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Titel

Das Straßburg-Massaker

 

- Ein Verfall-Prequel -

 

Bookrix Edition

 

F.W.G. Transchel

 

 

Copyright © F.W.G. Transchel 2018

www.fwgt.de

Rechtliche Hinweise am Ende des Buches.

 

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Und nun: Viel Spaß mit „Das Straßburg-Massaker“.

 

Dein F.W.G. Transchel

Das Straßburg-Massaker - Ein Verfall-Prequel

Das Straßburg-Massaker

 

Sie schnippte die Dokumente auf dem Pad hin und her. Sicher, die Kabine war schallisoliert und genügte höchsten Ansprüchen. Auch die Turbinen ließen allenfalls ein leises Wimmern erahnen, und auch nur dann, wenn man wie Ines Schultheiss genau wusste, dass man in einem Flugzeug saß. Doch diese Anspannung, die Schwere, die Besorgnis, all das ließ sich nicht aussperren.

Einen Atemzug später schloss Ines Schultheiss die Augen und konzentrierte sich ganz und gar auf den eigenen Herzschlag.

Da war keine Anspannung mehr, kein Gedanke daran, welche wichtigen Menschen in diesem Flugzeug gesessen und, mal mehr, mal weniger erfolgreich, die Welt gerettet hatten. Das alles spielte keine Rolle. Aber das war auch nicht der Grund ihrer Besorgnis. Wie eine viel zu flinke Fledermaus raste dieser eine Gedanke in ihrem Kopf umher:

Augments.

Ines wusste, wie sie dachten, wie sie handelten, und in der Regel sogar, was sie wollten.

Das war immerhin ihr Job. Profiler. Psychologische Soldatin im eugenischen Krieg.

Nur dass das beinahe ein Jahrzehnt zurücklag.

Sie schluckte und betrachtete ihr Dossier erneut:

Geiselnahme im ehemaligen Europäischen Parlament.

Ob ihr Schwindel von den mäßigen Turbulenzen des Fluges oder der Tragweite dieser Entwicklung herrührte, vermochte sie für den Moment nicht einmal mit all ihrer Expertise zu beantworten.

Der kurze Blick auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten bis Straßburg.

Zwanzig Minuten, und sie hatte rein gar nichts herausgefunden.

Weil es nichts herauszufinden gab. Die Augments waren, wo möglich, genetisch wiederhergestellt oder zumindest finanziell für ihr Exil auf den Färöer-Inseln entschädigt worden und hatten sich schließlich den Bedingungen der neuen Ordnung gefügt.

Und dann kam das. Wie aus dem sprichwörtlichen Nichts.

Ines Schultheiss lehnte sich zum Fenster und betrachtete die geschlossene Wolkendecke über dem Rheingraben. Hörte die Landeklappen der Turboprop-Maschine ausfahren und schnallte sich vorschriftsgemäß wieder an.

Man hatte sie gerufen, weil sie als Expertin galt. Natürlich wusste sie, dass zumindest die örtlichen Einsatzkräfte ihre Unsicherheit in der Sache nicht würden sehen können, aber das spielte keine Rolle. Die Augments würden es.

Nein, mehr noch. Sie wusste, dass womöglich alles von ihr abhing. Und dass sie nicht einmal die winzigste Idee hatte, wo sie anfangen sollte.

 

#

 

Das Abstellen der Sirenen signalisierte Ines, dass sie ihr Ziel erreicht hatte. Die plötzliche Stille auskostend, sah sie hinter den verspiegelten Scheiben der Limousine, wie der Wagen sich durch die Mengen an Schaulustigen - vielleicht besorgte Bürger und Heerscharen von Medienvertretern - quälte, ehe man ihr vor den Stufen zu einem abgeriegelten Gebäude die Tür öffnete.

Weder nahm sie die Atmosphäre der Elsass-Metropole auf, noch kümmerte sie sich um den lauen Abend, sondern war ganz darauf fixiert, den Männern von Europol zu folgen.

Kommandozentrale.

Boulevard de Dresde.

Irgendeine Industriebrache am Rande der Innenstadt.

Ohne weitere Orientierung folgte sie ihren Kollegen. Rechts. Links. Geradeaus. Links.

»Bonsoir, Madame Schultheiss.«

Vor ihr stand ein großgewachsener, ergrauter Mann in abgetragenem, beigefarbenem Tweedsakko und blickte sie aus weit aufgerissenen Augen an.

»Guten Abend …«

»Laurent Hirsch«, sagte der Mann und reichte ihr die Hand. »Ich bin der Einsatzleiter … zumindest bis jetzt.«

Ines nickte und ignorierte die Aufforderung zur Nachfrage - sie hatte nicht gerade große Lust, gleich zu Anfang die Subtilitäten der Zuständigkeiten zwischen der Elsässer Gendarmerie, Europol und den Süddeutschen Ordnungskräften zu studieren und zu entwirren.

»Was können Sie mir sagen?«

Hirsch seufzte.

»Ich hatte gehofft, dass dieses Gespräch umgekehrt ablaufen könnte. Wir wissen nur, dass sie da drin sind, Geiseln genommen haben und dabei sind, alle Fenster - und glauben Sie mir, dieses verdammte Beton-Relikt hat viele Fenster - mit Planen abzudecken.«

Nachdenklich nickte sie. »Keine Forderungen oder Leute, die nachträglich herausgeschickt worden wären?«

»Davon ist uns nichts bekannt«, sagte er. »Folgen Sie mir.«

Mit einer übertrieben höflichen Geste bedeutete Hirsch ihr, weiter in das wie ein geisterhaftes Gerippe entkernte Gebäude vorzustoßen, und brachte sie in die, soweit sie sehen konnte, lange verlassene Fertigungshalle hinein. In dem Moloch, der früher der Massenproduktion von längst aus der Mode gekommenen Verbrauchsgütern gedient haben mochte, standen provisorisch aufgebaute Tische, lustlos und hastig vollgestellt mit Monitoren und Mobilcomputern.

»Sie haben alles im Blick«, sagte sie anerkennend, nachdem sie überschlagsweise annehmen konnte, dass sämtliche Winkel außerhalb des Gebäudes von Kameras observiert wurden.

»Innenansichten?«

Hirsch hob eine Augenbraue und blickte sie mit einer seltsam französischen Mischung aus Belustigung und Scham an. Dann nahm er zwei Finger zwischen die Lippen und stieß einen Pfiff aus. »François!«

Eilig sprang ein hagerer junger Mann aus einem der Behelfsstühle, ging strammen Schrittes auf sie zu und kam vor Hirsch zum Stehen. Ines hatte aus seiner Haltung beinahe erwartet, dass er salutierte, doch streckte stattdessen nur die Brust etwas heraus. »Monsieur le Commissaire?«

»Das ist Madame Schultheiss aus … Neu-Hamburg?«, sagte Hirsch, wartete Ines‘ Nicken ab und fuhr fort: »Sie hat Erfahrung mit … Augments.«

»Wunderbar«, sagte François, zuckte leicht zusammen und gab ihr die Hand. »François de Betancourt. Ich bin …«

»Er ist zuständig für die technischen Operationen«, sagte Laurent Hirsch knapp.

Ines bemerkte, dass er damit anscheinend unbedingt verhindern wollte, dass der junge Mann in irgendein hierarchisches Fettnäpfchen trat. »Zeigen Sie ihr die Aufzeichnungen der Foyer-Kameras«, beeilte er sich, hinzuzufügen.

De Betancourt nickte, deutete auf zwei der Bildschirme neben dem Platz, von dem er aufgesprungen war, und begann, wie wild auf seine Tastatur einzuhämmern.

Die dunklen Bildschirme füllten sich mit etwas, das man für Überwachungsaufzeichnungen halten musste. Ines erkannte, wie eine Gruppe dunkel gekleideter Personen durch die breiten, gläsernen Eingangstüren kam. Ohne Aufruhr verteilten sie sich in der Halle. Dann ging eine Person zu einem der Anmeldungsschalter und flüsterte der jungen Hostess etwas ins Ohr. Sie stellte sich noch vor, wie die hoffnungslos verpixelte Frau bleich wurde, dann folgte lediglich Rauschen auf allen Kanälen.

»Haben Sie eine Ahnung, wie sie das gemacht haben?«, fragte Hirsch Ines Schultheiss.

»Die Aufzeichnungen unterbrechen?«

Laurent Hirsch nickte.

»Das finden wir schon heraus. Für mich persönlich scheint dringlicher, zu begreifen, mit dem wir es zu tun haben und … was ihre Ziele sind.«

»Das Europäische Parlament ist, obwohl es nur noch als Tagungszentrum genutzt wird, ein starkes Symbol«, sagte Hirsch.

Ines nickte abwesend. Was der französische Einsatzleiter sagte, war zwar richtig, traf aber nicht unbedingt den Kern der Sache.

»Wer immer hier am Werk ist, will Aufmerksamkeit. Die Frage bleibt dennoch, aus welchem Grund.«

»Revisionismus«, antwortete Hirsch auf der Stelle. Für ihn gab es daran keinen Zweifel.

Für Ines schon. Nachdenklich legte sie den Kopf zur Seite und betrachtete die Sekunden vor dem Bildausfall, die noch immer auf den Monitoren François de Betancourts liefen.

»Tja, das werden wir erst sicher wissen, wenn wir ihre Forderungen hören.«

Hirsch tippelte von einem Fuß auf den anderen.

»Die Regierungsvertreter, mit denen ich in Kontakt stehe, sind nicht unbedingt in der Stimmung, mit Terroristen, augmentiert oder nicht, zu verhandeln.«

»Und die Geiseln?«

Der Einsatzleiter lächelte wissend. »Glauben Sie etwa, dass die Stadt Straßburg keine Notfallpläne für dieses spezielle Szenario hätte?«

»Eine Kommandoaktion«, sagte Ines ungerührt und fragte sich auf der Stelle, warum man sie eigentlich herbeordert hatte, wenn ohnehin alles beschlossene Sache war. »Worauf warten Sie also?«, fragte sie gereizt.

»Auf Sie«, erwiderte Hirsch. »Sie müssen uns sagen, was wir zu erwarten haben.«

Ines ließ ein langgezogenes »Ahhhh« entweichen und musterte Laurent Hirsch. »Wissen Sie, Profiling ist keine Wahrsagerei, sondern harte Arbeit. Ich brauche mehr Informationen.«

»Sie wissen alles, was wir auch wissen«, sagte er und schien dabei nicht zu begreifen, welchen Offenbarungseid er damit leistete.

»Das reicht nicht, um Einschätzungen über Ausrüstung, Vorgehen und Ziele der Geiselnehmer abzugeben.«

Hirsch nestelte ein großes, verziertes Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche, schnäuzte sich herzhaft und sah Ines dann eindringlich an. »Jede Stunde, die verrinnt, könnte Menschenleben kosten.«

»Und jede Information, die wir ignorieren, könnte das ebenso. Monsieur Hirsch, ich bin auf Ihrer Seite. Aber ich brauche … etwas.«

Seufzend breitete er die Arme aus und sah ziellos in die Betonwüste hinter den provisorischen Aufbauten der Einsatzzentrale. »Monsieur de Betancourt wird Ihnen alles beschaffen, was Sie wollen - wenn wir es haben. Ich erwarte in zwei Stunden einen ersten Bericht, verstanden?«

»Verstanden«, sagte Ines und korrigierte sich in Gedanken, dass er anscheinend keineswegs verstanden hatte, was sie konnte und was nicht - vor allem nicht zaubern.

 

#

 

»Diese Leute müssen illegal hierhergekommen sein«, sagte François de Betancourt im Brustton der Überzeugung.

Ines Schultheiss fiel etwas auf, das sie bisher nicht in Frage gestellt hatte - die Identität der Geiselnehmer. »Woher wissen Sie, dass es sich um augmentierte Menschen handelt?«

»Oh, das«, murmelte der junge Elsässer und tippte auf sein Keyboard ein. »Sehen Sie mal hier …«

Ein gänzlich anderer Ausschnitt der Fassade erschien und zeigte eine Szene nackter Waschbetonwände. Dann, nach einigen Sekunden, hielt ein Transporter auf dem ebenfalls aus Beton gegossenen Weg davor. Vier Maskierte sprangen heraus. Als sie sich kaum zwei Meter vom Wagen entfernt hatten, züngelten winzige Explosionen aus dem Motorblock und setzten das ganze Fahrzeug in Flammen.

Während die Maskierten scheinbar ohne Eile an der Kamera vorbei liefen, sah sie es.

»Sehen Sie den zweiten von links?«, fragte de Betancourt.

Ines nickte. »Er trägt das Mal.« Ein Schauer lief ihren Rücken herunter und erinnerte sie daran, dass sie stets gehofft hatte, es niemals wiedersehen zu müssen. Um die Doppelhelix wand sich die stilisierte Pixelschlange der eugenischen Bewegung und verlieh der Tätowierung zugleich eine unwirkliche Konnotation.

»Und die anderen?«, fragte sie.

»Schwer vorzustellen, dass jemand mit Augmentierten zusammenarbeiten würde«, sagte François de Betancourt.

»So schwer wie ein Angriff auf genau diesen Ort?«

Der Elsässer schüttelte den Kopf. »Es fällt uns Straßburgern zugegebenermaßen schwer, es einzugestehen, aber wahr ist, dass wir keineswegs mehr der Nabel der europäischen Einigung sind. Und dieses Gebäude ist ein Mausoleum der Geschichte geworden, auch wenn es weiter verwendet wird.«

»Viele Menschen werden das anders sehen und vor allem den symbolischen Charakter hervorheben«, erwiderte Ines.

»Was also sollen wir tun?«

Nachdenklich blickte Ines auf das Standbild mit dem unmissverständlichen Symbol der eugenischen Bewegung. Was man ihr berichtet hatte, stimmte also, und doch ergab es noch keinen Sinn.

»Ich brauche Kaffee.«

Irritiert sah François de Betancourt die Neu-Hamburger Profilerin an. Der Bruch ihres Gesprächs schien ihn mehr zu stören, als sie erwartet hatte, doch war ihre Bitte keineswegs unwillkürlich. Sie musste die Situation analysieren und für diese Art von kognitiver Betätigung brauchte sie Koffein. Viel Koffein.

Er stand schließlich einigermaßen missmutig auf, ging hinter einen vielleicht zwanzig Meter entfernten Bretterverschlag und kam mit einer vollen Kanne Filterkaffee und zwei großen Stücken Gugelhupf zurück.

Ines deutete eine Verbeugung an und kippte sofort einen halben Becher der bräunlichen Brühe in sich hinein.

»Also?«

Die Profilerin lächelte wissend. »Es muss erst … ankommen.«

»Verstehe.«

Ines bezweifelte, dass der junge Elsässer das tat, doch sie verzichtete darauf, ihn dafür zu tadeln. Sie würde bei Null anfangen.

»Ich brauche Folgendes«, sagte sie: »Alle Informationen über den ausgebrannten Transporter - ich denke, dass er unter falschem Namen angemietet worden ist, aber womöglich kann der Verleih uns dennoch einige Hinweise liefern. Ferner möchte ich die Passagierlisten des Flughafens hier und in Paris der letzten Tage und außerdem muss ich mit jemandem von den Färöern sprechen.«

»Ich äh … werde die Informationen besorgen«, versicherte der Mann. Sofort bemerkte sie, dass er sich wohler fühlen würde, wenn sie ihn dafür alleine ließe, und so trat sie ein paar Schritte von seinem Tischchen weg, überblickte die improvisierte Einsatzzentrale und erspähte die gusseiserne Wendeltreppe am anderen Ende der Halle.

Als sie das flache Dach der ehemaligen Fabrik betrat, wehte ihr ein viel zu warmer Abendwind ins Gesicht. Flach auf die verteerten Bitumen-Bahnen gekauert lagen fünf gänzlich schwarz gekleidete Männer und blickten durch die Sucher ihrer Präzisionsgewehre. Sie ließen sich von Ines nicht stören, sorgten jedoch immerhin dafür, dass auch sie betrachtete, was die Männer nicht aus den Augen lassen durften. Ein paar hundert Meter hinter der Industriebrache des Boulevard de Dresde lag das objet de question. In das majestätische Purpur der Abenddämmerung getaucht, erahnte sie die ihr vage bekannte Form des Parlamentsgebäudes, das aus einem halbkreisförmigen Büroanteil und dem darüber hinausragenden Stahlgerippe des Plenums bestand.

»Was wollt ihr?«, flüsterte sie in die Dämmerung hinein und wusste doch auch, dass hier und jetzt keinerlei Hoffnung auf Antwort bestand.

»Madame Schultheiss!«

Beherrscht drehte sie sich so formvollendet um, wie nur psychologisch ausgebildete Menschen es konnten, wenn sie in Panik angebrüllt wurden.

»Ja?«

Atemlos stand François de Betancourt an der schmalen Eisentreppe. »Wir haben ein Bekennervideo.«

Die linke Augenbraue wanderte in die Höhe. Ein letzter Blick auf die Silhouette des Parlaments in der Ferne.

»Ich bin gleich da.«

 

#

 

Der Mann auf dem Video war bar jeder Maskierung, glattrasiert und ordentlich. Er trug einen Militäroverall, doch wirkte er weder reaktionär noch billig.

»Männer und Frauen unter meinem Kommando haben heute Morgen, 27. Juli 2069, das ehemalige Gebäude des Europäischen Parlaments besetzt. Wir führen diese Operation durch, um die offizielle Missbilligung der augmentierten Kolonie der Färöer der institutionalisierten Veränderung des Erbguts von genauthentischen Menschen im Rahmen von sogenannten lebensverlängernden Eingriffen in den natürlichen Alterungsprozess auszudrücken. Hierbei beziehen wir uns hauptsächlich auf die Tätigkeiten und Produkte von Organisationen wie der Breyer Health AG, Atemzug

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: F.W.G. Transchel
Bildmaterialien: F.W.G. Transchel
Cover: F.W.G. Transchel
Lektorat: Sabine Maria Steck
Satz: F.W.G. Transchel
Tag der Veröffentlichung: 22.12.2018
ISBN: 978-3-7438-9155-5

Alle Rechte vorbehalten

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