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Einleitung

Diese Biographie ist ein wahres Vermächtnis der Zeitgeschichte, die mein Großvater Paul Herzig einst angelegt hat. Mein Vater hat sie erst auf seinem Sterbebett gelesen und mir wärmstens empfohlen. So gingen die handschriftlichen Aufzeichnungen in meinen Besitz über und ich schrieb sie wortwörtlich ab. 

 

Nur einem brieflichen Streit um ein Nachthemd haben wir es zu verdanken, dass mein Großvater die Zeit der polnischen Besatzung bis hin zur Vertreibung aus Schlesien detailliert beschrieben hat. Die Briefe gehören im eigentlichen Sinne nicht zur Biographie selbst, sind allerdings zum Verständnis der damaligen Not nach Kriegsende durchaus aufschlussreich.

 

Die Biographie lässt sich in drei Teile einteilen. Im ersten Teil beschreibt Paul seine Kindheit und Jugend im Kaiserreich und seine Überlebenskünste im 1. Weltkrieg. Der zweite Teil umfasst die goldenen Zwanziger und im dritten Teil schließlich offenbart er das alltägliche Leben unter polnischer Besatzung und der Vertreibung.

 

Sabine Herzig

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorwort:

Mein Leben.

Meinen Nachkommen gewidmet.

Beitrag zur Ahnentafel der

Familie Herzig

 

Angefangen im Kriegsjahr 1943, am 18.12. an meinen 45. Geburtstag als Soldat.

 

Paul Herzig

 

 

Wenn in späteren Zeiten Ihr auf meinen Namen in der Ahnentafel stoßt, so soll euch mein Name nicht nur meine einzelnen Lebensdaten aufzeigen, sondern ich will euch in diesen Zeilen aufzeigen, wie sich mein Leben gestaltet hat, damit Ihr euch ein Bild eures Ahnen und auch der von mir durchlebten Zeit machen könnt.

Vorgeschichte:

 

Ich entstamme einem uralten Geschlecht, das seinen Sitz väterlicher- wie auch mütterlicherseits in dem sogenannten Braunauerländchen im Sudetengau hatte.

 

Unter Friedrich dem Großen zogen nach dem Siebenjährigen Kriege Aussiedler in die Grafschaft Glatz. Zu diesen gehörte auch ein Vorahne von uns und wurde in Scheibau bei Wünschelburg ansässig. Durch Einheirat kam mein Großvater Franz Herzig im Jahre 1848 in den Besitz eines kleinen Holzhauses an einer Berglehne, (Hopfenlehne) ca. 1km von Wünschelburg entfernt. Dieses Haus ist demnach die Urväterei für die herzigsche Familie geworden. Es liegt direkt am Bergabhang und ist auch heute noch bewohnt. Es hat allerdings inzwischen mehrfach den Besitzer gewechselt. Zur Zeit gehört es zu der im Jahre 1913 erbauten Villa Hocheck und ist verpachtet. Es hat eine wunderbare Aussicht auf die Ost-, Süd- und Westrichtung, war jedoch durch den steilen Bergabhang schwer erreichbar. Einige Morgen dieser Berglehne gehörten zum Grundbesitz und wurden nebenbei mühselig bewirtschaftet; der Haupterwerbszweig meiner Vorahnen war jedoch die damals in ganz Schlesien vorherrschende Weberei auf Handwebstühlen.

 

So war auch mein Vater noch ein Weber, der um das Jahr 1890 als Webermeister in der Weberzunft von Wünschelburg Bürger dieser Stadt war. Groß und hager war seine Gestalt, mit edlen Gesichtszügen und einem braunen, später schlohweißen Vollbart. Geboren am 20. August 1855 als einziger Sohn des Webers Franz Herzig erlernte auch er das Weberhandwerk und kaufte im Jahre 1880 das Haus mit dazugehörigen Grundstücken von seiner Mutter. Er heiratete im Jahre 1886. Meine Mutter Maria, geb. Burghard stammt aus Reichenforst bei Wünschelburg, sie war am 8.8.1864 als Tochter des Landwirts und Hofschaffers Karl Burghard dort geboren. Mein Vater hatte ein großes Interesse, das mühselige Leben durch Verbesserungen und bauliche Veränderungen günstiger zu gestalten. Da nach den Kriegen 1864, 1866 und 1870ger ein wirtschaftlicher Aufschwung für ganz Deutschland kam, so konnte er große Bauprojekte ausführen. Das erste Bauprojekt war ein Brunnen, denn vorher musste jegliches Wasser für Mensch und Vieh zuerst mit Kannen und später mit einem kleinen Wasserfass aus dem 300m unten im Tal liegenden Heuscheuerbach, genannt die Posna, mühsam auf den Berg getragen und später gefahren werden; im Winter eine direkt qualvolle Beschäftigung. Zu dieser Zeit (1890) kam ein neues Verfahren, unterirdische Wasserquellen zu entdecken: Der Wünschelrutengänger. Als stets wissbegieriger Mensch ließ sich mein Vater solch einen Mann kommen. Dieser zeigte einen Platz, wo tief in der Erde unweit des Hauses Wasser zu finden wäre. Mit großer Tatkraft ging nun mein Vater ans Werk, einen wasserspendenden Brunnen in die Bergeslehne zu graben. Jedoch schon nach 5m Tiefe zeigte es sich, dass Felsengestein den weiteren Weg in die Tiefe versperrte. Mit einem Brunnenbauer wurde der Felsen gesprengt. Das Pulver musste jedes Mal aus Neurode geholt werden. Es dauerte viele Wochen und im Herbst mussten die Bemühungen vorerst eingestellt werden, nicht aber der Wille. Im Frühjahr wurde weiter gebohrt und gesprengt, endlich war der Felsen durchhöhlt und etwas tiefer kam auch eine kleine Quelle zum Vorschein, doch zu schwach, um den täglichen Bedarf zu decken; deshalb wurde weiter gebohrt und in ca. 40m Tiefe eine ergiebigere Wasserquelle gefunden.

 

Durch große Sparsamkeit hatte mein Vater im Tal Grundstücke käuflich erworben. Er baute deshalb ca. 200m unterhalb des Holzhauses um das Jahr 1890 eine Holzscheuer, weil er die Grundstücke landwirtschaftlich ausnutzte und das Getreide und Heu nicht auf den Berg transportieren wollte.

 

Nun hatte er noch einen Plan, der für die damalige Zeit gerechnet, einen großen Unternehmungsgeist voraussetzte. Er wollte neben die Scheuer ein großes, geräumiges und massives Gebäude bauen, worin in großen lichten Arbeitssälen die Handweberei in vergrößertem Stil betrieben werden sollte. Im Sommer 1897 fing er damit an. Er hatte auf demselben Grundstück als Untergrund Lehm entdeckt, der sich für Ziegel eignete. Mühsam wurde nun Ziegel für Ziegel geformt, im Holzschuppen getrocknet und dann im Feldofen gebrannt. Noch im Herbst 1897 wurde der Grund für das 20m lange und 10m breite Gebäude gegraben. Dabei zeigte es sich, dass auf dem Baugelände Quellen und Wasseradern waren. Die Grundmauern aus Sandstein wurden deshalb auf Erlen-, Kiefern- und Tannenstammreisig gesetzt. Mit Einbruch des Winters wurde der Bau bis zum Frühjahr 1898 eingestellt. Zirka 100 000 Ziegel lagen zur Verarbeitung fertig. Ein geräumiger Keller mit massivem Backofen und ein Milchkeller wurden zuerst hergestellt. Der Ziegelfußboden des Kellers noch drainiert. Die Grundmauern sind ca. 1m breit und sind wie der Stall aus Sandstein. Darauf wurde nun der Ziegelbau gesetzt. Das Gebäude wurde zweistöckig und mit Dachpappenklebedach gedeckt.

 

In diese Bauzeit fällt meine Zeugung, daher wohl mein stetes Trachten nach baulichen Veränderungen und Verbesserungen. Es ist dies ein Erbteil aus dieser Zeit, denn auch meine Mutter musste auf dem Bau tätige Hilfe leisten. Im Herbst 1898 war der Bau soweit fertig, dass die parterre gelegenen Räume bezogen werden konnten. Zur Kirmes 1898 zogen die Eltern mit meinen vier älteren Geschwistern in den Neubau. Dabei wurde jedoch ein schwerwiegender Fehler begangen, der die Ursache zu dem späteren unheilbaren Gelenkrheumatismus bei meiner Mutter wurde. Als Schlafzimmer wurde ein Raum auf der Nordseite gewählt. Ein einziges Fenster nach Norden (ohne Sonne), nach Westen die Hauswandwetterseite, nach Süden der Türdurchbruch zur Küche, nach Osten die Wand des Viehstalls. Der ganze Bau noch zu feucht und frisch, der Schlafraum ohne Unterkellerung. Von den Wänden tropfte im Winter das Wasser und ein kleiner eiserner Ofen schaffte nur wenig Abhilfe.

 

Teil 1: Geburt, Kindheit und Jugend:

 

In dieser Stube erblickte ich am 18. Dezember 1898 das Licht der Welt. Ich war das erste neugeborene Kind in diesem Hause und ein Sonntagskind. Vier ältere Geschwister außer mir damals in der Familiengemeinschaft, davon drei Brüder und eine Schwester. - Ich soll im Anfang meines Lebens sehr schmal, hager und schwach gewesen sein. Da meine Eltern wohl Angst hatten, dass ich nicht lange diese Erde beglückten würde, erfolgte schon zwei Tage später in der katholischen Pfarrkirche in Wünschelburg meine Taufe. Ich erhielt dabei die Vornamen Paul Heinrich. Taufpate war der Tischlermeister Heinrich Klose aus Wünschelburg. So klein und schmächtig ich aussah, genau aber so gesund und lebensfähig erwies ich mich. In den ersten Lebensjahren hatte ich weißblondes gelocktes Haar, das später nachdunkelte. Als kleines Kind hatte ich die Untugend, von den Wänden den Kalk und Putz mit Löffel oder Fingern abzukratzen und aufzuessen. Leider verstanden die Eltern dieses instinktmäßige Treiben nicht und wussten nicht, dass der kleine Körper Kalk zum Aufbau brauchte. Die Kost war während meiner ganzen Jugend einfach und einseitig.

 

Frühstück: Roggenmehlsuppe mit eingebrocktem Brot.

Mittags: Suppe, Kartoffeln zu Quark und Kaffee.

Abends: Wassersuppe, Brot mit aufgekratzter Butter und Kaffee.

 

Fleisch gab es höchstens zwei mal in der Woche und zwar stets gekochtes Rindfleisch, im Winter Schweinefleisch mit Rauchfleisch gekocht. Nur an Feiertagen kam Braten auf den Tisch. Wurst höchstens Samstags ein kleines Stück Knoblauch- Zwiebel- oder Pferdewurst.

 

Im Alter von vier Jahren fiel ich beim Spiel vom ersten Stock der Scheuer auf die Tenne und lag vier Stunden bewusstlos. Meine Spielfreunde waren die Nachbarskinder Leo und Gretel Seidelmann, aber an sich habe ich mich viel allein beschäftigt. So verging die Jugendzeit bzw. Kindheit, aber infolge sehr schmaler und einseitiger Kost blieb ich schmal und schwach und gegenüber besser gestellten Kindern in der Entwicklung körperlich zurück. Im Jahre 1903 kam noch eine Schwester von mir zur Welt, sodaß ich dann nicht mehr das Nesthäkchen war.

 

Ereignisse in der Familie, Haus und Wirtschaft

 

Mein Vater hatte sich mit dem Hausbau sehr in Schulden gestürzt und wurde von den Gläubigern arg bedrängt, sodaß es nur durch direkt spartanische Lebensführung gelang, die Zinsen zu zahlen und die nun achtköpfige Familie zu erhalten. - Das alte Holzhaus und große Teile des Grundbesitzes hatte der Hausbau verschlungen und musste verkauft werden.- Nun, wo der Webereibetrieb mit den Handwebstühlen erst richtig losgehen sollte und schon acht bis zehn Webstühle angeschafft waren, kamen die großen Webereifabriken auf und nahmen den an sich armen Handwerkern Arbeit und Existenz weg.

 

So ging es auch meinem Vater, denn die Mittel, um nun einen richtigen Fabrikwebereibetrieb aufzuziehen, hatte er nicht und fand wohl auch keine Möglichkeit, sich diese Mittel zu beschaffen. Ein großer Teil des Grundbesitzes war verkauft. Da aber eine andere Verdienstmöglichkeit in dem kleinen abgelegenen Städtchen ohne Industrie nicht vorhanden war, pachtete Vater nun von der Stadt Acker und Wiesen und verlegte sich auf Pachtlandwirtschaft. Den 1.Stock des Hauses ließ er in Wohnungen umbauen, worin dann Mieter einzogen. In dieser Zeit (1900-1905) wurde das Steinsägewerk in der Entfernung von ca. 200m erbaut, wodurch auch Einnahmen durch Quartierleute erzielt wurden. Außerdem wurde die Heuscheuerstraße in Richtung nach Bad Kudowa erbaut. Als ständige Mieter wohnten hauptsächlich Steinmetzpoliere mit ihren Familien bei uns. Infolge Staublunge (Berufskrankheit) starben die Männer schon alle in jungen Jahren, sodaß unser Haus bald in den Ruf eines Sterbehauses kam. Als neugebautes, völlig allein stehendes Haus war es dem Wetter auf der Westseite auch zu viel ausgesetzt, sodaß die Wohnungen ungesund wurden, weil darin gekocht und gewaschen wurde.

 

Nun kamen damals die ersten Großstädter als Touristen in das neuerschlossene Heuscheuergebirge, um die Schönheiten dieser Gegend zu bewundern. Wasserfälle, der Stufenweg zur Heuscheuer und die Felsenpartien und -führungen zogen immer mehr Touristen in die Gegend. Es hatte den Anschein, als daß Wünschelburg als der beste Ausgangspunkt für Wanderungen nach der Heuscheuer und dadurch , daß im Jahre 1904 die Eulengebirgsbahn als Endstation nach Wünschelburg kam, dieses Städtchen dem Fremdenverkehr mehr erschlossen werden würde. Es kamen sogar schon vereinzelt Familien, die ihre Ferien in Wünschelburg verlebten. Da war es wieder mein Vater, der den Sinn der Zeit erfasste. Er machte Stuben frei, richtete sie mit einfachen Möbeln ein und im Jahre 1905 nahm er als erster Privathausbesitzer Sommergäste in Wünschelburg auf. Diese Familien brachten sich ihre eigenen Betten mit; kochten sich selbst. So kamen in den folgenden Jahren verschiedene Familien immer wieder. Als Preis für ein Zimmer mit vier Betten/Strohsäcke und einfachen Möbeln wurde wöchentlich 10,-Mark bezahlt. Das brachte mehr als die Dauervermietung und im Winter blieben die Stuben leer. Als einzige Mieterin blieb Frau Biehl, deren Mann als Steinmeztpolier im Alter von 33 Jahren verstorben war mit ihrem Kind Hedel. Dieses Mädel musste ich oft beaufsichtigen und es wuchs mit uns heran.

 

Schulzeit

 

 

Am 1. April 1905 wurde ich A-B-C-Schütze in der katholischen Volksschule in Wünschelburg eingeschult. Die ersten Schuljahre war ich wohl ein mittelmäßiger Schüler. Einmal erkrankte ich, weil ich eine Schulkameradin nach Neuhäuser begleitet hatte und unterwegs ins Wasser gestürzt war. Es war November und ich hatte Angst in die Stube zu gehen, legte mich deshalb in die Scheuer in das Stroh und wollte dort warten, bis ich aufgetrocknet wäre. Halb erfroren haben mich die Geschwister aufgefunden. Ein andermal hatte ich ein Bild aufgeleimt; es war aber blasig geworden. Ich wollte es glattmangeln, ging auf den Boden zur Wäschemangel und quetschte mir den rechten Zeigefinger so ein, daß ich wochenlang ins Krankenhaus gehen mußte zum Verbinden. Ebenso habe ich mich beim Schnitzen so tüchtig in den Finger geschnitten, dass auch die Knoche eines Fingergelenks zerschnitten war. Als ich drei Schuljahre gut bestanden hatte zeigte es sich, daß ich ein gutes musikalisches Gehör hatte. Mein Wunsch war nun, bei einem Kapellmeister das Geigenspiel zu lernen. Doch ich hatte mich verrechnet. Mein Vater gab mir dazu nicht die Erlaubnis. Er sagte: „Er will aus mir keinen versoffenen Musikanten erziehen, der auf dem Tanzboden die Nächte durchschwärmt.” Es war wohl auch kein Geld für die Stunden übrig. Dafür wurde mir von Vater gestattet, in den Gesangunterricht zu gehen, um Mitglied des Kirchenchors zu werden; diese Stunden kosteten nichts. So ging ich denn in die Gesangsstunde und außerdem die meisten Tage in die Frühmesse auf das Kirchenchor und sang dort zur Ehre Gottes; ebenso bei Begräbnissen und Trauungen. Außerdem ging ich zweimal wöchentlich in den freiwilligen Schnitzunterricht, bei dem ich allmählich eine große Geschicklichkeit bekam. Mit dem fünften und sechsten Schuljahr wurde ich ein sehr eifriger Schüler, das Lernen fiel mir leicht. Auch in der elterlichen Landwirtschaft leistete ich gern Hilfe, besonders in der Ernte beim Dreschen und Reinigen des Getreides. An sich war ich aber ein ruhiger Junge, der gern etwas schwärmerisch war, gern Gedichte vortrug und versuchte selbst welche zu machen. So kam das siebte und achte Schuljahr heran. Diese Jahre lernte ich bei Lehrer Lorenz. Der war ein großer, sehr strenger Mann, der als langjähriger Unteroffizier dann die Beamtenlaufbahn als Lehrer ergriffen hatte. Ein großer Patriot, aber auch ein äußerst tüchtiger Lehrer. Bei ihm machte mir das Lernen erst richtig Freude, sodaß ich bald einer seiner ersten Schüler wurde.

 

Am weißen Sonntag im Jahre 1911 ging ich zur ersten heiligen Kommunion. Ich verließ Ostern 1913 als sehr guter Schüler die Schule.

 

Lehrjahre

 

Ich stand nun vor der Berufswahl. Um den Anforderungen eines Handwerks nachkommen zu können, hätte ich stärker und kräftiger sein müssen. Für Stubenhandwerke wie Schneider oder Schumacher hatte ich keine Neigung. So blieb ich vorerst zu Hause. Bald wurde ich jedoch gefragt, ob ich nicht Lust hätte im Walde mit auf die Kultur zum Einpflanzen von kleinen Bäumchen zu kommen. Da ich dabei täglich 0,90 Mark verdiente ließ mich mein Vater gehen. So habe ich einige Monate schön im Wald verlebt, allerdings fiel mir vorerst die körperliche Anstrengung etwas schwer. Als die Ernte in der Landwirtschaft herannahte, musste ich dann zu Hause helfen. Als Nachfolger auf der elterlichen Besitzung war jedoch mein Bruder Bernhard vorgesehen. Mein ältester Bruder Franz war Handlungsgehilfe geworden, dann war Bernhard als Landwirt und schließlich der drei Jahre ältere Bruder Stefan Schreiber bei einem wünschelburger Prozessagenten und dann als Buchhalter bei der Firma C. Schilling Steinsägewerk.

 

Da kam nun Anfang September 1913 im Wünschelburger Stadtblatt eine Anzeige, wonach ein Kaufmannslehrling nach Breslau gesucht wurde. Da ich nicht immer zu Hause sein konnte und auch nicht wollte, bewarb ich mich um diese Stelle. Ich hatte Glück, denn meine Bewerbung wurde angenommen. Antrittstermin war der 1. Oktober 1913. Zum 1. mal in meinem bisherigen Leben hatte ich nun eine größere Bahnfahrt zu machen. Bisher war ich über die Eulengebirgsbahn noch nicht hinausgekommen. Mit mir fuhr mein Vater und meine Schwester Hedwig, welche die Absicht hatte in das Kloster der hl. Hedwig einzutreten. Der Hauptbahnhof in Breslau erschien mir als ein Riesengebäude. Ein Dienstmann holte uns dort ab und brachte uns in das Kolonialwarengeschäft meines Chefs, Herrn Kaufmann Josef Hoffmann, Breslau I , Bischofstr. 14. Dieser empfing uns, zeigte uns meinen zukünftigen Wirkungskreis. Vorerst durfte ich mir mit Vater und Schwester erstmal Breslau ansehen. Zuerst wanderten wir nach der Hirschstraße in das Kloster, wo sich Schwester Hedwig vorstellen sollte. Dabei überquerten wir die Oder, die ich als noch nie gesehenen großen Fluss mit den Dampfern und Schleppkähnen bewunderte. Auch die Straßenbahnen mit ihrem Lärm und Klingeln , die großen Brücken, Gebäude und Kirchen machten einen großen Eindruck auf mich kleinen Dorfjungen.

 

Am 2. Oktober begann nun meine Lehrzeit. Als erste Arbeit musste ich eine Messingwaage und Gewichte putzen. Nachher hatte ich ein kleines Paket zu einem entfernt wohnenden Kunden zu tragen. Dabei habe ich mich gleich erst mal verlaufen und lernte kennen, zu was ich einen deutschen Mund mitbekommen hatte, um wieder zurück in das Geschäft zu kommen. Die ersten Wochen in Breslau standen unter dem Reiz der Neuheit. Ich hatte soviel Neues zu sehen und zu lernen, daß ich gar nicht dazu kam, das Heimweh kennen zu lernen. Mein Chef war noch Junggeselle, 36 Jahre alt. Er hatte am 1.7. 1913 das Geschäft von seiner zukünftigen Schwiegermutter erst gekauft, vorher war er Reisender in einer Firma in Breslau gewesen. Ich war nun sein erster Lehrling, konnte vom ersten Tag an gleich hinter dem Ladentisch die Kunden bedienen, hatte anderseits aber auch allein die ganze Drecksarbeit zu machen. In den Hauptverkaufsstunden half die Braut des Chefs und eine Tante von ihr beim Bedienen der Kunden. Gleich in den ersten Wochen mußte ich zuerst mit meinem Chef, später allein mit einem kleinen Musterkoffer auf Reisetätigkeit gehen. Besucht wurden hautsächlich die Vergnügungslokale am Rande der Stadt und verschiedene größere Gaststätten in der Stadt. Zuerst war ich sehr schüchtern und ich glaube heut, daß mir die Wirte und Wirtinnen nur aus Mitleid etwas abkauften. Allmählich wurde ich dreister und versuchte meine Käufer redegewandt von der Güte und Preiswürdigkeit meiner Waren zu überzeugen und hatte sieh steigernde Erfolge trotz großer Konkurrenz zu verzeichnen. Weniger schön war es für mich, daß ich die verkauften Waren mit einem Handwagen selbst zur Kundschaft besorgen musste. Das Essen war zu dieser Zeit vor dem Weltkrieg sehr gut und viel reichhaltiger, als ich es von zu Hause gewohnt war. Zu den Osterfeiertagen im Jahre 1914 durfte ich das Erstemal für die zwei Feiertage nach Hause fahren. Wie klein und unscheinbar kam mir auf einmal die Stadt Wünschelburg mit ihren niedrigen Häusern und Geschäften vor, selbst das Elternhaus schien kleiner und enger geworden zu sein. Der Abschied kam sehr schnell und wieder nahm mich das geschäftige Leben in Breslau als Handlungslehrling in Anspruch. Ich mußte dort auch auf die kaufmännische Handelsschule gehen. Da ich vom Lande kam, wollte man mich zuerst in eine Vorschule stecken, doch eine kurze Prüfung ergab, das meine Schulkenntnisse größer als angenommen waren. So kam ich gleich eine Klasse höher. Von Ostern 1914 ab besuchte ich jedoch eine kaufmännische Handelschule in Abendkursen. Die Fächer Handelkunde und kaufm. Buchführung hatte ich am Liebsten. So kam der Sommer und der 1. August 1914. Der Weltkrieg war ausgebrochen. Die Begeisterung in Breslau war groß, auch meine. Ich wünschte mir, daß ich schon ein paar Jahre älter wäre, um mich freiwillig melden zu können, ohne eine Ahnung zu haben, was Krieg eigentlich bedeutet. Aber ich sollte es später noch kennen lernen! Vorerst änderte sich insofern auch die Lage für mich, indem sich auch mein Chef am dritten Mobilmachungstage stellen mußte. Er kam zu einem Arbeitskommando nach Dürrgoy bei Breslau und konnte dadurch immer wieder mal im Geschäft zu Rechten sehen. Im Geschäft war mit Kriegsausbruch eine verrückte Zeit angebrochen; das Hamstern von Waren. Die Kunden standen Schlange vor dem Laden und kauften uns aus. Es war unmöglich, so viel Ware wieder heranzuschaffen, wie verkauft wurde und gar bald mußte das Geschäft stundenlang geschlossen werden, damit neue Ware herangeschafft werden konnte. Meine Reisetätigkeit mußte ich unterbrechen. In das Ladengeschäft wurde eine Verkäuferin eingestellt, mit der ich bald auf dem Kriegsfuß stand, denn ich behauptete mein Recht. Ebenso stand ich auch bald auf dem Kriegsfuß mit der Tante der Chefin. Der Chef machte Kriegstrauung, wurde nach acht Wochen Ausbildung wieder entlassen. Er besorgte sich nun gleich noch einen Lehrling, damit wurde die verdrehte Tante wieder im Laden überflüssig. Ich ging wieder auf Reisetätigkeit. Jetzt war der Verkauf an die Kunden kein Kunststück mehr. Inzwischen wurden die ersten Lebensmittelmarken eingeführt. Am 1.4.1915 kam noch ein Lehrling in das Geschäft, dadurch wurde die junge Frau entlastet, auch die Verkäuferin verschwand wieder. Im Sommer 1915 wurde der Chef wieder eingezogen, diesmal nach Berlin. Damit mußte ich ein großes Teil Verantwortung übernehmen, außerdem mußte ich zwei mal wöchentlich nachmittags zu einer vormilitärischen Jungausbildung erscheinen. Mein Chef verlor infolge Zellengewebsentzündung einen Finger und wurde im Sommer 1916 wiederum entlassen. Meine Lehrzeit ging dem Ende zu. Mein Bruder Franz war seit 1915 , meine Brüder Stefan und Bernhard seit 1916 Soldat. Franz war bereits verwundet worden. Stefan kam zur Ausbildung zum Feldartl. Reg. 42 nach Breslau Carlowitz. Wir hatten dadurch Gelegenheit, uns öfter zu sehen. Dort lernte ich zum ersten Mal eine Kaserne von innen kennen und auch, wie die Soldaten lebten. Meine Schwester Hedwig war in den Orden zur heiligen Hedwig eingetreten, hatte ein Jahr lang die Frauenschule in Breslau besucht und hatte die Prüfung als Kindergärtnerin und Spielschullehrerin mit Erfolg bestanden. Ich besuchte sie öfters mal, war auch bei ihrer Einkleidung als Novizin und ein Jahr später als Schwester zugegen; die Eltern waren an diesen Tagen auch da. Im September 1916 bewarb ich mich um Stellung als Handlungsgehilfe und erhielt diese bei dem Kaufmann F. Alder in Grottkau, Oberschlesien. Dort war auch eine größere Kaffeebrennerei dabei. Inzwischen erhielt ich aber die Nachricht von einer Erkrankung meiner Mutter. Am 30.9. 1916 war meine Lehrzeit beendet und ich erhielt ein gutes Lehrzeugnis. Ich fuhr zuerst nach Hause und fand die Mutter leidend an Körper und Geist; den Vater verärgert. Durch mein Zureden gelang es, die früher gewohnte Übereinstimmung zwischen den Eltern herbeizuführen und Mutter für einige Zeit zur Erholung wegzuschicken.

 

Als Handlungsgehilfe

 

Am 15.10.1916 ging ich als Handlungsgehilfe nach Grottkau. Dieses Geschäft war ganz anders geartet, als das in Breslau. Der Chef war ebenfalls eingezogen, leider, denn die Chefin richtete das Geschäft durch unreelle Wiegung der auf die Marken zu verabfolgenden Waren zugrunde. Der Kundenkreis wurde durch irre Handlungsweise immer kleiner und es gab viele Kunden, die sich von ihr nicht bedienen ließen. Das Ladengeschäft ging schwach, die Hauptarbeit war in der Kaffeerösterei zu leisten und nebenbei machte die Frau Schiebergeschäfte. Ich musste nun auch gleich erst mal zur Musterung erscheinen und wurde vorläufig zurückgestellt. In diesem Geschäft kam ich einmal in eine üble Lage. Aus dem Lager waren verschiedene Waren gestohlen worden und ich fühlte mich von der Chefin verdächtigt, da ich erstens nur allein die Lagerschlüssel zu verwalten hatte und anderseits unsere Meinungen über die Bedienung der Kunden völlig verschieden waren. Durch scharfe Aufmerksamkeit gelang es mir jedoch den Dieb in Gestalt des Hausdieners zu erwischen, der durch das Fenster einen neuen Fang machen wollte. Nach Aufklärung dieses Vorfalles wollte ich diese Stellung wieder verlassen; der sich gerade im Urlaub befindliche Chef ließ es aber nicht zu und damit war meine Position derartig gefestigt, daß mich nun auch die Chefin viel mehr schätzen lernte. Wiederum mußte ich zur Nachmusterung. Diesmal wurde ich k.v. geschrieben, vom Chef jedoch sofort reklamiert. Schöne Stunden erlebte ich im Kreise meiner Berufskollegen im deutschnationalen Handlungsgehilfeverband. So vergingen die Monate und die Anforderungen wurden durch die Zwangswirtschaft immer mehr erschwert. Anfang Mai wurde ich wiederum, gemustert, die Reklamation des Chefs verworfen und ich erhielt dann die Einberufung für den 31. Mai 1917 nach Neisse . Ich fuhr für einige Tage nach Hause, dann mußte ich meinen Koffer packen und es ging damit ein neuer Lebensabschnitt für mich zu Ende.

 

Soldatenzeit

 

In Neisse angekommen wurden wir im Kasernenhof aufgestellt, dann ging es zum Bahnhof. In Viehwagen verladen ging die Reise los, ohne daß wir wußten, wo das Endziel sein würde. Es ging über Camenz, Breslau, durch ganz Schlesien und Brandenburg bis nach Stargard in Pommern, wo wir nachts eintrafen. Im Fußmarsch ging es dann noch eine Stunde weiter in ein Barackenlager.

 

Zuerst kamen nun sechs Wochen Grundausbildung, dabei wurden wir sehr geschliffen. Nachher erhielt ich zuerst die Ausbildung als Fernsprecher und anschließend die als Blinker. Für letztere hatte ich großes Interesse.

 

Das Jahr 1917 war das Hungerjahr des Weltkrieges. Die Kasernenkost war auch danach, zwei bis dreimal wöchentlich Dörrgemüse mit Maden, weiterhin Pferdewrucken. Gab es einmal etwas Besseres, dann versuchten wir vergeblich eine zweite Portion zu ergattern. Das Brot war halb aus Kartoffeln gebacken und Schmiere gab es nur Sonntags mal in Gestalt von Rübenmarmelade, Grütz- oder Blutwurst. Wir hatten das Rekrutenleben bald sehr satt, denn so hatten wir uns das nicht vorgestellt. Im August 1917 erhielt ich einmal vier Tage Heimaturlaub, weil meine Brüder Franz und Stefan ebenfalls im Urlaub zu Hause waren. Unsere Ausbildung ging zu Ende und am 1.Oktober 1917 wurde ich ins Feld geschickt.

 

Frontzeit

 

Als Einzelersatzmann war ich für den Blinkerzug der Division Fernsprechabteilung 403 bestimmt, die zur Zeit in Flandern lag. In Berlin benutzte ich einige Stunden Aufenthalt um Verwandten Lebewohl zu sagen. Dann ging die Fahrt weiter über Hannover, Westfalen, Rheinland bis Köln-Deutz. Von dort mit einem Militärurlauberzug über Aachen, Lüttich, Brüssel, Gent bis nach Rouleaux. Schon hinter Gent hörte man den Kanonendonner, er verstärkte sich, je weiter wir in Frontnähe kamen. Als der Zug einfuhr stand die Stadt Rouleaux gerade unter Artilleriebeschuß. Da Treffer in der Nähe des Bahnhofs einschlugen, mußten wir sofort in einen Unterstand flüchten. Das war meine Feuertaufe. In der Auskunftsstelle erfuhr ich, daß mein Truppenteil bereits abgelöst war, der neue Standort war unbekannt. Zum Glück fand ich einen Urlauber derselben Division, dem ich mich dann weiterhin anschloss. Zuerst zur Armee Auskunftsstelle nach Lille. Von dort wurden wir nach Brüssel geschickt, von dort nach Metz. So ging es wieder hinter der ganzen Westsfront entlang und schließlich landeten wir in Mühlhausen/Elsaß. Dort lag auch die Fernsprechabteilung 403 in Ruhe in einer französischen Kaserne, weil die Division erst aufgefüllt werden mußte. Ich meldete mich beim Blinkerzug und wurde von Uffz. Michel in einen Blinktrupp eingereiht. Als Jüngster dieses Blinkerzuges erhielt ich gleich als Spitznamen Herzbubi! Diesen Namen bin ich während der ganzen Dienstzeit bei der Nachrichtenabteilung 403 nicht wieder losgeworden. Nach drei Wochen kamen wir am Hartmannsweilerkopf in Einsatz. Es war dies eine sehr ruhige Stellung. Im Januar 1818 lag mein Bruder Bernhard in Neustadt (Rheinpfalz) im Lazarett. Dorthin erhielt ich drei Tage Urlaub. Es war dies das Letzemal, wo ich meinen Bruder sah und ich ihn sprechen konnte. Mir fiel dabei sofort auf, daß er sehr niedergeschlagen war, und daß er keine Hoffnung hatte diesen Krieg zu überleben. Ich mußte ihm versprechen, daß ich für den Fall, daß er den Heldentod erleiden würde, mich um die Eltern kümmern sollte. Daß dieses Versprechen eine schicksalhafte Bedeutung in sich barg, vermutete ich allerdings

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 15.01.2017
ISBN: 978-3-7396-9308-8

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