Jedes Jahr am 20.Januar wurde gelost. Alle Mädchen die bis zum 20. Januar in jenem Jahr 17 geworden sind, mussten daran teilnehmen. Was sie losten? Sie losten ihren zukünftigen Ehepartner aus. Den Mann, den sie heiraten und lieben mussten. Den Mann, der ein ganzes Leben an ihrer Seite bleiben sollte und mit dem sie Kinder haben sollten. Den Mann,der ihre große Liebe werden sollte.
Meine große Schwester hatte ein schlechtes Los gehabt. Sie zog einen Alkoholiker namens Dexter. Tessa wollte sich niemals dem System der Regierung fügen. Sie wollte lieber sterben, als jemanden lieben zu müssen, doch sie konnte dem System nicht trotzen. Sie war eine Sklavin des Systems, wie alle anderen.
Ich würde es auch sein, aber ich würde dem System nicht folgen...
Wenn mich jemand fragen würde, was Liebe ist, hätte ich nicht wirklich eine Antwort dadrauf. Liebe kann so vieles sein und für jeden ist sie anders. Jeder hat eine andere Auffassung aber was ich mit Gewissheit sagen kann ist, dass Liebe kein Los sein kann, dass man ziehen kann. Liebe lässt sich nicht erzwingen.
Der Morgen war grau und kalt und ich stapfte am 19.Januar durch den tiefen Schnee von Harrisburg in Pennsylvania. Meine Hände hatte ich tief in die Manteltaschen gesteckt und mit einem mulmigen Gefühl im Magen, ging ich am großen Platz in der Innenstadt vorbei, an dem morgen die Verflosung stattfinden würde.
Tausende von Mädchen würden aufgeregt an einen der Automaten gehen und ihr Los ziehen. Viele fanden dieses Spektakel großartig und freuten sich auf ihr neues Leben und andere, wie ich, wollten nicht ziehen und hatten Angst. Angst, jemanden schlechten zu bekommen und jemanden lieben zu müssen, den man nicht mochte.
Die Verlosung war so etwas wie Zwangsheirat, nur dass einige dies nicht so sahen. Diese Verlosung bestimmte das Leben, aller Jugendlichen und zerstörte Beziehungen und Freundschaften. Ich verabscheute diese Verlosungen.
Vorallendingen nach dem Schicksal meiner ältesten Schwester Tessa. Sie war ein klassisches Opfer der Verlosung geworden. Sie war ein Opfer und eine Sklavin des Systems und genau das wollte ich nicht werden. Ich wollte meinen eigenen Willen behalten, wollte den lieben, den ich lieben wollte.
Sie konnten mir vieles nehmen und sie hatten mir bereits meine Schwester genommen, aber ich würde nicht zu lassen, dass sie mir meine Endscheidung nahmen, wen ich zu lieben hatte.
Frustriert lief ich zu den Bussen und seufzte innerlich. Ich hatte im November Geburtstag gehabt und war siebzehn geworden. Dass hieß für mich, dass morgen meine Verlosung war. Aber ich würde nicht hingehen. Mich konnte keiner dazu zwingen.
Ich musste nicht weit mit dem Bus fahren, denn wir wohnten in der Nähe der Innenstadt, in einer Stadtvilla. Meine Familie war einer der siebzehn Königlichen Familien und war deshalb reich.
Ich hasste es aus einer königlichen Familie zu stammen. Man hatte so viele Pflichten und die meisten Königlichen waren alle Snobs, genauso wie meine Eltern. Sie waren Snobs wie aus dem Bilderbuch, zumindestens mein Vater. Meine Mutter war früher nicht so gewesen. Sie hatte meinen Vater gelost und in die Familie eingeheiratet. Irgendwie hatten die beiden perfekt zueinander gepasst Sie hatten Glück mit dem System gehabt, allerdings wurde meine Mutter dadurch zum Snob. Tribute vorderte das System immer. Egal welche.
Als ich zuhause ankam ging ich sofort in mein Zimmer. Ich konnte meiner Mutter nicht mit dem Wissen in die Augen blicken, dass ich nicht die Absicht hatte morgen zu der Verlosung zu gehen.
Es galt als Schande nicht zu erscheinen und jeder hatte bis jetzt sein Los bekommen. Ich hatte auch schon einmal miterlebt, wie ein Mädchen mithilfe von Wächtern gezwungen wurde. Wächter waren Bodyguards oder auch Art Polizisten.
Wir selbst hatten zwei von ihnen zuhause, die auf uns acht gaben. Königliche Familien besaßen immer mehrere Wächter.
Das Schlimmste an meiner Absicht war jedoch, die Schande über meine Familie. Tessa hatte den Ruf schon beschädigt und ich würde ihn wohl auf Ewig zerstören, aber darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen. Ich wollte ihnen zeigen, dass sie mich nicht besitzen und das konnte ich nur mit viel Rebellion tun.
Wir, die Familie Sola, würden einen neuen Ruf bekommen. Einen nicht so glanzvollen und ich wusste, dass wir wieder zum Tratsch des Tages werden würden, doch das musste ich in Kauf nehmen. Wie Leid es mir auch irgendwie tat.
Am nächsten Morgen machte ich mich wie gewohnt fertig und ging tatsächlich zu der Verlosung, allerdings beobachtete ich nur die anderen. Bevor ich an der Reihe war, würde ich verschwinden.
Die Gesichter der Mädchen glühten aufgeregt und einige stießen Freudenschreie aus, verhielten sich ganz normal, weinten oder lästerten mit Freundinnen über ihren Partner. Von jedem war etwas dabei und ich sah auch meine Mädels, wie sie alle beisamen standen. Am liebsten wollte ich zu ihnen gehen und sie unterstützen, doch dann würde mich irgendwer zur Verlosung schleppen und das wollte ich nicht.
Bevor mich jemand endecken konnte, huschte ich in eine Nebenstraße hinein und lief diese entlang. Immer schön vom Platz entfernt. Auf halbem Weg traf ich einen Öffentlichenwächter, der mir ein Lächeln zuwarf.
„Nah haben Sie schon ihr Los, Prinzessin?“, fragte er mich höflich.
„Ja“, nickte ich. Ich würde ihm nicht die Wahrheit sagen, sonst würde er mich wohl noch zur Verlosung hinziehen.
Der Wächter nickte mir freundlich zu und verabschiedete sich dann wieder. Natürlich wusste er, dass ich eine Prinzessin war und er hatte auch keinen Grund zu denken, dass ich im Bezug auf das Los lügen würde. Wie ahnungslos sie doch alle waren, was jedoch ein Vorteil für mich war.
Ich verbrachte den Großteil des Tages am Friedhof, auf dem Tessa lag. Nachdenklich stand ich vor ihrem Grab und erinnerte mich an ihr Lachen, welches immer alle angesteckt hatte. Sie war so schön gewesen, so mutig und fröhlich, bevor sie ihr Los bekommen hatte. Bevor ihr Schicksal seinen Lauf nahm.
Ich merkte erst dass ich weinte, als eine salzige Träne auf meinen Lippen zerbrach. Hastig wischte ich meine Tränen ab und versuchte mich zu beruhigen. Tiefe Trauer und Wut umhüllten mich und mir wurde wieder bewusst, dass es richtig war, nicht zur Verlosung zu gehen. Sie würden nicht meinen Willen bekommen. Niemals.
Als es anfing zu dämmern, machte ich mich auf den Weg nach Hause. Ich hatte ein mulmiges Gefühl im Magen und auch Angst. Würde meine Mutter wissen, dass ich nicht gegangen war? Würden sie mich, wie das Mädchen dahin zerren?
Innerlich hoffte ich, dass keiner was bemerken würde, aber sie würden es natürlich wissen. Die Regierung schien manchmal allwissend, was einem ziemliche Angst machen konnte.
Noch bevor ich die Haustür aufschließen konnte, wurde sie aufgerissen und meine Mutter stand mit zornesröte im Gesicht, im Türrahmen. Natürlich wusste sie davon, schoss es mir durch den Kopf.
„Es tut mir leid“, sagte ich nur zu ihr, bevor sie los schreien konnte.
„Was soll das Serena?!“, unglaubwürdigerweise, waren das ihre einzigen Worte und trotzdem schüchterten sie mich ein. In ihnen schwang so viel Macht und Vorwurf mit, dass ein kleiner Teil in mir bereute, nicht an der Verlosung teilgenommen zu haben.
Nach einigen Sekunden trat sie zur Seite, damit ich ihr in das Haus folgen konnte und zu meinem Erstaunen, saßen an unserem Esstisch im Wohnzimmer, zwei Wächter.
Neben ihnen saßen unsere eigenen. Was sollte das?!
„Stell keine Fragen“, meinte meine Mutter nur. „Wir haben zwei zusätsliche Wächter für dich eingestellt“
„Für mich?!“
Meine Mutter nickte nur. „Sie werden dich zur Verlosung begleiten und sicherstellen, dass du dein Los bekommst“
„Niemals!“, schrie ich sie an. „Ich werde nicht hingehen!“
Plötzlich ohne Vorwarnung nickte meine Mutter den zwei neuen Wächtern zu und sie sprangen auf. Ohne das ich wusste wie mir geschah, hatten sie mich fest gepackt, sodass ich ihnen nicht entkommen konnte.
„Was soll der Scheiss?!“, schrie ich und wandte mich in den Griffen der zwei herum.
„Es ist nur zu Ihrem Besten, Prinzessin!“, sagte der ältere Wächter von beidem. Er hatte schon graues Haar und einige Falten. Der andere dagegen, war vielleicht um die zwanzig und ziemlich süß, würde er mich nicht festhalten.
„Es ist ganz und gar nicht zu meinem Besten!“, schrie ich wieder und versuchte den älteren Wächter in die Hand zu beißen. Dieser war aber ziemlich geschickt darin, mich festzuhalten und gleichzeitig mich nicht in seine Hand beißen zu lassen.
Wie konnten mir meine Eltern dies antun? Sie wussten doch, was mit Tessa passiert war. Wollten sie, dass ich das Gleiche erleiden sollte?
Ohne mir über meine Worte und über dessen Wirkung im Klaren zu sein, schrie ich meine Mutter an: „Wieso machst du das?! Denk doch an Tessa! Ihr habt einfach tatenlos zu gesehen! Wollt ihr auch an meinem Tod schuld sein?!“
Die Ohrfeige meiner Worte saß, dass konnte ich in ihrem Gesicht erkennen. Die selbstsichere Miene meiner Mutter verutschte für einen Augenblick und ich konnte die tiefe Trauer in ihrem Gesicht ablesen,doch dann wurde ihr Blick wieder hart und sie funkelte mich wütend an.
„Bringen.Sie.Sie.Hier.Fort!“, mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ den Raum.Nun war ich alleine mit meinen zwei Wächtern, die mich wohl zweifellos zur Verlosung schleppen würden.
Ich hörte erst auf zu schreien, als wir uns dem großen Platz näherten. Erst dann wurde mir langsam bewusst, was ich zu meiner Mutter gesagt hatte und das auf mich ein Los mit einem Namen wartete.
Es war irgendwie ein komisches Gefühl zu wissen, dass ich bald den Namen meines zukünftigen Mannes in den Händen halten würde, nur dass ich diesen Mann nicht heiraten würde. Irgendwie würde ich es schaffen dies zu umgehen. Wie auch immer.
Es waren viele Schaulustige noch am großen Platz da und natürlich fingen sie alle an zu tuscheln, als sie mich und meine zwei Wächter sahen, die mich zum Automaten schleppten und als wir ihm immer näher kamen, fing ich auch wieder an wie wild zu schreien.
„Lasst mich los!“, doch keiner der beiden hörte auf mich. Sie schienen wie Roboter, die ihren Job ausfüllten.
„Ich will nicht so ein scheiss Los!“, schrie ich weiter und trat nun mit meinen Füßen nach meinen zwei Wächtern, aber traf sie natürlich nicht. „Ich will nicht!“
Ich hörte wie der Wächter, der meinen rechten Arm hielt, aufseufzte. Es war der jüngere. Der, der so heiß wie ein Abercombie oder Hollister Model aussah. Seine jadegrünen Augen blickten kurz zu mir hinab und ich hatte das Gefühl, als würde Mitleid in ihnen aufblitzen.
Verwundert schüttelte ich meinen Kopf. Wieso sollte er Mitleid haben? Ich musste mir das nur eingebildet haben.
Der weiße Automat mit den Losen kam immer näher und plötzlich hatte ich einen furchtbar dicken Kloß in meinem Hals. Ich hatte keine Chance zu entkommen, dafür waren meine Wächter zu stark, aber trotzdem kämpfte ich noch, obwohl ich wusste, dass ich das Los bekommen würde. Das Los mit seinem Namen. Das Los meines zukünftigen Ehemannes. Das Los, vor dem ich mich so sehr fürchtete.
Mit jedem Stück, dem wir dem Automaten näher kamen, wuchs der Kloß und ich schrie hysterisch. Sollten die Leute denken was sie wollten. Eines sollten sie aber wissen, ich zog nicht freiwillig dieses Los. Ich machte bei den Plänen der Regierung nicht mit. Würde es auch niemals tun.
Niemals! Niemals! Niemals!
„Seien Sie doch nicht so hysterisch!“, zischte mir der ältere Wächter ins Ohr und verstärkte ziemlich genervt seinen Griff an meinem Arm.
„Sie tun mir weh!“, schrie ich ihn meinerseits an.
„Du tust dir selber weh, indem du dich wehrst!“, meinte er nur kalt und zog mich weiter.
Mr.Hollister warf seinem Kollegen einen Blick zu, der nicht sehr nett war. „Mach den Griff lockerer, Stan“, sagte er nur und blickte dann wieder weiter nach vorne.
Stan schnaubte nur und lockerte ein klein wenig seinen Griff. Immerhin etwas.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Mr.Hollister und Stan sich nicht sonderlich mochten, obwohl sich Wächter Kollegen eigentlich immer respektierten.
Inzwischen waren wir am Automaten angekommen. Der Automat sah eigentlich so aus wie ein Cola Automat, nur dass in seinem Inneren Zettel mit Namen waren. Ich fand das Ganze ziemlich widerlich, denn man sollte allen ernstes wie bei einem Cola Automaten sein Los ziehen, als ob man so wie eine Cola Flasche seine Liebe ziehen könnte. Lächerlich.
„Wollen Sie selber ziehen oder muss ich das für Sie tun?“, brummte Stan.
„Ich werde niemals ziehen!“, schrie ich ihn an und landete bei ihm einen Glückstreffer am Schienbein. Stan fluchte laut auf und seine Miene verfinsterte sich.
Mr.Hollister dagegen musste ein kleines Lächeln unterdrücken. Machte er sich über mich lustig, oder was sollte das?!
Als Stan aufgehört hatte zu Fluchen, drückte er auf einen Knopf, der sich auf der linken Seite des silbernen Automatens befand und unten in der Klappe, landete mein Los. Ich blickte wie geschockt auf das kleine Stück Papier hinab, auf dem ein Name stand. Der Name, der mein Leben veränderte. Der Name, den ich nicht wissen wollte.
Neben uns trat ein Wächter, der für die Verlosung zuständig war, zu uns, und griff nach dem Los. Ich hatte vor Schock aufgehört zu schreien. Ich wollte den Namen nicht wissen, denn dann war ich meinem Abgrund ein Stück näher.
Der Wächter räusperte sich und sprach den Namen aus: „Travis Forster“, dann schrieb er den Namen in einer Liste auf und reichte Stan den Zettel.
In diesem Moment hatte ich das Gefühl, die Welt würde in tausend Stücke zerspringen. Ich wollte schreien. Wollte weinen und weg rennen, aber ich konnte nicht. Konnte mich nicht aus dem Schock befreien.
Travis Forster, dass war er. Das sollte mein zukünftiger Ehemann werden. Es war nur ein Name auf einem kleinen Stück Papier und doch war dieses Los mit dem Namen so relevant, dass es meine Zukunft bestimmte. Und bei dieser Erkentnis, die mich wieder so hart traf, wachte ich aus der Starre auf und fing an rum zu schreien. Mal wieder.
Wie verrückt versuchte ich mich aus den Griffen meiner Wächter zu befreien. Tränen traten mir vor Wut, Angst und Trauer in die Augen.
„Lassen Sie mich gehen!“, schrie ich immer wieder und wieder. Ich wollte nicht so wie Tessa enden. Ich wollte keine Sklavin werden. Kein Opfer der Regierung und doch, war ich dem ein Stück näher gekommen.
„Kommen Sie, Prinzessin“, flüsterte Mr.Hollister plötzlich in mein Ohr, sodass ich es nur hören konnte.“Ich weiß wie schwer das grade sein mag, aber sie müssen sich erstmal beruhigen und hier fort“
Ich schüttelte meinen Kopf. Nein, ich musste den Leuten klar machen, dass man sich wehren musste. Man musste gegen dieses Unrecht kämpfen. Wir waren doch alle Sklaven.
„Vertrauen Sie mir“, flüsterte er wieder in mein Ohr. Diesmal noch sanfter als vorher. „Atmen Sie einmal tief ein und aus“
Aus irgend einem Grund folgte ich seinen Worten. Vielleicht war es die Erkentniss, dass ich momentan keine Chance hatte und mich wirklich beruhigen musste. Aber eines würde ich gewiss tun. Ich würde Travis Forster nicht heiraten und würde dies allen klar machen.
Als sie mich nach Hause brachten, wurde ich sofort in mein Zimmer geschickt. Stan hatte mein Los auf meinen Schreibtisch gelegt und war dann aus dem Zimmer gerauscht. Ich hörte gedämpft Stimmen und wusste, dass sie sich unterhielten. Ein Wächter würde dabei aufjedenfall meine Zimmertür bewachen, denn sie hatten mich wissen lassen, dass ich für einige Zeit in meinem Zimmer bleiben würde.
Seufzend ließ ich mich auf mein Bett fallen und schloss für einen Augenblick meine Augenlider. Ich war quasi in meinem Zimmer eingesperrt, was mich wütend machte. Meine Eltern waren nun schon so weit, dass sie mich bewachen ließen.
„Es ist nur zu Ihrem besten“, hatte Stan gesagt, als sie mich hierhin gebracht hatten. Na klar, zu meinem Besten, von wegen, dachte ich verbittert und öffnete wieder meine Augen.
Das Sonnenlicht fiel schwach durch mein Fenster, da die Sonne sich zum untergehen, neigte. Das Licht war schon leicht orange. Ich mochte dieses Orange, es hatte etwas harmonisches an sich. Genauso wie der Sonnenuntergang.
Für einen Moment verlor ich mich in den Sonnenuntergang und genoß das Gefühl von Harmonie und Schönheit, sodass ich gar nicht bemerkte, als plötzlich jemand hinter mir stand.
Erschrocken fuhr ich herum und blickte in die jadegrünen Augen von Mr.Hollister, meinem Wächter. Ein leichtes Schmunzeln umspielte seine schmalen Lippen, die perfekt zu seinem markanten Gesicht mit der leicht gebräunten Haut passten.
„Sonnenuntergänge sind wunderschön“, sagte er nur und nickte zum Fenster.
Ich starrte ihn verdattert an. Weshalb war er so, so nett?
„Was ist los?“, fragte er mich und musterte mich skeptisch.
Ich merkte wie ich rot wurde, da ich ihn bestimmt wie ein Volltrottel angestarrt hatte. Peinlich.
„N...nichts“, stotterte ich mehr oder weniger.
„Ich bin Enrique“, stellte er sich mir vor und streckte mir die Hand entgegen.
Unschlüssig starrte ich sie an. Ich hatte auf ihn sauer zu sein, da er mich zu dieser Verlosung geschleppt hatte, doch trotzdem ergriff ich erst leicht zögernd seine Hand und schüttelte sie verwirrt.
Sein Händedruck war fest und selbstbewusst, dennoch nicht unangenehm.
„Gehts wieder?“, fragte er mich und sah mir in die Augen.
„Ja“, antwortete ich nur. Eigentlich war nichts in Ordnung. Ich wollte diesen Travis nicht heiraten.
Unwirkürlich blickte ich zu dem kleinen Blatt Papier auf meinem Schreibtisch und musste einen dicken Kloß im Hals hinunter schlucken.
Enrique folgte meinem Blick und runzelte seine Stirn, während er auf das Blatt blickte und schüttelte dann seinen Kopf, mit seinen leicht strubbeligen braunen Haaren.
„Nein, nichts muss in Ordnung sein“, sagte er bitter und biss sich auf seine Unterlippe.
Verwirrt blickte ich ihn an und strich mir eine verirrte Haarsträhne hinter das Ohr, während ich wartete, dass er weiter sprach.
Er seufzte und fuhr sich dann mit seiner Hand einmal durch seine braunen Haare. „Ich kann mir vorstellen wie schwer das für dich ist“
„Nein kannst du nicht!“, sagte ich schneidend.
Enrique hob verwundert eine Augenbraue hoch und schien von meiner Unfreundlichkeit überrascht. Ich ebenso, doch die innere Wut in mir brodelte gefährlich wie ein Vulkan, kurz vor dem Ausbruch. „Du bist ein Wächter. Du kannst es nicht verstehen!“
Enrique runzelte wieder seine Stirn und sah zur Tür herüber, die geschlossen war. „Auch wir Wächter müssen jemanden heiraten der uns lost. Wir leiden genauso wie alle anderen“, dann stockte er und überlegte, ob er weiter reden sollte, schüttelte aber stattdessen seinen Kopf. „Stan und ich werden für die nächste Zeit deine Wächter sein“, sagte er schließlich nach einer Weile. „Deine Eltern wollen verhindern, dass du lauter wirst. Wir sollen dich im Schach halten“
Geschockt sah ich ihn an. Leibwächter für mich, die mir meine Meinung verbieten sollten?!
„Wieso...wieso sagst du mir all das?“, fragte ich ihn.
„Betrachte es einfach als Gefallen“, und mit diesen Worten verließ er mein Zimmer.
Verblüft starrte ich ihm hinterher und vergaß ganz kurz meine Wut, die aber wieder hervor brach, als ich zu dem Los blickte.
Wütend ging ich zu meinem Schreibtisch und blickte eine Weile auf das Blatt Papier. Für mich war es wie etwas gefährliches. Etwas, was nach meiner Hand schnappen könnte und doch nahm ich es irgendwann in die Hand und faltete das Los auseinander, sodass ich den Namen lesen konnte.
Travis Forster. Travis Forster. Travis Forster, ich las seinen Namen immer wieder und wieder und versuchte mir vorzustellen, wie dieser Travis aussah und wie alt er war. Man konnte alle Männer bis zu 25 Jahren ziehen. Vielleicht war Travis so alt wie ich, oder er war bereits 25. Ich wusste es nicht und ich hatte Angst. Angst vor dem Menschen, hinter diesen Namen. Was würde mich wohl erwarten?
In den nächsten Tagen würde ich seine Adresse zu geschickt bekommen und eine Telefonnummer und dann würde ich mich mit ihm treffen müssen. Bei dem Gedanken an das Treffen, wurde mir ganz flau im Magen und ich knüllte das Stück Papier zusammen und warf es zu meinem Mülleimer an der Tür, verfehlte jedoch mein Ziel, sodass das Blatt vor dem Eimer fiel.
Seufzend wandte ich mich ab und legte mich wieder auf mein Bett. Scheiss Leben, dachte ich nur verbittert und irgendwann überkam mich die Müdigkeit.
Der nächste Morgen war grausam. Ich wachte in zerknüllten Anziehsachen auf und als ich in die Küche ging, ignorierte ich meine Eltern und sprach kein Wort mit ihnen. Ich war wirklich sauer auf Beide und war ziemlich enttäuscht.
Stan und Enrique fuhren mich in einem schwarzen Mercedes zur Schule und folgten mir allen ernstens in den Unterricht! Ich hatte gehofft, dass ich sie wenigstens in der Schule los war.
Natürlich hatte es sich herumgesprochen, wie ich mich gewehrt hatte und ich war das Gesprächsthema Nummer eins. Gut so, dachte ich, denn ich wollte dass alle wussten, dass ich mich wehrte. Das man sich wehren konnte!
„Los erzähl schon, ist es wahr was alle sagen?“, fragte mich Zoe, eine meiner besten Freundinnen in der Pause. Erwartungsvoll drängten sich meine anderen Freundinnen auch zu uns und warteten auf meine Antwort.
Ich nickte. „Ja, ich habe mich geweigert“
Zoes Augen wurden groß und sie sah für einen Moment ziemlich erschrocken aus, doch dann glitt etwas anderes über ihre Züge. Stolz. Zoe beugte sich zu meinem Ohr und flüsterte: „Du hast das Richtige getan“
„Hat sie nicht“, sagte plötzlich Ronney, die irgendwie das Geflüstere verstanden hatte. Ronney war ebenso eine gute Freundin wie Zoe.
Zoe runzelte ihre Stirn. „Wieso?“
„Weil Serena der Regierung die Stirn geboten hat. Das darf man nicht. Niemand tut so was“
„Niemand?“, fragte ich und hätte fast gelacht. Im inneren verabscheuten viele die Regierung und das System. Nur die meisten trauten sich nicht sich dagegen zu wehren, da es Strafen gab. Strafen, die genauso schlimm wie das System waren.
Ronney zuckte nur mit ihren Schultern. „Wie dem auch sei, ich finde du hast über reagiert. Du hast dir unnötigerweise“, sie nickte zu Stan und Enrique hinüber „ die da eingebrockt“
„Unnötig war das sicher nicht“, meinte Zoe und funkelte nun Ronney wütend an.
Ehe Ronney noch etwas erwidern konnte, schellte es und wir gingen alle in die Aula, da wir ironischerweise eine Versammlung über Gerechtigkeit hatten. Es sollte wie in allen Schulen zum Pädagogischen Zweck dienen.
Als ob die Welt in der wir lebten annehrend gerecht war. Ich setzte mich mit meinen Mädels in einer der hinteren Reihen und Stan und Enrique setzten sich natürlich genau hinter mich. Innerlich seufzte ich. Die beiden waren echt nervig und folgten mir überall hin. Ich würde sie wohl nie los werden.
Die Versammlung und die Vorträge, der Lehrer und Schüler, waren genauso langweilig und lächerlich wie erwartet. Natürlich sprach keiner über die Verlosung. Sie sprachen eigentlich nur über die Gleichberechtigung zwischen Dunkelhäutigen und Weißen, oder dass alle gleich behandelt werden sollten, was alles stimmte, aber sie kamen nicht zum eigentlichen Problem in unserer Welt und das machte mich wütend. Rasend wütend.
Ohne mir genau im klaren zu sein, stand ich auf und zwängte mich zu den Fenstern in der Aula, wo mein Geschichtslehrer Mr.Tanner stand. Natürlich bemerkte ich die Blicke der anderen, die mir folgten.
Vorne hielt ein Mädchen aus meinem Jahrgang eine Rede und genau das wollte ich auch gleich tun.
„Endschuldigen Sie Mr.Tanner“, fing ich an und Mr.Tanner drehte sich zu mir um. „Könnte ich vielleicht gleich auch einen Vortrag halten?“
Seine Stirn kräuselte sich und er schien einen Moment zu überlegen. „Ich weiß nicht“, sagte er gedehnt.
Ich wurde noch wütender. Bestimmt hatte er auch von meiner Weigerung gehört und dachte, ich würde nur Unruhe stiften wollen, was ich gewisserweise auch tun wollte. Ich wollte die Wahrheit aussprechen.
„Wieso nicht?“, fragte ich und versuchte freundlich zu klingen.
Mr.Tanner seufzte. „Ich weiß nicht ob es so eine gute Idee wäre, sie sprechen zu lassen.“
Wütend funkelte ich ihn an. „Was soll das denn heißen?!“
Erschrocken wich Mr.Tanner einen Schritt nach hinten. Ich selbst war auch erschrocken von meiner Stimme. Sie schien wütend und ungeduldig.
„Ich fände es eine gute Idee, wenn Serena etwas vortragen würde“, meinte plötzlich eine helle, freundliche Stimme, die meiner Englischlehrerin gehörte.
Erstaunt drehte ich mich zu ihr herum und ein freundliches Lächeln umspielte ihre Lippen. „Wenn deine Mitschülerin gleich fertig ist, darfst du gehen“
Noch immer völlig erstaunt nickte ich ihr zu. In ihren Augen glitzerte ein wissendes Funkeln mit und sie beugte sich zu mir hinüber. „Du weißt, dass du für deine Worte einen Preis zahlen musst?“
Verblüfft nickte ich. Mrs.Denton wusste zweifellos, dass ich keine einfache harmlose Rede halten würde, doch warum ließ sie es dann zu?
Als Jenny, mit ihrer Rede fertig war, wurde höflicherweise geklatscht und ich trat mit pochendem Herzen ans Rednerpult. Alle Blicken ruhten nun auf mir und ich versuchte mich zu beruhigen. Ich hatte keinen genauen Text in meinem Kopf. Ich würde einfach vortragen müssen und improvisieren.
Noch einmal holte ich tief Luft, bevor ich mich räusperte und anfing zu sprechen. „Ich bin Serena Sola“, sagte ich in einem selbstsicheren Ton, der mich selbst ein bisschen verblüffte. „Ich werde nun über die Wahrheit sprechen. Die Wahrheit, dass wir Sklaven sind. Sklaven des Systems und dass das System ungerecht ist“
Einige Leute zogen sichtlich die Luft ein und ich konnte erkennen, wie sich Stan von seinem Platz erhob. Ich musste schnell weiter sprechen.
„In unserer Welt herrscht kein bisschen Gerechtigkeit. Ist es gerecht, dass wir nicht bestimmen können wen wir heiraten?! Nein! Ist es gerecht, dass wir nicht bestimmen können ob wir überhaupt heiraten wollen?! Nein! Ist es gerecht, nicht zu bestimmen wer unser Ehepartner wird und wen wir lieben sollen?! Nein!“, ich holte wieder einmal tief Luft und ließ meinen Blick durch die Aula schweifen, in der die Nervosität zum greifen nah war. „Deshalb müssen wir uns wehren!“, fuhr ich fort. „Jeder kann es und zusammen sind wir stärker! Wir müssen der Regierung zeigen, dass wir uns wehren können!“
Mit diesen letzten Worten wurde das Mikro plötzlich ausgestellt und ich wurde von Stan vortgerissen. Und das Chaos brach aus.
Zugegeben ich hatte gehofft, dass das Chaos ausbrechen würde, aber ich hatte nicht mit so einem Chaos gerechnet. Die Stimmen der Schüler hallten laut von den hohen Wänden wieder und alle diskutierten.
Als Stan mich gepackt hatte, waren einige sogar von ihren Stühlen aufgesprungen um mir zu helfen, was ihnen aber nicht gelang, da ein Trupp von Lehrern angerannt kam und sich zwischen uns drängte. Darunter war auch mein Schulleiter der nun mit zornesröte vor mir stand, seine Augen waren vor Wut klein und schmal und seine Lippen ein dünner Strich.
„Was haben Sie sich dabei gedacht?!“, schrie er mich an und stemmte seine Hände in die Hüften.
Plötzlich war es in der Aula totenstill und alle Augen waren auf mich und Mr.Armstrong gerichtet.
Selbstbewusst reckte ich mein Kinn nach vorne und blickte Mr.Armstrong fest in die Augen. Ich würde ihm einfach sagen was ich dachte. Was ich für richtig hielt, obwohl ich wusste, dass diese Worte für noch mehr Ärger sorgen würden, aber das war mir egal.
„Ich habe lediglich die Wahrheit gesagt“, erklärte ich ihm und lächelte ihn unschuldig an.
Mr.Armstrongs Gesicht wurde noch dunkler, als es ohnehin schon war. Die Wut brodelte sichtbar in ihm.
„Das“, begann er mit einer viel zu ruhigen Stimme „Waren die falschen Worte“
„Waren es nicht“, sagte plötzlich eine Stimme hinter uns. Erschrocken drehten wir uns um und vor mir stand Zoe mit einer anderen guten Freundin Charlie.
„Miss. Douvre und Miss. Clarksen ich bitte Sie!“, rief unser Schulleiter empört.
„Serena hat einfach nur recht“, erklärte Charlie und funkelte unseren Schulleiter an. „Sie darf ja wohl die Wahrheit sagen!“
Mr.Armstrongs Gesicht schien noch dunkler zu werden und dann schrie er los „Raus mit euch drein! RAUS!“
Er packte mich am anderen Arm, den Stan nicht festhielt und schubste mich Richtung Tür. Die Schüler um uns herum waren noch immer still und sahen uns mit großen Augen hinterher, doch an der Tür sprangen uns ein Paar in den Weg und versuchten auf Mr.Armstrong einzureden, hatten aber keine Chance.
Ich bewunderte sie alle für ihren Mut, sich ihm zu wiedersetzen, aber heute würde es nichts bringen. Später aber, denn wir alle waren die Zukunft. Irgendwie würden wir uns vielleicht später gegen das System wehren können.
An der Aula Tür angekommen, blickte ich in Enriques Augen, die jeden meiner Schritte verfolgten. Seine Miene schien ausdruckslos und er strahlte reine professionalität aus, als er an meine Seite trat und mich mit Stan hinaus brachte. Ich hatte keine Ahnung, was er von meiner Aktion hielt, doch aus irgendeinem Grund hoffte ich, dass er meine Worte für die Wahrheit hielt.
Wir drei wurden alle in verschiedene Räume der Schule geschickt. Natürlich waren Enrique und Stan bei mir. Stan sah sich im ganzen Raum um und stand wie ein Bodyguard vor der Tür, aus Angst ich könnte fliehen.
Enrique stand rechts von mir am Fenster und sah hinaus. Ich blickte auf seinen Rücken und wünschte, dass ich sein Gesicht sehen konnte. Ich wollte wissen, was er von meiner Aktion hielt, aus welchem Grund auch immer.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Mr.Armstrong kam mit wütender Miene herein. Im Schlepptau waren meine Eltern. Auf einmal hatte ich einen dicken Kloß in meinem Hals. Ich hatte noch immer Streit mit ihnen, vorallem mit meiner Mutter und mir tat es auch irgendwie Leid, welche Worte ich ihr an den Kopf geworfen hatte. Trotzdem überwog meine Wut und Enttäuschung.
„Was haben Sie sich dabei gedacht?“, fragte mich mein Schulleiter, der nun gegenüber von mir Platz genommen hatte.
„Ich wollte nur die Wahrheit sagen“, erwiderte ich und grinste ihn herausfordernd an. Sein Gesicht wurde einen Tick dunkler als zuvor.
„Serena!“, fuhr mich meine Mutter ungläubig an.
Ich zuckte nur mit meinen Schultern. Mir war es egal, was sie von meiner Aktion hielten. Sie war aber richtig gewesen, dass wusste ich. Die Wahrheit zu sagen, war eigentlich immer richtig.
„Ich bin am überlegen, sie von der Schule zu verweisen, Serena“, drohte mir Mr.Armstrong und blickte mir streng in die Augen.
Ein breites Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. Ich konnte es nicht unterdrücken. Seine Drohung war ziemlich lächerlich und das wusste er auch. Er konnte mich gar nicht von der Schule schmeißen, denn ich war eine Prinzessin.
„Sie wissen aber schon, dass sie es nicht können?“, fragte ich ihn, um einmal meinen Status auszunutzen, obwohl es mir verhasst war.
„Ich weiß, aber ich kann sie jedoch von dem Unterricht für eine Zeit suspendieren“
Wieder zuckte ich mit meinen Schultern. „Dann tun sies doch“
Ich sah, wie ihm und meinen Eltern die Kinnlade hinunter fiel. Sie alle waren sichtlich geschockt. Enrique hatte sich inziwschen zu mir herum gedreht und sah mir in die Augen. Er schien ebenso überrascht.
Mr.Armstrong war der erste, der sich gefangen hatte und räusperte sich. „Nun dann werde ich das tun. Sie sind für eine Woche suspendiert“, mit diesen Worten verließ er das Zimmer und meine Mutter war einem Heulkrampf nahe. Sie schien mit ihren Nerven am Ende zu sein und ihre Unterlippe bebte gefährlich. „Das hättest du nicht tun sollen“, flüsterte sie nur.
Darauf sagte ich nichts. Meine Mutter würde mich wohl nie verstehen, weshalb ich das hatte tun müssen. In meinen Augen war es nicht richtig, dass alle um das große Problem in unserer Geselschaft drum herum redeten. Es gab viel zu viele Feiglinge, die sich einfach niederdrücken ließen und sich dem System einfach fügten.
Ich wollte mein eigenes Leben leben. Wollte mein Leben ganz alleine bestimmen und keine blöde Schachfigur in irgendeinem perfiden Spiel sein. Nein, ein Leben war erst dann ein wirkliches Leben, wenn man die Macht darüber besaß und das taten wir nicht. Wir waren Marionetten und die Regierung zog an den Fäden.
Den restlichen Tag verbrachte ich eigentlich nur in meinem Zimmer und schrieb in mein Tagebuch. Seit Tessas Tod schrieb ich Tagebuch. Es war wie eine Therapie für mich und es tat gut all die Gedanken, Gefühle, Ängste und Sorgen einfach nieder zu schreiben. Mit jedem Wort das ich schrieb, wurde die erdrückende Last auf meinen Schultern ein wenig leichter.
Ich schrieb von meinen Absichten, mich dem System zu wiedersetzen, vom heutigen Tag, von Tessa, vonmeinen Eltern und von diesem Travis und das ich nicht vorhatte ihn zu heiraten.
Irgendwann war ich so müde, dass ich mich schlafen legte und versank in meine Träume, die mich wie Watte einhüllten.
Es tat gut auszuschlafen und nicht zur Schule zu müssen, diese Suspendierung hatte seine Vorteile und das Gute war, dass ich meine Eltern nicht mehr sah, da sie beide bei der Arbeit waren. Nur Enrique und Stan saßen in der Küche, nun gut Stan hatte eigentlich vor meiner Tür Wache gehalten und war mit mir in die Küche gelaufen.
Ich sprach mit ihm kein Wort und er nicht mit mir. Auch zu Enrique sagte ich nicht Hallo. Stattdessen machte ich mir einne Toast mit Marmelade und setzte mich zu Enrique an den Tisch, der eine Zeitung studierte.
„Kann ich kurz mit dir gleich sprechen?“, fragte er mich.
Erstaunt hörte ich auf zu kauen und blickte ihn an. Weshalb wollte er mit mir sprechen? Was war passiert?
Verwundert nickte ich und verschlang schnell meinen Toast, denn ich war neugierig was Enrique von mir wollte und weshalb es Stan nicht hören sollte.
Stan beäugte Enrique ziemlich skeptisch, doch sagte nichts, als wir in mein Zimmer verschwanden.
Enrique schloss leise die Tür hinter uns und stellte sich dann vor die Tür. Ich dagegen setzte mich auf mein Bett und wartete, dass Enrique anfing zu sprechen.
„Du musst deine Tagebücher verschwinden lassen“, erklärte er sofort und blickte mich unverwandt an.
„Mein...meine Tagebücher?“, fragte ich verdutzt. „Woher weißt du davon?!“
Enrique winkte nur ab „Es ist unrelevant. Wichtig ist: Du musst sie verschwinden lassen“
„Aber wieso?“
Enrique seufzte und massierte sich kurz seine Schläfe, bevor er fort fuhr. „Du steckst in größeren Schwierigkeiten, als dir Bewusst ist, Serena“, begann er und blickte mir fest in die Augen. „Jeder schriftlicher Beweis, das du gegen das System bist, muss verschwinden. Ich sollte nach Beweisen in deinem Zimmer suchen und habe deine Tagebücher gefunden“
Sofort verkrampfte sich mein Magen, bei der Vorstellung das jemand mein Tagebuch gelesen hatte. Ich wollte etwas erwidern, doch Enrique schüttelte nur seinen Kopf. „Ich hab sie noch nicht gelesen, keine Sorge. Aber du musst sie verschwinden lassen, bevor es Stan tut“
Wie betäubt nickte ich und runzelte dann meine Stirn. „Weshalb warnst du mich? Eigentlich sollte dir das doch egal sein und du müsstest auf der Seite der anderen stehen, oder?“
Enrique lächelte leicht und blickte auf mich wie ein kleines Kind herab, was mir nicht gefiel. Auf einmal schien er viel älter als ich und so reif, sodass ich mir dumm vor kam.
„Weißt du“, fing er an. „Mein Job ist es ein Wächter zu sein, aber dieser Job beinhaltet nicht, dass ich Ungerechtigkeit zulassen muss“
Erstaunt grinste ich ihn an. „Du bist also auch ein kleiner Rebell“
Enrqiue lachte und lehnte sich lässig an die Tür und überkreuzte seine Beine. „So kann man es sagen“
„Aber wieso?“
„Wieso was?“
„Wieso machst du das? Jeder hat ja einen Grund, weshalb er gegen etwas ist“
Kurz dachte Enrique nach und driftete mit seinen Gedanken in weiter Ferne. Sein Blick war abwesend und ganz woanders und plötzlich klarte er sich wieder auf.
„Meine Schwester hat sich dem System wiedersetzt...und wurde bestraft“
Enriques Miene war bitter und sein Mund ein dünner Strich und ich blickte betretten zu Boden. Es gab viele Strafen für jemandem der sich dem System wiedersetzt. Ich wurde bis jetzt weitesgehend verschont, da ich einen gewissen Status besaß.
„Was ist passiert?“, fragte ich vorsichtig, doch Enrique schüttelte nur seinen Kopf, trat vor mir auf das Bett zu und blickte mir entschlossen in die Augen.
„Versprich mir, das du nicht noch mehr Dummheiten machst, Serena“
Verdutzt sah ich ihn an. „Aber wieso...?“
„Versprich es mir einfach. Es gibt Dinge die können ziemlich böse werden“
„Ich kann aber nicht einfach aufhören“, wandte ich ein. „Egal wie hässlig die Dinge werden“
„Du musst aber“
„Ich kann nicht“, flüsterte ich nur und reckte mein Kinn entschlossen nach forne. „Ich kann nicht tatenlos zu sehen. Ich werde kein Sklave werden“
„Serena, auch dein Status wird nicht verhindern können, was sie vielleicht tun werden um dich aufzuhalten“
„Es ist mir egal!“, schrie ich plötzlich und beugte mich zu Enrique vor, der vor mir in der Hocke saß. Entschlossen funkelte ich ihn an. „Sie haben meine Schwester getötet. Sie haben sie dazu gebracht, sich umzubringen, weil sie so litt. Sie sind Mörder!“, den letzten Satz schrie ich und ballte meine rechte Hand zur Faust.
Ich wartete, dass Enrique etwas sagen würde, doch er sah mich zu meinem Erstaunen bewundernd an und Respekt lag in seinem Blick. „Ich werde tun was ich kann, um dich zu beschützen“, meinte er und ließ mich verwirrt in meinem Zimmer zurück.
Den Rest des Vormittags lag ich eigentlich nur in meinem Bett herum und dachte immer wieder an Enriques Worte, die in meinem Kopf herum spuckten. Ich wusste, dass es gefährlich war, sich dem System zu wiedersetzten. Wusste, dass ich bis jetzt noch keine Chance hatte zu gewinnen, dennoch wollte ich es versuchen. Für meine Schwester, für die Freiheit.
Auf diesen Travis Forster konnte ich getrost verzichten. Wer weiß, was das für ein Typ war. Bis jetzt war Travis nur ein Name für mich. Keine reale Person, niemand über den ich urteilen konnte. Aber ich wollte ihn ja auch gar nicht kennen lernen. Wollte nicht meinem zukünftigen Mann in die Augen blicken, den ich eh nie heiraten würde. Liebe ließ sich nicht erzwingen. Man konnte sie nicht losen oder kaufen.
Seufzend drehte ich mich in meinem Bett herum und seufzte tief. Ich brauchte dringend einen Plan, wie ich mich widersetzten konnte. Bis jetzt hatte ich einfach aus einem Impuls heraus gehandelt. Unüberlegt, aber dennoch hatte ich das bekommen, was ich wollte: Aufmerksamkeit.
Bis jetzt war ich einfach eine kleine Flamme, die erstickt werden musste, bevor ich alles in Feuer verwandeln konnte. Bevor die anderen Leute sich auch entschlossen sich dem System zu widersetzten. In den Augen der Regierung war ich nichts weiter als eine kleine, naive, verwöhnte Prinzessin, die verbittert war und unter dem Tod seiner Schwester litt. Ein kleines Problem, das leicht beseitigt werden konnte. Dachten sie, aber sie würden mich nicht so leicht los werden. Ich würde weiter kämpfen, egal was kommen würde.
Ich tat es vor allem für Tessa. Tessa, die mir mehr als alles andere bedeutete aber jetzt nicht mehr hier war. Die keinen anderen Ausweg aus ihrer Verzweiflung gefunden hatte, als sich ihr Leben zu nehmen. Und nur dieses System war schuld! Wütend haute ich mit meiner Faust auf ein Kopfkissen ein. Warum musste alles bloß so ungerecht sein? Wo war die ganze Gerechtigkeit geblieben? Gab es diese eigentlich noch irgendwo auf dieser verkorksten Welt, wo nur Geld und Beliebtheit zu zählen schien?
Wo man Geld haben musste, um jemand zu sein. Wo eine Putzfrau oder ein Bauarbeiter nicht so wichtig schienen wie irgendein Politiker, der irgendwelche sinnlosen Gesetze verabschiedete und sich kaum anstrengen musste? Wie Leute, die das System erfunden hatten.
Ich gehörte selbst zu den Reichen, denn ich war ja eine Prinzessin, aber ich fand das ganze total überheblich. War ich denn etwas besseres, als nicht königliche Menschen? Hieß reich sein, etwas besseres zu sein? Ich schüttelte meinen Kopf. Nein hieß es nicht. Jeder Mensch war gleich und das war noch etwas, was ich an dieser Gesellschaft hier hasste, diese Ungerechtigkeit. Das System war das größte Problem hier, aber es gab so viele andere Dinge, die fast genauso ungerecht waren.
Bildmaterialien: http://addicted2disaster.deviantart.com/art/The-pact-188572107
Tag der Veröffentlichung: 05.07.2012
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Widmung:
Ein Stück Hoffnung, ist ein Stück Glück.
Niemand kann dich besitzen.