grenzen, wenn man auf dem Rücken eines Garurumons sitzt, das gerade von einem Etemon am Schwanz gepackt, und im Kreis herumgeschleudert wird.
Togemon und Ikkakumon hatten sich fürs erste verabschiedet, nur gut, daß Jou und Mimi sich verstecken konnten. Takeru war bei ihnen gewesen, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, hoffentlich kam er nicht auf dumme Gedanken. Seine kleine Kampfratte würde hier nicht viel ausrichten können.
Die Landung ging gerade noch so, da Garurumon sich abfedern konnte. Einen Augenblick später digitierte er jedoch zurück zu Gabumon, und es haute mich doch noch auf die Fresse.
Mir war ohnehin schon kotzübel von der unfreiwilligen Karussellfahrt, deswegen flackte ich noch ziemlich belämmert auf dem Boden herum. Die Super Kickers klaubten mich auf, und zerrten mich mit, als sie an mir vorbeirasten.
Wir waren alle wohlbehalten in unserem Versteck angekommen, aber abgesehen davon sah es verdammt schlecht für uns aus. Unsere Didschis waren am Ende, und natürlich wußte die Kreischtüte jetzt, wo wir uns aufhielten.
Siegessicher kam er auf uns zugestapft, und grölte dabei eines seiner quietschigen Lieder, um unseren Digimon auch die letzte Energie zu rauben.
“Ich hab‘ einen Plan!“ Taichi sprang auf. “Ihr müßt mir aber vertrauen, sonst klappt es vielleicht nicht!“
Ohne ein weiteres Wort rannte er aus dem Versteck heraus, auf Etemon zu. Sora stieß einen entsetzten Schrei aus, einen Moment lang sah es so aus, als wolle sie hinterherlaufen.
Koushirou hielt sie jedoch fest. “Vertrau‘ ihm, er weiß, was er tut!“
Taichi’s Wappen leuchtet.
Es funkelt in dem gleichen Licht wie unsere Digivices es kurz vor einer Digitation tun, und das Licht wird immer heller und strahlender, je weiter er sich Etemon nähert.
Furchtlos marschiert er auf die Kreischtüte zu, wie ein Schwertkämpfer aus einem dieser kitschigen alten Samurai Filme.
Es ist nicht sein übliches Drauflosrennen, er scheint wirklich genau zu wissen, was er tat. Greymon rappelt sich hoch, und läuft an seine Seite.
"Dir ist doch vollkommen klar," grinst Etemon ihn an, "was ich jetzt mit dir, und deinem Plüschtier machen werde."
Anstelle einer Antwort streckt Taichi dem häßlichen Affenvieh sein Wappen entgegen. "Du wirst keinem von uns was tun, weil Greymon, und ich dich jetzt fertigmachen!
Wir können es schaffen, ich weiß jetzt, was richtiger Mut ist! Greymon, ich glaub' an dich!"
"Greymon - Ultradigitation zu.....Metalgreymon!"
Ein Lichstrahl bricht aus dem Wappen hervor, und hüllt Greymon ein. Er scheint zu wachsen, eine funkelnde Rüstung überzieht seinen Körper, und ein Paar schillernder Flügel entfalten sich auf seinem Rücken. Sie sind sicher nicht stark genug ihn zu tragen, verleihen ihm aber eine zusätzliche Balance beim Kampf.
Und was für ein Kampf! Metalgreymon macht Kleinholz aus der Kreischtüte!
Taichi brüllt, um ihn anzufeuern, aber sein Geschrei geht im Krach unter. Wir brüllen gleich mit, es ist einfach Wahnsinn!
Manchmal ist Taichi so unglaublich cool, daß man es gar nicht in Worte fassen kann.
Vielleicht sollte ich es ihm doch einmal sagen. Da würd' ihm bestimmt die Klappe runterfallen.
Ein Sturm erhebt sich, als Etemon in viele kleine Pixel zerfällt. Der Sturm erfaßt auch Taichi und Metalgreymon, das vergeblich versucht, ihn festzuhalten. Vor unseren Augen werden die beiden herumgeschleudert, und ...
...lösen sich auf.
Stille. Nur ein paar Pixel torkeln über uns in der Luft herum.
Dann sind auch sie verschwunden.
Nur Sora schreit, wir anderen sind zu geschockt, um irgendwas zu tun, oder zu sagen. Können wir unseren Augen trauen, oder spielt uns die Wüste einen Streich? Haben sie sich wirklich aufgelöst, oder hat der Sturm sie weggetragen? Ich bin mir nicht sicher.
"Kommt mit, der Wind hat sie in diese Richtung geweht!"
"Nein, in diese! Hast du keine Augen im Kopf, Koushirou-kun?"
"Wir könnten uns aufteilen..."
"Nein, können wir nicht, das ist viel zu gefährlich!" Sora hatte sich wieder gefangen. "Und jetzt hört bitte auf zu streiten, wir suchen zuerst in der einen, und dann in der anderen Richtung."
Wir suchen also zuerst in der einen, dann in der anderen Richtung. Wir suchen den ganzen Tag, auch den nächsten, und den übernächsten, und überübernächsten.
Wir suchen vier ganze Wochen lang.
Keine taucherbebrillte Wuschelmähne! Kein orangefarbener kleiner Dinosaurier!
Bisher hat Sora es geschafft, die Gruppe einigermaßen zusammenzuhalten, aber jetzt, nach einem Monat ist die Stimmung zum Kotzen. Wir wissen echt nicht mehr, wo wir noch suchen sollen, wir haben die Wüste, und die umliegenden Gebiete durch. Soweit scheint alles dort friedlich zu sein, jedenfalls wurden wir von niemanden mehr angegriffen. Vielleicht ist unsere Aufgabe in der Digiwelt beendet.
"Laßt uns nach Hause gehen," jammerte Mimi nun schon seit einigen Tagen. "es bringt ja doch nichts mehr."
"Wir werden uns alle ganz fürchterlich zerstreiten, wenn das so weiter geht," prophezeite Jou.
An diesem Abend passierte dann genau das, was unserem demoralisierten Haufen endgültig das Genick brach, Sora und Koushirou zofften sich. Es fing ganz harmlos an, mit einer Diskussion darüber, was wir als nächstes tun sollten, und endete damit, daß sie sich gegenseitig anbrüllten. Soviel zu den Odaiba Super Kickers. Ex-Kickers!
"Und ich sage, wir suchen weiter! Ich jedenfalls werde diese Wüste nicht verlassen, ehe ich Taichi-kun gefunden habe."
"Wir haben doch schon alles doppelt und dreifach abgesucht. IMO sollten wir jemanden suchen, der uns weiterhelfen kann. Wir sollten Gennai finden, er weiß ganz bestimmt, was mit Taichi-kun passiert ist."
"Dann geh' doch, ich werde dich nicht aufhalten!" Schon seltsam, daß Sora so überreagierte, normalerweise behält sie immer einen klaren Kopf.
"Wenn es um Taichi-kun geht, benimmt sich dein Hirn genau wie Windows," schimpfte Koushirou. "Es stürzt ab!"
Sora brach in Tränen aus, und rannte davon, Koushirou wetzte hinter ihr her. Takeru fing auch zu flennen an, er kann lautes Geschrei und Gestreite nicht haben. Wahrscheinlich weckt sowas unangenehme Erinnerungen in ihm.
Und weil's gar so schön war, flennte Mimi gleich mit, sie ist sowieso nahe am Wasser gebaut. Jou flennte nicht, ich hab' den Kerl noch nie richtig heulen sehen. Er hockte nur kopfschüttelnd auf dem Boden, und brummelte was von "Ich hab's ja gewußt, ich hab's ja immer gesagt..."
Unsere Didschis sagten nicht viel zu der ganzen Szenerie. Vermutlich wunderten sie sich nur mal wieder über diese merkwürdigen Menschenwesen.
In dieser Nacht verschwand Sora. Sie schrieb uns eine Nachricht in den Sand, daß sie alleine nach Taichi suchen würde. Wir überlegten, ob wir ihr nachgehen, und mit ihr reden sollten, aber das erwies sich als äußerst schwierig, da keiner von uns wußte, wohin sie überhaupt gegangen war.
Jetzt gab es auch nichts mehr, das Koushirou noch bei uns gehalten hätte. Seine Nachricht, eine Nacht später besagte, daß er sich auf die Suche nach Gennai machen wollte.
"Ich will nach Hause!" schrieb Mimi in der nächsten Nacht. Sie hatte schon den ganzen Tag gejammert, und gezetert, daß es selbst Jou auf die Nerven gegangen war. Jetzt fühlte er sich natürlich schuldig, weil er nicht genug Geduld mir ihr gehabt hatte, und wollte sie suchen gehen. Ich hatte absolut keinen Bock auf die Zicke, und das sagte ich ihm auch.
So bekam die glorreiche Geschichte der glorreichen Sieben wenigstens noch einen krönenden Abschluß, denn Jou haute mir doch tatsächlich eine runter. Hinterher war er noch viel erschrockener als ich, er hat sich in seinem ganzen Leben noch nie geprügelt.
Aber er war im Recht, ich hatte mich verdammt unfair verhalten. Es hatte gar nichts mit Mimi zu tun, ich hab' ihn einfach nur provozieren wollen. Das sah ich sogar alles ein, leider erst, nachdem er schon weg war.
Na, das war's dann wohl, Leute, hab' ich nicht recht behalten? Das Ende der Super Kickers, das Ende der Digiritter, das Ende der ewigen Freundschaften. Was den bösen Didschis nicht gelungen ist, hat unsere Blödheit problemlos geschafft!
Ich sag's ja immer wieder, wenn's drauf ankommt, ist man immer allein. Darum ist es besser, andere nicht liebzugewinnen, denn dann tut es auch nicht weh, wenn man sie verliert.
Dann tut einem nämlich überhaupt nichts weh, und dann ist man auch stark. Und cool.
"Glaubst du, daß wir Taichi-kun bald finden werden," fragt mein Brüderchen, und sieht mich mit unschuldigen Augen an.
Einen kurzen Moment lang denk' ich an große braune Glubschaugen. Und Wuschelhaare. Und an ein Plappermaul, das nie stillsteht.
Dann hab' ich mich wieder unter Kontrolle, und verscheuche alle diese blödsinnigen Gedanken.
"Natürlich werden wir ihn finden, ganz sicher," sage ich zu Takeru, aber ich seh' ihm nicht in die Augen dabei. Das bring' ich einfach nicht fertig.
Ich bin kein guter Lügner, es sei denn, ich will mir selbst was vormachen.
3. Ookami no Uta
(Wolfslied)
Uta wa ii, ne?
Ein Lied ist immer gut, nicht?
- Picodevimon zu Yamato -
Ich sag’s ja immer wieder, Jou ist doch echt 'ne Lusche!
Außerdem ein DEUS, das ist kein Gott, sondern steht für Dickkopf, Eigenbrötler, und Unverbesserlicher Schwarzseher. Tagtäglich labert er mich voll, das wir in diesem Mac Donalds Verschnitt herumhängen werden, bis wir alt und grau sind.
"Immer positiv denken" sag' ich dazu. "Mit etwas Glück und deiner Kocherei krepieren wir vorher am Rinderwahn."
Wie wir hier gelandet sind, ist schnell erzählt. Jou und Gomamon haben sich vollgefuttert, und konnten nicht bezahlen, weil die Trottel nur Dollars als Währung akzeptieren, und wir uns unsere Yen sonstwohin schieben sollen. Wenn die wüßten, wie der Dollarkurs steht, würden sie weniger große Töne spucken, soviel ist sicher.
"Du weißt doch überhaupt nicht, wie der Dollarkurs jetzt steht, "sagt Jou dazu, "schließlich ist es Monate her, daß wir in der realen Welt waren."
Auch wieder wahr. Jedenfalls mußte Jou jetzt in der Küche schuften, und ich konnte ihn ja wohl kaum seinem Schicksal überlassen.
An Flucht war nicht zu denken, da diese Gegend nur so von Didschis aller Arten wimmelte, die sich die Bäuche vollschlagen wollten, und die Bosse von diesem Restaurant waren richtige Sklaventreiber.
"Jedes Mal, wenn ich einen Fehler mache, brummen sie mir noch ein paar Tage mehr auf, und ich werde so nervös, daß ich gleich wieder etwas falsch mache," jammerte Jou, "es ist eine richtige Sysiphos Arbeit."
"Was für'n Fuß?" Jou redete mal wieder wie frisch aus dem Lexikon, aber er kam nicht dazu, mir zu erklären, was er meinte, denn die Küchentür flog mit einem Schwung auf, und nahm gleich ein paar mit vollen Gläsern bestückte Tabletts mit, die daneben auf der Anrichte standen.
"Paß gefälligst auf, Tolpatsch, das macht zwei Tage extra für jedes Glas! Jetzt räum' die Sauerei weg! Und beeil' dich, die Gäste wollen ihre Getränke!"
Veggiemon! Level: Champignon! Gruppe: ätzendes Digimon! Typus: BSE-Virus! Attacke: Salmonellen! Man nehme etwas verrottetes Gemüse, reichlich Tentakel, rühre das Ganze kräftig um, und garniere es zum Abschluß mit einer Prise Pickel! Vegiemon ist jedenfalls der beste Beweis dafür, daß nicht einmal Digimon vor dem Rinderwahn sicher sein können, denn das bißchen Brain, was es noch hat, fault munter vor sich hin.
Es ist der Geschäftsführer dieser Bruchbude, und läßt uns und unseren Didschis keine ruhige Minute. So wie's aussieht, hat sich unser Frondienst gerade um volle zwei Wochen verlängert.
Verdammt unfair, aber was will man machen?
"Yamato-kun," Jou's Stimme klang sehr verlegen. "Ich find' es ja wirklich anständig, daß du mir hilfst, aber willst du nicht doch lieber erst deinen kleinen Bruder holen? Ich halte hier die Stellung, bis ihr wieder zurück seid!"
Ich umklammerte den Topf, den ich gerade in den Händen hielt fester. Einen schrecklichen Augenblick lang hatte ich Angst, ich würde ihn fallenlassen. "Es ist schon in Ordnung, mach' dir keine Sorgen."
"Es ist keineswegs in Ordnung. Du solltest Takeru nicht so lange allein lassen, du solltest..."
Mit einem lauten Rumms haute ich das Teil zurück auf den Herd. "Halt endlich deine blöde Fresse, okay?"
"Tut...tut mir leid", stammelte Jou, "ich wollte nicht..." Er brach ab.
Es war nicht fair, ich hätte ihn nicht anschnauzen sollen. Schließlich kann er ja nichts dafür, daß diese Viecher ihn zu Müsli verarbeiten, falls ich weggehe.
Ich weiß nicht, was für ein Problem sie damit haben, daß ich Takeru hole, aber ich denke, es hängt damit zusammen, daß sie sich vor Angemon fürchten.
Oder vielleicht ist es ihnen einfach zu gefährlich, wenn wir zu dritt, oder genaugenommen sogar zu sechst sind.
Takeru war nicht wirklich in Gefahr, in den Gegenden, die wir durchquert hatten, gab es abgesehen von den unvermeidlichen aber harmlosen Numemon, keine bösen Digimon.
Das änderte nichts daran, daß ich mir höllische Sorgen machte. Er würde auf der anderen Seite des Sees auf mich warten, und glauben, daß sein großer Bruder ihn im Stich gelassen hätte.
Wenigstens war er nicht die Fänge dieser Widerlinge geraten. Ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie es für ihn wäre, den ganzen Tag hier zu schuften, bei dem Gedanken allein wurde mir übel. Er könnte die schweren Töpfe gar nicht tragen, ohne sie fallenzulassen.
"Was soll der Krach! Gibt es ein Problem, Vegiemon?"
"Nein, Chef, alles bestens, Chef!"
Digitamamon! Level: Ultraboss von diesem Scheißschuppen! Gruppe: Ekelpacket! Typus: Kotzbroken! Attacke: Kinderüberraschung! Man nehme Spannung, schimmlige Schokolade, und was zum Spielen, und stecke das Ganze in ein faules Ei. Todsicheres Rezept.
Ich hab' versucht ihn zu überreden, wenigstens Jou gehen zu lassen. "Kommt nicht in Frage," lautete die Antwort in eisigem Tonfall. "Vier Hände sind besser als zwei."
"Krieg's bloß nicht in den falschen Hals," sagte ich später zu Jou, der mich immer noch fassunglos anstarrte. "Ich hab's bloß gemacht, weil ich ohne dich schneller mit der Arbeit fertig bin."
"Ich krieg's nicht in den falschen Hals, ich weiß warum du das getan hast." Jou's Stimme übertönte kaum das Klappern der Teller, die er gerade spülte.
"Sag' mal," versuchte er das Thema zu wechseln, um die peinliche Situation zu überspielen, "woher hast du eigentlich so gut kochen gelernt."
" Hab ich mir selbst beigebracht." Tolle Frage. Du würdest auch kochen lernen, wenn dir die Fertiggerichte zum Hals raushängen. Stell dir vor, ich kann sogar meine Hemden selber bügeln. Bin ich nicht reif und erwachsen?
Wir redeten eigentlich nicht viel miteinander, wenn wir arbeiteten, außer dem üblichen Kram. Was sollte ich mit Jou auch groß reden? Wir sind beide keine sehr gesprächigen Typen, und wenn Jou den Mund aufmacht, dann meistens nur, um wegen irgendeinem Blödsinn zu jammern.
Wir haben wirklich überhaupt nix gemeinsam.
Abgesehen davon, daß ich auch ein Dickkopf bin. Und ein Eigenbrötler. Und ein unverbesserlicher Schwarzseher.
Einmal fragte ich ihn, ob er Mimi noch getroffen hatte. Er verneinte. Dann ließen wir das Thema, ich merkte, daß es ihm unangenehm war.
Einmal fragte er mich, was meiner Meinung nach mit Taichi passiert wäre. "Ich glaube nicht, daß du das wirklich hören möchtest," gab ich ihm zur Antwort, und er nickte. "Dann denkst du also dasselbe wie ich."
Ich wollte nicht reden, über Taichi am allerwenigsten. Es hatte mir so gelangt, daß Takeru die ganze Zeit über ihn babbeln mußte. Taichi dies, Taichi das, Taichi hätte das so gemacht, mit Taichi wäre das nicht passiert.
Manchmal hatte ich ganz stark das Gefühl, er wolle mich irgendwie provozieren, und mich eifersüchtig machen.
Aber ich ließ mich nicht provozieren, zumindest versuchte ich nicht auf seine Sticheleien zu reagieren. Vielleicht bin ich mal eifersüchtig auf Taichi gewesen, das war einmal. Was hatte er nun davon, daß mein kleiner Bruder auch in seinen Fanclub eingetreten war?
Doch überhaupt nichts, da wo er jetzt war, würde er garantiert ganz andere Sorgen haben.
Aber manchmal bin ich doch ausgerastet, und hab' Takeru angeschnauzt. Geflennt hab' ich allerdings nur, wenn ich ganz sicher sein konnte, daß er auch schlief. Ich wollte nicht, daß er denkt, daß sein großer Bruder eine Heulsuse ist.
Jedesmal wenn die Gedanken an Taichi zurückkommen, nehme ich einen großen, unsichtbaren Schöpflöffel, und schöpfe sie aus meinem Bewußtsein, wie die Miso Suppe, die ich tagtäglich koche, aus ihrem Topf. Wieder und immer wieder.
An manchen Tagen ist das einfach, wir werden eh' so herumgescheucht, daß ich überhaupt nicht zum Nachdenken komme.
An anderen ist es schwierig...
Aber am allerschlimmsten sind die Nächte. Obwohl ich eigentlich todmüde bin, kann ich nie sofort einschlafen, und dann fang' ich an zu grübeln. Darüber, wie es den anderen geht, was mein Brüderchen so treibt, und ob wir jemals wieder hier wegkommen werden.
Ich weiß, daß Jou auch grübelt. Einmal hörte ich ihn sogar weinen, aber ich hab' ihn nicht darauf angesprochen, weil es ihm sicher unangenehm wäre. Außerdem hätte ich gar nicht gewußt, was ich hätte sagen sollen.
Wir schliefen in einem Schuppen hinter dem Restaurant, der natürlich abgesperrt war. Unsere Didschis durften nicht bei uns sein, irgendwie schien es so, als versuchte die Hamburgerbrigade uns immer mit Absicht voneinander zu trennen.
Tagsüber schickten sie Gomamon und Gabumon meistens nach draußen, Gomamon sollte Fische fangen, und Gabumon Gemüse ernten. Diesen hinterhältigen Wichsern war vollkommen klar, daß unsere Didschis ohne uns niemals einen Fluchtversuch unternehmen würden.
Da es in dem Schuppen stickig war, hätten wir viel lieber draußen übernachtet, aber Fehlanzeige. Was das Pennen angeht, sind wir ja nun schon einiges gewohnt, seit wir in der Digiwelt sind.
Wenn es sogar Mimi inzwischen nichts mehr ausmachte, auf dem Boden zu schlafen.
Jou seufzte, und mir wurde klar, daß ich besser nichts von Mimi gesagt hätte. "Tut mir leid," murmelte ich leise mit dem Gesicht zur Wand.
"Muß dir nicht leidtun." Jou starrte zur niedrigen Holzdecke hoch. "Eigentlich will ich ja darüber reden, aber ich habe Angst, dir damit auf die Nerven zu gehen."
"Red' doch keinen Quatsch!" Ich drehte mich zu ihm um. "Natürlich hör' ich dir zu, wenn du labern willst. Ich hab' nur gedacht, es ist dir unangenehm, über Mimi-chan zu reden. Ich weiß ja daß sie dir nicht gerade... na ja, wie soll man das sagen...egal ist."
"Sag's doch gleich," entgegnete er trotzig, "du glaubst, daß ich in sie verliebt bin."
"Ich glaub‘ am besten gar nichts, weil ich von solchen Dingen nicht die geringste Ahnung hab'. Aber ich halt' nix vom Verlieben, weil es doch immer schiefläuft. "
"Und wie willst du das wissen, wenn du noch nie verliebt warst?"
Und das sagt ausgerechnet unser Pessimist vom Dienst! So eine megabekloppte Frage! Weil ich seh‘ wie’s bei anderen Leuten zugeht, natürlich!
Aber das sagte ich ihm nicht, weil er sonst vielleicht nachgehakt hätte. Das allerletzte worüber ich reden wollte, war die Sache mit meinen Eltern. Das ging niemanden etwas an, und ich hab' auch noch nie mit jemandem darüber geredet.
Nur einmal beinahe mit Taichi. An unserem ersten Abend in der Digiwelt.. Ich hab' angefangen über meine Familie zu reden, und bin mittendrin weggerannt. Weil mir plötzlich klar geworden ist, was ich da tue. Daß ich mich kein bißchen cool verhalte, sondern wie ein Weichei. Zum Glück hat Taichi mich nie wieder darauf angesprochen. Das hätte ich nicht ertragen können.
Taichi....
Ich glaub' ich sollte mal meinen Schöpflöffel wieder auspacken.
Als Antwort auf Jou's Frage zuckte ich nur mit den Schultern. "Weiß nicht! Kann ich nicht beurteilen! Ich bin ein einsamer Wolf, und deshalb verlieb' ich mich nicht."
Davon, daß Takeru und ich vor vier Jahren sogar einen feierlichen Schwur abgelegt haben, daß wir uns nie verlieben werden, sagte ich ihm lieber auch nichts. Das hätte er sicher nicht abgecheckt, echt nicht. Er hat ja keine Ahnung.
"Einsame Wölfe gibt's nicht," erklärte Jou bestimmt. "Das ist nur ein blödes Klischee!"
"Als ob du eine Ahnung von Wölfen hättest, Jou-kun!" Will der Kerl mein gesamtes Weltbild durcheinander bringen?
Jou hatte Ahnung von Wölfen. Wahrscheinlich war er froh, daß wir endlich ein Gesprächsthema gefunden hatten, denn die nächsten Tage redete er über nichts anderes mehr. Er muß mindestens zwanzig schlaue Bücher über die Viecher gelesen haben.
"Canis Lupus" zitierte er wichtigtuerisch, als er getrockneten Seetang in Streifen schnitt. Ich fand, das klingt eher nach einem von diesen italienischen Fertiggerichten, als nach einem Wolf.
"Fleischfressendes Säugetier aus der Ordnung der Raubtiere.“ Du wirst es nicht glauben, du Schlaumeier, das wußte ich!
“Wölfe haben ein ausgeprägtes Sozialverhalten, und gehören mit zu den geselligsten Tierarten der Erde. Sie leben und jagen in Rudeln, und ziehen gemeinschaftlich ihre Jungen groß.“
Das wußte ich nicht. Ich dachte immer, sie würden meistens alleine leben, sonst würd‘ man ja nicht einsamer Wolf dazu sagen.
“Was zum Teufel ist ein Sozialverhalten?“ wollte ich wissen. Wir formten Bällchen aus gekochtem Reis, und umwickelten sie mit den Seetangstreifen. Jou’s Bällchen wurden wie immer hoffnungslos krumm und schief.
Wenn Jou nichts auswendig Gelerntes runterleiern kann, muß er erst einmal scharf nachdenken. Er zog die Stirn in Falten, wahrscheinlich suchte er in den verschnörkelten Winkeln seines mit Schulkram vollgestopften Brains nach irgendeiner Definition, die ihm weiterhelfen konnte.
“Na ja“, kam die etwas zögerliche Antwort, “sie tun Dinge, die für die Gruppe gut sind. Sie wechseln sich beim Jagen ab, sie kümmern sich um die Jungen, auch wenn es nicht ihre eigenen sind, und sie pflegen sich gegenseitig das Fell.“
Das Fell? Das ist ja schlimmer, als Mädchen, die sich gegenseitig kämmen! “Aber das machen sie doch nur, damit es sauber bleibt, oder?“
“Nein, eher weil..weil“, stotterte Jou herum. Er kam nicht dazu, weiterzusprechen, denn ein tentakelstrotzendes BSE-Didschi hatte was dagegen. Es kam brüllend durch die Tür gestapft, und blaffte uns an, daß wir bei der Arbeit nicht einschlafen sollten.
Eins zu null für uns, denn wir schafften es rechtzeitig, alles Klump in Reichweite festzuhalten, und nichts ging zu Bruch. Wir waren inzwischen runter auf anderthalb Tage, so gut waren wir noch nie. Ich überlegte, ob ich Jou bitten sollte, besonders vorsichtig zu sein, aber das würde ihn sicher nur nervös machen.
Wenn wir Glück hatten, war dies unser vorletzter Tag hier.
"Das Verbreitungsgebiet des Wolfes erstreckt sich über das gesamte Nordamerika, Teile Europas und das gemäßigte bis arktische Asien bis hin zu Grönland.“ Jou mußte jetzt abspülen, und ratterte seine Weisheiten im dazu passenden Rhythmus runter. Wenn er sich ranhält, kann er später mal Rapper werden.
"Grönland?“ fragte ich zweifelnd. “Die Viecher müssen sich ja den Arsch abfrieren!"
"Nein, wieso? Sie haben erstens ein dickes Fell, zweitens sind sie viel in Bewegung, und wenn sie ruhen, dann wärmen sie sich gegenseitig."
Sie kuscheln? Wölfe kuscheln? Und ich dachte immer Kuscheln ist das unwölfischte, was man sich nur vorstellen kann!
Das darf doch alles nicht wahr sein. Bisher waren Wölfe immer mein Inbegriff der Coolness! Und jetzt muß ich sowas erfahren, das ist wirklich eine Gemeinheit! Vielleicht sollte ich jetzt nicht mehr der einsame Wolf sein, sondern was anderes. Der einsame Bär vielleicht, oder Tiger, oh Gott, klingt das alles bescheuert.
Eigentlich möchte ich viel lieber ein Wolf bleiben.
Na ja, wenn es wegen der Kälte ist, ist Kuscheln, glaub' ich, okay. Und es war doch immer nur wegen der Kälte. Auf Whamon's Rücken, oder damals auf der Schneeinsel. Taichi hat gefroren, nur deswegen hat er mich in den Arm genommen. Und ich hab‘ einfach so getan, als ob ich schon schlafe.
Er wird mich nie wieder in den Arm nehmen. Er hat zu mir gesagt, daß er mich cool findet, und ich, ich Trottel hab‘ ihm nie eine Antwort darauf gegeben. Ich mußte ja unbedingt beleidigte Leberwurst spielen, jetzt werd‘ ich nie erfahren, was er von mir wollte. Und er wird nie wissen, daß...
In dieser Nacht helfen keine Schöpflöffel, und keine anderen Spielchen, es tut einfach nur weh, und ich kann nichts dagegen machen. Ich hab‘ Jou den Rücken zugedreht, damit er nicht sieht, daß ich heule, es wäre zu peinlich. Wenn doch nur mein Didschi hier wäre!
“Wenn ich morgen nichts falsch mache, müssen sie uns gehen lassen,“ sagt Jou leise in die Dunkelheit.
“Vielleicht sind wir morgen abend schon frei, und können Takeru und die anderen suchen gehen.“
Er dreht sich zu mir um, und legt eine Hand auf meine Schulter. Ich versuche sie abzuschütteln, und bin kurz davor ihn anzuschnauzen, aber ich tu’s nicht. Er hat das nicht verdient, er will mir nur helfen.
“Bitte nicht, okay?“ Er kann ganz sicher hören, daß ich flenne, meine Stimme klingt nicht normal, aber es ist mir in diesem Moment auch vollkommen gleichgültig. “Ich weiß, du meinst es gut, aber bitte faß‘ mich nicht an. Ich kann das nicht haben.“
“Entschuldige bitte.“ Er zieht seine Hand zurück. “Ein sehr guter Freund von mir ist unglücklich, und ich hab‘ keine Ahnung, was man in einem solchen Fall tut. Manchmal bin ich einfach ein schrecklicher Tolpatsch.“
“Was den Tolpatsch angeht, kann ich dir wohl kaum widersprechen.“ Meine Stimme klingt ruhiger, auch wenn ich mich eigentlich nicht besser fühle. “Aber was den sehr guten Freund angeht, auch nicht.“
Ich weiß, daß er sich jetzt geschmeichelt fühlt, aber dazu gibt es überhaupt keinen Grund, denn er ist wirklich mein Freund. Dafür brauchen wir auch keine blöden Schwüre, und Superkickersprüche. Wenn die echten Wölfe Freunde haben, dann darf ich das auch. Und wenn sie nicht allein sind, muß ich es auch nicht sein.
“Morgen werd‘ ich dir helfen, Takeru-kun zu finden,“ Jou’s Stimme klang zuversichtlich. “Und wir suchen Mimi-chan,“ setzte ich den Satz fort. “Sorry, das ich neulich gesagt hab‘, sie wär‘ ‘ne Zicke, hab’s nicht so gemeint.“
“Tut mir leid, daß ich dir deswegen eine gelangt hab‘. Und – ja, du hattest recht, ich bin in sie verliebt.“
Das braucht ihm überhaupt nicht leidzutun, ehrlich gesagt, fand‘ ich die Aktion sogar ziemlich mutig. Schließlich hätt‘ ich Kleinholz aus dem Kerl machen können, wenn ich gewollt hätte, und das wußte er auch. Aber es war ihm egal, weil es um Mimi ging. In dem Moment hab` ich zum erstenmal gemerkt, daß Jou vielleicht doch nicht so eine Lusche ist. Aber das sagte ich ihm nicht, sonst wäre unser Gespräch eine einzige Beweihräucherungssession geworden.
“Sag‘ mal, woher weißt du das eigentlich?“ Es gab da etwas, das mich schon eine ganze Weile interessierte. “Daß du in sie verliebt bist, mein‘ ich! Woran erkennt man sowas?“
“Das kann man nicht richtig erklären.“ Jou hatte wieder seinen ‘Hilfe, das hab‘ ich nicht in der Schule gelernt‘ Blick drauf. “Ich glaub‘ man muß es einfach merken.“
So eine intelligente Antwort aber auch! “WIE merkt man das denn, das will ich doch wissen?“
“Na ja..“ Jou zuckte mit den Schultern. “Man möchte am liebsten die ganze Zeit mit der betreffenden Person zusammen sein.“
Tolle Definition. Ich bin auch gerne mit Takeru, Jou oder meinem Vater zusammen. Und mit meinem Didschi. “Man kann doch nicht gleich in jeden verliebt sein, mit dem man gern zusammen ist.“
“Nein, das allein ist es auch nicht.“ Der arme Jou wurde immer hilfloser. “Man möchte mit ihr zusammensein, aber man traut sich nicht, mit ihr zu reden. Man hat so einen Kloß im Hals, wie ein großer Reiskuchen, und kriegt kein Wort mehr raus. Und wenn sie einen anschaut, dann kribbelt es im Bauch. Wie kleine Käfer.“
“Igitt, das ist ja widerlich“. Ich stellte mir einen Haufen Tentomon in Miniaturgröße vor, die in Jou’s Bauch munter auf- und abflatterten. Das war ja noch schlimmer wie in einem Horrorfilm. Hoffentlich passiert mir sowas nicht.
“Überhaupt nicht wahr,“ protestierte Jou. “Es ist ein sehr schönes Gefühl. Es wird ganz warm innendrin, als ob im Herzen die Sonne scheint ... ach, ich hab‘ dir doch gesagt, man kann es nicht erklären.“
Ich raffte immer noch nicht so ganz ab, was er meinte, aber das mit der Sonne hörte sich richtig kawaii an. Nein, nicht kawaii, das ist eins von diesen kitschigen Mädchenwörtern. Aber besser als die Käfer auf alle Fälle.
“Wenn man in jemanden verliebt ist,“ fragte ich vorsichtig, “will man ihm dann in den Haaren rumwuscheln?“
“Woher weißt du das?“ rief Jou überrascht. “Natürlich, die ganze Zeit! Mimi-chan hat wunderschöne Haare, sie sind wie eine Wolke, und sie leuchten, wenn die Sonne darauf scheint. Und sie hat richtige Sternchenaugen. Die glitzern, wenn sie sich freut. Und wenn sie lacht, dann kriegt sie diese Grübchen in den Wangen.“
“Aber,“ fügte er hinzu, ich würd‘ mich das nie trauen, so einfach ihre Haare anzufassen.“
Ich überlegte, ob ich ihm erzählen sollte, was ich gesehen hatte, und entschied mich, daß es nichts schaden konnte: “Damals, an dem Abend, als Sora-kun verschwunden ist, haben du und Mimi-chan am Feuer geschlafen, und du hattest den Arm um sie gelegt.“
“Wirklich.“ Er versuchte angestrengt, sich zu erinnern. “Davon weiß ich gar nichts. Aber dann hat sie sicher schon geschlafen, sonst hätte sie mich weggeschubst. Sie hätte das bestimmt nicht gemocht.“
“Aber das kannst du doch überhaupt nicht wissen,“ protestierte ich. Etwas leiser fügte ich hinzu: “Außerdem könnte es doch genausogut sein, daß sie nur so getan hat, als ob sie schläft, weil sie es doch mochte und es nur nicht zugeben wollte.“
“Aber das ist doch Unsinn, Yamato-kun, niemand würde so etwas tun.“
Damit hatte Jou sicher recht. Niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, würde so etwas tun. Ich beschloß ihm lieber nichts von der Schneeinsel zu erzählen.
“Hast du ihr das eigentlich schon mal gesagt? Das mit ihren Haaren und den Sternchenaugen und so.
“Nein, das würd‘ ich mich nie trauen.“ Jou zog erschrocken die Luft hoch. “Sie würde mich doch auslachen.“
Zuerst gab ich ihm keine Antwort, denn ich wußte wirklich nicht, ob Mimi das tun würde. Ich kann sie schwer einschätzen, sie kann manchmal echt nett sein, und dann wieder total zickig. Ehrlich gesagt check‘ ich sie einfach nicht. Jou kennt sie sicher besser, er hat sich ja auch mehr mit ihr beschäftigt.
“Ich weiß auch nicht, wie sie reagieren würde,“ sagte ich ehrlich, “aber ich denke, du solltest es ihr trotzdem sagen. Sonst hast du vielleicht irgendwann keine Gelegenheit mehr dazu.“
Jou sah mich entsetzt an, aber ich redete weiter, das mußte jetzt einfach gesagt werden.“ Ich meine, wir sind in dieser durchgeknallten Welt, und wissen nicht, was noch alles auf uns zukommt. Und es würde dir sehr leid tun, wenn du dir irgendwann denken mußt: ‘Hätt‘ ich doch nur! Hätt‘ ich es ihr nur gesagt!‘ Du würdest es ganz schrecklich bereuen....“
Die Stimme versagte mir, ich konnte nicht mehr weiterreden. Verdammt noch mal, wieso kann ich nicht endlich mit der Flennerei aufhören? Irgendwann müssen die blöden Augen doch leergeweint sein.
Ich weiß, daß sie das nicht sind, ich hab‘ schon ganze Nächte durchgeheult. Ich hab‘ nur immer gut aufgepasst, daß es niemand mitkriegt. Aber jetzt hab‘ ich keinen Bock mehr. Wozu das Ganze? Jou ist mein Freund, verdammt nochmal, und er wird mich nicht für einen Schwächling halten.
Eine Weile war es ganz still, dann brach Jou das Schweigen. “Wahrscheinlich hast du recht,“ sagte er leise. “So hab‘ ich noch nie darüber nachgedacht. Sogar wenn sie mich auslacht, ist das nicht so schlimm wie...“
Er brach ab. Wahrscheinlich wollte er den Gedanken nicht zu Ende führen, das könnt‘ ich echt verstehen.
“Yama-kun?“
“Hm?“
“Darf ich dich was fragen? Du mußt nicht antworten, wenn du nicht willst!“
“Was ist denn?“ Nachdem ich ihn den ganzen Abend mit Fragen bombardiert hatte, durfte ich eigentlich nicht zimperlich sein.
Jou holte tief Luft. “Sag mal, bist du in jemanden verliebt?“ Die Frage kam so zögerlich, als ob er Bammel vor einem meiner Wutausbrüche hätte. Na ja, er hat auch so einiges abgekriegt die letzten paar Wochen.
“Wie kommst du darauf?“ fragte ich zurück.. Mir war nicht nach Ausflippen.
“Du hörst dich irgendwie danach an. Die ganze Art, wie du redest, und so.“
“Meinst du wirklich?“ Mann, bin ich froh, das es hier drin so dunkel ist. “Ich hab‘ dir schon mal gesagt, daß ich keine Ahnung von so was hab‘. Wenn ich‘s wüßte, würd‘ ich’s dir sagen.“
Aber wie soll ich es denn wissen? Ich kann keine Reiskuchen im Hals haben, und keine Sonne im Herzen, und auch keine Krabbelkäferdidschis im Bauch.
Denn er wird mich nie wieder anschauen.
In dieser Nacht träumte ich von Wölfen. Von einem hellen Wolf, und einem dunkelbraunen, die sich gegenseitig im Fell rumwuscheln. Was für ein bescheuerter Traum!
Am nächsten Tag lief alles schief, was nur schieflaufen konnte. Es fing schon mal damit an, daß ich zum erstenmal seit meiner glücklichen Kinder- und Windelzeit mit einer nassen Hose aufwachte. “Du hast nicht in die Hose gemacht, falls du das jetzt denkst,“ informierte mich Jou. So schlau bin ich selber, du Angeber. Auf jeden Fall mußte ich das Ding auswaschen, und kam etwas später in die Küche, wo Jou schon wieder Chaos anrichtete. Er hatte versucht, Gemüse zu schneiden, und jetzt sah es aus, wie nach einem Battle gegen sämtliche fiesen Didschis der Digiwelt.
Zwei Stunden später schaffte er es beinahe die komplette Küche in Brand zu stecken, weil er aus Versehen den Herd angelassen hatte. Die Putztücher fingen Feuer, und der Salat verkokelte samt Plastikschüssel. Wir konnten alles löschen, bevor irgendein wirklicher Schaden entstand, aber der Gestank vom verbrannten Plastik war so schlimm, daß Pickelmon den ganzen Saftladen für die nächste Stunde schließen mußte. Manchmal stellt Jou meine Geduld schon auf eine harte Probe.
Was mich noch viel mehr erschreckte war, daß er vehement bestritt, den Herd überhaupt angerührt zu haben. Er hat schon oft Mist gebaut, okay, aber er hat mich noch nie angelogen. Seit ich ihn kenne, hat Jou noch niemals die Unwahrheit gesagt. Aber wer soll es denn gewesen sein, es war doch außer uns niemand in der Küche? Pickelmon wurschtelt im Restaurant umeinander, und das fette Ei läßt sich vor Mittag sowieso nie blicken. Ich glaub‘ ja kaum, daß irgendein teuflisches Didschi in die Küche geflattert kommt, den Herd anstellt, und dann wieder verschwindet.
Wahrscheinlich hatte Jou Angst, daß ich sauer auf ihn bin, und hat sich deshalb nicht getraut, die Wahrheit zu sagen. Trotzdem fand‘ ich‘s scheiße. Nicht nur, weil wir jetzt noch ‘ne Woche bleiben müssen, sondern vor allen Dingen, weil ich wirklich angefangen hab‘ ihm zu vertrauen. Ich will nicht glauben, daß Jou ein Lügner ist, aber wie soll das sonst passiert sein? Wie denn?
An diesem Abend brauchte ich echt ‘ne Pause. Ich schnappte mir meine Mundharmonika und marschierte zum See runter. Allein. Mit meinem Didschi zusammen, lassen die mich nicht weg, die mißtrauischen Schweinehunde. Und Jou wollte ich aus dem Weg gehen. Kein Bock mit ihm zu reden, ich hab‘ ihm schon viel zu viel gesagt.
Ich hab’s irgendwie mit den Seen. In der Abenddämmerung an einem See zu hocken, und aufs Wasser hinaus zu schauen, das ist meine Vorstellung vom Glück. Ich glaube, selbst wenn ich kurz vorm Ausrasten wäre, bräuchte man nur irgendwie einen See aus dem Ärmel zu zaubern und ihn mir unter die Nase halten, und ich würde mich auf der Stelle in ein sanftes Lämmchen verwandeln. Das ist wohl so ähnlich, wie mit Taichi und was zu Essen.
Ich flackte mich also ans Ufer und spielte Mundharmonika. Es half nicht mehr so gut wie früher, die trüben Gedanken wollten nicht verschwinden. Wahrscheinlich war einfach zuviel passiert.
“Ein Lied ist immer gut, nicht?“
Ich dachte zuerst, es wäre vielleicht Gabumon, als es neben mir im Gras raschelte, aber er war es nicht.
Neben mir war ein Digimon gelandet, das ich noch nie gesehen hatte. Ein kleiner schwarzer Mini-Batman, der ein bißchen so aussah, wie eine Bowlingkugel mit Ohren und Flügel.
“Du spielst wunderschön.“ Das fremde Digimon verneigte sich, und faltete die Zackenflügel zusammen. “Ich hoffe, ich habe dich nicht gestört.“
“Nein“ Natürlich hatte die Bowlingkugel mich gestört, aber es wäre verdammt unhöflich gewesen, so etwas zu sagen, nachdem es schließlich nur meinem Spiel zuhören wollte.
“Wer bist du eigentlich?“
Das Schlauste scheint es ja nicht gerade zu sein, dieses Batmon. Wenn es nicht gerade frustierten Digirittern auf den Sack geht, modelt es wahrscheinlich für Taucher.... na ja, lassen wir das Thema. Jedenfalls hat es eine ganz einfache Frage nicht gecheckt, und fängt stattdessen an, mich über Musik zuzutexten.
“Dein Lied ist sooo traurig“, seufzte es “Kein Wunder, bei dem, was du alles durchmachen mußt. Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie helfen.“
Ja, aber klar. Das möcht‘ ich sehen, wie der mit seinen Krallenfüßen Geschirr spült. Und wenn er etwas kochen will, muß er über den Töpfen herumflattern.
“Ich finde es wirklich beeindruckend, was du tust.“ Das Flatterdidschi sah mich mitleidig an. “Du bist jemand, der sich für einen Freund aufopfert.
Aber dein sogenannter Freund treibt ein falsches Spiel mit dir. Er hat wahnsinnige Angst, du könntest ihn alleine lassen, deshalb macht er einen Fehler nach dem anderen, damit ihr auch weiterhin gezwungen seid, hierzubleiben.“
Moment mal! Auszeit, Auszeit, was labert der da? “Willst du behaupten, mein Freund macht seine ganzen Fehler mit Absicht? Von woher weißt du überhaupt darüber Bescheid?“
“Das hast jetzt du gesagt,“ erklärte das Didschi mit wichtigtuerischer Miene. “Ich dachte eher daran, daß es vielleicht eine unbewußte, psychologische Reaktion ist, wenn du verstehst, was ich meine. Nein? Entschuldige bitte, wenn ich mich unklar ausgedrückt habe. Du meinst also, er macht seine ganzen Fehler mit Absicht? Glaubst du wirklich, daß jemand so hinterhältig sein könnte?“
“Nein, so hab‘ ich das nicht gemeint“ Das Gelaber von dem Vieh verwirrte mich echt. “Jou würde sowas niemals tun, er ist der ehrlichste Mensch den ich...“
Aber das mit dem Ofen heute, das war schon ziemlich strange.
“Du bist ein so gutherziger Mensch,“ sagte die Fledermaus bewundernd. “Wie schön, daß du dein Vertrauen in die anderen noch nicht verloren hast. Wenn man soviele Erfahrungen gemacht hat, wie ich, kann man leider nicht mehr so unschuldig sein. Ach, ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen!“
Unschuldig? Naiv meint er wohl! Er denkt, daß ich noch keine Erfahrung habe. Wenn der wüßte! Dem könnt‘ ich aber echt was erzählen!
Nein, besser nicht. Es reicht schon, daß ich Jou soviel über mich erzählt hab‘. Wie ein bescheuertes Kleinkind, das sich an den Nächstbesten klammert, der nett zu ihm ist.
Am nächsten Tag gelang es Jou einen Stapel Teller runterzuschmeißen, von dem er mindestens einen halben Meter weit weg stand. Natürlich war er wieder nicht schuld, jemand hatte ihn geschubst. Daß niemand da war, der ihn hätte schubsen können, störte ihn nicht weiter.
Ich weiß nicht mehr, was ich Wütendes plärrte, als ich aus der Tür stürmte. Das Vieh hat recht gehabt, ich bin wirklich naiv. Ich hab‘ mich einlullen lassen, von seinen ganzen Stories über Wölfe, und seiner albernen Rumjammer-Mitleidstour. Meine tiefste Seele hab‘ ich dem Kerl ausgeschüttet, einem Typen, den ich nicht einmal kenn‘! Freundschaft? Was ist das schon? Wie oft muß ich denn noch auf die Schnauze fallen, um zu kapieren, daß das alles nix bringt?
“Onii-chan!“
Mein Brüderchen stand vor mir, und versuchte gerade ziemlich verzweifelt, mich zu knuddeln. Da ich aber im Gras flackte, und er mich mit seinen dünnen Ärmchen nicht hochkriegt, landete er auf mir drauf, und ich hatte erstmal sein Kinn im Hals.
“Was machst du hier?“ brachte ich raus, als ich ausgewürgt hatte, und wieder Luft kriegte, “wie bist du hierhergekommen?“ Ich setzte mich auf, und drückte ihn erstmal so fest, daß, der Abwechslung halber, er mal nach Luft schnappen mußte. “Entschuldige bitte, daß ich mein Versprechen nicht halten, und dich nicht abholen konnte.“
“Aber das macht doch nichts, jetzt sind wir ja wieder zusammen!“ Überglücklich preßte er das Köpfchen an meine Backe. “Und ich hab‘ Taichi-kun getroffen, er ist auch hier!“
“Hi, Yamato-kun!“
Das kann einfach nicht wahr sein. Ich muß träumen! Entweder bin ich eingeschlafen, oder der Rinderwahn hat mich am Ende doch noch erwischt. Vor mir steht Taichi, komplett mit Taucherbrille, und bescheuertem Grinsen, so als ob er nie weggewesen wäre, und ich mir nicht nächtelang die Augen nach dem Kerl ausgeheult hätte.
“Ich hab‘ gedacht, du bist tot,“ sagte ich langsam. Ich war noch zu geschockt, als daß ich irgendwie groß reagieren konnte. Als wir uns auf der Schneeinsel wiedergetroffen hatte, waren wir ohne lange zu überlegen, aufeinander zugerannt, und hatten uns bei den Händen gefaßt.
Jetzt käme das total peinlich. Irgendwie war es eine verdammt ungemütliche Situation.
Ich wollte noch etwas sagen, aber irgendwas stimmte nicht mit meiner Stimme. War das jetzt so, als ob mir ein Reiskuchen im Hals stecken würde? Ich weiß nicht. Es war einfach nur fürchterlich bescheuert, das war alles!
“Tot? Davon bin ich weit entfernt, ich hab‘ noch viel vor! Es ist keiner in der Nähe, kommt, laßt uns die Gelegenheit nutzen und abhauen!“
Ich raff‘s nicht! Kaum ist er wieder da, will er mir schon wieder Vorschriften machen. Die altbekannte Wut steigt in mir hoch. Und er hat auch keine Ahnung, was Jou in Wirklichkeit für ein hinterhältiger Mistkerl ist. “Abhauen, okay, aber ich will auf keinen Fall, daß Jou dabei ist.“
Wenn man vom Teufel spricht! Mit Gomamon im Schlepptau kam Jou aus der Küche.
“Häh?“ Eine Runde Taucherbrillenbrainhochfahrblick! “Was redest du da für ‘nen Blödsinn? Habt ihr euch gestritten?“
“So würde ich es nicht nennen!“ Ich sprang auf, und ballte die Fäuste. Mit einem wie dem hat man nichts als Schwierigkeiten!“
Die anderen sahen mich entsetzt an, aber das war mir echt scheißegal. Die hatten ja keine Ahnung von gar nichts. Nur Jou machte mal wieder einen auf Mitleidstour, er glotzte mich an, wie ein krankes Kalb. Aber das zieht bei mir nicht! Nicht mehr!
“Hör auf, so einen Mist zu labern, und komm endlich!“ plärrte Taichi “Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, die anderen müssen wir schließlich auch noch suchen!“
Das ist wieder einmal so typisch! Er kommt her, brüllt Befehle, und meint, daß alles nach seiner Pfeife tanzt.. “Deine Rumkommandiererei kannst du dir sonstwohin stecken, mach‘ doch was du willst, aber nicht mit mir! Komm Takeru, wir gehen!“
Aber anstatt mir zu folgen, zerrte mein Brüderchen an meinem Arm. “Warum bist du so böse? Wir sind doch alle Freunde!“
“Halt endlich die Klappe, und komm!“ Nur weil Taichi mal kurz auf ihn aufgepaßt hat, muß er sich wieder so aufführen, und dem Kerl nach dem Mund reden! Das kennt man ja schon, es ist doch immer dasselbe!
“Ihr wollt doch nicht etwa gehen, ohne euch zu verabschieden?“
Die Hambugerbrigade in Person! Pickelmon wedelt mit den Tentakeln, und die fette Kinderüberraschung kommt uns auf häßlichen Dinobeinen entgegengestapft. Beide scheinen nicht gerade in Feiertagsstimmung zu sein.
“Dafür hätten wir nämlich sehr wenig Verständnis!“
Die Batman-Bowlingkugel! Was hat der mit den beiden zu schaffen? Steckt er etwa mit ihnen unter einer Decke? Das würde ja bedeuten, daß...
“Pico-Devimon!“ schrien Taichi, Takeru, Patamon und Agumon wie aus einem Munde. “Du widerliches kleines Lügenmonster!“
“Lügenmonster?“ Ich schätze, jetzt war ich mal dran mit Brain hochfahren. Nur so zur Abwechslung!
“Du darfst ihm kein Wort glauben,“ rief Takeru aufgeregt, und Taichi fügte hinzu: “Es lügt, wenn es nur den Mund aufmacht!“
Ein schrecklicher Verdacht stieg in mir hoch. Hatte dieses Pico-Devimon etwa mit Absicht versucht, mich gegen Jou aufzuhetzen?
Zum Nachdenken blieb wie immer keine Zeit, denn dieser Eierverschnitt machte Ernst und griff an. Mein Didschi mußte wohl irgendwie spüren, daß ich in Gefahr war, denn Garurumon war rechtzeitig zur Stelle um die Angriffe abzuwehren. Mehr als abwehren konnte er jedoch nicht, das Ei war viel zu stark für ihn. Auch Ikkakumon konnte nichts ausrichten, und Agumon hatte noch nicht einmal genug Energie für die Digitation aufs Bonzlevel.
Daß das pickelige BSE-Didschi auch noch da war, merkten wir erst als wir Takeru um Hilfe schreien hörten. Es hatte ihn gepackt, und mein Brüderchen zappelte hilflos in seinen Tentakeln. Verzweifelt versuchte ich zu ihm zu gelangen.
“Gebt auf, sonst geht es dem Kleinen hier schlecht!“ Digitamamon lachte höhnisch und mein Magen krampfte sich zusammen. Takeru war vollkommen unschuldig in diese Sache hineingezogen worden, um nichts in der Welt durfte ihm etwas zustoßen!
Wenn sie ihn gehenlassen, bin ich bereit, aufzugeben. Auch wenn ich dann von hier nicht mehr wegkomme.
Im nächsten Moment stürzte sich Jou vom Dach des Restaurants auf Vegiemon, das vor Schreck Takeru losließ. Er landete etwas unsanft auf dem Boden, schien sich aber nichts getan zu haben.
“Du bist ein dummer, kleiner Narr!“ Die Tentakel wickelten sich um Jou. “Du glaubst doch nicht etwa, deine sogenannte Freunde interessieren dafür, was mit dir passiert?“
“Meine Freunde würden mich nie im Stich lassen!“ schrie Jou. “Ohne Yamato-kun hätte ich die Zeit hier niemals überstanden! Er hat mich immer unterstützt und mir Mut gemacht, er ist der beste Freund den man sich nur wünschen kann!“
Kann sich irgendwo ein Erdloch auftun und mich verschlucken? Während Jou’s Worten hatte ich das Gefühl immer kleiner und kleiner zu werden, um schließlich vor Scham im Boden versinken zu wollen.
Er hat Takeru das Leben gerettet. Ohne Rücksicht auf sein eigenes.
Wie hab‘ ich nur jemals, jemals an ihm zweifeln können? Ich hab‘ ihm nicht vertraut, hab‘ mich von diesem fiesen Lügendidschi beschwatzen lassen. Jetzt weiß ich auch, wer den Herd angestellt, und Jou gegen die Teller geschubst hat. Und ich hab‘ geglaubt, er hätte mich angelogen! Das Wort eines fremden Digimons hab‘ ich über das von meinem Freund gestellt!
Manchmal bin ich schon wirklich verdammt naiv.
Immer muß ich in allem nur das Schlechte sehen! Bei jedem kleinsten Problem fall‘ ich um, und lande wieder in meinen alten schlechten Gewohnheiten. Alles ist scheiße, keinem kann ich vertrauen, keiner hält zu mir, wenn’s drauf ankommt.
Mit einem Satz: Keiner mag mich!
Das ist so dumm, und so kindisch! Und ausgerechnet Jou, unser Oberpessimist mußte mich mit der Nase draufstoßen. Ausgerechnet Jou und seine Stories von den Wölfen, die zusammen jagen, und zusammen kuscheln, und sich bei Gefahr gegenseitig beschützen.
Oh Mann, ich geb‘ wirklich einen verdammt miesen Wolf ab!
Wird‘ echt langsam Zeit, ein paar schlechte Gewohnheiten über Bord zu werfen. Wenn wir hier lebend rauskommen, werd‘ ich so einiges ändern. Ach Quatsch, natürlich werden wir hier lebend rauskommen, und ich werd‘ jetzt gleich damit anfangen etwas zu ändern. Takeru, Jou, Sora, Mimi, Koushirou, und Taichi sind meine Freunde! Wenn ich von ihnen erwarte, daß sie zu mir steh‘n, muß ich bereit sein, dasselbe für sie zu tun.
Freundschaft ist das stärkste Band! Es lebe die Freundschaft!
Das Licht ist so hell, daß es mich blendet, und ich für einen Moment die Augen schließen muß. Es kommt nicht vom Himmel, und auch nicht vom Digivice, sondern vom Wappen. Von meinem Wappen!
Mein Wappen leuchtet.
Garurumon – Ultradigitation zu ....Weregarurumon!
Mein Didschi steht jetzt auf zwei Beinen und sieht aus wie ein Werwolf, der in einem Piratenschinken mitspielt. Schiff ahoi! Überall Nieten und Leder, er könnte sich damit auf jedem Heavy Metal Konzert sehen lassen, oh Mann ist das cool! Ich hab‘ ein Ultrabonzleveldidschi!!!!
Jetzt gibt’s Saures! Das Mac Donalds Personal nimmt die Beine in die Hand, und Jou, die Landratte, kriegt wieder festen Boden unter den Füßen!
Und dann erst die Fresse von Taichi! Das ist doch das Beste von allem! Taucherbrillenbrain kriegt die Klappe nicht mehr zu, und seine Glubschaugen machen gleich auch eine Ultradigitation! Seins ist nämlich lang nicht so cool, wie meins! Einfach ultragenial!
Ein gehauchtes “Wow!“ ist alles, was aus seinem Plappermaul rauskommt. Leider hält das Ultrabonzlevel nicht lange an, kaum daß der Kampf vorbei ist, wird mein Didschi schon wieder winzigklein. Es ist zu Tsunomon zurückdigitiert.
“Jou-kun?“ Das Allerschwerste vom Kampf stand mir noch bevor. “Ich wollte mich bei dir bedanken. Du hast meinem Bruder das Leben gerettet.“
“Ja, das war für deine Verhältnisse ganz schön mutig,“ pflichtete Taichi mir bei. Jou zog die Augenbrauen hoch und sah ihn an: “‘Für deine Verhältnisse‘ kannst du dir sparen!“ Und zu mir gewandt fügte er hinzu: “Ich bin froh, daß ich auch endlich mal etwas für dich tun konnte.“
‘Du hast genug für mich getan‘, dachte ich, aber das sagte ich natürlich nicht. Aber einfach drüberweg schweigen konnte ich auch nicht, schließlich war ich ganz schön fies zu ihm gewesen. “Entschuldige bitte, ich hab‘ vorhin ziemlichen Mist verzapft.“
“Vergeben und vergessen,“ grinste Jou. “Aber nun sollten wir uns echt auf den Weg machen. Unsere Digivices werden uns sicher helfen, die anderen zu finden.“
Taichi war zurück in die reale Welt geschleudert worden, das erzählte er uns, als wir dem Weg in eine Gebirgslandschaft folgten. Er war nur für ein paar Stunden in der realen Welt gewesen, allerdings lief die Zeit dort anders als hier. Eine Stunde dort, war für uns beinahe ein ganzer Monat.
Was noch schlimmer war, auch in der realen Welt waren plötzlich Digimon aufgetaucht. Also wieder nix mit heimgehen. Auf uns würde noch einiges an Abenteuern warten.
Manchmal hab‘ ich mir vorgestellt, wie es wäre, Taichi wiederzusehen. Ich hab‘ nicht dran geglaubt, aber manchmal hat man solche Gedanken eben, und sie wollen einfach nicht aus dem Kopf.
Aber so hab‘ ich es mir bestimmt nicht vorgestellt! Es ging alles viel zu plötzlich, kaum daß wir uns getroffen hatten, gingen wir uns schon wieder an die Gurgel. Ich weiß, daß er es nicht böse meint, wenn er seine Sprüche los läßt, aber es macht mich einfach so wütend. Müssen wir denn die ganze Zeit so rennen? Können wir nicht mal anhalten und nachdenken?
Es ist, wie ich’s Jou an jenem Abend gesagt hab‘, ich hab‘ wirklich absolut keine Peilung, was mit mir abgeht. Ich weiß nur, daß da irgendwas ist. Da war schon lange irgendwas. Aber jetzt ist es noch mehr irgendwas als früher.
Soll ich einfach mit ihm darüber reden? Aber wenn ja, was soll ich ihm sagen? Wenn ich’s selber nicht check‘, dann checkt es Taucherbrillenbrain gleich dreimal nicht. Er wird mich nur auslachen, und einen seiner blöden Sprüche ablassen, und darauf hab‘ ich echt keinen Bock.
“Taichi-kun?“
“Was denn?“
“Kann ich dich was fragen?“
“Was denn?“
“Nein nicht jetzt. Irgendwann später, wenn wir mehr Ruhe haben! Vielleicht heute abend, wenn wir campen!“
“Ach so. Und warum fragst du mich jetzt, ob du mich heute abend was fragen kannst? Du bist ja echt komisch drauf!“
“Was willst du Taichi-kun denn fragen,“ mischte sich mein Brüderchen ein. Ich winkte ab: “Nicht so wichtig.“ Mein Gott, bin ich ein Volltrottel. Ich glaub’s selbst nicht, daß ich das gemacht hab‘.
Jou sagte nichts, ich bin sicher, er macht sich seine eigenen Gedanken.
Aber er hatte recht behalten, was die Digivices anging. Schon nach kurzer Zeit begannen unsere Piepsdinger zu fiepen und zu leuchten. Sie zeigten allerdings in zwei verschiedene Richtungen, also beschlossen wir, uns aufzuteilen. Wir machten aus, uns am nächsten Tag an der Wegkreuzung wiederzutreffen.
Natürlich wollten mein Brüderchen und ich zusammen bleiben, also bildeten Taichi und Jou die andere Gruppe. Erstmal würde ich also keine Gelegenheit haben, mit Taichi allein zu sprechen. War vielleicht ganz gut so, dann konnte ich nochmal in Ruhe drüber nachdenken.
Am Abend gabelten wir Koushirou auf, der vor Erleichterung fast das Flennen anfing, als wir ihm erzählten, daß es Taichi gut ging. Aber um Sora machte er sich, nach wie vor, wahnsinnige Sorgen. Wir verbrachten die Nacht mehr oder minder damit, uns gegenseitig zu erzählen, was wir erlebt hatten. Auch Koushirou’s Wappen hatte geleuchtet, also hatten wir schon drei Ultrabonzdidschis. Nicht schlecht. Damit standen wir etwas besser da, wenn wir auch immer noch keine Ahnung hatten, in wessen Auftrag das Lügendidschi handelte.
Erst gegen Morgen schliefen wir ein paar Stunden, und kamen natürlich prompt zu spät zu unserem Rendezvous mit dem Rest der Bande.
Jou und Taichi hatten Mimi gefunden, aber von Sora fehlte immer noch jede Spur. Mimi behauptete zwar, sie wäre ihr im Traum erschienen, aber das hörte sich alles reichlich unlogisch an. Auch Agumon behauptete steif und fest, ihre Stimme gehört zu haben, die ihn davor gewarnt hatte, gefährliche Pilze zu essen.
Erst einen weiteren Tag später hatten wir Gewißheit: In einem Wald wurden wir angegriffen, und wie aus dem Nichts tauchte Birdramon auf, und half uns. Genauer gesagt, das Vieh rettete uns so ziemlich den Arsch, denn unsere Didschis waren zum Kämpfen viel zu ausgepowert. Diese Ultradigitation scheint doch eine ziemlich stressige Angelegenheit zu sein.
Wir beobachteten, wo das Licht verschwand, als Birdramon zu Piyomon zurückdigitierte, und rasten wie vom wilden Affen gebissen durch den Wald. Nach einer Endlossuche gelang es Taichi, meinem Brüderchen und mir, Sora zu finden. Aber offensichtlich wollte sie gar nicht gefunden werden.
“Bitte, laßt mich!“ keuchte sie völlig außer Atem vom Rennen, als wir sie schließlich eingekreist hatten. Neben ihr hüpfte Piyomon aufgeregt hin und her, und flatterte wild mit ihren kurzen Flügelchen. “Laßt mich in Ruhe,“ wiederholte Sora “ich gehöre nicht mehr zu euch!“
Taichi, Takeru und ich sahen uns an. Was mochte das widerliche Lügendidschi ihr erzählt haben?
“Hör auf, so einen Blödsinn zu reden!“ schimpfte Taichi. “du bist unsere Freundin, und ohne dich können wir einpacken! Wir müssen noch so viele Kämpfe bestehen, also hör‘ mit der Spinnerei auf, und komm endlich!“
Sora gab keine Antwort, sondern brach in Tränen aus. Es war ein richtiger Weinkrampf. Erschrocken und hilflos sah Taichi sie an. Er hatte offensichtlich keine Ahnung, was er machen sollte.
Geschah ihm aber auch recht. Ich fühlte wieder die Wut in mir hochsteigen. Der Kerl ist einfach so wahnsinnig unsensibel. Genauso hat er mich angemotzt, als wir vor dem Restaurant standen. Er versteht einfach nicht, daß nicht jeder von einem Abenteuer ins nächste rennen will, und daß die Leute einfach manchmal fertig sind und Ruhe brauchen. Sora war definitiv fertig, und wenn Taichi’s Gelaber auch hundertmal gut gemeint war, für den Augenblick half es ihr nicht das Geringste.
Wenigstens weiß ich jetzt, daß ich nicht der einzige bin, der damit nicht klarkommt. Sora kriegt zwar keine Wutanfälle, so wie ich, aber auch ihr macht es manchmal zu schaffen, wenn Taichi sich so aufführt.
“Yamato-kun, was soll ich machen?“ fragte Taichi verzweifelt, “ich will das sie aufhört! Ich will nicht das sie traurig ist. Bitte sag‘ mir, was macht man, wenn Mädchen so weinen.“
Das fragt der ausgerechnet mich! Ich hab‘ doch keine Ahnung vom Trösten, verdammt noch mal! Takeru will in den Arm genommen werden, wenn er weint, vielleicht will Sora das auch.
Vielleicht will sie aber auch in Ruhe gelassen werden. Wenn ich weine, und jemand versucht, mich in den Arm zu nehmen, kriegt er eins in die Fresse, das ist sicher.
“Ach, du weißt neuerdings, daß ich ein Mädchen bin“, schluchzte Sora, “hast ja sechs Jahre gebraucht, um das zu merken.“
Sechs Jahre? Das ist ja seit der ersten Klasse! Kennen sich die beiden wirklich schon so lange? Wie lange sind sie schon Freunde? Ist Koushirou auch schon so lange mit Taichi befreundet? Da kann jemand wie ich wohl nicht mithalten.
“Was redest du da jetzt schon wieder! Natürlich bist du ein...ach, was soll das! Yama-kun, bitte sag‘ mir doch, was ich machen soll!“
Warum kennt er sie so wenig, wenn sie schon so lange befreundet sind?
Kann es sein, daß sie sich verändert hat? Daß sie nicht mehr nur die Sora ist, die mit ihm rumtobt, und mit ihm über Fußball labert?
Das ist eine Seite von ihr, die noch keiner von uns kennt. Immer war sie die Vernünftige, die große Schwester, die sich um alle kümmert. Daß sie auch mal fertig ist, und Hilfe braucht, hat sie noch keinem von uns gezeigt. Auch Taichi und Koushirou nicht.
Sie wollte nie, daß irgendjemand merkt, wie sie sich wirklich fühlt. Woher kommt mir das alles nur so verdammt bekannt vor?
“Als erstes solltest du aufhören, sie so dumm anzulabern. Wenn du sie ständig zuquatschst, kann sie sich überhaupt nicht beruhigen.“
“Aber ich hab‘ ihr doch nur gesagt, daß wir sie brauchen....“
“Aber nicht so, verstehst du, nicht auf diese Weise! Du mußt ihr das anders sagen, du mußt...“
Es gab anscheinend jemanden, der genau wußte, was zu tun war. Mein Brüderchen lief zu Sora hinüber, nahm ihre Hände, und sagte leise. “Danke, daß du uns beschützt hast!“
Unter Tränen lächelte sie. “Ich konnte euch doch nicht im Stich lassen.“
Als der Rest der Truppe da war, erzählte sie uns endlich was los war. Das Lügendidschi hat ihr verzapfen wollen, daß ihr Wappen, das Wappen der Liebe niemals leuchten würde. Sie habe keine Ahnung was Liebe sei, und könne auch überhaupt nicht lieben.
Ich raffte nicht, wie sie auf den Blödsinn reinfallen konnte, aber ich hielt meine Klappe. Ich hab‘ mich auch nicht grad intelligent verhalten, als das Lügendischi mit seiner Scientologyrhetorik daherkam. Es sollte eine Anwaltskanzlei aufmachen, damit könnte es fett Kohle scheffeln. Oder gleich ab in die Politik!
Natürlich hatte es auch diesmal gelogen. Sora’s Wappen leuchtete. Und auch die Wappen von Mimi, Jou und Takeru würden eines Tages leuchten, da waren wir uns ganz sicher. Hundertpro!
Dieser Abend war der friedlichste seit langer, langer Zeit.
Wir campten an einem Fluß, und machten erstmal Planschsession. Diesmal kriegten wir sogar Mimi dazu, mitzuplanschen. Weil Prinzessin eben Prinzessin ist, behielt sie auch das Oberteil an, obwohl sie da oben kein bißchen anders aussieht als der Rest von uns. Jou, dieser Schlappschwanz traute sich aber nicht, sie unterzutauchen. Sie dagegen schien ihn ganz besonders auf dem Kieker zu haben.
Auch die Didschis plantschten fröhlich mit, bis auf Gabumon. Keine zehn Pferde bringen den Kerl ins Wasser.
Später grillten wir Fische und Gemüse und Taichi stellte sich dabei mindestens genauso dumm an, wie Jou.
“Von diesen Typen ist echt einer blöder wie der andere,“ sagte Mimi zu Sora, die ihr eifrig beipflichtete. Als Taichi und Koushirou auch noch anfingen, damit rumzuprahlen, wer das coolere Ultrabonzleveldidschi hat, kriegten sich die Mädels vor Lachen gar nicht mehr ein.
“Jedenfalls hätte ich mir wegen meines Wappens überhaupt keine Sorgen machen brauchen,“ sagte Sora vergnügt, “es hat ja nun geleuchtet.“
“Weil du mich sooo lieb hast,“ quietschte Piyomon, und Taichi kreischte dazwischen: “Ich will auch was von Sora’s Liebe abhaben!“
So ein blöder Volltrottel!
Aber ich hab‘ keinen Bock mehr auf Streß. Jetzt, wo wir endlich alle wieder zusammen sind, und wir endlich, endlich mit der ewigen Streiterei aufgehört haben, werd‘ ich nicht mehr damit anfangen.
Ich werd‘ nicht mit Taichi reden, es ist alles okay, so wie’s jetzt ist.
Er würd’s ja eh nicht checken, also was soll’s? Er hat mir nie gesagt, was er damals in der Wüste von mir wollte, und er hat auch nicht nachgefragt, was ich von ihm wollte, also kann das alles so wichtig nicht gewesen sein.
Nein, es muß einfach nicht sein. Er ist mir nicht egal, ich kann mir nix mehr vormachen. Aber deswegen muß ich mich noch lange nicht wie der letzte Idiot aufführen. Das überlaß ich gerne den ganzen anderen Leuten, die immer an Taichi drankleben.
“Na, willst du nicht ein bißchen Liebe von mir, Jou-kun?“ Mit einer koketten Geste überreicht Mimi Jou eine Handvoll Samenkörner.
Als der im Gesicht knallrot anläuft, und an seinem imaginären Reiskuchen rumwürgt, kriegt sie die reinsten Kicheranfälle.
Aber die Klappe macht er natürlich nicht auf, der Feigling.
Das Feuer ist schon ziemlich weit runtergebrannt, aber noch denkt keiner ans Schlafen. Nur mein Brüderchen ist auf meinem Schoß weggepennt. Neben mir am Flußufer hockt Jou, und wir unterhalten uns leise, um Takeru nicht aufzuwecken.
So ein Fluß ist irgendwie fast so cool wie ein See.
“Stör‘ ich euch?“ Ohne großartig eine Antwort abzuwarten, pflanzt sich Mimi neben uns. “Die labern nur wieder über Fußball, da kann ich eh nicht mitreden!“
Mit einem Kopfnicken deutet sie zum Feuer hinüber, wo Taichi, wie üblich, zwischen Sora und Koushirou flackt, und große Reden schwingt.
“Odaiba Super Kickers!“ grinst Jou. Wußte ja gar nicht, daß sich das schon so rumgesprochen hat.
Mimi kichert schon wieder “Mach doch auch ‘nen Club auf, großer Anführer! Die Super...hm, was könnte man da nehmen?“
“Weiß ich nicht! Es müßte etwas sein, was wir alle gemeinsam haben. Da gibt’s nicht so viel.“
“Ich glaub‘ ja nicht, daß sie uns dazu kriegt, pinke Sachen zu tragen, also ist das Einzige, was mir einfällt...“
“Ja, was?“ Mimi und Jou sehen mich erwartungsvoll an.
“Rummotzen! Ich glaub‘ das können wir alle drei ganz gut!“
Wie auf Kommando setzt Jou seine Jammermiene auf, und Mimi stößt ein weinerliches “Huäääh!“ aus. Ich versuche, einen meiner Wutanfälle aus dem Ärmel zu zaubern, der mir leider jämmerlich mißlingt, da ich mich gleichzeitig vor Lachen kringele.
Mein Brüderchen murmelt irgendwas Unverständliches im Schlaf, und dreht sich auf die andere Seite.
“Was macht ihr denn da?“ Ganz ungewohnt für Taichi, daß es auch mal lustig zugehen kann, wenn er nicht im Mittelpunkt steht.
“Wir führen Gespräche für Erwachsene,“ erklärt Jou und wirft sich wichtigtuerisch in die Brust.
“Spiel‘ dich nur nicht so auf!“ Mit beleidigter Miene dreht Taichi sich um, und marschiert davon.
Ich seh‘ ihm nach, als er zu Sora und Koushirou zurückgeht. Obwohl, gehen ist nicht so ganz der richtige Ausdruck, er hüpft wieder mal über Stock und Stein, wie ein besoffener Geißbock. Jede Menge Wuschelhaare, die mal wieder aussehen, wie Kraut und Rüben, hüpfen auf seinem Taucherbrillenbrain mit.
Es wird ganz schön schwer werden, nicht die ganze Zeit an ihn zu denken.
4. Nagareboshi ni Onegai wo
(Ich wünsche auf eine Sternschnuppe)
Mahou wo tsukaeru you ni nagareboshi ni onegai wo.
Wenn eine Sternschnuppe fällt, wünsche ich mir, daß ich zaubern könnte.
- Takeru -
Tsuzuku... Weiter geht's in Band 2
Texte: Moshi Moshi. Hier ist Yama-chan’s anrufbeantwortendes Digimon. Alle Rechte an Digimon liegen bei Toei Animation. Dies ist eine Fanfiction und ich verdiene keinen Cent daran.
Bildmaterialien: Die verwendeten Bilder stammen von der Seite www.digimonspirit.net
Übersetzung: Die verwendeten Songtexte sind von mir ins Deutsche übertragen worden.
Tag der Veröffentlichung: 02.09.2008
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meinen Taichi und für alle Digimon-Fans da draußen :-)