Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass sowohl die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) als auch die Europäische Union (EU) sich in ernsthaften politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden.
Dies betrifft nahezu alle wichtige Politik– und Ökonomiefelder wie Staatshaushalte, Minderheitenintegration, Umweltproblematik, emotionale Akzeptanz bei der Bevölkerung, ökonomisches Wachstum, soziale Spannungen und Arbeitslosenrate.Für diese Probleme gibt es mehrere Gründe. Im Falle der USA wären in diesem Zusammenhang die folgenden Punkte anzuführen:
1) Der zerstörerische neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsansatz
2) Eine unzureichende Bereitschaft die reicheren Schichten der Bevölkerung stärker zu besteuern,
um dadurch den Haushalt zu sanieren, notwendige Infrastrukturmaßnahmen zu finanzieren und
den sozialen Ausgleich zu fördern
3) Die geschönte Inflationsrate
4) Eine überproportionale Vertretung der Reichen in
Parlament und Regierung
5) Die Blockierung der Gesetzgebung durch Filibustering
6) Einseitige Orientierung auf Share Holder Value und die Zulassung von Derivaten
7) Unzureichende Integration von Minderheiten
8) Die kurzsichtige und unverantwortliche amerikanische Energiepolitik
9) Zunehmende außenpolitische Aggressivität als Ventil für inneres Scheitern
Als Probleme der EU können die folgenden ausgewiesen werden:
1) Die verfrühte Euroeinführung
2) Die fehlenden emotionalen Grundlagen Europas
3) Die unzureichende steuerliche Belastung der Reichen
4) Die falsche Energie- und Umweltpolitik
5) Die geschönte Inflationsrate
6) Die Entwertung der Alten und sozial Schwachen
7) Die Edathy-Affäre und die Verschwörung an den Rändern
Alle diese genannten Punkte verdienen eine vertiefte Diskussion. Diese Diskussion soll im Zentrum der nachfolgenden Kapitel stehen.
Vor etwa 30 Jahren gab der berühmte US-amerikanische Historiker Paul Kennedy in seinem Buch The Rise and Fall of the Great Powers seiner Hoffnung Ausdruck, dass Amerika –trotz der zunehmenden Bedeutung von China und Indien- im Großen und Ganzen auch zukünftig seine Stellung als führende Weltmacht bewahren könne.(1)
Aus der Perspektive des Jahres 2014 ist Kennedys Wunsch zweifelsohne in Erfüllung gegangen. Gleichwohl erscheinen die Grundlagen dieser amerikanischen Vormachtstellung zunehmend brüchig, ja morbide. Ja, die Wucht des Verfalls der amerikanischen Machtbasis wirkt sogar dermaßen kraftvoll, dass zu mindestens irgendwann im 22.Jahrhundert die USA das Schicksal des spätrömischen Weltreiches erleiden dürften. Mehrere Faktoren werden höchstwahrscheinlich dieser Entwicklung den Weg ebnen.
Das Kernproblem der US-amerikanischen Gesellschaft ist zweifelsohne der wertneutralistisch-zerstörerische neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsansatz. Angesichts der immer noch herausragenden internationalen Bedeutung der USA beeinflusst dieser verderbliche Ansatz auch viele andere Staaten nachhaltig.
Man wird ehrlich sein müssen. Dass dieser wertneutralistisch-zerstörerische Neoliberalismus beginnend mit den späten 1970-er und frühen 1980-er Jahre ausgehend von den angelsächsischen Ländern sich so stark in Politik und Gesellschaft ausbreiten konnte, lag zweifelsohne auch am überideologisierten, zu Recht oft künstlich-miefig wirkenden, Sozialdemokratismus der 1970-er Jahre. Allzu leichtfertig hatten sozialdemokratisch oder gar sozialistisch gefärbte Regierungen sich daran gemacht, den Sozialstaat übermäßig, und oft ohne irgendwelche Gegenleistung zu erwarten, auszubauen. Zudem waren die Staatsschulden aus dem Ruder gelaufen. Diese Entwicklungen und eine übertrieben linke Gesinnung, die auf Werte wie Ehe und Familie und anspruchsvolle Schulbildung wenig Rücksicht nahm, hatten eine kraftvolle Gegenreaktion hervorgerufen, die dann in Form des Neoliberalismus daher kam.
Klar ist mittlerweile aber auch, dass dieser verderblich wertneutralistische Neoliberalismus angelsächsischer Spielart noch ungleich gefährlicher für Amerika und die Welt ist, als es der Sozialdemokratismus der 1970-er Jahre damals war.
Gemäß dieses neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsansatzes, haben die Steuern –und hierbei insbesondere auch der Spitzensteuersatz- niedrig zu sein. Eventuell sich daraus ergebende staatliche Haushaltsdefizite sollen durch Einschnitte ins soziale Netz und Rückführung der staatlichen Bildungs- und Infrastrukturausgaben ausgeglichen werden.
Der einzige staatliche Bereich, in dem Ausgaben zu erhöhen sind, ist nach der Logik dieser Leute der Rüstungsbereich. Irgendjemand muss die irakischen und persischen Ölfelder ja erobern, nach denen das neoliberale Großkapitalistenherz US-amerikanischer Prägung so giert. Außerdem sind nicht wenige amerikanische Großkonzerne auf kraftvoll sprudelnde Rüstungsgelder aus dem Staatssäckel angewiesen.
Weniger Bedeutung kommt hingegen einer fortschrittlichen Umweltpolitik zu. Umweltauflagen gelten als lästig und kostspielig und würgen angeblich das ökonomische Wachstum unangemessen ab. Da kann Hurrikan Katharina noch so wüten und amerikanisches Leben im Tausenderumfang vernichten, für den amerikanischen Neoliberalen kommt die Wirtschaft immer zu allererst.
Auch wäre es verfehlt, den typischen US-amerikanischen Neoliberalen als sozial konservativ zu bezeichnen. Er ist einfach nur egoistisch gierig im Hinblick auf die eigenen Interessen. Ob auf seinem Bankkonto oder im Schlafzimmer beim ehebrecherischen Sex, er will einfach nur so viel wie möglich für die eigene Person. Und das ohne Rücksicht auf etwaige Verluste anderer. Dieser Zweiklang aus nahezu grenzenlosem wirtschaftlichem und privatem Egoismus ist im Übrigen auch für die stark neoliberal angehauchte deutsche FDP typisch. So betonte der damalige neue Vorsitzende der Jungliberalen Guido Westwelle schon 1982, dass man sich das Doppelpack aus wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und größerer Freiheitlichkeit der privaten Lebensentwürfe wünsche.(2) Mit anderen Worten: Wirtschaftlich möglichst erfolgreich für die eigene Tasche agieren und im Privaten ungehemmt die Sau raus lassen war angesagt. Es kann nicht verwundern, dass dieser verderbt-wertneutralistische Neoliberalismus US-amerikanischer Prägung für Amerika und den Rest der Welt größte praktische Probleme aufwirft. Diese Probleme gilt es nachfolgend darzulegen.
Noch zu Zeiten Präsident Bill Clintons stellten ein Spitzensteuersatz von 39,5 Prozent und auch ein höherer Kapitalertragssteuersatz sicher, dass die USA über adequate Steuereinnahmen verfügten und sogar Haushaltsüberschüsse erzielten. Diese Zeiten gehören erkennbar der Vergangenheit an. Vor allem das obere Einkommensdrittel der Gesellschaft zahlt heute viel niedrigere Steuersätze, und nicht zuletzt der Spitzensteuersatz auf Kapitalerträge ist mit 20 Prozent äußerst niedrig. Als Folge davon ist nicht nur während der Regierungszeit Barack Obamas die US-amerikanische Staatsverschuldung von etwa 10 Billionen US-Dollar auf nun etwa 18 Billionen US-Dollar angestiegen, sondern auch die amerikanische Infrastruktur hat sehr gelitten. Des Weiteren ist die Wohlstandsscherre zwischen den reicheren und ärmeren Schichten immer weiter auseinander gegangen. Ebenso haben wegen dieser sowohl auf nationaler als auf Einzelbundesstaatsebene bestehender Haushaltsprobleme die Integration von Minderheiten und die Förderung alternativer Energien Rückschläge hinnehmen müssen. Da diese beiden letztgenannten Aspekte aber Gegenstand gesonderter Kapitel sein werden, will ich mich für den Augenblick auf die Aspekte verfallende Infrastruktur und zunehmende soziale Kluft konzentrieren. Die verfallende Infrastruktur wirft mehrere höchst gravierende Probleme auf. Zu allererst braucht eine erfolgreiche Industrienation wie die USA eine intakte Infrastruktur, um ihre herausragende wirtschaftliche Position auch zukünftig aufrechterhalten zu können. Nicht zuletzt ausländische Anleger dürften in einem Land mit verfallender Infrastruktur ihre Investitionen zurückfahren. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist auch, dass Infrastrukturmaßnahmen ihrerseits wieder einen Beitrag zur Ankurbelung einer Volkswirtschaft und zur Schaffung von Arbeitsplätzen leisten.
Auch die nachlassenden Investitionen in den Sozialbereich werden sich zweifelsohne hochgradig nachteilig auswirken. Sie untergraben den sozialen Zusammenhalt in der amerikanischen Gesellschaft und schwächen des Weiteren die Fähigkeit der unteren und mittleren Schichten zum sozialen Aufstieg. Wie, um ein Beispiel zu nennen, soll eine ärmere Familie die Studienkosten ihres ältesten Sohnes in Harvard noch bezahlen, wenn es dafür an staatlicher finanzieller Unterstützung fehlt? Nicht übersehen werden darf auch, dass Sozialleistungen einen wichtigen Wirtschaftsfaktor darstellen. Schließlich geben die ärmeren Schichten der Bevölkerung einen Großteil der erhaltenen Unterstützung sofort wieder für Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs aus und stärken damit die amerikanische Wirtschaft. Folglich wirkt sich ein hochwertiges und hinreichend finanziertes Sozialsystem sowohl gesellschaftlich als auch volkswirtschaftlich sehr positiv aus.
Ein ganz anderen
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 23.03.2014
ISBN: 978-3-7309-9431-3
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Gewidmet meiner toten Großmutter Klara Kreuzberg und meinen viel zu früh verstorbenen Eltern Gertrud und Engelbert Eder