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Ein Tag wie jeder andere und doch war sie froh, dass er beinahe vorbei war. Sie war auf dem Weg nach hause und fuhr wie immer mit etwas überhöhter Geschwindigkeit auf der von Wäldern umgebenen Landstraße. Zu dieser nächtlichen Zeit war ohnehin niemand unterwegs außer vereinzelte Irrlichter anderer Wagen auf dem Weg ins Nirgendwo.
Ihre Gedanken waren noch mit den Ereignissen des Tages beschäftigt, der zu Schichtbeginn so lang erschien und doch nun nach Schichtende nur einen gefühlten Wimpernschlag gedauert hatte.
Es war wiedermal ein sehr streßiger Tag im Krankenhaus.
Kollegen wälzten viel Arbeit ab, Patienten waren ungeduldig, Vorgesetzte schlecht gelaunt und die Krönung waren wiedermal die Kinder, die bei ihrem Anblick in Panik ausbrachen und weinten, abgeschreckt von dem weißen Kittel. Dabei mochte sie Kinder.
Oft genug wünschte sie sich, dass eine Familie sie erwarte, wenn sie nach hause käme, doch wenn sie zur Tür hereintrat, begrüßte sie nur die altbekannte Stille.

Als sie um eine Kurve bog, gelangte sie auf eine Strecke, die von hohen Maisfeldern umgeben war. Es wurde außerdem zunehmend nebelig, sodass sich die Sichtweite stark reduzierte. Doch sie drosselte das Tempo nur wenig, da sie schnell an ihr Ziel gelangen wollte. Ihr würden trotzdem nur wenige Stunden schlaf bleiben bevor sie wieder in aller Frühe zur Arbeit musste. Allerdings brachten selbst die ihr in letzter Zeit mehr Erschöpfung als Erhohlung, da sie ständig Alpträume von dunklen Schatten quälten, die sie verfolgten, schließlich einhohlten, umklammerten und fest im Griff hielten. Ihr stellten sich die Nackenhaare auf bei dem Gedanken an diese Träume, die sich einfach viel zu real anfühlten. Diesen Gefühl ständig auf der Flucht zu sein und am Ende doch immer von diesen schrecklichen Schatten gefangen zu werden. Sie hatte keine Ahnung was das bedeuten sollte doch manchmal war sie dadurch so übermüdet, dass ihr Zeitgefühl völlig aus dem Lot geriet. Wenn sie abends auf ihrem Balkon saß und gedankenverloren in die Wolken blickte, erschrak sie, wenn ihr bewusst wurde, dass es bereits dunkel geworden war, die Straßenlaternen schon leuchteten und sie feststellte, dass bereits mehrere Stunden vergangen waren.
Sie ertappte sich auch immer öfter dabei, wie sie am Abend vor ihrer Haustür hielt und gar nicht genau sagen konnte, wie sie nun dorthin gelangt war, da ihre Gedanken, so wie auch jetzt, einfach mit der Fahrt abdrifteten.
Dann schien der Weg einfach so vor ihr dahinzugleiten ohne, dass sie ihm besondere Beachtung schenkte.

Plötzlich war sie hellwach.
Im Nebel sah sie auf einmal einen Fahrradfahrer, der ihr entgegen kam. Er fuhr ohne Licht, weshalb sie ihn erst so spät erkannte und das Lenkrad scharf herumreißen und auf die Bremse treten musste, um ihn nicht zu erwischen. Das Auto kam dabei ein wenig ins Schleudern gelangte schießlich aber zum Stillstand. Der Fahrradfahrer war mit seinem Fahrrad auf den Grasstreifen abgerutscht und rappelte sich gerade wieder auf.
Im Spiegel erkannte sie einen Jungen im Teenageralter.
Nachdem sie den Schrecken überwunden hatte, stieg in ihr die Wut hoch.
„Wieso fährt dieser Idiot so spät bei Nebel ohne Licht in der Gegend herum? Das darf jawohl nicht wahr sein!"
Sie stieg aus und ging energisch auf den Jungen zu, wobei sie ihn anschrie:„Was fällt dir eigentlich ein ohne Licht zu fahren? Bist du bescheuert?"
Er fing ihre Stimmung auf und blaffte zurück:„Was willst du denn? Rast hier lang! Ist doch nicht meine Schuld, wenn du zu blöd bist aufzupassen!"
Während er sein Fahrrad aufhob murmelte er noch ein undeutliches „Weiber" in sich hinein. Doch sie hatte es gehört und es war zuviel.
Sie stand vollkommen neben sich.
Sie ging auf ihn los, packte ihn am Kragen, drückte ihn gegen einen nahestehenden Baum, schlug ihm ins Gesicht, voller Aggression.
Er war viel zu überrumpelt, um sich großartig zur Wehr zu setzen aber hätte es überhaupt etwas genützt?
Wie von Sinnen schlug sie weiter auf ihn ein. Dabei schienen aus ihr Kräfte hervorzubrechen, von denen sie nie etwas geahnt hätte.
Aber waren das überhaupt ihre Kräfte?
Sie fühlte nichts.
Sie fühlte nicht, wie sie diesen Jungen am Kragen hielt, wie sie auf ihn einschlug, ihn noch trat als er bereits reglos am Boden lag. Es war als stünde sie daneben und sah zu wie ein anderer diese grausame Tat vollbrachte. Sie konnte auch gar nichts tun.
Es fehlte jegliche Kontrolle.
Das ganze geschehen raste an ihr vorbei.
Und plötzlich war sie wieder da.
Sie wich ein paar Schritte zurück und blickte völlig verstört auf den Jungen.
Mein Gott, der Junge mochte gerade mal sechtzehn sein.
Was hatte sie getan?
Was war das?
Sie geriet in Panik, stolperte zurück zum Wagen, drehte den Schlüssel um und beschleunigte.
Vollkommen aufgelöst fuhr sie sich fahrig mit der Hand durchs Haar. Sie war doch sonst nie aggressiv oder gewalttätig.
„Was zum Teufel ist mit mir los?"
„Du weißt es." antwortete eine Stimme, die nicht von außen sondern von innen zu kommen schien.
Diese Stimme war in ihr.
Diese Stimme hatte nichts menschliches.
Diese Stimme machte ihr Angst.
„Du weißt, warum mich Kinder spüren. Du weißt, warum du keine Familie oder Freunde hast. Du weißt, was ich in den Stunden tue, die dir eintgleiten. Du weißt, dass ich schon lange in dir wohne."
Sie stieß einen schreienden verzweifelten Klagelaut aus.
„Oh mein Gott! Oh mein Gott, was ist das?"
„Du kennst mich doch Lena! Wir sind doch alte Freunde, nicht wahr?" antwortete die Stimme genüsslich mit einem süffisanten Ton.
„Du hast nicht auf dich aufgepasst... hast mir die Tür geöffnet und mich eingeladen und ich verspreche dir ich bleibe bei dir bis du zur Hölle fährst!"
Als sie in den Spiegel blickte, sah sie zu ihrem Entsetzen, dass es nicht ihre Augen waren, die sie da bösartig anfunkelten.
Es waren schwarze Augen wie nicht von dieser Welt.
Sie verlor die Kontrolle.
Es übernahm die Kontrolle.
Es drängte sie weg.
Sie sah, das es ihre Füße waren, die aufs Gaspedal traten und das es ihre Hände waren, die das Lenkrad herumrissen. Doch es war nicht ihr Lachen, das sie in ihrem Kopf nachhallen hörte. Der Wagen prallte frontal gegen einen Baum. Dann folgte Schwärze, Stille, Nichts.

Sie öffnete die Augen, als sie eine andere warme Stimme hörte.
Sofort fühlte sie nichts als dumpfen Schmerz. Es war als hätte sich ein Schleier über sie gelegt, der sie vom Rest der Welt wegzudrängen schien. Durch diesen Schleier vernahm sie noch die beruhigenden Worte, die ein älterer Mann auf sie einsprach:„Ganz ruhig. Sie hatten einen Autounfall. Der Notarzt kommt gleich." Er musste ganz dich bei ihr sein, denn obwohl sie das Gefühl hatte völlig benebelt zu sein, konnte sie ihn dennoch gedämpft hören.
Von weit weg schlich sich die Erinnerung in ihr Bewusstsein.
„Nein... nicht anfass..." flüsterte sie verzweifelt, doch zu spät.
Der Mann strich ihr beruhigend über den Oberarm und das Letzte, was sie sah, bevor sie in endlose Dunkelheit versank, war, wie sich ein dunkler Schatten in seine Augen schlich...



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Tag der Veröffentlichung: 09.06.2011

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