Die Hunde bellen um die Wette. Ein richtig qualvolles Geheule, was die Tiere von sich geben. „Diese Musik ist glatte Tierquälerei!“ entfährt es ihr, während sie an ihrer Pina Colada nippt. Sie hat sich so sehr auf ihren Urlaub gefreut, den sie wirklich nötig hatte. Endlich einmal ausspannen und der Sonne entgegen sehen. Wie oft hat sie in den vergangenen Monaten die Sonne vergeblich am Himmel gesucht und nicht gefunden. Entweder hatte sie nach der Nachtschicht den Schlaf bitter nötig oder die Sonne ist tagsüber überhaupt nicht aus den Wolken hervorgekrochen. Das Winterhalbjahr macht ihr immer sehr zu schaffen und dann erst der Beruf. Pah, nur jetzt nicht daran denken. Dann lieber das Geheule der Hunde ertragen. Waren es einheimische Hunde? Bestimmt. Welcher Feriengast kommt schon mit Hund nach Mallorca? Dafür bedarf es einen Hundepass, soweit sie weiß. Die Hunde müssten dann auch im Flugzeug mitfliegen. Sind ihr im Flugzeug Hunde aufgefallen? Nein, daran kann sie sich nicht erinnern. Vielleicht reisen Hundebesitzer separat mit anderen Hundebesitzern zusammen in einer Maschine. Warum nur stellt sie sich diese Fragen? Sie will doch entspannen, einfach an nichts denken, nur genießen. Der Deal ist abgeschlossen und sie hat mit dieser Reise richtig was rausgeschlagen. Sie kann sich glücklich schätzen, dass sie auf Albert gehört hat. Er taugt sonst nicht viel, aber dieser Rat war Gold wert. Noch besser war allerdings die Entscheidung, nicht ihn auf die Reise mitzunehmen, sondern ihre kleine Schwester Rita. Mit Rita zusammen hat sie bis jetzt wirklich viel Spaß gehabt, dabei sind erst zwei Tage vergangen und es liegen noch zwölf vor ihnen. Sie nimmt einen weiteren Schluck ihres Cocktails und paddelt eine Runde durch den Pool. Herrlich, bei Mondschein im Wasser. So muss Urlaub sein. Bloß den Disc Jockey sollte man feuern. Dafür würde sie sogar einen Aufpreis zahlen.
Nina Nolte schließt leise die Haustür auf, um sich möglichst ungesehen in ihre kleine Wohnung im ersten Stock zu schleichen. Leider knarren einige der alten Treppenstufen, sie muss genau aufpassen, welche sie auslassen muss. Höchstkonzentration nach einem so anstrengendem Arbeitstag ist ihr zuwider, aber allemal besser als der Vermieterin, Frau Zimpel aus dem Erdgeschoss, zu begegnen. Die Alte hat den ganzen Tag nichts weiter zu tun, als das Haus von oben bis unten zu putzen, darin geht sie förmlich auf. Ihr Mann ist ein einfacher Postzusteller gewesen. Nach über fünfzig Jahren Dienst ist er nun in Rente und vertreibt sich seine Zeit ehrenamtlich in der Kirche. Ihm begegnet Nina nur selten, denn er hat immer zu tun. Seine Frau hat wohl auch darunter zu leiden, denn wie Frauen so sind, möchten diese gern erzählen und wenn sie ihren Mann als Zuhörer abschreiben können, konzentriert sich dieses Potential auf die arme Mieterin von oben und das ist derzeit Nina! Heute hat sie eindeutig null Bock auf ein Pläuschchen zwischen Tür und Angel. Sie will schnell in ihre Wohnung und dann aufs Sofa. Fernseher anmachen, eine Tüte Chips und eine Cola aus dem Kühlschrank und dann einfach abschalten, was ihr wahrscheinlich sowieso nicht gelingt. Warum kann heute nicht Samstag sein? Dann würden die Zimpels wieder eine abendliche kirchliche Veranstaltung haben und sie hätte das Haus für sich. Oh, wie wäre das prima. Sie würde die Musik bis zum Anschlag aufdrehen, sich ein oder zwei Bier gönnen und dann leicht beschwipst in der Küche abtanzen. Das würde ihr gut tun. Aber so? Warum ist sie nur in diese Wohnung gezogen. Zwei Zimmer, Küche, Bad, insgesamt 60 Quadratmeter. Der Preis war es. Diese Wohnung war günstiger als ihre alte 1-Zimmerwohnung, Neubau, in Siegen, die sie sich mit Albert, ihrem Ex geteilt hatte. Albert hat zwar seine eigene Bleibe, Hartz IV bezahlt, aber das war weit weg von Nina. Also hausten sie bei ihr. Es war eng, man könnte sich nicht aus dem Wege gehen und Nina konnte nach dem anstrengenden Dienst nicht abschalten. Keine gute Voraussetzung für eine neue Beziehung und so zerbrach diese recht schnell wieder. Sie suchte sich etwas Neues und Albert ging zurück in seine Sozialwohnung. Sie haben weiterhin lockeren Kontakt, aber ein Paar sind sie nicht mehr.
Warum hat sie so viel Pech in ihrem Leben? Sie hat doch stets nur versucht, alles richtig zu machen. Nach ihrer Bankausbildung hat sie ihr Leben im Griff gehabt. Sie wurde übernommen, traf irgendwann die große Liebe namens Oliver und sie heirateten. Nach der Geburt ihrer Tochter Carmen ist sie zu Hause geblieben, um für den Ehemann und die Tochter da zu sein. So ging es vierzehn Jahre lang. Gut? Naja, wie so eine Ehe eben ist. Hat sie zu viel genörgelt? War sie zu viel krank? Hat sie sich zu wenig um Oliver gekümmert? Sie weiß es wirklich nicht. Sie war völlig schockiert, als ihr Oliver mitteilte, dass er sie verlassen wird. Jawohl wird nicht würde. Es war für ihn schon beschlossene Sache, und für sie kam es aus heiterem Himmel. Natürlich hat Oliver abgestritten, dass es eine andere Frau gibt. Aber Nina war nicht so sicher. Warum sollte er sich nach fast zwanzig Jahren von ihr trennen. Ihre Tochter war gerade in der Pubertät und hätte den Vater dringend gebraucht. Aber davon wollte Oliver einfach nichts wissen. „Ich habe zwanzig Jahre unter dir gelitten, jetzt ist meine Zeit für mich angesagt und ich muss zu meinem eigenen Leben finden.“ Ein Satz, den Nina nie vergessen wird, denn damit fing der ganze Schlamassel an, den sie jetzt tagtäglich ausbaden muss. Sie hatte sich ihr Leben wirklich anders vorgestellt, jetzt wo langsam Jahr für Jahr sie auf die 50 zugeht und dachte mit ihrem Mann in eine gemütlichere Zeit einzutreten. Sie beide zu zweit, die Tochter würde bald eigene Wege gehen. Stattdessen sitzt sie jetzt allein in einer Wohnung, in die sie sich hineinschleicht, um der redseligen Vermieterin zu entkommen. Wann war sie zum letzten Mal so auf der Hut vor jemandem? Das muss tatsächlich in der eigenen Jugend gewesen sein, da natürlich in entgegen gesetzter Richtung. Rausschleichen war in ihren jungen Jahren deutlich gefährlicher als Heimkommen. Da waren die Eltern stets glücklich, dass ihr nichts passiert war.
Es ist Wochenende. Karla verbringt die Zeit in Siegburg bei Peter. Sie weiß, dass dieser sehr wenig Zeit für sie aufbringen kann, aber das stört sie nicht weiter. Als seine Partnerin darf sie jederzeit ins Labor und da hat sie genug, mit dem sie sich beschäftigen kann. Sie experimentiert an ihren giftigen Pilzpillen, eine neue Variante, denn es gibt genug Personen, die keine Kapseln schlucken. Den Einen schreckt die Form des „riesigen U-Bootes“ ab, den Andern stört möglicherweise die Farbkombinationen. Pillen, zusammengepresst, klein, hochkonzentriert, die Karla in jede Farbe einfärben kann, das ist ihr neuster Renner. Sie kann diese wie echte Medikamente verpacken lassen, alles in den kleinen Maschinen, in denen so viele andere Medikamente vertrieben werden. So könnte sie ihre Kahlen Kremplingspillen in Blisterverpackungen für Aspirin oder Jodtabletten tarnen. Es würde keiner merken, bis es zu spät ist. Karla ist restlos begeistert von den unbegrenzten Möglichkeiten, die sich ihr bieten.
Am Abend gehört sie dann ganz Peter. Karla hat eine neue Liebe gefunden, eine reifere Beziehung, in der sie sich sehr gut aufgehoben fühlt. Vorerst stört es sie nicht weiter, dass sie die Woche über in Köln wohnt und studiert. Ihr Studium liegt sowieso in den letzten Zügen, dann wird sie weiter sehen. Das Wochenende verbringt sie in Siegburg bei Peter, tagsüber im Labor, nachts in seinem Bett. Es stört sie nicht, dass Peter fünfzehn Jahre älter ist. Er stört sich ebensowenig daran. Es ist, wie es ist. Jetzt zu diesem Zeitpunkt, ist das alles, was sie begehrt und schön findet. Wer weiß schon, was die Zukunft bringt. Solche Gedanken schiebt Karla gerne beiseite, denn oftmals wird man enttäuscht, da findet sie es besser, keine Pläne zu machen, die hinterher nicht
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 12.06.2016
ISBN: 978-3-7396-6009-7
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Covergestaltung: Dotte Norkauer