Es war ein wunderschönes kleines Haus, ein Fachwerkhaus. Ich habe es damals mit meinem Mann gebaut. Das muss so um 1900 gewesen sein. Wir verwendeten Traubeneiche, da sie besonders witterungsbeständig ist. Die Gefache mauerten wir aus, weil uns das beiden besonders gut gefiel.
Innen hielten wir alles in rustikaler Eiche und in warmen Farben. In diesem kleinen Haus wollten wir eine Familie gründen. Versteckt unter einem Dachbalken ritzte mein Mann „Trautes Heim" ein. Das war zwar etwas kitschig aber dies sollte nun mal das Haus sein, in dem unsere Kinder aufwachsen und in dem wir leben wollten bis wir alt und grau waren.
Leider konnten wir diesen Traum nie verwirklichen, denn es kam alles anders. Alfred war seit 1918 nur noch ein Name auf den Gefallenenlisten des ersten Weltkrieges und ich war fortan auf mich allein gestellt. Ich vermisste ihn sehr, doch das Haus, das er und ich gemeinsam erbaut haben, gab mir Trost, erkannte ich ihn doch in jedem Balken, jedem Fensterrahmen und jedem Türgriff. Ich kam als Näherin gerade so über die Runden und verdiente mir hier und da noch etwas dazu.
Dann kam die große Weltwirtschaftskrise 1929 und ich war froh, dass ich mein Trautes Heim hatte.
Im Zweiten Weltkrieg sah ich mein Haus im Geiste bei jedem Fliegeralarm in Schutt und Asche liegen. Aber ich hatte Glück, denn mein Haus und ich überstanden die unzähligen Bombardements. Wir trugen beide auf unsere Weise eben nur ein paar Narben davon.
Während des Krieges und in den Nachkriegsjahren war es nicht leicht über die Runden zu kommen und ich erinnere mich sehr gut an das quälende Gefühl eines hungrigen Magens.
Dann kam der Wiederaufbau. Später das große Wirtschaftswunder und die Zeiten wurden besser. Ich erlebte viele schöne Jahre in meinem kleinen Fachwerkhaus, bis es schließlich offensichtlich wurde, dass die Zeit auch mich nicht verschonte.
Eines Tages wachte ich auf und merkte, dass ich alt geworden war, zu alt als dass ich mich noch um mein Haus hätte kümmern können. Man sah es ihm auch an, denn es war über die Jahre doch etwas heruntergekommen. Aber ungeachtet dessen war es immernoch mein Zuhause.
Schließlich zogen Fremde bei mir ein, die sich um mein Haus kümmern wollten. Es war ein junges Paar. Sie wollten es restaurieren und hier und dort ein wenig umbauen. Doch ihre Pläne stimmten nicht mit meinen Vorstellungen überein. Es war immernoch mein Haus und ich mochte es so wie es war. Nein, ich liebte es so wie es war. Daher ließ ich sie nicht gewähren. Nicht einen Moment der Ruhe sollten sie haben. Ich konnte eine ganz schön unangenehme Mitbewohnerin sein. Ich schlug gegen die Heizung, das schepperte dann durchs ganze Haus. Ich triezte ihren Hund solange bis er in Raserei verfiel. Schließlich konnten sie es nicht mehr mit mir aushalten und verschwanden.
Dann nicht lange Zeit später zog eine Familie mit zwei Kindern ein. Sie hatten wenig Geld und daher nicht so viele Umbaupläne. Ihre Kinder schrien jedoch den ganzen Tag, knallten die Türen und bemalten die Wände. Ich fand keine Ruhe mehr und musste zusehen, wie sie mein geliebtes Haus langsam aber sicher zugrunderichteten, denn überall lag Krahm und Müll herum. Mir zeriss dabei fast das Herz. Also musste ich ihnen klar machen, dass sie so nicht mit meinem Heim umspringen konnten. Ich verhielt mich ähnlich, wie bei dem bauwütigen Pärchen zuvor. Ich ließ sie nicht schlafen. Die Leute können es gar nicht leiden, wenn man sie nicht schlafen lässt und deswegen funktionierten meine Methoden so gut. Es reichte fast, wenn ich einfach nur da war und auf den Holzdielen im Flur auf und abging. Ich wollte doch einfach nur meinen Frieden.
Über die Jahre versuchten es noch Viele. Sie kamen und gingen. Ich blieb. Mein Haus sah zugegebenermaßen immer schäbiger aus aber es war immer noch mein Haus und ich machte jedem neuen Bewohner deutlich, dass ich niemals gedachte von hier fortzugehen.
Nun stehe ich vor den Trümmern meines trauten Heims. Sie kamen heute um es zu zerstören. Es wollte keiner mehr restaurieren, renovieren oder einziehen, weil sich rumgesprochen hatte, dass ich dieses Haus niemandem überlassen würde und dass ich niemals irgendwem eine Veränderung an diesem Haus gestatten würde. Daher sind sie heute morgen gekommen, um es abzureißen, damit neues Bauland entstehe. Keine Ahnung wer das veranlasst hat. Die Bank, die Gemeinde oder Sonstwer.
Dies war mein Zuhause, mein Werk, meine Heimat, mein Leben. Ich kannte jeden Winkel in diesem Haus, jedes Astloch in den Deckenbalken, jede Delle in dem Holzfußboden, jede Kerbe im Türrahmen.
Ich habe es selbst mitaufgebaut - das ist schon sehr lange her. Habe darin lange Zeit gelebt und war darin gestorben, vor vielen vielen Jahren.
Texte: Jegliche Rechte sind mir vorbehalten
Tag der Veröffentlichung: 10.07.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
"Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte."
Gustav Heineman