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Er sah in ihre Augen. Blassgraue Augen. Schaute man näher hin, bemerkte man den goldenen Schimmer in ihnen. Ungewöhnlich. Es waren schöne Augen, die ihn mit einem seltsam denkwürdigen Blick erfassten. Die wundervollen schwarzen Wimpern, lang und dicht, gaben ihnen einen atemberaubenden Ausdruck, den selbst coole Typen umgehauen hätte. Das schmale Gesicht, das dazu gehörte, schaute verständnislos in seine Richtung . Stirnrunzeln. „Was wollen Sie hier?" Aber die junge Dame, die definitiv nicht älter als fünfundzwanzig Jahre sein mochte, sprach nicht mit ihm, weil sie ihn gar nicht sehen konnte. Im Grunde sah sie direkt durch ihn durch. Stattdessen blickte die Frau mit den dunkelbraunem Haar den älteren Herren im grauen Anzug an. „Ich wollte dich sehen, mein Engel.“In einem widerwärtig schleimigen Ton antwortete er ihr. Erstaunt bemerkte der Unsichtbare einen Anflug von Eifersucht in sich. „Seit wann duzen wir uns!?“ Die kühle Art schien ihn nicht im Geringsten zu stören; im Gegenteil. Es machte ihn vielleicht sogar an. „Hey Caroline, Baby, komm schon, du willst es doch auch!“ Er machte einen Schritt auf sie zu. Der unsichtbare Typ verdrehte die Augen. Ein Standartspruch. Wie peinlich! Aber die hübsche Lady wusste sich schon gegen so einen Macho zu wehren. „Hören Sie, wenn Sie mich weiterhin belästigen, rufe ich die Polizei!“ Wiederwillig gab sich der ältere Mann geschlagen und verließ ihr Büro. Seufzend setzte sich Caroline auf ihren drehbaren Stuhl am Schreibtisch und arbeitete erst mal an dem wichtigen Geschäftsbrief weiter. Dabei murmelte sie etwas wie „Wenn er das noch mal wagt, kann er was erleben...“ oder „ Geht das so weiter, melde ich das der Geschäftsleitung...“ Der unsichtbare Typ schien immer noch nicht bemerkt zu sein. Er war ja auch nicht irgendjemand, sondern ein Schutzengel und Cupido in einem. Für diese Wesen gab es keine Bezeichnung oder Namen, aber jeder Mensch hatte so etwas, auch wenn sie nicht bemerkt wurden. Aber jeder einzelne von ihnen hatte einen Namen. Dieser hieß CU. CU war ein wenig traurig, dass er sich nicht sichtbar machen durfte. Vor einem menschlichen Wesen war das nämlich streng gegen die Vorschriften bei Gestalten wie seinesgleichen, Wenn einer von ihnen die Regeln brach, sagte man untereinander, würde man aufhören zu existieren. Zwar war das nur ein Gerücht, aber das wollte natürlich keiner riskieren. „Wenn sie bloß nicht so außergewöhnlich hübsch wäre... und erst ihr Charakter.“ meinte er niedergeschlagen. Die Stunden vergingen, langsam und schleppend zogen sie sich dahin. Als Caroline endlich um halb acht Feierabend machte, atmete CU auf. Na endlich! Es ist nicht gerade schön, das wir während der Arbeit den Raum der Schutzperson nicht verlassen dürfen!“ beschwerte er sich im Stillen. Nun musste er zu seiner Nachtschicht, die vor seinem verdientem Urlaub erledigt werden musste, ein paar andere Menschen waren dran. Nachdem er einen Radiomoderatoren, einen Dieb und eine Filmschauspielerin betreut hatte, konnte er endlich die nächsten zwei Wochen in den „Himmel“, wie die Sterblichen ihn nannten, zurückkehren. Es war ein riesengroßer Ort, der hell und freundlich war, es gab sogar einen Strand mit Palmen und eine alkoholfreie Coctailbar. Dort seine freie Zeit zu verbringen, war im wahrsten Sinne des Wortes himmlisch! Aber während seiner Urlaubszeit in dem schönen Ort, dachte CU die ganze Zeit nur an Caroline. Er beachtete die schöne Umgebung nicht mehr, wirkte total traurig und irgendwie geistig abwesend. Seine Freunde wussten nicht, was mit ihm los war, versuchten aber, es herauszufinden. „Hey CU, geht es dir gut? Du wirkst irgendwie so abwesend." fragte DA, sein bester Freund. „Es ist alles ok, nur... ich muss die ganze Zeit an... eine Kundin von mir denken." Schutzengel nannten ihre Schützlinge Kunden, im Grunde war es ja auch ähnlich wie ein Geschäft, nur das die "Kundschaft" die Mitarbeiter nicht kennenlernten. „An eine Sterbliche?! Das geht nicht, du kannst dich nicht in eine von ihnen verlieben!" „Mach ich ja gar nicht, aber da ist dieser Typ, der sie ständig belästigt! Wie kann ich ihr helfen?" DA überlegte. „Mir fällt grad nichts ein, aber du schaffst das schon. Oder SIE schafft das sicher auch." Im Stillen gab CU seinem Freund recht, immerhin war Caro eine starke Persönlichkeit.

Bald waren die beiden Wochen rum und die normale Arbeitszeit begann wieder. Das himmlische Wesen hing sich mit aller Kraft in seine Schutzarbeit, um seine Kundin aus seinem Kopf zu streichen. Doch er konnte es einfach nicht. Zum ersten Mal in seinem Engelsdasein, und das dauerte schon sehr lange, um genau zu sein: 400 Jahre. In diesen vierhundert Jahren hatte er über einhundert verschiedene Kunden betreut, und doch gelang es ihm nicht, diese Frau aus seinen Gedanken und Träumen zu verbannen??? Warum nur? Vielleicht war es besser, ein paar Tage nachzudenken, überlegte er. Zwei Nächte später hatte er endlich ein Ergebnis, was plausibel war: Er war tatsächlich und wahrhaftig verliebt, und hatte verzweifelte Sehnsucht nach ihr, Caroline, ausgerechnet ein Mensch! Es war das strengste und älteste Gesetz der Cupidos: Keine persönliche Beziehung zu einem Menschen! Und das so etwas unter Persönlich fiel, sah selbst ein Blinder... Deshalb durfte keiner der anderen Engel es mitbekommen, auch wenn es nicht leicht werden würde, seine Freunde waren immerhin nicht blind. Aber CU lebte schließlich ewig und sie nicht. Wenn er wartete, bis sie starb, gab es vielleicht doch noch Hoffnung für seine Liebe, aber bis dahin dauerte es noch ein paar Jahrzehnte. Konnte er überhaupt solange aushalten, ohne eine einzige Berührung von IHR? „Warum ich?!“ dachte er immer und immer wieder. „Was habe ich verbrochen, dass mir das passieren muss? Ich kann und darf die Regel nicht missachten.“ Selbstvorwürfe machten ihn mürbe, zerstörten ihn langsam, aber stetig. Obwohl er nicht menschlich war, besaß er trotzdem solche Züge und Charaktereigenschaften, natürlich auch Gefühle, immerhin war er vor Jarhunderten selbst ein Mensch gewesen. Doch grade Emotionen wollte er im Moment nicht besitzen. Und doch versuchte er, immer öfter bei ihr zu sein. Die Leidenschaft und die Liebe zu ihr wuchsen ins Unendliche, jeder Tag war eine Bereicherung für ihn. Ihr Tagesablauf wurde auch für ihn Routine, weil er tagtäglich bei Caroline war. Nach zwei Wochen tauchte dieser Typ wieder in ihrem Büro auf. „Na meine Süße, ich habe dich vermisst!" Genervt blickte Caro den Perversling an. „Nicht Sie schon wieder! Ich muss Sie bitten, verlassen Sie auf der Stelle mein Büro!" Doch er ging nicht, sondern kam zu ihr hingetrampelt, viel zu nah für CUs Geschmack. Schnell schlüpfte er in Carolines Körper und haute dem Typen eine runter. „Das ist eine lehre für Sie, nicht einfach irgendwelche frauen zu belästigren!" rief sie, verwundert über „ihre" eigenen Fähigkeiten. Schnell haute der Schleimbolzen ab, und kam auch nicht wieder. Das Problem war gelöst, aber nicht die Liebe zu ihr. Aber was sollte er machen?

Es vergingen weitere fünf jahre ohne Zwischenfall, nur sein Begehr nach ihr war weiter aqngewachsen, als ob das noch ginge, und der „Himmelsbote“ überlegte, ob er nicht doch die Regel verstoßen sollte, selbst wenn er dadurch aufhören würde zu existieren, für einen einzigen Kuss von IHR nahm er das in Kauf. Er hielt es einfach nicht mehr länger ohne sie aus. Es war das Unmögliche, aber endlich traute er sich doch: Als er mit Caroline allein in einem Zimmer war, machte er sich sichtbar! Und brach DAS Verbot überhaupt! In diesem Moment dachte er nicht an die möglichen Folgen, er dachte nur an Caroline... Erschrocken sah sie ihn mit ihrem blassgrauen, wunderschönen Augen an. Sie erblickte einen Mann von etwa dreißig Jahren, schulterlangen glatten blonden Haaren von schlanker Statur. seine smaragdgrünen Augen funkelten sie neckisch an. Er trug ein weißes Gewand mit goldenen Linien um die Hüfte und große weiße Flügel brachen aus seiner rechten und linken Schulter. Verblüfft lächelte sie, sie konnte nicht anders. „Sind... sind sie ein Engel?“ Er nickte und näherte sich ihr „Mein Name ist CU, gnädige Dame.“ Und er beugte sich vor und küsste sie auf den Mund. Seine himmlische Aura hüllte sie beide ein und hinterließ bei Caroline ein Gefühl der Zufriedenheit und Vollkommenheit. Ihr Herz klopfte wie wild und in ihrem Bauch flatterten Millionen von Schmetterlingen umher. Verliebt schaute CU die Liebe seines Lebens an. Da geschah das Wunder: Seine Flügel verschwanden und die himmlische Aura wurde immer weniger, bis sie vollends versiegte. „Was zum..." Da bemerkte er: Er atmete wieder! Er lebte! Er war ein Mensch... Glücklich fiel er ihr in die Arme. „Manchmal ist Gott doch gnädig..." war sein Kommentar, bevor er sie erneut küsste. Caroline erwiderte den Kuss, denn sie merkte, dass auch sie ihn vom ersten Augenblick liebte. Und vertraute.

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Tag der Veröffentlichung: 29.04.2009

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