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Bis dass der Tod uns scheidet

 

Otto Gärtner und Otto Müllenheim sind nicht nur beste Freunde seit Jahrzehnten, sondern wohnen Haus an Haus und Garten an Garten in einträchtiger Nachbarschaft. Sie duzen sich, nennen sich aber beim Nachnahmen, um Verwechslungen zu vermeiden. Sie kommen in die Jahre, da spricht man schon mal mit sich selbst, um sich an Dinge zu erinnern. Beide leben sie allein. Gärtner ist früh verwitwet, Müllenheim war niemals verheiratet. In jungen Jahren konnte er sich vor Frauen nicht retten. Als sein äußeres Erscheinungsbild die ersten Falten und grauen Haare zierte, nahm die Zahl seiner Freundinnen stetig ab, bis auch die letzte sich verabschiedete. Geblieben ist ihm nur das kleine Siedlungshäuschen, dass er von seinen Eltern vererbt bekommen hat. Hier traf er auf Gärtner, ein echter Freund, der seinem Namen alle Ehre macht. Wie er es jedes Jahr aufs Neue schafft, seine Rosen so prachtvoll zum Blühen zu bringen. Davon ist Müllenheim weit entfernt. Sein Garten gleicht einem Biotop, um es vorsichtig auszudrücken. Die Natur darf sich bei ihm frei entfalten. Er hält nichts von Gift, Bodenverbesserern oder Vertikutieren. Dennoch schafft er es, den Grenzstreifen, der die Grundstücke voneinander trennt, sauber zu halten. Den Grenzzaun haben sie schon vor Jahren abgerissen, hat er doch nur Probleme beim Übersteigen gebracht: Ein Riss in der Hose, mit dem Schnürsenkel im Drahtgeflecht hängen geblieben und ähnlich lästige Alltagsattacken haben das Leben nur unnötig schwer gemacht.

 

Es ist ein sonniger Morgen Ende Mai. Die Eisheiligen sind vorüber, sodass heute die Tomatenpflanzen ins Freie gesetzt werden können. Gärtner vergewissert sich nochmals in der Gartenzeitung, dass die Mondphase die richtige ist und legt los. In einem alten Wäschekorb sammelt er die Tomatenpflanzen aus den verschiedensten Fenstern seines Hauses ein. Genau sechs Pflanzen pro Korb, sonst wird es ihm zu schwer in seinem Alter. Früher hätte er das Doppelte tragen können. Er will nicht klagen, geht es ihm doch sonst recht gut. Auch Müllenheim ist schon auf den Beinen und jätet das Unkraut in seinem Beet. Das macht er ganz bequem mit der langen Harke, denn er hat nur ein paar Kartoffeln gepflanzt. Bei ihm trifft tatsächlich das Sprichwort „die dümmsten Bauern ernten die dicksten Kartoffeln“ zu. Kartoffeln sind pflegeleicht und somit genau das Richtige für Müllenheim.

„Morgen Müllenheim. Schon fleißig bei der Arbeit, wie?“

„Moin, moin. Du weißt doch, der frühe Vogel fängt den Wurm.“

„Ach du ewiger Angeber, mit deinen englischen Sprichwörtern!“

„Schlecht gelaunt, wie?“

„Ach was. Der Korb ist nur so schwer.“

„Sag doch was. Soll ich mit anpacken, Gärtner?“

„Mensch, jetzt bin ich da. Aber danke auch. Es kommen ja noch ein paar Pflanzen.“

„Dreistellig dieses Jahr?“

„Knapp drunter. 94! Ich würde dir ja welche überlassen, aber ...“

„Nee, nee. Bei mir gehen die nur ein. Wir haben es doch oft genug probiert.“

„Wenn du halt etwas mehr Geduld hättest!“

Gärtner setzt seine Kiste ab und holt Spaten und Tomatenstangen aus dem Schuppen. Kurz vor dem Beet bleibt er auf dem Rasen stehen und ruft:

„Müllenheim. Schau mal her. Hier liegt eine Ratte.“

Müllenheim unterbricht sein Tun und geht zu Gärtner hinüber.

„Mensch Gärtner, die liegt ja quer über der Grenze. Wessen Ratte ist das jetzt.“

„Schlimm, so etwas. Ratten, bei uns im Garten! Ob da noch mehr sind? Wo kommen die denn her? Doch nicht etwa von deiner Seite.“

„Du spinnst ja. Wieso sollte die denn?“

„Na, weil bei dir so viel zu holen ist. Du schmeißt ja nichts weg in deinem Garten. Alles bleibt liegen: Apfel!“

„Die Apfel sind doch noch gar nicht reif!“

„Na, dann die vom letzten Jahr.“

„Die sind den Winter über doch verfault!“

„Dann hat die Ratte eben die Kartoffeln geholt, die du übersehen hast. Oder sie frisst sich durch die neue Saat von unten.“

„Jetzt werd mal nicht komisch.“

„Sieh her, wie sie daliegt.“

„Ja, genau in der Mitte. Halb bei mir und halb bei dir.“

„Das meine ich nicht. Du siehst doch, dass sie mit dem Kopfende auf meinen Grundstück liegt. Das heißt sie kommt von dir.“

„Ach Gärtner, was redest du!“

„Natürlich! Ratten lieben den Müll. Dein ganzer Garten besteht aus Müll.“

„Mein Biotop ist kein Müll! Und überhaupt, wer sagt denn, dass die Ratte dort auf der Grenze gestorben ist? Vielleicht hat dein wahnsinniger Kater, der immer in meine Kartoffeln scheisst, die Ratte extra so hingelegt, um von dir abzulenken?“

Die gegenseitigen Vorwürfe zum Todesfall der Ratte, werden immer heftiger. Eine Nachbarin hört beim Fensterputzen auf der gegenüberliegenden Straßenseite heftiges Brüllen, Schreien und unverständliche Beschimpfungen. Ein Streit unter guten Freunden, so etwas kommt vor. Sie will gerade das Fenster

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 12.03.2016
ISBN: 978-3-7396-4277-2

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Covergestaltung Dotte Norkauer

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