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Damenwahl

 

Gesa ist vierzehn Jahre alt und besucht die neunte Klasse. Mit Sport hat sie wenig am Hut, aber Musik liebt sie sehr, ganz gleich in welcher Form. Sie lernt seit mehreren Jahren Gitarre und Klavier und bei ihrem Rhythmusgefühl möchte sie am liebsten auch noch Schlagzeug lernen. Aber das lässt die Schule derzeit nicht zu. In der Schule ist Tanzschule ein Gesprächsthema, denn einerseits ist Tanzen toll und keineswegs mit Sport gleichzusetzen, aber Tanzschule? Altmodische Schritte lernen? Wer braucht das heute noch? Die Zeiten sind längst vorbei. Gesa kann sich nicht vorstellen, was ihr das in ihrem zukünftigen Leben bringen sollte. Nie wird sie auf solch eine Veranstaltung gehen, wo diese Art Tanz erforderlich sein wird. Selbst auf Hochzeiten tanzt man heute nicht mehr so. Das weiß sie, denn ihr Onkel hat erst vor eine paar Jahren geheiratet, da war alles ganz normal, auch die Musik. Wenn überhaupt wer getanzt hat, dann nicht mit komischen Schritten wie Walzer und Foxtrott. Andrerseits sind ihre Freundinnen Nina und Merle ganz heiß auf Tanzkurs. Sie erhoffen sich, dort tolle Jungs kennenzulernen. Gesa bezweifelt das. Ein „toller“ Junge macht ganz sicher keinen altmodischen Tanzkurs. Das können nur Idioten sein, die dabei mitmachen.

 

Nach einer Woche intensivster Überredungskunst ist es Nina und Merle doch noch geglückt Gesa für den Tanzkurs mit ins Boot zu holen. Sie drei sind allerbeste Freundinnen, da heißt es stets entweder alle oder keiner. Gesa ist noch immer skeptisch, aber die Freundschaft zu Merle und Nina steht an oberster Stelle, dafür muss sie Opfer bringen. Die permanente Kleiderdiskussion hängt ihr bereits zum Halse heraus. Für sie steht fest, sie wird sich nicht verkleiden wie zum Karneval, schon gar nicht für irgendwelche fremden Jungs. Sie behält ihren natürlichen Stil bei, weite übergroße Klamotten und Turnschuh. Es geht schließlich nicht um Äußerlichkeiten, sondern um die Schrittfolge.

 

Der erste Eindruck ist niederschmetternd. Nicht die Tanzschule selbst, sondern das Publikum. Wie sie es sich gedacht hat, kleine verpickelte Bubis, die von ihren Mamis in Hemd und Pullunder gesteckt wurden. Hose und Schuhe stammen bestimmt von der Konfirmation und passen noch. Wahrscheinlich ist dass der Grund, das sie hier sind. Dann hat die Anschaffung des Konfirmationsanzugs wenigstens Sinn gemacht. Wie gut, dass sie katholisch ist, so hat sie bis heute schon alles wieder vergessen, was ihr in früherer Kindheit widerfahren ist. Besser so. Merle und Nina sehen ebenfalls lächerlich aus in ihren Kleidchen. Merles ist eindeutig zu kurz und Nina hat für ihr Modell einfach zu viele Pfunde auf den Hüften. Alles absurd und lächerlich hier, findet Gesa. Aber nun hängt sie drin und muss das beste draus machen. Es finden sich irgendwie Pärchen zusammen und die erste Schrittfolge wird erklärt. Eigentlich recht einfach, aber vielleicht liegt es auch daran, dass Gesa eine schelle Auffassungsgabe hat. Merle stellt sich durchaus ungeschickt an und Nina hat einfach kein Rhythmusgefühl, bei ihr wird es nie klappen. Das wird Gesa ihrer Freundin aber nicht sagen. Zu viel Ehrlichkeit kann schnell zu leichten Verstimmungen führen, solch ein Risiko ist es nicht wert. So bleibt ihr nur der eigene Tanzpartner, den sie kritisch unter die Lupe nehmen kann. Dazu bedarf es eigentlich keiner Lupe, stellt sie fest. Georg, so hat er sich ihr vorgestellt, geht ihr gerade mal bis zu den Schultern, da hat wohl die Wachstumsphase noch nicht eingesetzt. Er hat glatt zurückgekämmte, mit Gel an den Kopf geklebte Haare und trägt eine schwarze, viel zu große „Interlektuellenbrille“. Die Brille ist bestimmt auf Zuwachs gekauft. Da Gesa selbst auch Brillenträgerin ist, weiß sie, dass es nur alle drei Jahre eine neue Brille gibt. Georgs Modell ist gerade äußerst modern, auch wenn Gesa es hochgradig scheußlich findet. Wenn der Kopf von Georg in den nächsten drei Jahren ebenfalls wächst, könnte das Gestell später mal passen. Aber wer will nach drei Jahren kein neues Gestell? Da hat seine Mutter wohl am falschen Ende gespart! Gesa versucht sich, auf das Eigentliche zu konzentrieren. Keine leichte Aufgabe, denn der „Zwerg“ neben ihr an der Hand ist steif und ungelenkig wie ein kaputte Dachrinne. Damit kennt sie sich aus, denn sie hat dem Vater vor ein paar Tagen geholfen, die Dachrinnen am Haus und Schuppen auszuwechseln. „Steif und hohl“, denkt sie sich. Georg ist hochkonzentriert und muss ständig die Schrittfolge laut vor sich hersagen, damit er die Drehung nicht verpasst. Dabei hört man dass doch, wenn man sich auf die Musik konzentriert, findet Gesa. Aber sie merkt schnell, sie ist nicht der Maßstab aller Dinge, schon gar nicht hier!

 

Pause. Endlich. Merle und Nina sind völlig aufgekratzt und können einfach nicht abschalten, indem sie ruhig sitzen können. Unter dem Tisch arbeiten ihre Füße mächtig weiter, als ob diese Angst hätten, nach der Pause nicht mehr leistungsfähig zu sein. Gesa erträgt es mit Fassung, als sich plötzlich ein großer dunkelhaariger Lockenkopf auf ihren Tisch zubewegt und fragt, ob er sich setzen dürfe. Schnell stellt sich heraus, das Carlos als Gasttänzer diesen Kurs begleitet und einspringt, wenn

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 29.03.2016
ISBN: 978-3-7396-4590-2

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Covergestaltung: Dotte Norkauer

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