So hatte sich Susanna den Urlaubsbeginn nicht vorgestellt. Wie sehr hat sie sich auf ein paar erholsame und ruhige Tage in der Eifel gefreut, von der ihr ihr Mann Gustav so vorgeschwärmt hat. „Ich kenne dort ein wunderschön einsam gelegenes altes Häuschen, das zu mieten ist. Genau das richtige für deine gestressten Nerven.“ So oder so ähnlich waren seine Worte der Überzeugung, in die Susanna nach langem Zögern und reiflicher Überlegung schließlich einwilligte.
Nun ist sie hier, inmitten grüner Hügel mittig im Berg versteckt. Der nächste Nachbar 150 Höhenmeter bergauf und ebenfalls 150m Höhenlinie bergab. In Echtzeit aber eine glatte Ewigkeit von ihrem Ferienhäuschen entfernt, den Berg hinauf ist man zu Fuß fast genauso schnell wie mit dem Auto, denn der Zufahrtsweg von knapp 1,5 Kilometern lässt sich nur maximal im Schritttempo fahren und das auch nur bei Allradantrieb. Hinunter ins Tal geht man besser zu Fuß, denn die zehn Häuser der kleinen Ortschaft kann man nur über eine Fußgängerbrücke über einen breiten Fluss erreichen. Aber wozu überhaupt? Abgesehen von einer Kirche, die jeden Abend pünktlich um 6Uhr läutet, gibt es dort nichts. Noch nicht einmal einen Bäcker. An der Kirche hält tatsächlich alle Stunde ein Bus, das hat Susanna vom Balkon aus schon beobachtet, aber ein- oder aussteigen hat sie dort noch niemanden gesehen.
Wie konnte es ihr überhaupt passieren, dass sie hier gestrandet ist? Sie bräuchte doch so dringend Erholung! Die letzten Jahre waren nicht einfach: Die Kinder, körperliche Erschöpfung verursacht durch die Wechseljahre und altersbedingte Kränkeleien haben ihr sehr zugesetzt. Die Großstadt ist ihr verhasst, zu viel Unruhe, zu viele Menschen auf einmal. So hat sie sich viel in den häuslichen Gemüsegarten zurückgezogen und war den Kindern eine gute Mutter und ihrem Mann eine gute Ehefrau, die sich um den Haushalt kümmerte. Jetzt sind die Kinder groß und Susanna fühlt sich alt. Nicht das dieses schlimm wäre. Jeder wird älter. Aber so ausgezehrt und ferienreif, so kennt sie sich gar nicht. Da kam Gustav mit diesem Eifelurlaub Vorschlag daher, denn in diesem Jahr freut er sich ganz besonders darauf, mit Susanna mal alleine Urlaub machen zu können. „Du wirst sehen, die Eifel wird dir gut tun. Viel Natur und wenig Menschen, ganz wie du es gerne hast.“ Gustav hat sich um alles gekümmert, Susanna hat nur gepackt. Auf der Hinreise haben sie einen kleinen Umweg gemacht, um alte Freunde auf einen Kaffee zu besuchen, die sie schon fast zwei Jahre lang nicht mehr gesehen hatten und so waren die beiden bester Stimmung, als sie trotz Regenschauer durch die Eifel fuhren, um ihr Ferienhäuschen zu finden. Auf dem Rücksitz im Katzenkörbchen vegetierte die gestresste Hauskatze Margarete, die Susanna nicht allein zu Hause lassen wollte. Sie hing an dem Tier und umgekehrt, sodass es für Susanna von Anfang an klar war, dass die Katze in jedem Fall mitkommt. „Das arme Tier! Sechs Stunden im Auto, davon zwei Stunden kurvig bergauf und bergab durchgeschüttelt“ gab Gustav zu bedenken, aber Susanna ließ nicht locker. Auch eine Katze hat ein Recht auf Urlaub und wenn die Eifel so wunderbar ist, dann wird es Margarete dort sicher auch gefallen auf Mäusejagd zu gehen. Ein überzeugendes Argument.
Als sie kurz vor einsetzender Dämmerung endlich vor einem alten verrosteten Eingangstor stehen, es strömend vom Himmel herab gießt und die Bäume sich unheilvoll im Winde biegen, sieht Susanna sich bereits als „Brad und Janet“ in der Rocky Horror Picture Show wieder. Alles wirkt sehr gespenstisch und Angst einflößend. Weit und breit keine Menschenseele. Während Gustav das schwere Tor aufschließt und den Wagen hineinfährt, fällt Susannas Blick auf das Wappen oberhalb des Tores mit Aufschrift „Salve“. Der Urlaub kann beginnen.
Dr. Giesbert hat mir aufgetragen ein Urlaubstagebuch zu führen. Es soll mir helfen, mit meinen Ängsten und Stresssituationen fertig zu werden. Eine neue Art der Therapie, bei der nach und nach die Dosis meiner Tranquilizer heruntergefahren werden soll, die mich in den vergangenen Jahren am Durchdrehen gehindert haben. Nun ist meine Leber ziemlich in Mitleidenschaft gezogen und ich muss neben spezieller Diät auch meine geliebten Tabletten in niedrigerer Konzentration einnehmen. „Andere schaffen das auch, Frau Morkaner. Sie sind doch noch jung und haben mindestens noch 30 Jahre vor sich, die sie erleben wollen“, hat er zu mir gesagt. „Die Eifel ist eine ruhige Gegend, davor brauchen Sie sich nicht zu fürchten!“ Und dann hat er gelacht! Ich hoffe er weiß, was er tut.
Die Anreise hier her war anstrengend, obwohl nicht ich gefahren bin, sondern Gustav. Er macht das eigentlich sehr gut, leider ist er immer so schnell mit über 180km unterwegs. Ich stelle mir dann vor, wie es wäre, wenn nun plötzlich ein anderes Auto auf der rechten Nebenspur den Blinker setzt und auf unsere Spur zum Überholen herüberzieht. Wie oft unterschätzen die anderen Fahrer ein sich von hinten schnell näherndes Fahrzeug mit unserer Geschwindigkeit? Gustav ist auf diese Weise schon des Öfteren voll ausgebremst worden. Was dabei alles passieren kann...
In der Eifel angekommen war es nicht weniger unangenehm. Mein verträumter Blick über die hügelige Landschaft voll mit Wiesen, Feldern und Wäldern musste ich einstellen, um entweder die Katze samt Korb nach jeder Kurve wieder richtig hinzustellen, von dem Gejaule ganz zu schweigen oder ich musste gegen einen plötzlichen Herzstillstand meinerseits bei Gustavs Überholmanövern ankämpfen. Er kann einfach nicht normal fahren! Kein Wunder, dass er letzte Woche gleich zweimal einen Platten hatte. Er war Gott
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 06.08.2016
ISBN: 978-3-7396-6777-5
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Covergestaltung: Dotte Norkauer