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- Prolog -



Der Wind zischte durch die Straßen und spielte ein böses Spiel mit den Schneeflocken. Ein Mädchen und ein Junge standen sich im Stadtpark gegenüber. Sowohl die Wiese als auch die Bäume und Bänke waren geschmückt mit den zierlichen Schneeflocken, die ununterbrochen vom Himmel fielen.
„Bitte“, flehte der Junge das Mädchen an.
Sie vergrub ihr Gesicht unter einer, vom Schnee bedeckten, Kapuze. Ihre langen schwarzen Haare hingen an den Seite heraus. Ihre roten Lippen gaben einen richtigen Kontrast, zu dieser kalten Jahreszeit.
„Ich kann nicht“, presste sie mühselig hervor. „Sie sind meine Familie, sie waren für mich da. Ich kann sie niemals im Stich lassen!“ Eine Träne kroch über ihr Gesicht und fiel auf den schneeweißen Boden.
„Komm mit mir, bitte. Ein Neuanfang, nur du und ich!“ Er hob zärtlich ihr Kinn hoch und streifte ihr die Kapuze vom Kopf.
Das Mädchen schaute den Jungen mit ihren verweinten blauen Augen an.
Er legte seine Arme um ihre Hüfte und zog sie an sich. Der Junge vergrub sein Gesicht in ihre pechschwarzen Haare.
„Ich liebe dich, du bist mein ein und alles!“, hauchte er in ihr Ohr.
Bei seinen Worten, zuckte das Mädchen kurz zusammen und der Junge streichelte beruhigend ihren Rücken.
„Ich ...“, setzte sie an, allerdings überrannte ihre Verzweiflung das arme Mädchen. Sie schluchzte laut auf.
„Bitte.“
Der Schnee rieselte weiter unwiderruflich auf die Erde nieder und hüllte sie in eine wunderschöne Eislandschaft.


Kapitel1: Das Zeichen



Ein neuer Tag. Ein Tag, wie jeder andere. Jedoch bot dieser Ablenkung und Abwechslung. Ich wohnte mit meiner Familie, zumindest das was davon übrig geblieben war, meiner Mutter, in Maine. Es war eine kleine Stadt in Nordamerika. Meine Familie lebte hier seid Generationen. Noch nie zog ein Familienmitglied es in Erwägung, diese Stadt zu verlassen. So auch meine Mutter und ich nicht. Selbst nicht nach dieser schweren Zeit.
Unser Haus ist zwar groß und hübsch aber in keinster Weise protzig. Damals, musste es groß sein. Als Grandma, Grandpa, Vater und mein Bruder noch hier lebten. Heute, war alles anders.
Meine Mutter, Lara, verlässt das Haus nur noch wenn wir neue Lebensmittel brauchen oder sie ihrer geliebten Gartenarbeit nach geht. Sie liebte den großen Garten. Egal für welche Jahreszeit, Lara wusste immer welcher Baum, Strauch oder Blume diese überleben würde. Manchmal, wenn ich auf meiner Fensterbank saß, beobachtete ich sie bei ihrem Hobby. Hin und wieder kamen neugierige Nachbarn vorbei und fragten Lara aus, woher sie all das Wissen hätte. Jedes Mal zauberte es ihr ein Lächeln auf die Lippen wenn sie über ihre Pflanzen reden konnte.
„Freust du dich denn garnicht?“
„Klar, es ist Freitagabend“, erwiderte ich und pustete meine frisch rot lackierten Nägel hart.
„Du siehst so verträumt aus“, sagte meine Freundin knapp und tanzte vor meinem Kleiderschrankspiegel rum.
Eine geschlagene Stunde ging das jetzt schon. Nie, wirklich nie, konnte sie sich schnell für ein Outfit entscheiden. Ich brauchte zwar auch meine Zeit aber solange wie Sarah Freitagsabends brauchte, war es Folter für mich. Wenn man uns zu sehen würde, würde man wohl möglich denken; „Hey, so ist das halt bei den Mädchen!“ Sicher … Dann könnten diese Kerle, die so etwas behaupten, sehr gerne an meiner Stelle die Folterung über sich ergehen lassen. Eigentlich eine gute Idee, schließlich machten Frauen sich für Kerle hübsch. Also, wieso wurden sie verschont?
Wenn es wenigstens nur Freitags wäre, okay, aber den Samstag und Sonntag gab es leider auch noch.
„Das bildest du dir nur ein Sarah.“ Einen kleinen Seufzer konnte ich mir allerdings nicht unterdrücken.
„Wahrscheinlich, sag mal wie findest du das?“ Wie auf dem Präsentierteller stand sie vor mir und zupfte sich ihr sehr, sehr, kurzes Kleid zu recht.
„Passt super. Betont deine blonden Haare.“ Ich lächelte sie an. Im gleichen Moment sah sie ziemlich erleichtert aus und lächelte mich glücklich an.
„Ja oder? Ich glaube wir haben es Leyla.“ Fröhlich drehte sie sich erneut zum Spiegel um.
Plötzlich riss sie mich, an den Handgelenken, von meinem Bett hoch und schleifte mich vor meinen Kleiderschrank.
Perplex schaute ich sie an.
„Schau mal, perfekt oder?“ Stolz betrachtete sie unsere Spiegelbilder.
Ich trug ein schwarzes Cocktailkleid, was perfekt meine langen Beine betonte.
Sarah trug ebenfalls ein Cocktailkleid. Allerdings war ihres feuerrot.
Meine schulterlangen schwarze Haare trug ich 24 Stunden am Tag offen. Damals, liebte ich meine Haare. Mittlerweile jedoch betonten sie meine blasse Haut und meine, viel zu auffälligen, blauen Augen. Ich war machtlos gegen diese Blässe. Ich hing jeden Tag bis spät in die Nacht mit meinen Freunden ab. Sie waren immer für mich da, im Gegensatz zu meiner Mutter, die lieber irgendein neues Grünzeug eingrub. Theoretisch müsste ich eine normale Hautfarbe haben. Naja, was nicht soll, dass soll halt nicht!
„Ja.“ Ich stoß sie freundschaftlich in die Seite.
Gerade als meine Freundin erneut an ihrem Kleid anfing rum zu ziehen und zu recht zu rücken, verließ ich mein Zimmer, in der Hoffnung sie würde mir endlich zum Auto folgen. Ansonsten wäre der Abend schon gelaufen dabei hätte er noch nicht einmal angefangen.
An der Haustür blieb ich stehen und drehte mich Richtung Treppe um.
„Ich gehe jetzt!“, rief ich hoch.
Keine Reaktion.
„Okay, dann fahr ich ohne dich!“ Ich lächelte. Und Tada! Wer kam da die Treppe runter gestürmt? Sarah! Der Trick klapte jedes Mal, natürlich würde ich nicht ohne sie fahren aber wie sollte ich sie sonst von meinem Kleiderschrank weg kriegen?
„Mach doch nicht so einen Stress“, zickte sie mich an.
„Wir sind jetzt schon zu spät. Die Jungs vermissen uns bestimmt.“
Ich nahm meinen Autoschlüssel vom Schuhschrank und ging die Einfahrt entlang, bis ich merkte, dass ich alleine war. Seufzend drehte ich mich um.
„Sarah ...“
Sie saß in einer Hocke vor unserem roten Rosenbäumchen, der direkt neben der Haustür seinen Platz hatte.
„Was machst du da?“
Stille.
Ich seufzte hörbar aus und setzte mich auf den Fahrersitz von meinem schwarzen Audi. Genervt starrte ich auf den Rücken meiner Freundin. Was machte sie nur wieder? Nachdenklich betrachtete ich, an der innenseite meines rechten Handgelenkes, mein Tattoo. Ich hatte es mir mit zwölf stechen lassen, es symbolisierte meine Entscheidung. Eine Entscheidung für mein Leben. Es zeigte den Kopf eines aggressiven Wolfes, der seine bedrohlichen Zähne fletschte. In der unteren rechten Ecke war ein verschnörkeltes „L“ abgebildet. Das L stand für mich, Leyla.
Ich schreckte hoch als plötzlich die Beifahrertür aufgerissen wurde.
„Träumerin!“ Misstrauisch betrachtet Sarah mich bis ihr Blick, schließlich, auf meinen umgedrehten Arm wanderte.
„Bereust du es?“ Ihre Stimme tropfte förmlich von Misstrauen.
„Was denkst du bitte von mir? Niemals würde ich das bereuen, nie!“, zischte ich sie an und schaute demonstrativ nach vorne.
„Gut.“ Sie lächelte mich wieder an. Nichts war mehr von ihrer kurzen Stimmungsschwangung, gerade eben, zu sehen.
Plötzlich kramte sie in ihrer schwarzen Tasche und hielt mir eine Flasche Wodka entgegen.
„Wo hast du die denn her?“ Überrascht nahm ich ihr Angebot an und nahm die Flasche.
„Gut versteckt!“ Sie grinste. „Deine Mutter schaut hinter diesem Busch eh nie nach, außerdem, dachte ich, da wir sowieso zu spät kommen, könnten wir uns wenigstens aufwärmen.“
Wir nahmen Beide einen ordentlichen Schluck kühlen Wodka. Das gewohnte brennen breitete sich sofort im Hals aus. Sehr gut, ich hatte den ganzen Tag schon genug nachgedacht, dass war das was ich jetzt brauchte. Alkohol. Und am besten jede Menge.
„Hier, die habe ich von Justin.“ Automatisch öffnete ich ihr meine Hand und sie ließ eine pinke Tablette in meine Handfläche fallen.
Ecstasy. Ich war nicht drogenabhängig, nein, aber ab und zu, beim feiern oder vergessen, half diese Kombination am besten. Ich kannte kein besseres Mittel.
„Du solltest dich bei ihm bedanken“, hauchte ich als ich die Tablette mit dem Alkohol runter gespült hatte.
„Überlass das nur mir.“ Verführerisch lächelte sie und wandte dann ihren Blick ab.
Ich ließ meinen Audi anspringen und sofort begrüßte er mich, mit dem gewohnten Geheul.

Draußen war es bereits stock dunkel. Die Laternen versuchten verzweifelt unsere kleine Stadt zu erleuchten. Ich rasste mit meinem schwarzen Audi über die leeren Straßen als würde ich mir eine wilde Verfolgungsjagd mit der Polizei liefern. Der Großteil der Ampel war zwar noch in Betrieb aber das störte mich recht wenig. Ich liebte es Auto zu fahren, ich liebte wie das Adrenalin mir durch den Körper schoss und ich liebte den starken Bass, der aus meinen Lautstärker strömte.
„Wer bremst der verliert.“ Sarah lachte.
„Oh ja.“ Ich stimmte in ihr lachen ein.
In kürzester Zeit waren wir am Ziel angekommen; dem BlueRush.
BlueRush war einer der angesagtesten Clubs in der gesamten Stadt. Er war jeden Tag brechend voll, eigentlich etwas, was ich überhaupt nicht mochte. Viele Menschen auf einem Haufen, dazu noch eng aneinander gequetscht. Eindeutig nichts für mich. Mehr konnte ich allerdings nicht an diesem Club aussetzen. Die Getränken waren der Hit und es gab mehrere Bereiche. Unter anderem 4 verschiedenen Tanzflächen, eine VIP-Ebene und mehrere Sitzmöglichkeiten.
Der größte Pluspunkt waren aber meine Freunde. Wir traffen uns jedes Wochenende im BlueRush, tranken Alkohol, tanzten und nahmen Ecstasy.
Mit Schwung knallten wir die Türen meines Audis zu und gingen Richtung Eingang. Eine Gruppe Jungs schaute uns hinterher, abwechselnd sahen sie zu meinem Auto dann wieder zu uns. Sarah entging der Anblick ebenfalls nicht.
„Frauen können halt sehr wohl Auto fahren, vorallem du.“ Sie zwinkerte mir zu.
Wir waren beide um die 1,69 und hatten die gleiche Statur. Häufig wurden wir für Schwestern gehalten. Ich weiß nicht, wer sich dieses dämliche Sprichwort mit Ying und Yang oder Gut und Böse ausgedacht hatte, allerdings nervte es tierisch wenn wieder die alt bekannten Sprüche kamen; „Die Blonde ist bestimmt die Liebe und die schwarz haarige die Böse. Wollt ihr was trinken?“ Allerdings hatten diese Typen nicht die geringste Ahnung, was wir waren und wie gefährlich wir sein konnten. So Ahnungslos.
Eine riesen lange Schlange hatte sich bereits an der BlueRush Hauswand entlang gezogen. Seufzend machte ich mich auf den Weg ans Ende der Schlange zu kommen. Allerdings wurde aus meinem Vorhaben nichts.
Sarah hielt mich an meiner linken Hand fest.
„Hey, wohin?“ Wenn sie um die 50 wäre, würden sich auf ihre Stirn nun Falten abbilden. Ich konnte es mir ziemlich bildlich vorstellen, dabei waren wir erst frische 19.
„Anstellen? Oder willste heute nicht mehr tanzen?“ Gegenfragen sind immer gut aber sie lockerte ihren Griff nicht.
„Ach, Leyla. Komm mit.“ Sie zog mich regelrecht zum Türsteher. Ich hatte nicht geringste Möglichkeit zum widersprechen, so schnell standen wir vorne.
Ganz vorne standen zwei Barbiepuppen. Ja, Barbiepuppen! Die zwei Mädchen waren abnormal zu geschminkt. Ihr Gesicht schrie förmlich; „Drück mich, ich habe genug Schminke für uns beide!“
Mit hoch gestreckter Nase betrachteten die Beiden Sarah und mich.
„Wir würden gerne rein.“ Sarahs Stimme war hart, so als würde sie keinen Widerspruch dulden.
„Soooo, wollt ihr das?“ Erstaunt über ihr selbstsicheres Auftreten fing der bullige Türsteher, der allerdings eine Glatze hatte, an lauthals zu lachen. Wäre ich noch die gleiche Leyla, wie vor ein paar Jahren, würde ich schreiend davon laufen und mich zu Hause, ins Bett schmeißen und, heulen. Aber … das war einmal!
Sofort kam das alt bekannte Gefühl in mir hoch. Niemand lachte uns aus. Ich streckte meinen Arm aus und drehte mein Handgelenk um. Provokativ räusperte sich Sarah und schaute zur Seite. Blitzartig verstummte der bullige, glatzköpfige Kerl und starrte auf mein Handgelenk.
„Hey meine zwei hübschen!“
Justin kam von hinten und legte einen Arm bei Sarah um die Schulter, den anderen um meine. Sarahs Kopf verharrte in der Position und ich schaute weiter dem Türsteher ins Gesicht.
„Wo warst du Justin?“ Ihre Stimme war wieder weicher. Jeder in meiner neuen Familie wusste, dass die Beiden ein perfektes Paar abgaben. Justin war etwa 1,80, hatte blonde verwuschelte Haare und wusste genau wie er seinen Charme einsetzen musste. Sarah machte das nichts aus wenn er sich mit anderen Mädchen unterhielt, schließlich, hieß das nicht direkt, dass er Fremd ginge. Und so war Justin auch nicht, er liebte Sarah. Das wusste jeder einzelne von uns.
„Ich habe uns noch was leckeres aus dem Auto geholt“, er schüttelte einen kleinen gefrierbeutelartigen Beutel hin und her. Kleine pinke Pillen rutschten dabei von einer, zur anderen Ecke. Ecstasy.
„Daraus wird nichts“, gespielt zickig schaute Sarah den, mittlerweile ziemlich ruhigen, glatzköpfigen Türsteher an.
Ein kurzer Blick, von Justin, auf mein Handgelenk, reichte aus. Er wusste was hier vor sich ging.
„Was ist das Problem?“ Die gleiche Härte, wie zuvor bei Sarah, lag in seiner Stimme.
Der Angesprochene starrte allerdings auf Justins Oberarm, wo ein kleines Stück, unter seinem T-Shirts, seines Tattoos raus schaute.
„Ich..... Also....“, stotterte der, ach so große, Türsteher.
„Leyla und ich haben es ihm gezeigt aber anstatt uns rein zu lassen, lässt er uns in dieser schrecklichen Kälte stehen“, unterbrach meine Freundin ihn.
Es war tatsächlich kalt. Ein kühler Wind zischte durch die Straßen, man merkte, dass es Winter wurde.
Fragend schaute Justin wieder auf mein Tattoo.
„Ja, dabei wollten wir nur feiern.“ Ich nickte bei meiner Bestätigung.
Als wenn der arme Mann noch nicht genug verschreckt wäre, hob Sarah spielerisch ihre blonden Haare hoch, sodass der bullige Türsteher für kurze Zeit, zum dritten Mal, das gleiche Tattoo sah. Das Motiv war das Gleiche, einzig und allein die Buchstaben waren verschieden.
J für Justin, S für Sarah und L für mich. Es war das Zeichen unserer Zusammengehörigkeit, meiner Familie.
„Es tut mir Leid!... Ich wusste.... Ich wusste nicht, dass.....“ Völlig verängstigt ging er zur Seite.
„Jetzt wird Party gemacht, meine hübschen!“ Justin legte jeweils eine Hand auf unsere Rücken und drückte uns durch die, mit blauen Neonlichtern beschmückte, Eingangstür.
Leise hörte ich noch wie Sarahs Freund mit dem Türsteher sprach; „Pass nächstes mal lieber auf, mit wem du dich anlegst!“
Dann wurde alles durch die laute Musik übertönt.


Kapitel2: Ein gefährliches Spiel



Wie erwartet war es im inneren des Clubs brechend voll. Die Tanzfläche war gefüllt von mehr als freizügigen Frauen, die tanzten als würde es keinen Morgen geben. Ich wollte mir erst garnicht ausmalen was diese Typen mit den betrunkenen Frauen noch alles vor hatten. Eng räkelten sich diese an den Männerkörper im Rhythmus der Clubmusik.
Normalerweise machte mir dieser Anblick nichts aus aber heute ekelte es mich irgendwie an.
„Was ist los mit dir?“, schrie Sarah gegen die Musik.
„Nichts, alles okay.“
„Was?“
Abwehrend ob ich meine beiden Hände und schüttelte leicht mit dem Kopf. Es war ein Wunder, dass sich niemand wegen dieser Musiklautstärke beschwerte.
„Du bist heute extrem komisch!“
Meine Freundin packte mich an der Hand und zog mich mit sich durch die Menschenmenge. Wir quetschten uns an der ersten Bar vorbei und folgten einer schwarzen Stahltreppe, die in die obere Etage führte.
In dieser Etage war es ruhiger. Man hatte fast das Gefühl man hätte das Gebäude gewechselt. Die Musik hallte nur noch leise in den Räumen wieder und die Bar war komplett leer. Links war ein Geländer wo kleine runde Tische mit Barhockern. Das Lichtspiel von der Licht und Nebelmaschine leuchtete ab und zu leicht auf diese Art Balkon.
„Hey Leute!“, begrüßte Sarah die Jungs, die es sich auf einer roten Couch bequem gemacht hatten. Automatisch lächelte ich.
„Da seid ihr ja endlich!“, begrüßte uns Thomas. Wir umarmenten jeden kurz und setzten uns dann dazu. Ich auf dem roten Sessel, der neben der langen Couch stand und Sarah, natürlich, neben ihrem Justin.
Sofort hatten ihre Hände die des anderen gefunden. Das Paar küsste sich innig und ich musste meinen Blick abwenden. Das war selbst mir zu intim, selbst wenn es -nur- ein Kuss war.
Thomas war der älteste von uns. Niemandem hatte er jemals sein wahres Alter verraten aber wir schätzten ihn um die 25. Ihm gehörte unteranderem das beliebte BlueRush. Er hatte Einfluss auf alle anderen Clubs in dieser Region deshalb ging man uns meistens aus dem Weg sobald man das Tattoo sah. Niemand wollte es sich verspielen in so einen Club gehen zu dürfen. Oder Angst um seinen Job hatte.
Schnell lächelte ich Thomas an als ich merkte, dass er gemerkt hatte wie ich ihn musterte und mir zu zwinkerte.
„Lust zu tanzen?“, flüsterte mir jemand ins Ohr.
Ich spürte einen Atem in meinem Nacken und er zauberte mir eine Gänsehaut auf dem Körper. Wieso antworte ich nicht?, dachte ich und schaute auf meine Arme, die fröstelten. Aber nicht vor Kälte.
„Hm?“, hackte die Stimme nach und zärtliche Lippen strichen mir über meinen Nacken.
„Wahrscheinlich hat unsere liebe Leyla durst“, lächelnd hielt mir Thomas eine Flasche ohne Aufschrift entgegen. Automatisch nahm ich sie entgegen und nahm einen Schluck. Der Alkohol brannte in meinem Hals.
„Ja, gerne“, antwortete ich endlich, zwar mit brüchiger Stimme wegen des Getränks aber immerhin hatte ich überhaupt ein Wort raus bekommen.
Natürlich stand Noah hinter dem Sessel. Fiesling!, dachte ich.
„Ich entführe mal Leyla“, sagte er an unsere Freunde gewandt und legte einen Arm um meine Taille.
Es war normal. Ich dachte mir nichts bei dieser Geste.
„Beeilt euch sonst ist nichts mehr übrig für euch!“, rief uns Justin hinterher. Danach ertönte das – Plop – von einem Korken.
Noah hob nur kurz seinen freien Arm hoch während wir die schwarze Stahltreppe hinunter gingen.
Er führte mich zur Tanzfläche. Die vielen Leute fielen mir überhaupt nicht mehr auf. Ich beboachtete Noah. Wie er sich bewegte, wie er die Mädchen anlächelte und wie er mir ab und zu einen Blick rüber warf. Ich hatte ihm die Aktion vorhin noch nicht verziehen. Er wusste ganz genau, dass ich am Nacken sehr empfindlich war.
„Was schaust du mich so böse an?“ Noah lachte.
„Das weißt du genau ...“ Ich nahm einen letzten großen Schluck aus der Flasche von Thomas und stellte sie auf den Tresen ab.
Sofort nutzte Noah die Situation aus und legte seine Arme, von hinten, um mich. Ich spürte seine Muskeln und seinen schnellen Herzschlag an meinem Rücken. Sanft strich er mir meine schwarzen Haare aus dem Nacken und strich erneut zärtlich mit seinen Lippen über ihn.
Diese furchtbare Gänsehaut!
„Das machst du extra“, flüsterte ich.
„Meinst du?“ Seine Stimme war meinem Ohr ganz nah.
„Ja....“
„Du ziehst mich halt an“, hauchte er mir in mein Ohr bevor er sich weiter an meinem Ohr, runter zu meinem Nacken durch knaberte.
Ich genoss diese Berührungen noch für einen kurzen Moment bis ich mich endlich wieder gefangen hatte. Ich drehte mich um und drückte ihn leicht rückwärts auf die Tanzfläche zurück. Noah hatte kurze braune Haare und grüne Augen. Er trug ein schwarzes, enges T-Shirt wo man seine Muskeln deutlich erkannte. Das war bestimmt auch die Absicht.
Ich lächelte bei dem Gedanken.
Noah spielte mit und lies sich auf die gewünschte Position drücken.
„Was wird das?“, grinste er mich böse an.
Ich stellte mich eng an ihn sodass unsere Körper sich berührten und flüsterte ihm ins Ohr;
„Du glaubst doch nicht, dass du ungestraft davon kommst!“
Im Augenwinkel sah ich, dass ein lächeln seinen Mund umspiegelte.
Gerade als das Lied wieder den Refrain abspielte führte ich seine zwei Hände zu meiner Taille und legte sie dort an. Das war die Möglichkeit mich zu rächen.
Hatte ich nicht beim betreten des BlueRush vor diesen Frauen geekelt? Ich war nicht besser. Für einen Außenstehenden war dieser Tanz eindeutig; Ich bot mich Noah an.
Ich bewegte mich im Takt der Musik und schenkte Noah verführerische Blicke. Als das Lied fast am Ende war drehte ich ihm meinen Rücken zu. Seine Hände hatten meine Hüfte keine Sekunde verlassen.
„Leyla....“, flüsterte er mir ins Ohr. Es tat so gut wie er meinen namen aussprach, fast glaubte ich dahinter würde mehr stecken. Aber nur fast. Schließlich war er Noah und gehörte zu meiner Familie. Wir kannten uns 4 Jahre und diese 4 Jahre lang, ging dieses Spiel schon.
Ich ging kurz in die Hocke und bewegte meinen Körper, eng an ihn gedrückt, wieder nach oben.
Sein Atmung wurde unregelmäßig. Ein Zeichen dafür, dass es ihm gefiel. Aber wenn er wüsste was es in mir auslöste. Mein ganzer Körper kribelte. Nie, nie wollte ich das dieser Tanz endete. Ich genoss jede Berührung von ihm. In Wahrheit liebte ich es wenn er mir am Nacken knaberte, so wie gerade.
Nie in meinem Leben würde ich es zugeben. Ich wollte ihn niemals verlieren nur weil ich mich anfing in etwas zu verrennen. Unsere Freundschaft bedeutete mir alles.
Das Lied endete und ich entfernte mich ein Stück von ihm.
„Was guckst du denn so bescheuert?“, lachte ich und stubste ihn leicht gegen seine Brust.
„Dein Tanzstil ist echt der Wahnsinn“, stimmte nun auch Noah in mein lachen ein und legte wieder seinen Arm um meine Taille.
„1:0 für mich!“
„Du meinst wohl 1:1“, wollte er mich verbessern.
„Warum?“ Verwundert schaute ich in seine grünen Augen.
„Als du im Sessel saßst und ich ...“
„Jaja“, unterbrach ich ihn schnell. Ich war kein Fan von Niederlagen. Natürlich hatte er gewonnen als er heute das erste Mal sich an meinen Nacken zu schaffen gemacht hatte.
„1:1“, grummelte ich und atmete hörbar aus.
„Du willst gewinnen, was?“
Ich nahm meine Flasche vom Tresen und wollte Richtung Stahltreppe gehen als Noah mich am Handgelenk festhielt.
„Hm?“, fragend schaute ich ihn an.
„Lust auf einen letzten Wettkampf für heute?“
„Klar um was geht’s?“
Jetzt war ich wirklich neugierig. Natürlich wollte ich gegen ihn gewinnen! Was für eine Frage. Aber ging es mir wirklich nur ums gewinnen oder steckte mehr dahinter?
„In einer Stunde am Schrottplatz.“ Er umarmte mich kurz und zwinkerte mir im gehen ein letztes Mal zu.
Ich blieb am Treppenansatz stehen und verfolgte Noah mit meinem Blick. Ich nahm erneut einen Schluck Alkohol. Langsam machte es sich in meinem Körper bemerktbar. Ich fühlte mich schwach, müde und einfach scheiße.
Leicht verschwommen nahm ich war, wie Noah sich neben zwei Mädchen an der Bar setzte und anfing mit ihnen zu flirten. Das war ganz leicht zu erkennen. Er hatte noch nie Probleme damit ein Mädchen mit nach Hause zu bringen. Sofort verfielen sie seinem Charm. Ich fragte mich ob sie ihm überhaupt zu hörten was er sagte oder einfach nur anstarrten.
Genervt nippte ich an der Flasche.
Was hatte Noah eigentlich davon? Immer wenn wir alle uns trafen verschwand er mit einem anderen Mädchen nur wenige Stunden später. Er könnte sogar erzählen, dass er ein Schwerverbrecher war und heute eine Bank ausgeraubt hätte. Selbst dann würden sie mit ihm mitgehen. Es war schrecklich.
Was kümmerte es mich überhaupt mit wem er nach Hause ging? Empfand ich, wohl möglich, doch mehr für ihn als nur Freundschaft?
Nein, das konnte nicht sein. Er war ein Frauenheld. Der einzige Grund wieso er es noch nicht bei mir versucht hatte war, dass wir in der gleichen Clique waren. Untereinander lässt man, normalerweise, die Finger voneinander. Die beste Ausnahme waren Justin und Sarah. Aber es funktionierte bei ihnen und das war schließlich die Hauptsache. Ich glaube, wenn die Beiden gemerkt hätten, dass es der Clique schadet, hätten sie es sein gelassen.
Der Anblick, wie Noah mit den zwei Mädchen flirtete wollte ich nicht länger mit ansehen. Zu Sarah und den anderen wollte ich ebenfalls nicht.
Ich seufzte.
Super.
Ich entschloss mich dafür schon zum Schrottplatz zu fahren, auch wenn es viel zu früh war. So konnte ich wenigstens noch ein wenig alleine sein und nachdenken. Ich kämpfte mir einen Weg, durch die Menschenmenge, zum Ausgang und verließ das BlueRush ohne ein letztes Mal zurück zu schauen.


Kapitel3: Der dunkelblaue Volvo



Es war eine klare Nacht. Vereinzelt versteckten sich kleine strahlende Sterne hinter eine schwarze Wolke. Der Himmel war beschmückt mit einem wunderschönen leuchtenden Mond, der wie eine große Sichel am Horizont stand.
„Wie schön“, flüsterte ich und schaute weiter verträumt in den Nachthimmel. Ein sanfter Wind wehte mir eine schwarze Haaresträhne ins Gesicht.
Mittlerweile waren schon Stunden vergangen und ich fragte mich wirklich, wo Noah solange steckte. Er hatte mich noch nie versetzt.
Leicht genervt schaute ich auf meine schwarze Armbanduhr; 03:28.
Zwei komplette Stunden wartete ich nun schon aber Noah war immer noch nicht in Sicht. Ich rutschte von der Motorhaube meines schwarzen Polos runter und stieg ein.
„Idiot!“, schnaubte ich, während ich den Schlüssel ins Zündschloss steckte und umdrehte.
Noah wollte sich hier mit mir treffen schließlich hatten wir Gleichstand. Weder er noch ich konnten ein derartiges Ergebnis einfach so dabei belassen. Dachte ich zumindestens.
Sollte ich wirklich schon nach Hause fahren?
Meine Hand verharrte auf meinem Autoschlüssel. Was wenn er noch kommt?
„Ach, die 5 Minuten mehr oder weniger bringen mich auch nicht um“, murmelte ich und stellte das Radio ein.


10 Minuten später




20 Minuten später




„Idiot!“, schrie ich und schlug meine rechte Hand wütend gegen das Lenkrad. Ich schnapte mir meine Handtasche, die auf dem Beifahrersitz lag, und suchte mein Handy. Meine Handtasche war ja schlimmer wie mein Zimmer. Meine Wimperntusche, unmengen an Kugelschreiber, ein Brief den ich vergessen hatte einzuwerfen und, da endlich, mein kleines Handy.
Ich musste dringend mal ausmisten.
„Oh nein!“
Verzweifelt versuchte ich mein Handy einzuschalten. Es hatte diese Macke erst seid kurzem. Leider hatte mein kleiner elektronischer Freund seine eigene Meinung wann es -An- bzw -Aus- sein wollte. Ich hatte es allerdings schon 3 Jahre und mich an das Handy gewöhnt. Ein Neues kam deshalb nicht in Frage, selbst mit dieser bescheuerten Macke die mich oft zum verzweifeln brachte.
Als ich es endlich geschaft hatte, kam mir schon der alt bekannte Piepston entgegen. Eine SmS von Sarah.
Hörbar atmete ich aus. Theoretisch brauchte ich sie garnicht erst zu öffnen. Ich wusste was drin stand schließlich hatte ich mich einfach aus dem Staub gemacht ohne mich zu verabschieden. Das war nicht meine Art.
Ich durchblätterte mein Telefonbuch und drückte, als ich bei meiner besten Freundin angekommen war, den grünen Hörer.
Piep, piep, piep....
„Hallo?“
Laute Clubmusik dröhnte im Hintergrund.
„Hey Sarah, ich bin's“, begrüßte ich sie und schaute nochmal zur Einfahrt des Schrottplatzes ob nicht doch, vielleicht, Noah kommt.
„Leyla! Wo bist du? Warum bist du abgehauen? Geht es dir gut?“, sprudelte es aus meiner besten Freundin raus.
Manchmal übertrieb sie es mit ihrer Fürsorge. Ich fühlte mich wie auf einem Verhör bei der Polizei oder noch schlimmer, als hätte meine Mutter mich erwischt wie ich Nachts ins Haus schlich.
„Bin ich hier auf einem Verhör?“ Gegenfragen waren immer gut. Meistens konnte ich Sarah damit aus ihrem Konzept bringen.
„Jetzt sag schon! Ich habe mir Sorgen gemacht!“, schnaubte sie beleidigt.
„Ich sage nichts ohne meinen Anwalt!“ Theathralisch verdrehte ich meine Augen.
Mir kam nur noch die viel zu laute Clubmusik entgegen.
„Sarah? Noch dran?“, hackte ich nach.
„Mhm.“
Ich seufzte. Sie ist doch jetzt nicht wirklich eingeschnapt! Das letzte was ich wollte, war Streit mit meiner besten Freundin, wegen so etwas belangloses...
„Du weißt doch noch, dass ich mit Noah verschwunden bin?!“ Ich wartete auf eine Reaktion aber nichts war, am anderen Ende der Leitung, zu hören.
„Wir waren tanzen und somit hatte ich mir den ersten Punkt geholt-“
„Wieder einer eurer kleinen Wettkämpfe?“ Lachte Sarah nun.
„Ja“, ich grinste „genau. Auf jeden Fall haben wir Beide Gleichstand und er wollte sich mit mir hier auf dem Schrottplatz treffen, für den entscheidenden Punkt. Ich warte die ganze Zeit schon auf diesen Blödmann … hast du ihn noch im Club gesehen?“
„Ihr seid echt süß.“ Sie lachte.
Jeder in der Clique fand, dass wir das perfekte Paar abgeben würden aber mal ehrlich, Noah und ich?
Ich schüttelte bei dem lächerlichen Gedanken leicht meinen Kopf.
Niemals würde es soweit kommen. Wir waren gute Freunde, mehr auch schon nicht.
„Heeeeyyyy Leylaaa“, gröhlte jemand hinter Sarah in den Hörer.
„Justin! Verschwinde, wir führen ein Frauengespräch“, Sarah hielt ihr Handy leicht weg aber ich hörte die Beiden trotzdem.
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen und ich vergaß für einen Moment den Ärger mit Noah.
„Sorry Süsse, Justin spinnt mal wieder rum. Ehm Noah“, sie machte kurz Pause „Jetzt wo du fragst … Nein ich habe ihn nicht mehr gesehen. Das letzte Mal war er bei dir und hat dich nach unten verschleppt“, beendete sie ihre Überlegung.
Spitze.
Wo zum Teufel steckte er?
„Danke und sorry, dass ich einfach abgehauen bin“, sagte ich nachdenklich.
„Ach, halb so wild. Was machst du noch?“ Im Hintergrund hörte man Justin rumgröhlen. Sie hatten anscheinend ihren Spaß und ich hielt meine beste Freundin vom feiern ab. Dabei konnte sie doch überhaupt nichts für meine Lage.
„Ich werde nach Hause fahren. Euch noch viel Spaß!“
Ich drehte den Schlüssel um und mein Motor heulte auf.
„Okay, schlaf gut und pass auf dich auf.“
Ich schmiss meine Handy zurück in meine Handtasche und fuhr vom Schrottplatz runter, Richtung Bett.

Die Straßen waren Menschen leer und die Ampeln waren ebenfalls ausgeschaltet. Einzig und allein die Laternen versuchten die Straßen zu erhellen. Welcher, normale, Mensch war jetzt auch nicht im Bett sondern fuhr durch die Stadt? Niemand.
Außer ich.
Ich raste mit 120 Sachen über die verlassenen Straßen, wo nur 60 erlaubt war.. Ich wollte nur noch in mein Bett. In mein erholsames, weiches, kuscheliges Bett.
Meine Gedanken schweiften wieder zu Noah ab. Warum hatte er mich versetzt? In vielen Hinsichten war er ein Idiot aber ein so großer eigentlich nicht. Eigentlich.
Ich schnaubte.
Was für eine beschissene Nacht...
Plötzlich bemerkte ich am Straßenrand einen dunkelblauen Volvo. Schlagartig verlangsamte ich mein Tempo. Das war nicht irgendein Volvo, nein, da stand Noahs Auto! Natürlich wusste jeder von uns wie die Autos im Freundeskreis aussahen und zu wem sie gehörten. Schließlich fuhren wir regelmäßig Rennen gegeneinander.
Ich parkte vor dem Volvo und stieg aus. Den Motor und meine Scheinwerfer lies ich an.
Der Wind wehte mir meine schwarze Haare nach vorne. Sofort rieb ich mir über meine Oberarme. Diese Nacht war schrecklich kalt.
Was machte Noah hier, um diese Uhrzeit?
Mit schnellen Schritten ging ich zu seinem dunkelblauen Volvo. Weder seine Scheinwerfer noch seine Anlage waren eingeschaltet. Ist er hier liegen geblieben? Es war mehr als ungewöhnlich. Wer lässt bitte sein Auto zurück? Noah garantiert nicht. Er liebte es, mehr als alles andere auf dieser Welt.
Letzte Woche war sein Volvo in der Werkstatt weil er sich Kratzer eingefangen hatte, bei einem Rennen gegen Justin. Als es endlich wieder bei ihm in der Einfahrt stand, hörte man nichts anderes mehr außer; „Oh Baby, endlich bist du wieder bei mir!“
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen.
„Süß“, flüsterte ich und öffnete die Fahrertür.


Kapitel4: Schlafende Männer...



Mir stockte der Atem.
Wer um Himmels Willen saß da rittlings auf Noah?
Ich wünschte, ich hätte es nicht getan. Scheiße, warum musste ich auch nachschauen...
Der Fahrersitz war leicht nach hinten geschoben und ein Mädchen drückte ihn regelrecht in den Sitz. Man konnte seinen Kopf nur ansatzweise erkennen, so sehr nahm sie ihn in Anspruch. Das konnte man beim besten Willen nicht mehr als rumgeknutsche abstempeln. Das Biest verschlang ihn regelrecht.
Ich war dermaßen betäubt von diesem Anblick, der sich mir bot, dass ich selber für einen kurzen Moment vergaß, warum ich überhaupt hier stand und nicht schon längst in meinem weichen Bett lag.
Ich verschränkte die Arme vor meiner Brust und wandte meinen Blick, von diesem Szenario, ab. Leicht räusperte ich mich, in der Hoffnung die zwei Turteltauben würden ihr Vorhaben unterbrechen.
Wow, es fängt schon an zu dämmern, dachte ich als ich den Himmel betrachtete. Die Sonne fing an die Nacht und somit die Dunkelheit zu verjagen. Widerspenstig versuchte die Nacht sich zu wehren und somit nahm nur langsam das leichte Orange überhand am Horizont.
Im Augenwinkel sah ich, dass die Beiden mich, anscheinend, immer noch nicht bemerkt hatte.
Unsicher streckte ich meinen Arm nach dem Mädchen aus und -stupste- sie vorsichtig an.
Mit Erfolg.
Die Fremde hatte ihre braunen Auge weit aufgerissen und den Mund leicht geöffnet. Getreu dem Motto; Ups.
„Ehm, hi“, begrüßte ich das Mädchen neutral.
„Hi, gehört er zu dir oder so?“ Sie rutschte ein Stück runter und zog sich hier kurzes gelbes Kleid zu recht.
„Ja …...J-ja richtig. Er gehört zu mir. Könntest du vielleicht-“
„Oh, ja klar. Sorry, ich hatte ja keine Ahnung, dass er eine Freundin hat“, unterbrach sie mich und rutschte wieder auf den Beifahrersitz.
Freundin? Das hatte das Mädchen in den falschen Hals bekommen. Noah und ich würden nie ein Paar darstellen. Wir waren einfach zu unterschiedlich.
Plötzlich fiel mir auf, dass Noah kein einziges Wort gesprochen hatte seitdem ich diese … Entdeckung gemacht hatte. So wie ich ihn einschätzte, würde er vor mir prahlen und mich wohl möglich noch fragen, ob ich keine Lust hätte mit zu machen. Macho durch und durch.
Sein Kopf lag ihm in Nacken und der Mund war leicht geöffnet.
„Ich verschwinde lieber. Sorry nochmal. War keine Absicht … die Sache … mit deinem Freund.“
Anscheinend war ihr mein Gesichtsausdruck nicht entgangen, sodass sie lieber die Fliege machte. Was, bitte, war mit Noah? Hatte er zu viel gesoffen? Selbst wenn … dann würde er nicht ruhig im Sitz sitzen bleiben und vorallem würde er … reden!
Er war doch nicht etwa …..
Vorsichtig beugte ich mich über ihn. Er roch stark nach ekelhaften Alkohol. Bah, wie konnte das Mädchen ihn nur küssen bei diesem Gestank. Na gut, wahrscheinlich hatte sie selber welches intus und realisierte es nicht. Trotzdem.
Zögerlich legte ich eine Hand auf seine Brust, die nur von einem dünnen Hemd verdeckt war. Die Atmung ging normal. Nicht zu langsam, nicht zu schnell. Ich konnte es mir nicht verkneifen meinen Blick weiter nach unten zu verschieben. Ich hatte eine ganz böse Befürchtung.
Hörbar atmete ich aus.
„Zu“, flüsterte ich. Noah hatte sich also nicht mit einem wildfremden Mädchen, mal wieder, vergnügt. Eine Welle der Erleichterung durchflutete meinen Körper. Eigentlich konnte es mir egal sein aber …. Freunde kümmern sich, selbstverständlich, umeinander (!), dachte ich.
Seine starken Arme hingen leblos an beiden Seiten des Sitzes runter. Ein merkwürdiges brummen ertönte von Noah.
Verwundert schaute ich sein Gesicht. Kein Wunder, dass die Frauen ihn liebten und immer mit ihm verschwanden. Er hatte ein schönes männliches Gesicht, nicht zu markant. Ein bisschen weich aber doch sehr attraktiv.
Erneut ertönte dieses brummen und endlich wurde mir bewusst, was Noah fehlte.
Eine ordentliche Mütze Schlaf, wo er gerade dabei war diese nach zu holen!
„Oh mein Gott!“
Ich lächelte und konnte mir ein lachen gerade noch unterdrücken.
Er schnarchte!
Noah, der Macho schlecht hin, hatte sich ein hübsches Mädchen mitgenommen und ist dann eingeschlafen. Das würde stark an seinem Ego kratzen wenn ich das jemandem erzählen würde. Aber so fies war ich nicht. Oder doch?
Dieser Anblick, sagenhaft. Noah wie er zufrieden in seinem Auto schlummert. Er wirkte schrecklich unschuldig, mit geschlossen Augen. Männer … im Schlaf sind sie die liebsten Menschen die es geben kann aber dann … wenn sie sich ausgeruht haben, könnte man sie nur noch hassen. Sie nutzen das Vertrauen absichtlich aus um an ihr Ziel zu kommen. Wenn ich Noah nicht in und auswendig kennen würde, wäre ich ebenfalls ein Opfer meiner Gefühle. Schade, dass ich keine Kamera dabei hatte. So brav würde ich ihn nie wieder zu Gesicht bekommen.
Mein Körper war fast auf dem von Noah, nur wenige Zentimeter trennten uns. Mit leiser Stimme versuchte ich ihn auf zu wecken.
„Noah...“
Zögerlich fing ich an ihn an der Schulter leicht zu schubsen.
Der Typ schlief wie ein Stein! Ich wollte nicht wissen, wieviel er getrunken hatte.
Ganze 7 Minuten versuchte ich ihn einfühlsam zu wecken. Dann riss mein Geduldsfaden endgültig.
„Man! Wach endlich auf du Idiot!“
Mit meiner ganzen Kraft schlug ich ihm auf seinen harten Oberkörper.
Endlich kam er aus seiner rosa roten Ponytraumwelt heraus.
„Hmmm“, brummte Noah und legte seinen Kopf schief als würde er sich eine bequemere Position suchen.
„Wehe du schläfst wieder ein Casanova!“
„Schlafen....“
„Nein.“
„Lass mich.....“
„Nein!“, entgegnete ich ihm entschlossen und nahm sein Gesicht in meine Hände. In der Hoffnung meine eiskalten Hände würden ihn vollkommen von seiner PonyRanch verjagen.
„Steh jetzt auf Noah!“
„Leyla?“ Er blinzelte ein paar mal. Seine grünen Augen waren nur ein winziges Stück geöffnet.
„Wer sonst? Ich bin ziemlich sauer auf dich! Du hast mich versetzt … für irgendein Mädchen“, den letzten Teil flüsterte ich.
„Hmmm, habe ich nicht dich mitgenommen?“ Ein Lächeln bildete sich auf seinem verschlafen Gesicht deutlich ab.
Ich boxte ihm gegen seine Brust.
„Hey, was sollte das?“, neckte er mich.
„Dafür das du ein Idiot bist.“
„Ist da jemand zickig?“
Ich holte gerade erneut aus als er abwehrend seine Arme hoch hielt.
„Schon gut, schon gut. Ich hatte eh was anderes vor....“
„Was meinst-“ Weiter kam ich nicht. Schon umschlungen seine Arme meine Taille und zogen mich praktisch auf ihn drauf. Nun saß ich rittlings auf Mr. Casanova persönlich. Typisch für ihn. Er konnte es einfach nicht sein lassen. Vor Schreck schaute ich auf seinen Oberkörper. Die Situation war mir mehr als unangenehm. Ich fühlte mich unwohl aber irgendwie... wollte ich ihn spüren. Bei dem Gedanken kniff ich die Augen zusammen.
Klar und deutlich spürte ich seinen Blick auf mir. Wie er mich betrachtete, meinen Körper. Ja, das war alles. Noah war verliebt in die weiblichen Rundungen und nicht in das Wesen eines Mädchen.
„Lass mich bitte los Noah....“
Jämmerlich versuchte ich mich von ihm weg zu drücken aber er war zu stark.
Eine schreckliche Stille entstand in der sich niemand bewegte, geschweige redete. Wir verharrten einfach, in dieser Position, in seinem Volvo.
Ich zuckte zusammen als seine Hände, plötzlich, zärtlich anfingen meinen Rücken auf und ab zu gleiten.
„Hey, du hast keinen Grund dich zu verstecken“, sprach er einfühlsam auf mich ein.
Nein. Nein. Nein. Er war mein Kumpel. Wir hatten den gleichen Freundeskreis. Ich durfte für ihn nicht mehr empfinden, verdammt!
Dickköpfig schüttelte ich meinen Kopf zweimal hin und her.
„Leyla.... schau mich an.“
Ich verkrampfte mich und seine Hände behielten den gut tuenden Rhythmus auf meinem Rücken bei.
„Bitte.“
Ich sprang über meinen Schatten und hob langsam meinen Kopf. Seine grünen Augen waren von Sorge zerfressen und beobachteten jede meiner Reaktionen auf das kleinste Detail.
Unsicher lächelte ich und er folgte meinem Beispiel.
Wir sind so bekloppt, dachte ich.
„Gewöhn dich nicht dran!“
„Woran Kleine?“ Seine Hände ruhten auf meiner Hüfte.
„Mich nah bei dir zu haben bzw. auf dir... und nenn mich nicht Kleine!“, sprudelte es aus mir heraus.
„Das ist meine Leyla“, lachte er.
Ich rutschte von ihm runter und kletterte auf den Beifahrersitz. Endlich in Sicherheit. Von der Seite sah er noch heißer aus wenn er gerade erst wach geworden ist. Ich biss mir auf die Unterlippe und richtete meinen Blick nach vorne, zu meinem Auto.
Noah reckte und streckte sich gerade. Manchmal hörte man einen Knochen knacken.
„Ja, im Auto schlafen ist ziemlich unbequem was?“, kicherte ich.
„Pass bloß auf du!“ Sofort hatte er sich zu mir umgedreht und fing an mich zu kitzeln.
„N-n-n-e-e-ein N-o-o-a-h.“
Zufrieden zog er sich zurück. Gekitzelt werden war eine Sache, die ich überhaupt nicht ab konnte. Dumm nur, dass Noah das wusste und es schamlos ausnutzte.
„Warum hast du eigentlich, für dein Vergnügen, direkt an der Hauptstraße geparkt und nicht irgendwo …. naja … wo es abgelegener für sowas

ist?“
Einen kurzen Moment betrachtete mich Noah aus dem Augenwinkel. Mir konnte man nun mal nichts vor machen. Vorallem nicht bei meinen Freunden. Noah parkte hier schließlich nicht um sich mit der Fremden die leeren Straßen anzuschauen. Also wirklich, wer würde das bitte glauben?
„Ich hab vergessen zu tanken und bin dementsprechend liegen geblieben“, sagte Noah und zuckte mit den Schultern.
„Und jetzt hast du vor nach Hause zu laufen? Na dann.“
Ich wusste wo drauf das hin aus lief. Natürlich, hatte nichts dagegen aber er sollte mich wenigstens fragen.
„Wenn du schonmal hier bist Leyla, könnten wir auch ein paar schöne Stunden in meinem schicken Auto verbringen-“
„Okay, du hast gewonnen, zufrieden? Du musst mich nicht fragen. Ich nehm dich mit zu mir. Hauptsache ich muss mit dir nicht auf engstem Raum zusammen sein!“, unterbrach ich ihn und ergab mich im selben Moment. Nochmal so eine Show, wie eben, wollte ich wirklich nicht erleben.
„Autsch, mein Ego“, lachte er.
„Das verkraftest du schon“, zwinkerte ich.
Noah schloss seine einzig wahre Liebe ab. Dann gingen wir gemeinsam zu meinem Wagen.
Niemand würde vermuten, dass zwischen uns was gelaufen wäre. Nicht, das es so wäre aber wir waren wie Luft und Erde, Wasser und Feuer, Chips und Kakao, Big King und Erdbeermilchshake. Zu verschieden einfach, unverträglich.
Die ganze Fahrt unterhielten wir uns über Gott und die Welt. Besser gesagt, diskutierten wir über die braun haarige die er abgeschleppt hatte. Ich nannte sie ausschließlich Glühwürmchen

wegen diesem stechend gelben Kleides.
Ich parkte auf meinem gewohnten Platz in der Einfahrt. Nebeneinander her gingen wir zur Haustür. Alle Lichter waren noch aus. Also müsste meine Mutter noch schlafen.
„Was sagt eigentlich deine Mutter wenn sie mich gleich sieht?“, fragte Noah mit einem verräterischem Lächeln auf den Lippen.
„Keine Ahnung...Ich hoffe sie flippt nicht aus“, erwiderte ich nachdenklich und drehte meinen Haustürschlüssel um.


Kapitel5: Erwischt?!



Leise schloss ich die Haustür hinter uns. Zum Glück war überall Licht aus. Meine Mutter schien tatsächlich noch zu schlafen. Jetzt bloß nicht laut sein, dachte ich.
„Wow, nettes Bild.“
Vor Schreck fiel mir der Schlüssel auf den Laminatboden.
„Man Noah, musst du so laut sein?“, flüsterte ich wütend, hob den Schlüssel auf und legte ihn auf die Kommode.
„Jaja.“ Noah lachte.
„Noah!“, zischte ich und funkelte ihn wütend an. Als Antwort bewegte er nur seine Lippen. Genervt atmete ich hörbar aus und zog ihm, am Arm, mit die Treppe hoch.
Es war zwar Noahs Art und was anderes außer seine Scherze und Provokationen war ich nicht gewöhnt aber dennoch wäre es mal schön, wenn er mal ein bisschen, ein ganz klein wenig, ernster sein könnte. Schließlich wusste Noah, dass ich nie einen meiner Freunde mit nach Hause nahm. Lediglich Sarah war öfters zu besuch. Ich schob es zwar immer auf meiner Mutter, dass sie keine jungen Leute in ihrem Haus haben wollte aber die Wahrheit sah ganz anders aus. Ich wollte es nicht. Mein Zimmer war meine Ruheoase. Hier konnte ich nachdenken ohne das mich jemand stört. Wenn die anderen nur wüssten, dass meine Mutter sie schon öfters einladen wollte und ich dagegen war….
Ich schüttelte leicht meinen Kopf, in der Hoffnung, die nervigen Gedanken abzuschütteln.
„Mein kleines Kätzchen, was sich schüttelt“, leicht stupste Noah mir in die Seite.
„Möchtest du nicht mal nett sein? Natürlich nur zur Abwechslung“, stichelte ich zurück.
Bevor er etwas erwidern konnte, öffnete ich meine Zimmertür.
Mein Zimmer war in verschiedene Rottöne gestrichen. Meine gesamte Deko war ebenfalls in hellen bis zu fast schwarzem rot verziert. Ich hatte ein großes Doppelfenster, wo an den Seiten rote Vorhänge hingen. Alle Möbel waren schwarz. Ich liebte dieses Farbenspiel abgöttlich.
„Netter Geschmack Leyla“, stimmte Noah meinen Gedanken zu und legte sich mit dem Rücken auf mein schwarzes Metallbett. An den Metallstangen, am Fußende, hatte ich eine Rosenkette befestigt. Sie war ein Geschenk von Sarah und Justin gewesen.
„Danke.“
„Wo kann ich schlafen?“
Skeptisch schaute ich ihn an während ich mir meine Schuhe auszog und sie vor meinen Kleiderschrank warf.
„Was?“ Er Lachte.
„Der größte Macho, den ich kenne, liegt gerade in meinem Bett und fragt mich tatsächlich wo er schlafen kann

?“
„Oh, ein Kompliment von dir!“
Noah verschränkte seine Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen.
Zu meiner Schande viel mir kein guter Konter ein deshalb schloss ich meinen Mund wieder und ging Richtung Badezimmer. Mein eigenes Badezimmer, dachte ich. Jedes mal zauberte es mir ein Lächeln auf mein Gesicht wenn ich dadran dachte. Ich hatte immer von eines geträumt, was nur für mich war. Mit 15 Jahren erfühlte meine Mutter mir meinen einzigen Wunsch.
„Du kannst in meinem Bett schlafen aber denk dir nichts dabei!“, rief ich Noah über die Schultern zu.
„Mit dir?“
Ich schenkte ihm noch einen bösen Blick und schloss dann die Tür hinter mir ab.
Das Badezimmer war komplett in weiss gehalten. Einzig und allein die orangen Handtücher stachen einem sofort ins Auge.
„Oh Gott“, flüsterte ich und strich mir mit zwei Fingern über mein Gesicht. Von den hellblauen Augen zu meinen roten Lippen.
Ich sah schrecklich aus. Völlig gestresst, erschöpft und, einfach, erledigt. Ich kämmte mir meine pechschwarzen Haare und entledigte mich meiner Kleidung. Eine Dusche wäre jetzt genau das Richtige.
Es war besser wie jeder Erholungsurlaub. Das heiße Wasser lief an meinem Körper runter, wie ein Fluss. Meine schwarzen Haare klebten an meinem Rücken und ich stützte mich an der Wand ab. Es tat so gut. Endlich war ich allein. Endlich

musste ich mich nicht mehr verstellen. Niemand würde es sehen, dachte ich. Ich schloss meine Augen. Ein Fehler. Sofort prasselten meine schrecklichsten Erinnerungen auf mich ein.
Ich sah ihn. Meinen ersten und letzten Freund. Wie lange war es eigentlich her? 3 Jahre? Ich wusste es nicht mehr. Sein Gesicht …. so deutlich und klar in meinen Gedanken. Die von Sorge zerfressenen blauen Augen. Seine schwarzen zerzausten Haare, die er liebte. Und dann passierte es: ich weinte

. Weinte um den Menschen, den ich verloren hatte.


15 Minuten später




Endlich hatte ich mich wieder gefangen und meine Fassade wieder aufgebaut. Schließlich lag Noah in meinem Bett. Er durfte nicht wissen, dass ich geweint hatte. Ich schlüpfte in mein weisses T-Shirt und in schwarze Hotpans. Schnell putzte ich mir meine Zähne. Als letztes musste ich meine langen Haare noch trocken bekommen. Das war jeden Tag aufs Neue ein Kampf.
Leise öffnete ich die Badezimmertür und tapste zum Bett. Er schien so unbeschwert und glücklich zu sein wenn er schlief. Noah war schon ein Süßer wenn er schlief aber wenn er wach war …. Ich wendete den Blick ab und setzte mich auf die Fensterbank. Mein Lieblingsplatz.
Egal um welche Uhrzeit, der Anblick der sich einem bot war jedes mal atemberaubend. Nachts wenn die Sterne am Horizont standen oder am frühen Morgen, wie dieser es einer war. Die Sonne kämpfte sich einen Weg durch die finstere Nacht. Mit und mit färbte sich der Himmel in ein wunderschönes gelb, rot und orange farbendes Bild.
Vorsichtig legte ich meine Hand auf die Fensterscheibe als könnte sie, durch die Berührung, zerbrechen.
„Es ist meine Schuld“, hauchte ich und schaute gedankenverloren dem Himmel entgegen.
Ich verharrte noch eine ganze Weile auf der Fensterbank. Dann entriss ich mich meinen Gedanken und landete zurück in die harte Realität. Mein Blick schweifte zu meinem roten Bettbezug, zu Noah.
Seufzend rutschte ich von meinem Platz und stieg vorsichtig ins Bett. Ich brauchte dringend ein bisschen Schlaf. Dafür nahm ich sogar in kauf mit Noah in einem Bett zu schlafen.
Unbeweglich lag ich nun neben Noah. Spitze. Wecken wollte ich ihn wirklich nicht aber einschlafen schien, in dieser Position, auch ein Ding der Unmöglichkeit.
Plötzlich spürte ich seinen Arm an meiner Taille. Ich hielt förmlich die Luft an. Ich hatte ihn doch nicht geweckt – oder?
Der Druck verstärkte sich ein wenig. Er zog mich an sich. Deutlich spürte ich seine Atmung an meinem Rücken, ruhig, friedlich.
„Noah?“ Meine Stimme war nicht mehr wie ein leiser Hauch. Gespannt wartete ich auf eine Antwort. Nichts. Er schlief.
Sein Atem traf genau meinen Nacken. Sofort überkam mich eine Gänsehaut.
Einschlafen Leyla, einfach nur einschlafen, beruhigte ich mich selber. Auch, wenn ich es nicht zu gab … aber es gefiel mir, ihn so nah bei mir zu haben.

Am nächsten Morgen



„AUFSTEHEN!“
„LEYLA! Ich hol gleich einen Eimer WASSER!“
Langsam kam ich aus dem reich der Träume zurück. Wer zum Henker schrie da so? Mühselig versuchte ich meine Augen zu öffnen aber es war viel zu grell …. und zu früh.
„Geh weg“, nuschelte ich.
„Die Nacht war wunderschön ….“, die Stimme war plötzlich ganz nah an meinem Ohr und schlagartig hatte ich meine Augen geöffnet. Noah ging einen Schritt zurück während er fast starb an seinem Lachanfall.
„IDIOT!“, brüllte ich und warf ihm alle Kissen, die sich in meinem Bett befanden, entgegen.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen.
Nein …
Wir starrten geschockt meine Mutter an. Meine Mutter starrte entsetzt uns an.
„Hallo Mrs. Black“, begrüßte Noah höflich meine Mutter und streckte ihr eine Hand entgegen.
Fassungslos starrte sie von seiner Hand, in sein Gesicht und rüber zu mir.
Ach du Scheiße. Wie sah das jetzt bitte aus? Ich hatte noch nie männlichen Besuch gehabt außer … außer … Mein Herz krampfte sich zusammen.
„Mum, dass ist Noah. Mum Noah. Noah Mum“, stellte ich die Beiden gegenseitig vor und stand rasch auf.
„In 5 Minuten seid ihr unten“, sagte Lara in einem Befehlston den sie nur selten benutzte „Angezogen!“, fügte meine Mutter noch hinzu und knallte die Tür zu.
„Aber.“ Ich schaute an mir runter. Ich war doch angezogen! Schnell schlüpfte ich eine meine schwarze Jeans.
„Hey Süsse. Das stellen wir schon klar. Mach dir keinen Kopf.“ Er legte seinen Arm um mich. Wow, Noah macht mal keinen Witz? Das ich das noch erleben darf....
„Hey“, sagte er eindringlich und hob mein Kinn. Einen kurzen Moment sahen wir uns tief in die Augen bis ich mich aus seinen Griff befreite.
„Das hoffe ich für dich.“ Meine Stimme war brüchig. Gar nicht gut. Jemand wie ich weinte nicht, nicht vor anderen. Noah folgte mir den die Treppe runter, durch den Flur bis wir endlich in der Küche angekommen waren.
Meine Mutter stand bereits am Herd und kochte Frühstück. Hm, es roch nach Spiegelei mit Speck.
„Mum, hör mir bitte zu. Noah ist nur ein Fr-“
„Es interessiert mich nicht. Ich möchte lediglich die Männer vorher mal gesehen haben bevor du sie mit ins Bett nimmst“, unterbrach sie mich kalt.
WAS?
„Da war nichts Mum!! Er ist einer meiner besten Freunde!“, verteidigte ich mich.
„Mrs. Black entschuldigen Sie die Umstände. Ich habe ihre Tochter nicht angefasst. Es ist so wie sie sagte; Wir sind nur sehr gute Freunde“, unterstützte mich Noah. Oh, wie dankbar ich ihm war, dass er jetzt nicht den Macho spielte.
„Wir haben Besuch, Liebes“, gekonnt ignorierte sie Noah.
Als sie nach einem Moment Stille immer noch nichts sagte, verstand ich erst was sie meinte. Wir haben Besuch? Wir haben nie Besuch.
„Mum …. Wer-“
„Am Tisch.“ Ich besaß noch nie Zweifel, dass ich adoptiert wurde. Ständig wusste sie was ich sagen wollte. Eine gute Mutter weiß nun mal was in ihrem Kind vor geht. Selbst wenn sie sich oft zu ihren Pflanzen zurück zog, Lara war definitiv eine gute Mutter.
Aber etwas war Falsch. Ich hatte eine fürchterliche Vorahnung. Mein Körper fühlte sich schwach und zerbrechlich an. Nein, was war hier los? So wollte ich mich nie wieder fühlen. Mein Herz pochte abnormal schnell und ich hielt unbeabsichtigt die Luft an. Zögerlich drehte ich mich nach rechts zum Küchentisch...
Nein ….
Das konnte nicht sein!
Schockiert sah ich die Person an, die am Kopfende saß und mich interessiert musterte.

Kapitel6: Streit



Am Kopfende des Tisches saß Irena. Ganze 5 Monate lang hatte ich sie nicht mehr gesehen. Was auch gut war. Noch nie konnte ich Irena ausstehen, noch nie. Immer war sie gegen mich, nie hatte sie mich akzeptiert … Vielleicht war es gut, dass sie mich nie in ihrem Haus willkommen heißen konnte. Der Abschied wäre mir damals nur schwerer gefallen.
Der Abschied …
Automatisch trat ich einen Schritt zurück und spürte kurz darauf die Wand an meinem Rücken.
„Hallo Leyla, lange nicht gesehen“, höflich lächelte Irena mich an.
„Ja, stimmt.“ Meine Stimme war leise und schneidend.
Was wollte Irena hier? Skeptisch erwiderte ich ihren prüfenden Blick. Sie sah noch genauso aus wie ich sie in Erinnerung hatte. Ihre schulterlangen roten Haare passten, mal wieder, perfekt zu ihrem roten Pullover. Alles an Irena spiegelte eine gewisse Art an Wärme aus außer die Augen. Sie wirkten fast gräulich. Ansich eine sehr schöne Farbe aber sie versprühte nur Kälte. Jedes verfluchte Mal wenn Irena mich ansah, fühlte ich mich unwohl. Selbst bei diesem netten Lächeln konnte ich ihren Blick, der auf mir lag, nicht ignorieren. Er strahlte Ablehnung aus, selbst jetzt.
Also, was wollte Irena von mir?
Langsam nahmen meine Ohren wieder Geräusche auf. Ich hatte garnicht mitbekommen, dass Irena und meine Mutter sich angeregt unterhielten.
„Hey Süße, soll ich gehen?“
Ich schreckte hoch.
„Erschreck mich nicht so Noah“, hauchte ich ihm leise zu und strich mir langsam über meinen nackten Arm. Auch, wenn es albern klang aber das beruhigte mich. Noah, stattdessen, musste sich ein lachen verkneifen.
Leicht skeptisch beobachtete ich weiter das Geschehen, in der Hoffnung etwas von ihrem Gespräch aufschnappen zu können.
Plötzlich spürte ich einen warmen Atem an meinem linken Ohr.
„Soll ich bleiben?“, flüsterte Noah mir prombt ins Ohr. Eine Gänsehaut breitete sich von meinem Nacken, runter zu meinem Oberkörper und runter zu meinem Bauch aus. Benommen nickte ich. „Wie du möchtest“, flüsterte er und biss einmal kurz in mein Ohrläppchen.
„Liebes, willst du dich nicht setzen? Dein Freund natürlich auch“, fügte Lara überflüssig hin zu.
Hörbar atmete ich aus und nahm am Küchentisch platz. Noah folgte schweigend meinem Beispiel.
„Er ist nicht mein

Freund sondern ein

Freund...“, versuchte ich erneut meiner Mutter die Lage zu erklären.
Die Situation war mir mehr als unangenehm. Nicht allein wegen meiner Mutter, nein, der größere Anteil gehörte definitiv Irena. Als würde es in meinem Leben nichts spannenderes geben als ein Teller voller Spiegelei und Speck starrte ich förmlich auf mein Frühstück, was Lara vor mir hin stellte.
„Leyla hat einen neuen

Freund?“, Irenas Stimme triefte vor Neugier. Vorsichtig schaute ich zu Noah rüber. Anscheinend nahm er den ganzen Zirkus ziemlich locker auf.
„Ich bin in keiner Beziehung“, stellte ich schnell fest bevor meine Mutter ihr antworten konnte.
Ich wollte gerade die erste Gabel mit Spiegelei probieren als mir auffiel, dass Noah keinen Teller bekommen hatte. Demonstrativ schob ich mein Frühstück zu ihm rüber. Verwirrt sah Noah mich an, ich erwiderte ihm dagegen ein zaghaftes lächeln.
Ein klirren ertönte. Sofort schaute ich zu meiner Mutter. Sie hatte einen Teller fallen lassen. Überall lagen Scherben auf dem Boden. Entsetzt sah sie mich an.
„Du nimmst Männer mit in dein Bett ohne mit ihnen eine Beziehung zu führen?“
Jetzt reichte es. Mein letzter Geduldsfaden verabschiedete sich.
„NEIN! Hör mir doch mal zu Mum! Er ist ein Freund von mir! Sollte ich ihn auf dem kalten Boden schlafen lassen oder was?“
Für was wurde ich hier bitte gehalten? Das war doch wirklich nicht zum aushalten. Wütend schaute ich zu Irena rüber, die die ganze Situation anscheinend sehr unterhaltsam fand.
„So kenne ich dich ja überhaupt nicht Leyla“, sagte sie mit brüchiger Stimme. Was war dadran lustig?
„Sagt jemand der mich nicht im geringsten kennt?“
Oh ja, ich war in Streitlaune.
„Mein Sohn gibt sich nur mit charakterlich schwachen Mädchen ab-“
„SIE HABEN DOCH KEINE AHNUNG!“, unterbrach ich sie schreiend und schlug beide Hände auf den Küchentisch. Der Schmerz lies nicht lange auf sich warten. Aber ich dachte nicht dadran sie von ihrer Position zu entfernen, auch, wenn meine Hände tierisch kribbelten.
Alle 3 Personen im Raum sahen mich mit anderen Gefühlen an. Noah verwirrt, meine Mutter wütend und Irena … Irena abwertend. Ich hasste sie.
So schnell hatte ich noch nie einen Raum verlassen. Als stünde in der Küche etwas giftiges, was nach meinem Leben trachtet. Ich stürmte auf den Flur, schnappte mir meinen Schlüssel von der Kommode und steuerte auf mein Auto zu.
„Leyla!“
Ich drehte meinen Autoschlüssel um und wollte gerade einsteigen als ich plötzlich am Arm umgerissen wurde. Langsam öffnete ich meine Augen, die ich vor Schreck geschlossen hatte, und fand mich in Noahs Armen wieder.
„Noah, was-.“ Ich legte beide Hände an seine Brust und versuchte mich von ihm weg zu drücken, mich aus seinem Griff zu befreien. Vergebens. Stattdessen verstärkte er seinen Druck, unterbrach jedoch nicht das beruhigende streicheln auf meinem Rücken. Langsam fuhr er immer wieder meinen Rücken hoch und runter.
„Vergess sie einfach“, sagte Noah leise. Er hatte seinen Kopf leicht zu mir runter gebeugt. Erneut versuchte ich mich zu befreien.
„Scht, es ist schon okay Süße“, sprach er eindringlich auf mich ein. Letztendlich gab ich mich geschlagen und legte meinen Kopf an seine Brust. Wenn ich ehrlich war tat es gut, dass er mich in seinen Armen hielt. Ich brauchte schon immer jemanden, der mich auffing wenn ich fiel. Die letzten 5 Monate hatte ich diesen schrecklichen Wunsch nach Zuneigung verdrängt und jetzt? War es wirklich mein ernst all die harte Arbeit in der Zurückhaltung hinzuschmeißen? Nur für diesen Moment, dachte ich und schmiegte mich enger an seinen Körper.
Ich wusste nicht wie lange ich mich in seinen Armen befand. Ehrlich gesagt war es ein schönes Gefühl aber wenn ich mich zu sehr an diese Sicherheit gewöhnte, würde ich wieder fallen und schmerzhaft auf den Boden aufprallen. Nein, ich wollte mich nie wieder hilflos fühlen.
„Geht es wieder?“, fürsorglich strich er mir eine schwarze Haarsträhne hinter mein Ohr.
„Ja, danke Noah“, flüsterte ich und drehte mein Gesicht verlegen zur Seite.
„Dafür sind Freunde da Süße. Sogar die starke Leyla darf mal schwach sein“, grinste er und kniff spielerisch in meine die Seite und stieg ins Auto ein.
Trotz, dass er ständig den Macho raus hängen lies war er doch ein richtiger Freund. Das liebte ich an meiner Clique. Sie machten zwar, nach außen, einen düsteren Eindruck aber wenn einer von uns sich in Schwierigkeiten befand, waren wir füreinander da. Ich hatte wirklich großes Glück damals, dass ich Sarah kennengelernt hatte. Hätte sie mir vor 5 Monaten nicht das Ecstesie verkauft wäre mein Plan in die Wahrheit umgesprungen. Ich wollte nicht mehr … Ich wollte mit allem abschließen … Es war einfach zu viel in den letzten 2 Jahren passiert …
Bevor ich tiefer in meine schmerzvolle Vergangenheit abtauchen konnte, dröhnte aus meinem Auto laute Musik gegen die Wände.
Noah.
Ein Lächeln bildete sich auf meinem Gesicht. Ich war nicht mehr die Leyla von damals. Nie wieder würde ich ich selbst sein aber besser leben wie ein Haufen Elend seiner Selbst darzustellen – Oder?
Sofort stieg ich auf der Fahrerseite ein und startete den Motor.
„Wo fahren wir eigentlich hin?“
„Heute ist Sarah´s Geburtstagsparty, sag bloß nicht du hast es vergessen!“, lachte ich und fuhr auf die Straße.
„Scheiße man. Ich bin noch total fertig von gestern“, wenig begeistert schlug er seinen Kopf gegen den Beifahrersitz.
„Ach, du meinst als du eingeschlafen bist“, kicherte ich.
„Hey!“
„Keine Sorge, ich erzähle es keinem.“
Obwohl es dem größten Macho so ein Fehler nicht unterlaufen dürfte, fügte ich gedanklich noch hin zu. Nein, ich würde ihn nicht blamieren. Trotzdem machte es Spaß ihn damit aufzuziehen aber vorallem lenkte es mich von mir selber ab.


Kapitel7: Gedanken, ich hasse Sie!



Einer Sache in meinem Leben war ich mir mehr als bewusst; Tags über Auto fahren war definitiv eine Tätigkeit, die ich lieber auf abends verschieben würde, wenn ich könnte. Aber wie das Leben einem nun mal mitspielte, lief es nicht immer nach Plan. Natürlich nicht nach dem Plan, den man sich selber schmiedete, nein, ich glaubte an das Schicksal. Alles hatte seinen Grund. In allen Hinsichten.
Ich biss mir auf meine Unterlippe.
Ja, in allen Hinsichten.
„Können wir da in diesem Aufzug überhaupt auftauchen?“
Unschlüssig schaute ich zu Noah der es sich auf dem Beifahrersitz mehr als bequem gemacht hatte. Anschnallen? Pff, Noah doch nicht! Stattdessen hing er total lässig im Sitz. Eine gute Eigenschaft hatte es allerdings. Er vertraute mir. Einem weiblichen Fahrer. Normalerweise lebte er nach dem Motto; Frauen können kein Auto fahren!
Ich schüttelte leicht meinen Kopf und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Noah war wirklich ein Typ Mensch für sich.
„Was?“, durchbrach er die laute Clubmusik, die aus meinem Radio dröhnte.
„Ach nichts“, versuchte ich ihn spielend abzuschütteln. Es machte mir ungemeinen Spaß ihn zu ärgern. Aber das Wichtigste war; Ich fühlte mich wie jemand anderes.
„Eh Süße, ich meine es ernst. SO können wir nicht auf Sarahs Party auftauchen!“
Da lang lief also der Hase. Amüsant.
„Du machst dir Sorgen um deine Klamotten?“, jetzt war es endgültig vorbei. Ich konnte nicht anders wie lachen.
„Nein, um UNSERE Klamotten“, versuchte er sich aus der lächerlichen Situation zu retten.
„Justin lässt immer sein Zeug bei Sarah liegen. Er hat bestimmt nichts dagegen wenn du dir was ausleihst.“
Ich wollte die Situation nicht bis an seine Grenzen reizen. Es war schon Skandal genug für Noah, dass ich ihn praktisch erwischt hatte als er weiblichen Besuch im Auto hatte und eingeschlafen war. Da war doch wirklich das Letzte was unser Macho brauchte noch der Eindruck, dass er penibel wäre.
„Und Sarah leiht mir bestimmt auch was für den Abend“, fügte ich schnell hinzu und widmete meine Aufmerksamkeit wieder der Straße.
„Es kotzt dich an oder?“
„Hm?“, verwirrt betrachtete ich Noah durch den Augenwinkel.
Meine Alarmglocken klingelten. Ich hatte mich relativ gut und zügig eingelebt in diese Clique. Aber ich durfte nie vergessen, dass meine Freunde Einfluss besaßen. Sie kennen nur Gut und Böse, Schwarz und Weiss. Graustufen gab es einfach nicht und waren inakzeptabel. Ich bin eine Graustufe. Eine Schwachstelle die nicht existieren dürfte.
„Diese Geschwindigkeit ist nicht deine“, stellte er nüchtern fest und sein Blick heftete an mir.
„Ehm ja, du kennst mich doch. Ich liebe es schnell. Ich liebe das Adrenalin und das ist bei Tempo 80 nicht wirklich vorhanden.“
„Das ist mein Mädchen.“ Lässig legte er seine Hände hinter seinen Kopf.
Gerettet. Wieder einmal. Dabei war meine Aussage nicht einmal gelogen.

Das Haus meiner Freundin war ein typischen Familienhaus. Ein schicker Vorgarten, eine Schaukel für ihre 6 jährige Schwester und …. einfach perfekt für das Familienglück. Das Innere war dementsprechend ebenfalls darauf ausgelegt. Die Räume waren groß sodass die Kinder unbeschwert und vorallem gefahrlos spielen konnten. Naja, oder für die große Schwester die nur zu gerne Partys veranstaltete wenn alle anderen außer Haus sind.
Meine Hand bewegte sich zur Klingel aber Noah kam mir zuvor und drückte die Haustür auf.
„Immer noch nicht gelernt Süße?“
„Heute ist einfach nicht mein Tag“, verteidigte ich mich. Sarah schloss nie die Haustür ab. Ich fühlte mich einfach total neben der Strecke. Der plötzliche Besuch von Irena hatte offensichtlich doch einige alte Gefühle geweckt.
„Mach dir keinen Kopf, nachher bekommst du etwas zum abschalten“, zwinkerte Noah mir zu und ich lächelte ihn darauf dankend an.
Abschalten … das war das Einzige was mir helfen konnte.
Wir blieben im Flur, vor der Treppe in die obere Etage, stehen. Sie hatte tatsächlich schon eine menge vorbereitet. Auf jeder möglichen freien Fläche standen Schüsseln mit Chips, Flips, Gummibärchen und anderen Leckereien bereit. Sarah hatte es sogar irgendwie geschaft die dreier Couch im Wohnzimmer zu verschieben sodass die Fensterbank frei war und genügend Platz für die Alkoholflaschen zur Verfügung stand.
Ein lautes Pfeifen, von Noah, holte mich aus meiner Inspektion der Wohnung.
„ICH BIN OBEN! KOMMT BITTE HOCH!“ ertönte es auch direkt von der anderen Etage.
Ihr Zimmer war das reinste Chaos. Überall waren Tops, Röcke, Jeans, Bürsten, ein Föhn und sonst noch alles mögliche auf dem Boden, bis hin zu ihrem Bett verstreut.
„Da seid ihr zwei ja endlich!!“
„Was ist den los Sarah?“, versuchte ich meine panisch klingende Freundin zu beruhigen.
„ICH FINDE MEINEN SCHWARZEN ROCK NICHT!“, kreischte sie.
„Ohne den ist mein Outfit ruiniert“, fügte sie noch flüsternd aber doch hörbar hinzu.
Zielstrebig ging ich auf ihr Bett zu und hob einen schwarzen Rock hoch.
„Dieser?“
„Nein, nein, nein nicht der. Weißt du noch, wo du meintest da drin hätte ich längere Beine?“
Verständnislos beobachtete ich sie in ihrem wirren durchwühlen ihrer Kleidung. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung welchen Rock

sie meinte.
„Nimm doch den“, meldete sich Noah zu Wort und warf etwas schwarzes vor Sarah, die mittlerweile auf dem Boden saß und dort ihre Suche fortsetzte.
„JAAAA, endlich. Du hast ihn gefunden!“
Seufzend setzte ich mich auf ihr Bett. Die Welt ging heute also noch nicht unter, dachte ich zufrieden.
Blind vor Freude, über ihren wieder gefundenen Rock, vergaß sie wortwörtlich alles um sich herum und wollte sich gerade ihre Jeans ausziehen als ihr doch im letzten Moment bewusst wurde, dass sie sich nicht alleine in ihrem Zimmer befand.
„Ehm Noah, würdest du bitte?“, Sarah machte eine Kopfbewegung zur Tür.
„Klar aber vorher brauche ich noch ein paar Klamotten von Justin wenn es klar geht.“
„Sicher, schau mal im Badezimmer. Da müsste was liegen und Noah?“, rief sie ihm nach, der sich schon auf den Weg Richtung Badezimmer machte.
„Was?“
„Justin ist im Garten. Er wollte dich sprechen wegen einem Geschäft!“
„Ich kümmere mich darum“, ertönte es vom Flur.
Ich dagegen tauchte wieder in meine Gedanken ab. Was wollte Irena bei mir zu Hause? Es lies mich einfach nicht los. Zu gern hätte ich ihren Grund für ihren äußerst freundlichen Besuch gekannt. Sie hasste mich. Also, was wollte sie von mir?
„Was ist los mit dir? Du warst gestern schon seltsam drauf als wir zum BlueRush gefahren sind.“ Da sollte nochmal jemand sagen, Sarah wäre nicht multitaskinfähig

. Wie an ihr einfach nichts vorbei ging, selbst jetzt nicht, wo es den Anschein machte, es würde nichts wichtigeres wie ihr Outfit geben.
„Nichts besonderes.“
„Du weißt, dass es den anderen auffällt? Erzähl es mir Leyla. Wir sind doch eine Familie, wir helfen uns“, eindringlich sah Sarah mich an während sie sich ihre Haare zurück steckte.
„Nichts besonderes. Ich habe ein bisschen Stress mit meiner Mutter“, ich lächelte sie mit einem lächeln an, was meine blaue Augen nicht erreichte. Es war nicht gelogen aber die Sache mit meiner Mutter beschäftigte mich nicht. Es war der plötzliche Besuch von Irena. Jedoch konnte ich ihr das nicht anvertrauen. Ich hatte mit meiner Vergangenheit abgeschlossen. Nichts, rein gar nichts sollte wieder aufgewühlt werden.
„Das wird wieder, glaub mir.“
Sarah. Wie gerne hätte ich ihren Optimismus.
„Ja, du hast Recht.“
Ich stand vom Bett auf und drehte Sarah zum Spiegel um.
„Offen“, stellte ich nüchtern fest.
„Zu“, wie auf Kommando steckte ich ihre Haare wieder zusammen.
„Offen“, sagten wir beide gleichzeitig und lachten.
„Jetzt brauchen wir noch etwas für dich“, suchend sah Sarah sich in ihrem selbst geschaffenen Chaos um.
Die Stunden vergingen wie im Flug bis wir beide endlich zufrieden mit meinem Outfit waren. Schlussendlich konnte ich mich für eine schwarz rote Kombination entscheiden. Ich liebte diese Farben. Sie passten perfekt zusammen. Also blieb es bei dem schwarzen Minirock und einem träger freiem rotem Top. Meine schwarzen Haare lies ich offen. Eine blöde Angewohnheit von mir aber ich kannte einmal eine Person, die es liebte wenn ich sie offen trug und sich in den Spitzen leichte Löckchen bildeten. Ganz wird sie nun mal nie verschwinden, die Vergangenheit.
„Wann kommen die ersten Leute?“, fragte ich interessiert.
„Ich schätze in 2 Stunden. Oh mein Gott, bis dahin muss alles fertig sein! Ich muss noch soviel erledigen!“ Schnell kämpfte sie sich einen Weg zur Zimmertür.
„Sarah?“
Sie stoppte in der Tür und drehte sich zu mir um.
„Leyla?“
„Macht es dir etwas aus wenn ich mich einwenig hinlege? Die Nacht war furchtbar.“
Mehr brauchte ich nicht sagen. Sie verstand mich.
„Klar, mach es dir bequem. Komm einfach runter wenn du wach wirst und Leyla, vergiss deine Mutter.“ Mitfühlend betrachtete sie mich.
„Danke.“ Zufrieden setzte ich mich wieder auf ihr Bett.
„Kein Ding. Meine Mutter macht auch täglich Ärger. Ich sag den Jungs, sie sollen keinen in das Zimmer lassen damit du Ruhe hast“, versicherte sie mir und schloss die Tür hinter sich.
Endlich. Ich war alleine.
Ich legte mich auf den Rücken und schaute an die Decke. Ich wollte auf keinen Fall etwas ausgraben, was ich mühselig in meinem Inneren vergraben hatte. Und das war gefährdet. Es war zum verrückt werden. Ich konnte an nichts anderes wie an Irena denken.
„Verflucht nochmal … warum warst du bei mir?“, flüsterte ich leise und schloss meine Augen.
Wir sind nie miteinander aus gekommen. Irena …. Sie war die Mutter von ….
Sofort brach der Gedanke ab und mir schoss ihr Satz durch den Kopf, der mich rasend gemacht hatte und das auch noch vor Noahs Augen.
„Mein Sohn gibt sich nur mit charakterlich schwachen Mädchen ab-“


Und wieder.
Allein der Gedanke an diesen Satz löste zu viele Emotionen in mir aus. Krampfhaft versuchte ich an was total belangloses zu denken. Zum Beispiel an Schafe die versuchen über einen Zaun zu springen und kläglich scheitern aber trotzdem immer wieder anlauf nehmen und es probieren aber egal wie oft sie es versuchen, sie schaffen den Sprung nicht. Ich weiß nicht, wie lange ich an meine imaginären Schafe dachte, jedoch erfüllten sie ihren Zweck.
Ich schlief ein.

Kapitel8: Interessante Nachrichten



Langsam kam ich wieder zu mir. Meine Hände strichen über etwas sehr angenehmes weiches. Weich?
Sofort saß ich kerzengrade im Bett. Das war eindeutig Sarah´s Zimmer aber warum lag ich in ihrem Bett? Mein Blick fuhr über meinen Körper und sofort wurde mir wieder alles klar.
„Oh nein“, flüsterte ich und hielt mir eine Hand gegen die Stirn. Sarah´s Geburtstagsfeier! Ich hatte doch unmöglich die ganze Party verschlafen – Oder? Das würde sie mir niemals verzeihen!
In wenigen Sekunden war ich aufgestanden und bahnte mir einen Weg durch Sarah´s Saustall

, hin zum Fenster.
Ziiiiiisssssssssssssssssssssssscccccchhhhhhh.
„Scheiße“, entschlüpfte mir ein quieken als ich auf eine leere, aber aufgeblasene, plastik Colaflasche trat.
„Du bist eindeutig zu schreckhaft Leyla“, sprach ich mir selber zu und setzte meinen Weg fort.
Erleichtert atmete ich aus als ich den Vorhang zur Seite gezogen hatte. Der Garten war bis auf das letzte ausgeschöpft. Alles was man raus holen konnte, hatte Sarah auch geschaft. Es sah bombastisch aus. Überall verstreut leuchteten kleine Feuerfackeln , die eine wirklich nette Atmosphäre hervor riefen. Ich hatte sie also nicht verpasst. Die Party war gerade mitten am Werk.
Zügig zupfte ich mir mein trägerloses rotes Oberteil zurecht und kämpfte mir erneut einen Weg durch Sarah´s Reich. Es war zwar kindisch aber ich konnte einfach nicht anders. Als ich an der Colaflasche vorbei kam, die mir diesen Mordsschreck eingejagt hatte, musste ich sie einfach wegtreten. Mein kleiner Racheakt gegen eine Plastikflasche … oh man …
Dann mal rein ins Getümmel, dachte ich als ich die Tür öffnete.
„Na hallo Süße!“
Und schon wieder erschreckte ich mich. Ich war heute total durch den Wind.
„Musst du mich so erschrecken?“, zickte ich den Übeltäter an, der lässig neben der Tür an der Wand lag.
„Hey hey, alles in Ordnung?“
„Ja, ich bin nur ein wenig durcheinander. Kein Grund zur Sorge Mr. Macho“, konterte ich.
„Mach deine Augen zu.“
„Was?“ Skeptisch beobachtete ich Noah. Was hatte er nun schon wieder im Sinn?
„Bitte Leyla.“
„Nur ganz kurz“, fügte er hinzu als ich keine Anstalten machte meine Augen zu schließen.
Genervt atmete ich aus und tat worum er mich bat.
„Und jetzt? Was hast du dir -“
„Schhhtt“, erklang es direkt an meinem Ohr.
Noah war zu nah, definitiv zu nah. Ich spürte seinen Atem auf meinem Körper und es bereitete mir eine Gänsehaut. Nicht gut, ganz und gar nicht gut.
„Beruhig dich“, sanft strich er mir über die rechte Gesichtshälfte und fuhr langsam meinen Hals runter.
Warum fühlte es sich schön an? Es durfte mir nicht gefallen. Noah war ein Macho. Er liebte es mit der Frauenwelt zu spielen. Außerdem waren wir Freunde. Unter uns war eine Beziehung strengstens untersagt. Moment! An was dachte ich hier?? Ich zog doch keine Beziehung mit Noah in Betracht – Oder?
„Noah ich-“
„Du bist wunderschön“, hauchte er an meine Lippen. Alles in mir schrie Hilfe

aber der andere Teil dachte sich Küss mich

. Ein Kampf zwischen der Vernunft und dem Herzen.
„Ey Noah, Justin sucht nach dir!“, brüllte eine unbekannte Männerstimme die Treppe hoch.
Ich spürte wie Noah sich ein kleines Stück von mir entfernte. Zögernd öffnete ich meine Augen. Ich hatte nicht die geringste Ahnung wie ich reagieren sollte. Spielte er mit mir? Oder entsprachen seine Wörter der Wahrheit? Ich wusste es nicht.
„Sorry Süße, Justin braucht mich.“ Ein verschwörerisches Lächeln umspiegelte seinen Mund.
„Machst du das extra?“, fragte ich ihn als wir zusammen Richtung Treppe gingen.
„Das?“ Provokativ legte er einen Arm um meine Hüfte und zog mich näher an sich.
„Nein, das doch nicht“, erwiderte ich schnell damit er keinen Verdacht schöpfte. „Wolltest du mich nicht wecken?“
„Ach das, Sarah meinte du bräuchtest was Ruhe. War ich ein braver Junge?“ Verführerisch lächelte er mich an. „Belohnst du mich?“
„Noah!“ Spielend boxte ich ihm gegen den Arm. „ Hör auf damit.“
„Warum?“
„Weil du nicht brav

warst“, log ich.
„Was muss ich tun um meiner hübschen einen Kuss zu entlocken?“
Wir erreichten gerade das Treppenende als plötzlich Justin vor uns stand. In einer Hand hielt er eine Bierflasche fest. Was auch sonst, dachte ich und setzte ein Lächeln auf.
„Hey Justin“, begrüßte ich ihn mit einem Kuss auf die Wange.
„Hey ihr Leyla“, er pfiff einmal kurz „du siehst gut aus.“
„Danke, weißt du wo Sarah steckt?“
„Sie müsste draußen sein“, antworte er und richtete dann seine volle Aufmerksamkeit auf Noah.
„Wir müssen reden. Eine Sache läuft nicht nach Plan“, begann Justin das Gespräch.
„Alles klar, ich schau mal“, verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg zum Garten.
All das geschäftliche hatte mich nicht zu interessieren. Und das war auch gut so. Ehrlich gesagt wollte ich nicht wissen, was Thomas alles veranstaltet. Sarah war da anders. Sie bohrte solange bei Justin bis er ihr alles erzählte. Mittlerweile weihte Thomas sie schon in das Geschäftliche ein. Mich hatte noch nie wirklich interessiert, warum so viele Menschen, wortwörtlich, angst hatten wenn sie unser Tattoo sahen. Für mich waren Thomas, Sarah, Justin und Noah meine Familie. Sie konnten überhaupt nicht böse

sein. Ich vertraute ihnen und sie mir, das war alles was zählte. Vertrauen und Gemeinschaft. Ich bekam das, was mir fehlte oder was ich verloren hatte.
Eine Familie.
Eine zweite Chance.
Die Räume waren brechend voll. Hin und wieder nickte ich zur Begrüßung aber wirklich erinnern, dass ich jemals mit der Person gesprochen hatte, konnte ich mich nicht. Wobei ich mich nach den meisten Clubaufenthalten grundsätzlich nicht erinnern kann. An Alkohol und ab und zu wieder was zum abschalten blieb bei meinem Freundeskreis nun mal nicht aus.
Leider.
Es gab eine Zeit, da war ich glücklich und brauchte solche Methoden nicht. Aber … die waren vorbei.
Im Wintergarten angekommen verschlag es mir die Sprache. Wow, dachte ich und musterte den Raum.
Meine beste Freundin hatte ihn zu einer Tanzfläche umgebaut. Normalerweise befand sich an der langen Fensterfront ein großer Esstisch mit Korbstühlen. Jetzt zierten, in regelmäßigen Abständen, große Palmenartige Pflanzen die Fensterfront. Justin´s Anlage stand am anderen Ende des Wintergartens und spielte Clubmusik. Es faszinierte mich jedes mal wenn Leute einen Kreis bildeten und dort drin getanzt wurde. Dieses Schauspiel bildete sich nun auch hier. Unmengen an Leute standen, mit ihren Getränken, vor der Fensterscheibe. Hätte dieser Raum keine zwei Türen hätten sie ein geschlossenes Rechteck gebildet. In mitten dessen sich ein Battle zwischen vier Kerlen abspielte.
„Tschuldigung“, machte ich mich kurz bemerkbar während ich mich durch die Menge quetschte.
„Darf ich mal?“ „Danke.“ „Sorry, ich müsste mal kurz - Danke“.
„Hey! Leyla!“
Ich blieb stehen und versuchte die Stimme zu zuordnen. Bis mein Blick plötzlich auf ein braun haariges Mädchen fiel was sich zu mir durch kämpfte.
„Hey Tina. Sorry, ich habe dich nicht gehört“, entschuldigend bewegte ich meine Hände kurz zu meinen Ohren und wieder zurück.
„Ja klar, die Musik.“ Tina lachte.
Oh, und wie sie lachte. Ständig, überall und über jeden Scheiß. Damals konnte sie mich nie ausstehen aber seit dem Noah immer bei mir war, versprühte Tina mir gegenüber eine extrem geschmierte Freundlichkeit. Woran das wohl lag ….
„Ich wollte dich fragen...“ Tina schaute sich kurz um Raum rum, dann fixierte sie wieder mich.
„Sexy Outfit“, stellte sie stattdessen fest.
„Danke.“ Ich lächelte sie an. Ärger war das letzte was ich provozieren wollte. Würde irgendwas nicht stimmen wären sofort Noah und Justin zur Stelle. Das wollte ich uns beiden ersparen aber vorallem wollte ich meiner Freundin ihre Geburtstagsfeier nicht ruinieren.
Ich lebte nach dem Motto: Lass nie deinem Feind spüren, dass er dein Feind ist.
„Hast du Noah gesehen?“ Interessiert musterte sie mich.
Darum ging es also. In ihrem hübschen Köpfchen spuckte noch Noah rum.
„Nein, er ist mit Justin gegangen.“
„Also dann … Man sieht sich.“ Ich drehte mich zum gehen um als sie mich plötzlich am Handgelenk festhielt.
Überrascht sah ich auf ihre Hand dann zu ihrem Gesicht. Dieses musterte interessiert mein Tattoo was sich auf diesem befand.
„Tat es weh?“
„Ein bisschen“, erklärte ich und versuchte alles so unscheinbar wie möglich zu halten. Hoffentlich sah Sarah uns nicht.
„Ich hätte auch gerne eins. Weißt du, ich würde so gerne zu euch gehören … zu Noah“, beklagte sich Tina fast weinend.
Manche Leute sollten wirklich die Finger von Alkohol lassen wenn sie damit nicht umgehen konnten.
„Ich muss dringend zu Sarah Tina...“, versuchte ich sie abzuschütteln.
„Hast du den neuen Kerl gesehen?“
Unberührt sprudelte sie drauf los als sie meinen skeptischen Blick bemerkte.
„Er ist soooooo heiß. Schwarze Haare, blaue Augen …. Genau wie du Leyla! Und der Body erst! Zum vernaschen. An Frauen fehlt es ihm bestimmt nicht. Ich hoffe er bleibt in der Stadt, wenn ich Noah nicht bekomme, will ich ihn!“
„Viel Glück“, mühselig versuchte ich mein Handgelenk zurück zu bekommen aber sie hielt es steinern fest.
„Nick! Ja, so hieß er.“
Ich horchte auf. Schwarze Haare, blaue Augen, gleicher Name …. Nein, Zufall.
„Ich hatte ihm was von den angesagtesten Leuten erzählt, natürlich auch von dir!“ Tina lachte. „Nick kennt dich und war ganz wild da drauf-“
„Ist er hier?“
Jetzt war es zu spät ich konnte meine Neugier nicht mehr zügeln. Das konnte kein Zufall sein. War er hier weil er mich sehen wollte?
„Ja sicher. Läuft hier irgendwo rum!“
„LEEEYYYLLLLAAAAA!“, rief Sarah plötzlich meinen Namen. Sofort ließ Tina mein Handgelenk los.
„Ich muss los und danke“, sagte ich schnell und ging Sarahs Stimme hinterher.
„Wofür?“, hörte ich Tina mir noch hinterher rufen.
Ja, wofür ….?
Endlich im Garten angekommen, entdecke ich direkt meine Freundin. Nach dem zu urteilen, wie schief sie ging, hatte Sarah schon einiges Intus.
„Hey, happy Birthday Süße“, begrüßte ich Sarah und gab ihren Kuss auf die Wange.
„Leyla, ich lübe düch“, nuschelte Sarah.
Ich schenkte ihr dafür ein lächeln. Was wäre ich nur ohne meine beste Freundin?
„Ich dich auch.“
Der Abend verlief gut. Jeder hatte Spaß. Außer ich. Ich kam einfach nicht von dem Gedanken los, was Irena und jetzt sogar noch Nick in dieser Stadt wollten. Nick.


Allein der Gedanke an ihn ließ mein Herz stocken. War er tatsächlich auf dieser Party? Vorsichtig sah ich mich um. Er könnte überall sein. Das war das negative an Partys: Sie waren zu voll. Wenn man jemanden suchte, fand man ihn nicht.
Sollte ich es riskieren und ihn suchen?


Kapitel9: Im Rausch



Die Minuten verstrichen ebenso schnell wie die Stunden. Mittlerweile war es 3Uhr morgens, was aber niemandem vom feiern abhielt. Was auch gut war. Ich brauchte jetzt dieses Umfeld vielleicht sogar mehr wie ich mir je zugestehen würde.
Sarah und ich saßen etwas abseits, auf zwei blauen Plastikstühlen, und beobachteten das Geschehen. Die Menschen tanzten, tranken und küssten sich. Im großen und ganzen amüsierte sich jeder. Und das, hatte ich ebenfalls vor.
Ich nahm einen ordentlichen Schluck aus der Bierflasche, die auf meinem Schoss lag.
„Hörst du mir überhaupt zu?“
Unsicher schaute ich meine Freundin an.
„Also nicht. Toll.“ Genervt verdrehte sie ihre blauen Augen.
Ich gab mir einen Ruck und versuchte die quälenden Gedanken so gut wie möglich zu verdrängen. Schließlich war dies die Geburtstagsfeier meiner besten Freundin. Das wollte ich ihr nicht versauen.
„Was hat Justin dir geschenkt?“
Misstrauisch sah sie mich an.
„Sag schon.“ Ich lächelte „War es so mies, dass wir ihn bestrafen müssen wie letztes Jahr?“
Das war eine Aktion von Justin gewesen. Welcher Kerl schenkt seiner Freundin bitte giftgrüne Socken zum Geburtstag? Anschließend hatte Sarah ihn zu einer Woche kochen verdonnert und siehe da! Er hatte es tatsächlich getan. Leider hatten wir kein materielles Andenken mehr. Als Justin die Foto´s, wo er in Schürze am Herd stand, entdeckt hatte, holte er sein Feuerzeug aus der Hosentasche und verbrannte diese. Was für ein Jammer.
Sarah lachte. Auch in ihr schien diese Erinnerung noch sehr lebhaft zu sein.
„Dieses Jahr war es das hier...“ Sie hielt mir ihre Hand hin. Um ihr Handgelenk baumelte eine wunderschönes, silbernes Armband. Ein kleiner Anhänger in der Form eines Herzens war an diesem befestigt. Das Herz war verziert mit einem roten Stein, der leicht schimmerte.
„Ahh, wie süß“, quiekte ich und betrachtete das Geschenk.
Wir unterhielten uns hauptsächlich über ihre Beziehung. Ich freute mich für Sarah, dass sie glücklich mit Justin war. Die Beiden planten sogar einen Urlaub auf Griechenland, was allerdings noch streng geheim war.
„Die habe ich von Thomas bekommen. Praktisch sein Anteil an meine Party“, verkündete Sarah und lächelte mich an.
Skeptisch schaute ich auf ihre offene Handfläche. Eine rosa gefärbte Tablette befand sich auf dieser.
Als Sarah merkte, dass von mir keine Reaktion kam, nahm sie meine Hand und ließ die Tablette auf meine Handfläche fallen.
„Komm schon oder weißt du nicht mehr was das ist?“
Neugierig roch ich an der Tablette.
„Unser Wundermittel? Hatten die Tabletten nicht mal eine andere Farbe?“
„Die Alten waren weiss, die pinken hauen angeblich besser rein.“ Zwinkerte Sarah mir zu und spülte ihre mit einem ordentlichen Schluck Bier runter.
Ich tat es ihr, ohne zu zögern, nach.
Nach und nach kamen immer mehr Leute zu uns. Sie gratulierten Sarah und tranken mit uns. Mein Kopf schmerzte höllisch. Offenbar setzte langsam die ersehnte Wirkung von dem Ecstesie. Alle Sorgen streiften von meiner Seele ab. Ich fühlte mich frei. Alles schien weit entfernt zu sein aber doch so nah. Die Gespräche, die Umgebung, einfach alles war verzerrt.
Plötzlich legten sich warme Finger um meine Hand, die die Bierflasche umschloss. Ich konnte nicht realisieren wem diese Hand gehörte aber es war ein schönes Gefühl. Ich wollte das mir jemand Wärme gab, mehr als jemals zu vor.
Zu schnell stand ich von meinem Stuhl auf. Ich verlor mein Gleichgewichtsgefühl und landete gegen einen fremden Oberkörper.
„Dankeschööööön“, lallte ich und versuchte mich aufzurichten. Vergebens. Der Unbekannte hatte einen Arm um mich gelegt und verhinderte auf diese Art, dass ich mich von ihm befreien konnte. Ich versuchte es erst garnicht weiter. Mir war es ziemlich recht. Ich legte meinen Kopf an seinen Oberkörper und spürte wie er den letzten Finger von der Bierflasche befreite.
Ich genoss diese Wärme, diese Umarmung und den Moment.
Wie lange war es her, dass mich jemand umarmte? Ich wusste es nicht mehr. Mein Kopf war einfach leer. Ich konnte nicht mehr zwischen richtig und falsch unterscheiden.
Ich schmiegte mich, wie ein Kätzchen, noch enger an seinen Körper.
Plötzlich spürte ich, wie der Unbekannte meinen Kopf leicht anhob. Schrecklich. Ich konnte einfach nicht erkennen, wer er war. Alles war vollkommen verschwommen und verzerrt. Zärtlich strich er mir eine schwarze Haarsträhne hinter mein Ohr.
Ich lächelte ihn an. „Zu dir oder zu mir?“
Ein Finger legte sich auf meine leicht geöffneten Lippen.
Warum antwortete er nicht? Wollte er mich nicht? Verunsichert versuchte ich einen Schritt rückwärts zu machen aber er hatte sein Arm lag immer noch auf meiner Hüfte und drückte mich somit an seinen Körper.
„Lasch misch losch wenn isch dir nischt gefalle!“
Dann spürte ich wie er mit seinem Mund meine Wange streifte, sich langsam zu meiner Nase hinarbeitete und sein Ziel fand. Sein Atem prallte gegen meine Lippen. Ein unglaubliches Verlangen stieg in mir hoch. Ich wollte ihn küssen, ganz gleich wer es war. Selbst wenn Noah vor mir stand. Es war mir egal.
Ich wollte ihn.
Sehnsüchtig wartete ich auf einen Kuss. Aber es kam keiner. Stattdessen küsste er mich sanft auf die Stirn.
„Zu mir“, sprach der Unbekannte.
Er stützte mich den ganzen Weg zu seinem Auto. Keinen einzigen Moment hatte sein Arm meine Hüfte verlassen. Zufrieden legte ich mich gegen ihn.
„Wohin Süße?“
Was war das für eine Stimme? Vielleicht sollte ich auf diese rosa Tablette demnächst verzichten. Ich bekam ja rein gar nichts mehr mit, geschweige, dass ich denken konnte.
„EY! Bleib sofort mit Leyla stehen!“ schrie uns jemand hinterher. Und tatsächlich wir stoppten.
Plötzlich wurde ich grob am Arm gepackt. Der Griff war dermaßen stark, dass es schmerzte.
„Au, lasch misch losch!“
„Süße, du kannst in deinem Zustand nicht mit diesem … Kerl abhauen“, sprach die Stimme erneut und nun erkannte ich sie. Noah! Es war Noah, der mir weh tat.
„Fass sie nicht an!“ drohte mein Fremder.
„Wer bist du überhaupt?“
Eine perfekte Einladung für Noah.
Ich spürte wie mein Fremder sich zwischen Noah und mir stellte.
Was passierte hier?
„PRÜGELEI LEUTE!“
Ich zuckte zusammen. Ich hatte Angst, dass IHM was passierte. Aber das was mir Unbehagen bereitete war, dass dieses Gefühl nicht Noah galt. Nein, ich hatte angst um den Unbekannten.
Instinktiv stellte ich mich dichter hinter meinen Fremden und legte meine Hände bei ihm auf den Rücken. Sollte ich nicht, selbst in meiner Verfassung, auf Noah´s Seite stehen? Ich tat es nicht.
„LEUTE, KOMMT SCHNELL!“
Nein, warum verschwand Noah nicht einfach?
„Hast du Schiss oder was?“, fragte Noah provokant.
Der Unbekannte drehte sich zu mir um und nahm meine Hände in seine. Tränen stiegen in meinen Augen auf. Ich wollte nicht weinen. Nicht, vor all diesen Leuten.
„Schhht, warte auf dem Parkplatz auf mich, okay?“
Ich wimmerte und drückte seine Hand.
„Keine Angst, ich komme gleich nach“, sprach er eindringlich und gab mir erneut einen Kuss auf die Stirn.
„Lass deine Finger von ihr“, brüllte Noah.
In diesem Moment geschahen mehrere Sachen gleichzeitig. Die Leute fingen an Noah an zu feuern, dann diese Kälte die sich in meinen Körper fraß als der Fremde mich weg stoß und ich brutal auf den harten Steinen landete. Warum prügelten sie sich? War es nicht meine Sache mit wem ich wegging und mit wem nicht? Ich wollte nicht, dass jemand wegen mir verletzt wurde …
„NOAH,NOAH,NOAH,NOAH!“
Ich versuchte aufzustehen aber ich hatte keine Kraft in meinen Beinen. Stattdessen fiel mir auf, dass mein rechtes Bein höllisch schmerzte. Vorsichtig tastete ich es ab.
„Nein“, murmelte ich als ich meine Hand betrachtete. Sie war rot. Rot von meinem Blut! Ich musste mich bei dem Aufprall verletzt haben. Ich fühlte mich elend. Alles schmerzte. Mein Kopf pochte im Einklang mit meinem Herzen. Ich musste etwas tun. Ich durfte nicht zu lassen, dass ihm was geschah. Dessen war ich mehr als bewusst.
Wenn ich einmal eine Entscheidung getroffen hatte, hielt ich an dieser fest. Selbst wenn es noch so schwer war. In dieser Hinsicht war ich ein wirklicher Dickkopf.
Erneut versuchte ich aufzustehen. Und wieder knallte ich auf den harten Boden auf. Ich biss mir vor Schmerz auf die Lippe.
„GIBS IHM!“
Tränen formten sich in meinen Augen. Ich senkte meinen Kopf. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Nicht schon wieder. Bitte, nicht schon wieder! Nie wieder sollte sich jemand wegen mir verletzen.
Ich versuchte was zu sagen aber kein Wort verließ meine Lippen. Sie waren nur ein Hauch, ein stummer Hauch, der in der Lautstärke unterging.
„Hört auf“, flüsterte ich mit gesenktem Kopf.
Keine Reaktion. Von Niemandem. So viele Leute standen hier und keiner nahm mich wahr. Dann passierte es. Die Tränen hatten ein Wettrennen auf meinen Wangen gestartet. Ich konnte nicht anders. Ich fühlte mich hilflos.
Ganz schwach nahm ich ein getuschel zweier Mädchen wahr.
„Diese schwarzen Haare ...“
„Schau dir mal die blauen Augen an“, kicherte die andere.
Ich horchte auf.
„Er ist angeblich neu in der Stadt und sucht nach einem bestimmten Mädchen.“
„WAAASS, echt?“
„Hammer, oder? Ich wünschte er würde nach mir suchen ...“
„So kurz erst hier und schon direkt in eine Prügellei verwickelt.“
Das konnte nicht wahr sein, oder? War mein Fremder etwa … Ich brach den Gedanken ab. Ich musste ihn daraus holen. Es sind einfach zu viele Zufälle auf einmal, ER muss es sein. Er ist zu mir zurück gekommen.
Aber …
Warum?
Allein der Gedanke an ihm gab mir Kraft, Kraft um den Schmerz zu verdrängen. Und wieder versuchte ich mich auf zu richten. Mein Bein drohte zusammen zu klappen aber ich gab nicht auf. Das Blut floss an meinem Schienenbein runter. Egal. Es war egal.
Schlürfend kämpfte ich mir einen Weg durch die Menge bis ich endlich Noah schemenhaft erkannte. Sofort schaute ich auf die andere Seite aber mein Blick war noch nicht vollkommen befreit von dem Rausch. Das erste Mal verfluchte ich die Drogen und den Alkohol.
Es war zu viel für mich. Konnte es wirklich sein, dass ER hier war? Nur wenige Meter von mir entfernt?
Ich schwankte in die Mitte des Kreises.
„Leyla, geh zur Seite.“
Das war Noah.
Ich schloss meine Augen. Ich hatte kaum noch Energie übrig. Ich fühlte mich schlapp.
„Nein“, versuchte ich, mit starker Stimme meine Position, deutlich zu machen.
„Ich möchte nicht, dass jemand verletzt wird.“
Ich hielt mir eine Hand an den Kopf. Das Pochen wurde stärker. Ich drehte mich zu dem Unbekannten um. Was war wenn ich mich irrte? Wenn mir meine Gefühle einen Streich spielten?
„Wer bist du?“, flüsterte ich. Dann gab ich den Schmerzen nach. Ich spürte wie die Kraft aus meinen Beinen verschwand und ich zur Seite kippte. Allerdings prallte ich nicht auf den harten Boden, nein, warme Arme umschlangen meinen Körper.

Ich ließ mich fallen, in die Arme eines Unbekannten.




Kapitel10: Der Morgen danach



Mit verschränkten Armen stand ich vor dem großen Hotelzimmerfenster und schaute auf den Parkplatz hinunter. Seit heute Morgen lies ich den Hotelparkplatz schon nicht mehr aus den Augen. Ich verfolgte, mit meinen Blicken, jeden jungen Mann der das Hotel verließ und sich auf den Weg zu seinem Auto machte.
Die Gedanken an die letzte Nacht wollten einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden. Sie quälten mich. Ich brauchte endlich Gewissheit, wer

mich hier her gebracht hatte. Ob Nick tatsächlich in der Stadt war?
Ich schüttelte leicht meinen Kopf.
Nein, der Gedanke war absurd. Was würde er denn hier wollen? Das Glück streckte Nick´s ganzes Leben lang schon die Arme entgegen und er nahm es dankend an. Wenn ihm erstmal ein Mädchen ins Auge gesprungen war, hatte er nie Probleme damit sie auch zu bekommen. Er war gut aussehend, gebildet und charmant. Wenn er erstmal eine Freundin hatte, war er eine äußerst treue Seele und behandelte seine Freundin wie eine Königin. Nick war ein Mann wie ihn sich jedes Mädchen wünschen würde; Die perfekte Mischung aus fürsorglicher Freund und Macho. Wenn man mit ihm wegging wurde es nie langweilig. Er hatte einen unglaublichen Humor.
Ein lächeln schlich sich auf meine Lippen.
Egal wie dreckig es mir ging, Nick brachte mich jedesmal zum lachen. Bei ihm vergaß ich all meine Sorgen. Ich konnte ich selbst sein. Aber es war Vergangenheit. Es gab kein Nick & Leyla mehr. Nie wieder würde es uns geben. Ich musste mich damals zu dieser Entscheidung zwingen aber es war sicherer für ihn und das war alles was zählte; Er sollte sein Leben ohne eine Last wie mich leben. Meine Vergangenheit würde mich niemals los lassen. Ich wollte Nick nie mit meinen Sorgen belasten und erst recht nicht in Gefahr bringen.
Ich war nicht die Richtige für ihn, dachte ich und wischte mir mit dem Handrücken eine Träne weg.
Ich blieb noch ein paar Minuten unbewegt am Fenster stehen. Dann drehte ich mich um und ging zu meinen Nachtisch.
Wer auch immer mich hier her gebracht hatte, er hatte definitiv Geld. Viel Geld. Das Hotelzimmer war gefüllt mit verschiedenen orange/braun Tönen. Normal sind Hotelbetten total unbequem und steinhart. Dieses hier allerdings nicht. Ich hatte sehr gut geschlafen und es war riesig. Für ein frisch verliebtes Paar wäre das Zimmer ein perfektes Liebesnest. Das Zimmer strahlte eine Wärme und Geborgenheit aus, die unbeschreiblich war. Neben dem Bett stand eine groß gewachsene Trompetenblume und die Fensterbank war ebenfalls besetzt mit wunderschönen Orchideen.
Entweder wusste die Person nichts mit ihrem Geld anzufangen oder diese Person hatte Angst um meinen Zustand und hat mich deshalb allein in diesem noblen Zimmer gelassen. Nie wieder würde ich soviel Alkohol zu mir nehmen wie gestern. Ganz davon abgesehen, dass das Ecstesie von Sarah härter war als wie ich es gewohnt war. Es ärgerte mich denn hätte ich mich ein bisschen zurück gehalten, hätte ich gesehen mit wem ich die Party verlassen hatte und wenn Noah verprügeln wollte.
„Noah“, seufzte ich und schaute auf mein Handgelenk.
Langsam strich ich mit dem Zeigefinger über das Zeichen meiner Familie; ein aggressiver Wolfskopf als Tattoo. War es die richtige Entscheidung? Ich konnte niemals zurück gehen. Ich gehörte jetzt zu ihnen. Dieses Zeichen gewährte mir Schutz.
Ich nahm den Telefonhörer und drückte die eins.
„Einen wunderschönen guten Morgen wünscht ihnen ihr Hotel Lambertz. Wie kann ich ihnen behilflich sein?“ Meldete sich eine freundliche Frauenstimme am anderen Ende der Leitung. Zu freundlich für meinen Geschmack. Ein einfaches „guten Morgen, wie kann ich ihnen helfen“, hätte vollkommen genügt aber ich hatte Leute, die Geld besaßen oder für Leute die für Jemanden arbeiteten die welches besaßen noch nie verstanden.
„Guten Morgen … ich … also ich hätte eine Frage“, setzte ich an, irgendwie war es mir unangenehm. Ich hatte ein ungutes Gefühl im Bauch.
„Aber selbstverständlich. Ich werde sie ihnen so gut wie es mir möglich ist beantworten.“
Suchend sah ich mich im Zimmer um.
Irgendwo müsste doch …
Ich machte die Schublade vom Nachtisch auf und entdecke das, wonach ich gesucht hatte; den Zimmerschlüssel.
An ihm hing ein Lederband wo drauf die Zimmernummer eingedruckt war.
„Könnten Sie mir sagen, auf wenn das Zimmer 122 reserviert ist?“
„Einen Augenblick bitte“, sagte die Angestellte. Dann war nur noch ein lautes und vorallem schnelles tippen zu hören.
„Mrs. Black, Sie befinden sich in Zimmer 122. Ihr Mann hat heute Morgen um 7 Uhr bereits die gesamten Kosten übernommen.“
Mein Mann?
Ich war nicht verheiratet. Ich hatte noch nicht einmal einen Freund!
Wer auch immer mich hier hin gebracht hatte … er kannte mich. Er kannte definitiv meinen Nachnamen. Also wusste er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch viel mehr über mich. Schließlich war er sogar auf Sarah´s Geburtstagsparty.
Ich musste etwas über diesen Unbekannten in Erfahrung bringen.
„Mein Mann? Ach, schrecklich diese Kopfschmerzen“, fragte ich gespielt müde und gähnte einmal damit es glaubwürdiger erschien.
„Ja, Mrs. Black, benötigen Sie etwas gegen Kopfschmerzen?“
„Nein … es geht schon, danke. Hat mein Mann vielleicht für mich eine Nachricht zurücklegen lassen?“
„Tut mir Leid, nein. Das Einzige was Mr. Black für Sie da gelassen hat, ist ihr Flugticket.“
Flugticket?
Könnte es vielleicht doch sein, dass dies Nick´s Werk war? Aber warum? Warum sollte er nach mir suchen?
Nick war der Einzige der von meiner Liebe gegenüber Griechenland wusste und schätzte. Ich musste unbedingt wissen wohin

der Flug auf diesem Ticket ging.
„Okay, danke. Wann könnte ich abreisen?“
„Wann immer sie es wünschen Mrs. Black.“
„Danke für ihre Hilfe. Ich werde dann in 10 Minuten auschecken.“
Wenn das Ticket tatsächlich nach Griechenland ging …
„Das Vergnügen liegt ganz auf meiner Seite. Ich wünsche ihnen in unserem Hotel Lambertz noch einen schönen Aufenthalt.“
Ich legte das Telefon wieder auf seine Station. Endlich war ich von dieser erdrückenden Freundlichkeit befreit.
Ich nahm den Zimmerschlüssel und eilte ins Bad.
Ich betrachtete mich im Spiegel und zupfte mein rotes, trägerloses Top zu recht. So könnte ich niemals dieses Zimmer verlassen. Ich sah schrecklich aus. Mein Gesicht war total blass. Die letzte Nacht ging nicht spurlos an mir vorbei.
Dann kämmte ich mir meine rabenschwarze Haare und schminkte mich nach. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel;
„So müsste es gehen“, flüsterte ich als ich mich betrachtete. Ich passte von meiner ganzen Art und Erscheinung schon nicht in ein dermaßen nobles Hotel und ich brauchte dieses Ticket. Ich musste wissen ob es von Nick war.
Auf dem Flur gingen gerade die Zimmermädchen ihrer Arbeit nach.
„Morgen“, begrüßte ich sie leicht lächelnd.
„Guten Morgen Miss“, sagten die drei Frauen fast gleichzeitig.
Mit schnell Schritten eilte ich das Treppenhaus runter.
Als ich die Rezeption sah, zügelte ich mein Tempo.
Hoffentlich fällt es nicht auf, dachte ich und atmete tief durch.
„Guten Morgen“, begrüßte ich die kleine, rothaarige Frau hinter dem Tresen.
„Guten Morgen, wie kann ich ihnen behilflich sein?“ erwiderte sie lächelnd.
„Mein … Mein Mann“, ich lächelte zaghaft „hat für mich ein Flugticket zurück gelegt.“
Ein paar Sekunden sagte niemand etwas. Die rothaarige Frau sah mir direkt in die Augen. Es war mir mehr als unangenehm. Ich wendete öfters meinen Blick ab und schaute zur Eingangstür.
„Entschuldigung Miss“, fing sie vorsichtig an.
„Ja?“, verunsichert lächelte ich.
„Sie müssen mir ihren Namen verraten damit ich nachschauen kann ob auf diesen Namen etwas weggelegt wurde.“
Oh Gott, wie peinlich.
„Black. Wir heißen Black. Entschuldigung ich bin noch etwas durcheinander.“
„Das macht überhaupt nichts.“ Die Angestellte drehte sich um und kam mit einem Briefumschlag zurück.
„Bitte schön.“ Sie hielt mir den Briefumschlag entgegen.
„Danke“, erwiderte ich kurz und nahm ihn entgegen.
„Ich wünsche ihnen einen schönen Aufenthalt.“
Ich bedankte mich und ging Richtung Eingangstür. Was, wenn das Ticket tatsächlich von Nick war? War ich stark genug um ihm gegenüber zu stehen?
Meine Hand verharrte auf dem Briefumschlag.
Ich schloss meine Augen und seufzte.
Wollte ich mich meiner Vergangenheit stellen? Ich wusste nicht was ich tun sollte...
Es könnte aber auch sein, dass meine Angst vollkommen unbegründet war. Was, wenn es sich um eine Verwechslung handelte und ich diese Person gar nicht kannte?


Sollte ich ihn öffnen oder dem Risiko aus dem Weg gehen?




Kapitel11: Geborgenheit



Es schien, als hätte die Zeit die Erde verlassen. Es kam mir vor wie Minuten, nein, wie Stunden, die ich vor der Hotel Lambertz Eingangstür verbrachte. Neue und alte Gäste gingen an mir vorbei ohne mich wirklich wahrzunehmen. Oder besser gesagt; Ich nahm sie nicht wahr. Für mich gab es nur einen einzigen Gedanken.
Sollte ich ihn öffnen oder nicht?
Unschlüssig starrte ich förmlich auf den Briefumschlag in meiner rechten Hand. Ich atmete tief ein und schloss meine Augen.
Die letzten Monate waren die reinste Hölle gewesen. Ich musste lernen mein Leben zu akzeptieren. Ich musste wieder anfangen zu leben. Es war ein sehr harter Weg gewesen. Mit meiner letzten Kraft hatte ich mir ein neues Leben aufgebaut. Ich hatte, wortwörtlich, wieder mein Zimmer verlassen und hatte eines abends Sarah kennengelernt.
Fast lautlos verließen die Wörter meinen Mund.
„Sarah … Justin … Noah … Thomas.“
Sie waren nun meine Familie. Ich war doch glücklich, oder? Sarah war die beste Freundin die ich jemals besessen hatte. Sie stand mir immer bei und akzeptierte es, wenn ich allein sein wollte. Justin passte so gut zu ihr. Er war wie ein Bruder für mich. Dagegen bei Noah …
Ich seufzte.
Ich hatte angst mich in etwas zu verlaufen. Noah hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er gerne mit den Mädchen spielte. Was, wenn er es bei mir auch tat?
Und Thomas... Thomas war der Hirte und wir seine Schafe. Vielleicht war es ein Fehler, dass wir ihm blind vertrauten aber warum sollte er uns schaden zu fügen wollen? Wir waren eine Familie und ich hatte das Glück, dass sie mich aufgenommen hatten.
„Ich lasse nicht zu, dass ich euch verliere“, flüsterte ich und ging langsam auf den Mülleimer zu.
Es war jetzt schon Monate her und trotzdem besaß Nick noch solch eine Macht über mich. Allein der Gedanke, dass dieser Brief von ihm sein könnte, lies mein Herz einen kleinen Sprung machen. Und das war alles andere als richtig. Ich musste mir eingestehen, dass ich ihn vermisste …
„Ja, du fehlst mir“, flüsterte ich und senkte leicht meinen Kopf. Ich spürte, wie ich mit jeder Sekunde die verstrich, mehr und mehr die Kontrolle über mich verlor. Alles in mir schrie danach meine Trauer zu zeigen, einfach alles.
Wie er mich immer angesehen hatte …
Seine Berührungen …
Seine Stimme …
Die leidenschaftlichen Küsse die er mir Tag und Nacht schenkte …
UND ICH HATTE ALLES ZERSTÖRT!
Eine Träne suchte sich ihren Weg über meine Wange.
„Ich habe dich verloren“, flüsterte ich und lies den Briefumschlag aus meiner Hand, in den Mülleimer, gleiten.
Mit schnellen Schritten entfernte ich mich dem Hotel. Die Richtung interessierte mich nicht. Ich wollte einfach weg. Weg von diesem Ort. Weg von dem, was mich schwach machte.


Gefühlte 2 Stunden später ging ich immer noch orientierungslos durch die Straßen. Es trug nicht gerade positiv zu meiner Stimmung bei, dass ich weder mein Handy, geschweige meinen Haustürschlüssel bei mir hatte.
Frustriert, über meine Lage, setzte ich einen Fuß vor den anderen.
Warum musste immer mir so etwas passieren?
Konnte ich nicht ein einziges mal ein bisschen Glück haben? Nur ein bisschen?
Dann bemerkte ich eine ältere Frau, schätzungsweise um die 60, die gespannt in ein Schaufenster sah. Erst als ich die ältere Dame näher betrachtete, fiel mir ein schwerwiegender Unterschied auf. Sie trug einen roten Wollmantel und eine schwarze Wollmütze. In ihrer rechten Hand befand sich ein karierter Regenschirm. Winterkleidung!
Zögernd blickte ich an mir herunter.
Mein rotes Top und der knappe schwarze Rock spiegelten ein perfektes Tag und Nacht Beispiel wieder. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich fror. Es wurde Winter und ich lief in Hochsommer Klamotten rum!
Schützend schlang ich meine Arme vor meinem Oberkörper.
„Oh Gott.“
Ich setzte einen Schritt vor den nächsten.
„Kind!“
Wenn ich an der nächsten Kreuzung ankam, wüsste ich endlich, in welche Richtung ich gehen müsste, um nach Hause zu kommen.
Plötzlich hielt mich etwas am Oberarm fest.
„Nun warte doch.“
Perplex schaute ich in das freundliche Gesicht der älteren Dame, die vorhin noch fasziniert das Schaufenster betrachtet hatte.
„Du holst dir noch den Tod mein Kind“, flüsterte die Unbekannte und reichte mir ihre Handschuhe.
Verwundert schaute ich auf ihr Angebot und dann wieder in ihr freundliches, rundes Gesicht. Erst jetzt begriff ich, dass sie sich Sorgen um mich machte.
„Ne-“, setzte ich an aber sie unterbrach mich und drückte mir ihre Handschuhe in meine Hände. „Wie läufst du denn im Winter draußen rum mein Kind!“
Diese Frau strahlte eine Barmherzigkeit aus die meinen Körper erwärmte. Ich war eine Fremde und dennoch war sie so großzügig zu mir.
Erneut verließen Tränen meine Augen und suchten sich ihren Weg über meine Wangen.
„Du musst doch nicht weinen“, sagte sie mütterlich und wischte mir vorsichtig mit ihrem Finger die Tränen weg.
„Das-“, Ich schluchzte. „Geht schon, wirklich.“ Ich lächelte zaghaft.
„Du brauchst etwas heißes zu trinken.“ Die ältere Dame macht eine kurze Pause „Du kannst dich bei mir aufwärmen Kind. Ich wohne nicht weit von hier.“
Gerade als ich meinen Mund öffnete, um ihr Angebot dankend abzulehnen, bretterte ein Auto fast auf den Bürgersteig und hielt neben uns. Das Geräusch was die armen Reifen bei dieser Aktion von sich gaben, war schlimmer wie jedes Katzengejammer in der Nacht.
Mit großen Augen starrten wir beide den schwarzen Volvo an.
Wer zur Hölle …
Die Fahrertür öffnete sich und, ich traute meinen Augen nicht, wer da gerade aus dem Volvo kam!
„NOAH!“, schrie ich vor Freude und rannte auf ihn zu. Mir war egal was die anderen Leute von mir dachten. Ich war so froh ihn zu sehen!
Ich drängte mich an seine Brust und atmete tief seinen Duft ein. Er war es wirklich. Noah hatte mich gefunden.
Noah legte seine Arme schützend um meinen Körper und zog mich noch enger an sich.
„Ich hatte solche angst um dich“, flüsterte Noah oberhalb meines Ohres. Sein warmer Atem jagte mir eine Gänsehaut über den Körper.
Nach wenigen Minuten löste Noah die Umarmung. Ich wollte nicht, dass er mich los lies. Ich sehnte mich nach ihm. Nach seinen Berührungen.
Ich legte meine Hände auf seine Brust und schaute zu ihm auf. Kurze Zeit schwiegen wir. Ich genoss den Moment förmlich. Dieser Blick. Er hatte sich um mich gesorgt. Plötzlich überrannte mich die Erinnerung an den letzten Abend. Die Schlägerei und vorallem … auf welcher Seite ich gestanden hatte. Ja, ich hatte Noah verraten und einen Fremden beschützt.
Schuldbewusst löste ich den Blickkontakt und schaute auf seinen Oberkörper.
„Noah, es tut mir so schrecklich L-“, flüsterte ich, doch ehe ich zu ende sprechen konnte, umfasste seine Hand leicht mein Kinn und hob es vorsichtig hoch sodass ich ihn ansehen musste.
„Sccchhht, wir reden später Süße.“
Ein Lächeln umspiegelte seine Lippen und ich tat es ihm zaghaft nach.
„Mach dir keinen Kopf“, sagte er und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
„Junger Mann! Passen sie besser auf ihre Herzdame auf“, meldete sich die Unbekannte Frau erneut zu Wort.
„Danke, dass sie ihr helfen wollten.“
Noah lies mich keinen Moment lang los. Ich fühlte mich beschützt und geborgen in seinen Armen. Empfand er wohl möglich doch etwas für mich?
„Leyla?“ Noahs Stimme klang besorgt.
„Hey Süße, alles in Ordnung?“
Ich nickte benommen. Ich konnte ihm doch unmöglich sagen, dass ich seinetwegen glücklich war. Ich wollte nicht, dass diese Umarmung endete.
„Du zitterst ja“, stellte er besorgt fest und streichelte mit seinen Händen meinen Rücken auf und ab.
Wenn du nur wüsstest, dachte ich.
„Komm, ich bring dich nach Hause.“
Stützend legte Noah seinen Arm um meine Taille und öffnete die Beifahrertür seines schwarzen Volvos.
„Leyla!“, kreischte Sarah. Moment mal … Sarah?
„Mensch, wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht!“
Noah rückte den Beifahrersitz nach vorne sodass ich zu meiner besten Freundin auf die Rückbank klettern konnte. Erschöpft sackte ich neben Sarah in den Sitz.
„Du siehst total mitgenommen aus. Wir haben dich den ganzen Tag lang gesucht. Du glaubst gar nicht wie wütend Noah war. Er ist fast durchgedreht vor Sorge um dich. Hat dieser Dreckskerl dir etwas getan?“
Endlich. Ich war bei meiner Familie. Sie gaben mir den Halt den ich brauchte. Aber es stimmte. Ich fühlte mich schwach, ja fast, kränklich.
Noah startete den Motor und wechselte, mit Vollgas, die Richtung. Ich wusste nicht, was mir mehr Sorgen machen sollte. Entweder, dass Noah mit 120 durch die Stadt bretterte oder, dass er mich besorgt durch den Rückspiegel musterte.
„Leyla?“ Vorsichtig streichelte Sarah mir über den Arm.
„Sorry, ich bin etwas neben der Spur“, sagte ich entschuldigend.
„Hat er dir was getan?“
Verwirrt sah ich ihr in ihre blaue Augen. Ich verstand nicht, was sie von mir wissen wollte.
„Sag es uns“, drängte sie.
„Was? …“ Und dann fiel endlich der Groschen. Sie meinten den Fremden. „Nein!“ Meine Stimme war etwas zu laut.
„Süße“, setzte Noah an.
„Schau auf die gottverdammte Straße Noah! Bitte! Er hat mir nichts getan. Ich habe ihn nicht einmal gesehen“, beteuerte ich und sah beide prüfend an.
„Du würdest es uns nicht verheimlichen, oder?“ Nun war auch Sarahs Blick besorgt.
„Warum sollte ich euch anlügen? Warum?“, fragte ich entsetzt und leicht gereizt.
„Ihr seid alles was ich habe“, flüsterte ich.
„Wir haben uns einfach schreckliche Sorgen gemacht“, lächelte mich Sarah aufrichtig an.
Hörbar atmete ich aus und sah zu den Häusern die an uns vorbei zogen.
Nick hatte keinen Grund mich aufzusuchen. Keinen einzigen. Der Brief musste von jemand anderes gewesen sein.
Ich muss dich vergessen Nick, versuchte ich mir einzureden.


20 Minuten später




„Pass gut auf mein Baby auf.“
Noahs Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
Er warf Sarah die Autoschlüssel nach hinten.
„Klar Chef“, stichelte Sarah. Noah stieg aus und Sarah nahm seinen Platz auf dem Fahrersitz ein. Er öffnete die Beifahrertür und beugte sich zu mir runter.
„Kannst du stehen?“
„Ja“, antwortete ich erschöpft und kletterte aus dem Wagen. Ich stand keine fünf Sekunden auf meinen Beinen, als ich plötzlich die Kraft verlor und zusammen klappte.
Genau im richtigen Moment umschlang sein starker Arm meine Taille.
„Wusste ich es doch“, siegreich lächelte Noah. Bevor ich protestieren konnte, hatte er seinen anderen Arm unter meine Kniekehlen gelegt und trug mich nun in seinen Armen. Schützend drückte er mich an seinen Oberkörper.
„Meine Prinzessin“, hauchte er und gab mir einen leichten Kuss auf meine Stirn.
Ganz grob nahm ich noch wahr, wie er mich ins Haus trug und mich vorsichtig in mein Bett legte.
„Nein“, sagte ich fast verzweifelt als mir bewusst wurde, dass ich nicht mehr in seinen Armen lag. Ich setzte mich kerzengrade in meinem Bett auf.
Noah wollte gerade mein Zimmer verlassen als er sich erschrocken zu mir umdrehte.
„Bitte“, setzte ich an „geh nicht.“
Ich kam mir lächerlich vor aber ich wollte seine Nähe spüren. Ich wollte Noah bei mir haben.
Mit langsamen Schritten kam Noah auf mich zu und setzte sich auf die Bettkante.
Fürsorglich strich er mir eine schwarze Haarsträhne hinter mein Ohr.
„Ich bin da Süße.“
Ja, er war da. Bei mir.
Unsicher hob ich die orange Bettdecke hoch.
„Bleib“, flüsterte ich fast unhörbar. Zärtlich strich er mir mit seinem Daumen über meine Unterlippe.
„Solange wie du möchtest“, hauchte Noah.
Ich legte mich mit dem Rücken zu Noah und er legte seine starken Arme um mich. Es dauerte nicht lange, bis ich bei dieser Umarmung seelenruhig einschlief.


Kapitel12: Ansätze von Zweifel


Viel zu lange stand ich nun schon vor dem Badezimmerspiegel und betrachtete mein Spiegelbild.
Scheiße, war das wirklich alles passiert?
Der Unbekannte auf der Geburtstagsfeier meiner besten Freundin...
Der mysteriöse Brief...
Und, verdammt nochmal, war Noah tatsächlich so liebevoll letzte Nacht zu mir gewesen?
Ich wusste nicht, ob ich meinem Gedächtnis glauben sollte. Schließlich war ich gestern Abend ziemlich erschöpft gewesen. Hatte Noah wirklich

„Meine Prinzessin“ zu mir gesagt?
Hörbar atmete ich aus und band mir meine pechschwarzen langen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen.
Diese Frage machte mich wahnsinnig!
Ich konnte ihn auch unmöglich einfach darauf ansprechen.
„Natürlich nicht, wäre auch viel zu einfach“, flüsterte ich und tuschte meine Wimpern.
Nein, ich konnte unmöglich mit Noah darüber sprechen. Vorallem nicht, nachdem ich ihn förmlich angefleht hatte bei mir zu übernachten.
Ich war sauer. Sauer auf mich selbst, dass ich so schwach gewesen war. Seit wann war es bitte wieder ein Problem für mich alleine zu sein? Diese Zeit war vorbei, dachte ich zumindest. Bis gestern.
Wütend packte ich die Schminke in meine Tasche.
Plötzlich klopfte es an der Tür.
„Leyla?“
Wenn man vom Teufel sprach, dachte ich.
„Ich komme gleich Noah“, versicherte ich ihm.
„Gleich?“


Ich konnte es mir bildlich vorstellen, wie er vor der Badezimmertür stand und sich mit seiner Hand durch die braunen Haare fuhr. Bei dem Gedanken schlich sich ein lächeln auf mein Gesicht.
„Wir kommen zu spät.“
Ich schnappte mir meine Tasche und öffnete die Badezimmertür.
„Seid wann willst du

pünktlich in der Schule sein?“, fragte ich skeptisch und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und zwinkerte ihm zu.
Zusammen gingen wir die Treppe runter.
„Weißt du eigentlich, dass du zwei Persönlichkeiten hast?“
„Spinnst du?“ Lachte ich. „Ich bin doch nicht schizophren.“ Es gab gewisse Dinge, die ich ganz tief in mein Inneres verschlossen hatte. Und das war auch gut. Ich hatte einen Neuanfang gewagt und ich würde niemals zu lassen, dass meine Vergangenheit mir mein neues Leben zerstören würde.
„Wer ist schizophren?“, fragte plötzlich Lara, meine Mutter. Sie stand vor der Haustür und hatte in ihren Händen eine kleine Schachtel.
„Ach, Noah spinnt mal wieder rum“, erklärte ich kurz und knapp.
„Warum hast du Noah nicht schon früher mal mitgebracht?“
„Mum, muss das ausgerechnet jetzt sein?“ Entschuldigend lächelte ich sie an. Sie schaute einmal kurz abwechselnd zwischen uns hin und her. Anscheinend verstand sie, dass dieses Thema mir in Noah´s Gegenwart unangenehm war.
Stattdessen hielt sie mir die kleine Schachtel entgegen. Fragend sah ich Lara in ihr liebliches Gesicht.
„Ich weiß auch nicht von wem sie ist Leyla.“
Wieso dachte ich manchmal, dass Mütter die Gedanken ihrer Kinder lesen konnten? Meine Mutter hatte es gerade wieder bewiesen. Ob ich das bei meinem Kind später auch könnte?
„Jemand hatte auf die Klingel gedrückt und ich bin sofort zur Haustüre gegangen aber es stand niemand vor der Tür. Stattdessen lag diese merkwürdige Schachtel auf unserer Fußmatte.“
„Was steht auf dem kleinen Zettel Mum?“ Skeptisch betrachtete ich die kleine Schachtel. Sie war nicht größer wie eine Schmuckschachtel, die die man bekam wenn man sich Ohrringe oder einen Ring gekauft hatte.
„Dein Name“, besorgt musterte Lara mich.
„Was, mein Name steht dort?“ Lachte ich.
„Ich weiß Leyla …wir … wir zwei haben darüber nie offen gesprochen aber du kannst mir den jungen Mann ruhig mal vorstellen.“
Einen kurzen Moment lang sagte niemand etwas.
Es stimmte. Lara und ich hatten noch nie ein richtiges MutterTochtergespräch

geführt. Ich hatte mir alles selber beigebracht und ihr auch nie erzählt, wie weit ich schon Erfahrung in Sachen Jungs

gesammelt hatte. Wahrscheinlich ging sie sogar noch davon aus, dass ich eine Jungfrau war. Nein, ein derartiges Gespräch konnte ich nun wirklich nicht führen und erst recht nicht während Noah hinter mir stand.
Ich gab meiner Mutter einen leichten Wangenkuss, nahm ihr die blöde Schachtel ab und zog Noah Richtung Auto.
„Leyla-“,
„Bis heute Abend Mum!“, unterbrach ich Lara unhöflich und schloss, so schnell wie ich konnte, mein Auto auf.
Lachend setzte sich Noah auf den Beifahrersitz.
„Was war das denn für eine Aktion Süße?“
Langsam verstaute ich das blöde Ding in meine Tasche. Ich könnte Noah´s Blick förmlich spüren wie er auf mir lag. Auf keinen Fall konnte ich ihn jetzt ansehen. Es war mir peinlich und ich hatte Angst vor Fragen. Fragen, die er mir vielleicht über die Schachtel stellen würde.
„Sie ist zu fürsorglich. Das ist alles“, antwortete ich ohne seinen Blick zu erwidern und spielte an meinem Autoradio rum. Als das Lied Cheryl Cole – Fight for this Love

lief, lies ich endlich vom Radio locker.
„Seid wann hörst du so etwas?“ Noah´s Aussprache ähnelte eher einer Verurteilung als wie einer schlichten Frage.
„Findest du nicht, man sollte für das kämpfen was man vorgibt zu lieben?“, konterte ich mit einer Gegenfrage und fuhr auf die Straße.
Im Augenwinkel sah ich wie sich Noah´s Mundwinkel zu einem lächeln verzog.


Schule. Schrecklich und langweilig. Mittlerweile hatte, zu meiner Erleichterung, aber bereits die 5te Stunde angefangen. Und natürlich war es Latein. Mein Lieblingsfach.
Ich atmete hörbar aus und spielte weiter an meinen roten Kugelschreiber.
Latein stellte das Horrorfach schlechthin für mich dar. Gab es überhaupt noch ein Fach, was extrem schwierig und kompliziert war und gleichzeitig übernatürlich langweilig war, dass man gar keine Chance hatte es zu verstehen?
Plötzlich riss meine Tischnachbarin mich aus meinen Überlegungen.
„Leyla?“, flüsterte Miriam und hielt mir einen kleinen Zettel verdächtig hin.
Ich unterbrach die Folterung meines Kugelschreibers.
„Ja?“, antwortete ich ihr flüsternd.
Ich hatte schreckliches Mitleid mit Miriam. Sie war ein wirklich sympathisches Mädchen und sie könnte richtig viel aus sich machen. Leider gab es da ein Problem: Miriam hielt nicht viel von Schminke. Nichteinmal ihre Wimpern tuschte sie. Die Braunhaarige war ein Mädchen, die ihre Freizeit mit lernen verbrachte.
Jeder entscheidet selbst, was er aus seinem Leben macht und wie er es leben möchte,

dachte ich.
„Von Sarah.“ Hektisch schob sie mir den kleinen Zettel rüber. Anscheinend hatte sie angst erwischt zu werden.
„Danke“, zaghaft lächelte ich meine Tischnachbarin an und nahm den Zettel entgegen.
Die Nachricht musste ziemlich wichtig sein, wenn Sarah nicht bis zum Stundenende warten konnte.
Langsam faltete ich die Nachricht auf, darauf bedacht nicht die Aufmerksamkeit des Lehrers auf mich zu ziehen.

Hey Süße,
Justin hat mir gerade eine SMS geschrieben. Wir müssen, sofort nach Latein, Noah holenund zum BlueRush fahren. Thomas braucht uns.



Leicht genervt versteckte ich die Botschaft in meine Tasche. Thomas braucht uns

hieß soviel wie Thomas hat ein neues Geschäft am laufen.


Instinktiv schaute ich auf mein rechtes Handgelenk. Das Tattoo, in Form eines aggressiven Wolfskopfs, begleitete mich nun schon mehrere Jahre. Für Außenstehende symbolisierte es Angst und Verwüstung. Es verschaffte uns Respekt in der Szene, wo wir tätig waren.
Allerdings bedeutete es mir etwas vollkommen anderes. Dieses Tattoo gewährte mir damals ein neues Leben und ich hatte es dankend angenommen. Es zeigte, dass Thomas, Sarah, Justin und Noah nun meine Familie waren. Ich gehörte zu ihnen und sie zu mir.
Vorsichtig streichelte ich mit dem Zeigefinger über den Wolfskopfs.
Ja, ihr seid meine Familie, dachte ich und ein lächeln schlich sich auf meine Lippen.
Der Lehrer schrieb gerade die Hausarbeit an die Tafel. Ich nutzte diese Chance und drehte mich zu Sarah um. Sie hatte ihre langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden und lächelte mich an.
Ich warf ihr einen Luftkuss zu, denn sie erwiderte. Dann formte ich mit meinen Lippen ein okay

und hob leicht mein rechtes Handgelenk, sodass sie unser Symbol erkennen konnte.
Das Lächeln meiner besten Freundin wurde noch größer. Kurz schaute sie zum Lehrer, um sich zu vergewissern, dass dieser noch mit der Tafel beschäftigt war. Dann drehte Sarah ihren Kopf leicht zur Seite sodass ich ebenfalls unser Symbol, seitlich an ihrem Hals, erkennen konnte.
Ich zwinkerte ihr zu und drehte mich wieder nach vorne.
„Darf ich mit?“, fragte Miriam mich fast unhörbar.
„Bitte?“, flüsterte ich sicherheitshalber zurück. Ich dachte wirklich, ich hätte mich verhört. So schrecklich leise hatte sie gesprochen.
„Ich … wollte fragen … ob ich mit darf“, fragte Miriam mich erneut und schaute dabei die ganze Zeit auf mein rechtes Handgelenk.
„Ich kann dich wirklich gut leiden Miriam“, setzte ich an „aber wir sind nicht die richtigen Freunde für dich“, entschuldigend lächelte ich sie an.
Miriam verdiente Freunde, die die gleichen Interessen besaßen wie sie selber hatte. Und ich könnte meine Hand dafür ins Feuer legen, dass Drogen bestimmt nicht dazu gehörten.
Das lang ersehnte klingeln der Schulglocke beendete endlich die schrecklich langweilige Lateinstunde.
Ich packte gerade meine Sachen zusammen als auch schon Sarah an meinem Tisch stand.
„Ich werde in seinem Klassenraum nachsehen ...“
„...Okay, ich schau mich auf dem Hof um, vielleicht ist Noah dort.“
Wir gaben uns, als Begrüßung, einen kurzen Kuss und verließen zusammen den Lateinraum.
„Wo treffen wir uns?“, fragte ich meine beste Freundin.
„Am Auto, oder? Irgendeiner wird Noah ja finden“, antwortete Sarah knapp. Sie hielt bereits ausschau nach unserem Macho.
„Bringt es dich überhaupt nicht zum nachdenken, dass Thomas in letzter Zeit ziemlich viele Aufträge für uns hatte?“
Ich musste aufpassen, dass ich nicht zu viel von meinen Gedanken preis gab. Zweifel gehörten in diese Szene nicht rein.
Skeptisch schaute Sarah mich an.
„Nein, wieso auch? Du kennst doch die Regeln.“
Vertrauen ist das oberste Gebot

, hallten Thomas seine Worte in meinem Kopf wieder.
„Ich mache mir nur Sorgen. Es waren noch nie so viele Aufträge“, erwiderte ich nachdenklich.
„Leyla“, setzte sie an und sah mich prüfend, mit ihren blauen Augen, an.
„Mach dir keine Sorgen. Thomas wird wissen, was er tut. Er hat noch nie etwas getan, was uns hätte schaden können. Wir haben also keinen Grund an seine Entscheidungen oder Aufträge zu zweifeln.“
„Tut mir Leid“, entschuldigend lächelte ich sie an. Ich hatte keinen Grund dazu, Thomas seine Handlungen in Frage zustellen. Er hatte mich damals aufgenommen als ich alleine war. Was fiel mir überhaupt ein so etwas zu denken? Ich war ihm doch dankbar.
„Du bist ziemlich merkwürdig in letzter Zeit“, besorgt musterte mich Sarah.
„Wir reden später okay? Wir müssen Noah finden.“
„Du hast Recht! Also wir treffen uns am Auto, ja?“
Erneut gab sie mir einen Kuss.
„Bis gleich“, verabschiedete ich mich und ging den Flur runter, Richtung Pausenhof.


Ich hatte nun schon überall gesucht und Noah einfach nicht gefunden. Wo steckte er nur? So schwer konnte es doch eigentlich nicht sein ihn in der Schule zu finden. Leicht genervt setzte ich mich auf die leere Pausenbank.
„Vielleicht hat Sarah ihn gefunden“, flüsterte ich und öffnete meine Handtasche um an mein Handy zu kommen als plötzlich die kleine Schachtel, von heute Morgen, auf dem Boden landete.
„Dich hatte ich total vergessen“, sagte ich und öffnete diese langsam. Bei der Größe der Schachtel könnte man vermuten, es würde sich ein Ring, ein Armband oder vielleicht doch eine Kette im Innere befinden aber nichts der gleichen war dort. Stattdessen kam ein sorgfältiges gefaltetes Blatt zum Vorschein.

Leyla,
ich war ziemlich enttäuscht als ich gesehen hatte, wie du meinen ersten Brief vor dem Hotel entsorgt hast. Ich halte dir keine deiner Entscheidungen nach, nein, im Gegenteil. Ich denke, du wirst deine Gründe gehabt haben. Die letzten Monate, mit uns, zerrissen mir förmlich mein Herz. Sie schmerzten höllisch weil ich dir angesehen hatte, dass du dich von mir entfernst.



Schnell steckte ich den Brief zurück in meine Tasche. Das durfte doch nicht wahr sein! Wie war das möglich? Hatte Nick mich tatsächlich gefunden?
Eigentlich, war dies ein Ding der Unmöglichkeit. Damals, hatte ich alles genau geplant sodass ich jede Möglichkeit, mich zu finden, ausschließen konnte. Es musste sein. Es war doch nur zu seinem Besten.
Bevor ich die Gedanken fortsetzen konnte, sah ich, wie Sarah und Noah auf mich zu kamen. Sie überquerten gerade den Pausenhof.
Ich atmete einmal tief ein und aus.
„Das muss warten. Zuerst muss der Auftrag erledigt werden“, sprach ich zu mir selber und baute Stück für Stück meine Fassade wieder auf. Ich sperrte meine verletzliche Seite

wieder weit in meinem Inneren ein.
Ich schnappte mir meine Tasche und ging mit einem falschen Lächeln auf die Beiden zu.


Kapitel13: Entarnt



Mit letzter Kraft versuchte die Sonne gegen die wachsende Dunkelheit zu kämpfen. Von Minute zu Minute färbte sich der Himmel vom saftigen orange / rot, in schwarz / blau Töne. Nur noch wenigste Stunden würde vergehen bis es wieder Nacht wäre.
Zu meinem Glück folterte Sarah mich nicht mit weiteren Fragen zu meiner Gefühlslage. Auch, wenn sie meine beste Freundin war, konnte ich ihr unmöglich von meiner Vergangenheit erzählen. Und schon garnicht von Nick. Manchmal vermisste ich es, dass ich keine Person hatte mit der ich mein Leben teilen konnte.
Eine Person, die mich in und auswendig kannte.
Eine Person, die ihre Hand für mich ins Feuer legen würde.


Nein, diesen Luxus würde ich nie wieder besitzen. Ich hatte mich für dieses Leben entschieden. Selbst wenn ich mich einsam fühlte. Es war das Beste für alle Beteiligten.
Ich biss mir auf meine Unterlippe.
Ich durfte diese Schwäche nicht länger zu lassen. Ich musste dieses Verlangen, nach einer Person die mich vom ganzen Herzen liebte, unterdrücken. Würde ich es nicht tun, würde früher oder später meine Fassade verschwinden. Wie eine Ziegelmauer, wo ein roter Stein nach dem Anderen runter fiel. Nein, das durfte nicht geschehen. Die Mauer musste, unter allen Umständen, bestehen bleiben.
Ich musste auf andere Gedanken kommen.
„Was hast du eigentlich in der Pause getrieben?“, fragte ich Noah interessiert. Es war zwar ein Versuch mich abzulenken aber ich hatte mir tatsächlich Gedanken gemacht, wo er sich herumgetrieben hatte.
Sarah, Noah und ich überquerten gerade den großen Parkplatz des BlueRush´s. Nachdem die Beiden mich auf dem Schulhof abgeholt hatten, hatten wir uns direkt auf den Weg zu Thomas seinen Club gemacht. Schließlich brauchte er uns. Ein neuer Auftrag wartete.
Ein verräterisches Lächeln umspiegelte seine Lippen.
„Ich war bei einer alten Bekannten.“
„Noah und seine Mädchen.“ Sarah lachte. Der Wind spielte mit ihren blonden Haaren.
„Was wäre er nur ohne sie“, neckte ich ihn weiter.
„Seht ihr das Auto?“
„Lenk nicht vom Thema ab“, antwortete ich knapp.
„Welches?“ Sarah sah sich forschend um.
Ich tat es ihr gleich. Und tatsächlich. Ein roter Audi fuhr im Schneckentempo auf der Straße.
„Das Rote?“, fragte ich skeptisch.
„Ja, ich glaube es fuhr eben sogar hinter uns.“
Nick?


Ich konnte nicht ausschließen, dass er es war aber ich musste dafür sorgen, dass wir es auch nicht herausfinden würden.
„Ach Quatsch. Das ist wahrscheinlich nur ein altes Ehepaar“, versuchte ich geschickt die Situation zu entschärfen und schaute wieder nach vorne.
Ein paar Sekunden lang schauten die Zwei noch zu dem roten Audi. Dann hackte sich plötzlich Sarah bei mir ein und lächelte mich an.
„Wahrscheinlich. Wer würde uns schon verfolgen?“
„Vielleicht sind es aber auch Verehrerinnen von unserem lieben Noah“, stimmte ich in ihr lachen ein.
„Weiber“, stöhnte Noah genervt.
Wir setzten unseren Weg, zum Eingang des BlueRush, fort. Der Bürgersteig war verziert von alten Zeitungen mit denen der Wind spielte.
Beim Eingang angekommen wurde uns, überraschenderweise, der Eintritt verwehrt.
„Gibt es ein Problem?“, fragte Noah mit leicht wütender Stimme.
Skeptisch musterte uns der Türsteher. Ich erinnerte mich nicht dadran, ihn jemals schonmal gesehen zu haben. Er musste neu sein.
„Hallo?“, meldete sich nun auch Sarah zu Wort.
Ihm war wohl nicht bewusst, dass er gerade dabei war seinen Job zu verlieren.
„Das BlueRush öffnet erst um 22Uhr“, antwortete der neue Türsteher und blieb wie ein Fels in der Brandung in der Tür stehen.
Das war meine Chance die Zweifel von Sarah zu vertreiben. Die ganze Sache mit dem Unbekannten hatte mich nicht verändert.
„Pass auf-“
„Seid wann müssen wir uns rechtfertigen Noah?“, unterbrach ich unseren Macho und trat siegessicher einen Schritt nach vorne und drehte demonstrativ mein Handgelenk um, sodass mein Wolfstattoo mit einem kleinen verziertem L

nach oben zeigte.
„Ich... Ich hatte ja keine Ahnung, dass ...“, stotterte der bullige Türsteher und trat einen Schritt zur Seite.
Ich schenkte dem leicht verängstigten Türsteher einen letzten, strafenden Blick und betrat daraufhin das BlueRush.
Die Vorbereitungen für den heutigen Partyabend liefen auf Hochtouren. Der DJ stellte seine Platten auf sein Podest. In der anderen Ecke waren gerade die Barkeeper damit beschäftigt den Alkohol zu verstauen. In der Mitte des Main Floors wurden gerade zusätzliche Lichter installiert.
„So ein Trottel“, beklagte sich Sarah plötzlich. Sie ging neben mir.
„Wenn meinst du?“
„Den Türsteher natürlich! Er kann froh sein, wenn Thomas ihn nicht feuert.“
Sie strich sich einmal durch ihre langen blonden Haare.
„Der bekommt schon noch was er verdient. Lasst uns hoch zu Thomas gehen. Wir sind schließlich nicht umsonst hier“, sagte Noah bestimmend und griff nach meiner Hand.
Bei der Berührung verlor ich jegliche Fähigkeit zusprechen und nickte stattdessen einmal kurz.
Noah hatte wahrscheinlich nur

automatisch meine Hand genommen aber … es fühlte sich gut an.
Wir gingen die Metalltreppe hoch, die zu Thomas seinem Büro führte. Ich war aufgeregt. Ich hörte mein eigenes Herz schlagen, so nervös war ich. Und nichts durfte von meiner Gefühlslage nach außen durchkommen. Vorallem nicht in der Gegenwart von unserem Chef. Noch nie hatte Thomas soviele Aufträge für uns, wie in letzter Zeit. Das Schlimmste jedoch war, dass sie alles eines gemeinsam hatten; Sie waren gefährlich und illegal.


Noah stoppte vor der Bürotür und schenkte uns einen kurzen Blick. Hatte ich da gerade Nervosität in seinen Augen gesehen?
„Dann wollen wir mal“, sagte Noah, lies meine Hand los und öffnete die schwere Tür.
Das Büro war ziemlich klein jedoch lag dies nicht am Raum sondern daran, dass Thomas ihn so voll gestellt hatte. Wenn man den Raum betrat, ging man direkt auf seinen großen Holzschreibtisch zu. Hinter diesem war eine Bücherregalfront. Mir war es schon immer ein Rätsel, warum er ein dermaßen großes Bücherregal besaß. Einem Mann wie Thomas konnte man sich sehr schlecht mit einem Buch in der Hand vorstellen.
Thomas saß mit zusammen gefalteten Händen, hinter seinem Schreibtisch, in einem braunen Ledersessel.
Es war still.
Zu still.
Wir standen nebeneinander vor seinem Schreibtisch und warteten auf eine Reaktion von ihm. Aber anstatt was zu sagen, musterte er jeden von uns. Er sah mir ein paar Sekunden lang tief in die Augen. Ich hielt seinem Blick stand. Ich wusste, wenn ich weg schauen würde, wäre das ein Zeichen dafür, dass ich etwas ausgefressen hätte. Es war eine Folter seinem Blick stand zu halten aber er durfte nichts von meiner inneren Unruhe erfahren.
Als er dann endlich seinen Blick von mir abwendete, atmete ich, innerlich, erleichtert aus.
Test bestanden, dachte ich.
„Danke, dass ihr so schnell gekommen seid“, begann Thomas nun das Gespräch.
Sarah verlagerte ihr Gewicht auf ihren anderen Fuß.
„Wenn du uns brauchst sind wir da. Das weißt du.“
„Ja Sarah, dass weiß ich zu schätzen allerdings habe ich einen neuen Auftrag für euch, der nicht gerade ungefährlich ist.“
Wusste ich es doch. Hoffentlich ist er nicht schwerer wie der Letzte, dachte ich und schaute vorsichtig zu Noah. Erschien ebenfalls skeptisch zu sein. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht.
„Wisst ihr...“ Thomas legte sich in seinem Sessel zurück und beobachtete uns bei jedem seiner Worte „Wir sind eine Familie. Wir können nur überleben wenn wir uns vertrauen und loyal sind. Loyalität ist das Wichtigste. Ich möchte euch keinen Vorwurf machen. Ihr habt in unzähligen Aufträgen bewiesen, wie

viel euch unsere Beziehung bedeutet. Allerdings ist es menschlich Zweifel zu haben...“ Er machte eine kurze Pause. „Damit bist du gemeint Leyla

.“
Unsicher trafen sich unsere Blicke. Wusste er, dass Nick vielleicht in der Stadt war?
Ich spürte förmlich Sarah´s und Noah´s fragende Blicke.
„Ich bin loyal. Ich würde euch niemals hintergehen.“ Ich sagte es absichtlich in der Mehrzahl. Es ging sich hier nicht um eine Person, nein, würde man Thomas hintergehen, würde man alle von uns hinters Licht führen. Wir waren eine Familie.
„Das wissen wir Leyla. Jedoch hat Sarah mir berichtet, dass du dich anders verhältst als wie wir es von dir gewöhnt sind.“
Sofort schaute ich Sarah an. Diese nahm meine Hand in ihre und schaute mich entschuldigend an.
„Du weißt, wie sehr ich dich liebe Süße. Du bist wie eine Schwester für mich … doch du warst die letzten Tage nicht du selbst! Ich mache mir einfach schreckliche Sorgen um dich“, rechtfertigte sich meine beste Freundin.
„Ich bin dir nicht böse …. ich weiß selber nicht was los ist“, flüsterte ich leise und lächelte sie leicht an.
„Und genau deshalb Leyla, helfen wir dir. Eine Familie ist auch für solche Momente füreinander da. Der Auftrag ist einzig und alleine für dich.“
Eine Prüfung, dachte ich und wartete auf die Anweisungen.
Rage

hat seinen Hauptsitz wenige Minuten von hier. Du wirst alleine einen Weg ins Gebäude finden müssen. Sarah wird dich begleiten soweit wie es ihr möglich ist. Leyla, deine Aufgabe ist es einen Vertrag mit ihm auszuhandeln. Wir brauchen ihn als Handelspartner von unserem Ecstasy.“
Thomas schob mir einen kleinen Beutel mit pinken Tabletten entgegen.
Rage

war genauso bekannt wie wir. Nur mit einem Unterschied; Wir vermieden Gewalt, er nicht. Sein Markenzeichen waren seine Gewalt und Nötigungsanzeigen. Noch nie hatte jemand, von uns, Kontakt zu ihm aufgebaut. Ich wäre die Erste. Aber das, was man über ihn hörte, machte mir Angst. Höllische Angst. Was, wenn mir etwas passierte?
„Er hat eine Vorliebe für selbstbewusste und äußerst erotische Frauen. Du musst dir etwas einfallen lassen ansonsten wirst du nie sein Büro erreichen. Verkauf ihm das Zeug Leyla, unter allen Umständen. Du hast so etwas schonmal gemacht. Du kannst das.“
Ich schaute kurz zu Noah.
„Noah war aber dabei. Er hatte mich raus geholt als man mich bedroht hatte“, sagte ich und sah hilfe suchend zu unserem Macho.
„Diesesmal wird er dich nicht begleiten. Noah wird vor dem Gebäude bleiben und dir den Rückweg sichern.“
„Thomas, ich weiß nicht -“
„Du schaffst das Leyla. Zeig uns, dass du immer noch unser Mädchen bist.“
Ich verstaute die Tabletten in meine Handtasche.
Was wär, wenn etwas schief lief? Wenn ich nicht mehr aus dem Gebäude raus kommen würde?
Ich hatte keine Wahl. Ich musste ihnen zeigen, dass ich immer noch ich selber war. Und ich hätte, vor ein paar Tagen, damit definitiv kein Problem gehabt. Wieso plagten mich Zweifel?
Ja, ich sollte es als Prüfung ansehen. Die ganze Sache mit dem Unbekannten hatte mich nicht verändert.
Noah gab mir einen leichten Kuss auf die Stirn. Anscheinend bemerkte er meine Unsicherheit.
„Ich lasse dich das nicht alleine durchziehen. Ich begleite dich. Mach dir keine Sorgen“, hauchte er in mein Ohr. Gänsehaut machte sich auf meiner Haut breit.
Erleichtert atmete ich aus und wendete mich dann wieder zu Thomas.
„Ich werde dich nicht enttäuschen“, sagte ich selbstsicher und hing mir die Tasche um.
„Das hoffe ich.“

Jeder wünscht sich einen Partner an seiner Seite, wenn man droht an einer Aufgabe zu zerbrechen, danke Noah.




Kapitel14: Ein kleiner Abschied


Wir mussten uns beeilen. Uns blieb nicht mehr viel Zeit. Der Deal musste diese Nacht abgewickelt werden. Das war meine Aufgabe und ich war entschlossen diese zu erfüllen, egal, was es kosten würde.
„Leyla, ich weiß nicht ob ich nicht einen Fehler begangen habe“, sagte Sarah und drehte sich mit einem trägerlosen roten Top, in ihren Händen, zu mir um.
Skeptisch sah ich meine beste Freundin an.
Sarah und Zweifel? Das passte genauso wenig wie Feuer und Wasser zusammen.
„Warum?“, fragte ich sie und nahm das Top entgegen.
Noah hatte uns zu mir nach Hause gefahren. Ich musste mich, für meine Aufgabe, fertig machen. Das Einzige was wir über Rage

wussten war, dass er eine Vorliebe für selbstbewusste

und erotische

Frauen hegte. Dieses Wissen musste ich ausnutzen, wenn ich Erfolg haben wollte, dass wusste ich. Ich musste seine Aufmerksamkeit erregen und das ging nur mit dem perfekten Outfit. Es würde gefährlich werden, sehr gefährlich. Ich musste Nick, Irena und Noah vergessen, wenn dieser Deal reibungslos von der Bühne gehen sollte. Nichts und niemand durfte mich ablenken.
Für eine Nacht ein anderer Mensch.


„Ich konnte doch nicht wissen, dass Thomas dich ausgerechnet zu Rage

schickt. Was, wenn dir etwas passiert? Hast du nicht die vielen Gerüchte gehört? Er ist ein Psycho Leyla! Mich würde es nicht wundern, wenn sein Lieblingsfilm die Sawreihe ist!“
Ich zog mir das rote Top an und betrachtete mich im Spiegel. Meine langen schwarzen Haare, lockten sich in den Spitzen und schmiegten sich an meine Schultern. Die hautenge schwarze Jeans betonte perfekt meine langen Beine.
Schnell zog ich mir meine dunklen High Heels an.
„Irgendetwas passt nicht“, flüsterte ich und betrachtete mein Spiegelbild.
„Hörst du mir überhaupt zu?“
Ich öffnete meinen Kleiderschrank und holte ein weißes, trägerloses Top zum Vorschein.
Fragend drehte ich mich zu meiner besten Freundin um.
„Weiss passt besser oder?“
Aufgebracht stand Sarah von meinem Bett auf.
„Du spinnst doch! Weißt du überhaupt zu wem

du gleich gehst? Leyla, du benimmst dich so, als würdest du zu einem date gehen!“
Genervt stöhnte ich auf und wechselte das Oberteil.
Jetzt passt es, dachte ich und fühlte mich sichtlich wohl in meiner Haut.
„Ich meine es ernst!“
„Sarah“, sagte ich mit ruhiger Stimme und ging zu meiner Kosmetiktasche „wenn du nicht willst, dass deine beste Freundin in dieser Nacht draufgeht, solltest du mir besser bei meinem Outfit helfen.“
„Aber-“
„Es muss perfekt sein. Verstehst du? Perfekt! Wenn ich seine Aufmerksamkeit nicht gewinne, dann … keine Ahnung, wie ich dann aus dem Gebäude kommen soll.“
Einen kurzen Moment war es still. Ich nutzte die Gelegenheit und schminkte mir meine Lippen knallrot. In diesem Aufzug musste

es einfach klappen. Ein Nein

gab es nicht als Option. Rage musste diesen Vertrag eingehen.
„Weiss... Du siehst wirklich heiß aus“, sagte Sarah leise.
Ich umarmte meine beste Freundin und gab ihr einen freundlichen Kuss auf die Wange.
„Danke Süße“, entgegnete ich mitfühlend „Es wird alles gut gehen.“
Besorgt musterten mich ihre blauen Augen.
„Das hoffe ich. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache."
„Es wird alles klappen. Ich werde den Vertrag aushandeln und wieder zu dir und Noah rauskommen. Das wird schon, ich bin schließlich keine Anfängerin." Ich lächelte sie an und ging zur Zimmertür. „Ich wäre soweit.“

Im Flur blieb ich plötzlich stehen. Was war, wenn doch etwas schief laufen würde? Wenn ich nicht mehr die Chance bekommen würde nach Hause zu gehen?
Sarah blieb in der offenen Haustür stehen und drehte sich verwundert zu mir um.
„Hast du oben was vergessen?“
„Ja“, sagte ich nachdenklich „Ich muss nochmal hoch. Warte im Auto auf mich, ich beeile mich.“
Skeptisch sah mich Sarah an, gab sich dann allerdings mit meiner Aussage zufrieden, ohne eine weitere Frage zustellen.
„Okay, bis gleich Süße“, sie lächelte mich an und setzte ihren Weg, zu meinem Auto, fort.
Sobald Sarah aus meinem Sichtfeld verschwunden war, ging ich Richtung Garten.


Wie ich es erwartet hatte, sah ich, wie Lara vor einem ihrer Blumenbeete hockte.
„Mum“, setzte ich an als ich bei ihr angekommen war. Sie war gerade dabei lilane Vergissmeinicht

ins Beet zu pflanzen.
Wie passend, dachte ich als ich die neuen Blumen sah.
„Oh Schatz“, begrüßte mich meine Mutter fröhlich und drehte sich zu mir um. „Dich habe ich hier überhaupt nicht erwartet.“
„Ja“, flüsterte ich und sah mich skeptisch im Garten um. Überall blühten die wunderschönsten Blumen, in allen möglichen Farben. Für Lara war Gartenarbeit wie Kunst. Wie für einen Maler sein Kunstwerk das Gemälde darstellte, so war ihr Gemälde unser Garten.
„Was hast du auf dem Herzen?“
Auch, wenn wir zwei kein gutes Verhältnis hatten, liebte ich sie trotzdem. Falls etwas schief laufen sollte, wollte ich nicht, dass Lara sich Sorgen machte.
„Ich werde ein paar Tage bei Sarah bleiben, nur damit du dir keinen Sorgen machst“, log ich sie an.
„Oh okay Schatz. Amüsier dich schön, ja?“ Lara stand auf und klopfte sich die Erde von ihren Oberschenkeln.
„Werde ich.“
Liebevoll lächelte meine Mutter mich an.
Eigentlich, wäre jetzt der Moment in dem ich sie umarmen sollte. Das wusste ich, aber ich konnte es nicht. Sie opferte sich täglich für ihre Pflanzen sodass sie ihre Familie vergaß. Oder zumindest das, was von unserer Familie noch übrig geblieben war. Mich

.
Sie kannte mich nicht mehr. Lara wusste noch nie etwas darüber, was ich in meiner Freizeit tat. War es nicht die Aufgabe einer Mutter, sich um ihr Kind zu kümmern?
„Bis dann Mum“, verabschiedete ich mich knapp und machte mich auf den Rückweg.
Kurz bevor ich ins Haus ging, drehte ich mich vorsichtig um und sah wie Lara wieder total vertieft in ihren Blumen war.
Ich seufzte.
„Ich hasse ihren Garten“, flüsterte ich und setzte meinen Weg fort.

„Wo warst du solang Leyla?“
Ich legte meine braune Handtasche auf den Rücksitz und setzte mich auf den Fahrerplatz.
„Ich habe mein Handy gesucht, dabei hatte ich es schon in meine Tasche geworfen“, antwortete ich knapp und drehte den Schlüssel um.
Der Motor heulte auf.
Ich erzählte nie etwas über meine Familie. Ich versuchte, so gut wie möglich diese zwei Welten voneinander zu trennen.
„Hm, okay. Noah hat mir vorhin eine Sms geschickt. Er ist bereits vor Rage seinem Versteck und wartet auf uns“, Sarah strich sich eine blonde Haarsträhne hinter ihr Ohr.
„Dann lassen wir unseren Macho mal nicht länger warten“, lächelte ich sie an und schaltete das Radio ein.
„Hast du das Ecstasy?“
„In meiner Tasche.“
„Ich würde dich wirklich gern begleiten damit nichts schief läuft.“ Besorgt musterte mich meine beste Freundin.
Ich lachte.
„Seid wann machst du dir soviele Gedanken? Ich bringe den Deal reibungslos über die Bühne, wie immer“, sagte ich selbstbewusst und fuhr rückwärts unsere Einfahrt runter.

Selbstbewusst, tough und siegessicher. So sahen mich meine Freunde.
Aber in Wahrheit überspielte ich damit nur meine wahren Gefühle.
Ja, ich hatte furchtbare Angst vor diesem Deal.




Kapitel15: Unglückliches Wiedersehen



Endlich begann das Nachtleben in der Stadt. Die Schaufenster leuchteten in total verrückten, bunten Farben.
Ich liebte es, wenn es draußen dunkel wurde. Es war genau meine Zeit. Die Zeit, in der ich aktiv wurde.
„Wie lange noch?“, fragte ich während ich in den Rückspiegel schaute und den roten Lippenstift erneut auf meine Lippen verteilte.
Nervös zitterte das linke Bein von Sarah auf und ab, ganz schnell.
„Zehn Minuten“, sagte sie und spielte nervös an einer Haarsträhne.
Ich saß mit meiner besten Freundin zusammen, bei Noah in seinem dunkelblauen Volvo. Er parkte an der gegenüberliegenden Straße, von dem Gebäude indem Rage

sich befand.
„Du gehst rein und drehst ihm das Ecstasy an und kommst sofort

wieder zu uns“, sagte Noah in einem Ton den ich zum ersten Mal bei ihm hörte.
„Du bist nicht Thomas“, entgegnete ich kühl und betrachtete mich weiterhin im Rückspiegel.
„Leyla“, setzte Sarah an aber Noah unterbrach sie sofort.
„Du kannst dir keine Extratour erlauben. Kapierst du das nicht?“, er klang gereizt und drehte sich mit seinem durchtrainierten Körper, der sich durch sein T-Shirt deutlich abzeichnete, zum Beifahrersitz. Zu mir.


Es stimmte, dass ich mir häufig Extratouren erlaubte. Es waren Aktionen die völlig unnötig und nicht akzeptabel waren, da ich den Auftrag immer schon erledigt hatte. Jedoch hatte ich Spaß an diese Extratouren. Ich liebte die Gefahr

und das Adrenalin

was durch meine Adern gepumpt wurde.
Ohja, ich liebte es zu spielen, dachte ich.
Dumm war nur, dass Noah es oft genug mitbekommen hatte, da Thomas uns immer zusammen auf einen Auftrag angesetzt hatte. Außer heute. Heute war ich vollkommen auf mich gestellt. Keiner der mich beschützen könnte, wenn ich drohte aus meinem Spiel

als Verliererin heraus zu gehen.
Ich musste zu geben, dass mich das noch mehr reizte.
Ich formte meine Lippen kurz zu einem Kussmund, um meine roten Lippen den letzten Schliff zu verpassen, und erwiderte dann den Blick von unserem Macho.
Besorgt musterte er mich. Mein Herz machte einen kleinen Sprung. Konnte es sein, dass Noah mich vielleicht doch mehr mochte?


Sofort verdrängte ich diesen Gedanken. Ich musste mich auf das konzentrieren, was jetzt

wichtig war. Der Deal

.
Keine einzige Sekunde unterbrach ich den Blickkontakt. Stattdessen fuhr ich mir mit meiner rechten Hand durch meine pechschwarzen Haare, sodass sie mehr Volumen bekamen.
Spielerisch biss ich mir leicht auf meine Unterlippe. Noahs Blick wanderte von meinen Augen, runter zu meinen Lippen.
Ich nahm meine Hand aus meinen Haaren und legte meinen Zeigefinger auf meine Lippen. Spielerisch führte ich meine Hand, meinen Hals runter.
Wie hypnotisiert verfolgte unser Macho, mit seinem Blick, meinen Finger.
„Leyla?“, fragte meine beste Freundin, vom der Rückbank, irritiert. Aber das brachte weder Noah, noch mich aus meinem Spiel

. Es war, als wären wir Zwei in einer anderen Welt. Noah nahm nichts anderes außer mich wahr.
Ich lächelte.
Ich wusste genau was er dachte. Sein Blick hatte ihn verraten. Er strahlte ein unglaublich starkes Verlangen aus.
Ohja, er will mich. Hier und jetzt.


Seine Atmung beschleunigte sich als ich meinen Zeigefinger sich langsam meinem Dekotee näherte. Ich quälte ihn und ich liebte es.
„Ihr seid so schrecklich!“, beklagte sich plötzlich Sarah.
„Jetzt hört endlich auf. Wir sitzen nicht zum Spaß hier!“ Genervt lehnte sie sich zurück.
„Stimmt.“ Ich lächelte ein letztes Mal unseren Macho an.
Noah wendete sich wieder nach vorne und fuhr sich mit seiner rechten Hand durch seine Haare.
„Du bringst mich um.“
„Ich spiele nun mal gerne“, erwiderte ich gelassen und zuckte gleichgültig mit den Schultern.
Plötzlich meldete sich meine beste Freundin wieder zu Wort.
„Leute...“
Noah und ich drehten uns um. Sarah schaute auf ihre Armbanduhr.
„23Uhr. Es ist soweit“, flüsterte sie und musterte mich besorgt.
Ich seufzte.
„Ihr wärt mir eine viel größere Hilfe, wenn ihr mal aufhören könntet euch solche Sorgen zu machen. Vertraut ihr mir nicht mehr? Oder habt ihr einfach vergessen, dass ich so etwas nicht

zum ersten Mal mache?“, antwortete ich gereizt und zupfte mir mein trägerloses Top zurecht.
„Süße?“
Fragend sah ich zu Noah.
„Sarah wird im Wagen bleiben. Tu mir den Gefallen und behalte dein Handy bei dir. Sollte auch nur irgendwas

nicht nach deinem Plan laufen oder es wird dir zu gefährlich, ruf mich an. Ich werde sofort ins Gebäude kommen und dich holen.“ Noah nahm meine linke Hand in seine und übte einen leichten Druck aus.
„Noah“, flüsterte ich.
Auch, wenn es nur eine kleine, unscheinbare Berührung war, löste sie eine Wärme in meinem Inneren aus.
Und, wenn ich ehrlich zu mir selbst war, freute es mich, dass er sich Sorgen um mich machte. Anscheinend lag ihm tatsächlich etwas an mir. Aber so schön dieser Moment auch gerade war, ich musste ihn zerstören. Ich hatte eine Aufgabe auf die ich mich konzentrieren musste. Ich durfte nicht zu lassen, dass meine eigenen Gefühle mich behindern könnten.
„Ich muss jetzt los. Gebt mir 4 Stunden Zeit, maximal“, sagte ich bestimmend und sah meine zwei Freunde eindringlich an.
„Geht klar.“
„Pass auf dich auf.“
Ich entzog Noah meine Hand und stieg aus dem Auto aus.
Ich überquerte die Straße und ging gerade aus auf die zwei Türsteher zu, die vor dem großen Gebäude standen.
Meine linke Hand kribbelte noch leicht von Noahs Berührung. Es war schrecklich, einfach nur schrecklich

was dieser Kerl in mir auslöste. In mir tobte das reinste Chaos. Konnte ich Noah trauen? Oder spielte er ein Spiel mit mir? War ich vielleicht nur interessant weil ich nicht nachgab?
Ich spürte die gierigen Blicke der Türsteher aber ich ignorierte sie gekonnt.
Let's play, dachte ich und fuhr mir einmal durch meine pechschwarzen Haare.
„Na Babe, wie können wir die helfen?“, fragte mich der kleiner von beiden. Sie sahen sich zum verwechseln ähnlich aus. Beide hatten einen sehr muskulösen Körperbau, kein einziges Haar wuchs auf ihren Köpfen. Der einzige Unterschied waren die paar Zentimeter Körpergröße.
„Ich werde erwartet.“ Verführerisch lächelte ich sie an.
„So? Willst du nicht lieber bei uns bleiben?“ Langsam strich er mir über meinen Arm. Ich zuckte bei der Berührung nicht zurück, nein, es war ein Spiel und dieses hatte ich gerade gewonnen.
Sie hatten angebissen.


„Jungs, ihr wisst doch, dass er nicht gerne teilt.“ Ich verlagerte mein Gewicht leicht auf mein anderes Bein und erwiderte den Blickkontakt von dem kleineren von Beiden.
„Verdammt“, stöhnte plötzlich der Große.
„Warum kriegen wir nie ein Mädchen ab?“
„Ich habe keine Ahnung aber sie hat Recht. Wenn Rage erfährt, dass wir sie hier festhalten, kriegen wir ein riesengroßes Problem.“
Plötzlich schloss der kleinere die Tür auf und hielt sie für mich offen.
„Viel Spaß Babe.“ Sein Blick wanderte ein letztes Mal über meinen Körper.
„Danke Süßer“, hauchte ich ihm ins Ohr und zwinkerte ihm zu bevor ich durch die Tür ging.


Ungefähr 30 Minuten später




Das Gebäude sah von draußen schon ziemlich groß aus aber ich hätte mir niemals vorgestellt, dass es im Inneren noch größer wirkte.
Ich hatte zwar alles

durchgeplant aber eine Sache hatte ich vergessen; Rage's Büro.
Ich hatte nicht die geringste Ahnung wo es sich befand.
Genervt und erschöpft zugleich, lehnte ich mich an die Wand.
Wäre Noah jetzt hier, wäre mir so etwas niemals passiert. Er hätte wirklich jedes kleinste Detail genau geplant, damit überhaupt kein Problem entstehen könnte.
Die Zeit lief gegen mich. Ich hatte ungefähr noch 3 ½ Stunden Zeit bis ich wieder am Auto sein müsste. Würde ich nicht

innerhalb dieser Stunden wieder unten sein, würden Noah, Justin und Sarah in das Gebäude eindringen.
Ich musste dieses dämliche Büro finden. Es sollte niemand wegen einem Fehler

verletzt werden, nur weil ich das Ganze nicht ordentlich genug durchdacht hatte.
„So eine Scheiße“, sagte ich und lehnte meinen Kopf gegen die Wand.
„Hast du dich verlaufen?“
Sofort schaute ich in die Richtung wo diese Stimme herkam.
Ein junger Mann mit braunen Haaren, die zum durchwuscheln einluden, lehnte sich, genauso wie ich, ein Stück weiter den Flur runter, gegen die Wand.
Sein Blick klebte förmlich an mir.
Keine Sekunde ließ er mich aus den Augen.
Obwohl ich nicht die geringste Ahnung hatte wie Rage aussah, wusste ich, dass er es war. Dieser junge Mann strömte etwas gefährliches aus. Er betrachtete mich nicht auf die gleiche Art und Weise, wie die zwei Türsteher, nein, in seinem Blick lag viel mehr. Er war der Jäger

und ich war in sein Revier

eingebrochen.
„Ich muss zu Rage.“ Es war ein kläglicher Versuch meiner Stimme, die Stärke zurück zu geben, die ich brauchte. Stattdessen hörte ich mich total unsicher an. Ja, die Gerüchte über Rage stimmten. Ohne das er sich vorgestellt hatte, besaß er eine unglaublich, gefährliche Ausstrahlung.
„Ich könnte dich zu ihm bringen, wenn du mir dein Anliegen verraten würdest.“ Er lächelte.
Denk nach Leyla, denk nach!, forderte ich meine Gedanken auf sich etwas gutes

auszudenken.
Ich atmete einmal tief durch und ging einen Schritt von der Wand weg.
„Ich soll ihn unterhalten“, erwiderte ich schließlich und wickelte eine schwarze Haarsträhne um meinen Zeigefinger.
Plötzlich lachte der Unbekannte.
„Du gefällst mir“, sein Blick wanderte über meinen Körper „Komm mit.“


Ich folgte ihm in einen großen, hell beleuchteten Raum. Es war kein Vergleich zu Thomas sein Büro, nein, auf keinen Fall. In der hintersten Ecke stand ein massiver Holzschreibtisch. Gegenüberliegend davon befand sich ein großes Doppelbett mit einem knallroten Bezug. Daneben befand sich eine Badewanne.
Badewanne?


Wofür brauchte Rage in diesem Zimmer eine Badewanne? Ich mein, dieses Gebäude bot genügend Platz und hatte mit Sicherheit mehr als nur ein Badezimmer.
Momentan spielten wir sein

Spiel. Irgendwie musste ich das Spiel wenden können. Damit hatte ich noch nie ein Problem aber allein seine Anwesenheit jagte mir eine Gänsehaut auf meinen Körper.
Ich ging alle Möglichkeiten durch aber ich fand keine, die die Situation zu meinen Gunsten drehen konnte. Also musste ich sein Spiel mit spielen. Es gab keinen anderen Weg.
„Soll ich hier auf ihn warten?“, fragte ich während ich mich auf die Bettkante setzte und meine Hand zärtlich über den roten Bettbezug streichelte.
Natürlich wusste ich, dass dieser Mann Rage war. Trotzdem spielte ich die Unwissende.


Ich spürte seinen Blick auf mir. Ein paar Sekunden betrachtete ich weiter meine Hand, die vorsichtig über den Bezug streichelte.
Als er immer noch nichts sagte, hob ich leicht meinen Kopf und erwiderte seinen Blick.
Kein Wort verließ unsere Lippen. Stattdessen schenkte ich ihm ein verführerisches Lächeln.
Langsam kam er auf mich zu. Sein Gang ähnelte dem eines Löwen; bedrohlich und herrisch.
Keine Frage, er war definitiv Rage.
Er stand vor mir und ich sah zu ihm hoch. Nur wenige Zentimeter trennten uns. Sein schwarzes Shirt betonte seinen trainierten Oberkörper.
Ganz langsam näherte sich seine Hand meinem Gesicht. Ich hielt den Atem an.
Ich konnte mir kaum vorstellen, dass ein Mann mit einem dermaßen gefährlichen Ruf, auch nur ansatzweise zärtlich sein konnte. Aber Rage war es.
Sanft strich er mir mit seinem Zeigefinger über meine Wange, hinunter zu meinen Lippen.
Instinktiv öffnete ich sie leicht. Es passierte automatisch.
Aber er fuhr weiter runter zu meinem Kinn und umfasste es zärtlich.
„Warum treibst du dich bei bösen Jungs

rum?“, fragte Rage mich und schaute mir weiterhin in die Augen.
Ich wusste, dass er den Umgang meinte. Eigentlich gehörte ich auch nicht in diese Szene

aber mir blieb damals nichts anderes übrig.
Ich war nicht im Stande zu antworten. Stattdessen legte ich meinen Kopf leicht schief und schenkte ihm ein weiteres Lächeln.
Rage beugte sich leicht zu mir runter.
Sein Gesicht war meinem gefährlich nahe.
Wollte er mich küssen?


Mein Atem ging schwer. In mir kam ein unglaublich starkes Verlangen hoch. Ich

wollte ihn küssen, alles andere war egal. Er zog mich praktisch magnetisch an.
„Du bist für einen Handel hier nicht wahr?“, hauchte er gegen meine leicht geöffneten Lippen.
Ich nickte schwach.
Und ich hasste mich für diese Reaktion! Es gab nur einen Mann bei dem ich jemals schwach geworden bin.
Nick.
Schnell versuchte ich die Gedanken zu vertreiben. Rage machte mich schwach und das durfte ich mir in dieser Situation nicht erlauben. Ich musste mir, vor meinen inneren Auge, immer wieder das Bild von dem Rage herbeirufen, der er auch in Wirklichkeit war.
Die gesamte Stadt fürchtete sich vor ihm.
Doch diese Erkenntnis kam zu spät. Ich war die Verliererin

und er der Gewinner.


Plötzlich drückte er seine Lippen auf meine. Es passierte alles Sekunden schnell.
Die ganze Zeit wollte mein Körper nichts mehr außer diesen Kuss. Aber jetzt, da es geschehen war, fühlte es sich falsch an.
Der Kuss war fordert und leidenschaftlich. Seine Hand vergrub sich in meinen Haaren und sanft drückte er mich nach hinten, auf das Bett.
Meine Hand streichelte sanft seinen Rücken und suchte sich einen Weg unter sein Shirt.
Jedoch unterbrach er plötzlich den sinnlichen Kuss.
Mein ganzer Körper fühlte sich an als würde er brennen. Obwohl Rage gefährlich und unser Feind war, wollte ich in diesem Moment nichts mehr außer ihn.
Rage lächelte mich an.
Allerdings löste dieses Lächeln kein Glücksgefühl in mir aus, nein im Gegenteil, ich hatte plötzlich Angst.
Bevor ich versuchen konnte, ihn von mir runter zustoßen, hatte er bereits eine Pistole gezogen und richtete sie auf mich.
Rage lachte.
„Es ist wirklich schade, dass wir das nicht zu Ende bringen können“, sagte er und sein Blick wanderte kurz über meinen Oberkörper.
Ich war ihm hilflos ausgeliefert.
Er saß rittlings auf mir und zielte mit einer Waffe auf mich.
Ich muss die Nerven behalten, dachte ich und sah ihm entschlossen in die Augen.
„Was willst du?“, fragte ich ihn selbstsicher.
„Nun, erstmal will ich wissen wer

du bist.“
Vorsichtig schob ich meine rechte Hand unter meine Hüfte. Er durfte auf keinen Fall mein Tattoo sehen. Ich wusste nicht, zu was er fähig war. Mein Gefühl sagte mir, dass er diese Pistole bestimmt schonmal benutzt hatte. Und, mein Gefühl täuschte mich selten...
„Leyla“, antworte ich schließlich.
„Netter Name und weiter? Ich warne dich. Wage es ja nicht mich anzulügen!“
Ich hatte keine Wahl. Ich konnte Rage nicht einschätzen. Ich musste ihm die Wahrheit sagen.
„Ich bin hier weil wir dich als Partner wollen. Eine Probe unseres Ecstasy ist in meiner Handtasche.“ Ich nickte in die Richtung in der meine Tasche lag.
„Das soll ich dir glauben?“, sagte Rage gereizt.
„Du bist bestimmt ein scheiß Bulle!“
Langsam hob ich mein rechtes Handgelenk hoch und drehte es demonstrativ um. Es war unser Zeichen

. Der aggressive Wolfskopf mit einem kleinen, verziertem L

, der für meinen Namen stand. Jeder aus unserer Gruppe besaß dieses Tattoo.
„Ich glaube dir nicht“, sagte Rage mit fester Stimme und richtete die Waffe weiterhin auf mich.
„Wie soll ich es dir denn noch beweisen, dass ich kein Bulle bin? Hm?“
Die ganze Situation machte mir Angst. Konnte er nicht mal diese bescheuerte Pistole wegnehmen?
„Kleine, dann erkläre mir doch mal, wie dieser merkwürdige Kerl in mein Gebäude kommen konnte? Und das, auch noch ausgerechnet mit dir?“
Langsam stand Rage von mir auf sodass ich mich aufsetzen konnte. Allerdings richtete er seine Waffe weiterhin auf mich.
„Bringt ihn rein!“, brüllte er auf einmal.
Genau in dem Moment öffnete sich die Tür und zwei bullige Männer traten herein. In deren Mitte befand sich ein junger Mann. Seine Hände waren auf seinem Rücken gefesselt.
„Ich kenne ihn nicht“, sagte ich selbstbewusst. Es war die Wahrheit. Noah war es definitiv nicht.
„Bist du dir da wirklich sicher?“, fragte Rage und ging auf den gefesselten Mann zu. Er packte ihm an den schwarzen Haaren und riss seinen Kopf hoch.
Ich erstarrte.
„Das Einzige, was er von sich gab war dein Name

.“
Das Gesicht der Person war schmerzverzerrt. Über seinem Mund klebte ein Band damit er nicht sprechen konnte. Seine blauen Augen sahen eindringlich in meine.
Nick.


Es war Nick!
Scheiße!
Warum war er mir gefolgt? Was dachte er sich nur dabei? Wusste er den nicht, zu was diese Leute fähig waren?
Mein ganzer Körper war unfähig sich zu bewegen. Das war das erste Mal, dass wir uns nach so langer Zeit endlich wiedersahen. Eigentlich sollte das niemals passieren...
Warum konnte er mich nicht einfach vergessen? Ich bin zu seinem Besten damals abgehauen.
„Wenn du ihn nicht kennst...“ Rage kam auf mich zu und drückte mir die Waffe in die Hand „Töte ihn!“
Töte ihn!


Scheiße, ich konnte doch unmöglich meine erste große Liebe

umbringen, oder?
Rage packte mich an meinem Arm und zog mich auf die Beine.
„Ziel auf ihn!“, befahl er.
Und ich tat es.
Langsam richtete ich die Waffe auf den gefesselten Nick. Die zwei bulligen Männer gingen einen Schritt zur Seite.
Rage ging auf Nick zu und riss ihm das Klebeband vom Mund.
„Du darfst deine letzten Worte an deine Leyla

richten.“ Rage lächelte. Es machte ihm anscheinend eine Freude, anderen Menschen zu verletzen.
Eine Träne entkam meinen Augen. Ich zitterte. Ich konnte ihn doch nicht umbringen …
Er sah kränklich aus, als hätte er mehrere Nächte nicht geschlafen. Nick hatte eine Platzwunde an seiner Stirn. Das Blut lief ihm seitlich an seinem Gesicht runter.
Sie hatten ihn geschlagen und gequält.
Ich biss mir auf die Unterlippe.
Verdammt, wieso war er hier?
Meine Hände, in der sich die Waffe befand, fingen an zu zittern.
„Pssscht, er wird nichts merken kleine“, hauchte Rage mir in mein Ohr.
Ich atmete einmal tief durch, in der Hoffnung eine Lösung für die Situation zu finden. Aber ich fand keine.
Würde ich Nick nicht töten, würden wir Beide niemals lebend diesen Raum verlassen.
„Leyla“, hustete Nick.
Er war immer noch der gleiche Nick, dem ich damals mein Herz geschenkt hatte. Seine blauen Augen strömten eine unfassbare Wärme und vorallem eine Vertrautheit

aus, die ich so sehr vermisst hatte.
„Tu es.“
Entsetzt sah ich ihn an. Ich konnte nicht glauben, was ich gerade gehört hatte.
„Wenn du weiterleben kannst, wenn du mich tötest … Dann tu es Leyla.“ Seine Stimme klang erschreckend entschlossen.
Ich konnte … Ich konnte ihn doch nicht töten!
Aber, was für eine Wahl hatten wir?
„Wie rührend. Er scheint dich zu lieben

Kleine.“ Rage lachte.
Das war alles zu viel für mich. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
Zusammen würden wir nie aus diesem Raum raus kommen.
Ich schloss meine Augen. Unzählige Tränen suchten sich einen Weg über meine Wangen.
„Ich habe dich gefunden Leyla und ich bereue es nicht.“
Ich schluchzte laut auf.
„Ich sterbe lieber durch deine Hand als noch weitere Tage ohne dich verbringen zu müssen.“

So stand ich hier und richtete eine Waffe auf die Liebe meines Lebens.
Und … drückte ab.




Kapitel16: Das Monster in dir



Manchmal kommst du in deinem Leben an eine Kreuzung, einen Wendepunkt. Du musst eine Entscheidung treffen, die dein ganzes Leben beeinflussen wird.
Viele Menschen versagen an diesen Prüfungen. Aber wenn du es schaffst, egal, wie schwer und hart deine Aufgabe auch sein mag, wirst du stärker.
Du wächst und lernst aus jeder bestandenen Prüfung.
Jeder wird früher oder später eine solche Entscheidung treffen müssen.
Ich hatte mich für einen Weg, an meiner Kreuzung, entschieden.




Als ich den Schuss abgefeuert hatte, drehte ich mich um und zielte auf Rage.
Entschlossen sah ich ihn an.
„Bleib wo du bist!“, sagte ich mit dem Blick auf ihn fixiert.
Langsam verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln.
„Du bist wirklich etwas besonderes

.“
Vorsichtig ging ich zwei Schritte rückwärts, zu Nick. Ich hatte natürlich

nicht auf Nick geschossen. In der letzten Sekunde war mir eine riskante Idee gekommen; Wenn ich seine zwei Wachmänner ausschalten könnte, könnte es mir gelingen unser Spiel

zu meinem besten zu wenden. Also hatte ich es versucht und auf die bulligen Wachmänner geschossen.
Es war ein Wunder, dass ich wirklich getroffen hatte. Ich hatte zwar schonmal eine Waffe in der Hand aber sie abzufeuern, war nochmal etwas vollkommen anderes.
Regungslos lagen die zwei Männer an der Wand. Eine rote Blutspur klebte auf dieser.
Ich versuchte nicht weiter daran zu denken, dass ich tatsächlich gerade eben zwei Menschenleben ausgelöscht hatte.
Was war nur aus mir geworden?, dachte ich und biss mir auf die Unterlippe. Meine Hände fingen an zu zittern.
Scheiße!
Ich hatte zwei Männer getötet!
Im Augenwinkel sah ich Nick, wie er auf Knien hockte und absolut furchtbar aussah. Sie hatten ihn verprügelt. Wahrscheinlich auch gefoltert weil Rage dachte, dass er ein Polizist wäre.
Sie hatten den Tod verdient. Ich musste

so handeln.
Immer wieder wiederholte ich den Satz; Sie hatten den Tod verdient

. Als wären es irgendwelche Spanischvokabeln die ich auswendig lernen musste.
„Na“, setzte ich an „Wer ist jetzt der Verlierer

?“
Es war einer der ungünstigsten Momente den ich mir für solch eine Anspielung aussuchen konnte. Aber ich konnte nicht anders. Ich liebte es Männer zu reizen, das Adrenalin was durch meine Adern gepumpt wurde. Es war ein Gefühl der Überlegenheit und es war überwältigend.
„Das Spiel ist noch nicht vorbei meine

Kleine“, sagte Rage und musterte mich von Kopf bis Fuß.
„Ich bin nicht deine Kleine

, verstanden?“
„Wie du meinst.“ Rage hob beide Hände und symbolisierte mir, dass das Thema erledigt war.
„Bist du okay?“, flüsterte ich fast ängstlich. Meine Stimmlage war kein Vergleich zu der, die ich gegenüber Rage benutzte. Ich machte mir schreckliche Schuldgefühle. Nur wegen mir befand sich Nick in dieser Situation. Meinetwegen musste er Schläge aushalten.
„Mach dir keine Sorgen um mich.“ Nick hustete.
Rage lachte. „Willst du ihn nicht von den Fesseln befreien?“
Zögerlich ging ich weitere Schritte rückwärts sodass ich hinter Nick war. Ich ging leicht in die Hocke und riss den Klebeverband von seinen Händen. Die Pistole stets auf Rage gerichtet.
„Geht's?“, flüsterte ich und musterte Nick besorgt.
Nick nickte schwach und ich griff nach seinem Arm und legte ihn mir auf die Schultern. Vorsichtig versuchte ich ihm auf zu helfen.
„Sollte das normalerweise nicht anders rum sein? Der Mann ist der Held und die Frau das Opfer?“ Rage schmunzelte.
„HALT DEINE VERDAMMTE FRESSE!“, schrie ich ihn an „Ich verspreche dir; nochmal so ein scheiß Spruch und du kannst dich zu deinen zwei Türstehern legen.“
Plötzlich wurde sein Gesicht ernst.
„Und was dann? Hast du dein hübsches Köpfchen mal benutzt? Wie willst du aus meinem

Gebäude kommen? Lebend

?“
Verdammt, dachte ich. Er hatte Recht. Wie sollten wir hier raus kommen? Überall waren Rage's Männer.
Nick atmete hörbar aus und sackte leicht zusammen.
„Nick“, flüsterte ich und versuchte so gut wie möglich sein Gewicht zu halten.
Uns blieb nicht mehr viel Zeit. Er hatte zu viel Blut verloren. Ich musste mir ganz schnell etwas einfallen lassen. Nick musste in ein Krankenhaus, schnell

.
Und dann kam mir eine Idee.
Natürlich!
Ich sollte doch für Notfälle mein Handy mitnehmen. Ich war zwar noch nie in so einer Situation gewesen aber Sarah und Noah waren doch unten im Auto und warteten!
„Meine Tasche“, ich nickte in die Richtung wo meine Handtasche lag aber Rage bewegte sich nicht.
„Wenn ich mich bewege, tötest du mich“, sagte er mit ausdrucksloser Stimme.
Ich schoss einmal auf den Fußboden. Reflexartig machte Rage einen Schritt nach hinten.
Ich

töte dich, wenn du dich jetzt nicht

bewegst“, sagte ich mit fester Stimme und richtete die Waffe erneut auf ihn.
Langsam ging er zu meiner Handtasche, hob sie auf und reichte sie mir.
Witzig, dachte ich. Wie sollte ich sie bitte öffnen? In der einen Hand hielt ich die Pistole und der andere Arm stützte Nick.
„Mach sie auf“, befahl ich und deutete auf die Tasche.
Rage öffnete langsam den Reißverschluss.
„Da muss irgendwo ein Handy sein.“
Ich erkannte ein kleines Lächeln auf Nick's Lippen.
„Du bist immer noch die Gleiche“, flüsterte er fast unhörbar.
Irgendwo?

“, fragte Rage und sah mich skeptisch an.
„Man, such halt“, sagte ich aufgebracht. Wir hatten kaum noch Zeit. Er sollte einfach dieses verfluchte Handy raus holen.
„Frauen“, sagte Rage und ich verdrehte die Augen.
Dann, endlich, holte er mein Handy zum Vorschein.
„Die erste Nummer, wenn du auf Wahlwiederholung drückst, was für ein Name steht da?“
Anscheinend musste Rage zweimal hinschauen, was für ein Name dort stand.
„Macho“, sagte er und sah mich skeptisch an.
Ich konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Ich durfte die Situation nicht vergessen, in der wir uns befanden. Rage war mein Feind

. Nichts mehr und nichts weniger.
„Drück auf den Lautsprecher und dann auf den grünen Hörer“, befahl ich ihm mit fester Stimme.
Und er tat es.

Riiiing
Riiiing
Riiiing
Riiiing



Geh ran, dachte ich.

Riiiing
Riiiing



„Hallo?“
Ich atmete hörbar aus. Eine Welle der Erleichterung durchflutete meinen Körper. Ich war so froh Noah's Stimme zu hören. Er würde uns hier raus holen. Ja, er würde mich beschützen. Ich musste nur noch ein paar Minuten durchhalten.
„Noah?“, fragte ich überflüssigerweise. Er wusste das ich es war, schließlich stand es auf dem Display.
„Hey, alles okay? Das Handy ist doch nur für Notfälle oder hast du mich so sehr vermisst Süße?“
So sehr ich mich auch freute Noah zu hören, war es dennoch ein komisches Gefühl. Es war mir unangenehm, dass er mich Süße nannte, in Gegenwart von Nick.
Ich seufzte.
„Holt mich hier raus. Rage habe ich unter Kontrolle aber ich kann den Raum nicht verlassen. Es ist zu riskant“, erklärte ich kurz und bündig die derzeitige Lage.
„Okay“, antwortete Noah „In welchem Zimmer bist du? Welche Nummer?“
Sofort richtete ich meinen Blick auf Rage.
„Los, sag's ihm!“, drängte ich Rage. Aber er machte keinen Anstalten Noah die gewünschte Antwort zu geben.
Zwing mich nicht, dachte ich und festigte meinen Griff um die Waffe.
„Leyla?“, erklang nun Sarah's Stimme aus meinem Handy.
Ich zog meinen Zeigefinger an und feuerte ab.
Rage schrie vor Schmerz auf und fasste sich an die linke Schulter. Ich hatte ihm in die Schulter geschossen.
„Alles okay“, sagte ich laut genug damit meine Freunde mich über den Lautsprecher hören konnten.
„Verdammt“, zischte Rage und sah mich mit einem Blick an der mehr als tausend Worte sagte. Er hasste mich.


„Der Nächste geht in deine Brust“, sagte ich entschlossen. Es war keine leere Drohung. Ich würde ihn töten, wenn er für Nick's Tod verantwortlich wäre, nur weil wir nicht aus diesem Gebäude kamen.
Damals

, hatte ich Nick verlassen. Ich würde ihn kein zweites Mal verlieren, niemals.
„Zimmer 63, dritte Etage“, antwortete er endlich und sah mich hasserfüllt an.
„Alles klar. Wenn du Leyla auch nur ein Haar gekrümmt hast, bist du ein toter Mann. Wir holen dich jetzt da raus Süße, halte durch. Showtime

Sarah“, sagte Noah. Wir konnten hören wie er die Autotür zu knallte und dann das Gespräch beendete.
Jetzt würde es nur noch wenige Minuten dauern bis der Alptraum ein Ende finden würde.
Ich traute mich gar nicht mich zu bewegen. Ich hatte Angst, dass Nick's Schmerzen sich verschlimmern würden, wenn ich eine kleine Bewegung machte. Er musste so schon genug leiden, deshalb biss ich die Zähne zusammen und stützte ihn weiter.
„Wieso tust du das?“
Fragend sah ich Rage an.
„Du könntest doch bestimmt auf eine Universität gehen und ein glückliches Leben führen. Warum treibst du dich in dieser Szene

rum?“
Anstatt zu antworten sah ich Nick an. Er hatte die Augen geschlossen und seine Stirn war nass. Hoffentlich hatte er kein Fieber. Sein Kopf lehnte schwach an meiner Schulter.
„Jeder besitzt ein dunkles Geheimnis“, sagte ich und sah Rage an.
Rage lächelte.
„Niemand, der in dieser Szene ist, hat es sich ausgesucht“, sagte Rage und sah mich dabei eindringlich in die Augen.
Sofort jagte dieser Blick mir eine Kälte über den Körper. Sie fraß sich durch meine Haut, durch meine Adern, durch meine Knochen. Wie ein schrecklicher Virus.
Aber ich hielt seinem Blick stand.
Was hatte Rage wohl für ein Geheimnis?
Warum war er kaltblütig und herzlos?
Was hatte er nur erlebt?
Was hatte ihn geprägt?


Seine Augen strahlte eine furchtbare Einsamkeit aus. Ich hatte das Gefühl, als hätte Rage mir gerade einen kleinen Blick in seine Seele geschenkt.
Ich wollte zu ihm rüber gehen, ihn trösten, ihn fragen was in seiner Vergangenheit geschehen war aber mein Platz war genau hier. Neben Nick.
Plötzlich flog die Tür auf und Noah trat ein, dicht gefolgt von Sarah, meiner besten Freundin.
„NICHT!“, schrie ich als ich sah was Noah vor hatte.
Er zielte mit einer Waffe auf Rage.
Ich konnte nicht fassen, dass ich gerade Rage beschützt hatte. Aber er war anders. Ihm musste damals etwas schrecklich passiert sein, dass er Menschen nur noch Respektlosigkeit schenken konnte. Außerdem … Ja, er hatte mir die Waffe gegeben. Ich denke, dass er wusste, dass ich Nick nicht erschießen würde. Es war eine Prüfung und ich hatte sie bestanden. Immer, wenn ich nicht weiter wusste, hatte Rage mir einen flüchtigen Tipp gegeben.
Ich verstand nicht wieso er das getan hatte aber ich war ihm dankbar.
Ich ließ die Pistole auf den Boden fallen.
„Leyla, ist alles okay bei dir? Oh mein Gott, was ist mit ihm?“, fragte mich Sarah und ging auf die andere Seite um Nick mit zu stützen.
„Er... Er gehört zu mir. Er hat viel Blut verloren“, sagte ich zu Sarah und sah dann Noah an.
Dieser verharrte in seiner Position und richtete weiterhin seine Waffe auf den verletzten Rage.
„Noah, bitte. Lass es. Lass uns einfach abhauen“, versuchte ich unseren Macho zu beruhigen.
Noah atmete hörbar aus.
„Am liebsten würde ich ihn abknallen“, flüsterte er leise und legte nun Nick's Arm auf seine Schultern.
Zärtlich strich ich Nick über die Wange. Langsam öffnete er seine blauen Augen und suchte die meinen.
„Hey“, flüsterte ich und lächelte „das wird schon. Ich bringe dich in Sicherheit.“
„Leyla“, setzte Nick an aber seine Stimme brach weg. Er war total erschöpft. Der Blutmangel setzte ihm körperlich zu.
„Scccht, wir reden später.“
Noah nickte in Richtung Tür um Sarah verständlich zu machen, dass wir uns auf den Rückweg machten.
Als meine Freunde bereits auf dem Flur waren, blieb ich im Türrahmen stehen und drehte mich zu Rage um.
Ich wollte ihn fragen, warum

er mir indirekt geholfen hatte, warum er zu einem Monster

wurde … Aber kein Wort verließ meine Lippen. Ich sah ihn einfach nur an.
„Geh“, setzte er an und zwinkerte mir zu „Wir werden uns wieder sehen Leyla.“
Ich nickte kurz und er lächelte mich an.
Dann rannte ich den Flur runter, bis ich bei Noah, Sarah und Nick angekommen war.
„Was ist mit dir?“, fragte Sarah und sah mich forschend an.
„Nichts“, erwiderte ich knapp „Wir müssen ihn in ein Krankenhaus bringen.“
Ich war froh, dass niemand mich fragte woher ich Nick kannte.
Sie hatten ihn sofort in ihre Obhut genommen, sich um ihn gekümmert.
Wir vertrauten uns blind.


Ich hatte in dieser Nacht eine wichtige Lektion gelernt...
...Monster sind kaltblütig und gefährlich. Trotzdem tragen sie ein Herz in sich.
Jedes Lebewesen hat ein Recht darauf zu leben.
Man sollte sich lieber die Frage stellen, warum dieses Wesen zu einem Monster wurde.




Kapitel17: Arme, arme Sarah



Wartezimmer.
Ich hasste diese Räume!
Obwohl kein Redeverbot herrschte, traute sich niemand etwas zu sagen.
Noah hatte sich geweigert hinzusetzen. Er war der festen Überzeugung, dass er für heute genug auf seinem Arsch gesessen hatte. Deshalb stand er nun schon seit, sage und schreibe, 47 Minuten vor dem Fenster.
Ich wusste es so genau weil ich im Minutentakt auf die Uhr schaute, die über Sarah's Platz hing.
Ich bin in keinem Moment von Nick's Seite gewichen, selbst im Auto nicht. Ich hatte Sarah den heiß begehrten Beifahrerplatz überlassen.
Die Krankenschwester hatte uns gesagt, dass man uns Bescheid sagen würde sobald wir zu Nick könnten. Solange sollten wir warten.
Warten …
Ich seufzte.
Plop


Genervt schaute ich Sarah an, die gegenüber von mir neben einer älteren Frau saß.
Das

ging nun schon seit 15 Minuten so.
Plop


Ich legte genervt meinen Kopf leicht schief und sah meine Freundin an, wie sie Kaugummi kauend eine Zeitschrift las. Man hatte wirklich den Anschein als würde sie interessiert die Artikel lesen. Dabei war es Die Bunte

, ein Klatschblatt für Omi's.
Als ob Mädchen im zarten Alter von 19 so etwas interessant finden würden...
Plop


„Hallo?“, sprach ich leicht gereizt meine beste Freundin an und zog damit alle Blicke der restlichen Leute, die hier saßen, auf mich. Hoffentlich steinigten die Oma's und Opa's mich jetzt nicht weil ich ihre heilige Stille durchbrochen hatte.
Meine Nerven waren total erschöpft. Eigentlich, war es mir egal wann und wie oft sie Kaugummi kaute aber hatte ich diese Nacht nicht genug mitmachen müssen?
Sarah schaute von ihrer Zeitschrift auf und sah mich fragend an.
„Was?“
Ich verlagerte mein Gewicht, so gut wie es ging auf diesen unbequemen Stühlen, auf die andere Seite.
Mein Arsch tut vom sitzen weh, dachte ich.
„Vergiss es“, antwortete ich stattdessen und strich mir eine schwarze Haarsträhne hinter mein Ohr.
„Du sollst aufhören wie ein Pferd zu kauen“, entgegnete Noah kühl. Er lehnte an der Fensterbank und hatte seine Arme vor seiner Brust verschränkt.
Ich konnte mir gerade nochmal rechtzeitig meine Hand vorm Mund halten sodass ich nicht laut los lachen musste.
Noah hatte doch tatsächlich genau das ausgesprochen, was ich vorhin runter geschluckt hatte weil ich keinen Streit provozieren wollte.
Zuerst sah Sarah fassungslos Noah an und dann mich.
Als ihr Blick an mir kleben blieb, zuckte ich unschuldig mit den Schultern, nahm langsam meine Hand vom Mund und lächelte sie an.
Ich konnte sie nun wirklich nicht beschützen, so wie Sarah es gerade erwartete. Die Situation war einfach zu unterhaltsam.
„Wisst ihr was?“, abwechselnd sah sie zwischen Noah und mir hin und her.
Plop
Plop
Plop


„Ihr könnt mich mal“, verteidigte sie sich und blättere auf die nächste Seite um. Jedoch sah ich wie sich ihre Mundwinkel ebenfalls zu einem kleinen Lächeln verzogen.
Ich liebte meine Freunde. Wir waren immer füreinander da, amüsierten uns, feierten zusammen und hatten schon so manchen Mist zusammen durchgestanden. Einen ernsthaften Streit hatte es noch nie gegeben. Sie waren meine Familie geworden. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie tun sollte. Ich verdankte ihnen mein zweites Leben

.
Damals, hatten sie mich sofort bei sich aufgenommen. Als wäre ich eine verlorene Schwester gewesen. Es war, als würden wir uns schon Jahre lang kennen. Dabei waren es erst 10 Monate.
Sarah band sich ihre langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Dabei sah ich, wie die Oma neben ihr große Augen bekam.
Ich meine, wirklich große Augen. Als wäre meine beste Freundin eine Hexe und würde gleich das Wartezimmer abfackeln.
Ich konnte mir bei dem Gedanken ein kleines grinsen nicht verkneifen.
Allerdings war der Gesichtsausdruck der alten Frau mir ein Rätsel. War es Faszination? Angst? Oder doch eher nach dem Motto; Wie kann sich so ein junges Ding nur tätowieren?


Wie hypnotisiert starrte sie auf Sarah's Nacken, dort wo unser Zeichen auf ihrer Haut tätowiert war; Ein aggressiver Wolfskopf der unten mit einem kleinen aber deutlich zu erkennenden S

verziert war. Das S

stand für ihren Namen, genauso wie unter meiner Tätowierung ein L

gezeichnet war.
Ganz langsam, fast in Zeitlupe, hob Sarah ihren Kopf und erwiderte meinen Blick. Ich musste zu geben, dass diese Aktion schon ein bisschen unheimlich wirkte.
„Oh man“, schmunzelte ich leise und erwiderte ihren Blickkontakt. Wie alle heute Sarah ärgerten, wirklich genial.
„Leyla?“, in ihrer Stimme schwang schon ein verräterischer Unterton.
Skeptisch beobachtete Noah unser Schauspiel, als wären wir Live bei Die versteckte Kamera.
Ich musste mir alle Mühe geben mein Lachen zu unterdrücken. Sarah, wie sie das ahnungslose Opfer unserer Scherze war und die alte Omi die wirklich, übernatürlich große Augen machte. Was zum Schluss bestimmt auch an ihrer Brille lag, die total die dicken Gläser hatte. Trotzdem sah das einfach zu

witzig aus.
Wer weiß, vielleicht hatte die Oma es auch auf Sarah's Zeitschrift abgesehen?
Oder noch besser, vielleicht starrte die alte Frau überhaupt nicht auf das Tattoo sondern war in Wirklichkeit ein Vampir und würde ihr gleich an den Hals fallen?!
„Hm?“, antwortete ich stattdessen. Ich war nicht im Stande einen ganzen Satz zu formulieren. Ich hatte Angst, dass ich dann los lachen müsste.
Plop

, war alles was Sarah zur ihrer Verteidigung von sich gab.
Ich glaubte, dass ich gerade ziemlich lächerlich aussah weil ich wie ein Honigkuchenpferd am grinsen war.
Die alte Frau rutschte tiefer in ihren Stuhl zurück, naja, weiter ging es eigentlich nicht. Sie tat ja fast so als wäre Sarah wirklich irgendein fieser, ekliger Käfer. Als die Oma dann ihre Froschaugen plötzlich auf mich richtete, konnte ich nicht mehr. Ich schlug mir beide Hände vor mein Gesicht und fing an zu lachen.
„Ihr seid zwei, ohne scheiß“, stimmte nun auch Noah in mein Lachen ein.
„Ach“, setzte Sarah an „ihr habt wohl den Knall nicht gehört.“


30 weitere qualvolle Minuten verstrichen...




Endlich öffnete sich, nach einer gefühlten Ewigkeit, die Wartezimmertür.
Die Tür war nur einen Spalt geöffnet wodurch die Krankenschwester ihren Kopf ins Wartezimmer steckte.
Eigentlich dachte ich, dass wäre ein Krankenhaus aber es glich eher einer Irrenanstalt. Konnte sich denn niemand normal verhalten sodass man nicht direkt anfangen musste zu lachen?
„Mrs Black?“, fragte sie.
„Hier“, antwortete ich und stand endlich von meinem Stuhl auf.
Die Krankenschwester lächelte. „Folgen Sie mir bitte.“
Sofort stand Sarah auf, legte ihre Zeitschrift wieder zurück auf den Tisch und stellte sich hinter mich. Noah tat es ihr gleich.
„Ehm“, setzte die Krankenschwester an „eigentlich nur Mrs. Black.“
Sofort wurden die Gesichter meiner Freunde ernst.
„Das ist schon okay. Sie gehören so gut wie zur Familie“, versuchte ich die Situation zu retten. Die Zwei würden explodieren, wenn sie nun umsonst über eine Stunde in diesem schrecklichen Warteraum verbracht hätten. Okay, Sarah vielleicht nicht.
Leicht überfordert schaute sie jeden von uns kurz an.
„Na gut, folgen Sie mir bitte.“
Gerade als wir endlich den Raum verlassen hatten, blieb meine beste Freundin wie angewurzelt stehen.
„Was ist?“, fragte Noah. Ihm ging der ganze Zirkus wohl auf die Nerven.
Aber Sarah sah nur verunsichert zwischen uns hin und her.
„Vermisst du deine Froschfreundin?“, drängte er weiter.
„Froschwas

?“, verwirrt sah sie Noah an. „Nein, du Arsch. Wartet kurz.“ Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und eilte ins Wartezimmer.
Ich traute meinen Augen nicht was ich dann sah!
„Ich fasse es nicht“, flüsterte ich und verschränkte meine Arme vor meiner Brust.
Leise schloss Sarah die Tür hinter sich und präsentierte uns stolz ihre Beute.
„Das ist nicht dein ernst, oder?“, fragte Noah sie und riss ihr Die Bunte

, aus den Händen.
„Was denn?“, entgegnete sie zickig und riss die Zeitschrift Noah aus den Händen.
Dann sah sie mich an.
„Solltest du auch mal lesen! Da stehen voll tolle

Sachen drin“, versuchte sie mir ihre Oma Zeitschrift schmackhaft zu machen.
„Ehm, nein“, sagte ich und sah sie aufgebracht an.
„Ihr habt doch keine Ahnung was gut ist.“
Sarah stolzierte an uns vorbei, der Krankenschwester hinterher.
Selbst wenn Noah und ich den Anschluss verlieren würden, müssten wir einfach Sarah's Kaugummigeräusch folgen, welches sich wegen den sterilen Fluren noch lauter anhörte.
Plop




Jetzt war es soweit. Wir standen vor Nick's Krankenzimmer. Meine Hand verharrte auf dem Türknopf. Irgendwas in mir wollte nicht, dass ich zu ihm reinging. Ich hatte Angst ihn wieder zusehen. In dieses Zimmer zu gehen, hieße so viel wie:
Hallo Vergangenheit! Bye Gegenwart.


Ich atmete hörbar aus.
„Hat Thomas euch auf irgendwelche neue Drogen gesetzt oder was geht heute mit euch?“, Noah klang gereizt.
„Was hast du denn?“, fragte Sarah und blickte von ihrer Zeitschrift auf, die sie im stehen las! Seid wann war Sarah ein Bücherwurm?
„Ihr habt alle einen an der Klatsche“, beschwerte sich Noah und schaute auf meine Hand die auf dem Türknopf verharrte.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Sollte ich wirklich zu Nick reingehen? Wie sollte ich es meinen Freunden erklären und vorallem; wie sollte ich es Nick erklären?
Noch könnte ich umdrehen und verschwinden...
Ich war damals ein vollkommen anderes Mädchen. Ich hielt nie großartig viel von Alkohol und schon gar nicht von Drogen. Und nun, nahm ich fast täglich Ecstasy.
Die alte Leyla gab es nicht mehr. Stattdessen war aus mir ein Mädchen geworden, was die Gefahr liebte und das Adrenalin zum überleben brauchte.
Ja, mein altes Ich

war gestorben als ich Nick verlassen hatte...
„Leyla?“, hörte ich Noah's Stimme nach mir fragen aber ich war total in Gedanken versunken, in meine Vergangenheit.
Ich hatte furchtbare Angst Nick gegenüber zu treten. Wie sollte ich ihm das alles erklären? Wie?


Bevor ich reagieren konnte, hatte Noah seine Hand auf meine gelegt und öffnete Nick's Zimmertür.

Jetzt war es zu spät.
Es gab kein zurück mehr.
Ich konnte nicht mehr davon laufen.
Hallo Vergangenheit!




Kapitel18: Wut



Zum Glück hatte Nick das Krankenzimmer komplett für sich alleine. Zwar stand noch ein zweites Bett im Zimmer allerdings saß dort keine Omi drin sodass ich mich vor weiteren Lachattacken in Sicherheit befand.
Nick's Bett stand an der Fensterseite. Meiner Meinung nach der beste Platz.
Auf der Fensterbank standen drei Blumentöpfen mit rot gelben Pflanzen. Meine Mutter hätte sofort gewusst um welche Blumenart es sich dabei handelte. Ich dagegen, interessierte mich für so etwas nicht.
Schnell wendete ich den Blick von den Blumen ab und sah Nick an.
„Schönes Zimmer.“ Ich lächelte.
Es war ein erbärmlicher Versuch die Stimmung auf zu lockern. Meine beste Freundin hatte Nick nicht auch nur einmal angeschaut. Stattdessen hatte sie es sich sofort an den kleinen Tisch gesetzt und Die Bunte

weiter auswendig gelernt. Es war mir immer noch ein Rätsel warum

sie sich dermaßen stark für diese Zeitschrift interessierte.
Noah lehnte lässig an der Tür, seine Arme waren vor seiner Brust verschränkt und er schaute die ganze Zeit Nick an.
Ich wusste nicht wie ich mit dem Gespräch anfangen sollte. Ich fühlte mich in Nick's Gegenwart so nervös, aufgeregt und unsicher. Diese Eigenschaften passten nicht zu mir. Ich wusste immer was ich wollte, immer

. Das meine Freunde ebenfalls in diesem Raum waren, machte es mir nicht gerade leichter die richtigen Wörter zu finden.
„Irgendwie“, setzte Noah an und ich drehte mich zu ihm um „kommst du mir bekannt vor.“
„Jetzt wo du es sagst.“ Sarah musterte Nick. „Warst du nicht der Typ

der Ärger auf meiner Geburtstagsfeier gemacht hatte?“
Mich überkam eine böse Vorahnung. Ich war zwar an Sarah's Geburtstag vollkommen dicht gewesen wegen dem vielen Alkohol und dem Ecstasy aber die Erinnerung tobte noch lebhaft in meinem Kopf.


Flashback (Kapitel9)



Ich lächelte ihn an. „Zu dir oder zu mir?“
Ein Finger legte sich auf meine leicht geöffneten Lippen.
Warum antwortete er nicht? Wollte er mich nicht? Verunsichert versuchte ich einen Schritt rückwärts zu machen aber er hatte sein Arm lag immer noch auf meiner Hüfte und drückte mich somit an seinen Körper.
„Lasch misch losch wenn isch dir nischt gefalle!“
Dann spürte ich wie er mit seinem Mund meine Wange streifte, sich langsam zu meiner Nase hinarbeitete und sein Ziel fand. Sein Atem prallte gegen meine Lippen. Ein unglaubliches Verlangen stieg in mir hoch. Ich wollte ihn küssen, ganz gleich wer es war. Selbst wenn Noah vor mir stand. Es war mir egal.
Ich wollte ihn.
Sehnsüchtig wartete ich auf einen Kuss. Aber es kam keiner. Stattdessen küsste er mich sanft auf die Stirn.
„Zu mir“, sprach der Unbekannte.
Er stützte mich den ganzen Weg zu seinem Auto. Keinen einzigen Moment hatte sein Arm meine Hüfte verlassen. Zufrieden legte ich mich gegen ihn.
„Wohin Süße?“
Was war das für eine Stimme? Vielleicht sollte ich auf diese rosa Tablette demnächst verzichten. Ich bekam ja rein gar nichts mehr mit, geschweige, dass ich denken konnte.
„EY! Bleib sofort mit Leyla stehen!“, schrie uns jemand hinterher. Und tatsächlich wir stoppten.
Plötzlich wurde ich grob am Arm gepackt. Der Griff war dermaßen stark, dass es schmerzte.
„Au, lasch misch losch!“
„Süße, du kannst in deinem Zustand nicht mit diesem … Kerl abhauen“, sprach die Stimme erneut und nun erkannte ich sie. Noah! Es war Noah, der mir weh tat.
„Fass sie nicht an!“, drohte mein Fremder.
„Wer bist du überhaupt?“
Eine perfekte Einladung für Noah.
Ich spürte wie mein Fremder sich zwischen Noah und mir stellte.
Was passierte hier?
„PRÜGELEI LEUTE!“
Ich zuckte zusammen. Ich hatte Angst, dass IHM was passierte. Aber das was mir Unbehagen bereitete war, dass dieses Gefühl nicht Noah galt. Nein, ich hatte angst um den Unbekannten.
Instinktiv stellte ich mich dichter hinter meinen Fremden und legte meine Hände bei ihm auf den Rücken. Sollte ich nicht, selbst in meiner Verfassung, auf Noah´s Seite stehen? Ich tat es nicht.
„LEUTE, KOMMT SCHNELL!“

FlasbackENDE




In mir tobte ein Chaos der Gefühle. Nick war schon so lange in meiner Nähe gewesen und ich hatte es nicht wahr haben wollen. Auf eine gewisse Art und Weise erfüllte mich dieser Gedanke mit Glück.
Nick hatte mich vermisst

.
Aber von der anderen Seite her betrachtet, musste ich aufpassen. Ich hatte Nick damals mein Herz geschenkt. Wir hatten eine gemeinsame Vergangenheit

, nichts mehr und nichts weniger.
Die Leyla die er liebte, existierte nicht mehr.
„DU BIST DAS?“, brüllte Noah plötzlich.
Ich zuckte bei der Lautstärke seiner Stimme leicht zusammen.
„DU warst derjenige der Leyla verschleppt hatte?“, Noah ging auf Nick zu. Allerdings stellte ich mich rechtzeitig zwischen die Beiden, legte meine Hände auf Noah's Oberkörper und sah zu ihm auf.
„Beruhige dich“, flüsterte ich aber Noah hörte mich nicht.
„Verschleppt?“ Nick atmete hörbar Luft aus „Ich hatte sie in Sicherheit gebracht.“
Überhaupt nicht gut, nein, ganz und gar nicht gut. Wie konnte Nick ihn jetzt noch mehr reizen? War er lebensmüde? Noah würde ihn in seiner Verfassung mit Leichtigkeit umhauen.
Sarah lachte.
„Du hast wohl keine Ahnung mit wem du dich hier anlegst“, entgegnete sie kühl und sah von ihrer Zeitschrift auf.
„Willst du mich in einem Krankenhaus verprügeln? Nur zu“, sagte Nick mit einer schrecklichen Gleichgültigkeit.
Noah drückte mich zurück sodass ich einen Schritt rückwärts machen musste.
Er war wütend und hasste Nick. In den Augen meiner Freunden war Nick ein Feind

.
Ich wusste nicht was ich tun sollte. Irgendwie musste ich die Situation entschärfen aber wie sollte ich das bitte anstellen?
Es fühlte sich an als würde jemand mein Herz zusammen drücken. Es schmerzte und ich konnte meinen eigenen Herzschlag hören. Meine Hände auf Noah's Oberkörper fingen an zu zittern. Stück für Stück verlor ich die Fassung. Ich wollte einfach nur, dass dieser Alptraum endete.
Diese zwei Welten, Nick und Noah, hätten niemals aufeinander treffen dürfen.
Noah ballte seine Hände zu Fäusten.
„Jetzt hör bitte auf“, sagte ich verzweifelt und versuchte Noah zurück zu drücken. Aber er beachtete mich nicht.
„Ich schwör's dir, wenn ich mit dir fertig bin, würdest du dir wünschen unsere

Leyla niemals angefasst zu haben!“, drohte unser Macho meinem Ex.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Ich wollte nicht anfangen zu weinen, nicht vor Nick.
„VERDAMMT NOCHMAL!“
Ich schrie und hielt mir beide Hände an den Kopf.
„HÖRT AUF! HÖRT BITTE AUF!“
Ich wollte nicht, dass irgendjemand meinetwegen verletzt wurde. Zwischen Nick und mir gab es Dinge, die noch nicht geklärt waren und es sollte auch niemals zu einer Aussprache kommen.
Er war meine Schwachstelle, meine große Liebe gewesen.


Wenige Minuten verstrichen in denen niemand auch nur einen leisen Laut von sich gab.
Instinktiv ging ich einen kleinen Schritt nach links als Noah mich am Arm anfassen wollte.
Niemand durfte mich jetzt berühren. Meine Fassade, meine Mauer drohte einzubrechen. Eine Berührung von den Menschen die mir nahe standen, würde den letzten Tropfen darstellen, der meinen Eimer zum überlaufen bringen könnte.
Das durfte ich nicht zu lassen.
Ich hatte schon viel zu viel von meinem wahren Ich

gezeigt. Es war ein Fehler gewesen aber es würde mir kein zweites Mal passieren.
Ich würde mit meiner gesamten Kraft gegen den Wunsch geliebt, verstanden, gebraucht zu werden ankämpfen.
Langsam öffnete ich meine Augen wieder.
Alle starrten mich verständnislos an, außer Nick. In seinem Blick lag mehr. Er kannte und verstand mich.
„Geht“, flüsterte ich und erwiderte Noah's Blickkontakt.
„Süße, wir können dich nicht alleine mit diesem Typen hier lassen. Wir passen doch auf dich auf“, sagte Sarah und kam auf mich zu.
„Er wird mich schon nicht umbringen.“
„Leyla“, flüsterte Noah und hob seine rechte Hand. Gerade als seine Hand drohte meine Wangen zu berühren, legte ich meinen Kopf leicht schief.
„Ich komme später ins BlueRush

“, entgegnete ich mit der Stimme, die meine Freunde von mir kannten; Selbstsicher, tough und stark

.
Sarah nickte und fasste Noah flüchtig an die Schulter.
„Komm, wir gehen.“
Allerdings bewegte sich Noah nicht sondern sah mir weiterhin in die Augen. Ich sah seine Unentschlossenheit. Er wusste nicht, ob er meiner Stimme Glauben schenken sollte oder nicht.
„Du vertraust Leyla doch, oder?“, fragte meine beste Freundin ihn.
Er biss sich auf seine Unterlippe. Nach wenigen Sekunden legte er seine Hand in meinen Nacken, küsste mich sanft auf die Stirn und flüsterte; „Mach keine Dummheiten, Kleine.“
Ich lächelte leicht.
„Nie“, flüsterte ich. Dann löste er langsam seinen Griff und sah Nick kurz an.
„Wir sehen uns.“
Als die Beiden den Raum verlassen hatten, verharrte ich eine Weile in dieser Position. Eine unglaubliche Wärme ging von meiner Stirn aus, genau von der Stelle wo Noah mich geküsst hatte. Es war ein leichtes kribbeln und es fühlte sich ungewöhnlich … gut an.
Es bedeutete mir viel, dass Noah sich so sehr um mich kümmerte. Er beschützte mich immer so gut wie er konnte. Ich hatte gespürt, dass es nicht leicht für ihn war, mich bei Nick zurück zu lassen.
Aber es war das Beste.
Ich musste mich alleine meiner Vergangenheit stellen. Ich durfte meine Freunde nicht mit reinziehen.
Jetzt wo sie weg waren fühlte ich mich nackt

, allein gelassen.
Ich holte tief Luft.
Da musst du jetzt durch, dachte ich und drehte mich zu Nick um.

Es gab mal eine Zeit, da glaubte ich an die wahre Liebe.




Kapitel19: Die Augen sind der Spiegel der Seele



Ich hätte niemals damit gerechnet, dass ich ihn jemals wiedersehen würde.
Sofort herrschte wieder die alte Vertrautheit zwischen uns. Aber genau das

war es; eine Vertrautheit, eine alte Angewohnheit. Nichts mehr und nichts weniger.
„Weißt du...“ Ich verlagerte mein Gewicht auf das andere Bein „Ich verstehe nicht, warum

du überhaupt hier bist.“
Ich legte meinen Kopf leicht schief und versuchte jede einzelne Regung in seinem Gesicht zu deuten.
Er sah schon immer gut aus. Seine schwarzen Haare waren nicht zu lang aber auch nicht zu kurz. Eben genau richtig. Ich liebte es ihm durch die Haare zu wuscheln. Seine blauen Augen sahen in meine.
„Meinst du das ernst?“ In seiner Stimme schwebten so viele Emotionen mit, die ich mich nicht traute zu zu ordnen.
„Ja“, antwortete ich achselzuckend um meiner Frage mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.
„Ich wollte dich beschützen. Ich musste

einfach sehen, dass dir nichts geschieht als du in dieses Gebäude gegangen bist.“
Ich lächelte, schüttelte leicht meinen Kopf und wendete meinen Blick kurz zum Fenster. Seine Erklärung war einfach lächerlich.
Er

hatte mir den Deal versaut. Er

war derjenige der in diesem Gebäude nichts zu suchen hatte, nicht ich. Ich wusste auf was ich mich eingelassen hatte, er nicht. Wir wären fast bei Rage drauf gegangen, auch, wenn Nick gute Absichten hatte, war es trotzdem unnötig, unprofessionell und tödlich.
Ich sah Nick an.
„Diese Leute sind gefährlich Nick. Denkst du etwa, es würde sie interessieren ob wir leben oder nicht? Entweder man macht einen großen Bogen um sie und lebt friedlich sein Ameisenleben weiter oder

man wird selbst zu einem Raubtier

und erkämpft sich einen Platz in diesem Territorium“, sagte ich mit dem selbstsicheren Ton den meine Freunde von mir kannten.
Nick fuhr sich, mit einer Hand, durch seine schwarzen Haare.
„Warum hast du mich verlassen? Warum

bist du spurlos verschwunden?“ Ich konnte den Schmerz in seiner Stimme deutlich spüren. Der Klang dieser Frage jagte mir eine Gänsehaut über meinen Körper. Mit der rechten Hand rieb ich mir über den linken Arm, in der Hoffnung die verzerrende Kälte zu verscheuchen.
„Das ist unwichtig“, setzte ich an und spürte wie meine Augen sich mit Tränen füllten.
Er musste mich gehen lassen, mich loslassen. Es war das Beste für ihn. Ich tat es zu seinem eigenen Schutz. Ich hatte ein klares Ziel vor Augen und deshalb durften wir nicht mehr zusammen sein. Ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn ihm etwas zustoßen würde.
Krampfhaft versuchte ich die Tränen zurück zu halten. Würde ich auch nur eine Sekunde schwach werden, würden sie meine Augen verlassen und mich somit verraten.
Ich musste ihn verletzen damit er mich vergessen konnte. Damit er seine Liebe einem anderen Mädchen schenken konnte. Einem Mädchen was ihr Leben mit ihm verbringen wollte, was meinen Platz einnehmen und ihn von Herzen lieben würde.
Langsam öffneten sich meine Lippen.
„Ich liebe dich nicht mehr.“


Das war der Moment in dem mein Herz kurz stockte. Ich traute mich nicht meine Augen auch nur für eine Sekunde zu schließen. Die Tränen drohten auszubrechen und das durften sie nicht.
Jegliche Gefühle verschwanden aus meinem Körper. Ich spürte nichts mehr. Eine vernichtende und alles verzerrende Leere breitete sich in meinem Inneren aus. Sie umschlang mein Herz und drückte es brutal zusammen.
Es war als wäre ich eine Gefangene, eine Gefangene meiner Selbst.
„Du lügst“, flüsterte Nick, stand von seinem Krankenbett auf und kam langsam auf mich zu.
Gott sei Dank! Ja, ich lüge! Bitte, hilf mir hier raus. Ich will das alles nicht mehr.


Nimm mich in deine Arme und sag mir, dass wir das zusammen schaffen werden!


Schnell verjagte die Leere diese Gedanken und umklammerte mein Herz fester.
Ich war unfähig mich zu bewegen, geschweige etwas zu antworten.
Mittlerweile stand er genau vor mir. Mein Blick war starr nach vorne gerichtet, auf seinen Hals. Ich war gut einen Kopf kleiner.
Als er meine Hand nahm und sie sanft drückte, wurden die seelischen Schmerzen immer unerträglicher.
Ich wollte nichts lieber als ihm die Wahrheit sagen, die vollständige Wahrheit. Aber ich konnte ihm niemals

anvertrauen was ich vor hatte. Nick würde es verhindern, mich beschützen und eine andere Lösung finden. Jedoch wollte ich meinen Weg gehen.
Ich würde diesen Menschen finden und ihm das gleiche Leid antun, was er mir zugefügt hatte.
Ganz langsam hob er seine rechte Hand und stoppte kurz vor meiner Wange als würde er mich um Erlaubnis fragen, mich berühren zu dürfen. Nach kurzem zögern, legte er seine Hand sanft an meine Wange.
Diese Berührung war zu viel. Direkt als seine Hand meine Haut berührte, entkamen zwei Tränen meinen Augen und suchten sich einen Weg über mein Gesicht. In dem selben Moment als dies geschah, schloss ich meine Augen.
Zärtlich strich er die Spuren der Tränen fort. Seine Finger hinterließen eine warme Spur auf meinen Wangen.
Es steckte so viel Liebe und Zuneigung in seiner Berührung, dass ich mich in der Zeit zurückversetzt fühlte. Zu der Zeit, wo wir noch ein Paar waren, wo uns nichts und niemand trennen konnte. Wir waren eine Einheit, wir brauchten uns gegenseitig.
Man sagt, dass jeder Mensch eine einzige und wahre Liebe im Leben finden würde. Irgendwo in der großen Welt, war genau der Gegenpart zu dir. Manche finden sie, manche suchen ihr Leben lang vergebens danach.
Ich hatte meine bereits gefunden...
Wie ein kleine Katze schmiegte ich meinen Kopf gegen seine Hand.
Ich spürte seinen Atem auf meinen leicht geöffneten Lippen. Vorsichtig öffnete ich meine Augen. Sofort fand mein Blick seinen. Nick's Nasenspitze stupste zaghaft gegen meine.
Ich lächelte.
Alles was zählte war das hier und jetzt, dieser Moment mit Nick. Es schien als wären alle Probleme plötzlich verblasst. Er war bei mir. Das war alles was gerade

zählte. Alles andere schenkte ich keine Bedeutung.
Langsam legte er meine Hand auf seinem Oberkörper. Allerdings lockerte er seinen Griff, um meinem Handgelenk, nicht.
Ich verlagerte mein Gewicht nach vorne sodass ich auf Zehnspitzen vor ihm stand. Seine Hand wanderte meinen Hals, meiner Schulter, meinen Armen runter bis sie schließlich ihren Platz an meiner Taille fand.
Ich schloss meine Augen als seine schön geformten, warmen Lippen auf meine trafen. Sofort verschwand die schwarze Leere um meinem Herzen. Stattdessen füllte eine wunderschöne Wärme mein Inneres aus.
Zuerst war der Kuss schüchtern, zaghaft. Jedoch wurde er von Sekunde zu Sekunde immer leidenschaftlicher aber nicht fordernd. Nick zog mich sanft näher an sich.
Es fühlte sich so gut. Ich hatte das Gefühl, dass ich mit Nick alles schaffen könnte. Kein Berg war zu hoch oder zu steil für uns. Wir würden jeden zusammen erklimmen.
Zusammen...
Schlagartig wurde mir bewusst, was ich gerade getan hatte.
Langsam und widerwillig löste ich mich von ihm.
Vorsichtig lächelte ich ihn an.
Ich wusste nicht wie ich mich verhalten sollte. Wir konnten nicht mehr zusammen sein. Es war zu gefährlich für Nick. Ich musste ihn beschützen.
„Verlass mich nicht nochmal“, hauchte Nick und legte seine Stirn an meine.
„Ich muss“, flüsterte ich und genoss die letzten Minuten die ich mit ihm haben würde.
„Es ist wegen Sascha

, oder?“
Als er den Namen ausgesprochen hatte, löste ich mich komplett von ihm und ging einen Schritt zurück.
Sofort wollte ich wieder zurück zu Nick. Ich vermisste seine Nähe, seine Wärme. Aber ich war wieder zurück in der Gegenwart. Ich hatte einen Plan und in diesem Plan war kein Platz für Nick.
Ihm durfte niemals etwas passieren.
Ich nickte und sah ihn an.
Nick atmete hörbar aus.
„Denkst du, dass Sascha

das gewollt hätte? Der Alkohol, die Drogen und überhaupt diese gefährlichen Leute? Er hat dich immer aus allem raus gehalten. Er hat dich geliebt Leyla!“, versuchte Nick mich von meinem Plan abzubringen.
Ich lächelte.
„Ich beschütze dich Nick. Wenn du mich liebst, dann fange an mich zu vergessen. Schenke deine Liebe einem Mädchen, was dich genauso liebt wie ich es getan habe. Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Verstehst du das nicht?“ Meine Stimme war hart und bestimmend aber meine Augen füllten sich mit Tränen. Es tat weh ihm zu sagen, dass er mich vergessen musste. Es riss mein Herz in zwei Stücke. Jedoch gab es keinen anderen Weg. Es musste sein.


Er griff nach meinem Arm allerdings vergebens. Ich ging einen Schritt zurück.
„Vergiss mich“, flüsterte ich, drehte mich um und rannte aus dem Krankenhaus. Die Tränen liefen mir ununterbrochen über die Wangen.


Traue nicht meinen Lippen, wenn ich sage „Ich liebe dich nicht.“
Schau mir in die Augen, in meine Seele.
Erkennst du ihre Botschaft?
„Ich liebe dich!“




Kapitel20: Der Schlüssel



Nach einer gefühlte Ewigkeit erreichte der Bus endlich die Haltestelle an der ich aussteigen musste. Da ich Noah und Sarah weggeschickt hatte, blieb mir kein anderes Verkehrsmittel übrig. Um den Weg zu Fuß zu bewältigen, war er einfach zu lang.
Ich stand von meinem Sitz, der ganz am Ende des Busses war, auf und ging zu der hinteren Tür.
Da der Bus noch nicht angehalten hatte, öffnete ich meine Handtasche und holte einen roten Erdbeerlutscher zum Vorschein. Ich liebte diese Geschmacksrichtung.
Gerade als ich ihn auspacken wollte, stupste mich etwas an der Taille.
Sofort sah ich runter und sah ein kleines Mädchen, was an ihrem Daumen nuckelte. Ihre andere zierliche Hand umfasste mein Top.
Ich drehte mich ein Stück weiter um und sah, wie eine Frau, mit einen kleinen Jungen auf dem Schoss, versuchte ihrem Kind das Wort Muschel

beizubringen. Allerdings konnte der Junge kein Sch

aussprechen und verschluckte das S

regelrecht.
Ich sah wieder nach vorne. Der Bus würde gleich anhalten.
Erneut stupste das Mädchen mich vorsichtig an als wäre ich eine zerbrechliche Puppe.
„Lutscher“, sagte das Mädchen leise und sah mich mit ihren großen, braunen Rehaugen an.
Plötzlich hörte ich wie ein Schulmädchen etwas zu laut sagte:
„Oh Gott! Schau mal Vanessa.“ Sie tippte ihre Sitznachbarin an „Das Mädchen da vorne an der Tür … Schau mal auf ihr Handgelenk! Siehst du es?“
„Wo?“, flüsterte die andere.
„Guck doch! Das Tattoo Vany! Die gehört zu dieser Gang

!“
Ich lächelte leicht und schenkte den Beiden keine weitere Beachtung. Allerdings fing plötzlich das kleine Mädchen lautstark an zu weinen. Die Frau, die zu vor die Sprachübungen mit dem Jungen gemacht hatte, zerrte das Kind von mir weg.
„Entschuldigen Sie bitte“, sagte die Frau und versuchte das Geschrei ihrer Tochter zu übertönen. Ihre Stimme war rau und kantig. Wahrscheinlich rauchte sie.
„Lass mich Mami!“, kreischte das Mädchen mit weinerlicher Stimme. Aber die Mutter beachtete ihr Kind nicht sondern lächelte mich unsicher an.
Ich ging auf die Mutter zu und versuchte sie von ihrer Angst mir gegenüber zu befreien indem ich freundlich lächelte.
„Da draußen laufen weit gefährlichere Menschen rum“, sagte ich knapp und ging in die Hocke.
„Hey.“ Ich lächelte das kleine Mädchen an. Die Arme schluchzte.
„Süße Mädchen wie du weinen nicht“, sagte ich liebevoll, lächelte und legte meinen Kopf leicht schief.
Ich hielt ihr meinen ausgepackten Erdbeerlutscher hin.
„Okay?“, fragte ich und sah wie sich ihre Mundwickel langsam zu einem lächeln verzogen.
Das Mädchen nickte eifrig. Gerade als sie den Lutscher nehmen wollte, zog ihre Mutter sie zurück.
„Er ist schon nicht vergiftet

“, entgegnete ich gereizt und schenkte der Frau einen abwertenden Blick.
„Nimm ruhig“, wendete ich mich wieder mit lieblicher Stimme dem Mädchen zu. Vorsichtig schaute sie sich über die Schultern, zu ihrer Mutter. Diese nickte schwach.
„Danke!“, bedankte sie sich fröhlich und nahm den Lutscher entgegen. Sofort steckte sie ihn sich in den Mund.
Mein Erdbeerlutscher, dachte ich traurig und realisierte gerade noch rechtzeitig, dass der Bus bereits stand.


10 Minuten später




Gleich hätte ich es geschaft. Es war nicht mehr weit. Eigentlich freute ich mich nie auf mein zu Hause. Im Gegenteil: Ich versuchte immer so lang wie möglich unterwegs zu sein. Meistens übernachtete ich auch bei Sarah, hauptsache ich war nicht alleine.
Aber jetzt war es zu riskant. In den vergangenen Tage war zu viel passiert. Meine sorgfältig errichtete Fassade durfte nicht wie eine Ziegelmauer auseinander brechen.
Wenn Thomas sehen würde, dass in mir immer noch das pure Gefühlschaos tobte, würde er mir wieder einen Auftrag erteilen. Als ich zu Rage musste, war ich nicht wütend auf ihn, nein, er musste mich testen ob ich noch vertrauenswürdig war. Wenn sie mir nicht mehr vertrauen könnten, wäre ich eine Gefahr. Eine Gefahr die beseitigt werden müsste. Außenstehende könnten niemals diese Maßnahme nachvollziehen aber so lief es nun mal ab in dieser Szene.
Bist du einmal drin, kommst du nicht mehr lebend raus.


Ich atmete hörbar aus und setzte einen Fuß vor den nächsten.
Ich musste ihm später noch alles berichten, was in dem Gebäude passiert war.
Hoffentlich war er nicht enttäuscht von mir. Schließlich war es der erste Auftrag gewesen den ich nicht vollständig ausgeführt hatte, nein, Nick hatte mir den Deal versaut aber ich musste ihn um jeden Preis aus der Sache raus halten. Unter keinen Umständen durfte er in diese Szene rutschen, erst recht nicht wegen mir.
Ich schloss unsere Haustür auf, warf den Schlüssel auf den Schuhschrank und wollte gerade die Treppen hoch gehen um in mein Zimmer zu kommen als ich plötzlich Lara aus der Küche hörte.
„Leyla?“, rief sie verunsichert. „Bist du das?“
Ich atmete hörbar aus, stellte mich in den Türrahmen und sah wie meine Mutter gerade dabei war zu kochen. Sie stand vor dem Herd.
„Was ist?“, fragte ich leicht genervt und sah sie fragend an.
„Ich wusste doch, dass ich die Haustür gehört hatte.“ Lara drehte sich um, rieb ihre Hände in einem roten Handtuch sauber und lächelte mich liebevoll an.
Wie ich das hasste...
Sie verhielt sich immer vollkommen normal, immer

. Als wären die letzten Jahre niemals geschehen, als wäre unser Leben immer noch genau das gleiche wie früher. Aber das war es nicht und würde es nie wieder sein.
„Wie war es bei Sarah? Hattet ihr Spaß?“
Im ersten Moment lächelte ich leicht aber nicht aus Freude darüber, dass sie sich gerade mal für mich interessierte, das tat sie nämlich sonst nie. Nein, ich lächelte kurz weil es traurig war. Sie kannte mich nicht mehr. Lara wusste nicht, was ich für ein Leben nach dem Unfall führte.
Bei Sarah … dachte ich. Sollte ich ihr etwa erzählen, dass ich bei Rage fast gestorben wäre? Dass ich Nick wieder getroffen hatte und das ich ihn immer noch liebte? Nein, ich vertraute meiner Mutter nicht. Sie hatte mich alleine gelassen, mich geistig verlassen genau in der Zeit wo ich Beistand, Hilfe und eine Schulter zum ausweinen gebraucht hätte.
Aber sie war in dieser schweren Stunde meines Lebens nicht da gewesen. So etwas vergisst man nicht, niemals.
„Es war schön. Wir haben DvD's geguckt, Pizza bestellt und über Männer gelästert.“ Ich erzählte es als hätte dies wirklich stattgefunden. Früher hatte ich sie nie angelogen, heute tat ich nichts anderes mehr außer zu lügen. Mittlerweile hatte ich eine richtige Routine entwickelt.
„Das freut mich. Vielleicht wiederholt ihr es mal. Von mir aus könnt ihr auch hier euren Mädchenabend veranstalten“, sagte sie fröhlich und sah mich hoffnungsvoll an.
„Nein“, antwortete ich kühl und sah wie Lara's Blick traurig wurde. „Wir machen ihn gerne bei Sarah“, fügte ich schnell hin zu. Auch, wenn ich nicht mehr die gleiche starke Bindung zu ihr hatte, wollte ich sie nicht leiden sehen.
Lara nickte und drehte sich wieder zu ihren Kochtöpfen um.
„Das Essen ist gleich fertig. Du hast doch bestimmt hunger, oder?“
„Meinetwegen“, sagte ich und setzte mich an den bereits gedeckten Tisch.
Automatisch schaute ich nach links, zu dem leeren Platz. Ich hasste diese Angewohnheit. Wieso machte meine Mutter es mir so schwer? Warum zum Teufel deckte sie diesen Platz noch?
„Oh. Tut mir Leid Schatz. Ich vergesse immer, dass...“ Lara lächelte entschuldigend.
Anscheinend hatte sie meinen Blick bemerkt. Sie räumte das saubere Besteck wieder zurück in den Küchenschrank und stellte mir einen dampfenden Teller mit Nudeln und Tomatensoße vor die Nase.
„Das riecht aber gut“, sagte ich und wickelte die ersten Nudeln um meine Gabel.
„So magst du die Nudeln doch am liebsten.“
Sie setzte sich gegenüber hin, ebenfalls mit einem dampfenden Teller.
Keiner von uns redete beim Essen. Jeder aß still für sich. Er war keine erdrückende Stimmung, nein, es war nie anders gewesen, es war normal

für uns.
Als ich meinen Teller leer gegessen hatte, stellte ich ihn in die Spülmaschine und schaltete sie ein.
„Kann ich den Schlüssel zu seinem

Schrank haben?“, fragte ich meine Mutter leise. Diese schaute mich einen kurzen Moment verwirrt an.
„Suchst du etwas?“
Ich atmete hörbar aus und verlagerte mein Gewicht auf das andere Bein.
„Ich möchte darüber nicht reden, Mum

.“
Ich nannte sie nie Mum außer es war mir wirklich wichtig. Das wusste sie.
Kurz verschwand ihre Hand in ihre Hosentasche. Dann hielt sie mir den Schlüssel hin.
„Danke“, flüsterte ich und nahm ihn entgegen.
Mit schnellen Schritten marschierte ich unsere Holztreppe hoch und ging in mein Zimmer. Ich verschloss meine Zimmertür sodass mich niemand stören könnte und sah kurz auf den Schlüssel runter, den meine Hand fest umklammerte.
„Ich brauche dich“, flüsterte ich und drückte den Schlüssel gegen meine Brust, genau dort, wo mein Herz schlug.
Es war Monate her, dass ich diesen Schrank auch nur angerührt hatte. Dieser Schrank war meine persönliche Hölle und ich würde sie gleich öffnen. Ich würde mich dem Schmerz, den Qualen, dem Hass und der Trauer stellen. Alle Gegenstände von ihm hatte ich in diesen Schrank eingesperrt. Und, nicht nur das... Jegliche Gefühle und Erinnerung, von mir die mit ihm zu tun hatten, hatte ich ebenfalls dort drin versiegelt.
Trotzdem, ich brauchte seine Unterstützung, seine Anwesenheit, einfach alles. Ich wusste nicht wen ich sonst um Rat fragen könnte. Auch, wenn es nur geistig wäre. Wenn ich seine Sachen vor mir liegen hätte, würde ich mich ihm näher fühlen.
Mit langsamen Schritten ging ich auf den kleinen Kleiderschrank zu, der genau neben meinem stand.
Zögerlich steckte ich den Schlüssel rein …
Meine Hände zitterten. Eine Gänsehaut breitete sich auf meiner Haut aus.
Es würde weh tun, sehr. Ich hatte mich nie

meiner Vergangenheit gestellt. Immer war ich davon gelaufen, immer. Aber ich hatte eine Entscheidung getroffen und ich durfte nicht anfangen zu zweifeln ob ich vielleicht nicht doch falsch handelte. Ob Nick vielleicht Recht hätte, dass Sascha nicht gewollt hätte, dass ich mich in dieser Szene befand...
...Ich schloss meine Augen, drehte den Schlüssel um und lieferte mich meiner Vergangenheit hilflos aus.


Du fehlst mir großer Bruder.




Kapitel21: Schmetterling



Es schien als hätte die Zeit die Erde verlassen. Die Vögel, die zu vor noch fröhlich gesungen hatten, waren verstummt. Das Einzige was ich hörte war mein langsamer Herzschlag. Mein Blick war auf die offene Schranktür fixiert; Auf seine Sachen.


Dies war einer der Momente, in denen ich die alles verzerrende Leere in meinem inneren herzlich Willkommen hieß. Ich war froh, dass sie sich um mein Herz legte, wie ein sanfter Schleier. Sie beschützte mich vor den Gefühlen die ich verdrängt hatte. Die Gefühle, die mir schmerzten, die mich zum zittern brachten, die mich zum weinen zwangen.
Normalerweise hatte ich schreckliche Angst vor dieser Leere. Sie besaß die Macht mir meinen Hals zu zu schnüren sodass mir die Luft weg blieb. Aber jetzt wehrte ich mich nicht gegen die alles verschlingende Dunkelheit. Nein, ich ließ es zu, ließ zu wie sie mein Herz umschlang und es somit vor den ganzen Emotionen schützte. Das war es was ich brauchte; Schutz.


Seitdem ich Nick verlassen hatte, war ich nicht mehr das gleiche Mädchen. Ich musste mich verändern … Hätte ich damals all die Erinnerungen, die Gefühle nicht in mir drin eingesperrt, wäre ich dadran zerbrochen.


„Ich musste mich verändern.“ Meine Stimme war ein leiser Hauch.
War ich wirklich bereit mich meiner Vergangenheit ein Stück zu öffnen?
Würde ich den Gefühlen standhalten können, wenn ich meine Fassade für einen kurzen Moment selbst zerstörte?
Ich war selbstbewusst, siegessicher, tough und mutig aber in Wahrheit schützte ich damit nur mich selber. Tief in mir drin fühlte ich mich einsam, schrecklich einsam und verlassen. Klar, ich hatte einen Freundeskreis der meine Familie ersetzte aber war ich wirklich glücklich? War es das Leben was ich führen wollte?
Nein, ich hatte es mir nicht ausgesucht. Ich musste

dort weiter machen, wo mein Bruder aufgehört hatte.
Ich ging in die Hocke, holte eine kleine Kiste zum Vorschein und legte sie behutsam auf mein Bett.
Ich setzte mich im Schneidersitz auf meiner orangefarbene Bettdecke. Meine Hände verharrten an dem Deckel. Es war eine gefühlte Ewigkeit her als er mir diese Kiste geschenkt hatte. Er hatte gewusst, dass ihm etwas passieren würde. Ich hatte es in seinem Blick gesehen.
Jetzt war es zu spät. Mit diesem Gedanken hatte ich einen kleinen Riss in meine Fassade erschaffen, durch den nun die gut verdrängte Erinnerungen schmerzvoll wieder zum Leben erweckt wurden.
Mein Herz stockte als sich das Farbenspiel, in meinem Kopf, zu lebhaften Bildern formte.

Heute war Samstag. Mein absoluter Lieblingstag. Es war der Wochentag der nur mir und Sascha, meinem Bruder, gehörte. Ich durfte ihn nie begleiten, wenn er unterwegs war. Jedes Mal war ich traurig, wenn er das Haus verließ. Ich hatte Angst, dass Sascha genauso verschwinden könnte wie unser Vater. An ihn konnte ich mich fast gar nicht mehr erinnern. Er hatte uns verlassen, einfach so. Den Grund hatte ich nie erfahren. Die einzige Erinnerung die ich noch an ihm hatte, war wie er gerade aus der Tür ging … Er kam nicht mehr zurück.
„Schatz?“, fragte plötzlich meine Mutter. Sie stand im Türrahmen.
„Mum?“, fragte ich und lächelte sie herzlich an.
„Suchst du die hier?“ Sie hielt mir meine geliebten roten High Heels entgegen.
„Zum Glück! Ich dachte schon, dass ich sie nicht mehr finden würde“, bedankte ich mich fröhlich und nahm ihr meine Schuhe ab.
„Wo hast du die Schuhe gekauft? Sie sind wirklich schön.“
Skeptisch sah ich meine Mutter an.
„Mum“, setzte ich an „Sascha hatte sie mir von einem seiner Ausflüge mitgebracht!“
Sie lachte.
„Er hat ja doch Geschmack.“
„Ohja!“, erwiderte ich lächelnd und zog mir die High Heels an.
Meine Mutter kam auf mich zu und schnürte mir meine Schuhe richtig um mein Fußgelenk.
„Ich kann das einfach nicht“, seufzte ich.
„Das lernst du noch. Männer können auch nicht sofort Krawatten binden.“
Als sie mit meinem zweiten Fuß fertig war, umarmte ich sie liebevoll.
„Ich hab dich lieb Mum“, flüsterte ich und streichelte ihr über den Rücken. Sie tat es mir gleich.
„Ich dich auch Schatz“, hauchte sie und ich drückte mich daraufhin noch näher an sie. Ich liebte meine Mutter. Seitdem Vater uns verlassen hatte, waren wir drei noch enger miteinander verbunden. Wir waren eine tolle Familie, trotz der dunklen Vergangenheit. Aber Sascha, meine Mutter und ich waren der lebende Beweis dafür, dass alles was einen nicht umbringt, einen stärker macht.
Aber das Schönste war, dass mein Freund Nick auch dazu gehörte. Meine Familie akzeptierte ihn an meiner Seite. Ich war so glücklich, dass wir uns gefunden hatten. Er war meine große Liebe. Nie ist er von meiner Seite gewichen, kein einziges Mal. Wie oft war ich traurig? Wie oft wollte ich einfach alles hin schmeißen?
Zu oft.
Aber Nick ist geblieben. Er hat mich in den Arm genommen, wenn ich am verzweifeln war. Er liebte mich und ich liebte ihn von ganzem Herzen.
„So mag ich meine zwei Frauen!“
Sofort löste ich mich von meiner Mutter und fiel Sascha um den Hals. Fürsorglich drückte er mich an sich.
„Das hat aber lange gedauert“, sagte ich gespielt zickig und sah ihm in seine grünen Augen. Er schmierte sich jeden Tag Gel in seine schönen braunen Haare.
„Ich musste noch etwas erledigen“, erwiderte er kühl aber sein Blick war warm. Ich kannte diesen Tonfall nur zu gut. Er duldete nur selten Fragen über die Dinge, die er zu erledigen hatte. Wie gern würde ich nur einmal sehen um was es sich dort handelte.
„Darf ich dich das nächste Mal begleiten?“, fragte ich leise. Ich kannte die Antwort bereits dennoch hatte ich Hoffnung, dass er mir sein Geheimnis verraten würde. Es konnte doch nichts schlimmes sein, oder? Egal was es sein würde, es würde das Bild was ich von ihm hatte nicht zerstören. Ich liebte meinen Bruder, über alles.
„Nein“, erwiderte er knapp.
„Warum? Ich bin doch schon seit einer Woche neunzehn“, diskutierte ich weiter. Ein Fehler.
„Es ist zu gefährlich für dich. Ich möchte dich dort nicht haben.“ Langsam löste er die Umarmung auf.
Warum war ich nur so hartnäckig? Ich wusste doch, dass er es nicht wollte … Warum nervte ich ihn dann damit? Ich fühlte mich plötzlich schrecklich schuldig. Heute war Samstag, unser Tag. Ich wollte nicht, dass er wegen mir schlechte Laune hatte.
„Tut mir Leid“, flüsterte ich leise und sah betroffen zu Boden.
Sascha hob mein Kinn hoch und küsste mich auf die Stirn.
„Passt schon. Du bist doch meine kleine Schwester. Ich beschütze dich. Vergiss das nie, okay?“
„Ja.“ Ich lächelte ihn erleichtert an. Plötzlich durchwuschelte Sascha meine schwarzen Haare und fing dabei an zu lachen.
„HEEEEEEEEEYYYYYYY!“ Ich lachte ebenfalls und versuchte seine Hände zu verjagen.
„Sascha! Ärger deine Schwester nicht immer“, sagte meine Mutter und lächelte.
Mein Bruder atmete hörbar aus.
„Du und dein Welpenschutz.“
Ich streckte ihm als Antwort lediglich frech die Zunge raus.
„Was machen wir heute?“, fragte ich Sascha neugierig. Ich war gespannt, was er sich ausgedacht hatte. Jeden Samstag unternahmen wir etwas anderes.
Einen kurzen Moment sagte niemand etwas. Sascha sah meine Mutter mit einem viel sagenden Blick an und sie nickte darauf kurz.
„Was?“ Verwirrt sah ich zwischen die Beiden hin und her. „Hallooooo? Ihr habt doch nicht etwa Geheimnisse vor mir, oder?“, fragte ich mit einem leicht gereizten Unterton. Es war offensichtlich, dass die Zwei etwas verheimlichten und das war … ungewohnt. Wir erzählten uns immer alles. Ich fühlte mich ausgeschlossen, ausgeschlossen aus meiner eigenen Familie.
Wortlos verließ unsere Mutter mein Zimmer.
Plötzlich kam ein ungutes Gefühl in mir hoch. Nein, hier stimmte etwas ganz und gar nicht.
Sascha ging zurück in den Türrahmen, bückte sich und hielt eine kleine Schachtel in seinen Händen. Zielstrebig ging er auf mein Bett zu, setzte sich und deutete auf den Platz neben sich.
Instinktiv schüttelte ich leicht meinen Kopf hin und her. Es gefiel mir nicht. Der Samstag lief anders wie gewohnt ab. Ich hatte Angst, Angst vor dem was passieren würde.
„Komm her“, sagte Sascha leise und deutete erneut auf den Platz neben sich.
Zögerlich gehorchten meine Beine meinem großen Bruder. Vorsichtig setzte ich mich auf mein Bett als wäre es giftig.
Seine großen Hände umfassten meine Hand und spendeten mir die Wärme die ich brauchte, die mir Schutz gab. Wovor hatte ich eigentlich Angst? Sascha war doch da. Ich hatte keinen Grund mich zu fürchten. Mein Blick wanderte zu seiner Hand. Er hatte eine kleine Blumenblüte, die einer Lilie ähnelte, auf der Innenseite seines Handgelenks tätowiert, genau dort, wo sich die Pulsadern befanden.
Ich zwang mich zu lächeln und sah ihm in seine grünen Augen.
„Was ist los?“, flüsterte ich und sah ihn erwartungsvoll an. Irgendwas quälte ihn, ich konnte es ihm ansehen. Ich wollte nicht, dass mein Bruder leidete. Ich wollte ihm helfen, ihm sagen, dass ich ihm immer und egal bei was, zur Seite stehen würde. Wir trugen das selbe Blut in uns. Wir waren doch eine Familie.
Sascha atmete hörbar aus.
Ich legte meinen Kopf leicht schief und streichelte mit meinem Daumen seinen Handrücken.
„Hey“, flüsterte ich fürsorglich. Noch nie hatte ich meinen Bruder in solch einem Zustand gesehen. Er wirkte zerbrechlich als würde in seinem Inneren etwas nicht stimmen. Das passte nicht. Sascha war immer stark und niemals verletzlich. Nie hatte ihn irgendwas beschäftigt, nie.
„Ich...“ Er biss sich auf seine Unterlippe.
„Sascha! Bitte! Rede mit mir. Ich bin doch deine Schwester. Hast du Probleme? Brauchst du Hilfe?“, flehte ich ihn aufgebracht an. Sein Anblick drückte mein Herz förmlich zusammen. Er leidete.
Kurz schloss er seine Augen. Dann sah er mich mit einer Intensität an, die mich frösteln ließ.
„Ich habe einen Auftrag.“
Verwirrt sah ich ihn an.
Einen Auftrag? Was hatte das zu bedeuten?
„Er ist gefährlich und … Leyla, ich werde wahrscheinlich nicht wieder kommen.“
Mein Mund öffnete sich leicht. Ich wollte ihm Fragen stellen, ich wollte wissen warum er nicht wieder kommen würde aber kein Wort verließ meine Lippen.
Liebevoll drückte er meine Hände.
„Weißt du noch als ich unbedingt wollte, dass du dir diese Blume stechen lässt?“ Er deutete auf sein Handgelenk.
Ich nickte schwach. Ja, er war an diesem Tag wie ausgewechselt. Ich war knappe fünfzehn gewesen als er wollte, dass ich mir dieses Motiv stechen lasse. Noch am gleichen Abend sind wir ins Studio gefahren. Mein Bruder wollte mir damals nicht die Bedeutung erklären. Er meinte, dass ich es eines Tages brauchen würde. Allerdings musste ich Sascha versprechen, dass ich es niemanden erzählen oder zeigen würde. Eigentlich wollte ich es genau an der selben Stelle wie er stechen lassen aber er bestand darauf, dass diese Blüte hinter meinem Ohr tätowiert werden müsste. Also gab ich nach um ihn glücklich zu machen. Ich spürte, dass ihm dieses Motiv sehr viel bedeutete aber er sprach darüber nicht. Ich sah es ihm einfach an.
Mein Bruder hob seine Hand, strich mir meine rabenschwarzen Haare zurück sodass man die Blüte, die einer Lilie ähnelte, deutlich erkennen konnte.
„Es wird dich beschützen“, flüsterte Sascha und strich vorsichtig über das Motiv als könnte es durch seine Berührung zerstört werden, wenn er nicht zärtlich wäre.
„Wofür steht es?“, hauchte ich leise. Keine Sekunde wendete ich meinen Blick von seinem Gesicht ab.
„Dafür, dass du zu mir gehörst. Sie werden dir nichts tun, wenn sie es sehen.“ Er lächelte aber dieses lächeln erreichte seine Augen nicht.
„Versprichst du mir etwas?“, fragend sah er mich an. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich wollte das alles nicht. Es füllte sich wie ein Abschied an und … ich wollte Sascha nicht verlieren!
Ich wollte meinen Kopf zur Seite weg drehen weil die Tränen drohten auszubrechen aber seine Hände umfassten vorsichtig mein Gesicht als wäre ich ein kleiner Schmetterling, der durch eine zu starke oder schnelle Berührung sterben könnte.
„Mach keine Scheiße, okay?“
Ich lächelte kurz. Das war so typisch, typisch Sascha. Aber gleichzeitig bestätigte dieser Satz meine größte Angst: Ich würde ihn verlieren. Als die Tränen über mein Gesicht liefen, warf ich mich gegen seine Brust, krallte meine Fingernägel in sein Tshirt und ließ meinen Gefühlen freien lauf.
Wir verharrten eine Weile in dieser Position. Fürsorglich streichelte er meinen Rücken und legte seinen Kopf leicht auf meinen.
„Ich will dich nicht verlieren“, schluchzte ich und heulte sein Tshirt nass.
„Ich werde immer bei dir sein Leyla.“
Ich biss mir auf die Unterlippe und schloss vor Schmerzen meine Augen.
„Es ist so ungerecht! Warum du? Warum sterben nicht die Menschen die es verdient haben?“
Sascha war ein guter Mensch. Es war ungerecht, dass er sterben würde.
„Du bist mein starkes Mädchen.“ Seine Umarmung verstärkte sich. „Glaub mir, wenn ich einen anderen Weg wüsste, der dir das Leid ersparen würde … Ich würde es sofort tun. Ich habe in meinem ganzen Leben immer nur zu deinem Besten gehandelt. Als Vater fort war, mussten wir von irgendetwas weiter leben. Mutter ist seelisch nicht belastbar weil unser Vater ihr schlimme Dinge angetan hatte und … wir mussten uns von etwas ernähren Leyla. Ich habe viel Mist gebaut. Ich habe viele Menschen verletzt aber glaube mir bitte: Ich hatte keine andere Wahl!“
Ich hatte keine Ahnung was genau er meinte. Aber es stimmte; Sascha hatte uns immer mit reichlich Geld versorgt. Er sprach nie darüber woher oder wie er an solch eine hohe Summe gekommen war. Dank ihm hatten wir ein Dach über den Kopf.
Ich vergrub mein Gesicht in sein Tshirt. Niemand konnte sich vorstellen wie ich mich gerade fühlte, niemand. Mein Herz schlug übernatürlich schnell, ich zitterte am ganzen Leib und bekam kaum Luft wegen den Tränen. Es war ein Gefühl als würde dir jemand brutal ein Messer in dein Fleisch stoßen. Ein Teil von mir starb genau in diesem Moment.
Ich liebte meinen Bruder von ganzen Herzen.
Ich schloss meine Augen und wünschte, dass dieser Moment niemals enden würde aber leider drehte sich die Welt weiter. Unsere gemeinsame Zeit war abgelaufen. Das letzte Sandkorn der Sanduhr war durchgerieselt. Sie war abgelaufen.



Ich holte Luft als wäre ich Minuten lang unter Wasser gewesen. Völlig außer Atem legte ich eine Hand an meine Brust, genau an der Stelle wo mein Herz erschöpft schlug. Mein Gesicht fühlte sich feucht an. Vorsichtig taste ich die Spuren der Tränen ab.
Die kleine Kiste war leicht geöffnet. Zaghaft nahm ich ein Foto heraus. Es zeigte meinen Bruder und mich wie wir vor unserem Haus standen. Ich stand vor Sascha und er hatte seine Arme von hinten um meine Taille gelegt. Ich streckte frech die Zunge raus und er lächelte sein typisches Macho

Grinsen. Er war mir auf diesem Bild so nah aber doch wirkte er so fern. Schon immer trug er ein Geheimnis mit sich rum. Damals

hatte ich es akzeptiert ohne Fragen zu stellen. Ich hatte seinen Wunsch respektiert, dass es zwischen uns etwas gab, was ich nicht wissen durfte …
Heute

war alles anders. Jetzt wusste ich was

sein Geheimnis war.
Vorsichtig strich ich über das Foto. Es war mein wertvollster Schatz.
Nun war ich in der gleichen Szene, wie damals mein Bruder, unterwegs. Ich führte Aufträge aus und handelte mit Ecstasy. Mein altes Leben existierte nicht mehr. Lara war nicht mehr die Gleiche gewesen nachdem wir erfahren hatten, dass Sascha gestorben war.
Langsam drehte ich das Bild um und erkannte Sascha's Handschrift.
„Meine kleine Schwester: Wunderschön, friedlich, liebevoll und anmutig... Du bist unser kleiner Schmetterling. Verliere nie deine Flügel“, las ich leise vor und zwei Tränen tropften auf das Bild.
Ich ließ mich auf mein Bett zurück fallen, drückte das Foto an meine Brust und schloss weinend meine Augen.
„Du fehlst mir so“, hauchte ich und spürte wie die vernichtende Leere mir den letzten Schlag gegen mein Herz gab. Es war genug. Ich konnte nicht mehr. Ich fühlte mich erschöpft, verlassen und schrecklich leer

. Die Erinnerung an meinen Bruder hatte mir zu viel Kraft gekostet. Ich gab den Kampf gegen die schwarze Dunkelheit auf und lieferte mich ihr hilflos aus.
Das Letzte was ich hinter meinen geschlossenen Augen erkennen konnte, war sein

Gesicht. Es wirkte so echt als wäre Sascha zum greifen nahe...


„Meine kleine Schwester: Wunderschön, friedlich, liebevoll und anmutig... Du bist unser kleiner Schmetterling. Verliere nie deine Flügel.“




Kapitel22: Der Sumpf aus Drogen



Zum Glück hatten sich meine schmerzenden Gedanken nicht zu einem Alptraum geformt. Stattdessen hatte ich vollkommen ruhig und friedlich geschlafen. Kein böser Traum hatte mich heim gesucht, keine verletzenden Gedanken waren mehr zu spüren. Erleichtert kletterte ich aus meinem Bett und streckte meine Arme in die Luft.
„Ahhhh!“
Das tat gut! Meine Glieder fühlten sich an als hätte ich Tage lang geschlafen. Schlagartig öffnete ich meine Augen, drehte meinen Kopf zum Fenster um einen Hinweis zu entdecken, wie spät wir es hatten.
„Fuck!“, fluchte ich und zog die orange Gardine zur Seite. Es war dunkel draußen, stockdunkel! Wie lange hatte ich bitte geschlafen? Ich hatte doch noch so viel zu erledigen. Ich musste Thomas von meinem geplatzten Deal berichten, dass ich versagt hatte. Okay, eigentlich hätte ich es gepackt, wenn Nick nicht aufgetaucht wäre.
Ich seufzte.
Aber ihn durfte ich nicht mit in diese Sache verwickeln. Es war schon schlimm genug gewesen, dass Rage uns beinahe umgebracht hätte weil er vermutet hatte, dass wir zwei Polizisten waren. Ich musste mir irgendeinen anderen Grund für mein versagen einfallen lassen. Eine gute Ausrede, die Thomas mir abkaufen würde. Das würde alles andere als leicht werden. Schließlich hatten Sarah und Noah meinen Ex ebenfalls gesehen. Und das war noch nicht mal das Schlimmste: Sie hatten Nick erkannt, sie wussten, dass er derjenige gewesen war mit dem sich Noah fast, auf Sarah's Geburtstagsfeier, geprügelt hätte.
Ich durchsuchte meine Handtasche bis ich das gefunden hatte, was ich gesucht hatte; Mein Handy.
„23:27“, flüsterte ich erleichtert als ich auf das strahlend helle Display schaute. Gott sei Dank. Ich dachte schon, dass es zu spät wäre aber wenn ich mich beeilen würde, würde ich es noch rechtzeitig ins BlueRush schaffen.
In einer Zeit die Rekord würdig war, hatte ich mich geduscht, neue Wimperntusche aufgetragen, war in eine schwarze Röhrenjeans geschlüpft und hatte meinen Kopf durch ein weisses trägerloses Oberteil gesteckt.
Für einen kurzen Moment betrachtete ich mein Spiegelbild. Nichts deutete auf meine letzte Nacht hin. Ich sah aus wie immer. Meine blauen Augen strahlten Selbstbewusstsein aus, meine Lippen zeigten sich, wie gewohnt, als Lächeln. Niemand würde etwas vermuten, dass war auch gut so. Ich drehte meinen Kopf leicht nach rechts und schob zögerlich meine schwarzen Haare zurück sodass mein Ohr und Nackenbereich frei lag.
Vorsichtig strich ich mit meinem Zeigefinger über das zierliche Blütenmotiv, es sah aus wie eine weisse Lilie.
„Sascha“, flüsterte ich und betrachtete weiterhin das Motiv. Ich fühlte wie sich meine blauen Augen wieder mit Tränen füllten aber ich blieb stark. Ich sah meinem Spiegelbild in die Augen, mein Gesicht wurde ernst.
„Ich werde deinen Mörder finden Sascha. Alles was ich will, ist der verdammte Grund! Ich will antworten von der Person, die dich mir weg nahm. Nichts wird diese Person vor mir schützen können, nichts

.“
Eine Träne tropfte ins Waschbecken aber mein Gesicht blieb ernst. Meine Seele weinte, mein Körper war bereit, bereits dazu den Mörder zu finden.
„Wir waren doch ein Team, Bruder und Schwester.“ Ich lächelte und verließ, mit einem merkwürdigen Gefühl im Bauch, das Badezimmer.
War ich verrückt geworden weil ich anfing Selbstgespräche zu führen?
Ich atmete hörbar aus und beugte mich zu meinem Kopfkissen runter. Vorsichtig nahm ich das Foto in meine Hand und betrachtete es erneut. Wir waren eine tolle Familie gewesen, auch, wenn Sascha immer ein Geheimnis mit sich rum getragen hatte. Heute

wusste ich, dass es nicht einfach nur ein Geheimnis gewesen war, nein, es war viel mehr eine Last. Jahre lang hatte er eine so belastende und erschwerende Bürge getragen und hatte es sich nie anmerken lassen. Mein Bruder war eine sehr starke Persönlichkeit gewesen.
Ich küsste vorsichtig das Bild, genau auf die Stelle wo Sascha sich befand. Dann drückte ich es kurz gegen meine Brust und ließ es schließlich in meiner Tasche verschwinden.
Für meine Vergangenheit war gerade überhaupt kein Platz in meinem Kopf. Ich würde gleich im BlueRush sein und meine Freunde durften keine Veränderung bemerken.
Mit schnellen Schritten eilte ich unsere Treppen runter, ging kurz in die Küche, schnappte mir einen giftgrünen Apfel und wollte gerade das Haus verlassen als ich plötzlich Lara hörte. Meine Hand verharrte auf dem Türknopf.
„Gehst du noch raus?“
Natürlich nicht! Ich stehe nur zum Spaß an der Haustür!


„Ja“, antwortete ich kühl und wartete, wartete darauf was meine Mutter antworten würde.
„Oh, okay.“
Lächerlich, dachte ich, öffnete die Tür und knallte sie lautstark hinter mir zu. War ja so klar, dass sie sich nicht für mich interessierte! Mit dieser Aktion hatte sie meine letzte kleine Hoffnung zerstört. Unsere Familie würde nie wieder so werden wie sie einst war, niemals. Mit Sascha's Tod war meine Mutter innerlich ebenfalls gestorben.
Ich setzte mich in mein geliebtes Auto, schaltete das Radio lautstark ein und fuhr zum BlueRush.


Es überraschte mich nicht, dass eine gewaltige Menschenschlange vor unserem Club stand. Der Club war beliebt und bekannt dafür, dass wir nur selten Polizeikontrollen unterlagen. Was ein gewisser Ruf nicht alles erreichen konnte …
Ich ging links an den vielen jungen Leuten vorbei, direkt zum Türsteher. Dieser war gerade noch mit einem Angestellten am diskutieren. Seiner Kleidung nach zu urteilen, war er einer unserer Barkeeper.
Ich verschränkte meine Arme vor meiner Brust, in der Hoffnung, dass die Kälte verschwand. Langsam wurde es Winter. Die Nächte wurden immer kälter. Es würde bestimmt nicht mehr lange dauern bis die ersten Schneeflocken auf die Erde fallen würden. Die Laternen warfen kegelförmig ihr Licht auf die Straßen. Ich liebte die Nacht. Plötzlich blieb mein Blick an einer Straßenlaterne hängen, oder besser gesagt, auf die Person die in ihrem Licht stand.
Nick?


Nein, das war nicht möglich. Woher sollte er wissen, dass ich hier war? Er musste doch bestimmt noch im Krankenhaus bleiben, oder? War ich etwa schon paranoid geworden?
Die tiefe Stimme des Türstehers riss mich aus meinen Gedanken.
„Leyla?“
„Ja?“ Ich wendete meinen Blick von der unbekannten Person ab und lächelte den Türsteher an.
„Thomas wartet bereits auf dich.“ Bildete ich es mir nur ein oder sprach er es tatsächlich wie eine Drohung aus?
„Ich weiß“, entgegnete ich in einem Ton der symbolisierte, dass ich in der Nahrungskette über ihm stand und er besser aufpassen sollte, in welchem Ton er mit mir redete. Gerade als ich durch die blaue Eingangstür gehen wollte, schaute ich nochmal kurz zu der Laterne und, siehe da, die Person war verschwunden. Wahrscheinlich hatten meine Gedanken mir einen Streich gespielt. Die letzte Nacht war nicht gerade einfach für mich gewesen. Vielleicht waren dies ihre Spuren.
Im Club selber war es brechend voll. Die Leute tanzten, feierten und amüsierten sich. Sie lebten als würde es keinen neuen Morgen geben. Langsam drückte ich mich durch die Menge um die Metalltreppe zu erreichen, die zu Thomas sein Büro führte.
„Hey Leyla!“, begrüßte mich plötzlich Justin. Er stand auf untersten Stufe der Treppe.
Überrascht sah ich ihn an.
„Hey!“ Ich gab ihm einen leichten Kuss auf die Wange. „Ich habe dich überhaupt nicht gesehen.“
Er sah, wie jedes Mal, verboten gut aus. Seine dunkel blonden Haare waren etwas länger sodass Sarah ihm durch diese immer wuscheln konnte. Sie liebte seine Haare.
„Ich habe gehört, was passiert ist...“ Mitfühlend aber gleichzeitig auch prüfend sah er mich an.
Kurz schweifte mein Blick zu seinem Oberarm, genau dort, wo sich unser Zeichen befand. Bedrohlich sah mich der Wolfskopf an. Am Kopfende verzierte ein kleines J

das Motiv. Der Buchstabe stand für seinen Namen.
Und genau das

war es, was ich niemals vergessen durfte: Meine Freunde waren gefährlich, unberechenbar. Sie waren eine tickende Zeitbombe und ich gehörte zu ihnen. Ich war ein Teil dieser Szene geworden.
„Es gab Schwierigkeiten“, antwortete ich schließlich vollkommen gelassen und zusammen gingen wir die Treppe hoch.
„Mach dir keinen Kopf. Jeder versagt mal. Es gibt immer ein erstes Mal.“
Sofort blieb ich stehen und sah Justin fassungslos an. Verdammt nochmal! Ich hatte nicht versagt! Es … Es kam einfach etwas

dazwischen. Noch nie hatte ich einen Auftrag versaut.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Ich konnte Justin nicht die Wahrheit sagen, dass ich den Deal nicht abwickeln konnte weil ich meinen Ex, Nick, beschützt hatte.
„Ist schon okay. Er wird schon nicht sauer sein“, sprach Justin mitfühlend und nahm freundschaftlich meine Hand in seine. Anscheinend dachte er, dass ich Angst vor Thomas seine Reaktion haben könnte und wollte mir somit meine Furcht nehmen.
Mir gefiel der Gedanke zwar nicht aber was hatte ich schon für eine Wahl? Also spielte ich mit.
„Ich hoffe, dass du Recht hast.“ Ich lächelte ihn kurz an, dann wendete ich wieder meinen Blick nach vorne. Schweigend setzten wir unseren Weg zum Büro fort.
„Bereit?“, fragte mich Justin und sah mich an.
„Mach schon auf“, antwortete ich gespielt gleichgültig und hielt seinem Blick stand.
Justin lächelte und öffnete schließlich die Tür.
Und auch hier, hatte ich nichts anderes erwartet als ich den Raum betrat. Natürlich, war die ganze Clique versammelt. So war es üblich, wenn etwas wichtiges besprochen werden musste.
Sarah saß auf dem roten Sofa, welches sich rechts von mir befand. Ermutigend lächelte sie mir zu. Justin drückte ein letztes Mal leicht meine Hand, ließ sie dann los und ging ebenfalls zu dem roten Sofa. Er setzte sich neben seine Freundin und sie küssten sich kurz zur Begrüßung. Die Zwei waren ein sehr schönes Paar, charakterlich und äußerlich passten sie perfekt zusammen.
Noah dagegen, lehnte lässig an der Wand. Seine Arme waren vor seiner Brust verschränkt und seine Augen waren geschlossen. Auch, wenn ich es mir nur sehr schwer eingestehen konnte, tat mir sein Anblick weh. Er strahlte soviel Wut und Ablehnung aus obwohl er einfach nur da stand und sich nicht bewegte. Aber ich spürte, dass es ihm ganz und gar nicht gefallen hatte, dass ich ihn im Krankenhaus weggeschickt hatte. Ich wollte es ihm erklären aber … was überhaupt? Musste ich mich vor ihm rechtfertigen? Nein, musste ich nicht! Wir waren schließlich nicht zusammen. Trotzdem bereitete mir seine abweisende Haltung Magenschmerzen.
„Willst du dich nicht lieber setzen?“, richtete plötzlich Thomas, unser Anführer, das Wort an mich und deutete auf einen roten Sessel der vor seinem Schreibtisch stand.
„Ich stehe lieber.“ Ich wendete meinen Blick von Noah ab und sah zu unserem Anführer rüber. In diesem Moment lehnte er sich in seinem braunen Ledersessel zurück und musterte mich prüfend von Kopf bis Fuß.
„Wir haben dich vermisst“, sagte Thomas und sah mir prüfend in die Augen. Ich wusste, dass er jede meiner Reaktionen ins kleinste Detail analysierte. Ein Fehltritt und es würde Konsequenzen für mich haben. Dessen war ich mir mehr als bewusst.
„Es tut mir Leid, dass ich euch enttäuscht habe“, sprach ich schuldig und senkte leicht meinen Kopf. Ich sagte es absichtlich in der Mehrheit. Hier ging es nicht ausschließlich um Thomas, nein, hier ging es um uns als Gemeinschaft.
„Lügnerin!“ Kam es plötzlich von Noah. Sofort schauten ihn alle an, ich ebenfalls.
Er hatte seine Stellung nicht verändert außer, dass er mich nun eindringlich ansah.
„Dir tut es Leid? Du hast mich

verraten oder hast du das etwa schon vergessen?“ Er war wütend, sehr wütend. Ich hatte ihn verletzt und das nicht nur einmal …
„Noah, es...“
„Ach, komm! Sei still, ohne scheiß“, unterbrach er mich herzlos. Es tat weh, wie er mit mir sprach, sehr sogar. Ich mochte Noah und ich wollte nicht, dass er sich von mir entfernte. Er beschützte mich, war für mich da und … Scheiße! Ich wollte das alles doch nicht. Niemals hätte Nick wieder auftauchen dürfen, niemals

.
„Lass Leyla ausreden Noah! Selbst wenn sie dich verraten hat, geben wir ihr die Chance ihr Verhalten selber zu erklären. Vergiss nicht, dass sie eine von uns ist“, fuhr Thomas ihn schroff an. Daraufhin atmete Noah hörbar die Luft aus und schloss erneut seine Augen.
„Danke“, flüsterte ich zu unserem Anführer und sah dann Noah an, auch, wenn mir sein Anblick Schmerzen bereitete, wollte ich, dass alles zwischen uns wieder so wurde, wie es vor Nick's erscheinen war.
Langsam ging ich auf ihn zu. Ich hatte Angst, Angst davor wie er reagieren würde, wenn ich ihm so nah war. Vorsichtig schaute ich zu Sarah. Diese nickte mir als Bestätigung zu, dass ich gerade das Richtige tat. Noah stellte in dem Zustand, in dem er sich befand, eine Gefahr dar. Ich wusste, zu was er fähig war. Wir hatten schon unzählige Aufträge zusammen gemeistert und keiner davon lief gewaltfrei ab.
Beachboy?

“, flüsterte ich leise. Ich wusste, dass er mich hören konnte. Ich ärgerte ihn immer mit irgendwelchen Kosenamen, die er bis auf den Tod nicht ausstehen konnte. Seine Augenbrauen zogen sich kurz zusammen.
Zaghaft legte ich meine Hand auf einen seiner Arme und machte mich auf das Schlimmste gefasst, dass er seine Wut nicht unter Kontrolle haben könnte. Aber anstatt auszurasten, zuckte er, wenn auch nur ganz kurz, wegen meiner Berührung zusammen.
Ebenso wusste ich, dass jeder hören konnte, was ich zu Noah sagen würde. Alle Blicke waren auf mich gerichtet, gespannt und wartend auf das, was jetzt folgen würde.
„Ich habe dich vermisst.“ Verräterisch lächelte ich. Darauf fiel er jedes Mal wieder rein.
Und, ich hatte Recht.
Noah öffnete seine Augen und sah mir prüfend in meine Augen. Es kostete mir sehr viel Kraft seinem Blick stand zuhalten weil in seinem Blick eine enorme Intensität lag, die mich zum frösteln brachte.
„Ach, hast du?“, fragte er mich skeptisch.
Ich nickte. „Ich wollte wirklich nicht, dass du dir verarschst vor kommst.“
„Dann hättest du mich nicht weg schicken sollen. Du gehörst zu uns

, zu mir

Leyla. Weißt du eigentlich, was für eine Angst Sarah im Auto um dich hatte als wir den Schuss durch das Handy gehört hatten?“
Ich fühlte mich schuldig. Er hatte Recht. Sie waren jetzt meine neue Familie. Ich hätte sie niemals so behandeln dürfen... Sie hatten ein Recht auf eine ehrliche Antwort.
„Hattest du auch Angst um mich?“, hauchte ich und kam mir gleichzeitig ein bisschen unsicher vor.
„Ist das nicht offensichtlich?“ Vorsichtig umfassten seine großen Hände mein Gesicht als wäre ich eine zerbrechliche Puppe. Zaghaft lächelte ich.
„Lass mich nie wieder hängen, wenn ich dich beschützen will“, flüsterte er und kam meinem Gesicht gefährlich nahe. Ich hielt förmlich die Luft an. Zwischen uns sprühten Funken, das war offensichtlich. Ich fühlte mich zu Noah hingezogen aber … war es wirklich mehr als Freundschaft? Ich wusste es nicht.
„Verzeihst du mir?“, flüsterte ich und biss mir spielerisch auf meine Unterlippe.
„Ich kann dir überhaupt nicht böse sein.“ Noah lächelte und beugte sich langsam zu mir runter. Mir stockte der Atem. Wie sollte ich reagieren? Nick war der Letzte gewesen, der meine Lippen berührt hatte. Er wollte doch nicht tatsächlich ...
Kurz vor meinen leicht geöffneten Lippen, stoppte Noah, legte seine Hand in meinen Nacken und küsste mich auf meine Stirn. Verwirrt und fragend zu gleich sah ich ihn an.
„Wir wollen es doch nicht übertreiben, oder?“ Noah zeigte mir sein altbekanntes Machogrinsen. Und ehrlich gesagt, fiel mir ein dicker, großer Stein vom Herzen, dass er mich nicht geküsst hatte. Es erschreckte mich viel mehr die Tatsache, dass ein kleiner Teil von mir sich nach seinen Lippen gesehnt hatte.
„Arsch!“, erwiderte ich lachend und boxte ihm freundschaftlich gegen die Schulter.
„Schön, dann wäre das nun geklärt“, meldete sich plötzlich wieder Thomas zu Wort.
„Jedoch“, setzte unser Anführer an und ich drehte mich wieder zu ihm um. „Würde ich gerne im groben wissen, warum

Rage nicht auf den Deal eingegangen ist.“
Ich zuckte gleichgültig mit meinen Schultern. „Er hielt mich für eine Polizistin weil sich kurze Zeit davor jemand in sein Gebäude geschlichen hatte. Es war also nur Pech, leider. Er hatte mich festgehalten aber sein Fehler war, dass er mich unterschätzt hatte.“ Ich lächelte selbstgefällig und Thomas tat es mir gleich.
„Er hatte mir eine Waffe gegeben. Zu meinem Schutz und die des Unbekannten, habe ich seine zwei Wachmänner kaltblütig erschossen. Ich zwang Rage dazu Noah und Sarah die Zimmernummer zu berichten in dem wir uns befanden damit sie mich daraus holen konnten. Er hatte sich geweigert also musste ich nachhelfen. Ich schoss ihm in die Schulter und dann sprudelten die Wörter nur förmlich aus seinem Mund.“
Vor Begeisterung klatschte unser Anführer in die Hände und fing an zu lachen. Sarah und Justin fingen ebenfalls an zu klatschen. Sie feierten mich als wäre ich eine Heldin

. Plötzlich spürte ich Noah an meinem Rücken. Er legte seinen Kopf auf meine Schulter und legte seine zwei Arme um meine Taille.
„Ich habe es dir ja gesagt Thomas! Sie ist immer noch unser Mädchen“, lachte Noah und gab mir einen zärtlichen Kuss auf meinen Hals.
„Allerdings. Ich hatte schon Angst, dass wir dich verlieren würden weil du die letzten Tage nicht du selber warst. Aber anscheinend hatten wir uns geirrt.“ Thomas stand von seinem Sessel auf und kam auf mich zu.
„Was würde ich denn ohne euch machen? Ihr seid alles was ich noch habe“, sagte ich mit ernster Stimme. Ich hatte das dringende Bedürfnis ihnen zu erklären, was in den vergangenen Tage passiert war aber es wäre besser, wenn sie nicht alles wüssten. Schließlich war jeder von ihnen gefährlich und Gefühle konnten den Verstand eines Menschen extremst vernebeln. Sie liebten mich und wollten mich unter keinen Umständen verlieren. Wenn ich ihnen also einen Grund gegeben würde, warum ich aussteigen möchte, würden sie diesen Grund vernichten. Und das durfte niemals geschehen. Ich musste Nick beschützen. Ich wusste zu was jeder einzelne von uns fähig war, vorallem Noah.
„Hier...“ Thomas hielt mir eine Ecstasy Tablette und einen Feigling zum runterspühlen hin.
Ich zögerte. Ein Fehler.
„Nimm“, flüsterte Noah und knabberte mir zärtlich am Ohrläppchen.
Wie lange war es her, dass ich diese Droge zu mir genommen hatte? War das letzte Mal auf Sarah's Geburtstagsfeier gewesen? Ich wusste es nicht mehr und ehrlich gesagt, vermisste ich das Ecstasy auch nicht. Aber es gehörte dazu, zu meinem neuen, armseligen Leben.
Ich nahm die Tablette, legte sie auf meine Zunge und trank den kleinen Feigling auf Ex. Sofort spürte ich, wie sich die Droge einen Weg in meine Blutadern suchte und mir das altbekannte Gefühl der Schwerelosigkeit schenkte. Ich kippte leicht zurück aber zum Glück stand Noah hinter mir.
Langsam hob Thomas meine rechte Hand hoch, drehte sie um und schenkte meinem rechten Handgelenk einen bestimmenden Kuss. Er küsste genau die Stelle, wo unser Zeichen sich auf meiner Haut befand. Es war eine Geste, eine Geste dafür, dass ich alle Zweifel beseitigt hatte und ich wieder das vollständige Vertrauen unseres Anführers hatte. Somit waren auch die Zweifel von Justin und Sarah beseitigt. Ich gehörte wieder voll und ganz zu ihnen. Es war gefährlich was ich tat aber solange ich mein Ziel nicht aus den Augen verlieren würde, würde ich auch nicht zu tief in den Sumpf der Drogen fallen.
Mein Bruder

.
Ja, das war mein Ziel und irgendwann … irgendwann würde ich das Rätsel um ihn lösen.
Mein Kopf dröhnte als hätte ich mehrere Tage durch gefeiert.
Scheiß Drogen, dachte ich.
„Lust was feiern zu gehen?“, fragte Noah und stützte mich.
Ich nickte schwach und lächelte ihn an.
„Party!“, rief ich und spürte plötzlich weitere Arme die mich umschlangen. Sarah umarmte mich von vorne. Es fühlte sich an als würden sie mich zerquetschen. Noah von hinten und Sarah von vorne.
„Gott, bin ich froh, dass wir alles geklärt haben. Ich hab dich so lieb Süße!“
„Leute!“ Ich hustete. „Ihr bringt mich um.“
„Oh!“, erklang Sarah's Stimme erneut. Schlagartig unterbrach sie ihre Umarmung.
Justin lachte. „Lasst uns Party machen!“
Meine ganze Sicht war verschwommen. Ich konnte nur bruchstückartig die Umrisse von Türen und Wände erkennen. Dankend lehnte ich mich gegen Noah. Sein starker Arm lag um meine Taille. Er führte mich die Treppen runter bis wir schließlich mitten im Club standen.
Ich hatte doch alles unter Kontrolle, oder? Noch war ich nicht im Sumpf stecken geblieben, noch

kam ich raus, oder?


Manchmal, sind wir bereit alles für ein Ziel zu opfern.
Du flüchtest dich in den Gedanken alles unter Kontrolle zu haben, es zu beherrschen.
Du versteckst dich hinter diesen Gedanken, klammerst dich fest und redest dir etwas ein.
Dabei kennst du die Wahrheit bereits, ganz tief in dir drin. Belüge dich nicht!
Manchmal, verlierst du dein Ziel aus den Augen, verläufst dich und findest nicht mehr zurück, zurück zu dem Weg, auf dem du gewandert bist.
Aber dann ist es zu spät. Du kannst nicht mehr zurück!
Der Tag der Abrechnung wird kommen. Jedoch kannst du dann nicht mehr verhandeln.
Du musst den Preis zahlen, den du bereit warst zu opfern...
Ich frage dich: „War es das wert?“





Kapitel23: Ungewöhnlich



Ich hatte mich darauf eingestellt meine, mehr oder weniger, gerechte Strafe zu bekommen. Schließlich hatte ich Thomas Auftrag nicht erfolgreich abgeschlossen. Eigentlich gab es auch keinen Grund, dass ich mir weiterhin, über das Gespräch, Gedanken machen musste. Ich hatte ihnen vorhin den gesamten Verlauf von dem Abend mit Rage berichtet. Und eigentlich, hatte ich meine Familie auch nicht angelogen, nein, ich hatte ihnen einfach nicht die komplette Wahrheit erzählt. Aber war das wirklich besser?
Ich nahm einen weiteren Schluck meines Mischgetränkes.
Es gab keine andere Wahl. Ich musste

Nick vor den Anderen verheimlichen, wenigstens so gut wie es ging. Wenn ihm etwas meinetwegen zustoßen würde, könnte ich mir das selber niemals verzeihen. Ich würde Nick beschützen, komme was wolle. Ich würde es nicht ertragen eine weitere Person, für die mein Herz schlug, durch diese Szene zu verlieren. Außerdem hatte ich einen Entschluss gefasst; Nick und ich durften uns kein weiteres Mal begegnen...
Mein altes Leben existierte nicht mehr.
Meine Mutter war nur noch ein schwarzer Schatten ihrer Selbst. Es schien als wäre sie damals mit Saschas verschwinden gestorben. Lara war nur noch eine leere Hülle, ihre Seele hat den Schmerz nie verkraften können.
Sascha

...
Mein Herz verkrampfte sich. Ich schloss für ein paar Sekunden meine Augen und öffnete sie wieder als ich spürte, dass der starke Sturm in meinem Inneren sich zu einer kleinen, leichten Brise geformt hatte.
Mein Bruder besaß nun einen Platz im Himmel, bei Gott und den Engeln. Ja, irgendwo dort oben saß er und schaute auf uns nieder, dessen war ich mir mehr als bewusst.
Von Nick musste ich mich trennen obwohl wir ein sehr glückliches und perfektes Paar gewesen waren. Er war der beste Freund von Sascha gewesen. Er hätte zwar die Macht meine Trauer, meinen Schmerz zu lindern. Nick würde mich jedes Mal auffangen wenn ich drohe zu fallen aber …
… genau das wollte ich dieses Mal nicht. Für mich gab es kein Happy End

. Mein Leben wurde brutal zerrissen und das sollte ich akzeptieren und glücklich bis in meine letzten Lebensjahre leben? Einfach so?
Nein, niemals! Ich konnte nicht weiter machen als wäre das alles niemals passiert. Nein, das wollte und konnte ich definitiv nicht.
Ich würde herausfinden warum und wer meinen Bruder ermordet hatte. Was ich mir genau davon erhoffte waren Antworten auf meine Fragen, Erlösung von den Fragen die mich nicht schlafen ließen. Ich wollte noch mehr über Sascha in Erfahrung bringen, was er getan hatte, warum man ihn in den Himmel schickte, wer

dafür verantwortlich war, dass mein Leben nur noch aus einem Haufen Glasscherben bestand.
Mein Bruder hatte mich immer von dieser Szene, in der ich mich jetzt befand, ferngehalten, ebenfalls Nick. Keiner von beiden hätte gewollt, dass ich mich mit gefährlichen Leute herum trieb. Aber ich fühlte mich so näher bei Sascha... Ich führte sein Leben mit meinem eigenen weiter. Wenn Nick wüsste, dass ich den Mörder am suchen war, hätte er mich zu meinem eigenen Schutz irgendwo eingesperrt. Er hätte an meiner Stelle den Mörder ausfindig gemacht. Mein Ex sah zwar nicht aus wie ein typischer Gangster aber ich hatte schon seit längerem vermutet, dass auch Nick nicht

unerfahren war, was diese Szene anging. Ziemlich oft waren Sascha und Nick zusammen los gezogen. Und das hatte definitiv was zu bedeuten, aber was genau war mir immer noch ein Rätsel. Ein weiteres Rätsel was ich noch lösen musste.
Ich lächelte.
Nick … Trotz alldem war es sehr schön gewesen ihn wiederzusehen, ihn zu spüren, ihn zu hören, ihn zu küssen

. Es war als hätten die Schmetterlinge in meinem Bauch einen Winterschlaf gehalten und sein liebevoller Blick, seine warmen Lippen, seine ganze Anwesenheit hätte sie erneut zum Leben erweckt.
Plötzlich riss mich eine bekannte Stimme aus meiner Gedankenwelt.
„Leyla?“
Erst jetzt realisierte ich, wo ich mich befand. Ich saß mit meiner Familie an einem etwas größeren runden Partytisch im BlueRush.
„Alles klar bei dir?“, fragte nun Justin, Sarahs Freund. Anscheinend hatte er meinen orientierungslosen Blick bemerkt.
„Ja“, sagte ich achselzuckend und trank mein Getränk leer und schob die Gedanken, an die Personen die ich liebte, bei Seite.
Plötzlich spürte ich Noahs Hand auf meinem Oberschenkel. Seine Augen strahlten Besorgnis aber auch Interesse aus. Ich wendete meine Aufmerksamkeit kurz zu Sarah und Justin um festzustellen ob sie mich ebenfalls Sorgen um mich machten. Und tatsächlich! Sie sahen mich gequält an.
„Was ist denn mit euch los?“ Ich legte meine Hand auf Noahs seine, die bei mir auf dem Oberschenkel lag. Sofort umschlangen seine Finger die meinen. „Ich dachte wir wollten Party machen?!“
Sofort wendete Sarah den Blick von mir ab und schaute zur Tanzfläche. Aber ihr Blick war leer, starr als würde sie krampfhaft versuchen ihre Sorgen vor mir zu verstecken.
„Bist du wieder belastbar?“ Noah drückte meine Hand und sah mir in die Augen.
Ich erwiderte seinen Blick. „Natürlich.“
Ein Lächeln umspiegelte seinen sinnlichen Mund.
„Irgendetwas macht Thomas total zu schaffen.“
Sofort schaute ich Justin an. Unseren Chef setzte etwas nahe? Diese Art kannte ich überhaupt nicht an ihm. Thomas war immer derjenige der eiserne Entscheidungen traf, keine Skrupel oder Schuldgefühle besaß. Ich bewunderte Thomas für seine Persönlichkeit, egal, wie hart und eiskalt sie war. Ich hatte immer versucht mir selber etwas von dieser Art anzueignen.
Und jetzt beschäftigte ihn etwas?
„Du meinst schon unseren Boss, oder?“ Skeptisch betrachtete Noah sein Gegenüber. Ich musste bei dieser Frage lächeln. Genau das Gleiche wollte ich ebenfalls Justin fragen.
„Klar, welchen Thomas sonst, Idiot eh“, antwortete Justin gereizt. Sofort strich Sarah ihrem Freund beruhigend über den Rücken.
Durch Justin's Reaktion erkannte ich, dass es hier um etwas ernstes ging. Unser Chef hatte tatsächliche Probleme die er uns nicht mitteilte und das war mehr als ungewöhnlich. Normalerweise gab es keine Geheimnisse in unserer Familie, nicht einmal von Thomas.
„Wie kommst du darauf?“ Ich beobachtete ihn genau um seine Reaktionen und Emotionen im Gesicht deuten zu können.
Er atmete einmal tief ein und richtete dann das Wort an uns.
„Ich war gestern auf den Weg zu seinem Büro. Gerade als ich die Tür aufmachen wollte, hörte ich, wie er mit einem Kerl redete. Ich dachte...“ Justin machte eine kurze Pause und schaute Noah und mir prüfend in die Augen. Sarah kannte die Geschichte anscheinend schon. Anders konnte ich mir ihre mitfühlende Mimik nicht erklären.
„Ohne Scheiß jetzt. Ich dachte, dass unser Boss Angst

hat. Er redete fast bittend auf diesen Typen ein. Wie ihr wisst, passt das überhaupt nicht zu ihm, also habe ich vorsichtig die Tür einen kleinen Spalt aufgemacht. Ich war schrecklich neugierig wer

ihm Angst einjagen könnte.“ Justin fuhr sich mit der rechten Hand durch seine Haare, ein Zeichen dafür, dass ihn diese Angelegenheit ein Rätsel darstellte.
„Die Zwei diskutierten lautstark über einen Auftrag. Mehr sagten sie nicht. Anscheinend kam ich gerade zum Schluss des Gespräches. Ich konnte nur soviel daraus hören, dass unser Boss sich weigerte uns diesen Deal als Auftrag zu geben.“ Justin atmete hörbar aus.
„Wenn es wirklich dringend wäre, würde Thomas es uns mitteilen. Es gab nie Geheimnisse zwischen uns“, sagte Sarah und nahm einen Schluck ihres Cocktails.
„So schaut es aus“, bestätigte Noah meine beste Freundin, stand von seinem Barhocker auf, stellte sich neben mich, hielt mir eine Hand entgegen und sah mich auffordernd an.
„Möchte unserer Tanzkönigin

mir einen Tanz schenken?“
Hilfe suchend sah ich Sarah an. Diese erlebte aber gerade einen Lachanfall und war mir keine sonderlich große Hilfe.
Justin lächelte mich an. „Na dann mal los!“
Ich seufzte. „War ja klar, dass du auf Noah's Seite stehst!“
Ich stand auf, schlug Noah spielerisch gegen die Schulter und ging voran auf die Tanzfläche.
Als ich merkte, dass Noah noch keinen Schritt in meine Richtung bewegt hatte, brüllte ich gegen die laute Housemusik; „Na komm schon! Ich warte!“
Lächelnd kam Noah auf mich zu. Ich fing an mich Rhythmus zu der Musik zu bewegen, jeden einzelnen Bass in meinen Adern zu spüren. Ich ließ mich treiben, treiben in der Musik, in dem Hier

und Jetzt

. Er legte seine Hände an meine Taille und tanzte mit mir.
Ich würde noch genug Zeit haben mir um das ganze Chaos in meinem Leben Gedanken zu machen, viel zu viel Zeit. Und ich war mir bewusst, dass alles im Leben einen Sinn hatte. Nichts geschah grundlos, alles hatte seine Aufgabe, egal, wie hart manche Schicksalsschläge auch waren. Früher oder später würde jeder Puzzlestein seinen rechtmäßigen Platz finden, irgendwann. Man muss nur für sich selbst entscheiden welchen Weg man bestreiten möchte. Ich hatte meinen Weg gewählt und ich war fest entschlossen ihn bis zum bitteren Ende zu gehen, egal, wie viel Schmerz, Kummer, Leid und Glück er bringen würde.


Das Leben ist wie ein großes Puzzle.
Manchmal verschwinden ein paar Teile und es kostet sehr viel Kraft, sehr viel Mut diese zu finden und wieder an die richtige Stelle zu stecken.
Viele Menschen geben auf; Ihre Puzzle werden niemals ein vollständiges Bild widerspiegeln.
Andere stellen sich ihren Schmerzen und werden mit einem wunderschönen Gemälde belohnt.

Impressum

Texte: Die Idee, der gesamte Inhalt & die Charaktere wurden von mir ins Leben gerufen und dementsprechend liegt das Copyright von der Geschichte komplett bei mir. But the biggest thanks goes to TIPOE! Thanks that i can use your beautiful picture for my cover! This is her link to her gallery! Enjoy it! http://tipoe.deviantart.com/ Jegliches kopieren / abschreiben ist verboten!
Tag der Veröffentlichung: 11.10.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch ist für all jene die täglich gegen ihre inneren Dämonen kämpfen ...

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