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1. Die Prinzessin von Castero

Der Wind heulte durch die offenen Burgfenster und wirkte weder einladend, noch gemütlich. Die Wolken hangen tief am Horizont. Es war dunkel und kühl. Dennoch flogen große Adler mit grauem oder braunen Gefieder und gelben Schnäbeln ein und aus. Es war Frühling oder wie adelige Familien sie gerne nannten die unberechenbare Jahreszeit. Man konnte das Wetter nicht vorhersagen. Mal war es sehr warm nur kurze Zeit später wieder kalt und ungemütlich an der frischen Luft.

Hinter dieser besagten Burg von Castero befand sich ein Friedhof, der sowohl all die Opfer der Unterdrückungen von dem bösen König Wylland als auch die von Asimi, sowie berühmten uralten Kriegen zählten. Jedes einzelne Grab war mit einem Kreuz aus Stein verziert worden, sodass die Burg noch viel unheimlicher wirkte. Unheimlich traf jedoch nicht auf die zukünftige Herrscherin dieser Mauern zu. Die Prinzessin von Castero lebte dort mit ihrer Familie, ihren Arbeitern und ihrer Königsgarde. Ihre Eltern regierten zurzeit über das Land, doch bald würde sie auf dem Thron sitzen. Sie selbst fühlte sich nicht bereit dazu, denn sie galt als sehr aufgeweckter Mensch. Ihre blonden, lockigen Haare konnte sie nie königlich kämmen, wie ihre Mutter es ihr immer erklärte. Sie war auch nicht daran interessiert den Hofknicks zu erlernen. Stattdessen lief die Prinzessin mit ihrem hellgrünen, beigen, langen Kleid durch die Burgflure, die mit vielen ausgestopften Tieren ausgestellt waren. Diese seltsamen Exemplare brachte ihr Vater jedes Mal nach einer Jagd mit. Einst hatte sie alle Tiere gezählt und stellte fest, dass der König schon achtzig Mal auf der Jagd war. Er ging oft jagen. Sobald eine neue Jahreszeit begann, sobald ein Fest anstand oder sich hoher Besuch ankündigte.

Die Prinzessin hatte daher nicht viel Aufmerksamkeit von ihrem Vater bekommen. Dafür doppelt so viel von ihrer Mutter. Diese wollte ihre Tochter unbedingt zu einer vernünftigen Königin erziehen, wie es sich für das aktuelle Zeitalter gehörte. Zugegeben, es gelang ihr nicht immer den starken Willen des Mädchens für die Aufgaben einer Königin zu begeistern, doch nicht im Traum würde sie daran denken jetzt aufzugeben. So eilten die Wachen hinter der Prinzessin her, um sie zurück zu ihrer Mutter und ihren Pflichten zu bringen.

,,Prinzessin Akayla, bleiben Sie stehen!", rief eine Wache hinter ihr her.

Natürlich gehorchte sie niemandem und genau das war das Problem, welches ihre Mutter so sehr beschäftigte. Sie spielte mit den Wachen Fangen und war selbst viel geschickter um die Kurven, als die Männer in ihren Rüstungen. Akayla konnte sich nicht erklären wieso Ritter keine Familie gründeten, sondern stattdessen den ganzen Tag lang bei ihnen in der Burg verbrachten und ihr nachrannten.

,,Akayla Olfala, bleibt stehen! Königin Maimee verlangt nach Euch!" Die Wachen waren völlig aus der Puste, als sie in einer leeren Halle ankamen. ,,Eben war sie doch noch hier?"

Die Prinzessin kicherte in sich hinein. Immer an genau dieser Stelle verloren die Wachen sie. An diesem Platz konnte man sich hervorragend verstecken, sofern man nur die richtige Größe hatte. Sie selbst zählte zu den kleineren in der Burg und war in Momenten wie diesen sehr froh darüber. So konnte Akayla durch einen versteckten Tunnel in ihr Gemach kriechen und sobald sie einen Ritter vor der Türe hörte schnell wieder verschwinden. Diese Wettrennen machten sie oft müde, dennoch dachte sie nachts gar nicht ans Schlafen. Stattdessen kletterte die Prinzessin aus ihrem niedriggelegenem Fenster hinaus in die dunkle, sternenklare Nacht.

Das Wetter hielt sie auch an diesem Abend nicht davon ab, wieder heimlich nach Draußen zu schleichen und die Welt zu sehen. In den Mauern der Burg selbst fühlte sie sich abgegrenzt von der Außenwelt und wollte am liebsten in ferne Länder reisen. Alles was sie je gesehen hatte waren die umliegenden Städte. Wie jeden Abend, setzte sie sich auf einen der Felsen nahe der Bergquelle in der Nähe und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Gerne würde sie mit den Dorfleuten reden, aber ihre Eltern verbaten es. ,,Diese Menschen kannst du noch schlechter einschätzen, als den Frühling, Liebes", hatte ihre Mutter stets gesagt. Aus diesem Grund verriet Akayla nicht, dass sie sich nachts außerhalb der Burg aufhielt. Sie traute der Königin eben auch zu, dass sie ihr eigenes Kind einsperren würde, nur um sie dann stundenlang mit Königsnamen und Ländern zuzudecken. Zuletzt hatte sie von Nokard gehört. Akayla fand das Land wirklich am interessantesten, da dort keine Erwachsenen mehr regierten. Außerdem spielte sich dort aktuell mit am meisten ab. Zu gerne wäre sie dabei gewesen, wenn die Brüder aus Isarek ihr Unwesen getrieben hätten. Die anderen Länder hatten bis vor der Zerstörung ebenfalls nur Erwachsene auf den Thronen sitzen, doch nun waren einige von ihnen tot und die Länder unbewohnbar. Akayla hätte nichts dagegen einen neuen König dort unterzubringen, um das Reich wieder aufzubauen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass dort niemand mehr überlebt hat und deswegen kein Adeliger über die Länder herrschen sollte. Oft hatte sie Maimee gesagt, dass es gefährlich werden würde ein Land ohne Herrscher zu lassen oder gar einen Herrscher ohne Volk. Die würden auf schreckliche Ideen kommen. ,,Das tun sie auch mit Volk", versicherte ihre Mutter sie stets.

Über all das dachte Akayla also nach, während sich die Sterne im Teich spiegelten, der Wind durch ihr langes, blondes Haar wehte und sie die Knie bis unter das Kinn zog. Lange Zeit passierte nichts Besonderes. In dieser Nacht jedoch wurde die Prinzessin auf ein lautes Pfeifen aufmerksam. Neugierig sprang sie auf, rutschte vom Felsen und eilte mit ihren Stiefeln über das üppige Gras und das Laub in Richtung Hafen. Dort wusste sie, legen alle möglichen Handelsschiffe an, die Ware von weit her brachten. Nicht nur Stoffe, sondern auch Nahrungsmittel, wie Äpfel und Birnen wurden gebracht und diese wuchsen nicht überall.

Oft hatte sie mit dem Gedanken gespielt auf eines davon drauf zu springen und von hier zu verschwinden, jedoch wusste sie nicht wohin die Schiffe fuhren. Besonders das Schiff, welches gerade anlegte kam ungewöhnlich spät an. Normalerweise kam nie eines um Mitternacht. Akayla sprang die Stufen zum großen Holzsteg hinab und versteckte sich hinter aufgestapelten Kisten der Fischer. Die Prinzessin sah das schwankende Gefährt in den tosenden Wellen auf und ab wippen. Mit funkelnden, grünen Augen beobachtete sie das Schauspiel, welches sich ihr nun bot. Mehrere Männer und auch zwei Frauen, sehr merkwürdig gekleidet, sprangen mit gebogenen Schwertern von Bord. Sie trugen schwarze Stiefel, die ihnen fast bis zu den Knien reichten, aufwendige Lederjacken und farbige Hemden. Die Personen trugen zudem lange, goldene oder auch silberne Ketten um die Hälse und den ein oder anderen großen Hut auf dem Kopf. Nie zuvor hatte Akayla solche Menschen gesehen. Als die Prinzessin ein wenig mehr sehen wollte, erkannte sie den Mast des Schiffes, an dem sich eine Flagge befand. Darauf erkannte sie jedoch nicht irgendeines der vielen Familienwappen der Adeligen, sondern zwei gekreuzte Säbel und den Buchstaben "F" und "M". Irgendetwas musste sie doch aus den Stunden mit ihrer Mutter behalten haben. Einen Moment lang zweifelte sie an sich, doch dann viel es ihr wieder ein. ,,Floghlai Mara", flüsterte Akayla stolz, dass sie es erraten hatte. Dieser verflog allerdings so schnell, wie er gekommen war. Es waren keine Händler, es waren die selbsternannten Piraten...

2. Säbelzüge zur Geisterstunde

Die Prinzessin sah in dem matten Licht der Laternen, welches das gigantische Schiff aus Holz in den tosenden Wellen auf und ab schaukelte. Ab und an drohte es umzukippen, doch den Besitzern schien dies gar nicht aufzufallen. Diese waren dabei mit hastigen Schritten auf die Fischer zuzugehen, die zu dieser Stunde oft guten Fang machten und alles für die Abreise vorbereiteten.

,,Hey, was wollt ihr hier?!", fauchte einer der Fischer, den Akayla als Osin kannte. Er war alt und verbittert, trug sein weißes Haar fast als Glatze und hatte einen Stoppelbart. Ihm wollte die Prinzessin nie gerne über den Weg laufen, wenn sie nachts heimlich den Hafen besuchte.

Einer der Piraten, welcher eine dunkelbraune Jacke und ein rötliches Hemd trug, rutschte von einem der Seile, welches die Segel an dem Schiffrumpf befestigten. Anschließend landete dieser elegant auf eine Hand gestützt, schräg auf dem vorderen Teil des Schiffes, die andere Hand befand sich noch immer am Seil. Er hatte längeres blondes Haar, welches über einem grünen Stirnband heraussah. Der Mann vollführte einen weiteren Sprung und landete mit einem Salto vor den Füßen des Fischers. ,,Was wir wollen ist doch völlig unwichtig."

Die anderen Piraten lachten spöttisch.

,,Spart Euch die Ironie, wer auch immer Ihr seid", knurrte Osin, während er seine Schürze auszog und auf den Steg warf. Diese landete direkt vor den schwarzen Stiefeln des Piraten.

,,Unfreundlich, wie ich sehe. So empfängt man seine Gäste aber nicht." Er hob die Schürze auf, ohne Osin aus den Augen zu lassen. ,,Wo ist die Königin oder der König dieses Landes? Wir müssen, wie sagt man...Audienz erbitten", setzte er fort.

,,Audienz um diese Uhrzeit? Ihr habt vielleicht Nerven." Der Fischer brach in Gelächter aus, welches weitere Arbeiter des Hafens anlockte. Diese versammelten sich in einem sicheren Abstand zu den Piraten.

Der Pirat zog sein Säbel und hielt es Osin direkt vor den Oberkörper. ,,Das war kein Witz. Sagt Eurer Königin, dass ich augenblicklich vorbeischauen will..."

Der Fischer bekam es mit der Angst zu tun. ,,Von mir aus...Wie ist der Name?", brummte er.

,,Captain Delkorta, der einzigwahre Anführer der Floghlai Mara", verkündete er stolz und plusterte sich auf.

Akayla wusste nicht, ob es ein gutes Zeichen war, dass die Piraten nach Castero gekommen sind. Meist stellte sie sich vor, dass Piraten keine freundlichen Artgenossen waren und die Menschen ausraubten. So hatte sie es ihrer Mutter immer gesagt. Diese jedoch nannte diese Sorte Menschen immer freies Volk oder niedere Streitmacht. Gerade in dieser Sekunde hatte die Prinzessin wieder neue Vorstellungen davon, wie diese Horde in der Burg einmarschierte und ihre Mutter ihr immer noch nicht glaubte. Sie zog sich hinter die Kiste zurück und verdrehte die Augen. Irgendwie musste sie nun in ihr Zimmer zurück, bevor diese Piraten bei ihren Eltern um Audienz baten. Leicht musste sie lachen, da der Captain offenbar die adelige Sprache nicht gewohnt war. Schnell zog sie sich in die Schatten zurück, da der Fischer mitsamt ungeladenen Gästen an ihr vorbeikam.

,,Dieser Taugenichts wird uns bestimmt nicht zu seinen Herrschern bringen", flüsterte einer der Piraten, der sich noch nicht vorgestellt hatte. Er trug beinahe dasselbe, wie Captain Delkorta, nur in deutlich dunkleren Farbtönen.

,,Wenn der uns für dumm verkaufen will, weiß er doch, was ihm blüht", beruhigte ihn ein zweiter Pirat fies grinsend.

Akayla wartete einen Moment ab, dann sprintete sie den Weg zurück zur Burg den sie gekommen war. Nur an einer Stelle nahm sie eine andere Abzweigung, um der Meute nicht in die Arme zu laufen. Dieser Weg besaß jedoch deutlich mehr Gestrüpp, weshalb Akayla mit erhobenen Armen vor dem Gesicht laufen musste, um nicht andauernd einen Ast in die Augen zu bekommen.

 

 

Auf der Burgmauer stand inzwischen eine Wache mit hellgrüner Mütze und silberner Kleidung. In einer Hand hielt der junge Mann ein Horn, um vor Feinden zu warnen. Seit gut einem Jahr war es nicht mehr zum Einsatz gekommen. Er war einer der schreckhaftesten Wachen der Burg, daher wurde er gewöhnlich nie in den Nachtdienst eingesetzt. An diesem Abend jedoch wurde er eingesetzt, daher hockte er ängstlich hinter den oberen Burgzinnen versteckt und hoffte, dass es ruhig bleiben würde. Doch wie erwartet kam es anders. Dayne zuckte zusammen, als er viele Stimmen vernahm. Er war einer der wenigen Menschen die an Geister glaubten. All das, weil sein Cousin ihm als Kind einen gehörigen Streich spielte. Doch seitdem war er wachsamer und vorsichtiger. Dayne lugte in die Dunkelheit, um Geister definitiv auszuschließen. An Stelle von schwebenden, leuchtenden Gespenstern sah er eine große Gruppe, die sich direkt auf die Burg zubewegte. Die Ankömmlinge sahen ihm nicht vertraut aus, weshalb er sofort das Horn blies und damit den König und dessen Frau aus dem Schlaf riss.

 

 

,,Dayne, was hat diese späte Störung zu bedeuten? Solltest du nicht ausschließlich bei Notfällen dieses Ding benutzen?!", donnerte der König, als er unsanft aus dem Schlaf gerissen wurde. Akaylas Vater trampelte die Burgflure im Bademantel entlang nach unten zur Holzbrücke.

Dayne hatte die Brücke hinuntergelassen und deutete in Richtung der Ankömmlinge. ,,Es ist ein Notfall! Dort, Fremde, Majestät!"

,,Du raubst mir noch den letzten Nerv, Junge", knurrte der König und blickte in die Dunkelheit.

,,Euer Hoheit, ich bin es, Osin. Diese Gäste hier haben um Audienz gebeten."

,,Um diese Uhrzeit?! Es ist nach Mitternacht!"

Captain Delkorta trat vor und verneigte sich grinsend. ,,Ist uns bewusst. Wir haben ein wichtiges Anliegen, welches Euch sicher den Schlaf nicht wert sein dürfte." Er fuchtelte mit seinem Säbel vor den Augen des Ehepaares herum.

,,Was wollt ihr denn?", fragte Maimee nun.

,,Verhandeln natürlich. Euer Gold und alle Schätze dieses Landes, gegen euer Leben. Klingt das nicht fabelhaft?" Delkorta streckte begeistert beide Arme von sich.

,,Das ist ein Scherz!", knurrte der König.

,,Die machen keine Scherze, Majestät", merkte Osin mit einem abwertenden Blick zu den merkwürdig gekleideten Menschen an.

,,Der Alte spricht die Wahrheit. Alles was wir wollen sind eure Schätze. Ist nicht viel verlangt Leute, oder?"

Die Piraten schüttelten finster lachend die Köpfe.

,,Na also!"

,,Ich denke gar nicht daran, Leuten wie euch mein Gold zu geben!"

,,Liebling, es ist nicht gut, wenn du dich nach der Jagd so aufregst", erinnerte ihn seine Frau.

,,Unfug! Ich weiß selbst, wann ich mich aufregen kann und wann nicht." Siaac verschränkte die Arme.

,,Alter Mann, Ihr sprecht zu viel. Lasst uns lieber etwas von den Schätzen sehen, die Ihr im Keller versteckt", erinnerte der Captain.

Wutentbrannt stürmte Siaac auf den Piraten zu und fuchtelte dabei wild mit den Armen herum. ,,Wie oft soll ich mich noch wiederholen?! Verschwindet ein für alle Mal aus meinem Land!"

Der Pirat tänzelte lachend dem König aus dem Weg. ,,Ihr habt vielleicht einen sturen Kopf. Genau das haben wir uns schon beinahe gedacht. Ha und Zielwasser habt Ihr wohl auch nicht getrunken." Er fächerte sich mit einer Hand die Luft ins Gesicht. ,,Ich tippe eher auf Weißwein?"

,,VERSCHWINDET! Wachen!", brüllte Siaac.

Aus dem Burgtor strömten bewaffnete Ritter in nahezu hellgrauen Rüstungen und dem Familienwappen der Olfalas darauf.

,,Majestät, Ihr habt gerufen?"

,,Schafft mir diese Narren vom Hals, damit ich endlich wieder in Ruhe schlafen kann."

Die Ritter gingen mit nach vorne gerichteten Schwertern auf die Piraten zu. Anstatt zu fliehen, schwangen sie ihre Säbel, welche im Mondlicht aufblitzten.

,,Angriff!", rief Delkorta ihnen zu.

Die wütenden Piraten stürmten auf die Ritter zu, die ihnen ohnehin schon entgegenkamen. Auf halber Strecke blieben sie stehen, um zu kämpfen. Schwertklingen trafen auf die der Säbelklingen und erfüllten die Dunkelheit mit lautem Klirren. Einer der Wachen traf den Captain mit dem Schwert beinahe am Fußknöchel. Delkorta stürzte, streckte die Beine vor sich, drehte beide in Richtung links und seinen ganzen Körper mit. Auf diese Weise gelang es ihm auf die Knie zu kommen und den Kampf wieder aufzunehmen. Er wich dem Schwert eines Ritters aus, holte mit seinem weit aus und schwang es im Halbkreis vor sich. ,,Na Blechmann, jetzt hilft dir eine Rüstung auch nichts mehr", sagte er lachend. Dieser wurde von den Füßen gerissen, landete auf der Erde und wurde sogleich von dem Captain geschlagen. ,,Kleiner, gut gemeinter Rat am Rande: leg dich niemals mit uns an", knurrte der Pirat und setzte für den Finalen Säbelhieb an.

,,Wir verlieren, Liebling. Du kannst deine Wachen nicht gegen diese Leute kämpfen lassen", mahnte Maimee ihren Mann.

,,Die schaffen das schon. Sie sind alle durch ein intensives Training gegangen."

Die Königin beobachtete unruhig das Schlachtfeld, welches sich vor ihnen entwickelte. Einer der Piraten erledigte gerade einen anderen Ritter. ,,Die können super gut kämpfen. Dagegen sehen unsere Wachen sogar schlecht aus."

,,Ich hoffe du hast gerade nicht wirklich unsere Feinde gelobt. Allerdings sehe ich was du meinst." Der König trat zwischen die Kämpfenden und winkte mit beiden Armen. ,,Aufhören, sofort! Das ist ja nicht zum Aushalten!"

,,Ihr habt Glück, dass wir wiederkommen werden und euch nicht heute schon alle dem Erdboden gleich machen", merkte Delkorta fies lachend an. ,,Kommt Männer, ich denke die beiden und der Trottel oben auf der Burgmauer hier haben verstanden, dass sie sich unser Angebot durch den Kopf gehen lassen sollten." Er winkte seine Leute zurück und folgte ihnen nach einem eindringlichen Blick zu Siaac hinüber.

3. Verachtung und Angst

 ,,Vielen Dank, ohne euch wären wir hier wirklich verhungert." Amarla nahm dankend einen Korb gefüllt mit Brot und anderem Gebäck entgegen.

,,Dafür nicht", erwiderte Anemro.

,,Die Reise muss euch Tage gekostet haben."

,,Das hat sie...Sag, wie geht es den anderen?"

Davids Ehefrau sah bedrückt auf den Essenskorb. ,,Nicht so gut. Es geht weniger um das Essen, als darum, dass unsere Königin ohne uns aufgebrochen ist und wir nichts mehr von ihr hören."

,,Hungrige Menschen sagen oft Dinge, die sie nicht so meinen. Lasst uns das Essen verteilen", orderte er den Indianern an.

,,Wenn du meinst", murmelte Amarla und trug den Korb in die Küche zu Panna.

Kaum war diese verschwunden, trat ein ihm bekannter Dorfbewohner auf ihn zu.

,,David, wie schön dich gesund und munter zu sehen. Das Dorf und die Indianer werden nicht mehr hungern müssen." Anemro unterbrach sich selbst. ,,Was machst du für ein Gesicht?"

,,Ich bin wütend, Anemro. Sehr sogar."

,,Das verstehe ich, daher iss schnell etwas, du siehst dünner aus."

,,Hör mir auf mit dem Essen!" Mit einem Mal hatte der Dorfbewohner die ganze Aufmerksamkeit der anwesenden Leute auf sich gezogen.

,,Gut, du bist sauer, weil Lydia unterwegs ist...Ihr geht es aber gut, macht euch keine Sorgen. Ich bin ihr auf dem Weg nach Logarda begegnet."

Der blondhaarige Dorfbewohner verschränkte die Arme. ,,Das ist auch nicht der Punkt. Viele von uns haben einige Stunden mit der Suche nach Landkarten verbracht bis zur letzten Sekunde des Tages. Dann haben wir sie endlich und dann sind alle ausgeflogen!"

,,Oh, die Karten sind aufgetaucht..."

,,Genau die Reaktion für eine Sache, die total unwichtig ist", knurrte David.

,,Ich verstehe deine Wut, ehrlich", meinte Anemro.

,,Nein, tust du nicht. Niemand versteht das." Damit wandte er sich ab und begab sich auf den Weg in den Speisesaal.

Anemro seufzte. ,,Da ist jemand mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden."

,,Das glaube ich ja weniger." Cherokee hatte sich den Ankömmlingen genähert.

Der Berater wurde hellhörig. ,,Warum, wenn ich fragen darf?"

,,Dürft Ihr. Zoera ist verstorben...auch eine unserer Älteren aus dem Stamm und zwei weitere Dorfbewohner von Nokard. Bei den restlichen sah es kritisch aus, da kein Essen mehr da war."

Anemros Blick war wie versteinert. ,,Das ist doch nicht..."

Cherokee nickte stumm. ,,Choca Bow wird wieder, wenn er sofort etwas isst. Um ihn hab ich mir sehr viele Sorgen gemacht. Er saß einfach nur auf einer Stelle und spielte mit seinem Holzpferd. Immer starrte er ins Leere und flüsterte dabei etwas vor sich hin."

,,Verzeiht mir, wenn ich nicht alle Namen kenne...Ein Kind des Stammes?", hakte er nach.

,,Ja. Er ist der Sohn von Auge des Adlers. Ein liebenswertes und aufgewecktes Kind." Diesmal seufzte sie. ,,Ich habe das Gefühl, dass sich hier etwas verändert hat, seitdem unser Häuptling und die Königin weg sind."

,,Und was wäre das?"

,,Die Stimmung, Anemro. Die reicht schon aus, um Menschen fürchterliche Dinge tun zu lassen." Sie neigte den Kopf nach rechts, erkannte einen aus ihrem Stamm und nickte ihm zu. ,,Ich sollte dann wohl auch mal helfen. Entschuldigt mich."

Noch immer fassungslos stand Vasilias Berater auf der Stelle. Was um alles in der Welt sollte er jetzt nur tun?

 

 

Schneller Falke war es, der Anemro aus seinen Gedanken riss, als er versehentlich mit ihm zusammenstieß.

,,Entschuldigung."

Der Berater blinzelte einige Male und setzte ein freundliches Lächeln auf. ,,Kein Problem."

Der Indianer stellte den gefüllten Korb vor seinen Füßen ab und warf Anemro einen skeptischen Blick zu. ,,Ist was passiert?"

,,Kann man wohl sagen", setzte er an. ,,Wenn wir ganz viel Pech haben, gibt es auch hier bald keinen Frieden mehr."

Erstaunt blickte Schneller Falke dem Berater nach, welcher sich auf die Treppe setzte und das Gesicht in die Hände legte.

,,Es ist wahr! Ihr seid zurück!", rief eine Stimme in Anemros Gedanken. So hatte er sich die Ankunft hier ganz und gar nicht vorgestellt. Was erwartete er auch als ein Berater eines fremden Königs. Wenn er jetzt jedoch nicht handelte, würde Königin Lydia von ihrem ganzen Dorf verabscheut werden. Auch Valkan würde dabei schlechte Karten ziehen, obwohl der Layandra Stamm wohl ruhiger bei der Sache war alleine zu sein, als die Dorfbewohner. Anemro erhob sich, strich seinen braunen Wollumhang glatt und versuchte sein Glück in der Küche, welche nicht weit von dem Speisesaal war. Hier konnte man ihn gut hören, sollte es zu einer Auseinandersetzung kommen.

Die Küche war ein einziges Chaos. Töpfe und leere Körbe lagen verstreut auf dem Boden und der Arbeitsfläche. Mitten in diesem Chaos liefen die Arbeiter hin und her, um die Lebensmittel in Empfang zu nehmen. Alle wirkten sie konzentriert auf ihr Handeln und bemerkten Anemro gar nicht. Von einem jedoch wollte er bemerkt werden.

,,David, ich muss mit dir sprechen."

Der blondhaarige Mann schenkte dem Berater kaum Aufmerksamkeit. ,,Es ist alles gesagt."

Anemro zog ihn an der Schulter zurück. ,,Bitte."

,,Also gut, aber du vergeudest meine wertlose Zeit." David sah ihm nicht eine Sekunde in die Augen.

,,Ich weiß jetzt, weshalb es dir so schlecht geht."

,,Ich brauche kein Mitleid von einem Berater." Er wollte gerade gehen, da hielt ihn Anemro zurück.

,,Du sagtest, dass du mir zuhörst! Ich werde dir kein Mitleid geben, wenn du es nicht brauchst. Zoera ist es, die es braucht."

Einen Moment sagte keiner der beiden etwas.

Anemro wusste, dass er damit einen wunden Punkt getroffen hatte. ,,Du machst die Königin dafür verantwortlich, nicht wahr?"

,,Natürlich! Sie verschwindet und lässt uns in der schlimmsten Stunde alleine hier."

,,Lydia ist nur weg, um euch Nahrungsmittel besorgen zu können und dem Spuk von Imigri ein Ende zu setzen! David...Du bist blind vor Zorn! Denk doch mal daran zurück was die Königin für euch getan hat und wie sehr ihr sie verehrt habt", setzte er fort.

,,Wäre sie hiergeblieben..."

,,Wärt ihr jetzt alle tot", erwiderte Anemro leicht zornig, versuchte aber die Ruhe zu bewahren. ,,Dann hättet ihr noch immer nichts zu essen."

,,Gebracht habt es aber Ihr und die Indianer", erinnerte David. ,,Diese Ungewissheit nicht zu wissen was als nächstes passiert macht nicht nur mich wahnsinnig. Unter uns, ich sehe es diesem Choca Bow an, dass er verrückt wird."

,,Er ist noch ein Kind. Die Königin ist nach Castero aufgebrochen, um Piraten vor ihrem Vorhaben abzubringen, das Land anzugreifen."

,,Castero?! Wie lange will sie uns alleine lassen?!" Der Dorfbewohner ballte die Fäuste. ,,Jetzt haben wir Essen, also braucht man sich um uns keine Sorgen mehr machen oder wie dachte sich die Königin das?!"

,,Das ist nicht wahr! Lydia kämpft für euch und geht den Pflichten als Königin nach..."

,,Eines frage ich mich gerade wirklich, Anemro. Wessen Berater seid Ihr eigentlich?"

,,Ich bitte dich, was hat das denn mit der Königin und den Tatsachen zu tun, was sie für euch macht?", widersprach der Berater.

,,Vasilias würde Euch zum Mond wünschen, wenn Ihr weiter so sprecht."

,,Eure Hoheit herrscht über Logarda, nicht über Nokard. Nur aus diesem Grund lobe ich ihn gerade nicht. Obwohl, er auch viel für euch getan hat." Er räusperte sich. ,,Worauf willst du eigentlich hinaus? Verachtet ihr nun alle die Königin oder gar mich?"

,,Ich habe mein Kind verloren, Anemro. Versteht Ihr diese Worte?!"

Anemro nickte.

,,Lydia wird ihres gesund und munter zur Welt bringen und ihm wird nichts etwas anhaben können, da es von Rittern geschützt wird. Wir sind nur Dorfleute, die keinen Schutz haben. Imigri und Quirin sind zwar nicht wieder aufgetaucht, aber sie haben Kandra getötet, warum nicht noch mehr von den anderen? Jeden Tag haben wir Angst davor. Selbst dann, wenn sie wieder zuschlagen, werden wir nicht von unserer Königin gehört. Selbst dann sind wir alleine..."

4. Floghlai Mara

 Langsam schwappten die Wellen am Bug und am Rumpf der Schiffe im Mondlicht des Meeres. An Bord des vordersten Schiffes befand sich Captain Delkorta selbst und seine wichtigste Crew, bestehend aus zehn Mitgliedern. Diese saßen auf Stühlen, die ihre beste Zeit hinter sich hatten um einen großen runden Tisch herum, welcher in den Boden verarbeitet war. An den Tischbeinen prangten Seeungeheuer, wie sie nur in den Märchenschriften zu finden waren. Über ihnen an der Decke wippte eine Öllampe im Takt des Seeganges.

Captain Delkorta knallte seine Stiefel geräuschvoll auf den Tisch und ließ einige Becher bedrohlich wanken. ,,Diese Könige denken alle sie seien etwas Besseres. Angefangen bei Asimi und Imigri." Beide Namen sprach er mit viel Hass aus.

,,Recht habt Ihr, Captain", antwortete jemand rechts neben ihm.

,,Laioh, reich mir mal das Bier, anstatt mir zuzustimmen. Du klingst wie einer dieser Diener, die alles bejahen müssen", murrte der Pirat. ,,Ich hoffe nur, dass die Skilyra Brüder endlich geschlagen wurden."

,,Wir bekommen doch aber das Gold von denen...", setzte Laioh an.

,,Ha! Das ich nicht lache. Wir bekommen gerade so viel, wie dieser Quirin in der Birne hat." Delkorta nahm einen großen Schluck Bier aus dem goldenen Becher, den sie einst bei einem Überfall erbeutet hatten.

,,Aber Captain dieser Quirin ist nicht so, wie alle denken."

,,Was denken denn viele, Vector?", hakte Delkorta nach.

,,Das Quirin falsch ist."

,,Alle sind sie falsch, alle. Verstehst du?!" Captain Delkorta verschluckte sich beinahe. ,,Das ist genau der Grund, weshalb wir keinem König zu Füßen liegen." Er stand auf. ,,Wir sind unsere eigenen Könige!"

Zustimmend erhoben die Piraten ihre mit Bier und Wein gefüllten Becher.

,,Zum Wohl!", stieß Vector grinsend hervor.

Laioh schlürfte seinen Becher leer, stellte diesen auf den Tisch vor sich und rutschte bis auf die vorderste Kante seines Stuhls. ,,Was machen wir, wenn die wirklich nicht ihr Gold rausrücken, Captain?"

,,Asimi und sein Bruder haben uns schon viele Tote Könige voraus. Am liebsten würde ich die hier auch gleich auslöschen", murrte Vector.

,,Keinen Mord! Die Könige von Isarek werden bald kommen und uns den abnehmen, sobald sie in Nokard fertig sind."

,,Wir haben uns dieses Mal bereits vorher gezeigt, was wir vorher auch nicht gemacht haben. Nun können wir den Säbel selbst in die Hand nehmen."

Delkorta musterte Vector eingehend. Mit dem orangenen, verdreckten Stirnband, aus welchem ihm die dunkelbraunen Haare zu allen Seiten abstanden und dem leicht betrunkenen Blick, wirkte er nicht besonders ernst zu nehmen. ,,Wir bringen keinen von denen um, verstanden?!"

,,Eigene Könige sollen wir dann sein?", lallte Laioh, der inzwischen sein viertes Bier in sich gekippt hatte.

,,Es reicht doch, denen ein bisschen Angst zu machen...Schnappen wir uns irgendwen, der ihnen wichtig ist."

,,Du denkst, dass diesem Troll Siaac seine Frau so viel bedeutet, wie ihr der Mann?" Der Captain lachte. ,,Glaube kaum, dass die beiden eine so tolle Ehe führen. Selbst wenn du diesen Taugenichts von den Burgmauern holst, rücken die das Gold nicht raus. Nein, wir müssen anders vorgehen."

,,Haben die Kinder?"

,,Vector das...Das ist keine so schlechte Idee", bemerkte Delkorta. ,,Kinder von Königen sind immer etwas Besonderes. Eine besondere Geldquelle für uns."

,,Vielleicht mögen sie ihre Kinder nicht", merkte Laioh an und stieß versehentlich einen Becher um.

,,Natürlich mögen die ihre Kinder, wenn sie welche haben." Vector schlug mit einer Faust auf den Tisch. ,,Also schnappen wir uns die Königsbrut und warten ab, bis sie uns das Gold geben?"

,,Machen wir es so!", rief der Captain und ließ sich zurück in den Stuhl fallen.

 

 

Der Plan stand fest, Delkorta hatte also eine Sorge weniger in dieser Nacht. Dennoch schlief er in seiner Kajüte erst nach Stunden ein. Oft schlich er sich deswegen an Deck des Schiffes herum, sah in die Ferne oder auf das freie Meer. Er selbst verband sich mit dem Wasser, denn er war frei und unberechenbar. Die neununddreißig Schiffe, die neben und hinter ihrem vordersten schwammen, wirkten wie ein Schutzschild. Delkorta konnte sich nicht vorstellen sein altes Leben zurück haben zu wollen, jetzt wo er so viel aufgebaut hatte. All diese Piraten vertrauten auf ihn und seine Worte, sonst hätten sie ihn nicht zum Captain ernannt. Mit einem leichten Lächeln erinnerte er sich gerne daran zurück, wie sie ihm damals das Schiff präsentierten und ihm dann ein anerkennend rotes Tuch gaben, als Zeichen dafür, dass er ihr Anführer war. Es war eine lange Feier gewesen. Nichts hätte diesen Abend zerstören können. Doch mit jedem Gewinn trug Delkorta auch einige Verluste. Diese wollte er der Vergangenheit angehören lassen, allerdings gelang ihm dies nicht immer. So lag er oft nachts wach, während alle schliefen und sich Träume von großen Schätzen ausmalten. Zu dieser Sorte Piraten gehörte er nicht. Nicht immer.

 

 

Der nächste Morgen kam schneller als erwartet. Die Piraten waren an Deck versammelt und besprachen das weitere Vorgehen.

,,Captain, wir haben alles vorbereitet."

,,Sehr schön, Laioh. Wieder normal im Kopf?"

,,Pff. Normal gibt es gar nicht", winkte der Pirat lachend ab und rieb sich die Nase. Die frische Seeluft schlug leicht auf seine Gesundheit, aber das störte ihn nicht. Er war derjenige der das meiste Bier trank, egal wie gut es ihm ging.

Der Captain kletterte am Rande des Schiffes auf eine der Holzkanten und hielt sich an einem der Seile fest. ,,Alle Mann, wenden!", rief Delkorta, während er sich zur Seite hängen ließ.

,,Ay, ay!", bekam er als Antwort.

Die Steuermänner rissen die Ruder herum und nahmen erneuten Kurs auf Castero auf.

,,Sind wir nicht etwas auffällig, Captain?"

Delkorta blinzelte den Pirat schräg unter sich an. ,,Das ist gut so, Torm. Dann haben wir alles richtig gemacht." Wieder blickte er geradeaus auf das tobende Meer, während der salzige Fahrtwind ihm durch das blonde Haar wehte.

,,Captain, der Seegang wird immer stärker!", schrie Vector von dem Ausguckmast ganz oben zu ihnen herab.

Delkorta wurde unruhig. ,,Unwetter habe ich für heute nicht kommen sehen." Er sprang vom Rande des Schiffes auf den Holzboden und ging auf den Steuermann zu.

,,Das Steuerrad will nicht mehr, wie ich es will. Irgendetwas stimmt nicht."

,,Geh mir aus dem Weg." Unsanft stieß der Captain den Steuermann weg und übernahm selbst das Rad. Das Schiff machte plötzlich einen großen Schwung nach links, sodass die Piraten rechts hinübergeschleudert wurden.

,,Was bei allen Seeungeheuern...", fluchte Delkorta. Er riss das Steuerrad nach rechts, um das Schiff wieder gerade zu bekommen. Kaum war das Rad ganz weit rechts, schwang das Holzschiff nach rechts.

Die Piraten von rechts, wurden nun nach links geschleudert.

Der sonst so schwindelfreie Vector auf dem Mast, bekam es langsam mit der Angst zu tun. ,,Captain! Ich möchte hier nicht runterfallen!"

,,Still! Ich konzentriere mich!"

Eine große Welle ließ das Schiff bedrohlich weit nach oben steigen. Delkorta stolperte und hielt nur noch mit einer Hand das Steuerrad fest. ,,Verflucht!" Wankend stellte er sich wieder auf die Beine. ,,Vector, was siehst du da oben?!", rief er über die tosenden Wellen.

,,Mir ist übel!"

,,Das ist mir egal! Was siehst du?!"

Das Schiff sank wieder auf eine angenehme Höhe hinab, dafür begann es wieder nach links und rechts zu schaukeln.

,,Wir fallen gleich raus!"

,,Klappe, Torm!", fauchte Delkorta. ,,Noch keine Welle hat es geschafft mich vom Steuerrad zu reißen!"

,,Sie vielleicht nicht, aber was ist mit den anderen Schiffen?!"

,,Die haben gute Steuermänner. Da könntest du dir eine Scheibe von abschneiden, Sirdos! Mit dir am Steuer gehen wir alle drauf!"

,,Was wollt Ihr damit andeuten?!", knurrte Sirdos, während er rutschte.

,,Genau das!"

Eine gigantische Welle türmte sich rechts neben den Piratenschiffen auf.

,,Äh, Captain...", stammelte Sirdos.

,,Was?! Ich konzentriere...Totenschädel!" Er riss das Steuerrad blitzschnell nach links.

,,Delkorta, wir prallen gleich mit dem Schiff von MacTire zusammen!"

,,Dann ruf den anderen zu, dass sie ihren Hintern da weg bewegen sollen!", gab er hektisch zur Antwort. ,,Laioh, rauf mit dir auf den Ausguck! Vector ist echt zu nichts zu gebrauchen..."

Der Pirat befolgte die Anweisung und kletterte den Mast hinauf.

,,Halt dich fest!", wimmerte Vector von oben.

,,Komisch, da wäre ich gar nicht drauf gekommen!" Mit einem eleganten Sprung, landete er neben ihm auf dem kleinen Ausguck, nahm Vector das Fernrohr ab und machte sich ein eigenes Bild über die Situation. ,,Er hat recht! MacTires Schiff ist sehr nah!"

Kaum hatte er den Satz beendet, gab es einen Ruck durch das Schiff.

,,Sagt nichts, wir sind mit MacTire zusammengestoßen?!" Delkorta riss das Steuerrad in Richtung Wasserwand.

,,Also eigentlich ist uns jemand von hinten draufgefahren, aber jetzt..."

Es ruckelte erneut durch das Schiff.

,,Jetzt sind wir mit MacTire zusammengestoßen!"

,,Schweigt jetzt! Mit euren Informationen kann ich auch direkt in die Wasserwand da segeln und uns in das Verderben stürzen!", rief der Captain über das Rauschen hinweg.

,,Donn macht ein Zeichen, Captain! Da ist was am Himmel!" Laioh richtete das Fernrohr in Richtung Wolken. ,,Das wird Euch jetzt weniger gefallen..."

,,Rede! Ach..." Delkorta hielt das Steuerrad gerade und riskierte selbst einen Blick in die Luft. ,,Sind das Drachen?!"

,,Tippe auf Seeungeheuer!", brachte Sirdos hervor.

,,Egal, schießt sie ab, sofort! An die Kanonen!"

Die Piraten versuchten die rollenden Kanonenkugeln in die Kanonen zu bekommen und diese anschließend auszurichten.

 

 

,,Lydia, sie schießen auf uns!", rief Vasilias panisch, der sich ohnehin kaum auf seinem Drachen halten konnte.

,,Das sollen sie ruhig mal versuchen", sagte sie ruhig und lächelte finster.

5. Durch seine Augen

 Nach einer erfolglosen Diskussion mit David spazierte Anemro ein wenig durch den Schlossgarten. Die Dunkelheit hatte bereits eingesetzt, als er den ersten Schritt in den Schnee machte.

Er kniff die Augen zusammen und erkannte einen kleinen Jungen mit schwarzem schulterlangem Haar. Er hockte auf der niedrigen Mauer aus Stein und bewegte seine Arme auf und ab. Erst als Anemro sich länger auf ihn konzentrierte sah er, dass der Junge spielte.

,,Guten Abend. Darf ich mich zu dir setzen?", fragte er freundlich.

Der junge Indianer überhörte ihn.

,,Verzeihung, bist du Choca Bow?" Anemro wollte den Kleinen nicht erschrecken und zögerte ihn anzutippen, ließ es dann aber bleiben. Er beschloss ihm beim Spielen zuzusehen.

,,Fang ihn dir, Wolf. Schnappe ihn und reiße ihn aus dem Sattel. Super!" Der Indianer hatte eine einzige Figur, ein Holzpferd, erschuf damit aber eine ganze Reihe an handelnden Figuren in seiner eigenen Welt. ,,Das war's mit dir zweites Gesicht! Und jetzt jag ihn, den komisch gerupften Vogel!" Er ließ das Pferd über den niedrigen Schnee auf der Mauer galoppieren. ,,Fauch! Haha, der gerupfte Vogel hat Angst bekommen. Ich habe gewonnen, jaul!"

Anemro lächelte. Er konnte sich nicht vorstellen, warum die anderen seine Fantasie so gruselig fanden. Als Kind hätte er selbst auch die Umwelt ausgeschaltet und sich auf das Spielen konzentriert. Nie kam er dazu, obwohl seine Kindheit nicht viel goldiger war, als die von Choca Bow.

Als er den Gedanken zu Ende gedacht hatte, bemerkte er erst die Stille. Choca hatte ihn endlich bemerkt und blickte ihn aus seinen hellbraunen Augen aus an. Wieder setzte Anemro ein Lächeln auf. ,,Ich wollte dich nicht erschrecken. Bist du Choca Bow?"

Der kleine Indianer nickte stumm.

,,Falls du dich nicht mehr an mich erinnerst, ich heiße Anemro."

,,Ich weiß. Ich habe dich schon mal gesehen."

,,Wunderbar, dann weißt du, dass du vor mir keine Angst zu haben brauchst."

,,Du bist der, der wie ein Mädchen schreit", sagte Choca trocken.

Anemro rückte ein wenig nach hinten. ,,Das hat sich rumgesprochen?!"

Choca Bow schüttelte den Kopf.

,,Gut...Puh...Glück gehabt." Der Berater kratzte sich am Kopf. Worüber redete man wohl mit einem Kind? ,,Frierst du nicht? Ich meine, es ist ziemlich kalt so spät hier draußen." Er beugte sich vor. ,,Deine Hände sehen sehr eingefroren aus."

,,Nein."

Anemro glaubte ihm nicht und überzeugte ihn davon, dass seine Hände eiskalt sein mussten. ,,Schau mal, ohne Handschuhe..." Kaum hielt er seine linke Hand in seinen Händen, bemerkte er, dass diese gar nicht so kalt war, wie sie aussah. ,,Machen sich deine Eltern keine Sorgen, wenn du hier Draußen so alleine bist?"

Choca zuckte mit den Schultern.

Gerade rechtzeitig, erschien ein Mann im Lichtkegel einer Fackel, die an der Schlosswand hing. ,,Choca, da bist du ja!"

Anemro erkannte einen weiteren Indianer.

,,Ich habe mir Sorgen gemacht! Sieh mich an." Er nahm das Gesicht seines Sohnes in die Hände. ,,Lauf nie wieder alleine weg, verstanden?"

,,Deine Hände sind kalt, Auge des Adlers", murmelte der Junge.

Der Vater drückte sein Kind an sich. ,,Wenigstens redest du mal wieder."

,,Mal wieder?", fragte Anemro erstaunt.

,,Ihr gehört zu Vasilias, oder?"

,,Ja. Ich habe Eurem Sohn nichts getan, keine Angst."

,,Davon gehe ich auch nicht aus." Auge des Adlers ließ das Gesicht seines Sohnes los.

Anemro warf Choca Bow einen kurzen Blick zu. In diesem Licht wirkte es für eine Sekunde so, als würden sie leuchten. Der Berater veränderte verwundert seinen Gesichtsausdruck.

,,Mein Sohn ist wirklich zu verträumt in letzter Zeit."

,,Das hat mir Cherokee bereits erzählt."

Auge des Adlers lächelte. ,,Sie kam immer an ihn ran, als ich nicht mit ihm kommunizieren konnte. Wie eine Schwester ist sie für meinen Jungen."

,,Reizende Geschichte", antwortete Anemro.

,,Choca, deine Mutter macht sich Sorgen um dich."

,,Warum sucht sie mich dann nicht selbst?", meinte sein Sohn prompt.

Er wollte Choca von der Mauer heben, doch dieser verschränkte die Arme so dicht vor sich, dass Auge des Adlers ihn nicht hochheben konnte. ,,Dunkle Füchsin hilft den Dorfbewohnern im Schloss."

,,Du lügst."

Die Miene seines Vaters veränderte sich.

Anemro hatte das plötzliche Gefühl einschreiten zu müssen. ,,Wie wäre es, wenn ich noch ein wenig mit Choca spiele und ihn gleich hineinbringe?"

Auge des Adlers blickte zwischen den beiden auf der Mauer hin und her. ,,Also gut. Ich vertraue Euch, Bleichgesicht."

,,Ihr könnt mir vertrauen, ehrlich."

Der Indianer entfernte sich mit unruhigem Gefühl.

Anemro wartete, bis er in den Schatten der Schlosswände verschwand.

,,Warum sagst du, dass er lügt?"

Choca Bow starrte vor sich hin. Ab und an zuckte er leicht.

,,Ist alles in Ordnung mit dir?" Anemro rückte näher an ihn heran, sah selbst jetzt immer noch nicht genug und rutschte von der Mauer. Er ging vor dem Jungen in die Hocke und suchte seinen Blick. Es schien, als würde Choca durch ihn durchsehen. ,,Warum lügt dein Vater? Das würde er doch niemals tun."

,,Meine Mutter ist tot."

Mit dieser Antwort hatte Anemro nicht gerechnet. Er zog den Umhang dichter und dachte nach. ,,Deine Mutter ist im Schloss, bei den anderen. Bei den Bewohnern von Logarda, Nokard und dem Layandra Stamm, zu dem du auch gehörst."

Choca schwieg.

,,Komm, wir gehen rein und ich zeige dir, dass du im Unrecht bist."

,,Ich lüge nicht. Mein Vater lügt."

Anemro wurde es allmählich zu ungemütlich. Wenn dieser Junge nicht einsehen wollte, dass Dunkle Füchsin lebte, musste er es ihm beweisen, auch wenn er keine Ahnung hatte, wie sie aussah. ,,Gut, ich glaube dir. Komm mit rein."

,,Du lügst auch."

,,Du hast es erraten, Choca. Irgendwie muss ich dich aber mit hinein bekommen." Endlich sah der Junge ihm in die Augen. Irgendwie wirkten sie bekannt, obwohl er ihn nie so genau betrachtet hatte. In der nächsten Sekunde waren sie ihm wieder fremd. Allmählich gestand sich Anemro ein, dass dieser Indianer sich etwas seltsam verhielt.

Unerwartet rutschte Choca Bow von der Mauer und ging voraus.

Anemro hatte Mühe Schritt zu halten.

 

 

Orientierungslos klapperte Anemro die Tipis ab. Bereits das Vierte öffnete er und war erfolglos. ,,Verzeihung, ich suche Dunkle Füchsin oder Auge des Adlers. Ich bringe ihren Sohn zurück...Ihr seid Cherokee, dann könnt Ihr mir sicher helfen."

Die Indianerin wischte sich einige Tränen aus den Augen.

,,Um Himmels Willen, was ist passiert?!"

,,Nichts..."

,,Sag es, Choca. Sie lügt."

Doch der Kleine blieb ruhig stehen, mit seinem Holzpferd in der Hand.

,,Oh, du hast mir den Kleinen vorbeigebracht", hauchte sie erleichtert und drückte ihn an sich.

,,Sagt mir sofort, was los ist", forderte Anemro.

,,Die Stammesälteste, die verstorben ist, war meine Mutter", setzte Cherokee an. ,,Sie fehlt mir so furchtbar."

Anemro wusste nicht was er sagen sollte. ,,Mein aufrichtiges Beileid."

,,Danke." Erneut wischte sie sich durch die Augen.

,,Choca ist der Überzeugung, dass seine Mutter ebenfalls gestorben ist. Also ich kenne sie zwar nicht, aber sein Vater war eben bei mir und meinte, dass Dunkle Füchsin ihn ebenfalls sucht."

,,Aber Choca...Woher weißt du von der Krankheit deiner Mutter?"

Anemros Kinnlade klappte leicht herunter. ,,Was für eine Krankheit?! Hat der Junge etwa Recht?" Vasilias Berater schluckte.

,,Ja, das hat er. Auge des Adlers hat es selbst eben erst erfahren..." Cherokee liefen Tränen über das Gesicht.

,,Choca, woher weißt du bitte, dass deine Mutter tot ist, noch bevor dein Vater es wusste?" Anemro blickte auf das Kind hinab. ,,Wir haben eine Weile Draußen gespielt...Ich kann nicht sagen, ob er es vorher mitbekommen hat", setzte Anemro fort.

,,Choca wurde schon länger gesucht. Er konnte das nicht wissen." Sie legte beide Hände auf die Schultern des Jungen. ,,Du hast es sicher gespürt? Alte Indianergeschichten besagen solch eine Verbindung zwischen Familienmitgliedern und Freunden."

,,Hätte ich so eine Verbindung zu meinen Eltern, würde ich auch merken, warum sie so handeln wie sie handeln." Er senkte den Kopf.

,,Was ist mir Ihren Eltern passiert?"

In diesem Moment wurde die Plane des Tipis weggezogen und Auge des Adlers trat ein, stürmte sofort auf seinen Sohn zu und hob ihn auf den Arm. ,,Er hatte Recht...Wieso hatte er nur Recht..."

Cherokee trat an Auge des Adlers heran und legte eine Hand auf dessen Schulter.

Anemro kam sich ziemlich hilflos vor und schlich sich langsam aus dem Tipi. Über diese seltsame Nacht musste er wohl noch lange nachdenken, um sie zu verstehen. Wenn er das überhaupt je schaffen würde.

6. Wasser, Erde und Feuer

 ,,Schießt endlich!", donnerte Delkortas Stimme über das Deck.

,,Ihr habt gut reden. Die Kanonen lassen sich nicht ausrichten, bei diesem Seegang, Captain", erwiderte Sirdos, der sein Gewicht unter das Metall stemmte und es nach oben drückte.

 

 

,,Lydia, wir sollten sie nicht töten. Mord ist keine Lösung für unsere Probleme", flüsterte Valkan ihr ins Ohr.

,,Sie werden tausende von Menschen töten, wenn wir sie nicht vernichten." Die Königin neigte den Kopf zur Seite. ,,Genauer gesagt werden sie noch mehr Leute töten, als sie es bisher schon gemacht haben. Du kannst dir doch denken, dass die Floghlai Mara mit den Skilyra Brüdern zusammenarbeitet."

Der Wasserdrache hob in diesem Moment den Hals, holte tief Luft und streckte sich in Richtung Schiff. An Stelle von Feuer, spieh er eine riesige Ladung Wasser aus seinem Rachen, welche die Piraten erneut ins Rutschen brachte. Lydia und Valkan mussten aufpassen, dass sie nicht von dem Rücken des Wasserdrachen fielen, wenn dieser zum Angriff ansetzte.

,,Ich weiß, aber töten wir sie jetzt sind wir nicht besser..."

,,Valkan, wir wollen für das Dorf, den Stamm und etliche Königreiche nur Sicherheit schaffen. Mit den Drachen hier schaffen wir das. Denk auch an unser Kind, welches im Krieg aufwachsen müsste, wenn das hier nicht beendet wird."

Sanfte Feder schwieg und klammerte sich an dem Drachen fest.

,,Achtung!", rief Vasilias neben ihnen.

Eine Kanonenkugel verfehlte haarscharf ihr Ziel, ließ den Drachen ruckartige Bewegungen vollführen und seine Aufsaßen zusammenzucken.

,,Wer weiß wie gut das Dorf und der Stamm noch auf uns zu sprechen sind. Wir lassen sie zu lange alleine."

,,Das ist wirklich nicht der Moment darüber nachzudenken, findest du nicht?" Sie beobachtete die dunklen Punkte, welche die Öffnungen der Kanonen bildeten.

,,Das muss aufhören. Sollten wir uns mit Castero zusammentun, haben wir eine größere Chance den Krieg in Frieden zu beenden."

,,Hörst du dir zu, wenn du redest?", quietschte Lydia panisch, während der Wasserdrache erneut einer Kugel auswich. ,,Das Wort Frieden kennen die gar nicht. Krieg ist das Einzige, was sie kennen."

Lydia sah auf den Rücken des Drachen hinab. Unruhig stellte sie fest, dass sich dieser dunkelbraun färbte und die Haut deutlich rauer wurde. ,,Oh nein, sie werden zu..."

,,Einer Sorte, die wir jetzt absolut nicht gebrauchen können", beendete Valkan ihren Satz. ,,Erddrachen."

 

 

,,Was geht denn da oben vor sich?" Laioh richtete das Fernrohr erneut auf die schwebenden Wesen einige Meter über den Schiffen. ,,Captain, ich glaube die Drachen sehen auf einmal anders aus!"

Delkorta lachte. ,,Die können sich genauso wenig verändern, wie Asimi und Imigri endlich tot sein können! Deine Augen spielen dir einen Streich!"

,,Nein, Captain! Seht selbst!"

,,Ich rudere hier noch immer, falls du das nicht bemerkt haben solltest!", konterte Delkorta außer Atem.

Das Ruder geriet ihm außer Kontrolle, als eine Kanonenkugel im Meer landete und dort explodierte.

,,Festhalten und alle Mann auf Steuerbord halten!"

 

 

,,Wir müssen sofort an Land fliegen, Hoheit!", rief Vasilias besorgt.

So ungern sich die Königin auch geschlagen gab, musste sie zustimmen. Leicht stieß Lydia mit dem linken Fuß gegen die Seite des Drachen und bedeutete ihm damit sich von den Schiffen zu entfernen. Kaum machte der Erddrache eine halbe Biegung, ließ er die Kanonen aus den Augen.

,,Jetzt, Sirdos!", vernahm Lydia aus der Ferne eine Stimme. Mit klopfendem Herzen, drehte sie sich um und sah die Kugel auf sie zufliegen. Schon in der nächsten Sekunde zog Valkan sie runter, um sich besser am Drachen festzuhalten. Dieser geriet ins Schleudern, als er mit der Kanonenkugel zusammenprallte und sank in Kreisen in das Wasser hinab.

,,Lydia! Valkan!", rief Vasilias. ,,Ritter, holt eure Königin zurück!", scheuchte er anschließend die übrigen Drachenreiter.

,,Wie steuert man denn einen Erddrachen zum Wasser hin?!" Ser Chrysos wirkte blasser denn je.

,,Keine Ahnung, aber ihr lasst auch noch euren zukünftigen Prinzen oder die Prinzessin ertrinken, wenn ihr nicht sofort etwas macht!"

 

 

Captain Delkorta bemerkte im Augenwinkel drei schnelle fallende Dinge. Er ließ den Blick von dem weniger tobenden Meer ab und sah gerade noch Lydia, die nach dem Drachen und Valkan in die Wellen eintauchte. Im Hintergrund vernahm er Stimmen, welche immer wieder riefen: ,,Holt die Königin aus dem Wasser! Holt Valkan raus! Rettet den Prinzen!" Delkorta erinnerte sich an seine Familie und auch wenn er sich mit allen Gefühlen dagegen sträuben wollte, empfand er Mitgefühl. Immerhin haben die Piraten nur auf seinen Befehl hin die Drachen abgeschossen. ,,Sirdos, ans Steuerrad, sofort!", rief er entschlossen.

,,Aber Captain..."

,,Tu was ich dir sage!" Er entfernte sich von dem Steuerrad, sprang auf den Rand des Schiffes und zog kräftig an einem Seil. ,,Sorg dafür, dass uns keiner mehr reinfährt oder umgekehrt. Ich will nicht wegen einem unserer Schiffe absaufen!" Delkorta hielt sich an dem Seil fest und sprang in das Meer.

Vector traute seinen Augen kaum, als er seinen Captain über Bord gehen sah. ,,Ey, Laioh, was macht'n der Captain da?!"

,,Wüsste ich auch gerne."

 

 

,,Seht, Vasilias. Scheint so, als würde der Pirat uns helfen!", stieß Kipivo erstaunt hervor.

,,Hoffen wir es..." Vasilias hielt den Atem an und wartete gespannt ab, dass der Pirat wieder auftauchte.

 

 

Delkorta tauchte tiefer hinab, das Seil in der linken Hand fest umklammert. Das Wasser war eisig kalt und durch die Schiffe verdunkelt. Der Captain schwamm tapfer weiter. Er wollte nicht derjenige sein, der eine Familie umbrachte. Warum er gerade jetzt so denken musste, wusste er selbst nicht.

Nach wenigen Sekunden sah er die Königin, streckte seine Hand aus und hielt ihr das Seil hin.

Lydia ergriff das Seil und zog sich daran nach oben. An der Wasseroberfläche angekommen, fand sie sich vor dem Piratenschiff mit der lilanen Flagge wieder und hustete wegen dem geschluckten Wasser.

,,Majestät, geht es Euch gut?", rief der König aus der Luft herab.

,,Mir würde es besser gehen, wenn ich nicht im Meer schwimmen würde!"

Eine Hand wurde vom Schiffsrand aus hinuntergestreckt.

,,Was soll das werden? Wollt Ihr mir etwa helfen?", entgegnete Lydia überrascht.

,,Der Captain will es so und ich mache das, was der Captain sagt."

Unsicher nahm die Königin die Hand und wurde an Bord gezogen. Fester Boden unter den Füßen war etwas, das sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Sie stellte sich an die Wand des Schiffes und sah in das Wasser hinab. ,,Götter, Valkan...Komm schon..."

Plötzlich landete etwas neben ihr mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden. ,,Vasilias! Ihr seid gerade nicht wirklich vom Drachen gesprungen, oder?!"

,,Gesprungen...genau", wimmerte der König und hielt sich die Schulter fest. ,,Was ist mit Valkan?"

,,Ich weiß es nicht...Mir dauert das auch zu lange..." Sie drehte sich zu Vasilias. ,,Was ist, wenn er ihn nicht findet?"

,,Hauptsache Ihr und das Baby sind wohlauf", entgegnete der König und erhielt dafür mehr als nur finstere Blicke.

Ein lautes Atemgeräusch lässt Lydia ihre Wut auf Vasilias vergessen. Sie beugte sich über die Reling und streckte eine Hand aus. ,,Valkan, geht es dir gut?!"

,,Ihm wird es gut gehen, weil ich ihn gerettet habe", erwiderte Delkorta für ihn.

,,Captain, ich komme zur Hilfe!", rief Sirdos und ließ das Steuerrad eine Sekunde los.

,,Du bleibst am Steuer, du Idiot!", donnerte Delkortas Stimme aus dem Wasser.

Sirdos sprang zurück und übernahm erneut das Steuerrad.

,,Lass das mal schön Sionach machen."

Sionach beugte sich über den Schiffsrand und half den beiden aus den Fluten des Meeres, bis sie alle an Bord waren.

Erleichtert half Lydia, Valkan auf die Beine. ,,Wir haben überlebt."

Sanfte Feder sah ebenfalls erleichtert aus und nahm sie in die Arme.

,,Passt auf Hoheit! Hinter Euch!", rief Kipivo von seinem Drachen aus.

Lydia löste sich aus Valkans Arm, drehte sich erschrocken um und sah, dass ein Säbel auf die drei gerichtet wurde.

Laioh kam von dem Ausguck heruntergeklettert und grinste bitter. ,,Willkommen an Bord der Floghlai Mara, Majestäten."

7. Die Wahrheit

 Akayla wunderte sich, dass sie nicht von Wachen zu ihren Eltern gebracht worden war während die Burg von Piraten angegriffen wurde. Das Einzige was die Prinzessin in jener Nacht hörte war das Klirren der Klingen die aufeinanderschlugen.

Am kommenden Tag wurde sie wortwörtlich von den Rittern überrumpelt, die alle Toten der vergangenen Nacht zu Grabe trugen.

,,Was ist hier passiert?", stieß Akayla erschrocken hervor. Zwar wusste sie, dass Piraten vor den Toren waren, aber ihre Gegenüber sollten nichts von ihrem heimlichen Nachtausflug wissen.

,,Das wird Euch der König sicherlich mitteilen. Wir geben darüber keine Auskunft."

Genervt ließ die Prinzessin die Arme baumeln, bevor sie ihr hellgrünes, langärmliges Kleid anhob und den Thronsaal aufsuchte.

In der Burg von Castero wirkte der Thronsaal gegen die der anderen Länder ziemlich mickrig. Die drei Throne standen in der Mitte des steinigen Gebäudes und bestanden aus ebenso grauem Gestein. Arbeiter nähten Kissen, um die steinernen Throne gemütlicher zu machen, doch Akayla konnte trotzdem keine zwei Minuten darauf sitzen, ohne Rückenschmerzen zu bekommen. An der Decke hing ein Kronleuchter aus schwerem Metall, auf welchen mehrere weiße Kerzen gesteckt wurden. Elf Kerzen. Eine für jedes Land, in dem ein König oder eine Königin herrschte. Die Prinzessin wollte einige davon abnehmen, da einige Länder momentan keine Herrscher besaßen. Auch um Castero hatte sie Sorge, obwohl ihre Eltern die Kriegsangelegenheiten versuchten vor ihr zu verstecken. Doch ihre geheimen Ausflüge machten sich alleine für dieser Sorte Informationen bezahlt.

,,Vater!"

,,Töchterchen!" Siaac erhob sich von seinem Thron in der Mitte. Er hatte seine Abendgarderobe gegen einen beigen Baumwollumhang und einem passenden Anzug in hellgrün-beige eingetauscht. Die silberne Krone prangte stolz und mächtig auf seinem rundlichen Kopf, als er sie anlächelte.

,,Du weißt doch ich kann es nicht leiden, wenn du mich so nennst!", erwiderte Akayla.

,,Und du müsstest wissen, wie man sich als Prinzessin und angehende Königin verhält."

,,Wo ist Mutter?"

,,Deine Mutter kommt gleich. Sie ist noch ein wenig länger im Bett geblieben. Letzte Nacht war es einfach zu viel des Guten...", brach Siaac ab.

,,Gut, dass du es erwähnst. Was ist da vorgefallen und warum wurde ich nicht geweckt?"

Der König dachte nach. Offenbar suchte er nach einer Ausrede, aber die würde es nicht geben. ,,Die Burg wurde angegriffen."

,,Von wem?"

,,Piraten. Wir sahen, dass es welche der Floghlai Mara waren."

,,Habt ihr die Burg verteidigt?"

,,Sicher", antwortete der König ernst.

,,Und warum sind dann so viele tot?!" Akayla streckte einen Arm in Richtung Ausgang, wo die Wachen vorbeigingen.

,,Unsere Verteidigung ist möglicherweise nicht die beste..."

Die Prinzessin lachte spöttisch. ,,Ich wusste doch immer, dass einige dieser Ritter zu viel Essen und zu wenig Kämpfen. Sie sind unfähig, Vater!"

,,Wir leben noch, oder? Also gibt es da keinen Grund des Vorwurfes."

,,Ich glaube es nicht! Du setzt dich für Tote ein?!" Sie atmete tief durch. So viel Naivität traute selbst sie ihrem Vater eigentlich nicht zu. ,,Was ist mit den Piraten? Sind die auch...tot?"

Siaac strich sich über den Bart und ging langsam an seiner Tochter vorbei. Damit konnte sie sich die Antwort selbst denken.

,,Sie haben den Kampf abgebrochen...Das ist Castero! Wir sind Casteraner! Geboren, um zu verteidigen! Hast du dein eigenes Lebensmotto vergessen?"

,,Du brauchst mich nicht daran zu erinnern." Der König winkte ab. ,,Das möchte ich gar nicht hören. Falls du jetzt auch noch fragen willst, was die von uns wollten...Sie wollten unser Gold."

,,Das sieht Piraten ja wohl mehr als ähnlich, oder?"

Siaac schwieg.

,,Die hätten uns töten können."

,,Die werden uns töten, wenn sie zurück sind!", knurrte der König mit hochrotem Kopf. ,,Unsere Wachen sind dennoch gute Kämpfer, aber diese Piraten kämpfen einfach besser!"

Akayla  verschränkte die Arme. ,,Ich kann dir auch sagen warum..."

,,Fang jetzt bloß nicht wieder mit deiner Theorie an. Deine Mutter hat mir alles davon erzählt. Fast jeden Abend höre ich mir diese Geschichte an."

,,Ach ja?! Wie willst du das denn machen, wenn du ständig jagen reitest?"

Es schien, als hätte sie ihn gerade auf eine gute Idee gebracht. Für einen Moment schöpfte die Prinzessin Hoffnung.

,,Das ist es. Ich muss jagen, um einen freien Kopf zu bekommen. Vielleicht habe ich dann den Geistesblitz für die Rettung von Castero und unserem Leben!" Er umarmte seine Tochter, bevor er den Thronsaal völlig überstürzt verließ.

Akayla legte sich eine Hand an die Stirn. ,,Das ist doch nicht wahr..." Eilig stürmte sie ihrem Vater hinterher. ,,Vater! Komm sofort zurück!"

Etwas weiter vor sich, sah sie gerade noch hinter einer Ecke seinen Umhang verschwinden. Sie musste begreifen, dass Siaac es ernst meinte und sie ihn nicht aufhalten konnte.

 

 

Haushoch gescheitert bei ihrem Vater, suchte die Prinzessin ihre Mutter auf.

,,Vater ist vollkommen durchgeknallt, Mutter!"

,,Wie redest du denn über deinen Vater, den König?!", fragte Maimee entsetzt.

,,So wie er sich verhält! Eben hat er mir gesagt, dass unser aller Leben in Gefahr ist und dann entscheidet er sich dafür jagen zu reiten!"

,,Senke deine Stimme. Die Fischer am Hafen können dich sicher noch hören", beruhigte ihre Mutter sie.

,,Ruhig bleiben, bei sowas?!" Akayla trat näher an Maimee heran und sprach ein wenig leiser: ,,Vater liefert uns dem freien Volk ans Messer und wir müssen dabei zusehen. Ich hoffe dir ist das bewusst, denn es ist die Wahrheit."

Die Königin räusperte sich und faltete die Hände. ,,Es ist doch längst Zeit für deinen Unterricht. Hatte ich dir nicht aufgetragen die Länder mitsamt Könige auswendig zu lernen?"

Ihre Tochter wich einen Schritt zurück. ,,Ihr könnt das Thema verdrängen, der Krieg wird euch aber wieder einholen und mit in den Abgrund reißen...Wir brauchen Hilfe, verflucht!"

,,Deine Wortwahl!", mahnte ihre Mutter.

Akayla nahm die Beine in die Hand und rannte aus dem Gemach ihrer Eltern. Dumpf nahm sie wahr, dass ihre Mutter die Wachen rief, um sie aufzuhalten. Es würde dasselbe Spiel wie jeden Tag sein. Scheppernde Rüstungen rannten im Takt ihr nach, während sie bereits in einem Versteck hockte und kicherte.

 

 

Heute kicherte die Prinzessin nicht. Stattdessen überlegte sie Dayne einen Besuch abzustatten. Ihre Eltern machten sich ständig über seine tollpatschige Art lustig. Von seinem Cousin wollte sie gar nicht erst anfangen.  Wie missverstanden musste er sich erst fühlen, wenn Dayne noch mehr Familienangehörige hatte, als Akayla. Wie gerufen ertönte plötzlich seine Stimme im Flur. ,,Nie wird man hier ernst genommen", murmelte der Knappe vor sich hin.

,,Pst. Dayne!"

,,Hm?" Er fuhr herum. ,,Prinzessin? Was macht Ihr denn da unten hinter dem Wandteppich?"

,,Wonach sieht es denn aus? Komm rein!"

Dayne kroch auf allen vieren zu ihr in das Versteck. ,,Nicht gerade gemütlich hier, aber nett."

,,Ich muss dringend mit dir sprechen. Mein Vater ist total durchgeknallt...Das Schlimme ist, ich habe ihn auch noch vorgewarnt."

,,Wovor gewarnt?"

,,Dass sich alle Leute ohne König auf dem Thron der Floghlai Mara anschließen", flüsterte Akayla.

Der Knappe sog die Luft ein und schlug sich eine Hand vor den Mund. ,,Bei den Steinmauern von Castero! Das glaubt Ihr wirklich?"

,,Warum sonst können sie kämpfen und sind vor allem so viele?!"

,,Woher wisst Ihr, wie viele es sind?", hakte er skeptisch nach.

,,Ähm...Ich weiß es einfach...", stammelte die Prinzessin. ,,Das tut jetzt nichts zur Sache. Mein Vater ist gerade auf dem Weg zu einer neuen Jagd, während wir hier planlos rumsitzen und nichts tun!"

,,Eure Mutter wird das sicher verstehen, dass Ihr besorgt seid."

,,Nichts versteht sie! Warum sonst hetzt sie mir die Wachen auf den Hals?" Akayla pustete sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht.

,,Ah, ich verstehe. Das hier ist eines Eurer Verstecke."

,,Genau und wenn du mich verrätst...Vergiss es." Unterbrach sie sich selbst. Wo war auf einmal ihr Mitleid hin?

,,Wir brauchen Hilfe aus einem anderen Königreich, Dayne. Verstehst du?"

Der Knappe nickte mit weiten Augen. ,,Was kann ich tun?"

Die Prinzessin lächelte. Wenigstens auf einen konnte sie sich verlassen. ,,Also, du machst am besten folgendes..."

8. Traumwandler

 ,,Wach auf Choca." Auge des Adlers versuchte bereits seit fünf Minuten seinen Sohn aus den Träumen zu reißen. Normalerweise wäre er froh, wenn der Kleine schlafen würde, da er dann nicht in der Umgebung verschwinden konnte. Doch Choca Bow schien nicht ruhig zu schlafen. Ständig zuckte er zusammen, als würde ihn jemand verletzen und Schweißtropfen auf seiner Stirn bildeten sich, als würde er vor etwas weglaufen.

Cherokee trat in das Tipi der beiden ein und lächelte verunsichert. ,,Du hast nach mir gewünscht, Auge des Adlers?"

,,Cherokee. Danke, dass du so schnell kommen konntest." Auge des Adlers winkte sie zu sich hinab. ,,Ich bekomme ihn einfach nicht wach."

Die Indianerin machte ein besorgtes Gesicht. ,,Vielleicht hat er einen Albtraum."

,,Davon gehe ich aus, aber warum wacht er nicht mehr auf? Ich muss ihm helfen den Traum zu beenden."

,,Du kannst die Träume nicht beeinflussen. Das Einzige was wir tun können ist warten bis er aufwacht."

,,Wie erfahren wir denn dann, was er geträumt hat? Choca wird sicher nicht darüber sprechen wollen..." Sein Vater wurde unruhiger, je länger er an ihm rüttelte.

,,Dein Sohn wird dir sicher davon erzählen, wenn er dazu bereit ist. Momentan kannst du nichts für ihn tun." Sie erhob sich und streckte eine Hand nach ihm aus. ,,Komm mit mir vor das Tipi, frische Luft schnappen. Du hockst seit Stunden hier drinnen."

,,Was soll ich auch Draußen?", murmelte der Indianer. ,,Dort ist es kalt und ich verliere meinen Sohn aus den Augen."

,,Du kennst den wahren Grund, warum du dich hier drinnen versteckst." Cherokee machte eine Pause. ,,Ich kenne ihn auch."

Auge des Adlers sah zu ihr hinauf. ,,Dann verstehe mich und lass mich hier drinnen bei meinem Kind."

,,Wie du meinst." Die Indianerin hockte sich auf eines der Felle. ,,Ich bleibe dann aber auch hier."

 

 

Vasilias Berater stand bereits früh in der Morgendämmerung in der Schlossküche und half Panna, Fred und einigen anderen bei der Zubereitung des Frühstücks. Er schnitt gerade ein Brot in mehrere Hälften, als er eine Stimme hinter ihm vernahm.

,,Anemro?"

,,David? Was kann ich für dich tun?" Seitdem die beiden eine kleine Auseinandersetzung hatten, hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt. Umso erleichterter schien Anemro nun, dass die Eiszeit zwischen ihnen vorbei war.

,,Es gibt ein Problem bei den Pferden."

,,Haben sie nicht genug zu essen bekommen?"

,,Darum geht es nicht. So eines mit einem Logarda Wappen ist verstorben..."

Anemro ließ das Messer fallen. ,,Mein Pferd etwa?"

David zuckte mit den Schultern. ,,Keine Ahnung, wie Eures aussieht. Das solltet Ihr Euch trotzdem ansehen."

Der Berater folgte ihm zu den Pferden hinaus, welche in einem Stall hinter dem Schloss untergebracht waren. Je näher er dem Stall kam, desto höher schlug sein Puls.

,,Hier herein", sagte David und öffnete ein Holztor.

,,Bei Logardas orangenen Dächern! Du sagtest ein Pferd ist tot..."

,,Dann hab ich wohl einen kleinen Punkt ausgelassen."

Anemro hielt sich die Hände vor die Augen. Das was er nun sah, verschlug ihm beinahe die Sprache. ,,Wie viele Pferde sind tot?"

,,Genug", antwortete David. ,,Zum Glück haben die Layandra ihre Pferde woanders untergebracht, sonst wären die womöglich auch nicht mehr am Leben."

,,Wie konnte das denn passieren?" Vasilias Berater näherte sich vorsichtig einem der Pferde. ,,Die wurden umgebracht", stieß er erschrocken hervor.

,,Das sehe ich auch." David blieb neben Anemro stehen. ,,Seht Ihr das. Das sind Bisswunden. Es kann also nicht sein, dass Imigri oder Quirin sie getötet haben."

,,Daran hätte ich auch als erstes gedacht." Er sah sich um. ,,Es gibt in Nokard doch gar keine anderen Tiere, außer Drachen. Die sind mit der Königin weg", ergänzte er sofort.

Der blondhaarige Mann sagte nichts. Dieses Thema erinnerte ihn wieder an seine Wut, die er auf die Königin hatte.

,,Gibt es einen Verdacht?"

,,Nein." David stand auf. ,,Ich kann Euch aber eines sagen. Was auch immer sich hier herumschleicht, könnte uns genauso gefährlich werden, wie den Pferden. Lauft hier also nicht mehr so frei und unbedacht herum."

Anemro nickte. Sein erster Gedanke galt Choca Bow, welcher öfters alleine unterwegs war. Er musste dem Sohn von Auge des Adlers wohl oder übel einen Besuch abstatten, auch wenn er sich selbst möglicherweise altbekannten Fragen stellen musste. Fragen über seine Familie.

 

 

Choca Bow schlug die Augen auf. Er fuhr sich über die Arme und prüfte, ob noch alles an seinem Platz war.

,,Choca, du bist endlich wach." Wieder hockte sein Vater neben ihm. ,,Ich habe mir Sorgen gemacht. Ist alles in Ordnung?"

,,Ja. Ich hatte nur einen Alptraum."

,,Willst du uns erzählen, was darin passiert ist? Reden hilft, um schlechte Träume zu vertreiben", setzte Cherokee an.

Der kleine Indianer schien beruhigt darüber, dass Cherokee bei ihm war, da er wieder ruhiger atmete. ,,Wenn ihr das wirklich wissen wollt..."

Sein Vater strich ihm die Haare aus dem Gesicht. ,,Natürlich."

,,Da war erst Kälte und dann Bäume. Ich bin unter etwas durchgekrochen und hab einen seltsamen Geruch wahrgenommen. Es roch nach Stroh."

,,Stroh?" Auge des Adlers wechselte einen Blick mit Cherokee. ,,Warst du in deinem Traum vielleicht in einer Hütte?"

,,Weiß ich nicht. Da waren noch Hufe, die nach mir getreten haben. Ich dachte schon, dass ich da nicht heil wieder raus komme." Ein Schauer lief ihm über den Rücken.

,,Was ist dann passiert?"

,,Ich habe mich gewehrt und hilflos um mich geschlagen...Und dann bin ich weggelaufen."

Cherokee blickte zu dem Schatten vor dem Tipi.

,,Ein Traum, sonst nichts", flüsterte Choca Bow.

,,Wer ist da?!"

Die Plane wurde zur Seite gezogen. ,,Ich bin es, Anemro. Verzeihung, ich wollte euch nicht erschrecken."

,,Kommt rein."

Vasilias Berater kniete sich auf den Teppich und sah zwischen den Indianern hin und her. ,,Ihr fragt euch sicher, wieso ich hier bin?"

,,Ja."

,,Ihr solltet Choca Bow im Auge behalten und ihn nicht mehr alleine nach Draußen lassen."

,,Das könnt Ihr mir nicht verbieten!", fauchte Choca.

,,Wir haben bisher echt unser Bestes gegeben, aber er ist zu schnell für mich", meinte Auge des Adlers. ,,Ihr wisst das doch."

,,Leider. Draußen läuft aber vermutlich eine bösartige Kreatur herum."

,,Imigri oder Quirin? Da haben wir schon zwei."

,,Weder noch. Letzte Nacht wurden alle Pferde im Stall getötet." Er hob beide Hände. ,,Nicht durch Waffen, sondern durch ein Tier. Wir wissen leider noch nicht welches, aber ihr solltet Bescheid wissen. Vielleicht solltet ihr auch die Tipis nach Drinnen verlagern oder zu uns in das Schloss ziehen."

Cherokee wechselte einen Blick mit Choca und dann mit seinem Vater. ,,Aber das war doch genau sein..."

,,Das wäre eine gute Idee, Anemro. Danke für die Information", unterbrach Auge des Adlers die Indianerin.

,,Sonst noch etwas?"

Anemro schüttelte den Kopf. ,,Seid einfach vorsichtig." Er kam sich rausgeworfen vor und stand deswegen schnell auf und verabschiedete sich flüchtig. ,,Auf Wiedersehen!"

,,Tschüss."

,,Warum hast du ihm nichts von Chocas Traum erzählt?", fragte Cherokee überrascht.

,,Muss doch nicht gleich jeder wissen. Außerdem war es nur ein Zufall, nichts weiter."

,,Genau wie das mit dem Tod seiner Mutter ein Zufall war?!" Die Indianerin stemmte die Arme in die Hüfte. ,,Langsam habe ich das Gefühl du willst nicht wahr haben, dass mit deinem Sohn etwas nicht stimmt."

,,Unsinn! Mit Choca ist alles in Ordnung." Er nahm seinen Sohn in die Arme.

,,Nein, ansonsten würde er sich nicht so verhalten."

,,Wie verhält er sich denn in deinen Augen?"

,,Seltsam?"

,,Nicht seltsamer, als du...Es ist besser, wenn du jetzt gehst, Cherokee." Auge des Adlers sah sie nicht eine Sekunde mehr an.

Ungläubig stand sie auf und sah in Chocas Augen dessen Verwirrung. Das konnte sie nicht so auf sich beruhen lassen. Eines Tages würde noch etwas Schlimmeres passieren und dann wäre sein Sohn wirklich in Gefahr und niemand würde etwas tun. Also musste sie den ersten Schritt machen. Für den Stamm der Layandra.

9. Blitz und Donner

 ,,Öffnet die Türe, oder ich trete sie ein!"

,,Nur zu, wenn wir dadurch wieder an die Freiheit gelangen, Hoheit", entgegnete Ser Chrysos.

,,Spart Euch die Ironie für später auf." Vasilias ließ von der Tür aus dunklem Holz gebaut, ab. ,,Ich glaube es einfach nicht, dass die uns eingesperrt haben...Ich meine, immerhin hat er euch beide aus dem Wasser gezogen, nachdem ihr abgeschossen wurdet."

,,Das sind dennoch Piraten, vergesst das nicht", murmelte Lydia düster.

,,Wenigstens beim Aufprall hätten die anderen uns ruhig entgegenkommen können und hier ein Rettungsloch entstehen lassen können." Der König deutete einen Bereich der Wand mit seiner Hand entlang.

,,Regt Euch ab und setzt Euch hin, Hoheit", schlug Chrysos vor. ,,Wir können nichts tun."

Vasilias hörte dem Ritter gar nicht richtig zu. ,,Euer Drache könnte übrigens auch wieder auftauchen und uns hier abholen."

,,Hört auf! Ihr wisst genau, dass der Erddrache das nicht überleben konnte." Die Königin blickte zu Valkan hinüber. ,,Und die anderen werden gerade fleißig verscheucht."

,,Grausame Methode, mit Kanonen seine Probleme zu beseitigen."

,,Das werden sie nicht schaffen. Die Drachen werden fliehen und eines Tages wieder zu uns finden", sicherte der Indianer ihnen zu.

,,Ich bewundere Eure Zuversicht, Sanfte Feder", meinte Vasilias anerkennend. ,,Ich befürchte nur, dass wir auch mal die Endstation erreicht haben..."

,,Das ist wirklich nicht die Art Motivation, die wir von Euch kennen." Lydia warf dem König einen mahnenden Blick zu. ,,Wer hatte so viele Ideen sein Volk vor Asimi und seiner Garde zu retten?"

,,Nun..."

,,Und wer ist bis nach Nokard gereist, um anderen das Leben zu retten?"

Vasilias schluckte. Er wusste nicht, ob er sich freuen sollte erneute Dankbarkeit zu spüren zu bekommen.

,,Ihr wart das", antwortete Lydia für ihn. ,,Deshalb dürfen wir jetzt nicht aufgeben, nur weil diese Piraten uns erwischt haben. Wir müssen die Leute aus Castero retten."

Der König fasste neuen Mut. ,,Ihr sagt die Wahrheit. Aufgeben zählt nicht zu meinen Stärken. Mir wird etwas einfallen."

Ser Chrysos und Valkan wechselten unbemerkt einen Blick. So richtig glauben konnten sie dem König aus Logarda nicht, da er sich eigenartig verhielt. Vielleicht irrten sie sich auch, aber sicher war sicher.

 

 

Um den Tisch versammelt hatten sich erneut die zehn Mitglieder der Floghlai Mara zusammengefunden. Sie feierten ihren Erfolg, obwohl sie kein Gold erbeutet hatten. Dafür erzielten sie einen ganz neuen Fang. Eine Königin, einen König und ein paar Ritter. Mit dem Indianer konnten sie selbst nicht viel anfangen, aber besser einen Gefangenen mehr, als einen zu wenig, hatte Delkorta gesagt. Dieser hockte nachdenklich auf seinem Stuhl und hatte die Hände vor sich gefaltet, während die anderen sich gegenseitig bejubelten.

,,Sirdos, das war ein klasse Schuss heute." Laioh hob seinen Becher. ,,Ich trinke auf dich!"

,,Dann richte ich mein Bier an Vektor, ohne den wir heute nicht das Fürchten gelernt hätten!" Sirdos und die anderen brachen in Gelächter aus.

,,Sehr witzig. Ihr hättet da oben auch nicht sein wollen, während die Brandung beinahe euer Schiff umwirft."

,,Den Drachen haben wir es aber gezeigt", merkte Sirdos an, um nicht weiter auf Vektor einzugehen.

,,Wie die geflogen sind! Echt zum Brüllen!" Laioh grinste, warf den Becher vor sich und ließ ihn zu Delkorta rollen. ,,Ey, Captain. Was war'n heute los?"

Delkorta antwortete erst nach einer ganzen Weile: ,,Das geht dich nichts an."

,,Oh, wirklich?" Er hob beide Hände. ,,Dann geht es vielleicht Sirdos etwas an. Er sollte schießen und dann trifft er endlich und ihr zieht die aus'm Meer."

,,Du bist wieder betrunken, also werde ich mit dir keine Diskussion eingehen", donnerte der Captain wütend. ,,Das Thema ist beendet!"

,,Mensch, Delkorta. Hat man Euch das Bier versalzen? So kennen wir unseren Anführer nicht."

Die Piraten nickten zustimmend.

,,Darf man nicht mal schlecht gelaunt sein?"

,,Das seid Ihr aber nicht", warf ihm Laioh vor. ,,Ihr scheint mir besorgt."

,,Mein Totenschädel, ja!" Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Nun durfte er nichts Falsches sagen. ,,Ich meine natürlich nicht besorgt...Eher hab ich mitgedacht, wie kein anderer hier von euch! Das sind Regenten, also werden sie uns als Druckmittel gegen Castero noch mehr helfen, als eines der Kinder von denen wir gar nicht wissen, ob es eines gibt."

,,Da müssen wir wohl zustimmen", murrte Vektor. ,,Sonst hättet Ihr sie nicht sofort eingesperrt."

Gemurmel brach aus.

,,Das ist alles, was ihr euch klar machen solltet." Delkorta sah aus dem runden Fenster in die Dunkelheit hinaus. Heute Nacht wird er wohl wieder nachdenklich an Deck verbringen.

 

 

Unter Deck hockten die Könige, Ritter und der Indianer dicht nebeneinander und versuchten irgendwie zu schlafen. Einige Ritter schliefen bereits ohne Probleme, der König dagegen drehte sich alle zwei Minuten von links nach rechts und hielt damit Valkan und Lydia wach.

,,Vasilias, was soll das werden?"

,,Ich kann nicht schlafen."

,,Kein Wunder, wenn ihr euch ständig bewegt", flüsterte Valkan genervt.

,,Ernsthaft, Vasilias, bleibt ruhig liegen." Lydia starrte an die Decke und schloss erneut die Augen. Jetzt hörte sie keine Geräusche des Königs mehr. ,,Geht doch."

Fast eingeschlafen, wurde die Königin erneut durch ein Geräusch hellhörig. Diesmal war es ein Donner von Draußen. Sie setzte sich aufrecht hin und wandte den Kopf in die Richtung des kleinen Fensters. ,,Warum muss es jetzt auch noch gewittern?", murmelte sie müde. Ein Blitz ließ Lydia zusammenfahren. Normalerweise waren Blitze nichts Neues, aber diesmal bildeten sich Umrisse von Drachen am Horizont. Die Königin rieb sich durch die Augen. Das hatte sie sich doch jetzt nicht eingebildet? Erneut blickte sie in die dunklen Wolken. Wieder blitzte es und die Umrisse erschienen. Lydia weitete die Augen.

,,Gibt es da etwas Spannendes?"

,,Götter...Vasilias, Ihr schlaft ja gar nicht."

,,Wie denn auch? Der Boden ist mir zu ungemütlich und jetzt donnert es auch noch." Der König machte einen Schneidersitz. ,,Also, was gibt es da zu sehen?"

,,Seht doch selbst." Lydia deutete in die Wolken.

Vasilias ließ einen halben Schrei los. ,,Eine Hand! Wollt Ihr mein altes Herz auf die Probe stellen?!"

,,Was denn für eine Hand?"

,,Da am Fenster!" Blass blickte der König auf das runde Fenster.

Da war wirklich eine Hand. Die Königin klammerte sich an Vasilias. ,,Was machen wir denn jetzt?!"

,,Manitu, Ihr schlaft ja immer noch nicht...", wurde Valkan aus dem Schlaf gerissen. Als er Lydia und Vasilias ängstlich zusammengekauert sah, wurde er unruhig.

,,Pst, da ist jemand", flüsterte Lydia ihm zu."

,,Wer soll denn da sein?"

Eine Gestalt zog sich nach oben und klopfte gegen das Fenster.

,,Sollen wir öffnen? Da passt sowieso keiner durch...Wir wären nicht in Gefahr", flüsterte Vasilias.

,,Nein, öffnet das Fenster nicht..."

,,Hingehen werde ich ja wohl noch dürfen, oder?" Von Neugierde gepackt, ging der König auf die Glasscheibe zu. Er sah der Gestalt in die Augen, hatte aber keine zu große Angst mehr vor ihr. Stattdessen näherte er sich dem Glas und sagte: ,,Hört Ihr mich?"

,,Ja", bekam er als Antwort.

,,Wer seid Ihr?"

,,Was soll der Lärm hier unten?!"

Die Könige und Valkan zuckten erschrocken zusammen. Mit einem Piraten hatten sie nicht mehr gerechnet.

,,Was macht Ihr da am Fenster?" Delkorta zerrte Vasilias weg und verschaffte sich selbst einen Überblick. ,,Da ist nichts. Legt Euch wieder hin und macht ja keinen Lärm." Der Captain hielt den Säbel auf den König gerichtet, damit er nicht wegläuft. ,,Was guckt ihr denn so? Für euch gilt dasselbe!", fauchte er Lydia und Valkan an.

Keiner sagte etwas, um den Piraten nicht zu verärgern. Bis die Tür wieder in das Schloss fiel, rührte sich auch keiner von ihnen.

Vasilias war der Erste, der aus seiner Starre erwachte. ,,Wo ist die Person hin? Verflucht, das ist nur dieser Pirat Schuld..."

,,Schlaft, Vasilias, Ihr habt ihn gehört", stammelte Lydia verängstigt. ,,Es sei denn Euch liegt etwas daran diese Nacht noch zu sterben."

10. Der Gute Böse

 Delkorta wuschelte sich durch die blonden Haare, nachdem er das Säbel wieder sicher verstaut hatte. Er fühlte sich beinahe schlecht die Gefangenen so zu behandeln. Doch was dachte er da, er war ein Pirat. Ein furchteinflößender normalerweise noch dazu. Er konnte seine Stellung nicht wegen ein paar lächerlichen Gefühlen wegwerfen.

 

 

Jemand klammerte seine Hände fest um einen abstehenden Holzbalken. Er musste unbedingt wieder auf das Schiff hinauf die Leute befreien. Mit dem rechten Bein zuerst, schwang er sich auf das danebengelegene Geländer, welches in der Burg eher an einen Balkon erinnert hätte. Daran zog er sich kräftig nach oben, nahm Schwung und hing nun mit beiden Beinen am Geländer. Anschließend ließ er los und sprang blitzschnell auf den Boden des hervorgebauten, überdachten Holzbodens. Jetzt keine Zeit mehr verlieren. Langsam näherte er sich einem Flur, welche auf der Höhe des Fensters war, in welches er eben gesehen hatte. Doch leider kam ihm jemand anderes dort entgegen.

,,Du?!"

,,Sie?!"

Delkorta richtete den Zeigefinger auf ihn. ,,Du bist doch dieser Taugenichts von den Burgmauern! Richtig? Was hast du hier zu suchen?!" Der Captain zog seinen Säbel.

Dayne geriet in Panik. Kämpfen war das Letzte, was er konnte. ,,G-gar nichts..." Der Knappe hob beide Hände vor sich. ,,Nicht töten, bitte...", flehte er.

,,Ich töte nicht...Ich meine natürlich, dass mir jetzt nicht danach ist", korrigierte sich Delkorta selbst. ,,Wer schickt dich?"

,,Das kann ich nicht sagen."

,,Vielleicht überlege ich mir das mit dem töten nochmal, solltest du nicht reden."

,,Ist ja gut, ist ja gut...", fiepte Dayne. ,,Mich schickt...der Geist von Castero."

,,Sag mal, willst du mich auf den Arm nehmen?"

Schon in der nächsten Sekunde holte Dayne aus, kniff die Augen zusammen und knallte seine geballte Faust gegen Delkortas Gesicht. Dieser stolperte rückwärts und blieb reglos auf dem Boden liegen. Noch in dieser Position verharrend, wagte er erst jetzt wieder hinzusehen. ,,Ich hab's geschafft", hauchte der Knappe beinahe sprachlos. Vorsichtig stieg er über den Piraten, nahm ihm das Säbel aus der Hand und suchte das Weite.

 

 

,,Ich möchte wissen, wo unser Unbekannter hin verschwunden ist."

,,Wie war das mit dem Schlafen, Hoheit?", erinnerte Valkan den König.

,,Ich werde schlafen, sobald ich Gewissheit habe, wer das eben war, werter Häuptling."

Von Draußen hörten sie plötzlich einen lauten Schrei, der das Unwetter durchbrach. Mit einem Mal wurde die Tür zu Kleinholz zertreten.

,,Götter, was ist das?", erschrak Vasilias.

,,Da haben Sie es, die Piraten bringen uns alle...Moment..." Sanfte Feder sah, dass sich die Gestalt krümmte, den Fuß hielt und dann auf der Stelle hüpfte.

,,Verdammte Tür, verdammte Tür", fluchte Dayne.

,,Ihr seid kein Pirat", stellte Vasilias erleichtert fest.

,,Nein, ich bin Dayne Egla von Castero."

Der König klatschte. ,,Wir sind gerettet!"

,,Leise!", fuhr Lydia ihn an. ,,Gleich haben wir hier etliche echte Piraten vor der Tür stehen, wenn Ihr weiter so laut seid."

,,Wie bist du hier rein gekommen, Dayne?", fragte der König.

,,Ich hab erst das Boot unten angebunden, dann einen umgelegt, um euch zu befreien...Ich wusste nicht, dass ihr hier seid...Eigentlich schickte mich Prinzessin Akayla nach Reako, um dort Hilfe zu holen", berichtete Dayne hastig.

Lydia blickte zu Vasilias. ,,Ihr wisst schon, dass die Floghlai Mara auf euch zukommen?"

Er schüttelte den Kopf. ,,Sie waren schon da..."

Die Königin ließ den Blick durch den dunklen Raum schweifen. ,,Die Prinzessin schickt dich, also ist sie nicht tot?"

,,Nein und auch der König und seine Frau leben noch."

,,Ein Glück."

,,Reako...Ein Land auf das ich hätte kommen können", murmelte Vasilias. ,,Neben Castero eines der wenigen Ländern mit einem lebenden Herrscher. Allerdings einem mir unbekannten, muss ich zugeben."

,,Es gibt viele Länder, die uns nicht bekannt sein können", stellte Dayne sicher.

,,Richtig, da stimme ich voll und ganz zu."

,,Ihr wisst nun, wer ich bin, aber wer seid Ihr?", hakte Dayne nach und blickte zu den schlafenden Rittern.

,,Ich bin König Vasilias von Logarda, das ist Königin Lydia aus Nokard und Häutpling Valkan von Leydra."

Eine Person erschien hinter Dayne, versetzte diesem einen Stoß in den Nacken und knurrte: ,,So, Ihr seid also der König von Logarda. Laut unseren Anführern, solltet Ihr bereits tot sein." Er wandte den Blick zu Lydia und Valkan, die erschrocken in die Ecke gerutscht waren. ,,Dasselbe gilt auch für euch beide. Da haben wir ja einen guten Fang gemacht."

Keiner rechnete damit, dass Ser Chrysos aufsprang, den Säbel schnappte, welches Dayne fallen gelassen hatte und es gegen den Piraten einsetzte. Dieser fiel zu Boden, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

,,Ihr habt einen Piraten getötet", quietschte Vasilias verwundert und begeistert zugleich.

,,Das ist mir schon klar, daher sollten wir jetzt schnell verschwinden!", antwortete Chrysos ernst.

Der König stieg über die beiden Personen auf dem Boden. ,,Sehr gute Reaktion, Ser."

,,Was machen wir mit Dayne? Er könnte noch leben und dann ist er den Piraten ausgeliefert", erinnerte Lydia und hielt Valkan zurück.

,,Wir können jetzt wirklich nicht noch auf ihn Rücksicht nehmen."

,,Er hat uns befreit!" Lydia ging ein Stück zurück, hob Daynes Arme hoch und versuchte ihn von der Stelle zu ziehen.

,,Wartet, Majestät, wir helfen Euch", sagten die Ritter.

,,Wenigstens meine Garde versteht mich noch", warf die Königin dem Häuptling entgegen.

,,Wie kommen wir jetzt hier weg?"

,,Dayne sagte doch, dass er mit einem Boot gekommen ist. Das muss ja unten am Schiff irgendwo schwimmen. Alles was wir machen müssen, ist es zu finden und darin zu fliehen", flüsterte Lydia zu Vasilias.

Dieser nickte. ,,Dann aber schnell."

 

 

Nach einigen Stunden erwachte Delkorta mit gehörigen Schädelbrummen und Nasenschmerzen. ,,Verdammte Totenschädel!" Er stützte sich auf die Unterarme und sah, dass er nicht in seiner Kajüte lag. In diesem Moment viel ihm alles wieder ein. ,,Mist, der Taugenichts!" So schnell er konnte, kam er wieder auf die Beine und rannte zu den Gefangenen. Zumindest dachte er dort die Gefangenen vorzufinden. Stattdessen fand er eine eingetretene Tür und einen fast leeren Raum vor. ,,Vector?!" Captain Delkorta kniete sich neben den Piraten. Mit steigendem Puls bemerkte er, dass sein Schiff überfallen wurde und rief so laut es nur ging: ,,Überfall! Piraten an Kajüte 13!"

Laioh stürmte als Erster aus seiner Kajüte. ,,Captain, was für ein Überfall?!"

,,Frag nicht so blöd! Guck dir das an!"

,,Die Gefangenen sind weg", stellte er fest.

,,Vector." Laioh warf einen Blick auf den Piraten. ,,Was pennst du da unten rum?! Der Captain sagte, dass wir angegriffen wurden."

Delkorta packte Laioh am Kragen und drückte ihn gegen eine Holzwand. Mit einer Schulter stieß er gegen eine ausgebrannte Lampe, welche die anderen Piraten weckte. ,,Bist du wirklich so betrunken?! Vector wurde ermordet, während wir alle an Bord waren!"

Die anderen näherten sich angriffsbereit.

,,Schön, dass ihr auch mal kommt. Bei einem Kampf wärt ihr alle im Schlaf gekillt worden!" Delkortas Kopf lief hochrot an. ,,Das darf ja wohl nicht wahr sein..."

,,Wir wurden überfallen und haben nichts gemerkt...Dann sind wir ja jetzt quitt, Captain", merkte Sirdos grimmig an.

,,Ich kann mir denken, dass die an Land gefahren sind, es ist noch nichts zu spät", knurrte Delkorta.

,,Wieso gerade an Land?"

,,Ist nur so ein Gefühl." Er wandte sich mit funkelnden Augen an Sirdos. ,,Nehmt Kurs auf Castero und diesmal werden wir das Land erst wieder verlassen, wenn jeder einzelne von ihnen um Gnade winselt oder genauso schweigt, wie Vector."

,,Ay, ay, Captain."

,,Ich sag MacTire und den anderen Schiffen Bescheid", versicherte Torm, sprang auf eine Kiste und nahm eine Abkürzung an Deck.

Delkorta scheuchte die Umstehenden Piraten von sich weg. ,,An die Kanonen, wir kündigen uns vorher an."

11. Reale Fantasie

 Schuhe trafen auf die steinerne Mauer, als Choca Bow darüber lief. Inzwischen hatte er mehr Freude daran selbst die Charaktere der Spielzeugfiguren zu übernehmen, als sie nur vor sich zu haben. Mit einem kleinen Stock bewaffnet, tänzelte er mit gebeugten Knien vorwärts und rückwärts. Seinen Feind hatte er genau vor Augen. ,,Nimm das!", rief Choca und stach mit dem Holz ins Leere.

Auge des Adlers sah ihm aus sicherer Entfernung zu, damit er nicht wieder davonlief. Eigentlich lief Choca nie davon. Nicht wirklich. Er war immer auf dieser Mauer, doch sein Vater dachte ständig, dass er sich im Schloss versteckte. Diese Idee kam ihm gestern Nach in den Sinn, als er ihn und Cherokee darüber reden hörte. Ob er sie umsetzte, wusste der kleine Indianer noch nicht. ,,Pass auf, Choca! Nicht, dass du noch fällst!"

Choca Bow wandte sich zu seinem Vater um. ,,Ja. Ich passe schon auf."

,,Darf ich?" Anemro näherte sich dem Indianer.

Dieser nickte stumm.

,,Hört mal, ich glaube, dass ich mich entschuldigen muss."

,,Wofür?"

,,Ich kann einem kleinen Indianer nicht vorschreiben das Schloss nicht zu verlassen. Schon gar nicht Choca Bow." Er lächelte. ,,Seht ihn euch an. Er ist ein Kind, welches ohne andere Kinder spielt und sich nichts sehnlicher wünscht, als zu leben."

,,Seine Fantasie ist grenzenlos", sagte Auge des Adlers. ,,Ich denke, ich muss mich aber bei Ihnen entschuldigen. Das war neulich eher ein Rauswurf, als eine freundliche Einladung im Tipi zu bleiben."

,,Immerhin wohnt ihr jetzt Drinnen. Das ist ein Anfang." Anemro beobachtete weiterhin den kleinen Indianer auf der Mauer. ,,Wir sollten ihn bewundern dafür, dass er so fantasievoll ist. Er schaltet die Außenwelt ab und versinkt in seine eigene...Fast schon sehr real."

Auge des Adlers wurde unruhig. ,,Was meint Ihr damit? Das ist nichts Ungewöhnliches."

,,Wollte ich auch gar nicht sagen", verteidigte sich Anemro.

,,Falls Ihr damit auf den Tod seiner Mutter anspielt..."

,,Augenblick, Ihr bekommt das in den falschen Hals, Auge des Adlers", unterbrach ihn der Berater. ,,Ich schwärme lediglich in meiner Kindheit, nichts weiter."

,,Gut", murmelte der Indianer vor sich hin. Er sah, dass sein Sohn auf sie zu gerannt kam. ,,Was gibt es, Choca?"

,,Hinter mir ist jemand her! Ihr müsst mit mir mitlaufen, um in Sicherheit zu sein."

Sein Vater lachte. ,,Na dann machen wir uns mal auf den Weg dir nach."

Ein Stück den Hang hinab, blieb Choca stehen. Nicht ohne sich mehrfach zu seinem erfundenen Feind umgedreht zu haben.

Anemro konnte mit den beiden schnell keinen Schritt mehr halten, daher ließ er sie vorlaufen. Der Berater folgte den Spuren im Schnee, die sie hinterließen, bis sie nach einiger Zeit wieder zu sehen waren. Verwundert blickte er zu den Indianern herüber. Es schien, als würde Choca nur auf der Stelle stehen, während sein Vater hilflos nach links und rechts sah.

,,Ist was passiert?", fragte Anemro, als er sie erreichte.

,,Ihr müsst mir helfen. Er steht schon wieder einfach nur da und reagiert nicht mehr."

,,Schon wieder?", forschte Anemro nach. ,,Wie oft ist das in den letzten Tagen passiert?"

,,Viel zu oft." Auge des Adlers sah bedrückt zu seinem Sohn.

,,Ihr habt mir nichts gesagt?" Der Berater stellte sich vor Choca Bow und wedelte mit einer Hand vor seinen Augen. ,,Choca, hörst du mich? Choca?" Vasilias Berater ergriff den Unterarm des Indianers und verlor gedanklich den Boden unter den Füßen. Er sah die Welt plötzlich ganz anders. Da vor ihm stand wirklich ein Fremder mit gezücktem Schwert oder war es doch eine andere Waffe? Das Erschreckende daran war, dass Anemro diese Person schon einmal gesehen hatte, obwohl er von den Gedanken des Jungen erschaffen wurde. Er stand neben Choca, welcher ihn schweigend ansah und dann seinen Blick zu dem Feind vor ihnen. Nichts passierte mehr. Keiner von ihnen griff an oder verteidigte sich. Die Umgebung verschwamm zu einem Gang aus Holz. Das alles kam ihm so real vor, als würde er wirklich dort sein.

,,Anemro?" Etwas zog den Berater zurück in die wirkliche Welt, auf den Abhang mit den Tannen und dem Schnee unter seinen Füßen. Anemro blinzelte, wankte kurz, fing sich dann aber wieder.

,,Jetzt fangt Ihr auch noch damit an, Euch so zu benehmen...Ihr seid blass...", setzte Auge des Adlers an. ,,Was ist gerade passiert?"

,,Ich war...Das war...", stotterte Anemro. Er musste tief durchatmen, um einen ganzen Satz zustande zu bringen. ,,Ich habe ihn gesehen."

,,Wen gesehen?"

,,Seinen Feind."

Chocas Vater wirkte irritiert. ,,Den ausgedachten Feind, meines Sohnes?"

Anemro nickte. ,,Er ist nicht ausgedacht." Er deutete auf die Stelle, wo er selbst die Gestalt gesehen hat. ,,Dort hat er gestanden...oder ist vermutlich noch dort." Der Berater sah Auge des Adlers an. ,,Ich habe gesehen, was Euer Sohn gesehen hat."

Der Indianer wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er lachte auf. ,,Gesehen...Das kann ja jeder behaupten."

,,Ist mir schon klar, dass Ihr mir nicht glaubt. Versucht es selbst."

,,Ich wüsste nicht warum."

,,Gut, dann beantwortet mir wenigstens die Frage, warum Euer Sohn eine Person gesehen hat, die er bestimmt noch nie in seinem ganzen Leben gesehen haben kann?", fragte Anemro aufgewühlt.

,,Man sieht im Leben viele Menschen unbewusst. Nur ein Augenkontakt reicht aus, um einen anderen zu kennen. Uralte Indianerweisheit." Auge des Adlers ging zögernd auf seinen Sohn zu.

Dieser schien jetzt ebenfalls aus seinem Tagtraum erwacht zu sein und blickte zwischen den Erwachsenen hin und her. ,,Warum stehen wir hier? Ich spiele viel lieber oben bei der Mauer, Vater." Choca ging einige Schritte voraus. ,,Spaziergänge sind nicht spannend."

,,Ihr sagt mir etwas von realen Feinden und nun kann er sich an nichts mehr erinnern?" Der Indianer warf ihm einen zornigen Blick zu.

,,Choca Bow selbst wollte hierher kommen, mit uns spielen. Das habt Ihr hoffentlich nicht vergessen?"

Auge des Adlers musterte ihn eingehend. ,,Mein Sohn ist nicht verrückt oder anders. Genauso wenig, wie ich es bin."

,,Wartet doch..."

,,Aber Ihr seid es vielleicht, Anemro."

Der Berater blieb am Hang zurück. Das eben hatte er sich doch nicht eingebildet. Er stand wirklich woanders und Choca war auch dort. Würde ihm das irgendwer im Schloss abnehmen? Konnte er überhaupt mit jemandem darüber reden, jetzt wo sein König und er so viele Meilen voneinander getrennt waren?

 

 

Panna und Fred trafen in der Schlossküche die letzten Vorbereitungen für das Abendessen. Fred trug einen Korb mit Brot aus dem Raum, als sich jemand an ihm vorbeischlich. Nicht unbemerkt von seiner Frau natürlich. ,,Hallo Choca, möchtest du ein Stück Brot mit Speck? Das schmeckt wirklich gut."

,,Gerne." Der Indianer nahm sich ein Stück und biss genüsslich ab.

,,Manitu, Choca Bow du rennst bitte das nächste Mal nicht ohne mich zum Schloss zurück."

,,Ihrem Sohn ist doch nichts passiert. Brot?", bot Panna Auge des Adlers an.

Ihr Blick fiel auf den Arm, welcher sich erneut nach dem Brot ausstreckte. ,,Was hast du denn da?" Die Arbeiterin stellte den Korb beiseite und zog Chocas Ärmel hoch.

Sein Vater schlug sich die Hände vor das Gesicht. ,,Ist das ein blauer Fleck?!"

,,Mehrere, wenn Ihr mich fragt." Panna untersuchte den Arm des Jungen genauer. ,,Wo kommen die bloß her?"

,,Ich wusste es doch...Ich darf ihn nicht alleine Draußen spielen lassen."

,,Er spielt alleine und bekommt blaue Flecken? Das ist seltsam, findet Ihr nicht?"

Auge des Adlers zuckte mit den Schultern. ,,Ich weiß auch nicht genau, was das zu bedeuten hat."

,,Junge, sagst du uns, wo das herkommt." Sie sah Choca tief in die Augen. Der kleine Indianer zuckte kurz zusammen und stolperte nach vorne. Panna fing den Jungen überrascht auf. ,,Um Himmels Willen. Choca?" Leicht klopfte sie auf die Wangen des Jungen.

Einige wurden darauf aufmerksam und bildeten einen Kreis um die drei.

,,Also jetzt reicht es mir wirklich", meinte sein Vater verzweifelt. ,,Mein Sohn wurde verflucht oder sowas und das kann ich nur einem verdanken..."

,,Wo wollt Ihr denn jetzt hin?!", rief Panna ihm nach. ,,Kommt doch zurück!"

12. Die Rückkehr der Adler

 Prinzessin Akayla saß nachdenklich auf ihrem Bett von Pergamentrollen umgeben. Maimee hatte sie beauftragt alle erneut auswendig zu lernen, da ihre Werte Tochter noch immer die Häuser von Logarda und Reako verwechselte und das ein oder andere Land nicht richtig nannte. Doch wen interessierte das, wenn die Herrscher teilweise nicht mehr lebten? Ungeduldig trommelte sie mit den Fingern auf ihrem Oberschenkel und seufzte. Das konnte sie nie im Leben alles lernen. Anders gesagt, Akayla wollte es auch gar nicht. Grübelnd blickte die Prinzessin aus dem Fenster. Jetzt einen Spaziergang machen würde sie sicher auf andere Gedanken bringen. ,,Dayne, du könntest dich ruhig mal melden", murmelte Akayla vor sich hin. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sein Verschwinden auffallen würde. Spätestens heute Abend, wenn ihr Vater von der Jagd zurückkam und wie gewohnt jemanden suchte, an dem er seinen Frust auslassen konnte wäre er aufgeflogen. Für gewöhnlich war es Dayne der Knappe, der diese Rolle einnahm.

Akayla rutschte von ihrem Bett auf das Fenster zu aus welchem sie schon so oft geklettert war. Mit nur wenigen Handgriffen und Fußtritten kletterte sie sich in die Freiheit. Raus aus der Burg, wo ihr alles zu viel wurde. Ein letzter Sprung und die Prinzessin stand mit beiden Füßen auf dem gefrorenen Gras. An ihrem Lieblingsplatz musste sie jetzt nachdenken. Sie konnte ihren Vater nicht in das Unglück laufen lassen sein Land zu verlieren. Ihre Mutter ebenso. Also musste ihre junge Tochter weitere Maßnahmen ergreifen und die Rolle der Erwachsenen einnehmen. Akayla wusste schon genau, wo sie fortfahren würde.

 

 

Das kleine Boot trieb in leichten Wellen auf und ab. Die Insassen schliefen teilweise. Nur die Ritter darin waren hellwach und ausgeschlafen. Die halbe Nacht waren sie gerudert, weshalb sie im Morgengrauen das Ziel vor Augen hatten.

,,Wir haben es ans Ufer geschafft, Hoheit", verkündete Ser Chrysos.

Die Königin, Vasilias und Valkan erwachten.

Lydia sah zu dem grün bewachsenen Land, welches sich ihr bot. ,,Castero."

Vasilias streckte sich. ,,Richtig erraten, Lydia. Ihre Ritter haben gute Arbeit geleistet, auch wenn sie die Karten gar nicht mehr hatten."

Die Königin wurde blass. ,,Erinnert mich nicht daran. Schlimm genug, dass die Floghlai Mara die in den Fingern hält. Damit haben wir womöglich einiges verloren."

,,Wenn ich Euch daran erinnern dürfte, gehörten diese Karten ohnehin den Piraten. Früher oder später merken sie, dass Ihr Euch in Isarek zu Schaffen gemacht habt."

Sie winkte ab. ,,Ser, wie legen wir an Land an?"

Der Ritter drehte den Kopf zu seiner Königin. ,,Wie es unvorbereitete Seefahrer tun. Wir knallen ans Ufer."

Noch bevor sich Lydia darüber weiter Sorgen machen konnte, bewegte sich noch wer anders wieder im Boot. ,,Willkommen zurück im Leben, Dayne", sagte Lydia, als er wieder zu sich kam.

,,Was...Ha, ich lebe noch!" Dayne rieb sich den Nacken. ,,Autsch. Hab wohl ordentlich was abbekommen."

,,Immer ruhig mit den jungen Pferden", entgegnete Valkan schmunzelnd. ,,Pass ja auf, dass du nicht vor Freude zu Leben wieder umfällst."

Dayne warf ihm ein gespieltes Grinsen zu. ,,Wirklich unterhaltsam. Ich dachte dabei immer der Knappe zu sein."

,,Habt ihr es dann bald?", hakte Vasilias unruhig nach. ,,Wir treffen jede Sekunde mit dem Landstreifen aufeinander. Seid froh, wenn das Boot heil bleibt."

,,Das wird es. Vertraut meiner Garde", sagte Lydia ernst.

,,Haltet euch besser fest", rief der Ritter zu ihnen hinüber. Kaum eine Sekunde später prallte der Bug des Bootes gegen das Ufer.

Kurz wurden die Insassen nach vorne gedrückt und klammerten sich an den Rand des Bootes.

,,Alles noch dran?"

,,Ja", antwortete die Königin für alle. ,,Geschafft."

Valkan stand auf und half Lydia aus dem Boot. Die anderen stiegen nach ihnen aus.

Kaum waren alle aus dem Boot gestiegen, warfen sich mehrere kleine Schatten auf sie. Nacheinander hoben sich ihre Köpfe nach oben.

Lydia weitete die Augen. ,,Sind das..."

,,Adler", hauchte Vasilias. Er sah überwältigt von diesem Anblick in den Himmel hinauf und wagte es kaum zu blinzeln. ,,Wow."

Die Adler flogen mit gespannten Flügeln über sie hinweg, als wären sie gar nicht da. Der Wind schweifte durch ihre Federn, während diese langsam den Schnabel in Richtung Boden senkten und den Landeanflug ansetzten.

,,Alle Adler aus Nokard sind tot...Ich kann mir denken, dass es in vielen anderen Königreichen nicht viel anders aussieht."

,,Die Skilyras wollten eben jeglichen Hilferuf vermeiden", meinte Vasilias wissend.

,,Diese Familie war wie die Hölle auf Erden...Ich hoffe Imigri tut unseren Leuten nichts an."

Der König dachte nach. ,,Ihr vergesst Quirin. Möglicherweise haben die beiden aber gar nichts mehr gemacht und haben bemerkt, dass Ihr verschwunden seid."

,,Mit Ekatoa und dem restlichen Stamm werden sie sich zu verteidigen wissen", erinnerte Sanfte Feder.

,,Ihr habt vielleicht Sorgen. Die Piraten werden uns sicherlich im Nacken sitzen. Wir müssen die Leute warnen und dann schnellstmöglich verschwinden", scheuchte Dayne.

Lydia zog eine Augenbraue hoch. ,,Und dann? Dann werden sie uns verfolgen, egal wohin wir fliehen."

Der Knappe zuckte mit der rechten Schulter. ,,Dennoch leben wir dann weiter..."

,,Die Adler kommen uns nur zugute. Wir schreiben einen Brief nach Reako, dass sie uns den Rücken freihalten sollen. Wir schreiben einen Brief in alle Länder, die auf diesem Weg liegen. Somit vergrößern wir unsere Armee und gelangen zurück bis nach Nokard", schlug Vasilias vor.

,,Niemand wird uns den Rücken freihalten, Majestät. Die Lebenden Herrscher mischen sich nicht in anderer Leute Probleme ein."

,,Wenn sie das nicht tun, sind sie bald Herrscher von Niemandem, Hoheit", wehrte der König ab. ,,Es ist auch ihr Leben, was auf dem Spiel steht und ihr Thron, der als nächstes gestürzt werden könnte."

Valkan gab es ungern zu, allerdings er musste ihm zustimmen. ,,Lydia, er hat Recht...Wir müssen es versuchen."

,,Also gut, dann lasst uns keine Zeit mehr verlieren und die anderen warnen."

 

 

Akayla warf einen Stein vor sich hin, während sie selbst auf einem der großen saß. Mit angezogenen Knien, beobachtete sie die leichten Schwingungen des Wassers. Sicher würde ihre Mutter gerade alles für die Rückkehr ihres Vaters vorbereiten, welcher für das Essen gesorgt haben würde. Akayla war nicht nach Essen. Sie beobachtete nun einen Vogel über sich hinweg fliegen. Einen Moment lang dachte sie sich nichts dabei, doch dann schaute die Prinzessin auf. Das war ein Adler, den sie noch nie gesehen hatte. Das sollte etwas heißen, denn sie hatte schon oft die Adler von Castero gefüttert. Aufgeregt lief sie dem Adler hinterher, bis sie um eine Reihe von Bäumen kam und dort eine Reihe Menschen und noch mehr Adler auf sich zukommen sah.

Plötzlich hielt Akayla Inne. ,,Dayne, bist du das?"

Er strahlte aus der Ferne. ,,Prinzessin!" Der Knappe lief auf sie zu und fiel ihr um den Hals.

,,Was soll das, wer sind die alle?"

,,Freunde. Kommt mit, wir müssen Eure Eltern warnen, bevor es zu spät ist."

,,Warte...Wovor warnen?"

Dayne setzte einen vielsagenden Blick auf. Die Prinzessin verstand und wechselte einen Blick mit seinen Mitreisenden. ,,Ich kenne eine Abkürzung zur Burg. Einfach mir nach!"

13. Der Fluch

 Ekatoa erkannte den wütenden Ausdruck in dem Gesicht von Auge des Adlers. Er sah weder nach rechts, noch nach links, während er vorwärts ging. Aus irgendeinem Grund hatte er das Gefühl ihn vor einem Fehler bewahren zu müssen. Der Indianer mit dem roten Kopftuch eilte zu Auge des Adlers, baute sich vor ihm auf und packte ihn an den Schultern. ,,Wo willst du denn so früh hin?"

,,Nirgendwo hin", gab dieser tonlos als Antwort. ,,Lass mich durch."

,,Ich kenne dich doch. Irgendetwas stimmt nicht."

,,Ja, dass du mich grundlos aufhältst."

,,Wo ist Choca Bow?", hakte Ekatoa nach. Darauf bekam er keine Antwort. ,,Edolon, nimm doch Vernunft an. Du bist ein Indianer, kein kleines Kind."

Der Indianer blickte an Ekatoa vorbei. ,,Du brauchst mir nicht sagen, was ich bin. Ich weiß das selbst."

,,Sag mir einfach wo du hin möchtest mit diesem Gesichtsausdruck und alles ist in Ordnung."

Auge des Adlers bebte. ,,Denjenigen zur Rechenschaft ziehen, der meinen Sohn verflucht hat!"

Überrascht ließ Ekatoa ihn los. ,,Verflucht? Choca? Das glaube ich nicht."

,,Dann denk mal nach oder glaube mir nicht. Mein Sohn sieht plötzlich Dinge, die kein anderer sieht...Er träumt Dinge, die wirklich passieren und er tritt manchmal so weg, dass ich ihn ewig nicht aus einer Starre bekomme", zählte Edolon auf. ,,Gestern Nacht bricht er in der Küche zusammen und hat auf einmal blaue Flecken aus dem Nichts."

,,Das hättest du auch ruhig früher sagen können. Der Junge ist aber noch klein, also können die Flecken auch vom Spielen kommen."

Auge des Adlers schüttelte den Kopf. ,,Wäre es so, wären sie heute Morgen noch dagewesen."

,,Das klingt in der Tat außergewöhnlich."

,,Dann lass mich jetzt endlich vorbei und ich ziehe den Schuldigen das Fell über die Ohren." Er wollte sich an Ekatoa vorbeidrängen, doch dieser reagierte schnell genug, dass ihm keine andere Möglichkeit blieb als wieder stehen zu bleiben.

,,Wer soll denn daran Schuld sein?"

,,Anemro."

,,Dem traue ich zu, dass er Leute rettet, weil ich es gesehen habe...aber dass er Leuten Schaden zufügt, keine Chance", antwortete Ekatoa. ,,Du bist gerade genauso in einer Starre, wie du es von Choca behauptest. Mit dem großen Unterschied, dass du umherläufst und womöglich noch jemanden dabei umbringst."

Edolon lachte auf. ,,Ich bringe keinen um. Bin ich etwa ein Mörder?"

,,Noch nicht", erwiderte der Indianer mit dem roten Kopftuch. ,,Was gedenkst du denn, wird dir das Bleichgesicht sagen?"

,,Er wird es abstreiten."

,,Genau", stimmte Ekatoa zu. ,,Das wird dich wiederum nur noch wütender machen als du ohnehin schon bist. Sei vernünftig und geh zu deinem Sohn zurück. Ein Vater, der sich für ihn einsetzt kann er zurzeit nur gebrauchen, wenn du auch bei ihm bist."

Auge des Adlers schluckte. ,,Ich hasse es, wenn du Recht hast."

Ekatoa lachte. ,,Den Satz habe ich schon lange nicht mehr von dir gehört."

,,Das bedeutet aber nicht, dass ich ihn nicht im Auge behalte."

,,Bei deinem Namen hätte ich das auch nicht gedacht."

 

 

Choca Bow saß auf Freds Schoß, welcher ihm mithilfe des Holzpferdes eine Geschichte erzählte.

,,Dann ritt das Pferd so schnell es nur konnte, durch den Schnee", erzählte Fred gerade, während die beiden Indianer die Küche betraten.

,,Und die Person oben drauf stieß gegen einen Ast, weil sie sich vorher umgedreht hat."

Pannas Ehemann nickte. ,,So könnte es gewesen sein."

,,Die Person oben drauf war die Königin von Nokard."

Fred sah ihn entgeistert an. ,,Ich glaube nicht, dass unserer Königin so etwas schon passiert ist."

,,Ist es", meinte Choca ernst.

Auge des Adlers warf Ekatoa einen vielsagenden Blick zu. ,,Hab ich dir doch gesagt."

,,Die Geschichte kann er auch gehört haben, als sich der Stamm darüber unterhalten hat. Sogar ich weiß, dass Lydia genau das passiert ist. Sanfte Feder brachte sie damlas zu uns. Wir waren zu dem Zeitpunkt noch im Wald."

,,Du denkst also er hört alles?"

,,Unsinn...", brach Ekatoa die Unterhaltung ab.

Edolon ging auf Choca zu. ,,Wie geht es dir, mein Sohn?"

,,Nicht schlecht. Guck, ich spiele mit anderen, so wie du es wolltest."

Sein Vater lächelte. ,,Das ist schön. Kinder in deinem Alter konntest du dir nicht suchen?"

,,Nein. Die verstehen mich nicht. Es sind Bleichgesichter und keine Indianer."

,,Auch wir haben noch Kinder im Stamm", erinnerte Auge des Adlers.

Choca sah auf das Holzpferd. ,,Die verstehen mich auch nicht."

,,Hast du denn schon versucht mit ihnen zu spielen?", hinterfragte sein Vater.

,,Ja. Ich hab dir doch gesagt was sie denken."

,,Du findest sie verstehen dich nicht...Das Problem lässt sich doch beseitigen."

Er schüttelte den Kopf, während Fred ihn anstupste. ,,Kopf hoch."

,,Die Kinder wirken doch freundlich..."

,,Nicht seitdem ich ihnen gesagt habe, was ich sehe", setzte Choca an. ,,Sie haben Angst es könnte ihnen auch passieren."

,,Das gibt es doch nicht", knurrte Auge des Alders.

,,Nimm es ihnen nicht übel, Vater. Ich verstehe sie. Niemand will wissen, wann er stirbt..."

Fred ließ beinahe den Jungen vom Schoß fallen. ,,Um Himmels Willen...Was erzählst du denen denn da?!"

Choca Bow stand auf. ,,Die Wahrheit." Er lief an seinem Vater und Ekatoa vorbei durch die Schlossflure.

Einen Moment lang herrschte Stille.

,,Bitte sagt mir, dass das gerade nicht wirklich passiert ist." Auge des Adlers sah bedrückt durch die Küche.

,,Ich würde lügen, wenn ich es abstreite."

,,Verstehe ich das richtig, er sieht, dass die anderen Kinder...", Ekatoa zögerte. ,,Sterben?"

Fred erhob sich. ,,So habe ich es auch verstanden."

,,Ekatoa, du hältst mich jetzt auf gar keinen Fall mehr auf diesen Anemro zur Rechenschaft zu ziehen, klar?!", knurrte Edolon.

,,Wer will mich zu was ziehen?" Anemro war im Türrahmen erschienen.

,,Raus!", rief Ekatoa ihm warnend zu, während er sich um den wütenden Indianer vor sich klammerte.

Fred half ihm dabei, Edolon aufzuhalten.

Der Berater sah irritiert drein. ,,Hab ich etwas falsch gemacht?"

,,Sie haben meinen Sohn verflucht!", ruft Auge des Adlers. ,,Mein Sohn ist zu einer seelenlosen Gestalt geworden wegen Ihnen!"

,,Ich habe ganz bestimmt niemanden verflucht", wehrte sich Anemro. ,,Wirklich nicht." Er lehnte sich gegen den Türrahmen. ,,Glaubt Ihr mir endlich, dass ich wirklich durch Chocas Augen sehen konnte?"

,,Lenk nicht von meinem Vorwurf ab, Bleichgesicht!"

,,Das bringt doch nichts, Edolon", hielt Ekatoa ihn krampfhaft zurück. ,,Das haben wir eben noch geklärt."

,,Nichts haben wir geklärt! Wieso kann mir keiner sagen, was auch noch mit meinem Jungen passiert?! Ich brauche Antworten..." Auge des Adlers ging in die Knie. ,,Nicht auch noch er darf mir genommen werden."

In diesem Moment trat Cherokee zu ihnen in die Küche. ,,Mir war doch, als hätte ich deine Stimme gehört." Besorgt kniete sie sich neben den verzweifelten Indianer.

,,Was soll das heißen 'auch noch'?", hakte Ekatoa nach.

,,Meine ganze Familie wird daran sterben...", brachte er hervor.

,,Wer hatte noch diese...Fähigkeit?"

,,Ein Fluch! Ich sollte ihn als nächstes bekommen." Auge des Adlers schluckte. ,,Meine...Meine Frau hatte diesen Fluch vor ihm."

,,Sie hatte nie eine Krankheit?!", platzte es aus Cherokee, die sich die Hände vor das Gesicht schlug.

,,Nein. Dieser Fluch war die Krankheit. Einige vor ihr sind daran gestorben...Der Fluch stammt aus ihrer Familie. Jeder einzelne nahm das Geheimnis mit ins Grab. Bis heute wusste kein anderer Layandra davon." Er sah jeden im Raum nacheinander an. ,,Wieso habe ich ihn nicht abbekommen? Warum mein Choca..."

Anemro stiegen die Tränen in die Augen. ,,Ihr dachtet ich hätte irgendetwas damit zu tun, weil es genau dann auf ihn überging, als wir aus Logarda zu euch kamen, oder?"

Auge des Adlers nickte langsam.

,,Ich kann es nicht gewesen sein. Ehrlich. Choca ist das Kind seiner Mutter, also könnt Ihr den Fluch gar nicht abbekommen haben."

,,Wir sind die einzigen in dieser Welt, die ihn haben."

,,Vielleicht nicht", vermutete Fred.

,,Nennt mir einen."

,,Kann ich leider nicht."

,,Aber diese Dinge, die Ihre Frau gesehen hat und auch Choca...Die werden wahr?"

,,Oder sie sind schon passiert, zu einem anderen Zeitpunkt an einem fernen Ort."

,,Götter..."

,,Gibt es dazu gar kein Buch? Keine Schriften?", schlug Ekatoa vor. ,,Wir könnten in der Bibliothek oben nachsehen."

Auge des Alders ließ den Kopf hängen. ,,Es löscht meine Familie aus...Zu gerne hätte ich einmal gesehen, was mein Sohn Euch gezeigt hat, Anemro."

,,Es war erschreckend echt."

,,Es war echt", entgegnete der Indianer vor ihm wissend.

,,Bibliothek?", versuchte es Ekatoa erneut.

,,Bibliothek", stimmte Edolon ihm zu.

14. Ehre

 ,,Wer sagtet ihr, seid ihr?", fragte Maimee und rutschte in ihrem steinernen Thron hin und her.

,,Königin Lydia, ihre Ritter, König Vasilias und der Häuptling der Layandra", wiederholte Akayla.

Ihre Mutter hob die Hand. ,,Ich habe nicht dich gefragt. Du kannst dir nachher noch etwas anhören zum Thema Abhauen."

Die Prinzessin verdrehte die Augen. ,,Mutter, ich bin alt genug..."

,,Das sind wichtige Personen, auf welche du bitte einen guten Eindruck hinterlassen solltest, wenn du eines Tages Königin wirst."

,,Werde ich das, ja?"

,,König Vasilias, ich hörte Ihr seid tot?", dämmerte es der Königin.

,,Das hören viele. Wie Ihr sehen könnt, Maimee, stehe ich in voller Größe hier, lebendig."

,,Was ist Euer anliegen?"

Vasilias trat vor. ,,Die Piraten."

,,Hört mir auf mit denen. Es reicht schon, dass mein Mann wieder fort ist, wegen ihnen." Sie stützte ihr Gesicht auf der linken Hand ab. ,,Stress haben wir wegen den Piraten inzwischen genug. Wollt ihr uns vor denen warnen? Ist reichlich spät, findet ihr nicht?"

Der König von Logarda funkelte die Königin von Castero an. ,,Ihr lasst mich nicht zu Wort kommen."

,,Fahrt fort."

,,Wir wurden auf der Floghlai Mara gefangen gehalten. Ursprünglich wollten wir Eure Familie retten, nachdem wir von den Plänen der Piraten erfuhren. Es ist aber noch nicht zu spät zu fliehen, Hoheit", berichtete Vasilias. ,,Mit den Adlern draußen schreiben wir Briefe an andere Königreiche und verschaffen uns Rückendeckung."

,,Diese selbsternannten Bierfässer sollen mit ihren Schiffen bleiben wo die Skilyra Familie wohnte!" Maimee schlug mit der Faust auf den Thron aus Stein.

,,Bald kommt Asimi zurück und dann war es das auch mit uns. Dann doch eher die Piraten, damit wir mit Ehre gehen können."

,,Mutter!"

,,Ähm, Euer Hoheit", setzte Vasilias an. ,,Da gibt es etwas, das Ihr Wissen solltet."

,,Was wäre das?"

,,Asimi ist tot."

Die Königin sprang beinahe auf. ,,Das ist ja fabelhaft! Schaffen wir uns also die Piraten vom Hals, brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen!"

,,Das ist jetzt nicht das Problem. Asimi hat einen Zwillingsbruder, Imigri. Der hat ihm die ganze Zeit geholfen uns alle zu vernichten."

,,Bei euch allen dreien hat er wohl unsauber gearbeitet."

,,Hoheit Olfala, wir wollen Euch wirklich nur helfen. Die Piraten sind sehr wahrscheinlich auf dem Weg zurück zu Ihnen, da wir geflüchtet sind", meldete sich Lydia zu Wort.

Maimee stützte den linken Ellenbogen auf den rechten Unterarm. ,,Warum seid ihr geflüchtet?"

,,Entschuldigen Sie mal, aber uns liegt auch etwas an unseren Leben!"

,,An unseren und denen des zukünftigen Prinzen oder der Prinzessin von Nokard", ergänzte Valkan.

,,Ich verstehe. Ihr seid ein Indianer und Lydia eine Königin und dann wollt ihr wirklich ein solches Kind auf den Thron des Landes setzen? Wenn das keinen neuen Sturzversuch gibt."

Lydia ballte die Fäuste. ,,Gut, wenn Ihr unbedingt sterben wollt und Euch so wenig an Euerm Leben liegt, dann gehen wir wieder." Sie machte auf dem Absatz kehrt und zog Valkan mit sich. ,,Garde, folgt mir!"

,,Musste das sein, Mutter?", fragte Akayla betroffen. ,,Ja. Dein Vater kommt bald zurück. Wir müssen alles vorbereiten."

,,Sie haben aber Recht, Hoheit", warf Dayne ein.

,,Reden, obwohl du nicht gefragt wurdest nach all dem was du dir heute schon erlaubt hast? Sei froh, wenn wir dich nicht den Piraten vorwerfen."

,,Es reicht!" Akayla stellte sich vor den Knappen. ,,Ich dachte wir sind eine Familie, aber du lässt mich hängen."

,,Du lässt uns hängen und kommst du deinen Pflichten nicht nach." Die Königin verharrte einen Augenblick. ,,Bevor ich es vergesse, du gehst selbstverständlich nicht mit den anderen nach Nokard, Logarda oder Leydra."

Fassungslos ließ Akayla ihre Mutter zurück.

Vasilias stand noch immer im Thronsaal. Mit ihm ließ es sich nicht so leicht verhandeln. ,,Maimee, Ihr werdet sterben, bleibt Ihr hier. Auch Euer Mann, kommt er zurück."

,,Meine Ritter sind ausgezeichnete Kämpfer", antwortete sie daraufhin.

,,Auch die besten Kämpfer können sterben. Setzt nicht Eure Familie aufs Spiel." Mit diesen Worten verließ auch er schließlich den Saal.

 

 

Die Ritter von Castero begrüßten ihren König, nachdem dieser durch das geöffnete Tor kam. Er legte seine Waffe einem Arbeiter in die Hände, und sagte: ,,Putzt sie gründlich. Die nächste Jagd steht unmittelbar bevor." Siaac sah die Treppe hinauf von wo sich Leute näherten.

,,Was soll dieses alberne Verhalten, bitte? Da hatte ja Asimi mehr Benehmen, als sie", fluchte Lydia, als sie die Treppe hinabgingen. Kaum hatte sie den Satz beendet, blieb sie stehen.

,,Wer seid Ihr?"

,,Königin Lydia aus Nokard. Ihr?"

,,König Siaac von Castero."

Lydias Augen weiteten sich kurz.

,,Habt Ihr gerade über meine Frau gesprochen?"

,,Nein..."

,,König Olfala, wie war die Jagd?", ging Vasilias dazwischen.

Der König schüttelte überrascht Vasilias Hand. ,,Kennen wir uns?"

,,Ich denke nicht. Ist aber auch uninteressant, wer ich bin."

,,Vasilias, was soll das werden? Haben wir bei der Königin keinen Erfolg, dann hier auch nicht", warf Valkan neben Lydia ein.

Akayla erblickte schließlich ebenfalls den König, als sie die anderen erreichte und grüßte halb abwesend. ,,Hallo Vater."

,,Akayla, was ist hier gewesen? Waren die Piraten schon wieder da?"

,,Als ob du dich deswegen sorgen müsstest."

,,Das tue ich, Tochter", sagte er mahnend. ,,Woher kommt die Königin und diese Ritter?"

,,Wir müssen Euch wenigstens warnen. Die Floghlai Mara ist noch wütender, jetzt wo wir ihnen ausgebrochen sind...Wir haben keine Zeit für mehr Erklärungen. Ihr müsst uns das wirklich glauben."

Siaac dachte nach.

,,Ich habe es dir gesagt, Vater. Hörst du wenigstens auf andere Könige, wenn schon nicht auf dein Kind?"

Ein Wimmern war zu hören. Der König wandte sich zu dem Knappen um. Dieser kauerte ängstlich in einer Ecke, die Knie bis unter das Kinn gezogen. Nie hätte er in diesem Moment gewagt ihn als lächerlich zu bezeichnen. Dayne sah ihn aus seinen verängstigten Augen an und brachte nur diese Worte zustande: ,,Sie kommen und es sind verdammt viele, Majestät..."

Der König überlegte. ,,Das ist wohl wahr, aber wir haben keine gute Verteidigung..."

,,Endlich sieht er es ein", sagte die Prinzessin erleichtert.

,,Was können wir denn tun?"

,,Habt Ihr Schiffe?", erkundigte sich Lydia.

,,Sicher. Nicht sehr viele, aber da werden wir schon reinpassen."

,,Wir sollten um das Land herum, den Umweg, den ich im Kopf habe fahren...Andernfalls treffen wir augenblicklich auf die Piraten."

,,Wenn die auch ständig unseren Hafen in Beschlag nehmen müssen, mit ihren paar Schiffen."

,,Majestät, es sind mehr als nur ein paar Schiffe", flüsterte Dayne. ,,Dann doch lieber die Geistergeschichten."

Lydia warf ihm einen kurzen Blick zu, bevor sie sich wieder an den König wandte. ,,Holt Eure Frau, Ritter und Arbeiter. Ihr müsst hier verschwinden."

Der König nickte. ,,Mache ich."

Akayla trat neben die Königin von Nokard. ,,Danke, Lydia. Ihr habt sie zur Vernunft gebracht."

,,Noch sind nicht beide außer Land."

Sie beobachtete einen Arbeiter, der gerade eines der gejagten Speisen hineintrug. ,,Majestät, wohin damit?"

Lydia warf dem König einen grimmigen Blick zu. ,,Ihr habt einen Adler getötet?!"

,,Die gehörten nicht zu unserem Land."

,,Keine Sorge, er hat nur drei erwischt", beruhigte sie der Arbeiter.

,,Ganz ruhig, Lydia. Wir bekommen die Nachricht trotzdem nach Reako." Valkan führte sie nach Draußen, bevor sie noch den letzten Nerv verlor. ,,Das wird schon."

15. Zwei einer Art

  In der großen Bibliothek von Nokard flogen Pergamente durch die Luft, welche die Indianer bereits seit einiger Zeit fleißig durchwühlten.

,,Ich drehe langsam noch durch." Auge des Adlers rutschte an einem der Regale entlang zu Boden, stütze die Ellenbogen auf die Knie und das Gesicht auf die Hände.

,,Wir werden etwas finden", versicherte Ekatoa, der gerade hinter einem Stapel Bücher auftauchte. Er war sich insgeheim selbst nicht sicher, doch wollte er seinen Freund nicht unnötig beunruhigen.

,,Seid ihr euch sicher? Wir suchen schon ewig." Anemro saß im Schneidersitz zwischen aufgeschlagenen Exemplaren und wischte sich den Schweiß von der Stirn. ,,Weiß gar nicht mehr, wann ich zuletzt so viel gelesen habe."

,,Ihr könnt ja aufgeben, Bleichgesicht", murmelte Ekatoa gestresst.

Vasilias Berater lachte auf. ,,Aufgeben? Niemals."

,,Ich sollte vielleicht nach meinem Jungen sehen...Er ist schon so lange alleine."

,,Du weißt nicht, ob er alleine ist", erwiderte der Indianer mit dem roten Kopftuch.

Edolon warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. ,,Wenn du damit sagen willst, dass Choca in seiner Fantasie gefangen ist oder in irgendwelchen Gedanken anderer, dann..."

,,Das will ich gar nicht damit sagen", verteidigte sich Ekatoa und hob die Hände. ,,Gedacht habe ich es aber für eine Sekunde."

,,Seht mal!", rief Anemro ihnen zu. ,,Hier ist ein ziemlich altes Exemplar von "Krankheiten und andere Mysterien"."

,,Mein Sohn hat keine Krankheit!", fauchte Auge des Adlers erneut. ,,Wie oft soll ich Euch das noch sagen?!" Der Indianer erhob sich.

,,Das weiß ich doch...Ihr solltet wirklich einen Tee trinken, so reizbar, wie Ihr seid."

,,Lest einfach mal vor, was da alles drinnen steht", unterbrach ihn Ekatoa, um das Thema zu wechseln.

Anemro legte den Daumen an den Einband des Buches und öffnete es. Abgenutzte Seiten, die einst weiß waren, kamen nun zum Vorschein. Auf ihnen war mit schwarzer Tinte geschrieben worden. ,,Sieht interessant aus." Er blätterte weiter darin. ,,Was es alles für Krankheiten gibt", sagte Anemro erstaunt.

,,Das bringt doch nichts." Auge des Adlers steuerte auf die Tür zu. Kurz bevor er dort ankam, wurde diese jedoch von außen zugesperrt. Zunächst dachte er sich nichts dabei. ,,Sehr lustig, welcher Scherzbold auch immer dahinter stecken mag." Edolon drückte die Klinke hinunter, aber die Tür blieb geschlossen.

,,Du darfst jetzt nicht aufgeben! Denk an deinen Sohn, Edolon", erinnerte Ekatoa. ,,Alles in Ordnung?" Besorgt blickte er den Indianer an.

,,Die Tür geht nicht mehr auf..."

Der Berater eilte zu ihm, nachdem er Ekatoa das Buch in die Hand gedrückt hatte und rüttelte an der Klinke aus Metall. ,,Wer soll denn abgesperrt haben? Die Königin hat den Schlüssel, wenn überhaupt. Ich habe sie nie mit einem gesehen."

,,Ihr wohnt auch nicht hier, Anemro." Chocas Vater lehnte sich mit seiner ganzen Kraft gegen die Tür.

,,Da tut sich gar nichts." Seine Augen wanderten auf die Hand an der Klinke. Diese wurde eiskalt und sah aus, als ob sie zugefroren wäre. ,,Ihr seht das auch, oder?"

Auge des Adlers nickte, als Anemro seine Hand zurückzog. ,,Hier geht etwas nicht mit rechten Dingen vor sich." Er wandte sich zu Ekatoa um. ,,Sieh mal, die Türklinke ist plötzlich eingefroren."

,,Wie soll das denn passiert sein?"

,,Können wir dir leider nicht beantworten", entgegnete Edolon panisch.

,,Ich dagegen schon", hörten sie eine Stimme von Draußen sagen.

Der Berater legte ein Ohr an das Holz.

,,Legt euch mit mir an und ihr bereut es zutiefst. Ich hoffe sehr, dass euch dies eine Lehre sein wird."

Anemro sah Auge des Adlers erschrocken an. ,,Diese Stimme..."

,,Quirin", antwortete dieser beinahe tonlos. ,,Aber wie..."

,,Was haben wir Euch getan?!", rief Vasilias Berater von Drinnen.

,,Das wisst ihr ganz genau." Quirin räusperte sich lautstark. ,,Ihr habt uns dieses Tier auf den Hals gehetzt und jetzt ist Imigri tot! Könnt ihr das alle hören?!"

Die drei weiteten die Augen vor Schreck.

Anemro legte eine Hand auf das Holz knapp neben seiner Wange. ,,Wir wussten gar nicht, dass Imigri tot ist! Macht die Tür auf und wir reden wie erwachsene Männer."

,,Das soll ich euch glauben?!"

,,Glaubt was Ihr wollt, es stimmt!", erwiderte Anemro. ,,Öffnet die Tür."

,,Ich denke gar nicht daran. Ihr werdet mich jetzt erst so richtig kennenlernen."

Auge des Adlers schlug mit einer Hand gegen die Tür, sodass der Berater neben ihm zurückwich. ,,Denkt nicht mal dran uns etwas anzutun!"

Quirins Stimme war beinahe nur noch ein Flüstern. ,,Wer sagt denn etwas von euch?"

,,Hey!" Wieder hämmerte er gegen das Holz.

,,Du brichst dir noch die Knochen, Auge des Adlers. Lass gut sein", beruhigte ihn Anemro.

,,Wieso ruhig?! Hast du nicht gehört, dass er meinem Sohn was antun will?!"

,,So direkt hat er das aber nie gesagt", berichtigte der Berater ihn.

Ekatoa klappte das Buch zu und trat zu den beiden an der Tür vor. ,,Ist aber bei einem wie Quirin nicht auszuschließen. Außerdem, was für ein Fiech solltet Ihr ihm auf den Hals gehetzt haben?"

,,Keine Ahnung." Anemro fröstelte.

,,Eure Hand", merkte Edolon an. ,,Sie ist ganz blau und violett von der Kälte."

,,Das wird wieder, sobald ich sie wärme."

Der Indianer vor ihm ergriff sein Handgelenk. ,,Seht genauer hin."

Ein Stück des Ärmels rutschte nach unten, sodass sein halber Unterarm zu sehen war.

Panisch wich Anemro einige Schritte zurück und schüttelte dabei seinen Arm. ,,Was ist das?!"

,,Sieht aus, als würde Euer Arm...einfrieren."

,,Was habt Ihr mit mir gemacht, Quirin?!", schrie er verzweifelt. ,,Kommt sofort zurück und macht das rückgängig!"

 

 

Quirin stürmte den Schlossflur entlang aus dem er gekommen war. Wutentbrannt bog er um die Ecke und stieß dabei mit jemandem zusammen. ,,Pass doch auf!", fluchte er.

Choca Bow sah dem Mann vor sich in die funkelnden Augen. ,,Lasst sofort meinen Vater frei!"

Asimis ehemaliger Berater starrte ihn an. ,,Weiß nicht, wovon du sprichst, Junge."

,,Und ob Ihr das wisst. Ich wiederhole mich nicht gerne."

Grimmig versuchte Quirin den kleinen Indianer aus dem Weg zu schieben, doch dieser ergriff seine Hände und schob ihn zurück. Er konnte sich wehren, so viel er wollte. Selbst zwischen dem Abstand ihrer Armlängen, konnte er den Zorn des Indianers spüren. ,,Gib auf, Kleiner."

,,Nicht solange mein Vater eingesperrt ist."

Als sich ihre funkelnden Augen trafen, blickte er den Jungen überrascht an. ,,Du..."

,,Ihr auch..."

Quirin verstärkte den Druck und schaffte es Choca ein wenig nach hinten zu drücken.

Choca Bow konnte Anemros Stimme vernehmen. Kein Wunder, er schrie von allen am auffallendsten. ,,Ihr habt sie eingefroren?! Wie das?"

,,Es gibt eine Menge Dinge, die du noch nicht weißt, Kleiner. Deine Gabe ist ein Fluch." Er lauschte lächelnd dem Geschrei des Beraters von Logarda. ,,Wenn andere sich mit dir anlegen, dann bekommen sie es zu spüren. Oder sollte ich besser "uns" sagen?"

Der kleine Indianer packte stärker zu. ,,Geht uns aus den Augen, Ihr Unruhestifter!" Etwas zwischen seinen Fingern blitzte orange auf, wurde größer und größer, bis es Quirin nach hinten schleuderte.

Dieser stieß mit dem Rücken zuerst gegen die Steinwand und fiel zu Boden. Quirin holte mehrfach tief Luft, um richtig atmen zu können.

Choca eilte zu der Türe, legte seine Hand darauf und drückte sie problemlos herunter. ,,Papa."

Auge des Adlers hob seinen Sohn hoch. ,,Wie hast du das geschafft?", fragte er erleichtert. ,,Ich bin so froh, dass es dir gut geht."

,,Glückwunsch, Rothaut!", hörten sie Quirin aus dem Flur. ,,Euer Sohn ist einer von den Großen und Gefährlichen. Wenn Ihr nicht aufpasst, wird er Euch außer Kontrolle geraten." Blitzschnell stand er auf und verschwand, noch ehe ihm jemand nachrennen konnte.

Auge des Adlers sah zu seinem Sohn hinab. Zum ersten Mal konnte nun auch er seine Augen aufleuchten sehen.

,,Ich sag das nur ungern, aber ich befürchte dieser Quirin hat Recht", seufzte Ekatoa. ,,Er ist auch einer dieser Monster."

,,Mein Sohn ist kein Monster!" Edolons Stimme hallte in der Bibliothek wieder. In jedem Regal. In jedem Buch. In jedem Pergament. Er hob Choca erneut auf den Arm und ging mit ihm davon.

,,Seht der Tatsache ins Auge", wimmerte Anemro. ,,Quirin weiß etwas..."

,,Das kann nur bedeuten, er selbst ist auch von diesem Fluch betroffen", murmelte Auge des Adlers vor sich hin, während er die anderen hinter sich ließ.

16. Steuerbord

 ,,Wenn ihr weiterhin so langsam geht haben wir Sommer, noch bevor wir hier abgelegt haben!", scheuchte Siaac sein Volk auf die Schiffe.

,,Bis dahin haben uns die Piraten einen Kopf kürzer gemacht, Majestät."

Als sich der König nach der Stimme umsah, fand er diese zunächst zwischen der Menschenmasse nicht. ,,Majestät, ich stehe direkt neben Euch."

Der König von Castero fuhr herum. ,,Mensch, Nate! Musst du dich immer so anschleichen?"

,,Verzeiht, Majestät. Ihr kennt mich doch, ich schwebe nahezu über den Boden", entgegnete dieser grinsend.

,,Euer Volk ist sehr langsam unterwegs, dafür dass jede Minute die Floghlai Mara auftauchen könnte. Sie nehmen das zu gelassen." Er grübelte einen Moment. ,,Vielleicht sollte ich ihnen auch einmal von den Geistern erzählen."

,,Verschon sie damit!", rief Dayne ihm zu.

Nate wandte sich zu Dayne um. ,,Werter Cousin! Nett dich hier zu sehen. War mir klar, dass du einer der ersten an Bord bist."

Dayne funkelte ihn grimmig an und ließ den Holz Rand des Schiffes los, um zu der Königin herüber zu gehen. ,,Hoheit, wir kommen nur erschwert voran. Es kann sich noch um eine halbe Ewigkeit handeln, bis alle an Bord sind."

Lydia blickte den Knappen entgeistert an. ,,Ich habe befürchtet, dass es soweit kommt. Siaac macht seinem Volk nicht genug Druck."

,,Es sind eben viele Menschen", merkte Valkan neben ihr an.

,,Sehe ich genauso." Vasilias beobachtete die ankommenden Leute. ,,Ich sollte nachhelfen."

,,Vasilias, was habt Ihr vor?", fragte Lydia überrascht.

,,Abwarten." Der König von Logarda ging an die Stelle, wo Dayne bis eben noch gestanden hatte. Er richtete sich zu den Menschen und rief: ,,Teilt euch auf die Schiffe auf, anstatt euch nur auf eines zu beschränken. Ihr wollt doch Leben, oder nicht?"

Seine Worte hinterließen Spuren. Augenblicklich stürmten sie auf die umstehenden Schiffe. Nicht mehr viele traten zu ihnen auf das Schiff.

Siaac nickte Vasilias dankbar zu. ,,Lasst Euch das aber nicht zur Gewohnheit werden. Ich bin schließlich euer König!", rief er seinem Volk zu.

 

 

Nachdem nun auch der Letzte an Bord getreten war, erteilten der König und seine Frau den Befehl zum Ablegen.

Akayla war erleichtert, dass ihre Mutter nach einiger Zeit Überredungskunst an Bord gestiegen ist. Dennoch sah sie ihr den skeptischen Ausdruck auf ihrem Gesicht deutlich an. Hoffentlich kam sie nicht auf die Idee während der Fahrt von Bord zu springen und nach Hause zu schwimmen. Noch immer traute sie Maimee alles zu, welche sie seit dem Streit kein einziges Mal angesehen hatte.

,,Osin, es geht Richtung Reako. Wir fahren an Waldegro vorbei, damit die Piraten denken, dass wir dort sind."

,,Serwohl, Majestät", antwortete der Fischer.

,,Vasilias. Ich hoffe für Euch  Ihr habt den Adler bereits losgeschickt, um unsere Ankunft in Reako anzukündigen."

,,Ihr habt mich falsch verstanden. Wir fahren nur an Reako vorbei, um Rückendeckung zu erhalten. Unser eigentliches Ziel ist eines der fernen Ländern, von denen wir kommen", meinte Vasilias und deutete dabei auf Lydia, Valkan und sich.

,,Soll mir egal sein, solange wir in Sicherheit sind", knurrt Siaac und ließ den König von Logarda zurück.

Die Schiffe setzten sich in Bewegung.

Hinter ihnen ging die Hütte des Hafens in die Luft. Sie zersprang in tausend kleine Holzstücke, während die Menschen auf den Schiffen erschrocken den Atem anhielten oder gar aufschrien.

,,Majestät, die Piraten!"

,,Ruhig bleiben, Osin!", forderte Siaac. ,,Sie haben uns schließlich verfehlt."

,,Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie uns treffen!", rief Lydia ihm zu. ,,Wir haben zu lange gewartet..."

,,Seid ihr aus dem Norden immer so gestresst? Wenn ja bin ich froh so weit im Süden zu wohnen." Der König hielt nach den feindlichen Schiffen Ausschau.

,,Nehmt die Piraten nicht auf die leichte Schulter, Majestät. Ihr solltet doch inzwischen wissen, wie die drauf sind."

,,Lydia hat vollkommen Recht, Vater", warf Akayla ein. Kaum hatte sie den Satz beendet, flog eine weitere Kanonenkugel in Richtung Hafen. Diese zertrümmerte den Steg zu Kleinholz.

,,Osin, rudere schneller!", befahl Siaac seinem Steuermann. ,,Ihr anderen da hinten, auch!", rief er über die Reling hinweg. ,,Und passt auf die Kanonen auf!"

Lydia wandte sich an Valkan. ,,Ich wusste es, dass sie kommen. Die Königin hat zu lange gebraucht, um sich zu entscheiden."

Sanfte Feder senkte seine Stimme. ,,Das ist mir auch bewusst. Wir können nur noch hoffen, dass unser Schiff nicht getroffen wird. Hätten wir lieber wieder das Boot nehmen sollen?"

,,Auf keinen Fall." Sie schüttelte den Kopf. ,,Viel zu unsicher."

,,Dieses niedere Volk geht mir gehörig auf die Krone", knurrte Maimee neben ihrem Ehemann.

,,Mutter, bleib still. Deine Worte können uns jetzt auch nicht mehr retten", fuhr Akayla sie an. Sie wurde ungeduldig, als Maimee sie nach wie vor nicht ansah. ,,Selbst wenn du mich ignorierst bin ich da. Wenn du die Floghlai Mara ignorierst, sind sie da. Sieh hin!"

Maimee fuhr zusammen. ,,Akayla, ich bitte dich. Dein Verhalten ist unmöglich!"

,,Wegen wessen ewigen Zögern sind wir denn jetzt in dieser Situation?!"

Die Königin schritt auf die andere Seite des Schiffes, um ihrer Tochter aus dem Weg zu gehen.

 

 

Captain Delkorta hing an einem der dicken Seile des Piratenschiffes und beobachtete die Flugrichtung der Kanonen. ,,Schießt weiter. Wir werden sie treffen!"

,,Ay, ay, Captain!" Sirdos wartete auf das Zeichen von Laioh auf dem Ausguck.

,,Etwas weiter Steuerbord...Ja, genau so! Jetzt schießt!"

Erneut wurde die Kanone betätigt und von Laioh durch das Fernrohr verfolgt. ,,Das sieht sehr gut aus, Sirdos."

 

 

,,Verflucht! Majestät...", begann Nate. ,,Das hinterste Schiff wurde getroffen..." Er hob einen Arm zur Deckung der fliegenden Holzspäne vor sein Gesicht. ,,Einige Eures Volkes schaffen es nicht alleine aus dem Wasser."

,,Schweig!", mahnte Siaac ihn.

Lydia und Valkan wechselten einen Blick. ,,Wieso hält er nicht an? Er fährt weiter..." Die Königin von Nokard blickte verzweifelt zu dem sinkenden Schiff.

,,Ich mach das." Sanfte Feder ging grimmig auf Siaac zu. ,,Rettet Euer Volk!" Valkan hatte den König am Kragen gepackt.

,,Wir können nicht umdrehen. Ihr habt es selbst gesagt...Unsere Leben stehen ohnehin auf dem Spiel."

,,Ihr überlasst sie ihrem Schicksal, nur weil Eure Frau so lange gezögert hat mit uns zu kommen?! Wir hätten längst fort sein können!"

,,Lasst Maimee da raus, Indianer! Ich habe keine Ahnung wer Ihr seid, aber ich weiß, dass Ihr nicht auf der Stufe eines Königs steht." Er riss die Hände des Indianers von sich. ,,Daher lasst mich jetzt endlich in Frieden."

Valkan schnappte Nates entschuldigenden Blick auf. ,,Nichts zu wollen", berichtete Valkan, als er zu Lydia zurückkehrte.

,,Weitere Schiffe können getroffen werden und er macht gar nichts. Er sorgt sich nicht um sein Volk", stellte nun auch Vasilias erschreckend fest. ,,Wäre Anemro hier..."

,,Irgendwann werden wir auch getroffen und Anemro kann da auch nichts dran ändern", erwiderte Lydia trocken.

,,Ich lasse aber nicht zu, dass Euer Kind stirbt", setzte Vasilias an. ,,Ich lasse auch nicht zu, dass Ihr oder der neben Euch stirbt oder ein weiterer Eurer Ritter."

Lydia sah ihn erstaunt an. ,,Was sollen wir denn tun? Die Drachen sind von den Piraten vertrieben worden und sobald sie noch näher an uns dran sind, haben wir verloren."

Ein Ruck ging durch das vorderste Schiff, auf welchem sie sich befanden. Hastig hielten sich die Insassen irgendwo fest.

,,Majestät! Das Schiff von Alim wurde getroffen...", teilte Osin seinem König mit.

,,Seht ihr jetzt, warum ich nicht zurück kann? Wir werden ohnehin alle getroffen!" Siaac klammerte sich an die Reling aus Holz.

,,Das Schiff mit der Flagge der Floghlai Mara kommt immer näher." Osin riss das Steuerrad herum.

,,Seht Ihr nun, wie viele es sind!", rief Dayne dem König zu. Er rief es so laut, dass auch die Königin es hören konnte.

In Lydia wuchs die Angst. ,,Valkan, ich weiß wir haben schon viel überlebt, aber das hier...", verzweifelt sah sie den Indianer an.

,,Nicht aufgeben", flüsterte er.

Sie schloss die Augen und hörte das Zerspringen von Holz und hunderte von Stimmen in dem Gewirr von Menschen.

Akayla trat derweil neben Dayne, der sich an den Mast klammerte. ,,Die Piraten haben uns gleich erreicht und dann werden sie mir wieder wehtun!", wimmerte er vor sich hin.

,,Das werden sie nicht. Wir müssen sie ablenken." Hilflos überflog sie den Boden des Schiffes. ,,Auch wir haben Waffen an Bord."

,,Warum zur Hölle nutzt die dann keiner?"

,,Pfeil und Bogen!", fiel es der Prinzessin ein. ,,Kannst du mit Pfeil und Bogen umgehen, Dayne?"

Der Knappe nickte mit kreideweißem Gesicht.

Akayla sprang in eine Ecke, welche zu dem kleinen Waffenlager an Bord führte. Sie öffnete eine Klappe und zog einen Stoffbeutel mit Pfeilen und einem Bogen heraus. Während sich das Schiff hin und her neigte, eilte sie zurück zu dem Knappen. ,,Zeig was du kannst, Dayne."

Er ergriff den Bogen und nickte die Prinzessin an. ,,Ich werde es versuchen. Für Castero."

,,Für Castero", sagte sie zustimmend und lächelte.

17. Captain Delkorta

 Der Knappe zog einen Pfeil aus dem Beutel und legte diesen an den Bogen. Dayne spannte das dünne Seil des Bogens mithilfe seines Zeigefingers und des Mittelfingers. Er spannte es, bis es auf der Höhe seines Kinns war, dann ließ er ruckartig los. Der Pfeil wurde auf das nahe Piratenschiff geschleudert, wo er von Laioh im Fernrohr zu spät erkannt wurde.

,,Captain, da kommt was auf uns zu!"

,,Sei nicht albern..." Der Pfeil verfehlte ihn knapp. Erstaunt wich er zurück an Bord. Ein zweiter Pfeil wurde von Dayne gespannt und auf die Floghlai Mara losgelassen.

,,Wir stehen unter Beschuss! Vorsicht an Deck!"

Sirdos verzog das Gesicht, welches erst rötlich und dann weiß wurde. Er blickte auf seinen Oberschenkel. ,,Die Nachricht kommt reichlich spät."

Delkorta sah, dass Sirdos getroffen wurde. ,,Geht von Deck! Die Kanonen übernehme ich."

Nur zu gerne folgte der Pirat dieser Anweisung.

Der Captain rückte die Metallkanone auf Position. ,,Laioh, sag mir, wann ich treffe!"

,,Ay...ay", brach er den Satz ab und duckte sich. Ein dritter Pfeil versank mit der Spitze im Mast um Haaresbreite hinter ihm. ,,Die verfluchten Dinger sind so schwer zu sehen, Captain!"

,,Darum musst du zusehen, welches Schiff die Pfeile abfeuert, damit wir es als nächstes dem Erdboden gleich machen!"

,,Gute Schüsse, Dayne", lobte Akayla. ,,Es wird gar nicht mehr auf uns gefeuert."

Der Knappe lächelte. ,,Ihr habt Recht. Wenigstens bin ich doch zu etwas zu gebrauchen."

,,Das müssen meine Eltern auch endlich einsehen." Die Prinzessin klopfte anerkennend auf seine Schulter, bevor sie sich an die Königin von Nokard wandte.

,,Gute Idee, mit den Pfeilen", meinte Lydia. ,,Damit schaffen wir uns wenigstens etwas Zeit zum Fliehen."

,,Ich wollte viel mehr damit erreichen."

Das Schiff hinter ihnen wurde getroffen. Ein riesiges Loch zog es in das Wasser hinunter.

,,Schade nur, dass Ihr nicht genug Bogenschützen habt...", stellte Valkan sicher.

,,Die haben mindestens vierzig Schiffe...Was soll ich da schon machen?" Sie blickte zu Dayne, der fleißig weiter schoss. ,,Er schlägt sich tapfer."

,,Wir schaffen es so niemals nach Reako. Noch nicht einmal bis nach Waldegro." Lydia beobachtete das Schiff, welches nur noch wenige Meter von ihnen entfernt war. ,,Gleich kommen sie an Bord." Zittrig suchte sie Valkans vertraute Hand.

,,Dann müssen wir verschwinden, bevor sie uns schnappen."

,,Die Erddrachen sind fort, die können wir nicht benutzen", meinte die Königin enttäuscht.

,,Warum eigentlich Erddrachen zu dieser Jahreszeit? Ich dachte sie werden zu Winddrachen im Frühling", erinnerte Sanfte Feder.

,,Der Indianer hier hat gut aufgepasst", stellte Vasilias fest. ,,Besser spät, als nie."

,,Wir haben nun wirklich keine Zeit darüber nachzudenken." Lydia sah zwischen Vasilias und Valkan hin und her. ,,Oder habt ihr irgendeine Vermutung, die uns retten könnte?"

,,Leider nicht."

Sie wurden mit einem Ruck des Schiffes gegen die Reling gestoßen.

,,Prinzessin, Vorsicht!"

Akayla wich gerade noch rechtzeitig einem Säbel aus.

Dayne richtete Pfeile in Richtung der Angreifer, welche mit ihrem Schiff direkt neben ihnen ankamen und nun nacheinander an Bord sprangen.

,,Aus dem Weg!", warnte Dayne erneut.

Die Piratin wich aus.

Vasilias Umhang wurde an dem Holz Rand des Schiffes befestigt. Hektisch zog er daran. ,,Sollte ich jetzt sterben, ist das nur deine Schuld!"

Ein Säbel wurde auf ihn gerichtet, während er am Umhang zerrte. ,,Endstation, königliche Hoheit." Die Piratin vor ihm stach zu und traf ins Leere. Vasilias hatte es geschafft sich zu befreien und seinen Umhang zurück zu lassen. Grimmig folgte sie dem König von Logarda.

,,Wen haben wir denn da? Euch kenne ich doch", stieß Delkorta hervor, als er an Bord des Schiffes von Castero sprang.

,,Der Pirat."

Sanfte Feder stellte sich schützend vor Lydia. ,,Denkt gar nicht daran uns zu töten." Er sprang hoch, hielt sich mit beiden Händen an einem der Holzbarren über ihnen fest, an denen das Segel befestigt war und versetzte dem Captain einen Tritt in die Magengrube.

Fluchend stolperte dieser rückwärts zu Boden.

Valkan ließ wieder los und eilte auf den Piraten mit dem roten Halstuch zu. Dieser streckte beide Arme von sich und packte den Häuptling am Kragen des Hemdes. ,,Ihr wollt wohl kämpfen. Dann zeigt, was Ihr drauf habt." Zornig riss er den Indianer zu Boden.

Lydia schrie auf. ,,Nein, Valkan!"

Sanfte Feder sprang wieder auf die Beine. ,,Könnt Ihr gerne haben!" Er wich dem Säbel des Piraten erneut aus. Mit dem Kopf zuerst, ging er auf Delkorta zu, hob diesen hoch und warf ihn ein ganzes Stück von sich weg. Fluchend landete dieser auf dem Boden. ,,Gib mir das." Ohne Rücksicht zu nehmen, riss er der Piratin den Säbel aus der Hand und schwang sie in beiden Händen. Dann lief er auf Valkan zu und schlug mit den Säbeln in seine Richtung.

Vasilias packte von hinten das Handgelenk des Piraten, als dieser gerade ausholte und verdrehte diese auf seinem Rücken. ,,Hände weg vom Häuptling der Layandra." Er trat mit seinem Knie in den Rücken des Captains. Delkorta fiel auf die Knie und ließ die Säbel los.

,,Das war knapp", hauchte Valkan dankbar.

Die Königin von Nokard versuchte am Rande des Schiffes der Prinzessin zur Hilfe zu kommen. Akayla hielt einen Pfeil vor sich und hielt damit dem Säbel so gut es ging Stand. Dieser zerbrach jedoch, als beide Waffen aufeinandertrafen. Mit einem halben Stück Holz, stand Akayla nun vor dem grimmigen Pirat. ,,Sucht Euch jemanden Eurer Größe!" Lydia sprang dem Piraten auf den Rücken und umklammerte dessen Hals mit beiden Armen, damit er keine Luft mehr bekam. ,,Lasst die Waffe fallen."

,,Ich denke gar nicht daran", antwortete dieser heiser. Er krallte sich an Lydias Unterarmen fest, beugte sich weit vor, packte sie unter den Armen und ließ sie im hohen Bogen über sich hinweg auf den Boden vor ihm fallen.

Die Königin krümmte sich kurz, dann sah sie das Säbel über sich. Mit einem Schrecken erinnerte sie sich an eine ähnliche Situation, als Asimi sie auf diese Weise töten wollte. Lydia rollte sich rechts weg, aus der Gefahrenzone und blieb auf dem Bauch liegen. Sie hielt sich den Rücken und kam wieder auf die Beine.

Akayla reagierte erst nach Sekunden wieder auf ihre Umgebung. Sie sah Lydia aufstehen und den Piraten auf sie zugehen. ,,Dayne!", schrie sie.

Der Knappe wandte sich sofort zu ihr.

,,Feuer auf ihn!"

Dayne spannte blitzschnell einen Pfeil und traf den Piraten, wie erhofft. Dieser fiel vor Lydias Füße.

,,Oh Götter...", brachte sie hervor. ,,Danke, Dayne!"

,,Akayla!"

Die Prinzessin drehte den Kopf nach rechts und erblickte dort ihre Eltern und weitere Piraten, welche an Bord stürmten. ,,Mutter!" Sie winkte dem Knappen zu, dass er auf die Feinde schießen sollte.

Aus dessen Gesicht verschwand jeder Triumph, den er soeben erzielte. ,,Prinzessin, die Pfeile sind alle."

,,Dann braucht Ihr den ja nicht mehr", meinte Delkorta, welcher sich von dem kleinen Kampf schnell erholte und entriss ihm den Bogen. Achtlos warf er diesen über Bord.

Dayne sah seiner einzigen Waffe besorgt nach.

,,Ich weiß noch wie du mich geschlagen hast."

Das waren die letzten Worte, die Dayne hörte, bevor er zu Boden taumelte. Vom Feind mit dem eigenen Trick geschlagen. Darauf hätte er kommen können.

Jetzt war es Lydia, die reagierte. Sie ging auf den Captain zu und versetzte ihm einen Schubs. Er geriet ins Taumeln und fiel von Bord.

Schon im nächsten Moment ergriff die Piratin ohne Waffe sie im Nacken. ,,Ihr habt meinen Captain über Bord geworfen. Dafür werdet Ihr bezahlen, Hoheit", sagte sie grimmig, während sie Lydia zu sich drehte und fester zudrückte.

Die Königin rann nach Luft. Sie versuchte die Arme der Piratin loszuwerden. Schon in der nächsten Sekunde verdrehte diese die Augen und lockerte den Griff. Kaum war diese aus Lydias Blickfeld verschwunden, tauchte Valkan mit einem Säbel hinter ihr auf. Er zog sie weg von der Reling. ,,Alles in Ordnung?"

,,Ja...Ja", hustete die Königin erleichtert. ,,Götter, ich dachte sie tötet mich mit bloßen Händen."

,,Das hätte sie sicher getan."

Plötzlich spürte Lydia ein Ziehen an ihrem Bein. Als sie hinab sah, stieß sie einen Schrei aus. Eine Hand klammerte sich daran fest und diese gehörte zu Delkorta. ,,Lasst mich los!"

Valkan trat einen Schritt hinter Lydia und hielt den Säbel auf den Captain. ,,Ihr wollt es wohl heute wirklich wissen. Lasst sie los!"

Delkorta befolgte die Aufforderung und erhob sich anschließend. ,,Das gehört Euch nicht, Indianer." Er deutete auf den Säbel in seiner Hand.

,,Das interessiert mich nicht, Bleichgesicht."

,,Wäre Anemro nur hier", sagte Vasilias immer wieder vor sich hin, während er auf den Captain zulief und gegen ihn rannte.

Dieser drehte sich zu ihm um, obwohl Valkan noch mit dem Säbel auf ihn gerichtet vor ihm stand. ,,Bitte wer?!"

Sanfte Feder nutzte diese Chance und nahm den Captain in den Schwitzkasten. ,,Hört her, Piraten!"

Die Kämpfer wurden nach und nach still.

,,Krümmt noch einem Casteraner oder sonst wem auf diesem Schiff ein Haar und ihr habt einen Captain weniger!"

,,Seid nicht albern, Indianer."

,,Ruhig sein", mahnte Valkan. ,,Ihr habt es gehört! Verlasst sofort das Schiff und fahrt zurück, wo ihr hergekommen seid!"

Angespannt warteten sie alle ab, ob seine Worte bei den Floghlai Maras ankamen.

18. Gelb, wie die Sonne. Dunkel, wie der Wald.

 Die Worte des Häuptlings trafen die Piraten wie Säbelstiche. Sie hatten ihn damals zum Captain ernannt, weil sie alle ihre Hoffnung in ihn setzten. Er hatte viel für sie aufgegeben und noch mehr deswegen verloren. Selbst wenn die Floghlai Maras nicht immer seiner Meinung waren, konnten sie ihn dennoch gut leiden. Er war ihr Anführer und noch viel mehr...er war unberechenbar.

,,Ihr könntet doch kein Bleichgesicht töten. Das entehrt Euch, Indianer." Laioh meldete sich als Erster von ihnen.

,,Oh ja? Legt es drauf an", erwiderte Valkan. ,,Ihr selbst habt schon etliche unschuldige Menschen getötet und wollt mich ehrenlos nennen, nur weil ich andere Leute beschütze?!"

Delkorta stand halb gebückt neben Sanfter Feder und versuchte Laiohs Blick aufzufangen. ,,Die Rothaut wird mich nicht umbringen."

,,Wie ich schon sagte, legt es darauf an." Grimmig sah er auf den Captain hinab.

,,Tötet mich und Euer König ist der Nächste", brachte Delkorta hervor.

Valkan richtete den Blick zu Siaac. ,,Er ist nicht mein König. Indianer haben keine Herrscher."

,,Ach nein? Und wieso rennt Ihr dann mit zweien herum?" Der Captain lachte. ,,Ach ich vergaß...Jetzt sind es schon vier und eine Prinzessin."

,,Seid still!" Der Indianer blickte von Lydia zu Vasilias, danach zu Maimee, erneut zu Siaac und zuletzt zu Akayla. Der Pirat sprach die Wahrheit. Was war bloß aus dem Indianervolk geworden, welches keine Könige verehrte? Er schüttelte sein schwarzes, langes Haar. Das hatte er nicht wirklich gerade gedacht. Er mochte jeden einzelnen von den Königen oder Prinzessinnen. Dieser Captain bildete sich wohl ein, ihn auf seine Seite schlagen zu können. Da hatte er aber die Rechnung ohne den Häuptling der Layandra gemacht. ,,Also! Worauf wartet ihr noch? Verschwindet!"

Die Piraten wechselten nachdenkliche Blicke. Keiner wollte derjenige sein, der alle anderen dazu aufforderte von Bord zu gehen und den Angriff abzubrechen. Das würde man einem ewig vorhalten.

,,Valkan, findet Ihr nicht, dass das etwas zu...extrem ist?", meldete sich Vasilias kleinlaut.

Sanfte Feder schüttelte den Kopf. ,,Es ist meine Sache, wenn ich Euch und die anderen beschützen möchte. Wenn die Piraten nicht reagieren wissen sie ja was ihnen blüht."

,,Das könnt Ihr nicht tun", rief Laioh entsetzt.

,,Und ob ich das kann." Valkans sonst so fröhlichen, warm wirkenden Augen, wirkten nun kalt und leer. Er setzte den Säbel an den Hals des Captains. Würden sie nicht gehen, würde er ihn mit seiner eigenen Waffe schlagen.

,,Ihr könnt mich nicht töten...Es gibt zu viele Personen, die mich noch brauchen."

,,Seit wann kümmert einer wie Euch um das Wohlergehen anderer?!"

,,Seitdem ich mein Leben weggeworfen habe! Ich habe Euch und die Königin da drüben aus dem Meer gezogen, weil ich..."

,,Nicht mehr Herr Ihrer Gedanken sind", beendete Valkan seinen Satz.

,,Natürlich ist er das! Er ist unberechenbar, wie das Meer und furchteinflößend ist er auch", setzte sich Laioh für seinen Captain ein.

Der Indianer lachte auf. ,,Vor allem ist er ein gefühlvoller Mensch, der mit seiner Vergangenheit nicht abgeschlossen hat. Mich würde interessieren, wieso ihr Piraten ausgerechnet ihn zum Captain gemacht habt."

,,Tötet mich und Ihr werdet es nie erfahren." Delkorta lugte auf den Säbel an seinem Hals. ,,Aber ich würde gerne noch erfahren, weshalb Ihr und diese Königin da eine Familie gründen wollt, wenn Ihr einen solchen Hass auf Herrscher habt."

Einen Moment lang fürchtete Lydia, dass er ihn wirklich umbrachte. Die Worte mussten Valkan einfach treffen, dafür kannte sie ihn zu gut. Sie musste etwas unternehmen. ,,Ich hätte euch überfluten sollen, als es noch ging!"

Die Floghlai Maras sahen sie eindringlich an.

,,Die Wasserdrachen hätten euch alle dem Seegrund gleich gemacht!"

,,Jetzt sind sie aber Erddrachen und wir haben sie vertrieben", meinte Laioh fies grinsend. ,,Eure Chance ist vorbei."

Lydia ließ sich davon nicht beirren. ,,Ist sie das? Ich habe in den Himmel gesehen und Umrisse von Drachen gesehen, die sich aus einfachen Blitzen geformt haben! Ihr habt einen getötet und die anderen fortgeschickt, doch werden sie wiederkommen und ihre Rache wird fürchterlich sein! Erddrachen anstatt Winddrachen, sind erst der Anfang davon!"

Laioh weitete seine Augen. ,,Hao, die Königin hat gesprochen. Sagt es, Indianer. Eure Frau ist eine ganz Verrückte."

Valkan hatte Lydia keine Sekunde mehr aus den Augen gelassen. ,,Warum hast du das nicht früher gesagt?"

,,Ihr hättet mich wieder für verrückt gehalten..."

In diesem Moment ging ein weiterer Ruck durch das Schiff. Diesmal schoss niemand auf sie, allerdings wuchs eine riesige Gestalt eines Drachen aus dem Wasser heran. Die Piraten wichen erschrocken zurück. ,,Ein Seeungeheuer!" Dieser Drache sah nicht aus, wie ein Erddrache. Er war größer und dunkler. Zudem schien er nur aus schwarzem Rauch zu bestehen, obwohl kein bisschen Wasser durch ihn hindurchfloss. Kopf, Flügel und Schweif, liefen an deren Enden zu spitzen Zacken zusammen. Lydia betrachtete erstaunt den Drachen. Seine Augen leuchteten in einem matten Schwarz.

,,Der Erddrache!" Vasilias riss seinen Umhang von der Schiffswand, welcher noch immer von einem Pfeil dort befestigt war und verkroch sich darunter.

,,Er sieht irgendwie anders aus."

,,Drachen sterben nicht so einfach, Captain", teilte Lydia ihm mit. ,,Genauso wenig, wie Nokarder, Casteraner, Layandra, Logarder und Reakaner. Vielleicht gibt es da Draußen noch mehr Königreiche, die euren Angriffen Stand gehalten hätten."

,,Das werden wir nie herausfinden, wenn ihr uns vertreibt!", fluchte Laioh.

,,Oh doch, das werden wir", antwortete sie mit einem zuversichtlichem Lächeln auf dem Gesicht.

,,Selbst wenn der Drache da gehorcht Euch nicht", meldete sich Delkorta erneut.

Der dunkle Drache flog vollends aus dem Meer und erhob sich elegant in die Lüfte, um dann über ihre Köpfe hinweg zu fliegen.

Lydia beobachtete besorgt das magische Wesen über sich. ,,Tu doch etwas, bitte", flehte sie in Gedanken.

Der Drache tat nichts.

Die Piraten lachten und nahmen Valkans Drohung allmählich nicht mehr ernst. ,,Was für ein Witz!"

,,Also das glaube ich ja weniger", entgegnete Dayne grinsend.

Hinter ihnen tauchte plötzlich ein großes Schiff auf, welches pastellgelbe Segel mit einer schwarzen Tanne darauf anzeigte. Gelb, wie die Sonne. Dunkel, wie der Wald. Das Wappen der Waldegraner.

 

 

An Bord dieses Schiffes, befanden sich die Königin von Waldegro und ihre Leibgarde.

,,Wir haben es glaube ich geschafft, Hoheit", verkündete einer ihrer Ritter.

,,Sehr gut. Ich bin froh, dass ich diesen Adler habe abfangen können. Meine Güte, die Piraten haben wirklich viele Schiffe." Sie blickte auf die zertrümmerten Schiffe, welche sich vor ihrem aus grauem Holz, befanden. Dort versuchten nach wie vor Menschen an das Ufer zu gelangen. ,,Sendet das Hilfsboot hinüber", befahl sie.

,,Sehrwohl, Hoheit." Der Ritter verbeugte sich in seiner grellen Rüstung.

,,Hairan, Fatan, Lasdaran, spannt die Pfeile und vertreibt mir dieses Floghlai Mara Pack!"

Ihre Leute gehorchten.

,,Stairlon, hisst das zweite Segel. Die sollen ruhig wissen, dass wir jetzt das Ruder übernehmen."

Die Augen der Königin funkelten hellbraun auf, während ihr das glatte, braune Haar über die Schultern fiel. Sie erwies einer Windböe in ihrem pastellgelben Umhang Einlass und ließ diesen majestätisch aufwirbeln. Durch deren fellbesetzten Ränder, wehte der Seewind. Die Königin hielt ihre Hände in den braunen Handschuhen gefaltet und betrachtete den Angriff. Es war ihre Rettungsaktion, da war sie lieber schneller, als zu langsam. Nicht noch einmal sollte Reako ihr dazwischen funken.

Ihr Schiff näherte sich den über vierzig vor ihnen im Meer. Sie kniff die Augen zusammen, während sie weiteren Rittern etwas auftrug. ,,Haltet die Kanonen und fünf Ritter bei mir bereit! Wir werden gleich das Gefährt wechseln!"

 

 

,,Nicht noch mehr Könige", jammerte Laioh. ,,Ich brauche erstmal ein Bier." Die Piraten sahen zu, dass sie wieder auf ihre Schiffe kamen.

,,Du Taugenichts! Wieso hilft mir keiner von euch?!", fauchte Delkorta unter Valkans starkem Arm.

,,An die Kanonen, wir werden schon wieder angegriffen!"

Valkan und Lydia sahen, wie sich die Pfeile in die Richtung der Piraten näherten.

Einer der Pfeile kam Delkorta bei ihnen gefährlich nahe vor die Stiefel. Er wandte die Augen keinen Augenblick ab. Er stand da, wie versteinert. Er schloss die Augen...

...und zeitgleich erwachte Choca Bow in Nokard mit klopfendem Herzen, als würde er gerade um sein Leben bangen.

19. Familienwappen

 Anemro hatte sich neben den kleinen Indianer gekniet, welcher auf der untersten Treppenstufe am helligten Tag eingeschlafen war. ,,Was hast du diesmal geträumt?"

Choca blickte ihn aus verängstigten Augen an. ,,Nichts Gutes..."

,,Erzähl mir mehr. Hast du jemanden gesehen, der dir bekannt vorkam?"

,,Ja. Die Königin von Nokard, den König von Logarda und unseren Häuptling. Da waren noch viele andere Leute, die ich noch nie gesehen habe." Er holte tief Luft. ,,Zum Schluss war es so, dass ich angegriffen wurde...Oder es war nur ein Traum..."

,,Nein, nein. Vasilias, Valkan und Lydia. Wie geht es ihnen?"

,,Keine Ahnung. Sie haben gekämpft...waren umgeben von etlichen Schiffen...Das Einzige, was ich auf jeden Fall gespürt habe, war ein Halstuch um meinen Hals und die Angst, jede Minute von einem Pfeil getroffen zu werden."

Der Berater staunte. ,,Ein Halstuch und viele Schiffe", wiederholte er. ,,Verflucht! Wieso habe ich das nur vergessen...Die sind den Piraten in die Hände gefallen!" Hektisch sprang er auf und fasste sich an den Kopf. ,,Sie werden sie alle umbringen."

,,Ich habe noch etwas gesehen", setzte Choca an.

Anemro wurde hellhörig. ,,Was denn?"

,,Ein weiteres Schiff, welches nicht von Anfang an am Kampf beteiligt war."

,,Hast du ein Segel erkannt?"

Choca Bow zuckte mit den Schultern. ,,Ich kenne die adeligen Familien nicht." Nachdem er noch immer eindringlich angesehen wurde, erzählte er weiter: ,,Es war irgendwie gelb und auch schwarz. Ich glaube, eine Tanne war darauf zu sehen."

,,Waldegros Königin Lorna Nacarranya." Vasilias Berater und Rechte Hand ließ die Hände sinken. ,,Entweder ist das ein gutes oder ein sehr schlechtes Zeichen. Eines steht aber fest...Ich muss nach Castero ihnen helfen."

,,Wartet!", hielt Choca ihn zurück. ,,Ihr könnt nicht einfach so verschwinden. Die Leute hier würden sich große Sorgen machen und sich noch verlorener fühlen, als ohnehin schon."

Anemro nickte langsam. ,,Da hast du sicher Recht. Allerdings muss ich Vasilias helfen. Ohne ihn ist Logarda das nächste Reich ohne König und Nachkommen. Wir wissen beide, was dann passiert."

,,Sein Volk wird sich deswegen nicht den Piraten anschließen, wie andere", erwiderte Choca ernst.

,,Man kann nie wissen." Er machte auf dem Absatz kehrt und machte sich auf die Suche nach Ekatoa und Auge des Alders, welche noch immer auf der Suche nach Quirin waren.

 

 

,,Die Pfeile werden mich töten, noch bevor Ihr das getan habt!", knurrte der Captain.

,,Seht Ihr das?" Valkan deutete über den Rand des Schiffes, hinaus auf die vielen Schiffe der Piraten. ,,Sie lassen Euch trotzdem alleine, weil sie Angst haben."

,,Lüge! Sie wollen mich retten und ihre Schiffe auch!", wehrte Delkorta ab.

,,Außerdem ist das unsere Rettung, womit Ihr dann wohl verloren habt...Schon wieder."

Delkorta ließ sich mit seinem ganzen Gewicht in Valkans Arm hängen, damit dieser an Kraft verlor und ihn losließ.

,,Was wird das?!" Sanfte Feder musste tatsächlich loslassen, da der Captain um einiges schwerer war, als erwartet.

Captain Delkorta stützte die flachen Hände auf den Boden und hüpfte mit einem Satz und gekrümmten Rücken auf die Beine. Nun stellte er sich aufrecht hin, zog sein Halstuch zurecht und versetzte dem Häuptling einen Schlag in die Magengrube.

Dieser hielt sich perplex den Bauch. ,,Das werdet Ihr mehr als bereuen!" Valkan hielt mit einer Hand den Säbel halb in die Luft, um damit auszuholen.

Der Captain nahm Anlauf, stieg mit dem Stiefel auf die Reling und sprang über Bord. Diesmal tat er es bedacht und freiwillig.

,,Lasst ihn nicht entkommen!", rief er den anderen zu.

Diese waren jedoch anderer Meinung. ,,Lasst ihn gehen...Ihr habt selbst gefordert, dass er verschwindet", merkte Vasilias an.

 

 

Das graue Schiff aus Waldegro näherte sich ihnen immer mehr, bis es schließlich neben ihnen anhielt.

,,Ich bin so froh, dass Ihr da seid!", grüßte Vasilias die Frau im gelben Umhang.

,,Ihr kennt meinen Namen und ich die Euren. Sagt, haben wir Euch geholfen?"

,,Aus Büchern, nehme ich an? Ja, das habt Ihr. Dank Euch segeln die Piraten fort." Er senkte den Kopf. ,,Leider weiß ich nicht wohin und für wie lange."

Lorna würdigte den Schiffen der Floghlai Mara einen kurzen Blick. ,,Die kommen wieder und das werden wir auch tun." Sie lächelte. ,,Sind alle soweit unverletzt?"

Akayla schüttelte den Kopf. ,,Seht doch wie viele Casteraner getötet wurden."

,,Wieso habt ihr so lange mit der Abreise gewartet, Prinzessin?", hakte sie nach.

,,Es lag an meiner Mutter, der Königin Maimee von Castero." Akayla hielt nach ihren Eltern Ausschau, welche ihm Gefecht außer ihrem Blickfeld verschwunden waren. In dieser Sekunde stellte sie fest, dass sie auch von diesem Schiff verschwunden waren und stieß einen heiseren Schrei aus. ,,Meine Eltern sind weg!"

,,Diese Bleichgesichter!", fluchte Valkan ihnen nach.

,,Es muss nicht sein, dass die Floghlai Maras ihre Eltern haben", meldete sich Lydia.

,,Von Bord gesprungen sein werden sie wohl nicht. Schon gar nicht König Siaac", ergänzte Dayne ihren Gedankengang.

,,Dann müssen wir erst Recht einen größeren Kampf mit den Piraten vorbereiten." Lorna hob den Kopf und sah den Drachen. ,,Ich nehme an, dass unsere Chancen zu siegen mit dem da oben vergrößert werden sollen?"

Lydia schüttelte den Kopf. ,,Leider nein. Er ist nicht, wie die Wasserdrachen...Ich habe keinerlei Einfluss auf ihn."

,,Lydia Fuego. Erfreut Euch einmal persönlich zu begegnen. Wusstet Ihr nicht, dass auf Eurem Familienwappen nur ein Wasserdrache abgebildet ist?"

,,Unser Familienwappen ist eine blaue Flamme", entgegnete sie verblüfft. ,,Was redet Ihr denn von Wasserdrachen, Hoheit?"

,,Als Kind wurde mir beigebracht, dass auf dem Wappen von Nokard der Kopf eines Wasserdrachen abgebildet ist. Ihr bildet das blaue Reich. Waldegro ist das gelbe Reich. Logarda ist das hellgrüne und Isarek das grau-schwarze. Dann gäbe es noch das rote, Reako nämlich und..."

,,Halt, das habe ich selbst alles gelernt", bremste Lydia die Königin von Waldegro. ,,Aber unser Familienwappen wurde mir von meiner Mutter mehrfach gezeigt..."

,,Dann hat sie Euch belogen."

,,Wieso sollte sie das tun?!"

,,Um Euch vor den Drachen zu beschützen. Ihr wärt irgendwann selbst auf das Geheimnis gekommen, hättet ihr die richtige Flagge gekannt. Eines Tages hättet Ihr Euch auf die gefährliche Suche nach den Drachen begeben. Wäre es Sommer gewesen wärt Ihr von den Feuerdrachen gegrillt wordne. Nur die Wasserdrachen gehorchen Euch, Lydia", beichtete Vasilias zu wissen.

,,Vasilias, manchmal frage ich mich woher Ihr das alles wisst. Mal davon abgesehen, Ihr habt mir jetzt bereits zum fünften Mal etwas verschwiegen, wenn ich mich nicht irre." Lydias Miene verfinsterte sich.

Lorna hob die Hände. ,,Oh, ich sehe Uneinigkeiten bei Ihnen. Es ist besser, wenn ihr mit nach Waldegro kommt. Von dort aus können wir leichter Pläne schmieden. Die Piraten werden uns von ihrer Himmelsrichtung aus nicht folgen."

Dayne und Nate traten vor. ,,Wir wollten Reako als Rückendeckung beauftragen."

,,Bleibt mir mit dem Namen Reako vom Hals...Ich ähm...Habe einige Streitigkeiten selbst nicht geklärt."

,,Wenn wir gegen die Floghlai Maras kämpfen und gewinnen wollen, brauchen wir aber jede Unterstützung, die wir bekommen können."

,,Jedes Land, nur nicht Reako. Vertraut mir, ihr lasst euch da auf einen übles Geschwisterpaar ein."

,,Solange es keine Zwillinge sind."

,,Nein. Die beiden sind auch nicht mehr so jung, wie Lydia und der Indianer neben ihr. Sie müssten um die sechsunddreißig und achtunddreißig sein", berichtete Lorna.

,,Warum hasst Ihr die beiden denn so?", hakte Vasilias schließlich nach.

,,Waldegro wollte Hilfsarmeen nach Plandra schicken, als der Adler mit den Hilferufen ankam. Reakos Könige halten sich für etwas Besseres, daher haben sie unsere Schiffe versenkt und ihre eigenen losgesandt, um als Helden gefeiert zu werden."

Vasilias kratzte sich am Hinterkopf. ,,Dafür fehlt mir jegliches Verständnis."

,,Nicht nur Euch. Sie wollten in Liedern besungen werden, damit ihre Namen nicht wie die ihrer Eltern aus der Welt verschwinden werden." Lornas Gesichtszüge wurden leicht zornig. ,,Auf die Hilfe könnt ihr verzichten, es sei denn, ihr wollt euch auf einen Vertrag mit dem roten Land einlassen."

Lydia sah Vasilias einen Moment nachdenklich an. Er schien zu grübeln, wem er vertrauen sollte. Lorna oder zwei nie gesehenen Herrschern in Reako. Nach kurzer Zeit schien er entschieden zu haben. ,,Dann brechen wir sofort auf. Unser Ziel lautet ab jetzt Waldegro."

Lorna Nacarranya senkte den Kopf leicht nach links unten, um ihre Begeisterung ohne Worte auszudrücken.

,,Was ist mit Nokard? Ich muss nach Hause", setzte Lydia zögernd an.

,,Ihr seid hier her abgehauen, nein nach Isarek und dann hier her, aber seht...", mischte sich Vasilias wieder ein.

,,Ich bin hier, um die Casteraner vor den Piraten zu warnen und ihnen zu helfen. Weder die Hilfe kam zu Gute, noch habe ich die Drachen bei mir. Diese Runde haben wir verloren. Waldegro hat sie gewonnen."

,,Nokard ist zu weit entfernt. Ihr könnt jetzt nicht zurück." Lorna schien mit Vasilias einer Meinung zu sein. ,,Ihr würdet den Piraten begegnen."

,,Dann fahre ich jetzt eben andersherum. Die sitzen uns ja nicht mehr im Nacken", konterte Lydia und sorgte für Schweigen aller Anwesenden.

20. Reakos Grauwälder

 Lebloser Erdboden erstreckt sich über den größten Teil von Reako. Einzig die Blätter der Bäume lassen die Umgebung aufleuchten. Diese waren von einer Seite das hellste Grün der Welt und auf der Rückseite wirkten sie, als würde Schnee sie bedecken. Weiß. Die Blätter der Bäume befanden sich an schmal zusammenlaufenden Ästen, rund zwei bis fünf Meter hoch. Jeder einzelne Stamm war weder weiß, noch braun. Sie waren grau. Da sich dies selbst zu anderen Jahreszeiten, wie den Sommer, Herbst und Winter nicht änderte, wurden diese Gebiete die Grauwälder genannt. Am Himmel konnte die Sonne scheinen, doch zwischen den Bäumen war es immer dunkel und besonders im Winter, tiefschwarz. Wenn der Nebel tief über den Baumkronen hing, wagten es die meisten nicht mehr hinauszugehen. Sobald die Nacht einsetzte, blieben sie Drinnen. Sie alle glaubten an die alte Geschichte, die auf den Grauwäldern lastete. Die Geschichte über die Entstehung der Grauwälder und was sich in diesen verbergen konnte.

Aus diesem Grund beschloss man, das Anwesen der Familie Ceo mitsamt der Dorfhütten im Herzen des Waldes zu erbauen. Dort waren sie vor Feinden geschützt. Sollte doch mal jemand angreifen, so sagten die Lieder, tauchten urplötzlich Wachen aus dem Nichts auf, als hätten diese den Angriff lange erwartet. Wiederum andere Lieder handelten von glorreichen Kämpfern, die Reako angriffen, jedoch nie wieder zurückkehrten, als ob das Land sie verschlungen hätte. Daher lebten noch sehr viele Menschen in diesem Land. Das recht kleine Reich bestand nur aus einem Dorf, damit alle Reakaner geschützt wurden. Griffen sie in andere Kriege ein oder führten sie selbst einen, dann gewannen sie. Man nannte sie in den nordischen Ländern auch die menschliche Wand. Untergehakt und mit Waffen ausgerüstet, liefen die Reakaner auf ihre Feinde zu und schlugen sie in die Flucht. In den westlichen und östlichen kannte man sie als Springer, da sie von Baumkronen sprangen und Luftangriffe vollführten.

 

 

Genau über dieses unergründliche Land, welches trotz der Angst hinauszugehen, Wachen in den Baumkronen verbarg, herrschten die Geschwister Ceo. Yagre und Thogra thronten ungern einfach auf ihren hohen Stühlen. Die beiden spazierten oft durch das Dorf oder am Rande der Grauwälder entlang, welche ihre Burg in einem großen Kreis einschlossen. Da das Land nur einen Hafen besaß, welcher sehr weit von der Burg entfernt lag, mussten sie stets zu Fuß hingehen. So auch an diesem Tage.

,,Hat dir Sefjo schon erzählt, dass ein Adler eingetroffen ist?", fragte Thogra, während sie die Umgebung im Auge hielt. Sie fürchtete insgeheim irgendwelche Angriffe von Ungeheuern in diesem Gebiet.

Ihr Bruder nickte und zog die rote Kapuze seines Umhangs auf. ,,Dieser König aus Logarda hat vielleicht Nerven uns zu stören. Hat der eine Ahnung, dass wir uns nicht einfach auf das offene Meer treiben lassen und dann dort jedem helfen, der gerade Hilfe braucht?" Er fuhr durch sein schwarzes Haar unter der Kapuze. ,,Besonders nicht, wenn es um Asimi geht."

,,Sag das nicht. Wir helfen, wenn es notwendig ist und das weißt du auch."

,,Ja, weil wir uns damit neue Freunde gewinnen können und weniger Feinde schaffen. Bei allen hat es geklappt, nur bei Waldegros Königin nicht." Yagre ballte seine rechte Hand zu einer Faust. ,,Ich verstehe einfach nicht, weshalb sie Lügen über uns verbreitet."

,,Sie ist neidisch, weil wir die Adler abfangen. Die Tiere sind klug zu uns zu fliegen. Möglicherweise hat sie diese auch auf irgendeine Art verscheucht."

,,Lorna wird sich bedanken, wenn wir erneut vor ihr diesem Vasilias helfen würden", meinte ihr Bruder mürrisch.

,,Na und? Diesmal ist der Brief doch eindeutig an uns gerichtet und nicht an sie!" Thogra blieb vor dem König stehen. ,,Das ist unsere Angelegenheit, da hat sie sich nicht einzumischen. Also, helfen wir ihm jetzt?"

Yagre zögerte. ,,Warum sollten wir ausgerechnet Freunde im Norden haben wollen? Die waren bisher nie hier, die brauchen jetzt auch nicht damit anzufangen."

,,Freundschaften zu schließen ist wichtiger, als sich Feinde zu machen. Ich bin der Ansicht, dass wir ihnen helfen sollten."

,,Also gut...Aber wir werden uns nur auf die Lauer legen. Kommen sie ohne unsere Hilfe durch, brauchen wir gar keine Männer zu opfern", beschloss er schließlich.

,,Von uns stirbt keiner", versicherte seine Schwester lächelnd. ,,Wir haben viele Kämpfer und nie einen verloren."

,,Außer unseren Eltern."

,,Die beiden sind wegen ihres hohen Alters gestorben. Wir beiden sind auch nicht mehr die Jüngsten, da müsstest du das doch einsehen", erwiderte Thogra knapp. ,,Sie haben bis zum Schluss gekämpft. Genau das wollen wir auch tun."

,,Das stimmt sicher, was du da sagst."

Sie nickte eifrig, sodass ihr ebenso schwarzes, glattes Haar auf und ab gewirbelt wurde. ,,So kenne ich meinen Bruder. " Sie hakte sich bei ihm unter. ,,Keine Verluste. Keine Tote. Unser Lebensmotto wird für alle Zeiten am Leben erhalten sein."

,,Die Hafenbetreiber werden unsere Ankunft sicher schon sehnlichst erwarten. Die sind beim Wort "Kampf" sofort zur Stelle."

,,Genau dafür trainieren sie ja auch", meinte Thogra grinsend. ,,Und das macht sie zu unserem menschlichen Schutzschild."

 

 

Nach einigen Metern an Fußweg erreichten sie schließlich den Hafen. Dieser fiel bereits vom Weiten durch einen hohen Steinturm auf, in dem die Alder ein- und ausflogen. Viele kamen ohne Briefe zurück, doch an diesem Morgen hatten sie zum ersten Mal nach langer Zeit wieder einen mitgebracht.

,,Euer Hoheit, Euer Majestät", verbeugte sich ein Händler Reakos vor den beiden Geschwistern. ,,Wie kann ich Euch helfen?"

,,Wir haben heute Morgen einen Alder erhalten." Yagre zog eine Pergamentrolle aus seinem Umhang hervor. ,,Hier. König Vasilias aus dem Norden wünscht unsere Hilfe."

,,Logarda ist ziemlich weit entfernt. Warum sollten wir dorthin?"

,,Wir müssen nicht bis dorthin. Lies genau was da steht, Esan."

Der Händler lachte auf. ,,Das werde ich nicht, weil ich es nicht kann." Er gab dem König das Pergament mit dem gebrochenen Siegel zurück. ,,Das Wappen ist von Castero...", stellte er in dieser Sekunde erstaunt fest.

,,Das stimmt." Thogra grinste. ,,Der König ist auch gerade in Castero, da er vor einem Piratenschiff geflohen ist."

,,Moment...Jetzt verstehe ich! Er will hier herum zurückfahren, da die Piraten in der anderen Richtung lauern!" Esan sah auf sein verdrecktes, graues Hemd. ,,Ich muss mich sofort umziehen! Gegen Piraten haben wir nun wirklich noch nicht gekämpft. Zeigen wir denen, wer am Steuer sitzt. Ich rufe die Wachen aus ihren Verstecken hervor, damit sie herkommen."

,,Genauso lobe ich mir deine Einstellung, Esan", lobte die Königin anerkennend.

,,Keine Verluste. Keine Tote." Diese Worte nickte er ihnen zum Abschied zu.

Die Geschwister sahen dem Händler nach und blieben im Windzug stehen, während ihre beinahe dunkelroten Augen in der untergehenden Sonne funkelten.

21. Ufer der Flaggen

 Vasilias tippte der Königin von Nokard auf die Schulter, welche sich grimmig auf eine kleine Holzbank gesetzt hatte. ,,Seht Euch mal die Aussicht an, die uns geboten wird. Der Boden ist sicher nicht halb so spannend."

Lydia wehrte seine Hand ab, erwiderte allerdings nichts darauf.

,,Seid Ihr etwa immer noch sauer, weil wir nicht nach Hause fahren?" Er hockte sich neben sie. ,,Hört mir zu. Ich habe auch einen Brief nach Reako geschickt und wenn wir dort nicht langsam mal erscheinen, werden wir sicherlich neue Feinde haben. Sie haben uns Rückendeckung versprochen."

,,Die Floghlai Mara ist aber nicht mehr hinter uns", murmelte Lydia.

,,Eben. Das wissen die Reakaner jedoch nicht, weshalb wir ihnen grünes Licht für den Abbruch des Angriffs geben können."

,,Kommt alle hier rauf! Wir haben das Ufer der Flaggen erreicht", verkündete Lorna in diesem Moment.

,,Das was?" Leicht gereizt stand Lydia auf und ging achtlos an Vasilias vorbei zur Königin von Waldegro.

Diese deutete rechts neben sie. ,,Dort hinten könnt Ihr Bewegungen ausmachen, richtig?"

Die Königin nickte. ,,Ja."

,,Das sind alles Flaggen von alten Kriegen und Angriffen auf Waldegro. Wir haben keine einzige davon entfernt." Lorna wartete gespannt Lydias Reaktion ab, als wären diese etwas Besonderes. ,,Jede Flagge ist bereits an den Seiten fransig, wie Ihr seht."

,,Wenn Ihr die Flaggen da stehen lasst kommt es so rüber, als hättet Ihr etliche Schlachten verloren", meinte Lydia schließlich.

Waldegros Königin nickte. ,,Das haben wir. Jetzt seht aber einmal auf die linke Hälfte, etwas dahinter. Dort stehen die Flaggen aller gewonnen Schlachten."

,,Wir haben doch gar nicht so viele Länder in der Umgebung. Wie können dann so viele hier aufgereiht sein?" Lydia war sich ziemlich sicher, dass ihr einige der Symbole auf den Flaggen gar nichts sagten.

,,Das liegt daran, dass die Länder damals gespalten wurden und viele kleinere Familienbanner existierten. Einige davon sind längst aus der Welt verschwunden und ihre Namen vergessen. Eines davon ist für uns jedoch wichtig zu betrachten." Sie deutete auf ein schneeweißes Banner mit einer schwarzen Schneeflocke und Wellen. ,,Dies ist das Banner einer Familie, welche auf den Inseln lebt, welche damals an Reako und Waldegro grenzten. Das Land ist sehr klein, da der größte Teil davon überflutet wurde."

,,Wie kam es zu dieser Flut?", fragte Lydia und entwickelte ein plötzliches Interesse an diesem ihr unbekanntem Land.

Lorna lächelte. ,,Vorfahren schrieben von Wasserdrachen am Horizont und riesigen Wölfen, die in den Grauwäldern hausten. Diese haben sich bekämpft...Nun Ihr könnt Euch vorstellen, was alleine ein Wasserdrache auslösen kann. Fünfzig jedoch, können einen ganzen Landesteil versinken lassen."

Lydia lief ein Schauer über den Rücken. In diesem Moment konnte sie verstehen, wieso ihre Mutter ihr nichts von dem Banner erzählte. Vor allem, wenn sie als einzige Kontrolle über diese Wesen hatte.

,,Wahnsinn", stimmte Valkan zu.

,,Exakt." Sie fuhren mit gespanntem Segel daran vorbei.

,,Die Grauwälder?", hakte Lydia nach. ,,Die liegen doch in Reako."

,,So ist es. Bis heute noch sollen diese Giganten dort leben. Einzig die Drachen haben sich in ihre Heimat aufgemacht."

,,Nokard." Sie wechselte einen Blick mit Valkan. ,,Wie kommt es, dass sie sich verwandeln können und dass sie ganz neue Verwandlungen hinbekommen?"

Lorna lachte auf. ,,Ihr meint wegen dem Schattendrachen, der noch immer über Castero schwebt? Ich würde den Geschichten entnehmen, dass es an ihrer Witterung liegt. Sie passen sich den Wölfen im Grauwald an...Sobald sie Gefahr wittern, verwandeln sie sich. Aufgrund der Tatsache, dass die Arten des Angriffs durch die Veränderung der Umgebung unterschiedliche Auswirkungen haben, können sie das wahrscheinlich."

,,Komisch, Vasilias Theorie klang irgendwie anders", stellte Lydia fest.

,,Vielleicht hatte der werte König von Logarda mal keine Ahnung."

Vasilias verschränkte die Arme. ,,Ich kann euch beide übrigens hören."

,,Was wurde nun aus den Menschen auf diesen Inseln?"

,,Ihr könnt Euch ja denken wie sehr dieses Land geschrumpft ist."

Lydia nickte. ,,Klar. Ich hoffe meinem geht es gerade nicht genauso..."

,,Ihr tut das Richtige, vertraut mir. Ihr seid nicht mehr lange fort, dann habt Ihr sie alle wieder. Nehmt Euch ein Beispiel an dem Indianer oder Vasilias", antwortete Lorna.

,,An Vasilias besser nicht", dachte sich Lydia insgeheim und schmunzelte. ,,Mich interessiert, weshalb die Drachen gegen die Wölfe gekämpft haben."

,,Wölfe standen damals immer für das Zeichen eines Fluches. Für gewöhnliche Tiere verstehe ich das überhaupt nicht, aber ich habe einmal einen in Waldegro gesehen. Meine Garde hat ihn aufgespürt." Lorna erinnerte sich an jenen Tag zurück. ,,Er war sehr groß, hatte leuchtende Augen und hat einen von uns angefallen. Seitdem ist diese Person nicht mehr wie früher." Bedrückt sah sie zu Boden.

,,Das tut mir leid."

,,Leuchtende Augen bei Wölfen?", meinte Valkan. ,,Unsinn. Ich bin mit dem Stamm in der Natur aufgewachsen. Nie habe ich auch nur ein Lebewesen dieser Art so gesehen."

,,Eure Vorfahren vielleicht schon. Diese Wesen sind schon in mehreren Ländern gesichtet worden, weil sie aus den Grauwäldern geflohen sind oder im Krieg verwendet wurden. Ich habe guten Kontakt nach Torpala gehabt. Das Land ist auch das einzige aus dem Norden, welches mir stets schrieb."

,,Torpala?! Das liegt direkt neben Isarek. Ein sehr kleines Reich musste ich feststellen", entgegnete Vasilias.

,,Dort sind Wölfe mit drachenähnlichen Köpfen gesichtet worden. Könnt ihr euch das ausmalen?"

Daynes Augen weiteten sich, was die anderen jedoch nicht bemerkten. Er wich von ihnen zurück und schluckte mehrfach.

Vasilias schüttelte den Kopf. ,,Ich hatte einen Wolfshund, der war sehr lieb. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich endlich wieder zu ihm gefunden...Leider weiß ich nicht wo er jetzt gerade ist. Vielleicht kümmert sich Anemro um ihn."

,,Ihr bringt einen Wolfshund in mein Land?" Lydia warf dem König einen aufgebrachten Blick zu.

,,Nun...Er ist nicht böse, wirklich nicht", beteuerte er.

,,Das hoffe ich für Euch."

 

 

Am hinteren Ende des Schiffes angekommen stellte sich Dayne neben seine Prinzessin. Akayla hörte ihnen nur halb zu. Sie interessierte sich nicht für das Ufer der Flaggen und noch weniger für ein Land, welches sie gar nicht kannte.

,,Gruselig, was die da erzählen, oder?"

,,Ja, ja", flüsterte sie abwesend.

Dayne stupste die Prinzessin mit dem Ellenbogen leicht an. ,,Wir finden Eure Eltern wieder. Ganz bestimmt."

,,Nein, tun wir nicht."

Der Knappe wusste nicht, was er darauf antworten sollte. ,,Sicher tun wir das."

,,Die Floghlai Mara sind nicht irgendwelche Piraten. Sie sind Völker, deren Könige gestürzt sind. Sie sind wütend und verzweifelt, deshalb handeln sie so. Inzwischen kommen sie auch ohne König klar und wollen alle stürzen", Akayla stützte sich auf einer Hand ab.

,,So habe ich das noch nie betrachtet", gab er zu.

,,Meine Mutter glaubt mir auch nicht. Man sollte ja nicht alles glauben, was man denkt, hat sie immer gesagt."

,,Die da vorne erzählen dann also auch nur Lügen?"

Akayla schüttelte den Kopf. ,,Hast du jemals von diesem Land gehört?"

,,Nein."

,,Hast du seine Flagge gesehen?"

,,Ja...", erwiderte er zögernd.

,,Dann stimmt es."

Dayne ging einen Schritt von der Reling weg.

,,Was hast du?"

,,Nichts...Nicht wichtig. Ich sehe mal, ob Nate das Schiff hinter uns noch im Griff hat." Er ließ die Prinzessin zurück und ging davon.

Unsicher betrachtete sie den Knappen. Er konnte ihr nichts vorlügen. Ihr nicht und sonst auch keinem. Darin war er einfach nicht gut genug.

22. MacTire

 Der grünliche Vogel des Wappens der Familie Aetoc wehte aufgeregt im Meereswind hin und her. Die Wellen schlugen gegen das Gerüst des Schiffes, ließen es dennoch sicher über das Meer tragen.

,,Ist da vorne alles in Ordnung?", fragte Auge des Adlers, der seinen Sohn an der Hand hielt.

,,Ja, Edolon. Das Bleichgesicht Anemro ist ein guter Kartenleser." Ekatoa nickte in dessen Richtung.

Schneeseele näherte sich den beiden. Sein weißes Kopftuch leuchtete in diesem trüben Sonnenlicht besonders hell. ,,Sie wollen uns also wirklich bis nach Castero bringen?"

Auge des Adlers nickte. ,,Dort ist nicht nur die Königin, sondern auch ihr König und unser Häuptling. Wenn ihm etwas passiert wäre...Das mag ich mir gar nicht vorstellen." Besorgt blickte er auf seinen Sohn hinab.

,,Ich war bloß etwas überrascht, als man mich aus dem Tipi zerrte, um sofort aufzubrechen."

,,Anemro hat mit mir gesprochen und ich war einverstanden", berichtete er knapp.

,,Aber so plötzlich und ohne einen einzigen Dorfbewohner?"

,,Frag nicht so viel, Schneeseele. Es hat alles seine Gründe."

,,Wir haben es bald bis nach Logarda geschafft. Von dort aus ist es nicht mehr allzu weit, bis..."

,,Bis nach Isarek", beendete Schneeseele seinen Satz. ,,Isarek liegt auf dem Weg."

,,Ja und? Meghedt liegt noch direkt davor. Dennoch fahren wir daran vorbei", erwiderte Anemro erstaunt. ,,Man wird uns nicht angreifen. Vertraut mir, dieses Land ist eines der, die Asimi zum Opfer vielen..."

Der Indianer mit dem weißen Kopftuch schwieg.

,,Wenigstens habe ich Euch nun überzeugen können." Anemro wandte sich wieder dem Vorderteil des Schiffes zu, an dem er am besten sehen konnte, wohin sie fuhren. ,,Gute Idee die Landkarten einzupacken, die David und die anderen gefunden haben. So nutzlos waren sie dann doch nicht."

Ekatoa nickte zustimmend. ,,Stimmt. Jedoch weniger klug erschien mir die Idee so überstürzt aufzubrechen."

,,Fangt Ihr nicht auch noch damit an", antwortete Anemro gereizt. ,,Ihr hättet auch im sicheren Schloss bleiben können. Fragt sich nur, wie sehr es Eurem Häuptling helfen würde."

,,Sicher? Quirin schleicht sich dadurch und Ihr nennt es sicher?!"

,,Bisher haben wir ihn nicht wiedergesehen."

,,Davor haben wir ihn auch etliche Zeit nicht gesehen. Dann eines Tages, fror er die Tür der Bibliothek zu und griff Edolons Sohn an", meinte Ekatoa grimmig. ,,Aber gut. Ich möchte nicht, dass man mir nachsagt, ich würde mich nicht um meinen Häuptling sorgen."

Anemro stützte den Kopf in die kalten Hände. Er war sich sicher, dass Chocas Traum ein Warnzeichen war. Auf keinen Fall wollte er nutzlos in Nokard herumsitzen, während ein fertiges Schiff bereitstand. Überstürzte Aktionen forderten eben ihren Preis. Er musste also die Laune der anderen ertragen.

 

 

,,Anemro!", rief Ekatoa, welcher kräftig an ihm schüttelte.

Vasilias Berater schreckte aus dem Schlaf hoch. ,,Was?"

,,Seht Euch das mal an." Der Indianer deutete in die Ferne. Dort erschienen viele dunkle Punkte, die sich in ihre Richtung zu bewegen schienen.

,,Sind das etwa...Schiffe?"

Ekatoa nickte. ,,Nicht gerade wenige, wie mir scheint."

,,Die Sonne steht nicht mehr, wie heute Morgen. Haben wir Isarek erreicht?"

,,Oh ja, das haben wir."

Choca riss sich von seinem Vater los und eilte zu Anemro und Ekatoa. ,,Lasst mich das sehen!"

,,Hey, ganz ruhig, Junge. Ich bin mir nicht sicher, ob das für dich..."

,,Lasst es mich sehen", wiederholte Choca Bow.

Anemro hob den kleinen Indianer hoch, damit er über die Reling sehen konnte. Diesem lief ein Schauer über den Rücken. ,,Das sind sie."

,,Wer?"

,,Die Schiffe da vorne." Choca wurde wieder auf den Boden abgestellt. ,,Das sind die Piraten."

Schneeseele wurde hellhörig. ,,Piraten?"

Anemro sah zu Auge des Alders. ,,Die Piraten sind doch vor den Ufern von Castero, sagtest du."

,,Ihr habt vergessen, dass seine Träume nicht ein dauerhaftes Standbild sein werden. Es kann sein, dass die Floghlai Mara dort gewesen war...Jetzt verfolgt sie offenbar ein neues Ziel."

,,Sie können gar nicht wissen, dass wir hier sind...Konnten es zumindest nicht", flüsterte Anemro, als könnten die Feinde ihn hören.

,,Wer weiß? Vielleicht haben sie ja Gefangene an Bord." Vielsagend blickte Auge des Adlers zu den Schiffen.

,,Das glaubt Ihr doch nicht im Ernst?! Nein, der König ist nicht auf diesem Schiff."

,,Das könnt Ihr nicht wissen."

Der Berater schluckte besorgt. Wenn es stimmte, was Edolon dachte? Sie hätten gar keine Chance alle lebend von Bord zu holen, falls es zu einem Angriff käme. Damit hatten sie zudem gar nicht gerechnet.

,,Zieht das Segel ein", orderte Anemro an.

,,Dann kommen wir aber nicht weiter."

,,Zieht das Segel ein!", wiederholte er mahnender.

 

 

Der Captain der Floghlai Mara gelang nach seiner ruckartigen Flucht nicht auf sein eigenes Schiff. Er fühlte sich verraten, da ihm keiner hatte helfen wollen. ,,Angst vor einer Kreatur aus Rauch und die nennen sich Floghlai Mara", dachte Delkorta sich immer wieder, als er endlich an Bord ankam. Zunächst kippte er das Wasser aus seinen Stiefeln, dann bemerkte er einige Blicke auf sich ruhen. ,,Was guckt ihr denn so dämlich?! Sagt mir wo ich den Zuständigen dieses Schiffes finde!"

,,MacTire wünscht keine Störung in seiner Kajüte."

,,Ach und ihr macht was er sagt? Da könnt ihr ihm ja auch gleich das Bad einlassen und seine Stiefel putzen!" Fassungslos schüttelte Delkorta den Kopf. Was war aus den starken Piraten geworden? Zornig machte er sich auf den Weg zu MacTires Kajüte frei. Dort angekommen stieß er achtlos die Türe auf.

,,Delkorta, wie reizend, dass Ihr mein Schiff besucht. Sonst kommt Ihr selten von Eurem vordersten runter."

,,Warum hat die Hilfe so lange gedauert, MacTire?!", fauchte der patschnasse Delkorta.

,,Ich bin der Oberste dieses Schiffes. Quasi der Captain..."

,,Ihr seid nichts dergleichen! Der Captain bin immer noch ich." Delkorta machte einen Schritt in das kleine Zimmer. ,,Und ich mag es gar nicht, wenn man mir nicht in der Not hilft."

MacTire hob entschuldigend die Hände. ,,Ich selbst musste hier die Stellung halten, während Ihr ein Abenteuer gestartet habt."

Der blondhaarige Captain ergriff den purpurnen Umhang des dunkelhaarigen Piraten mit der Augenklappe. ,,Das war kein Abenteuer! Das war ein Überfall!"

Es klopfte hinter ihm. ,,MacTire?"

Dieser machte sich los. ,,Ja?"

,,Das Königspaar lässt sich nicht ruhig stellen."

,,Ihr habt dieses alte Pack von Castero auch noch mitgenommen?!"

MacTire ignorierte ihn. ,,Dann werde ich wohl bei ihnen vorbeisehen." Einen Moment hielt er Inne. ,,Hört ihr das auch?"

Eine Glocke an Deck wurde mehrfach geläutet.

,,Der Alarm! Feindliche Schiffe sind gesichtet worden!" Der Pirat verschwand so schnell, wie er gekommen war.

,,Nun Delkorta, entweder Ihr vergesst das alles und arbeitet normal mit uns weiter oder Ihr wart längste Zeit Captain", entgegnete MacTire mit seiner rauen Stimme und eilte ebenfalls an Deck.

,,Das werden wir ja sehen."

,,Captain, da hinten wird das Segel eingeholt!", rief jemand von dem Ausguck zu ihnen herunter.

,,Um welches Segel handelt es sich?", fragten MacTire und Delkorta gleichzeitig, bevor sie sich grimmige Blicke zuwarfen.

,,Ein grünes..."

,,Die Skilyra Brüder!", jubelte MacTire. ,,Endlich."

,,Falls Ihr vergessen haben solltet, dass die Königin von Nokard noch immer bei Castero ist, hier nochmal die kleine Erinnerung, dass Asimi und Imigri nur zurückkehren, wenn sie ein Reich eingenommen haben." Delkorta ergriff eines der Seile, an dem man nach oben auf den Ausguck klettern konnte. Er nahm seinem Gegenüber das Fernrohr aus der Hand und warf selbst einen Blick hindurch. ,,Das gibt es ja wohl nicht..."

,,Was denn?", hakte MacTire nach.

,,Das Banner von Logarda! Den König haben wir aber auch vor Castero gesehen und sein Land müsste dem Erdboden gleichgemacht worden sein!"

,,Seltsam."

Delkorta kletterte wieder hinab und hüpfte neben den Piraten, den er gerade mehr als verachtete. ,,Der kann nicht vor uns sein. Jemand anders muss das Schiff steuern. Aus dieser Ferne kann ich aber nicht erkennen, wer."

 

 

Anemro sah, wie die Schiffe auf sie zukamen.

,,Die Floghlai Mara ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen", erinnerte Ekatoa ihn.

,,Das weiß ich selbst", fuhr er den Indianer an.

Überrascht wich dieser zurück. ,,Schon gut. Manitu, Bleichgesichter sind echt sensibel."

,,Ich bin nicht...Ist ja auch egal."

,,Wir kommen so nicht vorwärts, sondern warten nur auf unser Verderben", mischte sich Schneeseele erneut ein.

,,Davonsegeln bringt uns auch nichts mehr, sollte das wirklich die Floghlai Mara sein."

,,Aber was sollen wir dann tun?"

,,Gar nichts."

23. Kampfkunst

 Der Captain hatte sich an das vorderste Ende des Schiffes gestellt, da sie sich dem feindlichen immer weiter näherten. ,,Die bewegen sich gar nicht." Grob wurde er aus dem Weg gestoßen.

,,Geht da weg, Delkorta!" MacTire kniff die Augen zusammen. ,,Stimmt."

,,Das kann nur bedeuten, dass sie Angst vor uns haben."

,,Richtig so", meinte MacTire lachend. ,,Wer die Floghlai Mara nicht fürchtet, ist kein Mensch."

Delkorta warf dem Piraten einen abfälligen Blick zu. Nach diesem Spruch wunderte ihn aber überhaupt nichts mehr, was den Obersten dieses Schiffes betraf. Wenn er so gute Sprüche klopfte, wie er das Wappen der Familie Aetoc erkannte, konnte das nichts werden.

 

 

Anemro scheuchte die Indianer in den hinteren Bereich des Schiffes. ,,Passt ja auf, dass die Piraten euch nichts tun. Ich werde mit ihnen reden...Ich versuche es zumindest."

Ein wenig sträubten sich die Layandra dagegen. ,,Wir sind doch die, die ohne Waffen kämpfen können."

,,Ach und das wollt Ihr machen, während Ihr Choca beschützt, Edolon?"

Auge des Adlers schüttelte den Kopf. ,,Was erhofft Ihr Euch von einem Gespräch?"

,,Keine Toten."

,,Geben wir dem Bleichgesicht die Chance. Im Notfall können wir immer noch eingreifen", schlug Ekatoa nun vor.

Dankbar nickte Anemro ihm zu.

 

 

Ehe sie sich versahen, waren sie von Piratenschiffen umzingelt. Spitze and Spitze standen sich eines von ihnen und das von Logarda gegenüber. Ein Pirat kletterte mit einer Hand an dem Säbel zu ihnen herüber. Er trug eine purpurne Jacke und eine Augenklappe.

Anemro schluckte. So langsam gefiel ihm seine Idee selbst nicht mehr. An einen Rückzieher würde er jedoch im Traum nicht denken. ,,Was kann ich für Euch tun?"

,,Hört ihr das? Er bleibt höflich, obwohl wir ihn zu Staub verarbeiten könnten!", lachte MacTire laut, bevor er dem Berater wieder in das blasse, ernste Gesicht sah. ,,Ihr meint das ernst?" Er machte einige Schritte auf Anemro zu. ,,Nun...Wir wollen nur in Ruhe nach Isarek zurück und dort unsere Angelegenheiten klären."

,,Was haben wir damit zu tun?"

,,Ihr seid uns im Weg."

,,Ihr könntet an uns vorbeisegeln. Das Meer ist groß genug."

,,Sei nicht albern, du halbe Portion", grollte MacTire. ,,Wie ich sehe, meint Ihr auch das ernst."

Vasilias Berater nickte.

,,Ihr kommt aus Lamardra?" Er wandte sich um, als der Pirat Schritte hinter sich vernahm.

,,Das heißt Logarda, MacTire." Delkorta landete neben ihm und sah den Piraten schadenfroh an. Vor allen hatte er seine Dummheit beweisen können.

,,Ist doch egal...Ist auch nur ein Land", wiedersprach MacTire. ,,Wer seid Ihr halbe Portion eigentlich und die hinter Euch?"

Nun sah auch Delkorta zum ersten Mal zu den Feinden. Er bemerkte, dass der braunhaarige junge Mann ihn völlig entgeistert anstarrte.

Anemro dagegen gab absichtlich keine Antwort.

,,Delkorta, verschwindet. Er redet nicht mehr mit mir, wegen Euch."

,,Das ist ja wohl nicht meine Schuld."

,,Habt Ihr Waffen an Bord?", fragte MacTire stattdessen.

Der Berater schüttelte den Kopf.

,,Ich kann es gar nicht leiden, wenn mir jemand nicht antwortet, Freundchen." MacTire zog den Säbel und hielt diesen auf Höhe von Anemros Oberkörper.

Die Indianer wurden unruhig.

Anemro dagegen blieb gelassen. ,,Und ich hasse Piraten." Er schnappte sich das Handgelenk des Piraten, verdrehte es leicht, bis der Säbel aus dessen Hand fiel und fing es mit der freien Hand auf.

Überrascht hob MacTire die behandschuhten Hände. ,,Was soll das werden...Gebt mir mein Säbel zurück!"

,,Holt es Euch doch."

,,Der hat vielleicht Nerven", murmelte Ekatoa im Hintergrund.

Das ließ sich MacTire nicht zweimal sagen. Er holte mit den Händen aus, um nach seiner Waffe zu greifen.

Anemro jedoch wich jedem Angriff aus.

Er zog sich das Hemd gerade und atmete tief ein. ,,Delkorta, übernehmt Ihr."

,,Warum nicht gleich so?" Der Captain stellte in diesem Moment fest, dass er gar keine Waffe mehr bei sich trug. ,,Einen Moment." Er eilte zurück auf das Piratenschiff, um dort dem Steuermann den Säbel aus der Tasche zu ziehen.

,,Unvorbereitet, Captain."

,,Sagt der Richtige." Delkorta trat vor Anemro, holte aus und schlug den Säbel von oben in Richtung des Beraters.

Dieser hob seine Waffe hoch, sodass beide Klingen aufeinandertrafen. Anemro drückte somit Delkortas Säbel nach oben, trat dem Captain auf den Fuß, sodass dieser sich nach vorne beugte, holte dann erneut aus und brachte ihn mit einem Knietritt in die Magengrube zu Fall.

,,Beim Totenschädel, Delkorta! Ich habe Euch noch nie so schnell gegen einen einfachen Bauern verlieren sehen."

Anemro nahm den Säbel des Piraten an sich und richtete beide auf ihn.

Der Captain sah ihm nach einigen Augenblicken in die Augen. ,,Das ist kein Bauer...Das ist..."

,,Wie schön, dass du mich noch erkennst."

MacTire und den Indianern verschlug es beinahe die Sprache. ,,Ihr kennt euch?!", fragten sie beinahe zeitgleich.

,,So kämpft neben mir nur ein anderer auf dieser Welt", brachte Delkorta hervor und stand auf. ,,Mein Sohn."

Einen Moment lang saß der Schock in ihren Knochen.

,,Vater."

,,Du bist größer geworden."

,,Keine Kunst nach so vielen Jahren", antwortete er knapp.

,,Wie geht es deiner Mutter? Ich habe sie schon so lange nicht mehr gesehen."

Anemro warf seinem Vater den Säbel vor die Füße. ,,Wie soll es ihr gehen?! Sie ist schon lange verstorben, als Asimi in Logarda einmarschiert ist. Ich nehme an, da habt Ihr und diese Floghlai Mara gar nichts mit zu tun?"

Der Captain wurde blass um die Nase. ,,Verstorben?"

,,Ja. Sie und ihr Name sind von dieser Welt verschwunden, während du es nicht gemerkt hast. Niemand wird ihre Geschichten in Liedern besingen, so wie die der Piraten. Dabei ist das Einzige, was ihr könnt, Leute umbringen!" Wütend wandte er sich von den Piraten wieder an Delkorta. ,,Ich hoffe nur, dass sie nicht so für dich war. Kein Niemand."

,,Jetzt ist mir klar, dass dies Euer Sohn ist, Delkorta." MacTire verfiel in starkes Gelächter. ,,Er hat dasselbe große Mundwerk, wie sein Vater."

,,Mund halten, MacTire!", fauchte der Captain. ,,Du weißt doch, dass ich damals nicht anders konnte, als mich den Piraten anzuschließen."

,,Wer hat dich dazu gezwungen? Keiner", erwiderte Anemro mit spitzem Unterton. ,,Ich war damals elf Jahre alt, als du gegangen bist. Jetzt gehe ich auf die dreißig zu."

,,Es war meine Pflicht, mich der Floghlai Mara anzuschließen. Mir war klar, dass du das nie verstehen würdest. Ich wusste auch, dass du nie in meine Fußstapfen treten würdest."

,,Wozu auch? Ich bin die Rechte Hand des Königs von Logarda. Das ist eine ehrenhafte Aufgabe für die es sich zu kämpfen lohnt. Nicht als selbsternannter Piratenkomplott durch die Welt zu segeln, um Angst und Schrecken zu verbreiten."

,,Dieser Vasilias gehört zu dir?!" Delkorta lachte auf. ,,Ich glaube da haben sich zwei gesucht und gefunden."

,,Du verstehst gar nichts, Vater. Gar nichts."

MacTire räusperte sich. ,,Diese Familienzusammenkunft ist ja rührend, allerdings tut das nichts zur Sache. Wir verarbeiten euch alle zu Feinstaub."

Anemro warf dem Piraten mit der Augenklappe einen abschätzenden Blick zu. ,,Das haben wir schon gesehen. Ich dachte auch, Ihr würdet Euer Leben schätzen."

,,Wartet...Ihr habt den König gesehen?!", warf Ekatoa ein und stellte sich wagemutig neben Anemro. ,,Das kann nur bedeuten, dass er ihm etwas getan hat."

,,Chocas Traum stimmte also. Jetzt rück mit der Sprache raus, Vater. Wo ist Vasilias Aetoc?" Er packte den Captain an der Jacke.

,,Zuletzt habe ich ihn vor Castero gesehen."

,,Lüg mich nicht an!"

,,Das ist die Wahrheit!" Delkorta machte sich los und drehte den Spieß um. ,,Hör mir zu Junge. Nur weil du mein Sohn bist heißt das nicht, dass ich dir kein Haar krümmen würde."

,,Das ist der Mann aus meinem Traum...", murmelte Choca undeutlich vor sich hin. Auge des Adlers kniete sich auf seine Höhe. ,,Was sagst du da?"

,,Er hat Vasilias nicht..."

Edolon warf Anemro einen Blick zu. Dieser hatte Choca offenbar nicht gehört.

,,Da war ein anderes Schiff in gelb. Er ist fast draufgegangen."

Delkorta drückte Anemro in Richtung Schiffsreling und ließ ihn gefährlich weit nach hinten lehnen. ,,Manitu", hauchte Schneeseele neben Edolon.

Choca stürmte auf den Captain zu, sprang auf dessen Rücken und klammerte sich an ihm fest.

,,Hey!", fauchte Delkorta und wurde nach hinten gezogen.

Anemro ergriff die Chance, um sich von der Reling wegzudrehen.

Delkorta dagegen fand ein neues Druckmittel. Er zerrte den kleinen Indianer von seinen Schultern, stellte diesen auf den holzigen Rand und hielt ihn am Arm fest. ,,Ein Wort und der Junge lernt Schwimmen."

,,Das könnt Ihr nicht machen!", rief Edolon besorgt. ,,Lasst meinen Sohn in Ruhe!"

Anemro hielt ihn zurück. ,,Nicht näher gehen."

,,Ich lasse Euren Vater doch damit nicht durchkommen."

,,Das habe ich auch gar nicht gesagt", erwiderte Anemro trocken. ,,Vater, lass Choca los. Er kann nichts dafür, dass du in deinem Leben alles falsch gemacht hast."

,,Jetzt ist mir klar, wieso Ihr nach diesem Indianer und der Königin getaucht seid! Ihr wart sentimental!", schrie Sirdos von Delkortas eigentlichem Schiff zu ihnen herüber.

,,Lydia?"

,,Valkan." Beide Namen fielen zeitgleich, nachdem der Pirat diese Feststellung beendet hatte.

,,Ihr geht jetzt mit an Bord von MacTire! Na wird's bald!", scheuchte Delkorta knurrend.

,,Ich glaube es nicht...", setzte Anemro an.

,,Ich sagte, wird's bald! Ansonsten..." Er ließ Choca leicht ein wenig weiter auf der ohnehin schon schmalen Kante vorrutschen.

,,Schon gut, wir gehen. Mein Vater hat nicht mehr alle beisammen."

24. Begegnungen

An diesem Tage sah die Königin von Nokard zum ersten Mal Reako. Das Schiff von Lorna hatte bereits vor einigen Stunden am Hafen des Landes unter Beaufsichtigung der königlichen Geschwister, angelegt. Sie waren nicht gerade begeistert davon, dass sie völlig umsonst alle Wachen aus ihren Verstecken holen mussten, wie sie sagten. Wütend wirkten Thogra und Yagre allerdings auch nicht, weshalb sich keiner mehr von ihnen Gedanken über den Vorfall machte.

,,Wir würden uns geehrt fühlen, wenn ihr in unserer Burg ein Zimmer nehmt. Es ist immer Platz für neue Freunde", hatte Yagre sie begrüßt.

Lorna dagegen warf den Geschwistern finstere Blicke zu. Man merkte ihr die Abneigung gegenüber den beiden sofort an.

Die anderen nahmen das Angebot dankend an und so wurden sie am Rande der Grauwälder zum Herzen des Landes geführt.

Akayla behielt Dayne die ganze Zeit auffallend im Auge.

Lydia wollte nicht nachfragen, da sie sich nicht gerne in Streitereien einmischte. Sollte das jedoch so weitergehen, nahm sie sich vor mit der Prinzessin zu sprechen.

,,Dies sind eure Gemächer. Sind sie nicht allerliebst?"

Yagre kam ihnen ein wenig aufgesetzt vor, wie er die Dinge ins Detail schön redete. Bereits auf dem Weg zur Burg hatte er ihnen etliche Orte aufgelistet und beschrieben. Er schaffte es sogar, die Grauwälder weniger gefährlich wirken zu lassen, als Lydia sie von Lornas Geschichte in Erinnerung hatte.

 

 

Die Burg von Reako war auffallend rundlich gebaut. Nicht nur von außen, sondern auch von Innen. Tische, Stühle, Regale und sogar die Throne waren rund. Bezüge und Kleidung waren in roten Farbtönen gehalten, wie Lydia es sich vorgestellt hatte, als sie die Geschwister zum ersten Mal sah. Das rote Reich erwies seinem Namen alle Ehre.

,,Wollt Ihr denn gar nicht wissen, weshalb wir nun hier Halt machen?"

,,Wir besprechen morgen alles Weitere, die Damen", meinte Yagre freundlich zu Lydia und Akayla.

,,Mein Bruder hat vollkommen Recht. Ihr müsst erst einmal Essen, Baden und euch ausruhen. Schaut euch doch nur einmal an. Zerzaust von oben bis unten", wies Thogra sie auf ihr fürchterliches Auftreten hin.

,,In Ordnung. Vielen Dank."

 

 

Vasilias war schon nach wenigen Minuten am Speisetisch in ein Gespräch mit den Herrschern von Reako vertieft.

In diesem Moment bemerkte Lydia erst wie sehr ihr Nokard fehlte. So lange war sie nie von Zuhause weg. Die Königin von Nokard biss in eines der belegten Brote. Hatte sie einen Fehler begangen, als sie die Dorfbewohner zweier Reiche und einen Indianerstamm alleine ließ? Diesen Gedanken schob Lydia beiseite, als sie Valkans Stimme hörte.

,,Woran denkst du?"

,,An nichts Besonderes", log Lydia.

,,Nokard also."

,,Woher...?"

,,Ich kenne dich inzwischen lange genug, um zu sehen woran du wirklich denkst", gab er lächelnd als Antwort.

Wie eine Ewigkeit kam es ihr vor, da saß sie eingesperrt in ihrem Gemach und eine Person sprang durch ihr Fenster hinein. Von einer Sekunde auf die nächste, vertraute sie diesem Menschen, ohne sich das erklären zu können. Dieser Mensch war Valkan. Wie schnell die Zeit doch verging. Nie hätte sie gedacht sich so gut mit den Layandra zu verstehen.

,,Noch einen Schluck Wein?", fragte Yagre zuvorkommend.

,,Nein danke. Ich denke, ich gehe jetzt zu Bett", teilte Lydia allen mit. ,,Gute Nacht, wünsche ich."

,,Ich komme gleich nach", sagte Valkan. Er schien im Gegensatz zu ihr hellwach zu sein.

Lydia nickte als Antwort und war froh mal einige Sekunden alleine nachdenken zu können. Ein neuer Plan musste her, denn sie sollte so schnell wie möglich Akaylas Eltern retten und nach Nokard zurückkehren.

 

 

Lydia erwachte in dieser Nacht mehrfach. Sie hatte das ungute Gefühl gebraucht zu werden. Als sie nun schon zum vierten Mal erwachte, entzündete sie die Kerze auf dem kleinen Kronleuchter auf dem Nachttisch. Im Gemach war alles ruhig. Gerade wollte die Königin das Licht löschen, da erblickte sie eine vertraute, weiß leuchtende Nebelgestalt. ,,Ydro." Sie warf die rote Decke nach hinten und stieg aus dem Bett auf die Gestalt zu. Konnte es sein, dass sie ihren Berater dringender brauchte, als sie ahnte? Auch Eileen war wieder erschienen. Die beiden lächelten nicht aufmunternd, wie bei ihrer letzten Begegnung. Beide blickten zur Seite. Lydia folgte ihren Blicken und entdeckte noch eine Gestalt. ,,Zoera?" Aus drei geisterhaften Gestalten, wurden zehn. Aus zehn, wurden zwanzig. Schon bald war sie von Geistern umgeben. Lydia hielt beide Hände an ihren Kopf und gab einen heiseren Schrei von sich.

,,Was ist los?" Augenblicklich war Valkan hellwach. Er hatte sich angriffsbereit auf die Bettkante gehockt und beobachtete forschend den Raum. ,,Wo ist der Feind?" Das schwarze Haar bewegte sich mit jeder seiner ruckartigen Bewegungen. An Stelle eines Feindes, sah er nur Lydia in der Mitte des Zimmers stehen. ,,Ist etwas mit dir oder dem Kind?", fragte er besorgt, während er mit einem Satz neben der Königin landete.

,,Ich muss nach Hause, Valkan."

,,So schrecklich finde ich es hier gar nicht. Die Geschwister scheinen gastfreundlich zu sein." Voller Sorge schaute sie an. ,,Bald kannst du...Können wir nach Hause."

,,Nicht bald. Ich muss sofort aufbrechen."

,,Lydia, ich bitte dich. Was ist denn plötzlich los?"

Die Königin bewegte vorsichtig die Augen von links nach rechts, rührte sich ansonsten aber nicht von der Stelle. ,,Ydro und Eileen waren wieder da..."

,,Was soll das heißen?"

,,Ich habe sie schon einmal gesehen, als ich an dem Hügel beim Schloss war...Jetzt sind sie wieder da, aber es sind viel mehr."

,,Die beiden sind doch tot." Sein Gesicht verfinsterte sich.

,,Eben, sie sind tot...Das bedeutet für mich, wenn ich noch mehr Geister sehe..." Aufgebracht nahm sie die Hände von ihrer Stirn.

,,Noch mehr Tote", dachte Valkan ihren Gedanken laut zu Ende.

Lydia nickte panisch. ,,Das darf einfach nicht sein." Sie legte beide Hände an den Indianer. ,,Verstehst du mich jetzt? All die Sorgen?"

,,Sie werden nicht alle tot sein. Wir werden aber aufbrechen, wenn es dich ruhiger stimmt."

,,Ja, das würde es." Die Königin von Nokard schnappte sich ihren Umhang von dem Sessel und zog diesen über. ,,Wir müssen unauffällig meine Garde wecken."

,,Was ist mit Vasilias?", flüsterte Valkan, der auch gut auf den König verzichten konnte.

,,Der bleibt wo er ist. Er hat schließlich Recht. Er ist es, der viel mehr Leben gerettet hat, als ich."

25. Das Große Wasser

 Choca riss die Hand des Captain von seinem beigen Hemd mit dem weißen Zackenmuster darauf.

,,Hör auf damit, Junge! Du fällst noch über Bord!"

,,Lasst mich endlich los!"

,,Ich kann dich nicht von der Kante holen, wenn du nicht stillhältst." Delkorta wurde der Stoff des Hemdes schon in der nächsten Sekunde vollständig aus den Fingern gezerrt. Wie in Zeitlupe, sah er den kleinen Indianer rückwärts von Bord springen. Hastig beugte er sich über die Reling und sah in die tosenden Wellen. Von Choca fehlte jede Spur. ,,Was steht ihr da so rum?! Holt das Kind aus dem Wasser!", rief er den umliegenden Schiffen zu.

,,Wir sehen es doch nicht ein nach einem Jungen zu tauchen, der selbst an seinem Untergang Schuld war", warf Sirdos ihm zu. ,,Er wollte seinem Leben ein Ende setzen."

,,Das ist ein Kind!"

,,War...Ihr seid wirklich zu emotional an Euren Sohn gebunden, Delkorta!"

Der Captain nahm die Stimmen nur noch im Hintergrund wahr. Der Indianer war freiwillig gesprungen. Er hatte ihn nur als Druckmittel nutzen wollen, doch das ging zu weit.

,,Delkorta?", ertönte MacTires tiefe Stimme plötzlich.

Dieser sah zu dem Piraten mit der Augenklappe. ,,Hm?"

,,Kommt Ihr jetzt an Bord, oder braucht Ihr eine Extraeinladung?"

Das ließ sich der Captain nicht zweimal sagen.

 

 

Auge des Alders war es, der gegen die verschlossene Türe hämmerte. ,,Gebt mir meinen Sohn, sofort!"

,,Das bringt gar nichts", belehrte ihn König Siaac. ,,Wir haben es versucht, doch es hat nicht geklappt...Die lassen nicht mit sich reden."

Maimee hockte dicht neben ihrem Mann und versuchte ruhig zu bleiben.

,,Ist bei der Dame alles in Ordnung?", erkundigte sich Anemro besorgt.

,,Meine Frau steht wohl noch unter Schock. Es war nicht vorherzusehen, dass die Floghlai Mara uns in einem Hinterhalt auf ihr Schiff schleppen würden."

,,Ich schließe daraus, dass ihr angegriffen wurdet", sagte Ekatoa wissend.

,,Ja. Maimee macht sich Sorgen um unsere Tochter. Was ist, wenn ihr etwas passiert ist?"

,,Sie hatte von Anfang an Recht", begann Maimee leise. ,,Ich hätte schneller sein müssen, dann ginge es den Dorfbewohnern auch noch gut. Werde ich sie je wiedersehen?"

,,Mach dir keine Vorwürfe. Was geschehen ist, ist geschehen."

,,Sie war der Meinung, dass die Piraten Dorfbewohner waren, deren König vom Thron gestürzt wurde. Ohne König werden sie alle zu verzweifelten Handlungen gebracht..." Maimee standen Tränen in den Augen. ,,Ich wollte es nie wahr haben."

Anemros Blick wurde steinhart. ,,Ihre Tochter ist klug. Genauso ist es gewesen...So hat es angefangen..."

,,Wo hat es angefangen?" Siaac setzte sich aufrecht hin.

,,Ich weiß, dass es vor Vasilias Herrschaft war. Sein Vorgänger wurde gestürzt. Von wem, weiß bis heute keiner. Mein Vater hat meine Mutter und mich alleine in Logarda zurückgelassen. Wir haben ziemlich nahe an der Grenze gelebt."

In diesem Moment flog die Türe auf und MacTire trat in die kleine Kajüte, wo sonst die Waffen gelagert wurden. ,,Ihr da!" Er deutete auf Edolon.

Dieser sprang sofort auf den Piraten zu und wäre ihm am liebsten an die Gurgel gegangen, doch Anemro hielt ihn zurück. ,,Gebt mir Choca!", flehte Edolon erneut.

,,Das geht leider nicht."

,,Was soll das denn heißen?! Was habt ihr mit ihm angestellt?!"

,,Gar nichts. Er hat sich selbst aus Delkortas Händen befreit und ist gesprungen...Hatte er Probleme in der Familie?"

In Auge des Alders wuchs die Wut immer weiter an. ,,Was für ein Unfug!"

Anemro konnte ihn nicht mehr auf der Stelle halten, jedoch war MacTire bereits wieder durch die Tür verschwunden und verriegelte diese hinter sich.

,,Ihr habt meinen Sohn von Bord geworfen! Ich verarbeite euch im Namen von Manitu zu Kleinholz!" Weitere Minuten lang verwünschte der Indianer die Floghlai Mara, bis ihn die Müdigkeit überkam und er an dem Holz entlang auf den Boden sank. Sein Kopf lehnte gegen die Tür und seine Augen schienen in das Leere zu starren.

,,Edolon?", fragte Ekatoa vorsichtig. Er machte einige Schritte auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

,,Ich bin alleine. Choca...Meine Frau..."

,,Sollte es stimmen, was der Pirat sagte...Ich kann mir nicht vorstellen, dass Choca Bow freiwillig ins Große Wasser springt."

,,Ist das ein anderes Wort für Meer?"

Ekatoa drehte den Kopf zum König von Castero. ,,So ist es."

,,Natürlich lügt das Bleichgesicht! Mein Sohn würde niemals springen!" Edolon ballte die Fäuste. ,,Er darf nicht auch noch weg sein." Der Indianer blickte auf. ,,Der Fluch...Ich wusste es würde eines Tages passieren!"

,,Halt, halt. Du denkst der Fluch hat ihn umgebracht?!", hakte Ekatoa erschrocken nach.

,,Sicher. Er hat ihn zumindest zum Sprung verleitet."

,,Ich fühle mit Euch", meldete sich Maimee betroffen zu Wort.

,,Der Fluch ist mit ihm untergegangen", flüsterte der Indianer mit dem roten Kopftuch.

Anemro schüttelte den Kopf, als hätte er die ganze Zeit nichts mitbekommen. ,,Mein Vater hat Euren Sohn von Bord gestoßen..."

Die Augen der anderen ruhten auf ihm.

,,Was ist er für ein Monster geworden? Ich habe ihn seit meinem elften Lebensjahr verabscheut, doch jetzt..." Er schluckte und schloss die Augen. ,,Ich kann nun Eure Frage beantworten, Mylady", hauchte Vasilias Berater. ,,Ihr werdet Eure Tochter nicht wiedersehen."

 

 

Viele Meilen von ihnen entfernt tippten Pfoten über den Boden des Schlosses von Nokard.

Panna, Fred und drei Leute von Logarda, eilten durch die Flure. Dicht hinter ihnen gewann ein riesiges Wesen immer mehr Vorsprung. ,,Lauft schneller, verflucht!", trieb Fred die Logarder an.

,,Liebling, es kommt näher!", schrie seine Frau verzweifelt.

Ein Logarder wandte sich zu Fred und Panna um. ,,Eine Sackgasse!" Sie befanden sich vor einer Wand mit einem einzigen Fenster in deren Mitte.

Fred stellte sich schützend vor seine Ehefrau. ,,Es wird dich nicht bekommen."

,,Wir müssen springen!"

,,Geht es Euch noch gut?!", quietschte Panna. ,,Habt Ihr eine Ahnung in welchem Stockwerk...?"

,,Springen oder das Monster da vorne", unterbrach der Dorfbewohner sie.

Die Arbeiterin hob den Kopf und sah wieder zu dem sich nähernden Wesen. ,,Götter steht mir bei." Sie drehte sich um, stellte den Fuß auf die Fensterbank, zog sich hoch und sprang den Logardern hinterher.

,,Panna!", stieß Fred völlig überrascht hervor. Dann hörte er das Atmen des Tieres hinter sich und wich soweit es ging zurück.

,,Weg da, Kleiner! Das ist meine Beute!"

Als Fred es wagte die Augen zu öffnen sah er, dass Quirin die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte. Ausgerechnet er. Quirins Augen leuchteten jedoch unnatürlich hell, wie die des Wolfes vor Fred, weshalb er sich noch nicht in Sicherheit wog. Der riesige Wolf der fünffach so groß war, wie normale Wölfe es wurden, knurrte den Berater von Isarek an. Aus irgendeinem Grund griff er Quirin allerdings nicht an. Stattdessen neigte er den Kopf wieder zu Fred, welcher die Augen vor Schreck weitete. Er zog sich nach tiefen Atemzügen an dem Fensterrahmen nach oben und sprang schließlich seiner Frau hinterher.

26. Auch nur Menschen

 Lydia gab Valkan das Zeichen, dass sie die Pferde leise aus dem Stall führen konnten. Die Luft war rein.

,,Das ist kompletter Wahnsinn, Hoheit. Wir bestehlen..."

,,Wir stehlen nicht, wir leihen nur etwas aus. Ich weiß selbst wie schlecht das ist", unterbrach die Königin den Ser. ,,Ich muss das einfach tun. Stellt Euch vor was in Nokard vor sich geht." Sie lauschte in die Dunkelheit.

,,Beeilen wir uns." Chrysos half den anderen dabei die Pferde an den Zügeln hinaus zu holen.

Die Königin zog das vorderste Pferd leicht an den Zügeln, ging auf dessen rechte Seite und stieg auf.

,,Den Weg kennen wir doch gar nicht, Lydia", flüsterte Valkan. Dessen Atem bildete weißen Rauch vor sich. Die Temperaturen fielen in der Nacht stark herab, weshalb niemand gerne hinausging.

,,Seit wann kümmert sich die Hoheit denn um den Weg?", entgegnete Kipivo grinsend.

,,Wenn es um mein Dorf geht gar nicht." Sie setzte das weiße Pferd in Bewegung, welches im Mondschein schimmerte.

Valkan bemerkte Kipivos Blick auf sich ruhen und schmunzelte kurz. Dann wurde sein Gesicht wieder ernst und er ritt neben Lydia her, während die Ritter dicht hinter ihnen waren.

,,Es hilft nichts, Hoheit. Wir müssen durch die Grauwälder hinaus!", verständigte sich Ser Chrysos mit der Königin.

,,Dann reiten wir da eben durch." Nicht ganz überzeugt ritt Lydia noch immer voran. Sie fürchtete die Grauwälder, ohne sie je betreten zu haben. Doch was sie noch mehr fürchtete, wartete offensichtlich in Nokard.

Sie sah noch einmal zu Valkan, der nur kurz nickte.

Das weiße Pferd setzte die ersten Hufe in die Grauwälder. Augenblicklich schienen sich die Bäume hinter ihnen zu verschließen, als wären sie das Tor in das Nichts. Nervös wandte Lydia den Kopf wieder nach vorne. Die Pferde schienen diesen Wald bereits geritten zu sein, da es trotz Dunkelheit gegen keinen einzigen Baum knallte. Anstatt vorsichtig zu traben, wurden sie schneller. Ihre Aufsassen wurden unruhiger.

,,Sind die nicht etwas zu schnell?", fragte Chrysos besorgt.

,,Das sind sie...Jedoch weiß man nicht, was hier lauert. Ihr habt Lornas Geschichten gehört. Wir können froh sein, wenn wir die Grauwälder lebend verlassen."

,,Ich frage mich nur wie die Wachen hier drinnen dann keine Angst haben...", brach er selbst ab, denn ein Pfeil verfehlte ihn nur knapp. Erst dachte er, dass seine Augen ihm einen Streich spielten, doch als der nächste Pfeil direkt hinter der Hufe von seinem dunkelbraunen Pferd landete, bekam er es doch mit der Angst zu tun. ,,Hoheit, passt auf! Hier wird geschossen!", warnte Chrysos.

,,Wie bitte?" Die Frage war kaum gestellt, da regnete es wortwörtlich mehrere Pfeile vom Himmel auf sie herab. ,,Götter sind die verrückt?!"

,,Da fragst du noch!" Valkan zog sein Pferd näher zu Lydias, hielt deren Zügel fest und gab beiden einen kräftigen Ruck.

,,Du machst sie noch schneller!", quietschte Lydia unabsichtlich.

Die Pferde galoppierten. Sanfte Feder zog sie geschickt von links nach rechts, sodass sie wie durch ein Wunder noch immer aufrecht ritten.

,,Wir verlieren meine Garde!", rief Lydia ihm panisch zu.

,,Stehen bleiben ist zu gefährlich!"

,,Aber..."

,,Es sind Ritter. Die wissen, was sie tun."

,,Es sind auch nur Menschen", antwortete sie tonlos und hielt nach den Rittern Ausschau. Diese schienen von der Dunkelheit verschlungen worden zu sein. ,,Ich will nicht noch mehr Geister sehen." Ihre Worte gingen in den Geräuschen der schnell fliegenden Pfeile unter.

Nach einer ganzen Weile hörte der Regen aus Pfeilen endlich auf.

Valkan ließ die Pferde ein wenig langsamer werden. ,,Bist du verletzt?"

,,Nein, alles gut." Sie sah an sich hinab. ,,Das arme Kind, was meine Aktionen miterleben muss."

,,Es wird sich mehrfach überlegen, ob es mit seiner Mutter ausreiten wird, schätze ich."

,,Können wir bitte kurz anhalten?"

Sanfte Feder wartete noch einen Moment, bevor er eine Entscheidung traf. ,,Also gut, wir...Lydia..."

Irritiert blickte sie den Indianer an. Dann folgte sie seinem Blick und wäre vor Schreck beinahe aus dem Sattel gerutscht. ,,Was ist das?!"

Valkan ließ die Pferde wieder schneller werden, anstatt sofort zu antworten. ,,Wenn wir Glück haben, nur verrückte Menschen."

Lydias Mimik sprach Bände, als sie sich erneut umdrehte und dann wieder geradeaus sah. ,,Das sind keine Menschen. Beeile dich bitte!"

,,Sag das mal den Pferden."

,,Beeilt euch bitte."

 

 

Die Dämmerung setzte über Reako ein. Yagre und Thogra erwarteten ihre Gäste bereits in dem großen Speisesaal der Burg, welcher einen gigantischen Kronleuchter an der Decke hängen hatte.

Einer der Diener trat zu ihnen, kurz nachdem Vasilias und Akayla am Tisch Platz genommen hatten. ,,Euer Majestät, Euer Hoheit."

,,Guten Morgen, Newis."

,,Ich hoffe, ich störe nicht, beim Frühstück?"

,,Aber nicht doch. Wir sind auch noch gar nicht vollständig", erwiderte Yagre daraufhin.

Newis spielte an seinen dunkelroten Handschuhen herum. ,,Darüber wollte ich mit Euch sprechen."

,,Was ist passiert?" Der König stand auf.

,,Einige der Pferde fehlen", stammelte der Diener.

,,Weg?", wiederholte Vasilias. ,,Könnt ihr die Ställe nicht richtig abschließen?"

Newis warf dem König von Logarda einen finsteren Blick zu. ,,Und ob wir das können. Es scheint mir nur, dass sie gestohlen wurden."

Thogra rückte ein wenig auf ihrem Stuhl nach vorne. ,,Wer würde es wagen uns zu bestehlen?"

,,Das wissen wir nicht. Was dagegen viel beunruhigender ist, dass eine Nachricht aus den Grauwäldern kam. Es wurden letzte Nacht Feinde gesichtet und angegriffen. Wie viele davon ausgeschaltet wurden, ist unklar."

Der König konnte kaum glauben, was er da hörte. Seiner Schwester schien es nicht viel anders zu gehen.

,,Da gibt es noch etwas das Ihr Wissen solltet." Er zog etwas aus einer Tasche, die ihm um die Schulter hing. ,,Das hier wurde gefunden."

,,Was soll ich mit einem zerstörten Handschutz anfangen?"

Vasilias sprang auf. ,,Der Handschutz gehört doch..."

,,Ja?", hakte Yagre interessiert nach.

,,Die Wachen aus Nokard tragen solche Rüstungen." Kleinlaut setzte sich Vasilias wieder hin.

Yagre ließ von dem König ab. ,,Wurden noch andere Sachen gefunden?"

,,Bisher nur jemand, der wohl aus dem Pferd gefallen sein muss bevor...Ja."

,,Lasst mich denjenigen sehen", sagte Vasilias ernst. Innerlich flehte er, dass es weder Lydia noch Valkan war.

,,Wie Ihr wünscht." Newis bat die Könige, die Königin und die Prinzessin, ihm zu folgen.

Die Geschwister von Reako hatten eisige Blicke aufgesetzt und wirkten angespannter als bei jedem Besuch in den Grauwäldern.

,,Dort hinein."

Vasilias brauchte nur eine Sekunde, um die Person zu erkennen. Sofort drehte er sich wieder um und verließ den Raum eilig wieder. Akayla dagegen stand fassungslos auf der Stelle und rührte sich nicht. ,,Bei allen guten Geistern von Castero!"

,,Wie lautet der Name dieses Mannes?", erkundigte sich Thogra.

,,Nate, Hoheit." Vasilias war zurückgekehrt.

,,Er ist keiner von den Nokardern, oder?"

Die Prinzessin von Castero schüttelte den Kopf. ,,Er gehörte zu Daynes Familie."

,,Sucht Königin Lydia und diesen Indianer", befahl Thogra augenblicklich. ,,Vielleicht haben sie die Pferde gar nicht gestohlen."

,,Das hoffe ich auch." In Vasilias wuchs das Unwohlsein, als er sich daran erinnerte, wie Lydia bereits auf den Schiffen umkehren wollte.

,,Ach Ihr seid ja auch noch da", begrüßte Yagre die Königin von Waldegro schroff.

Lorna zog leicht eine Augenbraue nach oben und versuchte sich schnell einen Überblick zu schaffen. ,,Was ist hier los?"

,,Nichts, was Euch etwas angeht." Der König von Reako ging an ihr vorbei, während ihr ein Schatten über das Gesicht huschte.

Überrascht über diese Aussage, sah Vasilias aufmerksam zu Lorna. Diese schüttelte nur stumm den Kopf, bevor sie den kargen Raum wieder verließ.

27. Plandra

 Langsam öffnete Fred die Augen. Er konnte es kaum glauben, er hatte tatsächlich überlebt. Sehr erstaunt darüber, bewegte er sich ein wenig. Gebrochen schien nichts zu sein. Einzig sein Kopf brummte noch etwas. Fred bemerkte plötzlich, dass er auf etwas gelandet war, was seinen Sturz abgefangen haben musste. ,,Ein Drache!" Dieser bemerkte, dass Fred wieder erwacht war und hob den länglichen, schmalen Hals an. Der Arbeiter rutschte auf dem Rücken ein ganzes Stück über den Schweif hinunter, bis hin auf den Boden. ,,Wo kommt ihr denn auf einmal her?"

,,Fred?"

,,Panna!" Eilig rannte er zu seiner Frau und umarmte diese sofort. ,,Dir geht es gut."

,,Ja und den anderen dreien auch."

,,Bist du auch auf einem Drachen gelandet?"

Sie nickte. ,,Mich wundert ihre Rückkehr sehr."

,,Glaubst du die Königin ist auch...?"

,,Ich wünschte es wäre so. Wir werden wohl Hilfe brauchen, um das herauszufinden. Allerdings sehen sie verändert aus, was mich kritisch stimmen lässt." Panna betrachtete die Erddrachen von Kopf bis Pfote.

,,Es ist Frühling, deswegen vielleicht."

Über ihnen flogen weitere der Erddrachen, als ob sie irgendetwas beschützen wollten. Möglicherweise taten sie das auch. Ihre Heimat beschützen.

,,Lasst uns im Schloss nachsehen. Ich habe ein ungutes Gefühl, dass die Drachen zurück sind...Vor allem, wenn sie ohne Lydia zurück sind", meinte Fred.

 

 

Lydia erwachte, als sie noch immer den Hals des Pferdes umschlungen hielt und sich längst nicht mehr nur mit den Zügeln zufrieden gab. Dieses trabte inzwischen durch die Täler in welchen der Schnee bereits schmolz. Sie hatten es aus den Grauwäldern Reakos geschafft.

,,Valkan?", fragte die Königin benommen, während sie sich aufrecht hinsetzte. Ihr Herz schlug schneller. Der Indianer war weit und breit nicht zu sehen. ,,Valkan?!", wiederholte Lydia etwas lauter. Sie war alleine im Nirgendwo. Die Feinde waren zwar nicht mehr da, ihr kleiner Trupp hatte sich jedoch auch aufgelöst. Besorgt blickte sich Lydia um. Er konnte doch nicht verschwunden sein. Nicht ohne sie.

Die Täler wurden steiniger, Baumstämme lagen verstreut in der Umgebung und keine Menschenseele war zu sehen. Die Königin war entweder in einem sehr verlassenen Dorf von Reako, oder hatte bereits ein anderes Land betreten. Angestrengt dachte sie nach, welches Land über Reako lag. ,,Plandra." Andernfalls wäre sie nach Leydra gelangt. Beide Varianten schienen ihr willkommen, da diese Länder auf in Richtung Norden führten, wenn man den Wegen richtig folgte.

Bestätigung mit ihrer Vermutung erhielt Lydia, als sie sich nach mehreren Stunden einem Schloss am See näherte. Sie bremste das weiße Pferd direkt neben einem Baumstumpf, welcher sich an einer leichten Anhöhe umgeben von gefrorenem Gras befand. Asimi, Imigri und ihre Wachen hatten hier ordentliche Spuren hinterlassen. Die Umgebung um das Schloss herum wirkte unbenutzt und leer. Lydia folgte dem steinigen Weg. Vorbei an einer üppigen Hecke, unbewachsenen Überresten von Bäumen und über eine breite Brücke, führte der Weg sie. Zwischen ihr und dem Schloss befand sich nur noch der See, während sie über die Brücke trabten. Von hier aus erkannte sie die kleinen Türme, länglichen und teilweise tiefgebauten Fenster, sowie die Flagge von Familie Megeia. Diese war Türkis mit einem roten Fuchs darauf. Wie in den anderen gestürzten Ländern, hing auch diese nur noch auf Halbmast und war halb zerstört worden.

Das Pferd verließ die Brücke und trabte eine leichte Rechtskurve, um die Königin von Nokard direkt vor die Türe zu führen. An der letzten Buche vor dem Schloss, sprang sie von dem Pferd und band es an dem Baum fest. ,,Warte hier, gutes Pferd. Du kannst dich nun auch mal ausruhen." Lydia strich dem Tier über die Mähne, bevor sie sich der kleinen Treppe zu dem Haus neben dem Schloss aufmachte. Die rot gestrichene Türe war nicht verschlossen, sondern nur angelehnt. Lydia brauchte nur kurz dagegen zu drücken, da öffnete sich diese. Miefiger Geruch stieg ihr in die Nase. Die Sonne spendete etwas Licht, worin die Königin den Staub erkennen konnte. Diese Hütte wirkte nicht nur alt, sondern war es auch. Die Möbel aus dunklem Holz, die Kissen und Felle verstreut, altes Geschirr achtlos über einen Tisch oder auf dem Boden verteilt und die Deckenleuchter hingen nur noch halb an ihrem Platz. Wieder einmal stellte sie fest, wie grausam Asimi und seine Ritter doch sein mussten, als sie hier einmarschiert waren. Das Fenster mit dem Blick auf den See, war halb zersprungen. Lydia fand eine zweite Tür in dieser Hütte, welche den Weg zum Schloss freigab. Von hier aus, war es nicht weit.

Sie ging hindurch und bewunderte das nicht sehr hoch gebaute Schloss der Familie Megeia, mit seinen besonders geformten, dunklen Dächern und der Brücke, welche zwei Teile des Gebäudes verband. Die Königin fand den Weg in den Innenhof, wo Strohballen und Heuballen verstreut auf kleinen Schubkarren aus Holz lagen. Wie belebt und aufgeweckt, musste dieser Ort wohl gewesen sein, bevor die Skilyra Brüder hier einwanderten? Schwer vorzustellen.

Lydia hörte ein Pferd wiehern. Es konnte nur ihres sein. Schnell eilte sie zu der Unterführung mit den Säulen aus buntem Gestein und versuchte durch den Torbogen zu dem Baum zu sehen, an dem die das weiße Pferd angebunden hatte. Es stand ruhig auf der Stelle. Die Königin wurde unruhig. ,,Hallo?!" Hinter ihr war doch gerade jemand lang gelaufen. ,,Komm raus, sofort!" Niemand zeigte sich. Im Augenwinkel sah sie erneut eine Gestalt an sich vorbeihuschen. Diesmal schien sie in Richtung der Hütte zu laufen. ,,Halt!", rief Lydia dieser nach und lief zurück. Die Türe wurde vor ihr zugestoßen. Sie öffnete diese wieder und erschrak, als sie mit jemandem zusammenstieß.

,,Lydia!" Die Person hielt sie fest, damit sie nicht rückwärts die Stufen hinab fiel.

,,Valkan! Du hast mich vielleicht erschreckt."

,,Tut mir leid...Ich habe dein Pferd dort gesehen und dachte mir, ich sehe mich hier um. Weit konntest du zu Fuß nicht sein."

,,Du bist gerade erst gekommen?", fragte sie überrascht.

Valkan nickte. ,,Ja. Ich war noch gar nicht weiter, als bis hier hin."

,,Aber wer war dann die Gestalt hier eben?"

Sanfte Feder zuckte mit den Schultern. ,,Keine Ahnung. Mir ist keiner begegnet."

,,Das ist ein seltsamer Ort. Vielleicht sollten wir doch besser verschwinden, jetzt wo wir zu zweit sind", flüsterte Lydia.

,,In Ordnung. Sicher ist sicher."

Die beiden gingen zu den Pferden zurück. Jetzt erst erkannte die Königin das, auf dem Valkan geritten war.

,,Wir sind von dort hinten gekommen, dann sollten wir weiter nach Norden reiten. Andernfalls landen wir noch in Leydra und da gibt es nichts Besonderes mehr." Der Indianer sah kurz zu Boden, dann wieder zu dem Pferd. ,,Kommst du?", fragte er lächelnd.

Sie wandte sich noch ein letztes Mal um. Noch immer hatte die Königin von Nokard das Gefühl, beobachtet zu werden, oder in Augen zu starren. ,,Sofort."

28. Von Bauern, Rittern und Königen

 Lorna zog sich in den Teil der Burg zurück, in dem ihre Leute untergekommen waren. Diese saßen gemütlich beisammen und tranken Wein aus edlen Bechern, als wäre die Welt da Draußen vollkommen in Ordnung. Die Königin von Waldegro jedoch wusste, dass dem nicht so war.

,,Aufstehen!"

,,Euer Hoheit!" Die erstaunten Ritter standen auf und verneigten sich vor der Königin.

,,Es gibt ein Problem." Sie verriegelte die Tür hinter ihr. ,,Ein Mann aus Castero wurde sehr wahrscheinlich umgebracht."

Fatan reagierte als erster. ,,Wie konnte das passieren?"

,,Ich gehe davon aus, dass er in die Grauwälder gelaufen ist." Lorna seufzte. ,,Was ich außerdem mitbekommen habe ist, dass Königin Lydia, ihre Wachen und der Indianer vermisst werden."

,,Sie sind wohl kaum zu Fuß unterwegs, oder?"

,,Nein. Einige der Pferde fehlen ebenfalls. Ihr könnt euch nun denken was sie vorhat?"

,,Nach Hause kehren", antwortete Stairlon hellwach.

,,Wieso sollte die Königin das tun? Die Prinzessin von Castero braucht ihre Hilfe", erwiderte Lasdaran.

,,Das weiß ich nicht. Dafür weiß ich jedoch wie dringend sie schon auf unserem Schiff umdrehen wollte." Lorna ließ sich auf einen freien Platz nieder. ,,Entweder Yagre hat auch sie vertrieben, oder sie ist von ganz alleine geflohen. Da stimmt auf jeden Fall etwas ganz und gar nicht."

,,Der einzige Weg aus diesem Land führt durch die Grauwälder...Sie könnten allesamt..."

,,Ich weiß", unterbrach ihn die Königin.

Lasdaran trank seinen Becher in einem Zug leer und schüttelte sich kurz. ,,Wir sollten keine Zeit verlieren."

,,Was habt Ihr vor?", fragte Lorna überrascht.

,,Die Königin vor den Geschwistern finden. Tot oder lebendig."

,,Wir haben gar keine Pferde und wir können unmöglich zu Fuß durch die Grauwälder. Am Ende gehen wir selbst drauf", lehnte sie ab.

,,Wer sagt denn, dass wir zu Fuß gehen oder reiten?"

Hairan hielt eine Hand an seinem Schwert. ,,Lasdaran hat Recht. Wir sind mit einem Schiff gekommen, also können wir es benutzen um von hier zu verschwinden." Er stellte den Becher auf den kleinen Tisch vor ihnen.

,,Die Könige von Reako werden uns sicher nicht gehen lassen." Stairlon verschränkte die Arme.

,,Na und? Wir sind Waldegraner und lassen uns ganz bestimmt nicht vorschreiben was wir dürfen und was nicht", erinnerte Hairan die Anderen.

Lorna nickte dankbar. ,,Ich bin einverstanden. Danke für diese kleine Erinnerung."

,,Um Prinzessin Akayla werden wir uns kümmern, wenn die Zeit gekommen ist."

,,Was ist mit König Vasilias?"

,,Der ist alt genug um auf sich selbst aufzupassen."

Die Königin zuckte leicht mit den Schultern. ,,Sie hier alleine zu lassen kommt mir unehrlich vor..."

,,Ihr habt sie hierher in Sicherheit gebracht. Sie jetzt mitzunehmen wäre zu riskant." Hairan blickte in die Runde. ,,Brechen wir umgehend auf?"

Die Wachen stimmten ihm zu.

,,Euer Hoheit?"

,,Sie in Waldegro abzusetzen wäre unnötiger Zeitverlust. Hier ist sie nicht alleine. Yagre und Thogra hassen schließlich nicht jeden..." Lorna zögerte noch einen Moment. ,,Also gut. Möglichst unauffällig wäre gut."

,,Ihr habt die Königin gehört. Wir brechen auf!"

 

 

Akayla fand den Knappen von Castero abseits der Burg auf einer wackligen Bank aus Stein. Dessen Hände waren gefaltet und sein Kopf deutete auf den Boden.

Langsam setzte sich die Prinzessin daneben. ,,Dayne, es tut mir so leid mit deinem Cousin."

,,Das muss es nicht."

,,Natürlich muss es das. Er war dein Cousin, ein Teil deiner Familie."

,,Er hat mich nie so behandelt!" Dayne ballte eine Faust. ,,Wegen ihm bin ich so, wie ich bin. Eine Person voller Angst und ungeschickt oben drein. Euer Vater stellte mich nie als Wache ein, wenn es ihm möglich war."

,,Das hat er doch aber ab und zu."

,,Weil er keine andere Wahl hatte. Seine anderen Ritter waren alle anderweitig eingesetzt."

,,Ich wusste nicht, dass dich das so stört", gab Akayla zu.

,,Nate hat mir immer Geschichten erzählt."

,,Wovon, wenn ich fragen darf?"

Dayne bückte sich nach einem Blatt, hob es auf und zerpflückte es nach und nach. ,,Von Geistern."

Die Prinzessin weitete die Augen. ,,Geister gibt es nicht."

,,Das habe ich damals auch gedacht...Die Geschichten endeten aber so, dass Menschen verflucht wurden und mit leuchtenden Augen durch die Welt liefen. In den schlimmsten Fällen wurden sie zu großen Wölfen..." Er sah in die Luft. ,,Sehr großen Wölfen."

,,Die Wölfe, die die Drachen angegriffen haben sollen?"

,,Genau. Jetzt erzählt die Königin von Waldegro genau diese Geschichte."

,,Es ist also wahr und Nate wusste es nicht", stellte Akayla fest.

,,Entweder das, oder er wusste doch etwas."

,,Erzähl mir die Geschichte."

Dayne sah irritiert drein. ,,Die war mir als Kind zu gruselig, wieso sollte ich sie jetzt wieder aufrollen wollen?"

,,Bitte."

,,Also gut...Es lebte einmal junger Mann namens Ragran."

Akayla schmunzelte. ,,War er Bauer, Ritter oder König?"

,,Wozu wollt Ihr das wissen?"

,,Man kann sich Ragran dann viel besser vorstellen, weißt du."

,,Er war alles gleichzeitig. Seine Eltern fanden, er benehme sich wie ein Bauer. Kämpfen konnte er jedoch wie ein Ritter...Er war dennoch ein König." Dayne versuchte sich an Details der Geschichte zu erinnern. ,,Ragran konnte trotz seiner merkwürdig ungeschickten Art mit allen Leuten gut umgehen, egal wie er sich benahm. Die Eltern verstanden es nie. Eines Tages schwebte ein großer, gefährlicher Drache über das Königreich. Es war ein Schattendrache, ganz aus dunklem Rauch. Er lieferte sich einen Kampf mit einem Winddrachen."

,,Wer gewann?", fragte Akayla interessiert.

,,In gewisser Weise haben beide verloren und gewonnen. Seit diesem aufeinandertreffen gab es einen Blitzdrachen. Diesen gab es nur ein einziges Mal auf der Welt."

,,Es gibt ganz schön viele Drachen."

,,Das stimmt. Die Wasserdrachen stellten sich während dem Kampf auf die Seite des Winddrachen, daher wurde der Schattendrache zerstört."

,,Das klingt aufregend, aber was hat das mit den verfluchten Menschen zu tun?"

,,Dazu komme ich gleich. Ragran wurde Augenzeuge dieses Kampfes. Er ließ seine Wölfe frei und versuchte sie auf die Drachen loszulassen, als diese sich am Boden bekämpften. Die Wölfe von seinem Reich waren jedoch nicht mehr die friedlichen Tiere, sondern angriffslustige Monster. Der Winddrache und der Schattendrache taten sich letztendlich zusammen, um gegen die Wölfe zu kämpfen, da sie verschieden, doch von derselben Art waren. Kurz bevor sein Lieblingswolf verletzt wurde, ging Ragran dazwischen. Er hob sein Schwert und genau in diesem Zeitpunkt schlug ein Blitz ein, welcher sich durch ihn, die Wölfe und die Drachen bahnte."

Die Prinzessin schüttelte sich. ,,Klingt gruselig."

,,Aus diesem Blitz bei Mondfinsternis, soll ein Blitzdrache entstanden sein, der sich aus Schattendrache und Winddrache gebildet hat. Gleichzeitig sind die Wölfe riesig groß geworden und bekamen leuchtende Augen. Die Menschen, die in der Nähe waren, wurden ebenfalls von diesem besonderen Blitz getroffen."

,,Starben sie etwa?!"

,,Nein. Sie galten von dort an als verflucht, weil sie Dinge sehen konnten, die wirklich passierten."

,,Wahnsinn. Die Armen konnten einem ja wirklich leidtun. Sie mussten bestimmt verstoßen worden sein..."

,,Das weiß ich nicht. Nate meinte, dass Bauer, Ritter und der König selbst betroffen waren. Sie gaben den Fluch an ihre Nachkommen weiter. Irgendwann hatte jedes Land einen Verfluchten bei sich. Später waren es mehrere Hundert."

,,Dinge zu sehen hört sich für mich nicht gefährlich an", meinte die Prinzessin ernst.

Dayne lachte auf. ,,Das alleine war es auch nicht. Die Menschen starben irgendwann, da ihnen ein ähnliches Schicksal erlegt wurde, wie denen aller, die sie in ihren Träumen gesehen haben."

,,Götter...Kann man da nichts gegen machen?"

,,Nicht das ich wüsste."

,,In der Geschichte kamen keine Geister vor, Dayne", stellte Akayla grinsend fest.

,,Richtig. Ragran soll Geister gesehen haben, noch bevor der Blitzdrache entstanden ist. Diese waren seine Angestellten oder gar seine Ritter."

,,Merkwürdig. Ich werde aus der Geschichte nicht schlau." Akayla seufzte. ,,Naja, es liegt auch alles weit zurück...Wenn es überhaupt passiert ist."

,,Ja, wenn..."

,,Ein Blitzdrache, der bei einer Mondfinsternis entstanden ist und somit eine halbe Weltkugel verflucht hat."

,,Ich sollte nicht mehr darüber nachdenken...Es war Nates Geschichte, die er mir erzählte, wenn ich ihm das Spielzeug wegnahm, welches ohnehin mir gehörte." Dayne wandte den Kopf nach links und wechselte abrupt das Thema. ,,Seht Ihr auch den pastellgelben Umhang dort hinten?"

,,Das tue ich."

,,Da sind noch mehr!" Er stand auf. ,,Prinzessin, ich fürchte Lorna Nacarranya macht sich gerade aus dem Staub."

Akayla wurde leicht zornig. ,,Warum um alles in der Welt lassen mich alle alleine?! Meine Eltern sind noch bei den Floghlai Mara und die haben nichts Besseres zu tun, als wegzurennen? Ich weiß schon, warum ich nie Königin werden wollte...Ich wollte mich niemals in sowas verwandeln."

,,In was?"

,,Eine Person, die nicht weiß, was gut und richtig zugleich ist."

29. Kein Feind wird uns zerstören.

 Valkan schlief rasch ein, so müde war er inzwischen geworden. Er konnte sich jedoch nicht daran erinnern wieder aufgewacht zu sein. Dennoch stand der Indianer nun an genau diesem Baum, unter dem er sich soeben hinlegte. Verwirrt sah er sich um. Vor ihm erschien Lydia. Genauer konnte er nicht hören, was sie sagte, da ihre Stimme verzerrt wirkte.

,,Valkan", hörte der Indianer sie schließlich sagen. Er wollte etwas sagen, doch es schien, als hätte ihm jemand die Stimme gestohlen. In der nächsten Sekunde ging Valkan schweigend einen Schritt vor. Lydias Blick wirkte erst glücklich, doch je näher er trat, desto deutlicher erkannte er die Besorgnis darin stehen. Sanfte Feder wollte sagen, dass alles gut werden würde, was auch immer die Königin gerade bedrückte, da fiel Lydia. Valkan fing sie auf und rüttelte an ihr. ,,Wach auf!" Er wollte sie wieder hochheben, da bemerkte er den kleinen Pfeil an ihrem Hals. ,,Lydia! Manitu, Lydia!, schrie Valkan.

,,Valkan!", sagte derweil die Königin erneut, während sie versuchte den Indianer aufzuwecken.

Endlich schreckte er aus dem Schlaf hoch. Verzweifelnd langsam gewöhnten sich seine Augen wieder an die Realität.

,,Du hattest einen Alptraum."

,,Einen Traum", wiederholte Valkan erleichtert. ,,Das muss grausam gewesen sein, so wie dein Herz rast."

,,Ja, das war er auch."

,,Es war nur ein Traum. Du brauchst keine Angst zu haben", versicherte Lydia, die seit ihrer Begegnung mit Ydro, Eileen und Zoera selbst nicht mehr wusste, was überhaupt noch der Realität entsprach.

,,Wie kann ein Traum so echt aussehen, wenn man ihn nie erlebt hat?" Der Indianer rutschte an dem Baumstamm ein wenig hoch, um sich hinzuhocken.

,,Ausgeprägte Fantasie." Sie zögerte einen Moment. ,,Was...Was hast du denn geträumt?"

,,Ich will dir damit keine Angst einjagen." Er zog die Knie leicht an und legte beide Unterarme darauf.

,,Erzähl es mir. Geteiltes Leid, ist halbes Leid."

,,Ich habe von uns beiden geträumt...", begann Valkan langsam. ,,Du warst so glücklich...Tut mir leid, ich kann das nicht erzählen." Der Indianer stand auf und ging zu den Pferden hinüber.

Die Königin schluckte. ,,Ich kann nichts tun, wenn du es mir nicht erzählst."

,,Es ist zu deinem eigenen Schutz."

,,Träume werden nicht wahr."

,,Albträume schon", erwiderte Valkan energisch.

Lydia wich zurück. So wie sich der Indianer gerade verhielt, muss der Traum ihm nahe gegangen sein. ,,Verzeih mir. Ich wollte nicht aufdringlich nachfragen...Du brauchst nicht in deinen Gedanken herumwühlen deswegen." Sie zog das weiße Pferd ein wenig beiseite, um ihn nachdenken zu lassen.

Erst nach einigen Minuten ließ Valkan seufzend die Zügel los und ging auf Lydia zu. ,,Nein. Es gibt nichts zu verzeihen. Ich bin es, der dich um Verzeihung bitten muss."

,,Aber weshalb denn?"

,,Weil ich dich habe sterben sehen..."

Lydia ließ von dem weißen Pferd ab, während sich ihre Gesichtsfarbe dessen Fell anpasste. ,,Sterben?"

,,Siehst du jetzt, wieso ich dir nichts sagen wollte?"

Sie nickte zaghaft.

,,Es war nur ein Traum, Valkan. Ich werde nicht sterben. Fuegos sind schwerer zu töten, als manch einer denkt."

,,Ich verachte meine Fantasie dafür...Dass sie solche Bilder zustande bringen kann", meinte Valkan ernst.

,,Danke, dass du mir davon erzählt hast. Es war gut das zu tun."

,,Naja, da bin ich mir aber noch nicht so sicher."

,,Doch, das war es." Lydia stieg auf das Pferd vor ihr. ,,Wir setzen jetzt unsere Reise fort. Wenn wir Glück haben, erreichen wir noch heute Abend Nokard." Somit war der Traum für sie beiseitegeschoben und sie setzte sich samt Pferd in Bewegung.

Valkan schwang sich nun ebenfalls auf sein geliehenes Pferd und beeilte sich die Königin einzuholen. ,,Warte auf mich!"

 

 

Die ganze Zeit über, plagte ihn das schlechte Gewissen. Hätte er doch einfach nicht weiter gesprochen, wäre er jetzt nicht in dieser Situation. Was ist, wenn Lydia ihm nun nicht mehr vertraute? Ihre Stimme war es, die Valkan aus den Gedanken riss.

,,Wir haben es geschafft...Den Göttern sei Dank, Nokard!"

,,Stimmt. Jetzt müssen wir nur noch das Schloss wiederfinden, dann ist alles gut."

,,Halt!" Verblüfft starrte sie in den dämmernden Horizont. ,,Ist das nicht...?"

Die Erde begann leicht zu beben, als der Erddrache über sie hinweg flog und sein Fauchen ertönen ließ.

Lydia blickte lächelnd zu Valkan. Auch dieser wirkte überwältigt von dem plötzlichen Wiedersehen mit dem Drachen, lächelte dennoch zurück.

Ruckartig bückte sich der Indianer. Ein zweiter Schatten sauste an ihm vorbei, doch es kam ihm so vor, als würde er über ihm herjagen.

Unwohl bekam die Königin wieder das Gefühl beobachtet zu werden. Sie drehte sich um. ,,Götter..."

Hinter ihnen stand ein großer Wolf mit leuchtenden blauen Augen. Lydia konnte schwören, dass er wirklich dort stand. Valkan sah ihn auch. ,,Ich werde es ihm heimzahlen!", verfluchte die Königin Vasilias in Gedanken. Dagegen laut sagte sie: ,,Vasilias kann was erleben!"

Beide ergriffen die Flucht. Der Gigant schien keine Anstalten zu machen, ihnen zu folgen. Der Erddrache flog über ihnen hinweg, ergriff mit ihnen die Flucht und führte sie geradewegs Richtung Schloss.

,,Nur noch den Berg hinauf, dann haben wir es geschafft!"

,,Ich fürchte nur, der hat es sich anders überlegt!" Valkan deutete mit dem Kopf leicht hinter sich.

,,Wir werden es schaffen!"

Die beiden Pferde aus Reako sprinteten über den restlichen Schnee von Nokard, den Hügel hinauf zum Schloss. Ohne auch nur abzusteigen, ritten die beiden in das Gebäude hinein. Erst dann rutschten sie von den Rücken der Tiere und versperrten die Tür. Diese dehnte sich beachtlich weit nach innen, als der Wolf dagegen stieß. Lydia und Valkan hielten Stand. Der Wolf gab sich keine weitere Mühe in das Schloss zu gelangen.

,,Bei allen Drachenarten von dieser Welt...Wenn das Vasilias Vorstellung von klein und brav ist, weiß ich nicht, was er unter gefährlich und bösartig versteht."

,,Du denkst das war sein Kalos?"

Lydia nickte heftig. ,,Was denn sonst?"

,,Ich bin in der Natur aufgewachsen und habe schon viele Tiere gesehen. Das ist kein Wolfshund."

,,Das dieses Wesen vor der Tür nicht normal ist, habe ich bereits selbst gesehen."

,,Vasilias traue ich viel zu, aber das nicht", meinte Valkan ernst.

,,Er hat damit Angst und Schrecken über mein Land verbreitet...Apropos, wo sind die Dorfbewohner alle?" Durch den Wind durchsuchte Lydia die Flure des Schlosses. Ab und an rief sie wahllos Namen durch die Hallen. Keiner gab ihr eine Antwort. Nach einer Weile kam sie an der Bibliothek an, in der sie hoffte noch jemanden zu finden. Stattdessen entdeckte sie dort etwas anderes. ,,Valkan, sieh dir das mal an."

Sanfte Feder trat neben die Königin.

,,Die Tür sieht ziemlich eingefroren aus, findest du nicht?"

,,Eingefroren?"

,,Ja." Lydia legte eine Hand darauf, als die Kälte sich in ihr ausbreitete. ,,Eiskalt."

,,Wie soll das denn funktioniert haben?"

,,Sanfte Feder!"

Der Häuptling wandte sich hastig zu der Stimme um. ,,Cherokee?"

Die Indianerin lief auf die beiden zu. ,,Ich kann gar nicht glauben, dass ich euch wiedersehe."

,,Was ist mit dir passiert?", fragte Lydia überrascht, als sie Cherokee betrachtete. ,,Wo kommen all die Verletzungen her?"

Die Frau vor ihnen wirkte verängstigt. ,,Wir wurden angegriffen..."

,,Von einem Wolf?"

,,Sowohl von ihm, als auch von Quirin."

,,Jetzt reicht es mir aber mit diesem Berater!"

,,Lydia, deine Garde ist verloren gegangen, du kannst nichts gegen ihn tun...", erinnerte Valkan, der sie vor einer unbedachten Entscheidung bremsen wollte.

,,Ist mir schon bewusst...Ich werde ihn trotzdem finden und ihn umbringen dafür, was er meinen und deinen Leuten angetan hat!"

,,Wo kommt Ihr überhaupt her?", hakte Cherokee nach.

,,Reako. Lange Geschichte...Du hast nicht zufällig gesehen, wo die Dorfbewohner hin sind, oder?"

Die Indianerin schüttelte traurig den Kopf. ,,In alle Himmelsrichtungen sind sie geflohen...Sie hatten Angst."

,,Ich bin nur froh, dass du noch hier bist, Cherokee." Valkan warf Lydia einen raschen Blick zu. ,,Andernfalls hätten wir diese Nachricht gar nicht erhalten."

,,Ihr solltet nichts überstürzen, Lydia. Die Leute sind sauer auf Euch."

Die Königin war beinahe sprachlos. ,,Sauer?" Ihr Kopf senkte sich leicht. ,,Ich wusste, es war eine vorschnelle Entscheidung, aufzubrechen, doch es gab keine andere Wahl."

,,Die gab es auch nicht. Hör auf dir Vorwürfe zu machen, Lydia."

,,Akayla habe ich nun auch alleine gelassen...Sie und Lorna sind die nächsten, die mich verachten werden."

,,Sieh mich an, Lydia. Du bist eine Königin, ein Mensch, der am liebsten allen gleichzeitig das Leben retten will. Manchmal geht das eben nicht, ohne erboste Gefühle in Leuten zu erwecken", versicherte der Häuptling wissend.

,,Sicher hast du Recht...Ich wünschte dennoch, ich könnte nur Gutes tun."

,,Du bist nicht ihrer aller Mutter. Es sind Erwachsene Menschen, verstehst du? Wenn sie nur auf eine Königin angewiesen sind, sind sie schon verloren."

,,Ich bin nicht ihre Mutter, aber dennoch ihre einzige Schutzperson und Verantwortliche. Ich sitze nicht auf dem Thron, weil ich Tochter meiner Eltern bin. Ich sitze dort, um zu regieren und mein Volk zu beschützen...Weil sie alle auf mich vertrauen! Höchste Zeit sofort zu handeln, bevor noch mehr Leben in Gefahr geraten."

,,Aber..."

,,Das ist unser Zuhause, Valkan. Ich lasse nicht zu, dass es auch nur ein einziger Feind zerstört."

30. Der Vertrag

 Waldegros graues Schiff erreichte Isarek nach nur wenigen Tagen, da der Wind die Segel ordentlich in Schwung versetzte. Das Schiff flog nahezu über das tiefblaue Meer.

,,Euer Hoheit, wir sind beinahe da. Was stimmt Euch so sicher, dass die Floghlai Mara hierher verschwunden sind?"

,,Ganz einfach, Hairan. Sie dienen den Skilyra Brüdern, deswegen." Lorna war zuversichtlich Recht zu haben. ,,Unsere Flucht macht mir jedoch noch immer ein wenig zu schaffen. Was ist, wenn wir gesehen wurden?"

,,Umbringen können sie uns nicht, ohne damit einen Krieg anzuzetteln. Dann würden die Casteraner und Nokarder sich auf unsere Seite stellen."

,,Meint Ihr?"

,,Wir sind immerhin auf der Suche nach Prinzessin Akaylas Eltern. Dafür wird sie uns dankbar sein. Auch Königin Lydia würde es uns danken, wenn wir ihr zeigen, dass wir gute Menschen sind", antwortete Hairan.

Lorna nickte. ,,Ich bin froh, dass Ihr diese Worte laut ausgesprochen habt, die ich kaum gewagt habe zu denken."

,,Sind wir erst einmal dort können wir die Königin und den König von Castero unauffällig retten."

 

 

Yagre und Thogra saßen auf ihren runden Thronen, während eine völlig aufgewühlte Prinzessin vor ihnen stand.

,,Ihr sagt mir also, dass neben den bisher fehlenden Regenten nun auch noch die Königin von Waldegro verschwunden ist?", fasste Yagre zusammen.

Akayla nickte. ,,Ich werde es ihnen niemals verzeihen, dass sie mich alle alleine gelassen haben!"

,,Aber, aber, Prinzessin. Ihr seid nicht alleine."

,,König Vasilias ist nicht die Art von Person, die ich unter einem Freund verstehe."

Thogra meldete sich nun ebenfalls zu Wort. ,,König Vasilias ist noch immer hier, alle anderen verschwunden. Seid froh, dass er Euch nicht auch noch alleine gelassen hat." Sie blickte kurz zu ihrem Bruder, dem König von Reako. ,,Ihr sagtet, dass die beiden Euch helfen wollten, Eure Eltern zu befreien und das Land Castero vor den Floghlai Mara zu beschützen?"

Akayla zuckte mit den Schultern. ,,Was sie wollten und was sie tun sind zwei verschiedene Dinge."

Thogra hob ihre rechte Hand. ,,Dann werden wir Euch nun dabei helfen Eure Eltern zu befreien. Lasst das Land Reako unserem beinahe Nachbarland zeigen, dass wir ihm zur Seite stehen."

,,Was erhofft Ihr Euch denn davon, Hoheit?", hinterfragte Dayne neben Akayla.

,,Gemeinsame Arbeit mit einem anderen Königreich des Südens, natürlich."

,,Selbstverständlich wollen wir auch nicht, dass die Piraten den Weg bis zu uns finden...Obwohl, hätten sie wirklich eine Chance gegen unsere Wachen?", entgegnete Yagre gespielt grinsend.

,,Wir lassen einen Vertrag aufsetzen, der unsere Unterstützung besiegelt. Zudem wird durch unsere Unterschriften Hilfe angeboten, sobald Euer Land unfähig ist zu kämpfen."

,,Als Knappe von Castero muss ich nachfragen, ob es einen Haken an der Sache gibt?", fragte Dayne unsicher.

Thogra lachte auf. ,,Was denn für einen Haken?"

,,Keine Ahnung, Hoheit. Verzeiht meine Frage."

Yagre stand auf und rieb seine Hände. ,,Im Gegenzug dafür fordern wir nur eine winzige Kleinigkeit. Ich schlage vor, dass Prinzessin Akayla meine Frau wird, sobald sie volljährig ist."

Akayla schrak beinahe zurück. ,,Das kann unmöglich Euer Ernst sein! Bei allen Ehren, Majestät...Ihr seid..."

,,Älter als Ihr? Sagt es ruhig. Habt Ihr jedoch eine Ahnung wie schwer es ist die Thronfolge von Reako zu sichern ohne eine vernünftige Königin an meiner Seite? Zudem weiß ich gar nicht, ob es überhaupt noch Königinnen außer den beiden Verräterinnen und Eurer Mutter gibt."

,,Was ist an der Königin von Waldegro so schlecht?", hakte Akayla nach, auch wenn sie nicht unbedingt damit einverstanden war. Alles andere war ihr schließlich lieber, als sie selbst.

,,Auf keinen Fall werde ich sie heiraten. Ihr seht doch, dass ich mich auf sie nicht verlassen kann. Es wäre ein optimales Angebot. Denkt darüber nach." Yagre nickte seiner Schwester kurz zu und wartete ab bis Akayla und Dayne zerknirscht aus dem Thronsaal gingen.

Die Tür zu den Gästezimmern wurde geöffnet. ,,So eine Unverschämtheit!" Die Prinzessin trat ein, warf in ihrem Gemach ein Kissen gegen die Wand und sorgte dafür, dass sich Dayne bücken musste.

,,Vorsicht, Prinzessin. Ihr trefft mich noch."

Akayla warf sich auf das Bett und hielt die Hände vor die Augen. ,,Wie kann er es wagen?! Ist das jetzt mein Schicksal? Einen König heiraten, den ich nicht heiraten will, nur um Castero zu schützen und meine Eltern wiederzusehen?"

Der Knappe verschränkte die Arme hinter dem Rücken. ,,Ich weiß es nicht...Wäre es denn so schlimm?"

,,Dayne, ich bin noch siebzehn. Du weißt wie alt der König von Reako ist."

,,Schon." Er räusperte sich. ,,Möglicherweise könnt ihr die Hochzeit umgehen?"

,,Das wäre nur der Fall, wenn sie daran scheitern meine Eltern zu befreien. Ich denke nicht, dass sie daran scheitern werden. Du hast ihre Wachen gesehen...Was sie mit Nate gemacht haben meine ich."

,,König Siaac und Königin Maimee sind Herrscher von Castero. Noch werdet ihr nicht volljährig. Die beiden werden sich zu wehren wissen, wenn sie gegen diese Hochzeit sind. Dann habt Ihr nichts zu befürchten und dennoch Eure Eltern zurück."

,,Für meine Mutter käme es doch gerade Recht. Sie sieht mich als Königin von Castero und in Yagre bestimmt den richtigen König. Gemeinsam wären unsere Länder nahezu unschlagbar. Kein anderes Land hat mehr so viele Wachen wie unsere", sagte Akayla traurig.

,,Versucht es wenigstens. Eure Mutter lässt sich schließlich auch umstimmen. Erinnert Euch, wer sie aus Castero bekommen hat."

Die Prinzessin seufzte. ,,Also schön."

,,Ihr werdet es sicher nicht bereuen."

,,Ach nein?" Akayla versuche ruhig zu bleiben. ,,Sollten meine Eltern frei kommen und wir uns alle gegen die Hochzeit weigern, wird es zu Krieg zwischen Castero und Reako kommen. Dann haben wir keine Hilfe mehr von Nokard und Waldegro...Wir wären verloren..."

,,Es gibt noch ein weiteres Land, Hoheit. Das betrachtet momentan gar keiner...Doch lasst uns hoffen, dass wir zunächst das Königspaar wiederbekommen, ohne Blut zu vergießen", meinte Dayne hoffnungsvoll.

,,Lass mich alleine. Ich muss mich ausruhen."

,,Wie Ihr wünscht, Prinzessin." Dayne verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Akayla versteckte sich regelrecht unter der großen Bettdecke, um dem Vertrag zu entkommen. Doch an so etwas war gar nicht mehr zu denken.

 

 

,,Guten Morgen, Prinzessin. Ich hoffe, Eure Nacht war lehrreich?", wurde Akayla von Thogra im Thronsaal in Empfang genommen.

,,Mein Schreiber wird alles dokumentieren, was heute passiert. Ich hoffe das ist in Ordnung für Euch?", fragte Yagre zuvorkommend.

,,Sicher." Akayla wurde eine Feder überreicht, mit der sie den Vertrag unterzeichnen konnte.

,,Ich bin sehr froh, dass Ihr Euch für dieses Angebot entschieden habt, Akayla."

Die Prinzessin hatte die Feder gerade angesetzt, da flogen die Türen auf und Vasilias trat herein. ,,Was macht Ihr da, Akayla?!"

,,Ich wüsste nicht was Euch das angeht, Vasilias."

Der König von Logarda trat neben sie, griff nach ihrem Handgelenk und zog dieses von dem Pergament. ,,Es geht mich sehr wohl etwas an."

,,Ach ja? Königin Lydia und Eure ganzen Reisebegleiter sind fort und hielten ihre Versprechen nicht. Ist es jetzt falsch, dass ich mich selbst um die Rettung meiner Eltern kümmere?"

,,Nein. Es ist falsch, dass Ihr einen Vertrag unterzeichnet, den Ihr unmöglichen einhalten könnt."

,,Natürlich kann ich ihn einhalten!", erwiderte Akayla quietschend.

,,König Yagre ist viel zu alt für Euch. Selbst wenn Ihr Königin seid..."

,,Haltet den Mund, Vasilias. Meine Probleme sind längst nicht mehr die Euren. Außerdem habe ich meine Eltern noch, Ihr nicht."

Yagre schmunzelte hinter ihnen. ,,Die Prinzessin hat ihren eigenen Willen, Vasilias. Lasst sie tun, was sie möchte."

,,Wenn ihr beiden euch zusammenschließt, bedeutet das am Ende nichts Gutes für uns alle. Da können die Floghlai Mara verschwunden sein...Mit Euch im Nacken haben wir viel größere Probleme."

,,Ich dachte Logadra wäre ein Freund von Reako", sagte Thogra erstaunt. ,,Offenbar lagen wir falsch. Ihr wolltet nur unsere Freundschaft, damit wir Euch nicht zerstören."

Vasilias schluckte. ,,Unsinn."

Yagre trat dicht an den König heran. ,,Ihr aus dem Norden könnt euch warm anziehen, wenn wir erstmal die Könige von Castero befreit haben. Dann werdet ihr wissen was die Folgen sind, ein Versprechen zu brechen oder uns für dumm zu verkaufen."

Akayla löste ihre Hand aus dem Griff des Königs und unterzeichnete. ,,Das könnt ihr Königin Lydia, Lorna und dem Häuptling auch von mir sagen, wenn Ihr sie seht."

,,So lange packt Ihr Eure zwei Sachen und verlasst dieses Land!", donnerte Yagres Stimme durch den Saal.

Panisch floh Vasilias aus dem Raum und wusste nun, dass er vor vielen neuen Problemen stand und das ganz alleine.

31. Leben

 Die Floghlai Mara erreichte Isarek bereits vor einiger Zeit. Seitdem hielten sie ihre Gefangenen nicht mehr auf dem Schiff, sondern in einem der unbewohnten Dorfhäuser.

Auge des Alders ging es nach wie vor nicht besser, was Anemro Sorgen bereitete. Sein Vater war schließlich daran Schuld. Das konnte er schön reden so viel er wollte. Wollen tat er das auch schon längst nicht mehr. Vasilias Berater und Rechte Hand kniete sich neben den Indianer und sprach: ,,Es ist völlig in Ordnung zu trauern, Edolon. Du solltest allerdings wieder in das wirkliche Leben eintauchen, ansonsten hängt deine Seele für immer in der Vergangenheit. Verlorene Seelen sind unheilbar."

Chocas Vater starrte vor sich hin. ,,Da überlebt man Könige wie Asimi und in der freien Natur und wird innerhalb von wenigen Tagen zu Boden gerissen..."

,,Du hast dennoch die Wahl. Bleibst du knien, oder stehst du auf?"

,,Lasst doch den Indianer trauern", mischte sich Siaac ein. ,,Er hat seinen Sohn verloren. Würde ich meine Tochter verlieren, würde ich genauso handeln."

,,Ihr habt Eure Tochter aber nicht verloren", antwortete Edolon bebend.

,,So gut wie, wenn die Piraten uns nicht gehen lassen."

,,Ihr habt sie nicht verloren!" Auge des Adlers ging in die Hocke. ,,Eure Tochter ist am Leben und wird es sein und wisst Ihr auch warum?"

Siaac schluckte.

,,Weil sie eine Hochgeborene ist. Wir sind Indianer ohne Familienbanner. Der Stamm ist eine Familie, in der jeder gleich viel Wert ist. Sogar der Häuptling ist nichts Besonderes."

,,Das könnt Ihr mir nicht erzählen. Ich weiß doch wie ihr Indianer eure Anführer verehrt", verteidigte sich der König von Castero.

,,Gar nichts wisst Ihr! Ihr habt nie unser Land besucht, geschweige denn jemals einen Indianer getroffen. Ihr denkt Ihr verfügt über umfangreiches Wissen über die Menschen und Länder, dabei ist das alles nichts als ein Schein."

,,Edolon, du solltest nun wirklich nicht...", setzte Anemro an.

,,Nicht was? Die Wahrheit sagen?!" Auge des Adlers stand auf. ,,Sie lesen alte Schriften über uns und denken uns zu kennen. Ein Witz ist das alles, selbst in den Augen von Manitu."

Anemro fehlten die Worte. Dem König schien es nicht anders zu ergehen.

,,Was denkt Ihr Euch mit meinem Mann so zu sprechen?" Maimee funkelte den Indianer böse an.

,,Nur weil er ein König ist? Er kann mir nichts tun, wisst Ihr? Er herrscht über Castero, nicht über Leydra. Über Leydra herrscht niemand, also herrscht er auch nicht über mich."

,,Das meinte der junge Mann nicht, als er sagte Ihr sollt aufstehen und leben", meinte Maimee etwas ruhiger.

,,Das werde ich auch nicht. Ich bin aufgestanden, um nach Hause zu gehen. Ich bin es Leid mit Regenten in einem Raum zu sein, die in Wahrheit nicht einmal sich selbst regieren können."

,,Nach Hause? Die Tür vor Euch ist verschlossen..."

Wie zur Antwort, trat er gegen die Tür. Wieder und wieder warf er sich dagegen.

Die Königin stand auf. ,,Hört auf! Das bringt nichts, außer Verletzungen!"

In diesem Moment gab das Holz unter Edolons Gewicht nach. Er fiel nach vorne in das Freie.

Erschrocken hob Maimee die Hände ein wenig. ,,Habt Ihr Euch verletzt?"

Anemro machte einen Schritt auf den Indianer zu, Ekatoa ebenfalls.

Edolon drängte sie weg von sich. Er stand auf, klopfte sich den Staub von den Kleidern und ging geradeaus.

,,Hat er den Verstand verloren?"

,,Da fragt Ihr noch, Anemro?", erwiderte Maimee trocken.

Ekatoa schüttelte den Kopf. ,,Ich muss ihm nach."

,,Warte!", hielt Anemro ihn zurück. ,,Sieh nur."

Nicht weit von ihnen entfernt fand ein Kampf statt. Die Wachen trugen alle pastellgelbe Umhänge und schienen über sehr gute Kampfkenntnisse zu verfügen. Einige der Piraten waren bereits besiegt.

,,Bei den Göttern, was geht hier vor sich?"

Plötzlich eilte jemand von links zu ihnen. ,,Seid Ihr die Gefangenen?"

,,Ähm..."

,,Also ja. Ich bin Lorna, Eure Rettung...Kommt mit mir, schnell!", raunte sie.

Anemro atmete auf. ,,Die Königin von Waldegro."

,,Sollte die nicht bei unserer Tochter sein?!"

,,Beschwert Euch später, Majestät. Sehen wir zu, dass wir hier verschwinden."

Diesmal hielt Ekatoa den Berater zurück. ,,Seht Ihr Edolon noch irgendwo?"

,,Nein..."

,,Ich lasse ihn nicht zurück!"

,,Ihr könnt ihm als Toter auch nicht mehr helfen. Jetzt kommt!"

 

 

Durch das Kampfgetümmel hindurch startete ihre Flucht. Es dauerte nicht lange, da erreichten sie ein graues Schiff mit einem ebenso gelben Segel wie die Farbe ihrer Kleidung. Nur einmal war es notwendig, dass Anemro zur Hilfe eilte und die Königin vor einem Säbel beschützte.

,,Unter Deck, sofort!", scheute sie die Indianer, Könige und den Berater. ,,Meine Wachen werden uns so viel Zeit verschaffen, um zu fliehen wie nur möglich."

,,Ihr habt uns geholfen. Wir stehen ewig in Eurer Schuld", setzte Siaac an, als sie in Sicherheit waren.

,,Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass ihr so viele seid...Man sagte mir, dass die Eltern der Prinzessin vermisst werden." Lorna warf Anemro einen fragenden Blick zu. Da dieser nichts sagte, fuhr sie fort. ,,Ich habe neben Akayla noch einen anderen Indianer gesehen...Verzeiht, seid ihr Indianer?"

Ekatoa nickte zustimmend.

,,Das habe ich mir gedacht. Dann ist es Euer Häuptling, den ich gesehen habe."

,,Valkan! Geht es ihm gut?", platzte Ekatoa sofort heraus.

,,Ich denke schon."

,,Was heißt, Ihr denkt?"

,,Bevor meine Wachen und ich aufbrachen hörte ich, dass er geflohen ist", antwortete Lorna.

,,Sanfte Feder würde niemals alleine fliehen", erwidere der Indianer mit dem roten Kopftuch prompt.

Die Königin von Waldegro schluckte. ,,Ich habe nie gesagt er wäre alleine."

,,Lydia war bei ihm, richtig?", meldete sich Anemro zu Wort.

,,Ja."

,,Wenn sie alle dort waren...War König Vasilias dann auch dort?"

Lorna nickte kurz. ,,Ihr kennt ihn?"

,,Ich bin seine Rechte Hand."

,,Oh, ist mir eine Ehre Euch kennenzulernen." Sie reichte dem Berater ihre Hand.

,,Warum ist er geflohen?"

,,Wir denken, dass er und Lydia nach Nokard zurück wollten. Bereits bei der Rettung vor Castero hat sie darauf gedrängt", berichtete Lorna knapp.

Ekatoa trat vor und schob Anemro beiseite. ,,Nach Nokard? Das kann sie nicht tun."

,,Das ist mir bewusst...Was ist Euer Bedenken an diesem Willen?"

,,Die Dorfbewohner sind mehr als verärgert. Einige von ihnen sind gestorben, andere könnten längst Schlimmeres getan haben, als wir so plötzlich aufbrachen."

,,Ich dachte schon, ich wäre die Einzige die überstürzt aufbricht", seufzte Lorna.

,,Ihr auch?"

,,Es tut mir so leid, aber Eurer Tochter habe ich versprochen Euch zu helfen, Majestät und Hoheit." Die Königin im gelben Umhang rieb ihre Hände. ,,Das tue ich gerade auch, aber sie denkt sicherlich, dass ich sie alleine gelassen habe...Genau wie Lydia."

,,Wir werden mit ihr reden, wenn wir sie erst wiedersehen. Sie wird Euch verzeihen", meinte Siaac ernst. ,,Sagt mal, wo ist Akayla eigentlich gerade?"

,,In Sicherheit."

,,Wo ist sie?", wiederholte der König von Castero. Diesmal klang er weniger freundlich.

,,In Reako."

,,Wie bitte?! Reako...Habt Ihr eine Ahnung..."

,,Sicher habe ich die!", entfuhr er Lorna. ,,Ich hatte keine Wahl mehr. Irgendwann muss man sich entscheiden, wann man Menschenleben rettet und wann man dafür den Zorn anderer einsteckt. Egal wofür ich mich entschieden hätte, es wäre beide Male gleich geendet."

,,Ihr seid zornig", sagte Anemro ruhig, um die Königin nicht noch mehr zu verärgern.

,,Es ist nicht leicht zu regieren, wenn die Ländern links und rechts neben dir nicht hinter dir stehen."

Maimee atmete durch. ,,Ihr habt uns noch nicht verloren. Castero ist Euch immerhin zu großem Dank verpflichtet, Kind."

Auch Lorna beruhigte sich wieder. ,,Das ist gut zu hören, Hoheit."

Die Tür zu ihrem Versteck wurde geöffnet. ,,Hoheit, wir legen ab. Die Floghlai Mara erwachen langsam aus dem Schlaf. Legen wir jetzt ab, legen wir einen großen Vorsprung hin, den sie nicht einholen können", berichtete Hairan.

,,Vielen Dank, Hairan. Gute Arbeit."

,,Wohin wird unsere Reise gehen?", fragte Maimee.

,,Reako. Wir können Eure Tochter nicht länger alleine mit den Geschwistern des roten Reiches lassen."

,,Was ist mit Lydia und Valkan?", erinnerte Anemro.

Lorna setzte ein bestürztes Gesicht auf. ,,Im Augenblick kann ich da nichts tun. Nicht, solange Lydia ihrem eigenen Willen folgt und nicht in Sicherheit bleibt."

32. Kronen

 Lydia setzte ihren Plan ihr Land zu retten in die Tat um. Dazu benötigte sie jedoch Unterstützung, welche sich ihr nur noch durch ein Königreich bot. Darlin.

,,Bei allen gütigen Göttern. Ich habe niemals damit gerechnet, Euch wirklich einmal zu begegnen."

,,Ich bin ebenfalls sehr überrascht darüber, dass wir so schnell zusammenfinden konnten", erwiderte Lydia höflich.

,,Das war keinesfalls als Begeisterung gemeint", sagte der Prinz von Darlin wenig erfreut.

Valkans Gesicht wurde trotz seiner rötlich-braunen Haut blass.

,,Sicherlich verstehe ich, dass Ihr über meinen Besuch keine positiven Gefühle finden könnt, da wir uns nie kennenlernten..."

Der Prinz donnerte mit einer Hand, an der ein goldener Ring funkelte auf den Tisch vor ihnen.

Lydia und Valkan wichen zurück.

,,Keine positiven Gefühle ist vollkommen untertrieben, Königin von Nokard. Ihr habt keine Ahnung in welcher Situation mein Königreich steht, seitdem Wylland und seine abscheuliche Familie mir nahezu alles genommen hat! Ihr mögt eines unserer Nachbarländer sein, Darlin mag an Nokard grenzen, doch das muss nicht bedeuten, dass dies auch für meinen Respekt an Euch gilt." Sein Gesicht wurde rötlich vor Zorn.

,,Ich bitte Euch, Prinz Anron...Keines der angrenzenden Länder hat Euch geholfen, darum braucht Ihr nun nicht mir die ganze Wut schenken."

,,Keiner hat sich bisher gezeigt. Ihr seid die Erste weshalb ich sehr wohl Euch meine ganze Wut schenke!"

,,Meine einzige Absicht ist Frieden."

Der Prinz stützte sich auf die Kante des Tisches und setzte ein finsteres Gesicht auf. ,,Ist das Euer Ernst? Ihr kommt auf Monstern angeflogen, landet vor meinem Schloss und wollt mir jetzt etwas von Frieden erzählen? In Wirklichkeit kommt Ihr nur angekrochen, da Ihr aus irgendeinem Grund so verzweifelt seid, dass ich Euer letzter Ausweg bin. Gebt es zu!"

,,Lydia", flüsterte Valkan, da er bemerkte, dass sie sich zusammenreißen musste.

,,Das sind keine Monster, sondern Drachen. Ich gebe zu meine Unterstützung ist momentan nicht zu hundert Prozent vorhanden, doch..."

,,Keine hundert prozentige Unterstützung ist gleichwertig wie keine. Seht mich an. Ich bin ein Prinz. Ich müsste König dieses Landes sein, nachdem meine Eltern gestürzt wurden! Darlins restlichen Bewohner hatten jedoch nicht die Güte mich als König anzuerkennen, geschweige denn der unfähige Rat des Hauses Honncan. Sie haben sich selbst zu etwas Besserem gemacht, da ich noch zu jung sei. Nur dieses Schloss und fünf Bedienstete sind mir geblieben. Was können die schon ausmachen, wenn ich erneut angegriffen werde?"

Die Königin räusperte sich. ,,Ich denke eine Menge, wenn Ihr sie richtig einzusetzen wisst. Die loyalen Arbeiter sind meist die stärksten."

,,Ihr hört Euch an wie meine Mutter. Hättet Ihr sie gekannt...Ist auch unwichtig. Klar ist, dass ich seit Monaten, nein Jahren meine Armee versuche aufzubauen und glaubt mir es wird mir gelingen." Er holte aus und wehte seinen violetten Umhang nach hinten, während er aufgewühlt durch das schwarze Haar fuhr. ,,Vielleicht sollte ich doch froh sein, dass sich jemand von den umliegenden Ländern erbarmt hat vorbeizuschauen." Anron stellte sich dicht vor die Königin. ,,Dann kann ich wenigstens offiziell meine Pläne veröffentlichen."

Lydia kniff leicht die Augen zusammen. ,,Ihr habt vor gegen uns alle zu kämpfen, richtig? Nicht nur das, Ihr wollt einen Krieg führen, den Ihr nicht gewinnen könnt."

,,Ich sagte nicht, dass ich alleine bin oder die Absicht habe zu verlieren. Seid Gewiss, Eure Drachen werden Euch bald auch nichts mehr nützen. Nicht, sobald ich einen wichtigen Adler bekomme den ich schon sehr lange Zeit erwarte."

,,Wie könnt Ihr nur so grausam sein?! Darlin liegt in der Mitte aller möglichen Länder. Erhebt Ihr Euch gegen sie, führt Ihr einen Kampf zwischen Castero, Plandra, Logarda, Nokard, Reako, Waldegro, Leydra und Isarek. Mit letzter Armee durftet Ihr ja bereits Bekanntschaften schließen. Mit denen ist nicht zu spaßen."

Der Prinz lachte künstlich. ,,Reako und Waldegro grenzen nicht an Darlin, genauso wenig wie die Länder aus denen ich mir Unterstützung beschaffe. Außerdem fallen weitaus mehr Reiche von Eurer Liste, da viele Regenten gestürzt wurden und die Länder sich in einem unheilbaren Chaos befinden."

,,Denkt Ihr dann Euer Aufstand würde das Ganze verbessern?!"

,,Nicht für alle, aber es wird mich zu dem machen, was ich sein sollte. Ein König."

,,Es gibt viele da Draußen, die sich nicht der Floghlai Mara angeschlossen haben oder gestorben sind. Wie gedenkt Ihr ihnen zu helfen, wenn Ihr König seid? Ihr habt dann vielleicht eine Krone, aber eine Krone alleine macht noch lange keinen König aus", antwortete Lydia hartnäckig, um den Prinzen seine irre Idee bewusst zu machen.

,,Ich verzichte dankend auf Euren Rat, Hoheit. Noch mögt Ihr über mir stehen, doch das wird sich ändern solange dieser Thron in diesem Raum steht und ich lebe!"

Die Königin hielt einen Moment den Atem an. ,,Ihr seid genauso wahnsinnig wie die Skilyra Familie."

,,Das kann nicht sein, denn ich gehöre zur Familie Honncan. Merkt Euch diesen Namen schon einmal, wenn ich in Nokard einwandere, es wie eine Leichtigkeit zerstöre und Euren Thron gleich mit einnehme."

,,Nur über meine Leiche." Lydia stieß den Prinzen von sich weg.

,,Möglicherweise sollte ich in Leydra anfangen, wo es gar keine Herrscher gibt. Es wird leicht Leute wie diesen Indianer auf meine Seite zu bekommen."

,,Vorsicht, Anron", mahnte Lyida. ,,Ihr werdet niemandem etwas tun. Lasst Euch gesagt sein, setzt Ihr auch nur einen Eurer dreckigen Stiefel in mein Königreich oder das Land meiner Verbündeten war es der letzte Schritt, den Ihr je gemacht habt."

,,War das eine Drohung?", fragte er lachend.

,,Nein, ein Versprechen." Sie entfernte sich von dem amüsierten Prinzen und deutete den Häuptling mit ihr zu kommen. Vor der Schwelle wandte sie sich nochmals Anron zu. ,,Da gibt es noch etwas. Ich werde in Euer Land einwandern und es zu Nokards Eigentum machen, sollte ich mitbekommen, dass Ihr tatsächlich bei mir einmarschiert."

,,Ich habe keine Geheimnisse, Hoheit. Ihr wisst es nun von mir...Euer Thron ist Gewiss nicht der Einzige."

,,Wir sollten gehen", erinnerte Valkan und zog Lydia mit sich.

 

 

Die beiden verließen das Schloss, welches umgeben von Sand war.

,,Was bildet sich dieser möchtegern Regent eigentlich ein, wer er ist?! Als hätten wir nicht genug andere Sorgen..." Die Königin dachte angestrengt nach.

,,Du hättest ihm nicht sagen sollen, dass du gegen ihn rebellierst, sollte er in eines unserer Länder einwandern."

,,Valkan!" Sie blieb stehen. ,,Was hätte ich tun sollen? Fantastische Idee, aber eigentlich könnt Ihr Euch die Mühe sparen mein Reich ist ohnehin gespalten."

,,So habe ich das nicht gemeint."

,,Mir ist klar, dass ich keine Armee habe und meine Ritter in Reako verloren gingen...Dennoch habe ich in Vasilias einen Verbündeten, sowie in Lorna, Akayla und den Geschwistern von Reako."

,,Bist du sicher?" Er holte tief Luft. ,,Ich meine ja nur, weil wir Reakos Pferde gestohlen haben, Vasilias uninformiert gelassen haben, somit Akaylas Versprechen nicht halten konnten und Lorna mit ihren gefühlt größten Feinden zurückließen."

Lydia fixierte einen Punkt an dem nahegelegenem Fluss. ,,Sie werden dennoch loyal zu uns halten. Das müssen sie einfach." Kurz hiel sie Inne. ,,Ich ärgere mich so, Valkan. Ich brauchte seine Wachen, die er  offenbar nicht hat, um gegen Quirin anzugehen. Was habe ich stattdessen erhalten? Einen neuen Kriegsfeind."

,,Allein für die Information hat sich die Reise hier her gelohnt. Nun kannst du dich auf den Angriff vorbereiten", meinte Valkan ernst.

,,Wie denn bitte? Du sagtest eben selbst, dass ich keine Armee habe. Ganz davon abgesehen laufen gerade Regenten der drei wichtigsten Länder planlos durch die Weltgeschichte."

,,Und Quirin."

,,Ja, er auch."

Valkan legte die Stirn in Falten. ,,Mit welchen Ländern kann sich der Prinz zusammen tun wollen?"

,,Ein kleines Land weit oben im Norden direkt neben Isarek kommt wohl weniger in Frage. Es war leicht zu zerstören, also haben Asimi und Imigri es sich als Erstes vorgenommen." Sie tippte mit dem Zeigefinger gegen ihre Schläfe. ,,Ansonsten kommen für mich keine weiteren Länder mehr in Frage."

,,Wenn Reako heimlich gegen uns handeln würde..."

,,Dann hätte Lorna berechtigte Angst." Lydia schüttelte den Kopf. ,,Nein, Anron wollte gegen jedes Land marschieren, nicht nur gegen uns. Thogra und Yagre würden sich da nicht auf seine Seite stellen."

,,Die Sorgen bekommen dir nicht und schon gar nicht dem Kind", merkte der Indianer besorgt an.

,,Ich weiß. Es ist derzeit leider nicht anders möglich, als das alles so hinzunehmen. Nun brauchen wir einen neuen Plan."

,,Ich wüsste nur einen", setzte Valkan an. ,,Der wird dir vielleicht nicht gefallen...Wir fliegen nach Isarek, um die Olfalas zu befreien. Somit könntest du wenigstens dein Versprechen gegenüber Akayla einlösen. Sie wird dir dankbar sein. Es ist noch nicht alles verloren."

,,Überzeuge ich sie an Nokards Seite zu kämpfen hätte ich wieder eine Armee. Mit dieser könnten wir bestimmt auch die anderen Länder überzeugen."

,,Nahezu aus der Mitte heraus will er die umliegenden Länder zerstören, dabei können sie wie ein Felsbrocken über ihn herrollen und ihn vernichten, wenn sie wollten", überlegte Valkan laut. ,,Da muss noch etwas hinter stecken."

Lydia brachte ein kleines Lächeln zustande. ,,Zunächst sollten wir wirklich dem Plan nachgehen und hoffen, dass es so einfach ist."

33. Darlins Schatten

,,Vielen Dank für das Warten und deine Zeit, Cherokee", dankte Lydia, als sie die Stelle erreichten, wo sie mit den Erddrachen gelandet waren.

,,Nichts zu danken." Die Indianerin wirkte unruhig.

,,Was hast du?"

Cherokee verzog das Gesicht. ,,Ich habe dort hinten etwas am Ufer gesehen...Ich könnte glauben es hat sich eben bewegt."

Lydia sah in die beschriebene Richtung, die ihr angegeben wurde. ,,Dann sollten wir einen Blick riskieren."

,,Nicht! Was ist, wenn das Prinz Anrons Wachen sind, die unsere "sichere" Abreise bestätigen wollen?", mahnte Valkan.

,,Prinz Anrons fünf kleine Soldaten erledigen sicherlich seine Hausarbeiten im Schloss. Es wäre klug seine Wachen nicht hier Draußen herumlaufen zu lassen, es sei denn, er legt keinen Wert auf sie." Die Königin winkte die beiden mit sich.

Die drei überquerten ein Stück abseits des Schlosses in Richtung des nahen Flussufers.

Sanfte Feder trat vor die beiden Frauen. ,,Ich gehe vor. Bleibt dicht hinter mir."

,,Wie du meinst."

Nicht weit von ihnen entfernt schien wirklich etwas auf dem Sand zu liegen.

,,Sei vorsichtig. Nicht das es eine Falle ist", flüsterte Lydia ihm zu.

,,Das sieht für mich noch nicht so aus." Valkan ließ die beiden auf der Stelle stehen, um alleine zu dem Etwas im Sand zu gehen und eine Gefahr auszuschließen. Er hockte sich hin. ,,Manitu, lass das nicht sein, was ich denke..." Er neigte den Kopf leicht nach hinten. ,,Lydia, Cherokee, kommt her!"

,,Was ist da?" Kaum stellte sie diese Frage, wandte sich die Indianerin ab.

,,Götter..." Lydia schlug die Hände vor das Gesicht. ,,Sag mir, dass er lebt, Valkan."

Der Indianer legte eine Hand auf die Stirn der Person vor sich. ,,Noch ja, aber ich weiß nicht für wie lange noch. Wir bräuchten Heiler, um ihn zu retten."

,,Nein, es muss ohne gehen", gab die Königin betroffen von sich. ,,Über diesem Land liegen genug Schatten. Die dürfen wir nicht gewinnen lassen!"

,,Er schafft es aber ohne Heiler nicht."

,,Wir haben keine Heiler. Betreten wir das Schloss dieses Nichtsnutzes nochmal sind wir alle tot!" Lydia legte eine Hand auf Valkans Schulter. ,,Bitte...Du musst doch irgendetwas tun können. Layandra können immer etwas tun."

,,Gut, ich versuche es", versprach Sanfte Feder. ,,Geht ein wenig zurück. Ihr müsst das hier nicht sehen."

,,Kommt, Lydia", sprach Cherokee so ruhig es ihr möglich war.

,,Er darf nicht sterben! Choca ist noch ein Kind. Himmel, ich hoffe der Kleine schafft es."

,,Mich beunruhigt es eher, dass er an dieses Ufer gespült wurde. Was macht er hier?"

,,Vielleicht ist Auge des Adlers durch den Fluss geflohen, in dem ich beinahe Symon verlor..."

Cherokees Gesichtsausdruck wurde ernst. ,,Mir fällt da etwas ein, dass ich Euch sagen sollte."

Lydia horchte auf, während sie sich die Tränen aus den Augen wischte.

,,Einige Indianer, unter anderem Auge des Alders sind gemeinsam mit Anemro aufgebrochen, um nach Euch zu suchen. Es ist schon einige Zeit her und viele waren zornig deswegen. Wir waren alle alleine in einem fremden Land..."

,,Geflohen mit dem Schiff von Logarda?! Auge des Alders hat seinen Sohn bestimmt nicht zurückgelassen. Wann war das?"

,,Ich weiß es nicht mehr genau. Auf jeden Fall nicht allzu lange Zeit vor Eurer Ankunft."

,,Wenn sie den Floghlai Mara in die Quere gekommen sind, als sie zurück nach Isarek fuhren", dachte Lydia laut. ,,Sie hätten weitere Gefangene und mehr Druckmittel gegen uns Könige. Mist!"

,,Stimmt es, was Ihr sagt kann ich mir Choca in diesem Zustand nicht erklären."

,,Wie meinst du das?"

,,Sollten die Piraten ihr Schiff angegriffen haben, müssten sie an den obersten Grenzen von Logarda und Isarek gewesen sein. Hier sind wir weiter im Zentrum", antwortete Cherokee.

,,Wenn die Piraten den Jungen in das Meer geworfen haben und er dann also bis hierher gespült wurde...", setzte die Königin ihren Gedanken fort.

,,Dann ist es ein Wunder, dass er überhaupt noch am Leben ist."

 

 

,,Choca, wach bitte auf", flehte Valkan in Gedanken, während er versuchte das viele Wasser aus dessen Körper zu bekommen. ,,Du wirst nicht sterben. Nicht heute."

In diesem Moment riss Choca Bow die Augen und atmete tief und erschrocken ein.

,,Lydia! Cherokee! Er ist am Leben!"

Sie eilten sofort zu den beiden Indianern.

,,Choca, kannst du mich hören?", fragte Sanfte Feder erleichtert.

Der Junge nickte.

,,Erinnerst du dich an irgendetwas?"

,,Lydia, er ist eben erst wieder aufgewacht", erinnerte Valkan.

,,Ich weiß, ich überfalle ihn damit. Jegliche Informationen würden uns jedoch bei der Suche nach den Piraten helfen, sollte er sie gesehen haben." Sie sah Choca in die verängstigten Augen. ,,Es ist alles gut. Sieh mal, Cherokee ist hier." Die Königin bat die Indianerin den kleinen Indianer in den Arm zu nehmen.

,,Choca, mein Junge. Hab keine Angst, du lebst", hauchte Cherokee glücklich und strich über Chocas nasses Haar.

,,Ich war tot. So habe ich es den anderen Kindern gesagt...Dass ich meinen Tod gesehen habe."

,,Was redest du denn da?" Cherokee drückte ihn an sich. ,,Warum sagst du den Kindern soetwas?"

Choca senkte den Kopf. ,,Seitdem Zoera tot ist können sie solche Geschichten verkraften. Außerdem sagte ich die Wahrheit."

Lydia bemerkte Valkans Blick auf sich. ,,Zoera ist...Wie konnte das passieren?"

,,Lydia, ich befürchte Ihr habt einiges an Eurem Land zu retten. Mehr als nur die Toten", erwiderte Cherokee bedrückt.

,,Du hast mir nicht alles erzählt. Was ist noch alles mit den Dorfbewohnern passiert?"

,,Es ist keine Zeit, um über alles zu sprechen. Ihr wollt Euer Land retten oder rächen? Rettet die Indianer, Anemro und Könige von Castero gleich mit. Ich habe durch eure Geschichten das Gefühl, dass sie auf denselben Booten sein könnten." Cherokee sah auch zu Sanfte Feder.

,,Es war der Hunger..." Die Königin schüttelte fassungslos den Kopf. ,,Natürlich werden sie mich verachten, wenn ich sie hungern und dann auch noch mit einem Monster alleine lasse."

,,Denkt darüber nach, sobald Ihr Eure Leute gefunden habt. Rettet erst die Gefangenen."

,,Choca, du musst mir sagen, was du weißt", bat Lydia erneut.

,,Der Captain wollte mich nicht reinwerfen...Da waren Piraten...Sie haben meinen Vater, Anemro und die anderen Indianer geschnappt."

,,Er wollte dich nicht reinwerfen?", wiederholte die Königin erstaunt. ,,Wo rein?"

,,In das Meer. Ich bin selbst gesprungen."

,,Manitu, Choca!", entfuhr es Valkan. ,,Den Piraten nütze ich lebend etwas, also habe ich meinen Verstand benutzt und bin gesprungen."

,,Das ist Wahnsinn!"

,,Oder nicht. Sollte er gewusst haben, dass er überlebt, dann dient er uns mit Informationen", stellte Valkan fest.

,,Sollten wir diesen Captain und diese verfluchte Floghlai Mara finden, vernichten wir sie diesmal bis kein einziger mehr übrig ist", knurrte Lydia.

,,Das könnt Ihr nicht!"

Überrascht warf Lydia dem Jungen einen Blick zu.

,,Dieser Captain ist Anemros Vater. Tötet Ihr ihn, würde Anemro Euch das nie verzeihen."

,,Wie bitte? Verflucht, das erschwert einiges..." Sie fuhr sich unruhig durch das lange Haar.

,,Lydia, er hat Recht. Ihr könnt den Vater von Vasilias Berater nicht umbringen", meinte Cherokee.

Die Königin winkte ab. ,,Wir finden einen Weg. Jetzt nehmen wir uns Choca und retten seinen Vater und die anderen. Erst dann werden wir unsere Dörfer und Stämme suchen können."

,,Einverstanden."

,,Ist Choca fähig zu fliegen?"

,,Ich hoffe doch", antwortete Valkan.

,,Hierbleiben kommt gar nicht in Frage...Wir alle wissen wieso."

,,Also dann...Lasst uns ein paar Leben retten."

34. Mächtige Worte

 An Bord des Schiffes von Waldegro, kümmerte sich Lorna um ihre Gäste. ,,Hat man Euch genug zu essen bringen lassen?", fragte sie bereits zum vierten Mal an diesem Tag.

,,Das hat man. Ich denke für uns alle zu sprechen, wenn ich sage, dass wir Euch vielmals für alles danken", meinte König Siaac freundlich. Lange Zeit hatte er eine solche Freundlichkeit nicht mehr an den Tag gelegt. Nicht seitdem er wusste, was die Floghlai Mara vor hatte.

Lasdaran stieß die Tür zu dem Bereich unter Deck auf. ,,Hoheit, wir werden verfolgt! Wir können noch nicht zuordnen, ob wir zeitnah angegriffen werden."

,,Verfolgt?" Die Königin von Waldegro stand von dem Fass auf, auf dem sie gesessen hatte. ,,Danke, ich werde mir das sofort ansehen."

,,Es ist passiert...", begann Maimee, als sie verschwunden waren.

,,Was meint Ihr?", fragte Ekatoa prompt.

,,Die Piraten haben uns bald eingeholt. Wir müssen sofort von diesem Schiff verschwinden." Sie klammerte sich an ihrem Mann fest.

,,Das ist unmöglich, Maimee und das weißt du auch."

,,Zudem wissen wir noch gar nicht wer hinter diesem Schiff her ist...Auch wenn das zugegeben auf der Hand liegen sollte." Siaac schluckte und tätschelte den Arm seiner Frau. ,,Keine Sorge, sollten wir kämpfen müssen werde ich dich beschützen."

Anemro hatte genug von diesen leeren Versprechungen, dabei betrafen sie ihn nicht wirklich selbst. Er beschloss schweigend nachzusehen was an Deck vor sich ging.

Dort stand Lorna am hinteren Ende des Schiffes und sah mit geschirmten Blick in die Ferne. ,,Ich sehe weit und breit kein einziges Schiff, Lasdaran. Soll das ein Scherz sein? Wenn ja, kann ich nicht darüber lachen."

,,Seht in den Himmel, Hoheit!"

Lorna befolgte seinen Rat und bemerkte riesige Schatten über dem Schiff. Diese schienen immer dichter an sie heranzukommen, je länger sie hinsah. ,,Geht in Angriffsposition! Das sind Drachen!"

,,Halt!" Anemro war neben die Königin getreten, die ihn skeptisch anfunkelte.

,,Was soll der Unfug? Aus welchem Grund sollten meine Wachen auf Euren Befehl hören und anhalten?"

,,Die Drachen gehören zu Königin Lydia. Tötet Ihr auch nur einen davon, dann..." Er sah ebenfalls hinauf. Der Erddrache über ihm drehte seinen langen Hals nach rechts, sodass Vasilias Berater nun eine halbe Gestalt darauf erkennen konnte. Sofort hob er eine Hand. ,,Es ist jemand darauf."

Lydia blickte links an dem Drachen hinab, Valkan dagegen rechts von seinem. Dicht hinter ihnen flog Cherokee mit Choca.

,,Königin Lydia!", rief Anemro perplex.

Als diese ihn erblickte, winkte sie erleichtert zurück. ,,Anemro!"

Dieser lächelte Lorna halb zu, damit sie wusste, dass diese Menschen keine Gefahr waren.

Lorna vergaß ihren Zorn, lächelte zurück und nickte, da sie verstand. ,,Kein Angriff! Wir werden versuchen sie an Bord zu holen!", rief die Königin ihren Rittern zu.

 

 

,,Ich habe gar keine Worte dafür, dass wir Euch hier gefunden haben", sagte Lydia, als sie kurze Zeit später an Bord des Schiffes waren. ,,Wir haben Choca gefunden, aber mit noch mehr Glück, rechnete ich ehrlich gesagt nicht."

Hinter Lorna erschienen die beiden Indianer und das Königspaar von Castero.

,,König Siaac. Königin Maimee", brachte Lydia erstaunt hervor. ,,Wir fürchteten Euch in der Gewalt der Floghlai Mara.

,,Das waren wir auch. Königin Lorna hat uns gerettet."

Lydia warf Lorna einen verwirrten Blick zu. Sie, Valkan und Cherokee schienen die einzigen sein, die sich über ihre Zusammenführung freuten. ,,Gut...Ähm...Wo ist Auge des Adlers? Wir wollen ihm persönlich seinen Sohn übergeben."

Anemro trat geknickt vor. ,,Er ist geflohen noch bevor wir gerettet wurden."

,,Wohin sollte er denn fliehen?"

,,Wir waren in Isarek an Land, in einem kleinen Dorf. Edolon hielt es ohne seinen Sohn und seine Frau einfach nicht mehr aus. Lydia, er ist beinahe leblos gewesen, so verkümmert und betrübt sah er aus."

,,Seine Frau ist auch tot?!" Lydia hob beide Hände leicht schräg von sich. ,,Das wusste ich nicht...Das tut mir so leid..."

,,Dunkle Füchsin war eine gute Indianerin", gab Valkan bedrückt von sich. ,,Ich als Häuptling trage in meiner Abwesenheit die Verantwortung für alle meine Stammesmitglieder. Dir sehe ich an, Lydia, was du sagen wolltest. Bitte sag es nicht."

Ekatoa nickte. ,,Der Häuptling hat Recht. Ihr seid nur für die Nokarder verantwortlich, für sonst niemanden."

,,Sie hausten alle in meinem Land, also trage ich genauso Verantwortung für sie!"

,,Was hat das hier eigentlich zu bedeuten, warum seid Ihr nicht bei Prinzessin Akayla?", erwiderte Lydia grimmig.

,,Ich habe es in Reako nicht ausgehalten. Wir dachten, Ihr seid tot!", meinte Lorna. ,,Irgendwer musste Akayla helfen, nachdem Ihr lieber dafür gesorgt habt, dass ein Casteraner umgekommen ist!"

,,Wie bitte?! Nichts dergleichen habe ich getan!" Die Königin von Nokard ballte die Fäuste noch fester. ,,Es sind genug Menschen meinetwegen gestorben, also werft mir nicht auch noch den Tod eines Casteraners vor! Ich bin geflohen, da ich in meine Heimat zurück wollte und grausame Visionen hatte! Habt Ihr eine Ahnung davon wie das ist? Wie das ist, wenn man seine Bediensteten als Geister sieht, obwohl sie eigentlich längst verstorben sind?!"

,,Ihr seht Geister?"

,,Nein, ihre Seelen, die keinen Frieden gefunden haben...Oder die mir mein Unterbewusstsein vorspielt."

Viele Augen ruhten auf Lydia. Das verhalf ihr jedoch nicht ruhiger zu werden. ,,Wer ist gestorben?"

,,Nate."

,,Das sagt Ihr uns erst jetzt?", stieß Siaac hervor. ,,Meine beste Wache...Geblieben ist mir nur sein Cousin. Ein unfähiger Knappe." Verzweifelt hielt er sich die Hände vor die Augen.

Lorna wandte den Kopf von dem König zu der finster blickenden Lydia. ,,Er ist Euch in die Grauwälder gefolgt."

,,Ich habe ihn aber nicht darum gebeten, geschweige denn ihn gesehen! Wir wurden angegriffen und ich habe meine Garde verloren." Sie trat einige Schritte um Lorna herum. ,,Ihr habt Akayla alleine mit Reakanern gelassen, ist es so?"

,,König Vasilias und ihr Freund Dayne sind bei ihr."

,,Ihr seid nicht besser als ich, Lorna. Ihr seid geflohen genau wie ich, um Leben zu retten. Wir sind uns ziemlich ähnlich, also bitte stoßt mich nicht von Euch weg. Unsere Königreiche sollten vereint sein, alleine schon wegen dem was kommt."

,,Was kommt denn? Der Zorn der Geschwister des roten Reiches?", entgegnete Lorna künstlich lachend.

,,Nein, ein irrer Prinz aus Darlin, der uns von innen heraus zerstören will!"

,,Sehr amüsant. Darlin bildet das Zentrum aller möglichen Länder, jedoch haben wir eine Ewigkeit nichts von diesem Prinzen gesehen, wenn es ihn gibt."

Lasdaran mischte sich ein: ,,Euer Hoheit, die Königin von Nokard sieht nicht aus, als würde sie lügen."

,,Ich habe diesem Bleichgesicht genauso in die Augen gesehen, wie Lydia", meldete sich Valkan. ,,Er meinte sich mit einem anderen Land vereint zu haben und uns alle zu stürzen."

Waldegros Königin führte einen Kampf mit sich selbst. Sollte sie der Königin glauben, oder es lassen und somit einen unvorhergesehenen Angriff riskieren? ,,Also gut, ich glaube Euch. Was gedenkt ihr jedoch gegen ihn zu tun?"

Lydias fester Gesichtsausdruck lockerte sich wieder. ,,Wir schließen uns zusammen. Gemeinsam machen wir diesen hochnäsigen Prinzen schneller nieder, als er unsere Ländernamen aufzählen kann."

,,Wir wären dafür, Hoheit", versicherte Haidran, als Lorna ihn am Mast sah.

,,Dann brauchen wir auch die Hilfe von Vasilias, Thogra und Yagre..." Sie drehte sich zu den Königen von Castero um. ,,Euch brauchen wir auch. Eure Wachen sind mit die besten..."

,,Wenn wir sie nicht alle im Meer haben ertrinken lassen", merkte Maimee mit blassem Gesicht an.

,,Das finden wir heraus", antwortete sie nickend. ,,Segeln wir nach Reako zurück, wie geplant und entwickeln dort eine geeignete Kampfstrategie."

,,Danke. Ich weiß, Ihr seid kein Freund der Geschwister und dass Euch das alles Überwindung kostet."

,,Manchmal muss man eben nicht danach gehen, wen man mag und wen nicht."

35. Menschliche Mauer

 Dayne fühlte sich auf einem Schiff gemeinsam mit den Königen von Reako und deren erschreckenden Armee nicht gerade wohl, dabei stand Akayla nicht weit entfernt von ihm. Es war die Art wie er Vasilias aus dem Land verscheuchte. Er zeigte unbewusst sein wahres Gesicht, das war dem Knappen seitdem klar geworden. Nun war er selbst der einzige, der Akayla beschützen musste.

,,Seid versichert, Prinzessin, wir werden die Piraten ein für alle Mal vernichten", hatte Yagre in den letzten Stunden immer wieder gesagt.

,,Redet weniger, sondern handelt mehr", sagte Akayla schroff. Ihr war die Abneigung gegenüber dem König von Reako deutlich anzusehen.

,,Werdet Ihr uns an Land begleiten, sollten die Floghlai Mara ihre Schiffe verlassen haben?"

Die Prinzessin nickte.

,,Ihr solltet Euch freuen. Heute wird ein glorreicher Tag für uns alle", versuchte der König sie aufzumuntern.

Akayla brachte ein quälendes Lächeln hervor.

Dem König genügte das. ,,So ist es doch gleich besser."

 

 

Nach und nach hielten die Schiffe aus Reako am Hafen von Isarek an. Sie bahnten sich ihren Weg durch die vierzig Piratenschiffe und schienen in diesem trüben Licht nahezu unsichtbar zu sein. Die Ritter der Reakaner sprangen an das Ufer und zogen ihre Schwerter alle nacheinander.

Thogra lächelte ihnen nach. ,,Wir können uns stolz schätzen sie als Wachen zu haben, Bruderherz."

Yagre stimmte ihr zu. ,,Alle herhören!" Er klatschte in die behandschuhten Hände, während sich die Ritter an ihn wendeten. ,,Es ist derselbe Vorgang wie in den Grauwäldern. Wir schreiben euch nicht vor, wie ihr es machen sollt. Ihr habt oft genug bewiesen, dass ihr das selbst entscheiden könnt. Denkt aber daran, dass wir nicht umsonst unsere besten Schützen aus ihren Verstecken kommen lassen haben!"

Dayne verfolgte unruhig das Geschehen. Keiner der Schützen sah aus, als würde man ihm alleine über den Weg laufen wollen. All diese trugen dunkelgraue Umhänge mit weißen Blättern bedeckt und trugen Pfeil und Bogen dicht an sich, als würden sie eins mit ihren Waffen sein. Einige hatten Kratzer im Gesicht, von denen der Knappe nicht wissen wollte woher sie stammten so übel sahen sie aus. Die Wachen dagegen wirbelten ihre Schwerter mit den rötlichen Griffen umher und waren durch Rüstungen geschützter, als die Bogenschützen. Sie reihten sich nebeneinander auf, als wären sie eine Mauer vor den Schiffen mit den roten Segeln. Noch einen Moment warteten alle auf das Startsignal.

,,Greift an und verschont keinen dieser Piraten!", brüllte Yagre über das Feld. Zu sich selbst murmelte er: ,,Heute ist der Tag an dem wir Geschichte schreiben."

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, strömten die Schützen in die nahe Umgebung und waren schon nach kurzer Zeit zwischen Häusern und Bäumen aus den Augen verloren. Kurz danach bewegte sich die menschliche Mauer von Rittern in Bewegung. Gleichzeitig rissen sie die Schwerter in die Luft und riefen wahllose, Mut machende Worte.

,,Prinzessin, mir gefällt das ganz und gar nicht", raunte Dayne Akayla zu.

,,Er hat gar nicht gesagt, dass sie meine Eltern befreien sollen."

,,Ich habe aber auch nicht gesagt, dass man sie umbringen soll", ergänzte Yagre, der das Gespräch mitgehört hatte. ,,Macht Euch nicht so viele Gedanken. Unsere Ritter wissen was sie tun." Er kletterte von Bord. ,,Geleitet mich nun in das Dorf von Isarek."

Akayla zögerte. ,,Warum sollte ich das tun? Dort wird jetzt Dank Euch gekämpft. Es ist sehr gefährlich dort für mich."

,,Reizend, dass Ihr nur an Euch denkt", entgegnete der König lachend. ,,Vertraut mir, bis wir dort sind ist alles vorbei."

Die Prinzessin bemerkte, dass der Knappe das Gesicht verzog. ,,Ihr seid Euch Eurer Sache sehr sicher, Yagre. Vielleicht etwas zu sicher?"

,,Auf keinen Fall, Akayla. Nachdem Nate von Euch gegangen ist, müsstet Ihr unsere Stärke doch zu schätzen wissen."

 

 

Delkorta sorgte dafür sich den Respekt zurückzuholen, der ihm gehörte, als sich alle übrigen Floghlai Mara um ihn versammelten. ,,Da seht ihr was passiert, hört ihr nur auf MacTire!" Er deutete auf die zerstörte Türe. ,,Die Gefangenen sind geflohen! Einige unserer Leute wurden ermordet! Wir werden unser Versprechen nicht halten können, sollten..."

,,Captain, da bewegt sich irgendetwas", bemerkte Sirdos plötzlich. ,,Hört Ihr auch diese Stimmen?"

,,Redet doch keinen Unsinn, Sirdos!", fauchte ihn MacTire an. ,,Kaum wäscht Delkorta euch den Kopf mit einer Standpauke, hört ihr sofort auf zu denken." In der nächsten Sekunde taumelte MacTire und stürzte zu Boden.

Delkorta riss die Augen auf.

Sirdos hockte sich neben den Piraten mit der Augenklappe. ,,Pfeile."

,,Sie sind hier...", erwiderte der Captain. ,,Piraten, zieht die Säbel, wir werden angegriffen!"

Ein weiterer Pirat taumelte zu Boden, wo er reglos liegen blieb.

,,Die Pfeile kommen aus dem Nichts, Captain!"

,,Versteckt euch hinter den Häusern, um in Deckung zu gehen!", rief Delkorta ihnen zu. ,,Schnell!" Mit klopfendem Herzen hüpfte er hinter die Steinmauer. Vorsichtig lugte er um die Ecke. Was er dann sah, ließ sein Herz noch schneller klopfen. Eine ganze Herde von Rittern stürmte auf die Piraten zu. Alle bewaffnet mit Schwertern aus Silber und roten Griffen. ,,Verflucht..."

Schon in der nächsten Sekunde wurde das Dorf von Isarek erfüllt von Klängen des Kampfes, Schwertern, Säbeln und vielen Stimmen.

Delkorta musste sich sehr schnell eingestehen, dass er verlieren würde, obwohl die Floghlai Mara sehr gute Kämpfer waren. Er schaffte es einen der Ritter, der neben ihm aufgetaucht war zu vernichten und ihm das Schwert abzunehmen, doch war er immer mehr in der Unterzahl.

Der Captain drückte kaum eine Minute später sein Säbel gegen das eines Ritters. ,,Wer schickt euch?!"

,,Wer wohl", erwiderte sein Gegenüber trotzig und stach zu.

Delkorta ging in die Knie.

,,Wir lassen Euch am Leben, um Euch zu Yagre und Thogra zu bringen. Derweil könnt Ihr zusehen, wie wir den Rest von euch zerstören." Grimmig lachend ließ er den Captain zwischen anderen gestürzten Piraten zurück. Delkortas Körper landete wie in Zeitlupe auf der steinigen Erde. Er blinzelte in die staubige Luft, wollte aufstehen und weiterkämpfen, schaffte es aber nicht. Endlos kam es ihm vor, bis sich die Umgebung schwarz verfärbte und er nichts mehr mitbekam.

 

 

Yagre traf gemeinsam mit seiner Schwester, Akayla und Dayne im Dorf von Isarek ein. Der größte Teil des Kampfes schien hinter ihnen zu liegen. Der König lächelte halbherzig, als er die vielen zerstörten Fenster, sowie Pfeile auf dem Boden sah. Gerade eilte einer der Bogenschützen aus dem Dickicht zu ihnen und riss die Flagge der Floghlai Mara von dem höchsten der Häuser, welches wie eine Bar aussah. Er hielt triumphierend die Flagge von Reako in die Höhe und stieß diese zwischen die Dachziegeln. Jubel brach von allen Seiten her aus.

,,Seht Ihr, sie haben es geschafft", meinte Yagre zu der Prinzessin gewandt.

,,Oh..."

,,Wo sind Akaylas Eltern?", warf Dayne aufgebracht ein. Er konnte nicht zulassen, dass seine Prinzessin an das rote Reich verloren ging.

,,Das werden wir sicher bald erfahren." Der König sah eine Wache auf sie zu gerannt kommen.

,,Majestät, wir haben eine schwer verletzte Rothaut gefunden. Wir denken nicht, dass er zu der Floghlai Mara gehört, so wie er aussieht."

Entgeistert stellte sich Thogra neben ihren Bruder. ,,Eine Rothaut hier in Isarek?! Was ist, wenn das dieser Häuptling ist, der von uns geflohen war?"

,,Dann dürfte die Königin von Nokard auch nicht weit sein", flüsterte er ihr zu. ,,Habt Ihr die Könige von Castero gefunden oder noch wen anderes?"

Die Wache schüttelte den Kopf. ,,Leider nicht, Majestät. Es waren schon einige der Piraten tot, als wir hier eintrafen."

,,Dann gab es schon einen Kampf, bevor wir hier eintrafen!" Yagre ballte eine Faust. ,,Diese unfähigen Piraten bekommen auch wirklich gar nichts auf die Reihe...Sind sie wenigstens alle ausgeschaltet?"

,,Fast alle, Majestät." Er verbeugte sich. ,,Ich habe mir erlaubt den Captain am Leben zu lassen, damit er sieht wie seine Armee untergeht."

,,Sehr gute Arbeit. Nehmt ihn mit an Bord." Yagre strahlte. ,,Wir sind soeben um vierzig Schiffe reicher geworden."

Akayla und Dayne warteten einen Augenblick, bis sie ihnen zurück folgten. ,,Bei den Göttern von Castero, Dayne...Sag mir, dass das nicht passiert ist."

,,Leider doch, Prinzessin. Die Floghlai Mara ist endgültig fort."

36. Seitenwechsel

,,Habt Ihr etwas gefunden?", fragte Lorna unruhig und voller Sorge.

,,Leider nein, Hoheit", antwortete Haidran entschuldigend. ,,Nirgendwo ist eine Person in diesem Gebäude zu finden."

,,Das darf ja wohl nicht wahr sein!" Die Königin von Waldegro drehte sich ruckartig zu den anderen um, die ihre Stirn in leichte Falten gelegt hatte. ,,Es war ein Fehler zu verschwinden..."

Lydia hob eine Hand, damit Lorna schwieg und warf Haidran einen Blick zu. ,,Bedeutet das, dass die Könige von Reako und auch Akayla nicht mehr hier sind?"

,,Ihr habt es erraten."

,,Wo können sie nur sein?" Lorna ging hektisch auf und ab.

,,Ich wusste insgeheim, dass dieses Geschwisterpack zu nichts als Lügen taugt", warf Maimee enttäuscht ein, als für einen Moment keiner etwas sagte. ,,Es ist offensichtlich, dass sie unsere Tochter verschleppt und Dayne womöglich umgebracht haben."

,,Malen Sie nicht gleich den Teufel an die Schlossmauer, Königin Maimee", versuchte Lydia sie zu beruhigen.

Lorna fuchtelte zerstreut mit den Händen vor den Augen der Königin von Nokard herum. ,,Götter, Lydia, Ihr habt gar keine Ahnung zu was Yagre und Thogra fähig sind, sollten sie hintergangen werden!"

Ihre Miene wurde ernst. ,,Und ob ich die habe. Ich habe schon viele eigenwillige Könige erlebt und das vor gar nicht allzu langer Zeit, Lorna."

,,Erzählt mir jetzt nicht von Asimi und Imigri. Die beiden haben wohl nicht nur Euch das Leben zur Hölle gemacht." Lorna strich sich über das sonnengelbe Kleid mit dem verschnörkelten Muster, welches Ästen von Bäumen ähnelte.

,,Lydia hat es nicht nötig sich mit so etwas zu beschäftigen." Valkan warf der Königin von Waldegro einen finsteren Blick zu. ,,Sie könnte Euch genauso gut alleine kämpfen lassen, sollten die Geschwister von Reako wirklich einen Hinterhalt geplant haben."

Einer der Wachen klatschte anerkennend.

Dafür erntete er einen ebenso düsteren Blick seiner Königin. ,,Ihr Indianer zieht meine Leute nicht auf Eure Seite."

,,Er darf doch klatschen wann und für wen er will. Ich dachte er sei ein freier Mensch, oder sind das Eure Wachen in Waldegro etwa nicht?"

Lorna verzog grimmig das Gesicht. ,,Redet nur weiter so, Häuptling und Ihr habt Euch neben den Reakanern neue Feinde geschaffen."

Lydia atmete lautstark ein. ,,Lorna, ich dachte wir sind auf derselben Seite?!"

Die Königin sah abschätzig an ihr herab. ,,Das habe ich auch gedacht, Lydia. Offenbar muss ich mehr meinen Verstand einsetzen, um meine wahren Freunde zu erkennen."

,,Ihr solltet Euch nicht so über die Worte von Valkan aufregen. Er vertritt seine Meinung und das darf er in einem Land der Demokratie wohl auch tun!"

,,Sagt mir nicht was ich zu tun oder zu lassen habe!"

,,Bitte, Lorna, wir brauchen Euch in den Kämpfen, die kommen. Ihr könnt jetzt nicht einfach eine eigene Streitmacht eröffnen. Euer Land ist nicht stark genug dafür", erwiderte Lydia.

,,Denkt ja nicht daran noch einmal über die Stärke eines Landes zu sprechen, wenn Euer eigenes in alle Himmelsrichtungen aufgeteilt ist und Ihr rein gar nichts unter Kontrolle habt, Lydia." Lorna krallte ihre Finger in ihr gelbes Kleid und hob es ein wenig an. ,,Wachen, wir verschwinden von hier! Die Rettung ist uns geglückt. Jetzt sind wir hier fertig."

,,Sollen wir denn nicht weiter suchen, Hoheit?", brach Lasdaran das Schweigen.

,,Nein. Ich sagte wir gehen." Mit diesen Worten war sie auch schon aus der Eingangshalle der Burg von Reako gestürmt, all ihre Wachen im Schlepptau. Einer von ihnen, der das Schlusslicht bildete, wandte sich zu ihnen um und flüsterte: ,,Erwartet einen Brief von mir. Ich lasse euch nicht im Stich, versprochen."

Lydia atmete erleichtert aus, während sie nickte. ,,Danke."

Die Türen schlossen sich knarrend. Zurück blieben die kalten Worte der Königin Lorna und die des Ritters Haidran, der diese Kälte mit seinem Versprechen brach.

,,Es ist meine Schuld. Lydia, bitte verzeihe mir", sagte Valkan aufgebracht.

,,Es ist nicht deine Schuld, Valkan. Lorna ist es, die Schuld für ihr Handeln trägt." Lydia wandte sich zu den Indianern und Regenten hinter sich um. ,,Was tun wir jetzt?"

,,Wir könnten im Dorf nachfragen, ob jemand eine Ahnung hat wo die Könige sind", schlug Siaac vor.

,,Yagre und Thogra wissen ihre Leute wohl sehr gut gegen Feinde gewappnet zu haben. Wandern wir in das Dorf, wird es womöglich unser letzter Besuch hier gewesen sein...Zumindest in diesem Punkt hatte Lorna Recht. Ich frage mich noch immer wieso wir nicht auf dem Weg durch die Grauwälder angegriffen wurden."

Maimee meldete sich erneut zu Wort: ,,Mein Mann und ich werden nach Castero zurückkehren und dort so viele wie möglich zusammentrommeln, um unsere Tochter zu finden. Ihr habt nun genug Eurer Leute wieder, Lydia."

,,Was soll das bedeuten? Ihr kehrt zurück und was dann?"

,,Dann retten wir Akayla."

,,Was passiert danach? Es gibt noch immer den Prinz von Darlin, der mit Krieg gedroht hat, vergessen Sie das nicht!" Lydias Stimme bebte.

,,Solange wir nichts von ihm hören, ist uns das Leben unserer Tochter weitaus wichtiger, als ein Prinz von Darlin", entgegnete Maimee trocken.

,,Wenn Ihr jetzt geht, dann hat Anron genug Angriffsfläche. Wir alle wären leichter anzugreifen, wenn wir getrennt sind!"

,,Das seid Ihr auch mit uns. Wir wissen ohnehin nicht wann er angreift." Siaac war es, der seufzte. ,,Verzeiht, aber wir haben unsere Entscheidung bereits getroffen."

,,Fragt doch dieses Wunderkind dort." Er deutete auf Choca. ,,Er warnt uns und dann können wir immer noch gemeinsam kämpfen."

,,Auf Wiedersehen, Lydia."

 

 

,,Darf das denn noch wahr sein? Haben alle den Verstand verloren?!" Lydia eilte zur nächstbesten Wand und hämmerte mit beiden Fäusten dagegen, sodass einige Gemälde wackelten. ,,Wie können sie uns im Stich lassen? Wie können sie da noch mit gutem Gewissen in ihr Schlafgemach kehren?"

,,Lydia, Halt." Ekatoa löste sich aus der kleinen Gruppe und hielt sie, wie schon so oft, von ihrem Tun ab.

,,Lass mich los!"

,,Nein, du tust dir nur selbst weh."

Lydia drückte trotzdem in Richtung Wand. ,,Wie können sie es wagen auf der schlechten Situation meines Landes herumzuhacken?"

,,Die haben sicherlich vergessen, dass ihr eigenes Land sie verstoßen könnte. Schließlich haben sie einige alleine im Meer zurückgelassen", erinnerte Valkan nachdenklich.

Plötzlich gab Lydia nach.

Ekatoa ließ los. ,,Was ist los?"

,,Ich darf das nicht zulassen. Niemand wird mein Reich dem Erdboden gleich machen, solange noch einer von uns am Leben ist! Sollen die anderen Reiche machen was sie wollen...Sehen wir zu, dass wir überleben." Sie blickte zu Sanfte Feder, der leicht nickte.

,,Einverstanden. Etwas anderes können wir ohnehin..."

In diesem Moment wurden die Türen erneut geöffnet. Diesmal trat jedoch keiner hinaus, sondern nur jemand ein. Eine aufgewühlt aussehende Person, mit den Blättern der Grauwälder in den Haaren und einer zerbeulten Rüstung, mit nur einem Handschützer. Direkt hinter ihm erschien eine weiter Person und daneben noch weitere. Die Sonne ließ die Gestalten nur als große Schatten aussehen.

Lydia sprang hinter Ekatoa, der sie im Zweifel beschützen konnte. 

Die Personen traten weiter vor und gingen nach einer Minute von keiner Reaktion auf das linke Knie. ,,Hoheit."

Lydia hielt eine Hand vor ihren Mund, so überrascht und glücklich war sie in diesem Augenblick. ,,Ser Chrysos! Meine Wachen leben...ihr lebt!"

37. Torpala

 Merltin und Vinny fanden sich mitten im Nirgendwo wieder. Vor ihnen ragte ein sechs Meter hoher Torbogen empor, welcher als Stützen zwei Fledermäuse die nach links und rechts schauten besaß. Beide hatten die Flügel weit gespannt und wirkten für Fremde nicht sehr einladend. Vinny betrachtete skeptisch den Torbogen vor ihm. Er fürchtete sich hindurch zu gehen, weshalb sich der Junge noch einmal umsah. ,,Siehst du unsere Eltern noch irgendwo?"

,,Nein", gab Merltin zur Antwort. ,,Wenn wir umkehren werden wir sie nicht finden." Er lauschte in fernes Fauchen. ,,Dafür wird es uns finden."

,,Dann also doch hinein?" Vinny schluckte schwer.

,,Natürlich."

Die beiden machten einen Schritt nach vorne und standen nun direkt unter dem breiten Torbogen mit den Fledermäusen aus Stein. Leichter Wind wehte durch Vinnys braune und Merltins dunkelblonde Haare. Die Wolken über ihnen färbten sich zeitgleich dunkelgrau. Mutig setzten die beiden noch einen Schuh vor sich und ließen den Torbogen nur wenige Schritte hinter sich. Leichter Regen prasselte vom Himmel auf sie herab.

Merltin rieb sich die kalten Hände. ,,Ist das etwa Regen?"

Sein Freund nickte überrascht. ,,Kein Schnee bei der Kälte", hauchte Vinny, während sein Atem weißen Rauch vor ihm bildete.

Ein erneutes Fauchen ließ die beiden in die Realität zurückkehren. Diesmal klang es jedoch anders, heller und näher. Merltin und Vinny drehten sich langsam um und blickten direkt in die Augen von zwei großen Wesen.

,,Lauf!", schrie Vinny hektisch und eilte voraus.

Geradeaus über Stock und Stein, wehte der Wind durch ihre dünne Kleidung aus einer Mischung von Baumwolle und Seide. Die Umgebung flog an ihnen vorbei, so schnell trugen ihre kleinen Füße die Jungen. Keiner von ihnen wandte den Blick auch nur eine Sekunde von dem Weg vor ihnen ab, da sie durch den Regen ohnehin schon rutschten.

,,Achtung, da vorne ist ein kleiner Abhang!"

,,Was jetzt?"

,,Spring!" Merltin setzte im Rennen seinen rechten Fuß auf den kleinen Felsen, nahm mit dem linken ordentlich Schwung, hob für einen Moment von jeglichem Untergrund ab, ruderte mit den Armen umher und landete schließlich mit beiden Füßen auf einem schmalen Gehweg.

Dicht neben ihm landete Vinny.

Sie eilten zu dem Fels, wo sie sich dicht daran verstecken konnten. Während sich Vinny zusammenkauerte, beobachtete Merltin die vorbeifliegenden Wesen in der Dunkelheit. ,,Sie sind weg, du brauchst keine Angst mehr haben."

,,Waren das Drachen?", fragte der braunhaarige Junge verängstigt.

,,Nein, das waren keine Drachen. Was auch immer es war, es hätte uns auf jeden Fall nicht am Leben gelassen."

,,Müssen uns alle Tiere umbringen wollen? Ich verstehe es nicht..." Vinny rieb mit der Wange an seinem Knie vorbei, als er aufsah.

,,Die Frage ist eher, weshalb alle Tiere so riesig sind."

,,Vielleicht kommt es uns so vor, weil wir so klein sind", meinte Vinny.

,,So klein sind wir nun auch wieder nicht." Er legte seine linke Hand auf den Fels, stand auf und warf einen Blick über dessen Ende, von dem sie gerade gesprungen waren. ,,Das war nicht der Wolf, der uns jagte...Er konnte schließlich nicht fliegen."

,,Das habe ich auch gemerkt, danke", erwiderte Vinny mürrisch. ,,Keine Ahnung was es war...Ich  möchte gar nicht darüber nachdenken." Er griff nach Merltins Handgelenk. ,,Wäre Zoera hier würde sie uns sicher Mut machen." Der braunhaarige Junge lächelte. ,,Sie hätte gesagt, dass wir eines Tages Ritter werden sollen und dass Ritter keine Angst haben. Vor rein gar nichts."

,,Zoera ist nicht mehr am Leben und das weißt du auch."

Als Antwort starrte Vinny gedankenverloren vor sich hin.

,,Komm, wir müssen hier verschwinden bevor uns wirklich noch ein Monster erwischt." Merltin streckte seine Hand nach dem Jungen auf dem Boden aus.

Dieser nahm die Hand und wurde auf die Beine gezogen. ,,Und wo gedenkst du hinzugehen?"

,,Genau das interessiert mich auch."

Die beiden Kinder sprangen dicht zusammen, so sehr erschraken sie vor der Stimme neben ihnen. Sie setzten gerade zu einem Schrei an, da gaben die Wolken den Neumond frei und ließen Licht auf die Person fallen.

,,König Vasilias!"

,,Ihr zwei solltet nicht hier sein", sagte der König von Logarda ernst.

,,Wir wollten auch nicht hierher kommen", gab Merltin zu. ,,Was macht Ihr eigentlich hier, Majestät?"

,,Nach Hause kehren. Ich wurde aus Reako verbannt, damit ich die Pläne der ach so tollen Geschwister nicht zerstöre." Vasilias verschränkte die Arme.

Vinny und Merltin wechselten einen irritierten Blick.

,,Ach, das müsst ihr nicht verstehen."

,,Warum nicht? Nur weil wir Kinder sind oder weil wir niedergestellter sind als Ihr?" In Merltins Augen spiegelte sich ein Funken Zorn.

,,Weder noch. Außerdem seht mich an. Die Grauwälder hätten mich bald das Leben gekostet...Ich laufe herum wie..." Vasilias fand den richtigen Ausdruck nicht und schwieg. Plötzlich stellte er fest, dass die Kinder vor ihm nicht viel besser aussahen. Nasse Haare vom Regen, verschmutzte Kleidung und verängstigte Gesichter. Der König selbst dagegen sah in seinem grünlichen Anzug aus reinem, edlen Material noch wohlhabender aus. Genau das war es, was er auch war. Ein König und kein Kind von Dorfbewohnern.

,,Sie sehen aus wie wer? Ein Dorfbewohner?", schlug Vinny ein Satzende vor.

,,So habe ich das nicht gesagt, Junge."

,,Ihr kennt nicht mal unsere Namen. Warum auch...?"

,,Natürlich kenne ich die nicht", verteidigte sich Vasilias. ,,Ihr beiden gehört zu Königin Lydia und nicht zu meinem Reich."

,,Dann braucht Ihr uns auch nicht länger bemuttern."

Merltin nickte zustimmend. ,,Wir finden uns schon selbst zurecht."

,,Wartet! Ihr könnt nicht alleine durch die Welt spazieren. Lydia macht sich sicher Sorgen um euch, von euren Eltern mal ganz abgesehen."

,,Ich wette ihre Namen kennen sie auch nicht", murmelte Vinny.

Vasilias Aetoc sah ihn entgeistert an. ,,Hört mir zu, ihr beiden seid in einem fremden Land gelandet, in dem ihr euch nicht auskennt. Ich lasse euch nicht alleine hier zurück!"

,,Wieso nicht? Ihr kennt Euch doch auch nicht aus, da gehe ich jede Wette ein", antwortete Merltin schroff.

,,Aber ich weiß wo wir sind." Damit verschaffte er sich einen Moment Aufmerksamkeit. ,,Torpala. Es ist das kleinste Land von allen. Es grenzt an Isarek und Logarda."

,,Es wurde als eines der ersten Länder von Asimi zerstört", ergänzte Vinny wissend.

,,Das stimmt."

,,Daher gibt es hier auch keinen Herrscher mehr auf dem Thron."

,,Auch das ist richtig. Das gesamte Volk schloss sich der Floghlai Mara an, welche ich zugegeben nicht gesehen habe, seitdem ich in Castero gemeinsam mit anderen Königen aufgegabelt wurde", berichtete er knapp.

,,Was ist so besonders an diesem Land?"

,,In Torpala regnet es besonders häufig im Frühling, müsst ihr wissen. Der Himmel ist dann entweder mausgrau oder rabenschwarz..."

,,Ihr wollt nach Logarda zurück", wiederholte Merltin und unterbrach den König damit. ,,Nehmt uns mit."

,,Das werde ich, wenn ihr das auch wollt."

Die Jungen nickten.

,,Bei mir seid ihr beiden sicher. Sollten wir Lydia eines Tages wiedersehen wird sie sicherlich froh sein, dass ich euch gefunden habe." Er lauschte. ,,War das ein Fauchen?"

,,Das muss der Wolf sein, der uns verfolgt!", flüsterte Vinny panisch. ,,Er hat unsere Spuren entdeckt."

,,Wartet hier!" Vasilias schirmte mit beiden Händen seine Augen ab, um wenigstens ein bisschen zu sehen. Der König kletterte am Rande des Felsen Stück für Stück hinauf. Er legte einen Unterarm auf die ebene Fläche, legte den zweiten daneben, zog sich nach oben und fand sich direkt vor der Schnauze des gesuchten Wolfes wieder. ,,Kalos?" Für einen Moment vergaß er sich festzuhalten und rutschte den Hang hinab zurück.

,,Vasilias!" Merltin wollte dem König zur Hilfe eilen, doch Vinny hielt ihn zurück.

,,Nicht, das Wesen ist noch da oben! Wenn es uns tötet!"

,,Egal, wenn es ihn tötet haben wir auch nicht mehr lange zu leben..." Der blondhaarige Junge riss sich los. ,,Majestät, sterben sie uns bitte nicht. Tut mir leid, wenn wir eben so grausam waren...Wir haben doch auch nur Angst."

Der König regte sich eine ganze Weile nicht.

,,Das Monster beobachtet euch", wisperte Vinny hektisch.

,,Vasilias, wachen Sie endlich auf!", schrie Merltin nahezu in den Regen.

Der König von Logarda drehte sich blitzschnell auf die Seite und schlug die Augen auf. Auf die rechte Seite gestützt blickte er zu den Kindern. ,,Ich werde nicht sterben Junge...Ich weiß zu viel."

38. Nokards Schachzug

 ,,Sagt es einfach heraus. Wir kommen nicht weg aus diesem Land." Lydia seufzte.

,,Es tut mir leid, Hoheit. Würde ich etwas anderes sagen, würde ich lügen", antwortete Kipivo kleinlaut. ,,Königin Lorna hat das letzte Schiff mitgenommen, dass es noch gab."

,,Haben die Reakaner denn kein eigenes?"

,,Doch, aber auch das ist nicht am Hafen vorzufinden."

,,Wie wäre es mit den Grauwäldern zurück zu Fuß?", hakte die Königin von Nokard verzweifelt nach.

,,Euer Hoheit...", setzte Ser Chrysos an. ,,Wir wären alle beim ersten Besuch beinahe gestorben da drinnen. Da können wir auf keinen Fall wieder rein! Beim letzten Mal hatten wir vielleicht nur Glück im Unglück."

,,War ja nur eine Überlegung."

,,Warten wir hier jetzt etwa bis dieser komische Ritter von Waldegro seinen helfenden Brief sendet?", erinnerte Valkan.

,,Da können wir ja lange warten", erwiderte Lydia prompt. ,,Nein, es muss noch einen anderen Weg aus diesem Land geben." Nachdenklich suchte sie die Wände des Gebäudes ab. ,,Ob hier wohl auch eine Bibliothek vorhanden ist? Darin könnten wir eine Landkarte finden, die uns nun fehlt."

,,Bitte nicht schon wieder stundenlange, vergebliche Suchen", murrte Ekatoa. ,,Da bevorzuge ich sogar die Grauwälder, von denen ihr sprecht."

,,Ich möchte Euch ohnehin noch etwas über die Grauwälder sagen, Hoheit."

,,Was wäre das, Ser?"

,,Diese Pfeile, die von irgendwo her kamen...Haben die Euch nicht auch an etwas erinnert?"

Lydia legte den Kopf leicht schief. ,,An nichts Bestimmtes, warum?"

Anemro meldete sich zu Wort. ,,Ihr denkt doch nicht etwa, dass die Reakaner etwas mit dem Angriff zu tun hatten?"

,,Welcher Angriff? Wovon sprecht ihr?"

,,Als die Morde in Eurem Schloss anfingen wurden Heiler von Pfeilen getroffen. Erinnert Ihr Euch daran?", fragte Anemro.

,,Damian, ja. Er wurde vor meinen Augen getroffen...", die Königin brach den Satz ab. ,,Asimi gab aber zu, dass es sein Verbrechen war...beziehungsweise das von Quirin."

,,Quirin spielte allen vor ein Tollpatsch zu sein, der den König verbesserte, wenn er mal wieder einen Namen vergessen hatte. Eigentlich wissen wir gar nichts über ihn."

,,Was wollt Ihr damit sagen, Anemro?" Sie ging einen Schritt auf Vasilias Berater zu. ,,Wisst Ihr etwa auch mehr als ich?"

,,Davon gehe ich nicht aus. Ich habe nur eins und eins zusammen gezählt, Hoheit."

,,Wie lautet das Ergebnis deiner Rechnung?"

,,Ich denke, dass Anemro sagen will Quirin könnte ein Reakaner gewesen sein", antwortete Sanfte Feder für den Berater.

,,Das ist nicht möglich! Er war Asimis Berater und musste daher aus Isarek stammen." Lydia verharrte einen Augenblick.

,,Aber wenn wir nun doch Recht haben?", hakte Valkan nach.

,,Niemand sonst kann solche kleinen Pfeile abfeuern und dabei so genau zielen. Die gibt es nämlich nur in Reako...In den Grauwäldern", ergänzte Anemro.

,,Er ist also einer aus den Grauwäldern...? Einer dieser Wachen?"

,,Zunächst müssen wir davon ausgehen, ja."

Lydia fuhr sich durch die langen, dunkelbraunen Haare. ,,Ich will das nicht glauben."

,,Hoheit, wisst Ihr was das bedeuten könnte?", meldete sich Kipivo zu Wort. ,,Es kann bedeuten, dass die Könige von Reako ein hinterhältiges Spiel treiben und mit den Königen von Isarek zusammengearbeitet haben."

,,Und wenn sie davon nichts wussten?! Ihre Wachen sind dafür bekannt, dass sie schnell und unauffällig sind", wehrte Lydia den Vorwurf ab, dabei vertraute sie Yagre und Thogra selbst nicht. ,,Was hätten sie davon?"

,,Ein größeres Reich. Sie lassen den Berater die Drecksarbeit erledigen und besteigen am Ende selbst den Thron vieler Reiche."

,,Da stimme ich Ser Chrysos zu", meinte Anemro sofort.

Die Königin faltete die Hände vor sich. ,,Ihr habt das gut zusammengefasst, aber wo ist der Beweis für all das?"

,,Alleine, dass Prinzessin Akayla nicht mehr da ist wo sie vorher war ist Beweis genug, oder?"

Lydia hob eine Augenbraue. ,,Nicht wirklich. Schließlich könnte das bedeuten, dass die Reakaner einen Krieg angefangen haben und das auch noch hinter dem Rücken einer ganzen Nation!"

,,Was ist mit diesem Prinzen aus Darlin? Der wollte auch einen Krieg beginnen nur weil wir existieren. Das sagt er nach all den Jahren...", grübelte Anemro. ,,Schon komisch, oder?"

,,Sehr sogar."

,,Sollte es stimmen, was ihr sagt, dann gibt es für mich keinen Grund mehr keine weiteren Pferde zu stehlen und dieses verfluchte Land zu verlassen", beschloss Lydia.

,,Aber wie?" Anemro sah grübelnd zum Fenster hinaus.

,,Hoheit, ich habe eine bessere Idee", verkündete Serpo, der die ganze Zeit über geschwiegen hatte.

,,Ich höre."

,,Seht Euch doch mal um. Ihr steht im Schloss Eurer größten Feinde, während sie nicht anwesend sind. Stellt Euch vor was Ihr alles machen könntet, ohne dass es bemerkt wird?"

Lydias Gesicht entspannte sich. ,,Ihr habt recht. Wir können nicht aus den Grauwäldern angegriffen werden, wenn keiner den Befehl dazu gibt die Wachen herauszuholen! Vielleicht wurden wir aus diesem Grund bei unserer Ankunft nicht angegriffen."

,,Ich erkenne einen Plan in Euren Augen", stellte Anemro fest.

,,Wir sollten dem Dorf dieses Landes mal einen kleinen Besuch abstatten."

,,Ihr wollt sie doch nicht alle...?"

,,Um Himmels Willen, nein! Ich bin kein Monster, dass alle umbringt, nur weil sich gerade eine Chance dazu ermöglicht hat! Wir gehen in das Dorf, um etwas ganz anderes zu machen. Wachen, folgt mir bitte!" Neuer Mut brodelte in der Königin auf, als sie mit einer kleinen Gruppe ihrer Leute an die frische Luft trat.

 

 

Der Weg in das Dorf von Reako war nicht sehr weit. Es war wie eine Schutzmauer um die Burg herum gebaut, was Lydia eine Menge Suche und weitere Fußwege ersparte. Die Häuser waren teils aus Stein, teils aus Holz erbaut. Jedes kleine Haus hatte eine Stufe, welches zu einer Haustür führte und Dächer, welche eingearbeitete Muster besaßen. Jede war anders verziert, aber alle wirkten geheimnisvoll. Vor allen Fenstern waren die Vorhänge zugezogen. Kein Licht brannte. Aus einigen Schornsteinen stieg Rauch in den Himmel hinauf, welches der Königin verriet, dass hier durchaus noch Menschen waren. Kaum fünf Minuten nachdem sie alle das Dorf betreten hatten, lief ihnen ein Reakaner über den Weg.

Schnell gab Lydia ihren Wachen ein Zeichen, ihn aufzuhalten.

,,Du da! Wie ist dein Name?", fragte Serpo mit rauer Stimme.

,,G-Glogan, Ser", stammelte der Bewohner ängstlich. Er trug schwarze Schuhe, die bis zu seinen Knöcheln reichten, darüber eine graue Hose aus Baumwolle und ein hellrotes Hemd mit weiten Ärmeln und zwei Bändeln am Halsausschnitt.

,,Er ist der Ser", erwiderte Serpo halb lächelnd und deutete auf Chrysos.

,,Was wollt Ihr von mir?"

,,Sag allen aus diesem Dorf, dass sie auf der Stelle herkommen sollen", mischte sich Lydia ein.

,,Wer seid Ihr denn?", fragte Glogan abschätzig.

Lydia war einen Moment lang froh, dass sie nicht erkannt wurde und nutzte diese Gelegenheit sofort aus. ,,Königin Rosatra aus Torpala."

,,Niemals. Rosatra ist tot...", sagte er wissend.

,,Wer sagt das?"

,,König Yagre und seine Schwester."

,,Sie lügen euch alle schon wieder an. Genau deswegen bin ich hier. Ich muss euch etwas mitteilen, aber dafür brauchen wir alle von euch."

,,Der König hat nicht gelogen! Sie wurde mit ihrer Familie mit als erstes von Isarek ausgeschaltet."

,,Loyal von dir, Glogan, aber wie du siehst, stehe ich genau vor dir. Lebendig."

Der Dorfbewohner weitete seine Augen und fiel auf die Knie. ,,Verzeiht Hoheit. Bitte lasst mich nicht umbringen dafür, was ich gesagt habe..."

,,Es war gut wie du mir indirekt mitgeteilt hast, dass Yagre und Thogra wirklich hinter meinem Sturzversuch steckten", sagte Lydia.

,,Wer sind die da?"

,,Das sind freundliche Leute, die mich gerettet haben, als ich beinahe gestorben bin. Der Stamm von Leydra."

,,Und der da?", fragte Glogan mit einem Blick auf Anemro.

,,Mein Berater natürlich..." Als der Reakaner vor ihr leicht skeptisch wurde, gab sie ihrer Garde ein erneutes Zeichen. ,,Hol mir die anderen Leute!"

,,Wie Ihr wünscht...", stammelte er quietschend, was Anemro schmunzeln ließ. War er also doch nicht der Einzige, der so schrie.

 

 

,,Reakaner! Mein Name ist Königin Rosatra aus Torpala und ich stehe hier vor euch, um euch zu beweisen, dass ihr euren Königen nicht vertrauen könnt! Ich bin mir sicher ihr habt rein gar nichts mit dem Angriff zu tun, der auf mein Land ausgeübt wurde, deshalb möchte ich euch retten!"

Die Dorfbewohner wurden unruhig.

Lydia konnte heraushören, dass sie ihnen noch nicht ganz glaubten. ,,Mein ganzes Volk wurde vernichtet, andere schlossen sich den Piraten an, die alle fürchten! Ich möchte nicht, dass Yagre und Thogra auch euch benutzen, um euch eines Tages zu töten!"

Wieder wurde es unruhig. Lydias Worte hinterließen ihre Spuren.

,,Was sollen wir denn Eurer Meinung nach machen?", rief Glogan aus der Menge. ,,Einer fremden Königin trauen?"

,,Werdet mein Volk! Schließt euch mir an. Führt uns aus diesem furchtbaren Land und lasst uns eure Könige ausschalten!"

,,Warum das Land verlassen?"

,,Weil eure Könige auch nicht mehr hier sind. Eine andere Sache, die sie euch verschwiegen haben!" Die Königin atmete nochmals tief durch. ,,Also schließt euch mir an, oder sterbt an der Seite verlogener Könige!", beendete sie ihre Ansprache.

Anemro, die Ritter und die Indianer warteten gespannt ab, was passierte.

Die Reakaner knieten sich alle nach und nach hin, wie Glogan es vor einigen Minuten noch getan hatte.

Lydia lächelte zufrieden. Jetzt konnten sie Reako verlassen und ihre Armee aus einfachen Menschen war größer, jedoch auch unberechenbarer denn je.

39. Glogan

 Das Volk der Reakaner drängte sich um die neue Königin. Jeder wollte derjenige sein, der ihr den Ausweg verriet.

,,Euer Hoheit, wir müssen durch die Grauwälder", murmelte Glogan, als er dicht bei Lydia stand.

,,Das scheint mir doch sehr riskant um ehrlich zu sein."

,,Nicht, wenn es stimmt, was Ihr sagt. Sollten Yagre und Thogra fort sein, haben sie immer Wachen aus den Grauwäldern dabei. Sie wählen dann oft den östlichen Teil des Waldes, also können wir unbeschwert hindurch."

Lydia war erleichtert über dieses Leck in den Grauwäldern. ,,Natürlich stimmt es. Dann würde ich vorschlagen, gehen wir genau da durch."

,,Sehr gute Wahl, Rosatra." Er wandte sich an die Dorfbewohner. ,,Alle herhören! Wir nehmen den Ostteil und verlassen Reako, um in ein neues Leben zu starten!"

Tosender Beifall, sowie Jubellaute ertönten.

Die Königin von Nokard zog Valkan beiseite und bildete mit ihm und Anemro die vorderste Spitze.

,,Habt Ihr Euch das auch gut überlegt?", fragte Anemro skeptisch.

,,Glaubt mir, darauf wollt Ihr keine ehrliche Antwort."

Die Reakaner folgten ihnen mit ein wenig Abstand. ,,Gibt es in Torpala herrliches Essen?", schwärmte ein kleines Mädchen vor sich hin.

,,Sicher, mein Liebes", beruhigte sie ihre Mutter.

In dieser Sekunde wurde Lydia erneut bewusst, dass sie gar keine Ahnung hatten, was Torpala für ein Land war. Sie selbst hatte als Prinzessin davon gehört, es war Teil der Ausbildung zur Königin. Torpala war das lilane Königreich, oft verregnet und ziemlich dunkel. Es sollten dort merkwürdige Dinge vor sich gehen. Damals konnte sich Lydia kaum vorstellen, dass dort wirklich Fledermäuse leben sollten, doch heute sah das anders aus. Wäre Rosatra noch am Leben, würde sie die Königin sicherlich bemitleiden. Viele Reisende machten einen großen Bogen um Torpala, also was sollten die Skilyra Brüder davon gehabt haben ihr Nachbarland zu zerstören? Oder gar die Könige von Reako selbst?

,,Da wären wir, Hoheit."

Lydia lief ein Schauer über den Rücken, als sie zum wiederholten Mal die Grauwälder betrat. ,,Hier sind wirklich keine Wachen die uns töten könnten?"

,,Auf keinen Fall." Glogan senkte die Stimme. ,,Andernfalls würde weit dahinten in den Bäumen noch eine kleine rote Flagge gehisst sein. Für die Feinde nicht erkennbar und für alle, die nicht wissen, dass dort eine Flagge ist."

,,Klug", gab sie zu.

,,Sagt, wo gehen wir hin? Wir wissen gar nicht, wie wir die Könige von Reako stürzen können und bis Torpala ist es ein unmenschlich weiter Weg zu Fuß."

,,Das ist vollkommen richtig. Wir würden gar nicht überleben bis dahin. Aus diesem Grund machen wir auch einen Zwischenstopp in Nokard."

,,Wieso Nokard?", fragte Glogan überrascht.

,,Dort haben wir unser geheimes Quartier aufgebaut musst du wissen. Glücklicherweise ist der Stamm der Layandra momentan dort und sehr zuvorkommend und gastfreundlich."

,,Das ist aber nett von den Indianern." Er lächelte Valkan zu, der es weniger freundlich erwidern konnte. In ihm wuchs ein ungutes Gefühl. Sicher lag es an Anemro, der seine Zweifel die ganze Zeit über vor sich hin murmelte.

,,Ja das ist es", lenkte Lydia von ihm ab.

,,Was werden wir dann tun?"

,,Das sehen wir dann, Glogan." Allmählich ging der Dorfbewohner ihr auf die Nerven.

Ekatoa schien das zu bemerken und fing ein Gespräch mit dem stundenlang redenden Bleichgesicht an. So nannte er ihn später am Tag, als die Sonne beinahe unterging.

,,L...Entschuldigt, Rosatra meinte ich", begann Anemro zaghaft.

,,Vorsicht, Berater. Sollte ich auffliegen ist das nur Eure Schuld", zischte Lydia.

,,Ihr denkt nicht wirklich, dass Euer Plan klappt, oder? Die Könige von Reako können überall sein."

,,Sie müssen nicht überall sein, sie müssen nur nicht da sein, wo wir sind."

,,Sehr komisch", erwiderte Vasilias Berater. ,,Im Ernst...Was ist, wenn wir einem von Euren Dorfbewohnern über den Weg laufen? Die erkennen Euch und rufen jubelnd Euren richtigen Namen...Vor allen Leuten hier."

Lydia seufzte erneut an diesem Tag. ,,Dann müssen wir sie eben vorher abfangen und dann so tun, als gehörten sie zu Rosatras tot geglaubten Volksleuten. Ganz einfach. Zudem bin ich froh, wenn ich Leute von Nokard wiederfinde. Ich sterbe vor Sorge, je länger ich sie nicht sehe."

,,Das ist wahr, aber denkt auch daran, dass Vasilias Leute ebenfalls darunter sind."

,,Ja und?"

,,Vielleicht machen sie nicht das was Ihr von ihnen verlangt", endete Anemro seine Vermutungen.

,,Dann müssen sie auf Vasilias hören...Hoffen wir, dass er mit Akayla unterwegs ist."

,,Bestimmt." Anemro sah sich um, damit sie auch ja niemand belauschte. ,,Da gibt es noch einen anderen Punkt, der problematisch werden könnte."

,,Anemro, Ihr macht mich wahnsinnig, wisst Ihr das eigentlich?"

Der Berater zuckte mit den Achseln. ,,Ist mir egal. Mir liegt eben etwas an meinem Leben."

,,Welchen Punkt denn?", fragte Lydia zögernd.

,,Euer Kind zum Beispiel. Sollten die feststellen, dass Ihr Mutter werdet, werden sie misstrauisch...Ihr seid schließlich die arme Rosatra aus Torpala, die seit einer Ewigkeit keine Menschen um sich hatte."

,,Doch, die Indianer."

,,Eben und genau die können die Thronfolge kosten. Dann haben sie keine Sicherheit mehr bei Euch und fliehen. Sie sind nicht wie Euer Volk, bedenkt das bitte."

,,Oh nein...Daran habe ich nicht gedacht...Wie dem auch sei, Berater. Ihr könnt Euch nun entfernen", wechselte Lydia schnell das Thema, als sich ein Dorfbewohner näherte. ,,Königin Rosatra, mein Kind braucht eine Pause. Wir gehen bereits seit einer ganzen Weile."

,,Das bekommen wir schon hin. Einer der Indianer wird sie tragen. Wir müssen erst hier raus, dann können wir eine Pause machen", meinte Lydia unsicher.

,,Um erhlich zu sein, habt Ihr nicht so viele Leute, um all unsere müden Kinder zu tragen...", sagte die ältere Dame neben ihr.

Lyida sah sich einen Moment um. Sie schienen wirklich müde zu sein. ,,Also dann...Machen wir eine Pause. Meine Wachen werden auf uns Acht geben, damit nichts passiert."

Anemro vernahm kaum ihre Worte, da eilte er schon wieder zu ihr.

Sie hob ihre linke Hand. ,,Verschont mich mit Eurer Rede, bitte. Es muss so sein."

,,Wenn die Könige zurückkehren..."

,,Sind auch ihre Wachen wieder in den Wäldern, ich weiß. Jedoch waren sie heute nicht hier und wir haben einen guten Vorsprung. Bis morgen früh dürften wir es schaffen", sagte sie zuversichtlich. Insgeheim betete sie, dass es klappte.

,,Wenn das nur ein Trick der Reakaner ist? Haben sie Euch belauscht?", fragte Serpo besorgt.

,,Nein, sie sind müde. Das verstehe ich auch...Lasst uns schlafen gehen."

40. König Yagre

 Lydia schlief in den letzten Nächten an den verschiedensten Plätzen, doch keiner davon war so unbequem, wie der Waldboden der Grauwälder. Sie drehte sich nach rechts und links, schloss die Augen, wurde aber viel zu schnell wieder aus dem Halbschlaf gerissen. Erneut schlug sie die Augen auf. Diesmal blickte die Königin direkt in Chocas Augen. ,,Choca, du bist ja noch wach."

Zerknirscht kniete sich der kleine Indianer neben sie. ,,Tut mir leid, wenn ich Euch geweckt habe."

,,Das hast du nicht", versicherte Lydia sofort. ,,Gibt es einen Grund, warum du noch nicht schläfst? Gibt es ein Problem mit Cherokee?"

,,Oh nein, mit ihr ist alles in Ordnung." Er atmete tief durch. ,,Ich habe meinen Vater gesehen. Nicht erst seit heute, sondern schon zum dritten Mal."

Mit einem Ruck, saß Lydia aufrecht neben dem Jungen. ,,Komm her." Sie nahm Choca Bow in den Arm. ,,Wenn du ihn noch in deinen Träumen sieht, ist er am Leben. Diese Sicherheit hast du dann, richtig?"

Er zuckte mit den Schultern. ,,Ich wünschte er würde auch wissen, dass ich lebe. Ihm geht es so schlecht...", brach der Sohn von Auge des Alders ab.

,,Dein Vater ist ein starker Indianer. Egal wie schlecht es ihm geht, er wird weiter kämpfen und eines Tages werdet ihr euch wiedersehen." Lydia wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicheres, als dieses Versprechen einhalten zu können. Sie schloss einige Sekunden die Augen, während sie den Indianer drückte und öffnete diese dann wieder. Der Weg, den sie vor einigen Stunden als Anreise genutzt hatten, lag direkt vor ihr. Etwas zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, als Lydia in die Baumkronen schaute. Durch die Dunkelheit konnte sie allerdings nicht erkennen was es war.

,,Stimmt etwas nicht?", fragte Choca, der ihre Unruhe bemerkte.

,,Ich kann es nicht sagen...Da in der Baumkrone ist etwas...Hätten wir doch nur eine Fackel hier..."

Der kleine Indianer hielt sie zurück, bevor sie aufstand, um möglicherweise noch ein Feuer zu entzünden. ,,Lasst mich nachsehen."

,,Auf gar keinen Fall", fuhr Lydia ihn an. ,,Es ist zu gefährlich!"

,,Ich brauche mich ja gar nicht vom Fleck zu bewegen."

Die Königin von Nokard sah ihn verwirrt an, doch aus irgendeinem Grund vertraute sie ihm.

Chocas Augen begannen zu leuchten, woraufhin Lydia zurückwich. Er schien so fern zu sein, obwohl sein Körper genau vor ihr stand. Mit klopfendem Herzen fand Choca wieder in seinen Körper zurück, so kam es Lydia vor und warf sich neben die Königin. ,,Ihr habt recht da hängt irgendeine Flagge in den Bäumen. Sie ist sehr versteckt, aber kein Grund zur Besorgnis."

Jetzt war es Lydias Herz, welches schneller schlug. ,,Welche Farbe hatte die Flagge?"

,,Rot", antwortete Choca. ,,Warum seht Ihr plötzlich so blass aus?"

,,Warum haben meine Wachen mir noch nicht Bescheid gegeben?", sagte sie mehr zu sich selbst als zu dem Jungen. ,,Weck sofort die anderen auf."

,,Aber..."

,,Tu es einfach, schnell!" Lydia stand auf, hastete zu Valkan herüber und rüttelte an ihm. ,,Gefahr, wach auf!" Ohne abzuwarten, dass er erwachte, lief sie zu Anemro. ,,Aufwachen! Wir bekommen Besuch..."

,,Was denn für Besuch?" Anemro blickte verschlafen aus seiner Kleidung. Als Vasilias Berater den Blick der Königin sah, wusste er sofort, was sie meinte. ,,Die Könige?"

,,Die Wachen."

,,So ein Mist!"

Um sie herum wurden die Dorfbewohner von Reako aus dem Schlaf gerissen.

Glogan stapfte auf Lydia zu. ,,Was hat das zu bedeuten, Hoheit?!"

,,Eine Flagge wurde hinten in den Baumkronen aufgehängt...Du weißt, was das bedeutet?"

,,Stehen uns die Monster dieser Wälder bei", betete Glogan erschrocken.

,,Hoheit, kommt schnell her!", riefen Ekatoa und Schneeseele im Chor.

Lydia eilte zu den beiden Indianern. Kaum erreichte sie die beiden, wünschte sie sich einmal in ihrem Leben, nicht auf sie gehört zu haben. ,,Götter...Sind sie tot?"

,,Ich zähle nicht mehr als siebzehn Bleichgesichter", erwiderte Ekatoa augenblicklich.

,,Siebzehn?! Das sind schon viel zu viele!"

,,Wir müssen sofort hier weg!"

,,Ich wusste doch, es war ein Fehler zu bleiben", warf Anemro ein, der nun ebenfalls bei ihnen stand.

,,Spart Euch die Mühe der Moralpredigt und kommt mit", entgegnete Lydia sofort. ,,Reakaner, folgt mir so schnell ihr könnt hier raus!", rief sie ihnen zu.

,,Sie sind zu unruhig, Rosatra", merkte Glogan an.

,,Das ihr aber auch immer einen braucht, der euch in den Hintern tritt." Lydia holte tief Luft: ,,Rennt, oder ich kann nichts für euch tun!"

Diese Worte wiederum versetzten die Bewohner in Bewegung.

,,Geht doch."

,,Lydia..." Anemro zog an dem Ärmel ihres Kleides.

,,Was soll..." Ihr entfuhr ein Schrei. ,,Was wollt ihr von uns?!"

Vor der Menschenmenge waren einige der Ritter von Reako erschienen. Zumindest hatte sich Lydia diese genauso vorgestellt. Zerzaust, grimmige Gesichter und rote Umhänge zu den Rüstungen.

,,Ihr solltet nicht hier sein, königliche Hoheit", sagte einer von ihnen.

Valkan baute sich vor Lydia auf. ,,Lasst sie in Frieden!"

,,Moment...Hat Euer eigener Berater Euch gerade Lydia genannt?!"

,,Das tut er manchmal, Glogan. Kein Grund zur Sorge...Er ist nicht der Beste, wenn es um Namen geht." Sie versetzte Anemro einen Stoß in die Seite.

,,Da hat meine Königin vollkommen recht."

,,Ist ja reizend von Eurem Berater." Hinter den Wachen von Reako, erschienen Yagre und Thogra.

,,Bitte nicht...", flehte Lydia in Gedanken, da sie kein Wort zustande brachte.

,,Wir wollen Euch nicht sehen!", giftete einer der Reakaner seine Könige an.

,,Oh und warum nicht?", hakte Yagre erstaunt nach. ,,Was hat sie euch denn erzählt?"

,,Die Wahrheit. Ihr lügt uns an und eines Tages werden wir alle wegen Euch sterben!"

Lydia behielt die Augen einen erneuten Moment zu. Warum mussten manche immer an der falschen Stelle ehrlich sein?

,,Thogra und ich sind die Lügner, ja?" Er lachte auf. ,,Der war nicht schlecht. Bevor ihr dann weiter eure kleine Reise fortfahrt, habe ich noch etwas, was ich der ehrlichen Königin zeigen möchte." Yagre vollführte eine Handbewegung und gab den Blick auf zwei weitere Wachen frei.

,,Vater?!", platzte es aus Choca und Anemro gleichzeitig.

,,Manitu, Choca du lebst...", hauchte Edolon.

Delkorta sah ebenso erstaunt aus.

Valkan machte einen Schritt auf den König von Reako zu. ,,Lasst den Indianer frei! Er gehört zu mir!"

,,Oh na dann...Nein!"

Thogra lachte auf. ,,Nur Indianer können so dumm dreinsehen, wenn man sie auf den Arm nimmt."

,,Wo sind Akayla und Dayne?", warf Lydia zittrig ein.

,,In Castero, gut, dass Ihr Euer Interesse für sie nicht verloren habt...Dabei seid Ihr einfach ohne sie hier weg gegangen." Yagre grinste. ,,Wo wir gerade von Eurer Flucht sprechen, wird das hier die Fortsetzung davon?"

,,Ihr kleiner, mieser...", setzte Lydia zornig an.

,,Sagt es nur raus, Königin Lydia Fuero."

Glogan und die umstehenden Dorfleute erschraken. ,,Ihr seid gar nicht Rosatra?!"

,,Und wir haben Euch vertraut!"

,,Lasst die Reakaner da raus, Yagre. Das ist ein Konflikt zwischen Euch und mir!"

,,Ihr habt sie mit hineingezogen, Lydia! Wir Zeit, dass wir uns jetzt von ihnen verabschieden." Er drehte sich leicht nach rechts und nickte.

,,Nein, Yagre", versuchte Thogra ihn zu bremsen, doch sie schaffte es nicht.

Augenblicklich hagelte es Pfeile von allen Seiten her.

 

 

Nach einigen Minuten der Angst fand sich Lydia bei Valkan wieder. Die Layandra standen noch, Anemro und sie auch. Nur die Reakaner wurden getroffen.

,,Ihr habt Euer Dorf umgebracht?! Was für ein herzloser König seid Ihr eigentlich?!", schrie Lydia ihn an.

,,Eine Sorge weniger. Jetzt habe ich eigentlich Langeweile..."

,,Was habt Ihr noch angestellt?!"

,,Euch um eine Plage erleichtert", antwortete Yagre selbstgefällig.

,,Choca", sagte Lydia plötzlich.

,,Ja?"

,,Ich habe nie gesehen zu was zu in der Lage bist, aber ich weiß, dass du es kannst..."

Der König von Reako wurde unruhig. ,,Was meint Ihr damit?"

In der nächsten Sekunde lief Choca auf den König zu, umklammerte beide Hände von ihm und beförderte ihn mit einem aufleuchten direkt gegen eine der Bäume.

,,Yagre!", quietschte Thogra erschrocken.

,,Ich sage es nur ein Mal und wiederhole mich nicht. Zieht die Wachen zurück, gebt den Indianer frei und lasst uns in Frieden."

,,Ich kann meinen Wachen befehlen, dass sie euch alle auf der Stelle umbringen. Angefangen bei dem kleinen Jungen", brachte Yagre taumelnd hervor.

,,Würde ich Euch nicht raten." Sie sah zu dem Jungen.

Um Chocas Hände herum leuchtete es in orangenem Licht, genau wie seine Augen.

,,Choca...?"

,,Er ist einer der Verfluchten!", brüllte Yagre erschrocken. ,,Wachen, zurück!"

Schneller, als Lydia damit gerechnet hätte, ergriffen die Könige und ihre Wachen die Flucht. Edolon lief auf seinen Sohn zu.

,,Nicht anfassen!", schrie Cherokee panisch.

Doch als Edolon seinen Sohn in die Arme schloss, erlosch das Leuchten und Choca begann zu weinen. ,,Du hast mir so gefehlt mein Kind...Ich dachte wirklich du wärst..."

Anemro konnte seinen Blick kaum von dem rührenden Augenblick abwenden, als er die Augen seines Vaters, Captain Delkorta auf sich ruhen bemerkte. So ein Vater war er ihm nie gewesen und das wusste er auch.

,,Euer Hoheit, verzeiht uns. Wir wurden aufgehalten", meldete sich Kipivo aus dem Gestrüpp.

Lydia hörte ihm gar nicht richtig zu, da sie Anemro in diesem Moment bemitleidete, obwohl sie kaum etwas von ihm wusste und das vermutlich auch nie tun würde.

41. Glaube

 Panna streckte ihre Hand vor sich aus und richtete ihren Kopf in Richtung Himmel. ,,Fred, sieh nur", raunte sie ihrem Mann zu.

Dieser war ebenso überrascht von dem plötzlichen Wechsel des Wetters. ,,Ist das Schnee?"

,,Es gibt keinen schwarzen Schnee", gab Panna als Antwort.

Fred schloss das, was er für Schnee hielt in seiner linken Handfläche ein. ,,Das finden wir heraus."

,,Was hast du vor?"

,,Schnee schmilzt bei Wärme." Er öffnete seine Hand. ,,Siehst du, es ist geschmolzen."

,,Ich bitte dich, Liebling. Es gibt keinen schwarzen Schnee...", wiederholte Panna wissend. ,,Wir sind seit einer Ewigkeit in der Natur unterwegs, da ist es normal, dass wir halluzinieren."

,,Lauft uns nicht davon!" Ein weiteres Ehepaar gesellte sich zu den beiden Mitarbeitern des Schlosses von Nokard. Es waren Synefo und Meiosia, Merltins Eltern, dicht gefolgt von Atin und Ysa, Vinnys Eltern.

,,Haben wir nicht vor", verteidigte sich Fred prompt.

,,Schneit es etwa?", fragte Meiosia erstaunt und unwohl zugleich. ,,Ich kann ehrlich gesagt keinen mehr sehen." Ihr langes, dunkelblondes Haar mit einem leichten Braunton, fiel ihr schwer auf die Schultern. Fröstelnd zog sie sich den Umhang, den sie sich halb über den Kopf gelegt hatte, dichter.

,,Schwarzer Schnee, nicht wirklich gesund, wenn ihr mich fragt." Prüfend betrachtete Synefo die Flocken, die sachte durch die Luft schwebten.

,,Jetzt würde ich sogar die Drachen bevorzugen", gab Atin von sich. Der weiß-grauhaarige Mann mit ein wenig Bart im Gesicht sah wenig begeistert aus.

,,Sag das nicht...Die sind mir nach wie vor unheimlich", erwiderte seine Frau, Ysa sofort. Sie schüttelte ihr schwarzes Haar, um es vor den Schneeflocken zu befreien. ,,Ganz besonders die Wasserdrachen."

,,Das sind doch wundervolle Wesen", meinte Fred in Erinnerungen versunken.

,,Für mich bedeutet dieser schwarze Schnee etwas magisches, wenn ihr mich fragt." Meiosia glaubte, seitdem sie die Drachen mit eigenen Augen gesehen hatte, dass es noch mehr auf der Welt gibt. Nicht nur eine Art, sondern unsagbar viele.

,,Deine Fantasie ist wirklich bezaubernd, Meiosia", antwortete Synefo grinsend. ,,Noch schöner fände ich es, wenn wir unseren Sohn wieder bei uns hätten..."

,,Merltin kann nicht weit sein. Der Schnee im mittleren Frühling ist nur ein Zeichen, dass wir ihn bald wiederhaben werden."

,,Ach ja?" Skeptisch verschränkte Synefo die Arme. ,,Das kann viel Schlimmeres bedeuten."

,,Was ist, wenn der gefährlich ist?", warf Panna besorgt ein.

,,Der ist nicht gefährlich...", erwiderte Ysa, während sie auf den Boden sah. Dieser schien plötzlich zu beben. ,,Merkt ihr das auch?"

,,Nein, was denn?"

Ysa blieb nicht einmal Zeit für eine Antwort, da erhob sich hinter einem Hügel ein riesiger Drache. Er flog über ihre Köpfe hinweg und ließ den gesamten Boden beben. Die Dorfbewohner von Nokard gerieten ins Wanken und stürzten sich sicherheitshalber auf die Erde. Fasziniert und ängstlich zugleich folgten sie dem Drachen mit ihren Blicken.

,,Vorsicht!", rief Atin. Ein weiterer Drache dieser Größe flog über sie hinweg.

,,Die sehen aus, wie der Erdboden..."

,,Erddrachen", brachte Meiosia erfreut hervor. ,,Wahnsinn."

,,Warum genau sind die hier? Wir sind nicht in Nokard..."

,,Bestimmt sind die auf den Weg dorthin! Vielleicht saß Lydia auf ihrem Rücken", stieß Panna hoffnungsvoll hervor.

,,Auf keinen Fall. Wir haben die Königin eine Ewigkeit nicht gesehen...Ganz ehrlich, sie ist für mich keine mehr." Grimmig stand Synefro auf. ,,Wer sein Volk nicht beschützen kann, der ist in meinen Augen mehr als unfähig ein Herrscher zu sein."

,,Warum sagst du das?", fragte seine Frau verwundert. ,,Wärst du in ihrer Lage..."

,,Das bin ich aber nicht, also kann ich es nicht nachvollziehen."

,,Dann hast du auch kein recht so über die Königin zu sprechen. Denk an all das Gute, was sie für uns getan hat!", erinnerte Meiosia.

,,Verzeih, aber das geht nicht..." Er wandte sich ab. ,,Jetzt sieht es nach einem Gewitter aus, wenn ihr mich fragt. Wir sollten zusehen, dass wir einen Unterschlupf finden."

,,Seht, es donnert sogar schon", machte Atin aufmerksam.

Als der erste Blitz am Horizont erschien, konnte Meiosia schwören einen weiteren Drachen gesehen zu haben. Er war wie ein Schatten, blitzschnell und in der Dunkelheit kaum erkennbar. Bei einem weiteren Blitz sah sie, wie sich die Wolken verformten.

,,Synefro...Synefro!" Panisch zerrte sie an dem Ärmel ihres Mannes. ,,Da oben!"

Dieser folgte der Hand seiner Frau und weitete die Augen ein wenig. ,,Fred, Panna..."

Die anderen blickten ebenfalls nach oben.

,,Götter das habe ich auch noch nie gesehen..."

Die Gestalt aus Wolken wurde immer drachenähnlicher. Flügel, Körper und Augen waren bereits sichtbar.

,,Glaubt ihr mir jetzt, dass es noch mehrere Arten gibt?" hakte Meiosia nach.

Ein Blitz löste sich aus den Wolken, aus dem Rachen des Drachen und schlug hinter ihnen in eine verkommene Tanne ein. Diese begann augenblicklich zu qualmen.

,,Ich wünschte alle Drachenarten wären gut", ergänzte sie sofort und ergriff die Flucht. ,,Schnell weg hier!"

Blitze erhellten den Drachen am Himmel immer häufiger und ließen ihn wahrlich bedrohlich aussehen.

Die Bewohner rannten davon, durch einen Torbogen über Stock und Stein, bis sie schließlich einen Abhang hinabrutschten.

Es dauerte eine Weile bis Meiosia wieder erwachte. Regentropfen fielen auf ihr Gesicht, sowie ihr graues Stoffkleid mit der blauen Schürze. ,,Wach auf, Synefro."

Ihr Mann fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht, um die Tropfen zu entfernen.

Merltins Mutter stützte sich auf dem matschigen Boden ab. ,,Geht es euch gut?"

,,Denke schon", gab Fred zur Antwort, nachdem er Panna auf die Beine half.

,,Der Drache ist weg."

,,Wo sind wir?" Benommen sah sich Ysa um.

,,Keine Ahnung, aber es scheint hier nicht besonders gutes Wetter zu sein", warf Atin ein. ,,Seltsam das Wetter."

,,Es will uns etwas sagen, daran glaube ich ganz fest", sagte Meiosia nachdenklich.

In der Ferne sahen sie einen Strahl aufleuchten.

,,Ich weiß was dein Drache dir sagen will", setzte Atin an. ,,Er will uns sagen, dass wir hier mehr als unerwünscht sind."

,,Schaut, die Blitze sehen hier irgendwie farbig aus. Beinahe schon...lila."

,,Du meinst...?"

,,Ja, Atin. Ich glaube, wir sind in Torpala."

,,Was sollte ein Drache in Torpala machen? Sie gehören zu Nokard soweit ich weiß", entgegnete Fred daraufhin.

,,Wir doch auch..." Meiosia sah zu Panna mit ihrem nun eher blassen Gesicht.

,,Torpala?!" Panna zuckte bei dem Namen zusammen. ,,Über dieses Land gibt es Geschichten...Es heißt, dass es hier Fledermäuse geben soll."

,,Du hast Angst vor den niedlichen Wesen?", lachte Atin auf.

,,Nein, ich habe Angst vor den verzauberten Wesen, die normalerweise den Torbogen des Landes bewachen."

,,Die sind aus Stein, Panna."

,,Aber dennoch lebendig..."

42. Die Letzte ihres Hauses

 In einer Hütte am äußersten Rande des Kreises suchten sich die Könige, Indianer und alle die dazu gehörten, einen Unterschlupf. Es war nicht viel Platz in diesem Häuschen, jedoch verfügte es über eine Treppe in die oberste Etage.

Anemro hatte sich auf einem Stuhl gegenüber Valkan niedergelassen und betrachtete nebenbei seinen Vater. ,,Du bist verletzt."

,,Das ist nicht so schlimm, wie es aussieht", winkte Delkorta ab.

,,Zeigen Sie mal." Ekatoa wartete ab, bis der Captain sein verschmiertes Hemd ein wenig hochgezogen hatte.

,,Das nennst du gar nicht schlimm?!" Vasilias Berater war aufgesprungen. ,,Es ist sehr wohl schlimm...Du solltest es behandeln lassen."

,,Nicht nötig. Ich kann auch so damit leben." Delkorta ließ sein beiges Hemd wieder herunter.

,,Seid nicht so ein eingebildetes Bleichgesicht", mahnte Ekatoa den Piraten. ,,Sagt mir lieber was Euch so zugerichtet hat."

Der Captain zog leicht die Augenbrauen hoch. ,,Was denkt Ihr denn was es war?"

,,Keine Ratespielchen, Pirat", mischte sich Lydia ein, die Delkorta nun mit ganz anderen Augen sah, nun da die wusste, wer er war.

,,Es war irgendein Schwert eines Ritters von Reako."

,,Sieh an, er spricht", meinte Ekatoa halb grinsend. ,,Ein Wunder, dass Ihr bei so einer Verletzung noch aufrecht steht."

,,So stand ich nicht die ganze Zeit. Nachdem der mir eine mit dem Schwert verpasst hat, war ich eine Zeit lang abwesend...", berichtete der Captain achtlos.

,,Euch scheint nicht viel an Eurer Gesundheit zu liegen", merkte Valkan an.

,,Wie kommt Ihr da drauf, Rothaut?"

,,Ihr würdet Euch sonst von meinem Stammesbruder helfen lassen oder liegt es viel mehr daran, was er ist?"

,,Mir ist egal, was er ist." Delkorta verschränkte die Arme. ,,Ich bin schließlich auch kein Hochgeborener. Nur ein einfacher Lorgarder, der den falschen Lebensweg gewählt hat." Er sah zu Anemro herüber.

,,Das hast du nie eingesehen, sogar unser Zuhause hast du verlassen. Wie kommst du zu dem Sinneswandel?"

,,Anemro", setzte Lydia an und winkte mit einer Hand ab. Es war ihr unangenehm in einen Familienkonflikt mit hinein zu geraten.

,,Was? Es ist mein Ernst. Für ihn zählte damals nur seine Crew. Diese Floghlai Mara..." Er deutete mit einem Finger auf das rote Halstuch. ,,Das da beweist es nur noch mehr."

Bedrückt knotete sich Delkorta das besagte Tuch vom Hals. ,,Das war ich die längste Zeit. Die Floghlai Mara ist fort."

,,Haben sie dich nun im Stich gelassen, wie ich es immer befürchtet habe? Was wirst du jetzt tun? Nach Hause kommen? Ein bisschen spät dafür, findest du nicht?", warf Anemro ihm vor.

,,Sie haben mich nicht fort geschickt!", donnerte Delkortas Stimme durch die Hütte.

Edolon hielt seinem Sohn die Ohren zu, während er einen raschen Blick mit Cherokee wechselte.

,,Ach nein? Bist du etwa freiwillig gegangen?"

,,Nein..."

,,Das dachte ich mir schon", erwiderte Anemro und lachte auf. ,,Warum auch?"

,,Wenn du es genau wissen willst, sie sind tot." Delkorta starrte vor sich hin.

Lydia hob den Kopf. ,,Wie bitte?"

,,Wie viele sind tot?" Valkan ballte unruhig eine Faust, dabei konnte er sich die Antwort denken.

,,Alle..."

Die Königin sank auf einen Stuhl.

,,Ihr könntet jetzt eine Feier schmeißen. Das ist es doch, was Adelige tun, wenn es einen Sieg zu feiern gibt..." Grimmig stützte sich Delkorta gegen die Wand, öffnete die Haustüre und ließ sie lautstark hinter sich in das Schloss fallen.

,,Das darf nicht wahr sein", hauchte Anemro perplex. ,,Eine gute Nachricht!" Seine Miene hellte sich eine Sekunde auf.

,,Anemro, es ist zwar eine Erleichterung, dass die Floghlai Mara keinen mehr töten wird, doch ist die Frage wer dahinter steckt. Wer würde einen solch gewaltigen Mord begehen und wer ist so stark, dass er es mit den guten Kämpfern der Piraten aufnehmen konnte?"

,,Ist doch offensichtlich. König Yagre und diese Thogra stecken dahinter. Ihr habt gesehen, was er seinem Dorf angetan hat..."

,,Die haben doch total den Verstand verloren. Das hat mit Quirin, Asimi und Imigri angefangen und wird auch nicht enden, solange Yagre und Thogra leben." Lydia faltete die Hände auf der Tischplatte aus hellem Holz.

,,Hoheit, Ihr wollt doch nicht etwa die Könige von Reako umbringen, oder?", fragte Ser Chrysos, der ihren Plan weiterdachte.

,,Kann ich das denn?"

Der Ritter schwieg.

,,Eben, das kann ich nicht. Jedenfalls nicht alleine. Ich werde Hilfe brauchen..." Sie stand auf. ,,Ich weiß mein Volk irrt immer noch da Draußen herum und ich muss es wiederfinden, allerdings schaffe ich auch das nicht ohne einen anderen König."

,,An wen denkt Ihr?"

,,König Vasilias hätte Euch sicher geholfen, immerhin...", unterbrach Anemro sich selbst.

,,Was immerhin?", fragte Lydia prompt.

,,Ach nichts. Er ist verschwunden, also wird er nichts für Euch tun können."

,,Leider."

,,Lasst uns zusammenfassen. Lorna hat sich gegen dich verschworen, Akaylas Eltern haben ihren eigenen Kampf zu führen, die Geschwister planen einen Komplott gegen viele Länder und König Anron rebelliert gegen euch alle. Sieht nicht gerade rosig aus", erklärte der Häuptling. ,,Wir Layandra können nicht viel tun, solange wir so wenige Krieger sind."

,,Und andere Könige gibt es nicht mehr", ergänzte Anemro.

,,Was ist mit Prinzessin Akayla?", schlug Ekatoa vor.

,,Die kann sich wohl kaum gegen ihre Eltern durchsetzen." Lydia grübelte. ,,Es muss doch einen Weg geben."

,,Ihr könntet mit den Drachen über das Land Reako fliegen und es zerstören."

,,Auf keinen Fall, Schneeseele. Das ist viel zu riskant...Mal davon abgesehen, habe ich die Drachen gar nicht mehr unter Kontrolle."

,,Könnte nicht noch irgendein Wunder geschehen oder sonst irgendetwas?" Valkan sah Lydia besorgt an.

,,Wunder, sehr schöne Vorstellung. Mein Thron ist so gut wie verloren. Yagre und Thogra brauchen nur nach Nokard segeln und ihn sich endgültig zu holen..."

,,Kann ich denn nichts tun?", fragte Choca von dem Schoß seines Vaters. ,,Ihr habt gesehen, was ich kann und wie sehr die mich fürchten."

,,So weit kommt es noch", lehnte Lydia ab. ,,Auch du bist nicht unsterblich, daher bringen wir dich nicht in Lebensgefahr. Nein, diesmal muss es ohne Kampf gehen."

,,Was gedenkt Ihr zu tun?"

Die Tür wurde aufgestoßen. Delkorta hielt eine Frau im Nacken fest und warf sie vor Anemros Füße.

,,Was fällt dir ein?!" Er half der verängstigten Person aufzustehen. ,,Geht es dir gut?"

Die junge Frau hatte langes, blondes Haar, mit braunem Ansatz und trug ein weiß-rotes Kleid. Um ihre Schultern hing eine karierte Jacke, die farblich zu dem Kleid passte. Sie fing Anemros Blick auf, als sie aufsah.

,,Lasst mich mit ihr reden." Lydia eilte um den Tisch herum und reichte der Frau eine Hand.

Verängstigt nahm sie diese entgegen. ,,Hast du den Pfeilhagel überlebt?", fragte die Königin ruhig, um sie nicht noch mehr zu verängstigen.

,,Nein."

,,Nein?", wiederholte Anemro.

,,Sie ist nicht aus dem Dorf", sprach Kipivo laut aus.

,,Was macht Euch so sicher?"

,,Sonst würde sie nicht nein sagen."

Lydia betrachtete die Person vor sich. ,,Woher kommst du?"

,,Kann ich nicht sagen."

,,Natürlich kannst du das", forderte Anemro.

,,Nein! Sie würden mich sonst finden und töten..." Die junge Frau klammerte sich mit ihren kalten Händen an Lydias Arm fest. ,,Ich weiß wo ich bin, das ist schlimm genug."

,,Das ist wahr. Wenn du allerdings nicht von hier bist, woher...?"

,,Nicht danach fragen!", unterbrach die blondhaarige Frau sie.

,,Verzeihung."

,,Ich habe sie zu euch gebracht, weil sie vor unserer Hütte herumgeschnüffelt hat", merkte Delkorta an.

,,Ihr hättet sie aber nicht so behandeln brauchen."

,,Auch wenn die Piraten umgebracht wurden, ich lebe noch und bin einer. Bis zu meinem letzten Atemzug."

Lydia warf dem Captain einen kritischen Blick zu.

,,Wir könnten sie ganz leicht zum Reden bringen. Haben die Reakaner hier Messer?"

,,Es reicht!", fuhr die Königin den Piraten an. ,,Ihr seid wirklich von Sinnen..."

,,Ihr wollt wissen wer ich bin? Fein! Bevor ihr mich tötet...Ich bin Königin Rosatra aus Torpala, die Letzte meines Hauses!"

Niemand sagte mehr ein Wort, stattdessen blickten alle auf die Person. Sprach sie die Wahrheit oder erfand sie es nur, um sich selbst zu schützen?

43. Der Wolfshund

 Akayla trommelte ungeduldig mit ihren Fingern auf den Steinblock, auf dem sie sich soeben niedergelassen hatte. ,,Ich glaube es einfach nicht...Setzen die uns einfach in Castero aus und verschwinden!"

,,Seit doch froh", merkte Dayne an. Der Knappe stand nahe am Rande des Ufers, an dem noch immer Überreste des Kampfes lagen. Holzbretter schwammen in den Wellen auf und ab, die Hütte am Hafen stand nur noch im unteren Grundriss und weit und breit keine Menschenseele zu sehen.

,,Das kann ich nicht. Sieh dich hier doch mal um." Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf das Chaos um sie beide herum. ,,Meine Eltern sind auch nicht wieder aufgetaucht...Ich bezweifle langsam wirklich, dass die Geschwister uns helfen." Die Prinzessin stützte ihr Kinn auf die Knie, während der Wind ihr das lockige Haar ins Gesicht wehte.

,,Ich sage das nur ungern, aber ich habe nie geglaubt, dass sie uns helfen werden. König Vasilias hatte mit seinen Vermutungen schon Recht."

,,Du machst mir nicht gerade Mut, Dayne."

,,Ich bin auch nur ein Knappe und sicherlich aus diesem Grund auch kein Berater oder sonst irgendetwas hochgestelltes."

,,Mein Vater setzte dich dennoch als Wache ein. Ohne dich hätten wir die Piraten womöglich zu spät erkannt. Wäre ich Königin, wärst du schon lange ein Mitglied der Königsgarde", versicherte Akayla.

,,König Siaac wird wissen, was er tut. Seine Garde ist gut..."

,,Wir hatten das Gespräch bereits, Dayne. Seine Garde mag gut gekämpft haben, aber an seiner Seite steht wahrscheinlich gerade niemand."

,,Ihr habt recht, Prinzessin. Tut mir leid." Geknickt sah der Knappe zu Boden.

,,Von allen im Stich gelassen wird man hier...Warum um alles in der Welt sollte ich diesen Yagre heiraten, wenn er sich nicht eine Sekunde um mich kümmert?" Sie dachte nach. ,,Warum soll ich ihn überhaupt heiraten?"

,,Wie er sagte, er will seine Nachkommen sichern. Mal davon abgesehen müsst Ihr ihn nicht heiraten. Der Vertrag besagt deutlich, dass er Euch Eure Eltern wiedergeben muss, damit der Vertrag gültig ist."

,,Stimmt. Aber was ist, wenn er es doch noch schafft?"

,,Endlich erkennt Ihr die wahren Gesichter der Reakaner", seufzte Dayne.

,,Als Närrin habe ich mir da besser gefallen." Sie streckte die Beine aus und kreiste mit den Füßen. ,,Ich sitze wirklich schon viel zu lange herum und tue nichts, als mir alles gefallen zu lassen. Ich muss Castero retten, wenn sie mich jemals als Königin akzeptieren sollen."

,,Ihr hasst es Königin zu spielen", warf der Knappe ein.

,,Das tue ich auch, richtig. Allerdings kann ich die Überlebenden nicht ihrem Schicksal überlassen, auch wenn sich kein Königreich hinter mich stellt."

,,Darlin würde es sicherlich tun, Prinzessin."

Akayla nickte leicht. ,,Du könntest damit nicht falsch liegen." Sie rutschte von dem Steinblock. ,,Ich frage mich, ob die Pferde noch in den Ställen sind..."

,,Ihr wollt aufbrechen?"

,,Rumsitzen und warten bringt mich nicht weiter, Dayne. So kann ich auch leichter nach Überlebenden suchen." Die Prinzessin schluckte. ,,Kommst du mit?"

,,Wenn Ihr es wünscht?"

,,Ja."

Dayne trat auf Höhe der Prinzessin, die gut einen Kopf kleiner war, als er.

 

 

Auf Rettungsmission war auch König Vasilias in Torpala. Er legte sich flach auf einen Felsen, um in den Abgrund zu sehen. ,,Wir haben es geschafft würde ich sagen", verkündete er Merltin und Vinny, die neben ihm lagen. Unter ihnen lag eine Stadt, sowie ein Gebäude mit mehreren kleinen Türmen, welches das Schloss sein musste.

,,Ich habe noch nie so einen Ort gesehen", flüsterte Merltin fasziniert. Seine Angst vor den fliegenden Wesen war verschwunden.

,,Ob es hier so ungefährlich ist würde ich euch so nicht versprechen."

,,Ihr kanntet den Wolf eben...Wer außer Euch kann hier wirklich sicher sein?"

,,Kalos ist ein Wolfshund und kein reiner Wolf", stellte Vasilias richtig. ,,Außerdem haben wir ihn entkommen lassen."

,,Er gehört Euch, er würde auf Euch hören", murmelte Vinny. ,,Ihr müsstet nur mit ihm sprechen, anstatt vom Hügel zu stürzen."

,,Das habe ich auch nicht absichtlich getan, Junge!", brummte der König und hielt sich die linke Schulter.

Etwas leuchtete in der Ferne auf. ,,Seht dort! Ich bin mir sicher, dass Kalos genau im Geschehen ist." Vinny drehte den Kopf nach rechts, wo Merltin lag.

Dieser sprach halb in sein Shirt: ,,Kann uns nur Recht sein. Je weiter er weg ist, desto weniger Gefahr für uns."

,,Ihr beiden sorgt euch zu viel."

Die Jungen wandten ihre Köpfe skeptisch zu Vasilias. ,,Das ist ein Scherz? Unsere Familien könnten tot sein und wir gleich mit und das ist alles, was Euch dazu einfällt?"

,,Wenigstens habt ihr uns noch nicht vergessen."

Merltin rollte sich auf den Rücken. ,,Mama!"

Auch Vinny erkannte seine Eltern und eilte erleichtert auf sie zu.

,,Du hast uns so gefehlt", sagte Meiosia zu ihrem Sohn.

,,Ihr mir auch!"

,,König Vasilias scheint mir nicht die beste Gesellschaft für euch zu sein?" Panna betrachtete vielsagend den auf dem Boden liegenden König.

,,Eine Lüge, ich bin ein guter Lebensretter", verteidigte sich Vasilias sofort. ,,Ich bin erstaunt noch mehr von Nokardern hier zu sehen..."

,,Wir sind ebenso überrascht. Viele sind uns abhanden gekommen, da ist es beruhigend zu sehen, dass unsere Kinder noch leben", erwiderte Ysa bedrückt.

,,Wir sind in Torpala, fast drei Länder weiter von Nokard. Die anderen werden zwischen Logarda, Isarek, Pandra und Leydra sein. Wenn wir ganz viel Pech haben, sogar in Darlin." Vasilias kratzte sich am Kopf. ,,Mein Volk wird sicherlich in Logarda sein. Ich muss zuerst dorthin, um sie in Sicherheit zu bekommen. Dasselbe gilt auch für die Nokarder und die Indianer."

,,Wartet, warum ist Darlin eine schlechte Wahl?", hakte Atin nach.

,,Der König hat sich gegen uns verschworen...Auf dem Weg hierher habe ich ihn mit Quirin reden hören...Bevor ihr fragt, ja ich bin durch Darlin geflüchtet." Er beendete sein Vorhaben, ihnen die ganze Geschichte zu erzählen.

,,Gebt es doch zu, Vasilias. Alle könnten von ihrem Wolf angefallen und bereits tot sein." Vinny warf ihm einen düsteren Blick zu.

,,Kalos ist kein Monster!", wehrte der König ab.

,,Das Ungeheuer gehört zu Ihnen und hat einen Namen?!"

,,Kein Grund zur Sorge." Er blickte in ausdruckslose Gesichter. ,,Ehrlich." Vasilias winkte mit der Hand vor ihren Augen herum. ,,Hallo?" In Ysas Augen sah er einen Strahl aufleuchten. Der König drehte sich um und legte den Kopf in den Nacken. ,,Oh Logarda, steh mir bei..."

Über ihm war der Drache aus Rauchwolken erschienen, um dessen Flügel die lilanen Blitze zuckten. Dieser setzte an, streckte den Hals durch und zielte einen Blitz direkt in die Gruppe der Bewohner und des Königs hinein. Erschrocken warfen sie sich zu Boden und kniffen die Augen zusammen.

44. Luftpost

 Rosatra verzweifelte daran die anderen zu überzeugen, dass sie wirklich diejenige war, für die sie sich ausgab. Nach wie vor starrte sie abwechselnd in skeptische Gesichter. ,,Also schön. Glaubt was ihr wollt. Ich dachte, ihr wäret anders...", setzte sie fort.

Lydia übernahm das Reden. ,,Was soll das denn bedeuten? Nur weil wir Euch nicht glauben?"

,,Bei Euch bin ich mir da nicht mehr so sicher, schließlich sprecht Ihr mich nun richtig an", stellte Rosatra fest.

Die Königin von Nokard lockerte ihre geballte Faust. ,,Richtig. Es bringt gar nichts sich darüber aufzuregen schon wieder angelogen zu werden, oder eben nicht." Sie seufzte. ,,Nicht alle Menschen sind Lügner."

,,Wer weiß das schon?" Torpalas Königin zuckte mit den Schultern. Ihr Blick fiel auf Choca, der von der einen Sekunde auf die nächste zusammenfuhr. ,,Was ist mit dem Jungen los?"

Auge des Adlers drückte Choca an sich. ,,Ich befürchte er hat wieder etwas gesehen."

,,Gesehen?"

,,Bevor Ihr fragt, es ist kein Scherz", warf Lydia ein.

Rosatra ging einen kleinen Schritt zurück.

,,Ihr braucht keine Angst vor ihm haben...Es ist nicht ansteckend."

,,Das könnt Ihr gar nicht wissen, Lydia. Die Verfluchten sind immer unberechenbar..."

,,Die Verfluchten?", wiederholte die Königin erstaunt. ,,Wer lässt sich denn sowas einfallen? Choca ist ein normaler Mensch, nur kann er eben seit einiger Zeit Dinge sehen, die Personen passieren."

,,Mir ist klar was die Verfluchten können."

,,Leise, sonst verstehe ich nicht, was er sagt!", fuhr Edolon die Königin an. ,,Choca, was hast du gesehen?"

Der kleine Indianer schluckte. ,,Er lebt."

,,Geht das genauer?"

,,Delkorta, Ihr habt genug gesagt", würgte Lydia seine Fragerei ab.

,,Ich lasse mir von einer Königin nichts verbieten." Der Captain verschränkte mürrisch die Arme.

,,Den Satz habe ich schon viel zu oft gehört...Seltsam wie viele Menschen nicht auf Königinnen hören."

,,Wundert es Euch?! Keine Indianer, keine Piraten...Nicht einmal Euer eigenes Volk", erwiderte Delkorta trotzig.

Lydias Miene versteinerte sich. ,,Woher wisst Ihr davon?"

,,Eine Königin wäre nicht so weit von zu Hause weg, hätte sie es unter Kontrolle." Er senkte die Stimme und beugte sich leicht vor. ,,Seid ehrlich, Ihr seid keine Herrscherin."

,,Ruhe!", bat Edolon erneut.

,,Natürlich bin ich eine Herrscherin", konterte Lydia sofort.

,,Na schön, dann seid Ihr eine Herrscherin ohne Volk. Eine Herrscherin von Niemandem...", fuhr Delkorta fort.

Auge des Adlers sprang auf. Augenblicklich wurde es still. Einzig düstere Blicke wurden zwischen dem Piraten und der Königin von Nokard gewechselt.

,,Er lebt, der Drache lebt", murmelte Choca.

,,Noch ein Drache, da bin ich aber beruhigt", knurrte der Captain, der sich schnell aus seiner Starre erholte.

,,Was für ein Drache, Choca?", fragte Lydia.

,,Ihr wisst schon welcher."

,,Sie kennt die Geschichten gar nicht, habe ich das Gefühl", setzte Rosatra erneut an.

,,Die Geschichte zwischen den Wasserdrachen und den Wölfen?"

Rosatra lachte auf. ,,Wie niedlich, die kleine Verson der Geschichte." Sie sah auffordernd in die Runde. ,,Keiner hier kennt die Geschichte also richtig?"

Indianer, Ritter, Berater und Königin schüttelten den Kopf.

,,Nur so viel, der Winddrache und der Schattendrache erwachten damals gemeinsam zu etwas Neuem über den Ländern Reako und Waldegro..."

,,Zu was?"

,,Dem Blitzdrachen", antwortete Choca Bow für die Königin von Torpala. Gerade hatte er den Satz beendet, da flog etwas gegen eine der kleinen, verschmierten Fensterscheiben.

Valkan eilte hinaus, knotete den Brief von der Kralle des Alders und ließ ihn außer Beachtung. Der Häuptling kehrte in ihr Versteck zurück. ,,Ein Adler."

,,Zeig mal her."

Der Indianer reichte Lydia den Brief.

,,Aus Waldegro." Zunächst überflog sie die Zeilen nur, die dort geschrieben standen.

,,Und, hat sich Lorna eines Besseren besinnt?", hakte Ekatoa nach.

Lydia schüttelte langsam den Kopf. ,,Er ist von dem Ritter, der uns seine Hilfe anbot."

,,Wenigstens einer, der sein Wort hält", meinte Valkan zufrieden eine gute Nachricht zur hören.

,,Lasdaran schreibt, dass ihm eine feindliche Truppe an der Grenze von Waldegro zu Darlin gemeldet wurde." Sie sah auf. ,,Götter, wisst ihr, was das bedeutet?"

,,Waldegro wird bereits angegriffen", antwortete Valkan ernst. ,,Dieser Anron macht Wirklichkeit aus seinen Worten."

,,Königin Lornas Armee ist nicht stark genug, das habe ich ihr von Anfang an gesagt."

,,Schreibt er nichts von einer Hilfe für Euch?" Ekatoa kratzte sich nachdenklich am Kopf. ,,Er wollte uns nicht im Stich lassen."

,,Er schreibt immerhin Pläne von Lorna auf und weitere, die sie schmieden wird. Das ist hilfreich für uns, hätten wir eine größere Armee", unterbrach Lydia sich selbst.

,,Ihr lest den Brief auch nicht ganz, oder?"

Lydia sah den Piraten verwirrt an, der offenbar heimlich mitgelesen hatte.

,,Da steht, dass er Euch Pferde gesandt hat, damit Ihr nach Waldegro kommen könnt."

,,Vater...", setzte Anemro an.

,,Nein, er hat Recht", nahm Lydia ihn in Schutz.

,,Was bringen uns denn Pferde? Wir müssen wieder durch die Grauwälder und wohin dann?" Anemro setzte sich erneut auf einen der unstabilen Stühle aus Holz.

,,Dann greifen wir an."

,,Wie bitte? Noch vor einer Minute habt Ihr gesagt, dass wir zu wenige für einen Kampf sind", erinnerte Vasilias Berater.

,,Ich glaube, dass sich die Dinge geändert haben...Wir haben dich und Delkorta, ein paar Indianer und Choca. Eine Truppe nahe bei Waldegro, die von uns überrascht wird, ist nicht sofort komplett zur Stelle", fasste Lydia zusammen.

,,Ihr habt Recht, das könnte klappen."

,,Steht da, wann wir die Pferde bekommen und wer sie bringt?", fragte Ekatoa neugierig.

,,Bald."

,,Das will ich auch hoffen..."

Lydia betrachtete den Indianer mit dem roten Kopftuch. ,,Es ist ziemlich gefährlich, was Lasdaran da tut. Er ist momentan ein Spitzel für Nokard, dabei ist er gebürtiger Waldegraner."

,,Das ist mir klar, Lydia. Ich habe auch eine grobe Ahnung von dem, was sich Ritter und Leibgarden erlauben dürfen und was besser nicht." Der Indianer sah zu Choca. ,,Du hast diesen Blitzdrachen wirklich gesehen?"

,,Ja."

,,Er könnte uns behilflich sein."

,,Ich habe doch gesagt, dass ich nicht alle Drachen kontrollieren kann. Eher gesagt, hören nicht alle auf mich. Das schaffe ich bei den Erddrachen schon nur so gerade, da wollen wir gar nicht wissen, wie es mit dem Blitzdrachen wird", erwiderte Lydia prompt. ,,Zudem halte ich es für kein gutes Zeichen, dass dieser Drache zurück ist."

,,Ihr denkt dasselbe wie ich?", hinterfragte Rosatra leicht freudig klingend.

,,Möglich."

,,Es wird einen neuen Kampf geben?", sprach Edolon für alle laut aus.

Rosatra nickte leicht. ,,Und neue Verfluchte."

45. Die Dorfbewohner von Castero

 Vasilias rollte sich auf die Seite. Er sah noch immer das grelle Licht deutlich vor seinen Augen, dabei war es längst verschwunden. Der König blinzelte mehrfach, bis er nach und nach die Umgebung wieder erkennen konnte. Um ihn herum lagen Merltin, seine Eltern, sowie Vinny und seine Eltern reglos auf dem Boden. In gekrümmter Haltung zog er sich über den Boden zu ihnen herüber. ,,Wach auf, Junge!", flehte er Merltin an.

Der Junge reagierte nicht.

Vasilias wandte den Kopf zu den anderen. Keiner von ihnen machte Anstalten bald aufzuwachen. Mit all seiner Kraft zog sich der König von Logarda auf die Beine und stand halbwegs gerade zwischen den Dorfbewohnern. Panisch hielt er nach dem Ungeheuer Ausschau, welches ihn eben getroffen hatte.

,,König Vasilias."

Erschrocken drehte sich der König um. ,,Vinny! Meine Güte, hast du mich erschreckt..." Er legte seine Hand an die Stelle, wo sein Herz war. ,,Alles in Ordnung bei dir?"

Vinny blickte in den Himmel hinauf. Mehrere Wolken zogen über sie hinweg und gaben für einen Moment den Vollmond frei.

Der König erschrak beinahe erneut, als er dem Jungen jetzt in die Augen sah. ,,Bei allen Göttern von Logarda..."

Abwesend senkte Vinny den Kopf und schien durch Vasilias hindurchzusehen.

Vasilias selbst ertappte sich dabei dem Blick des Jungen zu folgen und ebenfalls in den Himmel zu schauen. Er vergaß, was er eigentlich hatte sagen wollen und war genauso abwesend, wie sein Gegenüber.

Der Mond erstrahlte in dem hellsten weiß, so schien es, und beleuchtete im Halbkreis die Wolken um ihn herum, sodass man sie vorbeiziehen sehen konnte.

Ohne, dass Vinny oder Vasilias es bemerkten, standen Merltin, Ysa, Meiosia, Atin und Synefo auf, legten ihre Köpfe in den Nacken und starrten wie besessen den Mond an...

 

 

,,Wartet noch einen Augenblick, Prinzessin."

,,Ich habe meine Leute nicht umsonst hierher geschleppt...Entweder ich plane jetzt einen Angriff, oder lasse es für immer sein."

Dayne packte Akayla am Arm. ,,Ihr seid zu naiv, diesem Brief Glauben zu schenken."

,,Lasdaran belügt mich nicht! Lorna hat ein Sicherheitsloch in ihrer Garde und das nutze ich nun zu Casteros Vorteil."

,,Prinzessin, bei aller Ehre, aber Ihr wisst, dass Ihr erst das Vertrauen Eurer Leute wieder aufbauen müsst, bevor ihr sie in den Kampf schicken könnt, oder?", merkte Dayne besorgt an.

Akayla machte sich los. ,,Sicher weiß ich das. Wenn Lorna mir den Krieg erklärt und nicht weiß, dass ich gerade hier bin, greife ich an und zwar gleich."

,,Bitte, denkt darüber nach. Ich glaube einfach nicht, dass Lorna Eure Eltern hat töten lassen, geschweige denn, dass über vierzig Schiffe auf dem Meer segeln, um Castero dem Erdboden gleich zu machen...Schon wieder. Zudem hat sie Euch gerettet, warum sollte sie sich den Reakanern anschließen?" Der Knappe versuchte die Prinzessin immer weiter von seinem bösen Gedanken zu überzeugen.

,,Das habe ich bereits. Königin Lorna darf sich glücklich schätzen, wenn ich sie am Leben lasse." Akayla klatschte in beide Hände. ,,Hört mir zu!"

Nach und nach verstummten die Gespräche der Casteraner um sie herum.

,,Ich bin zurückgekehrt, um euch das Leben zu retten. Meine Eltern wurden von einer Verräterin gestürzt! Ich weiß nicht, wer mein Freund und wer mein Feind ist! Eines ist aber klar, ich werde mich nie wieder den Worten eines anderen hingeben oder jemandem vertrauen können!"

Unruhig rückten die verängstigten Casteraner zusammen. ,,Ihr habt uns ewig alleine gelassen! Wir konnten von Glück reden, dass wir es aus dem Wasser geschafft haben...Viele haben es nicht!", meldete sich jemand zu Wort.

,,Ich weiß. Doch hatte ich keine Wahl und die habt ihr leider auch nicht mehr! Kämpft jetzt an meiner Seite, oder werdet ein ungeschütztes Opfer von Lorna aus Waldegro!"

,,Die Königin von Waldegro hat Euch das angetan?"

,,Rettete sie Euch nicht?"

,,Ruhe!", rief Akayla. ,,Wie ich sagte, Freunde und Feinde kann man nicht leicht unterscheiden. Offenbar haben wir nur Feinde um uns herum, also kämpft für euer Land! Wir lassen es uns nicht wegnehmen!"

,,Ihr habt gelogen, als Ihr sagtet, Ihr wüsstet nicht wo wir sind, richtig?", fragte ein Casteraner mulmig.

,,Ihr wisst ebenfalls, wo wir sind...An der Grenze von Castero zu Waldegro." Sie wandte sich nach rechts. ,,Ihre Truppen sind laut des Briefes noch in diesem Land, allerdings planen sie bald einen Vormarsch, um Castero zu zerstören...", teilte Akayla ihnen mit. ,,Wir handeln jetzt! Folgt mir!"

,,Das ist doch verrückt", murmelte Dayne, als die Casteraner aufbrachen, um in den Kampf zu ziehen.

 

 

Die versprochenen Pferde kamen kaum einen Tag später an. Um keine Zeit zu verlieren, brachen sie umgehend auf. Hilfe fanden sie sogar in Delkorta. Dieser fand eine Landkarte, die dem Brief beigelegt wurde.

Lydia ritt mehr als unhruhig neben Valkan voraus, während ihre Ritter um sie herum und die Indianer dicht hinter ihnen ritten. Jeder war in seine Gedanken vertieft, bis der Captain das stundenlange Schweigen brach.

,,Gib mir mal die Karte, Junge."

,,Von mir aus." Genervt reichte Anemro seinem Vater das Pergament in seiner Hand.

,,Lydia, gebt mir den Brief."

,,Warum das denn? Ihr wisst, dass ich Euch nicht..."

,,Vertraue, ja ist ja gut", unterbrach Delkorta sie. ,,Gebt mir den Brief trotzdem."

Skeptisch und mulmig verharrte Lydia, zog dann aber ihr Pferd zu dem Piraten hinüber. ,,Bitte sehr."

Dieser überflog die Zeilen, bevor er einen erneuten Blick auf die Karte warf.

,,Ich weiß wirklich nicht, das Ihr Euch davon versprecht, Pirat", entgegnete Lydia.

,,Dachte ich es mir doch!"

Überrascht zog die Königin eine Augenbraue hoch und versuchte einen Blick zu dem Piraten zu erlangen, während ihr Pferd geradeaus ritt. ,,Sind wir falsch?"

,,Nein...Ihr wurdet reingelegt."

,,Was?!" Lydia riss schlagartig an den Zügeln, sodass der braune Hengst zum Stehen kam. ,,Was soll diese Anschuldigung?!"

,,Seht selbst. Lasdaran schreibt eindeutig, dass feindliche Truppen an der Grenze von Darlin zu Waldegro gesichtet wurden."

,,Ja und?"

,,Versteht Ihr denn nicht?! Darlin zu Waldegro..."

Lydia wurde blass. ,,Darlin grenzt nicht an Waldegro." Sie sah aus den Augenwinkeln Valkans wütendes Gesicht.

,,Ihr wart alle blind!" Delkorta wedelte mit dem Brief vor den Augen aller Versammelten herum.

,,Dieser Ritter hat uns doch Pferde geschickt...Außerdem sind wir bereits eine Weile unterwegs und können jetzt nicht mehr umkehren", warf Rosatra ein.

Delkorta machte eine abwinkende Handbewegung. ,,Ihr wurdet die ganze Zeit von keinem Reakaner mehr angegriffen, während wir dort waren...Dabei sind wir der Feind."

Lydia schluckte.

,,Hört auf ihr Angst zu machen, Pirat", sagte Valkan zornig.

,,Ich sage nur die Wahrheit. Habt Ihr schon mal überlegt, dass die Könige von Reako ein hinterlistiges Spiel mit euch spielen? Von Waldegro mal ganz abgesehen."

,,Ihr meint, dass Lorna den Brief geschickt hat, um uns reinzulegen?", hakte Lydia nach.

,,Im schlimmsten Falle, ja." Der Captain sah sich aufmerksam um. ,,Noch ist kein Feind in Sicht, aber wer weiß was hier lauert."

Die Königin von Nokard richtete ihr Pferd so aus, dass sie dem Piraten direkt gegenüber stand. ,,Das wäre ja noch schöner. Lorna, Yagre und Thogra sind selbst Feinde. Niemals würden sie zusammenarbeiten."

,,Die Karte hätte sie mal davon abgesehen wohl kaum mitgeschickt", merkte Anemro trocken an, dem es nicht gefiel, dass sein Vater Recht hatte.

,,Dann hat wer anders unauffällig die Landkarte beigefügt, ohne dass Lorna etwas gemerkt hat", schlug der Captain vor. ,,Da hat die Gute wohl noch ein weiteres Leck in ihrer Garde."

46. Aus dem Hinterhalt

 Der Captain reichte Anemro die Karte zurück, hielt sich dabei aber die Stelle, wo ihn ein Reakaner mit dem Schwert getroffen hatte.

,,Ihr seid verletzt, Pirat. War es nicht doch etwas töricht von Euch einfach so mitzureiten?", merkte Lydia an.

,,Oder gar andere herum zu schubsen, die Ihr gar nicht kennt", ergänzte Rosatra grimmig und drehte die schwarzen Zügel aus Leder einmal mehr um ihre Finger.

,,Nein, es geht schon. Wie reizend, dass die beiden Regenten besorgt sind."

,,Vater, wärst du nicht so eingebildet..."

,,Lass gut sein, Anemro. Kommen wir zurück zu dem eigentlichen Thema. Dieser Brief ist und bleibt eine Fälschung...Er ist genauso echt, wie die Behauptung, ich würde ein guter Vater sein."

Anemro warf Delkorta einen eindringlichen Blick zu. ,,Niemand hat das je behauptet."

,,Natürlich, deine Mutter."

,,Da wusste sie bestimmt nicht, wen sie geheiratet hat." Die Augen des Beraters funkelten einen Moment vor Zorn.

,,Genug mit dem Streit!", unterbrach Ekatoa die beiden. ,,Ihr Bleichgesichter fangt nur an mir wieder auf den Geist zu gehen."

 

 

Akayla und die Casteraner gingen in geduckter Haltung zwischen den kreuz und quer wuchernden Bäumen des Waldes von Waldgegro voran. Jeweils eines der Elternteile oder gar einzelne Erwachsene, erhielten eine Waffe, um sich zu verteidigen. Diese hatte die Prinzessin aus der Burg von Castero mitgehen lassen, nachdem sie ihre Pläne geschmiedet und einige ihres Volkes wiederfand.

,,Haltet euch bereit. Ich kann sie hören...", flüsterte die Prinzessin, welche beide Hände an einen Baumstamm legte und vorsichtig dahinter hervor lugte. Blitzschnell versteckte sie sich wieder. ,,Da sind die Pferde der Waldegraner...Ich habe es mir doch gedacht. Sie planen bereits einen Überfall auf Castero."

Daye eilte zu Akayla und ging neben einem Gebüsch, dessen Blätter im tiefen dunkelgrün blühten, in Deckung. ,,Ihr könnt nicht angreifen. Alle sitzen auf Pferden." Er rieb sich die Augen.

Mit klopfenden Herzen beobachteten die Casteraner ihre Prinzessin. Jeden Augenblick konnte sie das Startsignal geben. Unruhig tappten einige von einem Fuß auf den anderen, während sie warteten.

,,Angriff!", rief die Prinzessin ihrem übrigen Volk zu, welches sofort nach dem Kommando mit erhobenen Waffen aus dem Gestrüpp hervor sprang und angriff.

 

 

Delkorta riss die Augen auf, zog an den Zügeln seines Pferdes und versuchte zu entkommen.

Ebenso rasch wandten sich die Indianer, Ritter, Anemro und Königin Lydia, sowie Rosatra zu dem lauten Kampfgeschrei um.

Die Dorfbewohner von Castero rannten auf sie zu, sodass die Pferde vor ihnen erschraken und ihre Reiter abzuwerfen drohten.

Gefährlich weit nach hinten beugte sich Lydias Pferd, die beinahe rückwärts herunter fiel.

,,Pass auf!" Valkan ritt neben Lydia, ergriff ihren Oberarm und zog die Königin von dem Pferd herunter. In einem Schwung saß sie auf dem Pferd des Indianers, klammerte sich an diesem fest und versuchte die Situation zu überblicken.

Ehe sie sich versahen, waren sie von wild gewordenen Casteranern umgeben. Eilig ergriffen Schneeseele, Cherokee, Edolon, Ekatoa und Choca die Flucht.

Rosatra hatte Mühe ihr Pferd im Griff zu halten und rutschte schließlich doch aus dem Sattel. ,,Nein!", schrie sie panisch und hob schützend beide Hände vor ihr Gesicht.

,,Lasst sie in Ruhe!", brüllte Anemro die Meute an, die ihn bereits am Bein getroffen hatte. Dennoch stellte er sich auf den Rücken des weißen Pferdes, ging in die Hocke, streckte dabei seine Arme in die Luft, schloss die Augen und sprang. Gerade noch rechtzeitig, bevor ihn ein Messer in die Seite traf.

Verwundert folgten mehrere Augenpaare dem Berater. Dieser vollführte einen Salto über die Köpfe einiger Casteraner hinweg und klammerte sich an einem der Äste eines Baumes fest. Sein Pferd ritt alleine durch das Getümmel weiter. Anemro hangelte sich an dem Ast entlang zu der Stelle, an der Rosatra gestürzt war.

Er stahl das Schwert eines Dorfbewohners, nachdem er diesen mit einem Tritt zu Fall brachte und richtete es gegen die Umstehenden. ,,Kommt näher und ihr sterbt!" Schützend baute er sich vor der Königin von Torpala auf.

Einige wichen erschrocken zurück.

,,Ich meine es ernst!" Anemro holte mit dem Schwert aus, drehte es gekonnt in seiner Hand und machte einen Ausfallschritt nach vorne.

,,Seid vorsichtig, Anemro! Was geht da nur vor?!", dachte die Königin von Nokard laut.

Valkan lenkte das Pferd aus der Menschenmasse. ,,Egal was da vorgeht, wir müssen weg hier."

,,Wir können nicht schon wieder abhauen, Liebling", meinte Lydia ernst. Kaum hatte sie den Satz ausgesprochen, zog jemand an dem Stoff ihres Ärmels. ,,Lasst los!", brachte Lydia noch zustande, bevor sie von dem Rücken des Pferdes gerissen wurde.

Ein grimmig aussehender Casteraner mit grauem Haar und heller Kleidung packte die Königin am Kragen, noch während sie auf dem Boden lag. ,,Ihr habt unser Land zerstört...Es ist Eure schuld!"

,,Gar nichts habe ich getan!"

,,Ihr plant einen Komplott gegen unsere Heimat. Das werden wir nur auf eine Weise verhindern können..." Der ältere Casteraner hob sein Messer.

,,Ich habe nichts getan!", quietschte Lydia ängstlich.

Plötzlich erschien ein Arm um den Hals des Mannes, welcher in einer Hand mit einer silbernen Klinge ausgestattet war. ,,Noch eine Bewegung und das ist Euer Ende, Narr."

,,Delkorta..." Lydia sah den Captain an.

Der Dorfbewohner dachte gar nicht daran auf den Piraten zu hören, den er so sehr verabscheute. Er versetzte ihm einen Stoß in die Rippen, um erneut die Königin anzugreifen.

Die Königin sah, dass Valkans Pferd auf sie zukam.

Im nächsten Moment beugte sich der Häuptling auf dem Pferd vor, hielt seine Hand in Richtung Boden, ritt neben Lydia her und zog sie wieder auf das Pferd.

Delkorta, der trotz Verletzung um einiges stärker war, als der Dorfbewohner, setzte seinem Feind brüllend ein Ende.

Lydia wurde blass um die Nase. Nicht nur der Pirat, sondern auch ihre Ritter hatten einige Angreifer erwischt.

 

 

,,Prinzessin, Ihr müsst sie aufhalten, bevor sie noch jemanden umbringen." Dayne rieb sich erneut die Augen und glaubt nun etwas erkennen zu können. Ein ihm sehr bekanntes Gesicht. ,,Haltet Eure Leute zurück, schnell!"

,,Wieso sollte ich das tun?!"

,,Weil es Königin Lydia ist, die Ihr da angreift!"

Erschrocken stürmte sie hinter dem Baum hervor. ,,Stopp! Aufhören sofort!", schrie Akayla die Casteraner an.

Ihre Leute dachten gar nicht daran aufzuhören. Je mehr von ihnen verletzt wurden, umso größer wurde ihre Wut sie zu rächen.

,,Tötet den Piraten!", vernahm Anemro die Worte, der soeben Rosatra auf die Beine half. Kaum hatte er sich umgedreht, erkannte er die Masse um seinen Vater herum. ,,Das darf ja wohl nicht wahr sein!"

,,Geht nicht weg!" Rosatra hielt den Berater zurück. ,,Ihr könnt ihm nicht helfen, ohne selbst draufzugehen..."

,,Lasst mich los! Es ist meine Entscheidung!"

,,Er hat zu viele auf dem Gewissen..."

,,Ach ja? Niemanden den Ihr kennt."

,,Oh doch!", fauchte die Königin von Torpala ihn an. ,,Meine Tante und einen Cousin! Er ist ein Mörder, er verdient es nicht, Euer Leben auch noch auf dem Gewissen zu haben."

Anemro zerrte an seinem Handgelenk. ,,Ihr mordet ihn auch, indem Ihr mich von ihm zurückhaltet!" Vasilias Berater wusste sich nicht anders zu helfen. Er stieß die Königin rückwärts auf den Waldboden und eilte zu Delkorta herüber.

Um diesen löste sich die Menschenmasse bereits auf.

Anemro verfiel in eine Starre, als er seinen Vater dort liegen sah.

Gleichzeitig kippte Choca nach vorne, wurde von Edolon aber noch festgehalten. ,,Choca?"

Anemro blickte von Valkan und Lydia zu Akayla und Dayne. Danach drehte er sich zu Rosatra um. Mehrfach atmete er tief durch. Seine Gedanken fuhren Achterbahn. Der Berater sah sich in Gedanken bereits die Königin umbringen, solch eine Wut hatte er auf sie.

Diese erkannte die lodernde Wut in seinen Augen und rutschte auf dem Boden zurück.

,,Ist Euch klar, was Ihr getan habt?! Ihr habt ein Kind getötet!"

Fassungslos starrte Rosatra ihn an. ,,Das verfluchte Kind stand in Verbindung zu dem Piraten?!"

,,Ja und Ihr wisst, welches Schicksal den Verfluchten zugetragen ist!"

Die Königin suchte Lydias besorgten Blick.

Anstatt Rosatra zu töten stand Anemro aufrecht vor ihr und sagte: ,,Gratulation. Jetzt habt Ihr schon zwei Menschenleben auf dem Gewissen...Nun seid Ihr wahrlich selbst eine Mörderin."

47. Preiset die Lüge

 Akayla liefen die warmen Tränen über das kalte, gefrorene Gesicht. ,,Dayne, ich kann sie nicht aufhalten...Ich habe keine Kontrolle mehr über sie." Die Prinzessin erkannte, dass jemand sie ansah, den sie für Lorna gehalten hatte. ,,Lydia verzeiht mir das nie."

,,Aufhören!"

Augenblicklich erfroren die Handlungen der Dorfbewohner von Castero.

Akaylas Blick wanderte erschrocken und erleichtert zugleich zwischen den Bäumen umher, bis sie die Person fand, die zu dieser Stimme gehörte. ,,Vater!"

,,Mein Kind." Siaac winkte Akayla zu sich und schloss sie in seine Arme. ,,Wie siehst du aus, was ist mit Mutter?"

,,Später...Erst musste ich doch sehen, was mein Töchterchen hier mit dem Dorf anstellt." Prüfend betrachtete er die verdatterte Menschenmasse vor sich. ,,Was hat das hier zu bedeuten?!"

Lydia erblickte Siaac und eilte zu ihm herüber. ,,König Siaac, Ihr lebt!"

,,Natürlich tue ich das, Lydia. Ich habe leider grauenhafte Neuigkeiten..."

,,Das habe ich bereits befürchtet", setzte die Königin von Nokard an.

,,Maimee und ich gelangten durch ihre Hilfe aus Reako. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir ja keine Ahnung, was in der Zwischenzeit mit ihr passiert ist."

,,Sie ist wütend auf mich, daher reagiert sie vollkommen über", erklärte Lydia. ,,Ihr wart dabei, also müsstet Ihr es wissen."

,,Das tue ich auch. Dennoch wusste ich nicht, wie hinterhältig Lorna sein kann...", setzte Siaac fort.

,,Sagt mir, was Ihr wisst", bat Lydia sofort.

Der König von Castero seufzte. ,,Also gut. Lorna fand heraus, dass Lasdaran Euch einen Brief zukommen lassen wollte. Sie ließ ihn einsperren und schmiedete gleichzeitig einen neuen Plan. Um Euch im Glauben zu lassen, dass mit Lasdaran alles in Ordnung sei, schickte sie Euch einen falschen Brief. In diesem stand, dass feindliche Truppen vor Waldegros Grenzen stehen."

,,Im Nachhinein nicht sehr klug bedacht, da die beiden Länder nicht aneinander grenzen", murmelte Valkan leise.

,,Richtig. Jedoch schickte sie den Brief. Die Pferde waren nur dazu da, um meine Tochter auf eine falsche Fährte zu bringen."

,,Ich habe aus der Ferne wirklich gedacht, dass Lorna es war, die sich bereits auf einen Kampf mit Castero eingestellt hatte", verteidigte sich Akayla. Entschuldigend sah sie Lydia an. ,,Auch mir hat sie einen Brief geschickt, indem sie eine Kriegserklärung verfasste. Möglicherweise war das also auch eine Lüge."

,,Sie wollte, dass wir uns gegenseitig umbringen", sagte Lydia entsetzt. ,,Götter..."

Dayne schluckte betroffen. ,,Woher wisst Ihr das alles, Hoheit?"

,,Unglücklicherweise war ich in der Burg von Waldegro...Ich habe heimlich etwas mitgehört...Lorna hat das leider herausgefunden und meine Frau erwischt, anstelle von mir und sie eingesperrt." Siaac senkte den Kopf leicht. Erst dann fielen ihm Lydias Reisebegleiter auf. Ihre Garde, die Indianer und der Pirat am Boden. ,,Um Himmels willen! Ich kam wohl noch rechtzeitig, ansonsten wäre Lornas Plan aufgegangen..."

,,Recht habt Ihr. Dennoch hat sie es geschafft, dass Casteraner zwei Menschen töten konnten." Ekatoa schwang sich mit dem rechten Bein zuerst von dem Sattel des hellbraunen Pferdes, auf dem er gesessen hatte und eilte zu Edolon. ,,Edolon, gib mir den Kleinen!"

,,Er ist mein Sohn...", stammelte Auge des Adlers traurig. ,,Nochmal schaffe ich das nicht alles durchzumachen..."

Cherokee rutschte ebenfalls schockiert von ihrem Pferd. ,,Choca, Edolon!" Besorgt sah sie auf den blassen Jungen in Edolons Armen. ,,Ist er...?"

,,Gib mir den Jungen, Auge des Adlers", wiederholte Ekatoa fordernder. ,,Es ist nicht gut, dass du das siehst."

Der Indianer senkte den Kopf und legte ihn auf den von Choca. ,,Daran ist nur dieser Fluch schuld...Ich muss ihn doch retten können!" Er sah Ekatoa fest in die Augen. ,,Ich lasse ihn nicht los. Nicht dieses Mal."

,,Ihr liegt falsch, Auge des Adlers. Schuld ist diese Königin dort!" Anemro deutete mit einem Finger auf Rosatra.

,,Wie oft soll ich Euch noch sagen, dass ich nichts dafür kann?!", schrie Rosatra den Berater an. ,,Ich bin die Letzte auf dieser Welt, die einem Menschen etwas antun würde!"

Lydia ging langsam auf Anemro zu, der sich neben Captain Delkorta gekniet hatte und seine Hände an dessen Gesicht gelegt hatte. ,,Anemro..."

,,Lasst gut sein, Lydia", wehrte der Berater ab.

,,Nein. Seit wann wisst Ihr, dass Choca in Verbindung zu Eurem Vater steht?"

,,Seit nicht sehr langer Zeit...Seitdem ich diese Geschichte gehört habe und selbst durch Chocas Augen gesehen habe. Nur so konnte ich ihn wiedersehen."

,,Wie konntet Ihr ihn sehen, wenn Ihr vor Ihm gestanden habt?", meldete sich Cherokee zu Wort.

,,Das weiß ich nicht...Es ging eben. Choca hat einmal erzählt, was er gesehen hat und es war zu real...Dann haben wir Jagd gespielt, er zumindest...", begann Anemro. ,,Ich frage mich, ob ein Verfluchter eine Verbindung zu mehreren Menschen aufbauen kann?"

,,Anemro, Ihr schaut Euch das Verschweigen von Dingen bei der völlig falschen Person ab!"

,,Ich weiß, auf wen Ihr hinaus wollt...König Vasilias."

,,Vasilias in allen Ehren, aber er ist wirklich nicht der Richtige...Er verschweigt und wer verschweigt, der lügt auch."

Anemro sah sie entgeistert an, was Valkan sofort auffiel. ,,Lügen, ich? Euch in allen Ehren, aber es gibt hier genug andere, die lügen. Ich zähle nicht dazu." Er stand auf. ,,Aber wo Ihr es erwähnt, ich muss zu meinem König."

,,Ihr könnt jetzt nicht gehen!", erwiderte Lydia. ,,Bleibt hier!"

,,Ich muss Vasilias finden und werde dann nach Hause zurückkehren. Es gibt hier rein gar nichts mehr, was mich hier hält."

,,Das war nicht Euer Vater", erinnerte Rosatra zornig. ,,Ich betone, dass er ein Mörder war!"

,,Ihr solltet besser schweigen!", fuhr Anemro die Königin an. ,,Ich hatte womöglich ein Leben lang keinen an meiner Seite, aber dennoch war er am Leben. Das bedeutet, ja, ich hatte einen Vater." Er löste das rote Halstuch von Delkortas Hals und band es sich um den linken Unterarm. ,,Als sein Sohn werde ich ihn in Erinnerung behalten."

,,Es ging Euch gar nicht um den Pirat...Es ging Euch um den Jungen. Ihr wusstet, dass er stirbt, wenn Delkorta getötet wird", teilte Rosatra laut hörbar mit. ,,Bei allen Fledermäusen von Torpala!"

,,Das geht Euch rein gar nichts an." Anemro wandte sich nun endlich zu Lydia, die vor ihm stand. ,,Verzeiht, Hoheit, aber sobald ich Vasilias gefunden habe, teilen sich unsere Leben wieder. Es war mir eine Ehre Euch kennengelernt zu haben..."

,,Das Bleichgesicht läuft davon! Ekatoa hielt sie immer für weise und klug. Eure Entscheidung zeigt ihm, dass er falsch lag", meinte der Indianer mit dem roten Kopftuch.

,,Wie Ihr meint, Rothaut", murmelte Anemro, wischte sich mit einem Ärmel über die Augen und entfernte sich von Delkortas lebloser Gestalt. Anschließend warf er Lydia und Valkan noch einen letzten Blick zu, bevor er verschwand.

,,Vasilias hat einen hartnäckigen Berater", meinte König Siaac ernst. ,,Bleibt zu hoffen, dass ihn das nicht irgendwann selbst einmal das Leben kostet."

,,Er lügt. Er sieht Delkorta nicht als Teil der Familie an", brachte Lydia hervor.

,,So viele Lügen auf dieser Welt. Die Götter werden sie alle bestrafen dafür, dass sie lügen."

,,Seid Ihr Euch da sicher?"

Siaac nickte langsam. ,,Sie haben mich bestraft, indem sie mir meine Tochter und dann meine Frau wegnahmen. Da bleibt mir nur noch eines zu sagen...Preiset die Lüge."

,,Akayla habt Ihr wieder und Maimee bekommen wir gerettet", versicherte Lydia.

,,Bitte fangt nicht auch damit an." Siaac winkte die Dorfbewohner zu sich. ,,Wir gehen auch nach Hause. Diesen Kampf haben wir verloren. Hoffentlich beruhigt es Lorna und sie lässt Maimee dann von alleine frei."

Entgeistert blickte Lydia den Casteranern nach. ,,Jetzt stehen mir die Götter bei...Sie haben alle den Verstand verloren, Valkan."

48. Zwischen den Grenzen

 Noch ehe Sanfte Feder antworten konnte, fiel ihm etwas auf die Nase. Es war nicht schwer, im Gegenteil, sehr leicht. Dafür kam es wieder und immer wieder. Er legte den Kopf leicht in den Nacken und blinzelte, als ihm dieses Etwas nun auch in die Augen fiel. ,,Lydia", flüsterte Valkan verblüfft.

Auch die Königin von Nokard öffnete ihre Handfläche, um zu sehen, was der Indianer meinte. ,,Ist das Schnee?" Lydia sah an sich hinab, an ihrem bläulichen Kleid, welches der Frühlingsluft beinahe zu warm wurde. Neben dem Saum ihres Kleides bildeten sich weiße, glitzernde Eiskristalle auf den Grashalmen, die gerade den kalten Winter hinter sich gebracht hatten. Sie drehte sich einmal um sich selbst und sah nun, dass auch die Baumstämme gefroren.

,,Hoheit", hauchte Ekatoa.

Nie zuvor hatte sie ihn dieses Wort aussprechen hören, ohne dabei einen Regenten zu verfluchen. Lydia erkannte, was der Indianer mit dem roten Kopftuch meinte.

Er deutete auf die reglose Gestalt von Choca, dessen Hände einen leichten Schimmer vermuten ließen.

,,Choca lässt es schneien...", setzte Lydia verwundert an. ,,Wie ist das möglich?"

,,Quirin meinte, er sei einer von den ganz Großen und Gefährlichen...", berichtete Ekatoa knapp.

Sogleich fing die Königin seinen Blick auf. ,,Ihr seid Quirin begegnet?!"

Der Indianer nickte stumm.

,,Götter stehen Nokard bei, wenn er jetzt wieder da ist."

Rosatra ballte eine Faust. ,,Warum nennt man diesen Verfluchten wohl gefährlich?"

,,Was meint Ihr damit?", fragte Lydia.

,,Na was wohl. Der Schnee wird stärker und wir gehen alle darin unter."

Lydias Miene wurde ernst. ,,Damit macht man keine Spekulationen, Rosatra. Ich weiß zwar nicht, was Ihr gegen die Verfluchten habt, aber sie haben sich das ganz sicher nicht ausgesucht. Choca, beispielsweise ist...war nur ein Kind..." Sie brach den Satz ab, da die eben noch langsam rieselnden Schneeflocken dichter wurden und ihr kälter wurde.

Rosatra lächelte halb. ,,Was habe ich Euch gesagt?"

Valkan ergriff Lydias Hand und zog sie zurück zu seinem Pferd. ,,Je eher wir hier verschwinden, desto weniger werden wir vom fallenden Eis verschlungen."

,,Nennt es doch Schnee", warf Rosatra unfreundlich an, als sie ebenfalls auf eines der Pferde kletterte.

Lydia hielt den Häuptling davon ab etwas darauf zu antworten. ,,Ist gut, sie meint es nicht so."

,,Lasst Choca zurück. Nehmen wir ihn mit, nehmen wir auch den Schneesturm mit!", fuhr die Königin von Torpala die Layandra an.

,,Auf keinen Fall!"

Die blondhaarige Frau zog an den Lederzügeln. ,,Wie ihr wollt." Ehe sie sich versahen, hatte sie die Zügel geschwungen und ihr braunes Pferd in Bewegung gebracht. Eilig galoppierte es mit ihr auf dem Rücken davon.

Lydia schluckte.

,,Hoheit, wohin sollen wir als nächstes?", fragte Ser Chrysos vorsichtig. ,,Lorna könnte uns hier jederzeit überraschen."

Die Königin war in diesem Moment sehr dankbar dafür, dass ihre Garde da war. Diese erinnerte sie daran, wofür sie das alles auf sich nahm.

Immer dichter wurden die Schneeflocken vor ihren Augen, in denen sich einige Tränen ansammelten. ,,Ich bin ehrlich mit euch. Ich habe keine Ahnung."

,,Ihr habt es gehört", setzte Chrysos an, ,,wir reiten nach Hause!"

Lydia sah den Ser unsicher an.

Dieser nickte aber nur vielsagend, also vertraute sie ihm.

,,Viel zu viele Länder haben sich gegen Euch verschworen, Hoheit. Einen Kampf könnt Ihr nur führen, wenn Euer eigenes Reich steht."

,,Sie könnten alle tot sein", erinnerte Lydia besorgt.

,,Glaubt Ihr das wirklich?"

Nokards Königin lächelte leicht. ,,Auf keinen Fall."

,,Du hast selbst gesagt, dass kein Feind euch zerstören wird", sagte Valkan, der sich zu ihr umgedreht hatte.

,,Und du hast gesagt, dass du auf deinen Stamm aufpassen wirst. Hol ihn dir wieder." In ihren Augen funkelte neuer Mut, der den Indianer mit nur noch einer Feder am Kopftuch lächeln ließ.

,,Wir holen uns unser Zuhause zurück."

 

 

Quirin machte einen großen Schritt über einen dicken, schweren Ast, der vor seinen Stiefeln auf dem Boden lag. Wankend kam er hinter dem Ast auf beiden Füßen zum Stehen. ,,König Anron, seht nur!" Asimis ehemaliger Berater deutete vor sich auf zwei besonders auffällige Bäume. ,,Wir haben sie gefunden."

Die beiden Bäume ragten sowohl bedrohlich, als auch ruhig vor ihnen in den Himmel. Ihre Äste wucherten zu allen Seiten hin und waren noch ein wenig mit Schnee bedeckt. Der Baum, der dichter bei ihnen stand, wirkte vollkommen dunkel, nahezu schwarz, während der andere sehr hell und weiß aussah. Der Schnee auf dem hinteren schien gar nicht schmelzen zu wollen.

,,Ah, die Grenze zu Nokard", stellte Anron zufrieden fest. ,,Immer wieder erstaunlich zu sehen, wie unsere Grenzen markiert sind, findet Ihr nicht auch?"

,,Sehrwohl, Majestät", antwortete Quirin sofort.

König Anron rieb sich die Hände. ,,Ohne Euch hätte ich sie nie alleine wiedergefunden...Verratet mir, wie habt Ihr das gemacht? Ihr seid doch nicht hier aufgewachsen, oder?"

,,Nein, bin ich nicht. Ich habe keine richtige Heimat."

,,Also bleibt Ihr lieber mysteriös?"

,,Ihr habt es erraten, Majestät", gab Quirin gekünstelt von sich. Er wandte dem König den Rücken zu und betrachtete mit leuchtend blauen Augen die Grenze.

,,Wisst Ihr, ich könnte meine Truppen hier rüber schicken. Ich würde mir wünschen, dass sie von Euch angeführt werden, Quirin."

,,Es wäre mir eine Ehre, Majestät. Habt Ihr bereits eine Nachricht von den fernen Inseln erhalten?"

,,Oh ja das habe ich. Bald schon wird meine Verstärkung hier eintreffen", erwiderte Anron grinsend. ,,Dann bekomme ich meine Rache."

,,Schon klar, alle angrenzenden Länder werden zerstört." Quirin lachte in einem Ton auf, dem selbst Anron einen Schreck in die Knochen jagte.

,,Ähm...Ganz genau."

,,Ich bitte Euch, Anron. Ihr seid nichts weiter als ein Prinz, dessen Land erobert worden ist...Nur um das klar zu stellen, Darlin war die längste Zeit in Eurem Besitz."

Erstaunt blickte Anron den Berater an, den er eben noch lobte. ,,Ich verbiete mir diesen Ton! Ihr sprecht mit einem König! Eine Antwort von den Inseln und die Truppen laufen hier ein, um mein Reich zu rächen."

,,Schön, dass Ihr die ganze Arbeit für mich gemacht habt. Dennoch brauche ich die Truppen selbst, verzeiht." Er stellte sich vor den Prinzen und vergrub eine Hand in seiner Tasche.

Anron folgte seiner Bewegung. ,,Was treibt Ihr hier für ein falsches Spiel? Wer seid Ihr?!" Panisch ging er einen Schritt zurück.

,,Als ob Ihr das nicht längst ahnt? Zugegeben ich bin nicht schlecht als Berater vieler dummer Könige." Er holte tief Luft. ,,Mein Name ist Ragran, rechtmäßiger Herrscher von Reako und im Namen des roten Reiches werde ich alle Königinnen und Könige umbringen, die mir im Weg stehen, um mein Land zu beschützen!" Nachdem er den Satz beendet hatte zog er blitzschnell die Hand aus seiner Tasche, in der er inzwischen ein Kleinschwert hielt und setzte Prinz Anron ein Ende.

,,Ihr seid..." Dieser brach den Satz ab und stürzte zu Boden ohne noch ein weiteres Wort von sich zu geben.

,,Ja, der aus den Geschichten. Sie sind wahr." Er wandte sich einen Moment ab, dann machte er aber doch noch einmal auf dem Absatz kehrt. ,,Richtet der Königin der fernen Inseln meine besten Grüße aus, wenn sie hier ankommt. Obwohl, bis dahin werden die Reakaner sie schon dem Erdboden gleich gemacht haben." Düster lächelnd stapfte er davon, wissend, dass er seinem Ziel ein Stück näher gekommen war.

49. Hinter den Mauern von Waldegro

 Lasdaran hockte im Schneidersitz auf einigen ausladenden Halmen Stroh, die im dunklen Kellergewölbe des Schlosses von Waldegro ausgelegt waren. Er blickte zu einer eisernen Gittertür hinaus und wartete ab. Worauf wusste er nach all den Tagen inzwischen selbst nicht mehr so genau. Der Ritter war kaum wiederzuerkennen. Seine Rüstung hatte er gegen einfache Kleidung eingetauscht, wie sie ansonsten sehr niedrig stehende Bauern tragen würden. Das sollte etwas heißen, denn Königin Lorna ließ es für gewöhnlich nicht zu, dass ihr Volk schlechte Kleidung besaß. Vielleicht würde es ihr jetzt egal sein, wo sie selbst ihren eigenen Ritter hinter Gitter sperrte und die Königin von Castero gleich dazu. Vielleicht jetzt, wo sie einen Kampf zwischen zwei in Frieden stehenden Ländern angezettelt hatte, indem sie einen falschen Adler aussandte. Grauenhaft darüber nachzudenken, während man selbst nichts tun konnte. Rein gar nichts.

,,Worüber denkt Ihr nach?", fragte Maimee, die einen Strohhalm in ihrer Hand drehte.

,,Nichts Wichtiges."

,,Das Übliche also." Die Königin musterte Lasdaran. ,,Ihr lasst Euch ziemlich herunterkommen, dafür, dass Ihr ein Ritter der Königsgarde seid."

Er neigte den Hals nach rechts. ,,Das kann man von Euch ja gar nicht behaupten."

Maimees edle, hellgrüne Kleidung war von oben bis unten voller Staub bedeckt, ihr Haar nur noch halb hochgesteckt und ihr Blick verbittert. ,,Danke für das Kompliment."

,,Wenn Lorna wiederkommt, werde ich mit ihr sprechen. Es muss einen Weg geben sie zu überzeugen, was sie für einen gewaltigen Fehler begeht."

,,Sehr lustig." Maimee lachte auf. ,,Ihr glaubt nicht im ernst, dass Ihr eine irre Königin eines Besseren belehren könnt?"

,,Lorna mag momentan irre wirken, aber sie ist nicht so, sie war nicht so und sie wird nie so sein", verteidigte Lasdaran seine Königin.

,,Ehrenhaft von Euch. Die Kleine sollte froh sein Euch zu haben."

,,Geht es wieder um mich? Wann seid ihr es endlich leid über mich zu sprechen?" Lorna war vor die Gittertüre getreten und hatte die Arme vor sich verschränkt.

Lasdaran wandte seinen Blick keine Sekunde zu der Königin.

,,Ich bringe euch gleich etwas zu Essen." Sie beobachtete den Ritter in der Hoffnung, dass er ihr Aufmerksamkeit schenkte.

,,Erwartet nichts von ihm, Hoheit. Ihr seid selbst schuld, dass er Euch verachtet", warf Maimee der Königin vor. ,,Seltsam, dabei verteidigt er Euch immer wieder."

Lorna nahm aus den Augenwinkeln war, wie Lasdaran aufstand.

,,Hoheit...Schließt die Türe auf und setzt dem ein Ende. Ihr seid keine Kriegerin."

Erstaunt wich Lorna zurück. ,,Woher wollt Ihr das wissen? Mein Plan funktioniert hervorragend."

,,Die Stimmen sagen etwas anderes. Ja, hinter den Mauern von Waldegro wird gemunkelt, selbst hier im Keller. Alle haben überlebt und Ihr kommt in Eurer Verzweiflung zu mir, richtig?"

Der Königin von Waldegro fehlten die Worte. ,,Einige haben überlebt, aber nicht alle!"

Lasdaran sah auf. ,,Wow, dann seid Ihr ja eine echte Mörderin geworden."

,,Hört auf mit dieser Ironie!", fauchte Lorna und schlug mit der linken Hand gegen das Gitter.

Maimee unterdrückte ein Lachen, während sich ihre Feindin vor Schmerz die Hand schüttelte.

,,Er hat Euch gesagt die Türe zu öffnen", warf Akaylas Mutter schmunzelnd ein.

,,Haltet die Klappe!", fuhr Lorna die Königin von Castero an. ,,Ich bin keine Mörderin!"

Lasdaran zuckte mit den Schultern. ,,Ansichtssache."

Lorna zog aus ihrem Umhang einen Schlüsselbund hervor. Einen nach dem anderen zählte sie ab, bis sie fündig wurde. Sie schloss die Gittertüre auf und ließ den Schlüssel stecken. ,,Bitte, ich habe die Tür aufgeschlossen. Jetzt zufrieden?!"

Der Ritter machte einige Schritte auf die Königin von Waldegro zu. Diesmal sah er direkt in ihre dunkelbraunen Augen. ,,Ihr versteht wohl nicht, was Zufriedenheit für mich bedeutet. Es bedeutet Frieden. Keine Freiheit...Nur Frieden."

,,Bis vor wenigen Minuten wolltet Ihr noch hier raus. Das habe ich Euch förmlich angesehen", merkte Maimee an.

,,Lorna, hört mir nur dieses eine Mal zu. Euer Land wird untergehen, wenn Ihr so weitermacht. Eure Armee kann gerade mal der von Darlin Stand halten. Einer von Nokard, Leydra und Castero dazu, könntet Ihr nicht schaffen. Nehmt die beiden Länder als Eure Freunde und kämpft gemeinsam gegen Anron. Bitte."

Die Königin senkte den Blick. ,,Sie hassen mich dafür, was ich getan habe." Lorna ließ sich an einer Wand auf den Boden sinken.

,,Warum habt Ihr es überhaupt getan?"

,,Weil ich Angst habe, Lasdaran! Sehr sogar."

Der Ritter ging in die Hocke. ,,Vor Anron und seiner angeblichen Armee? Seid ehrlich, welches Land kann sich ihm anschließen?" Kaum hatte er den Satz beendet, leuchtete ihm die Antwort selbst ein. ,,Reako?"

,,Klar. Diese fürchterlichen Geschwister haben es auf uns alle abgesehen. Sie stecken hinter allen Morden."

,,Das waren Wylland und Asimi...und Imigri, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Ich weiß wie sehr Ihr Yagre und Thogra fürchtet, aber ist das nicht eine sehr große Anschuldigung?"

,,Ihr sagtet selbst, dass Anron keine Armee hat. Woher soll er die sonst nehmen, wenn nicht das rote Reich?!", fuhr Lorna den Ritter erneut an, bevor sie erneut kleinlaut den Kopf senkte. ,,Verzeihung."

,,Mensch, Kind. Euer Selbstmitleid geht sogar mir auf die Nerven", sagte Maimee plötzlich. ,,Hört auf Euren Ritter. Ich werde mit meinem Mann und meiner Tochter reden, dass sie Euch nicht angreifen, sondern als Freund betrachten. Unser Volk habt Ihr eins gerettet. Lasst uns jetzt Euch helfen, aber verschwendet nicht noch mehr Zeit durch unnütze Kämpfe. Tote könnt Ihr Euch genauso wenig leisten, wie wir alle."

Lorna musterte Maimee. Sie glaubte an eine vereinte Armee, nach allem, was Lorna getan hatte. Die Königin baute sich vor der Königin von Castero auf.

Maimee fürchtete Schlimmes, doch Lorna streckte ihr den rechten Arm entgegen und half ihr auf die Beine. ,,Steht auf. Wir haben einen Schlachtplan auszuhandeln."

Akaylas Mutter lächelte.

,,Lasdaran, zieht Eure Rüstung an. Ich brauche Euch an meiner Seite."

,,Wie Ihr wünscht, Hoheit." Der Ritter verbeugte sich und folgte den Regentinnen nach oben.

 

 

Ihr Weg führte sie in den prächtigen Thronsaal von Waldegro. Dieser war mit gelblichen Tüchern an der Decke behangen und bronzene Kronleuchter befanden sich jeweils mit brennenden, weißen Kerzen dazwischen. In der Mitte stand Lornas Thron aus reiner Bronze gefertigt und eingearbeitetem Muster, die einen Eindruck erweckten, als wäre man im Wald unterwegs.

Die Königin stellte sich vor ihren Thron. ,,Während sich Lasdaran umzieht, darf ich Euch ein Kleid von meiner Mutter anbieten? Es ist nicht Eure Farbe, aber nahe dran."

,,Vor allem ist es sauber, also nehme ich es dankend an", antwortete Maimee freundlich.

Lorna klatschte langsam in die Hände. ,,Diener, bringt der Königin doch bitte eines der Kleider meiner Mutter. Anschließend begleitet ihr sie zu mir zurück. Ich habe Wichtiges mit ihr zu besprechen."

Drei Arbeiterinnen traten ein, machten einen Knicks und führten Maimee danach aus dem Thronsaal heraus.

Lorna selbst ging zu einem der Fenster hinüber, die auf der rechten Seite des Thronsaals waren. Darüber hing jeweils ein Schild mit dem Wappen der Familie Nacarranya.

,,Hoheit, verzeiht mein stürmisches Eintreten."

,,Haidran, was gibt es?"

,,Ihr habt Lasdaran freigelassen. Was Euch immer Euch dazu geritten hat...Sei gedankt. Endlich seid Ihr zur Vernunft gekommen", sagte der Ritter vorsichtig. ,,Nun, Ihr wollt einen neuen Schlachtplan aushandeln?"

Lorna nickte. ,,Ja. Ihr kennt mich wirklich gut, Haidran. Wir vereinen unsere Armeen."

,,Königin Maimee will sich mit Euch vereinen? Seid Ihr sicher, dass sie es ernst meint?"

,,Ich kann nicht jedem misstrauen", erwiderte Lorna prompt und rieb ihre leicht verletzte Hand.

,,Ihr solltet aber etwas wissen." 

Entgeistert sah sie Haidran an.

,,Hoheit, ein Schneesturm wütet derzeit an der Grenze von uns zu Castero. Ihr könnt nicht rüber."

50. Fünfzig Schiffe

  Auf dem tosenden Meer, viele Meilen von Reako entfernt, fuhr eine ganze Ansammlung an Schiffen. Einige trugen das rote Wappen der Geschwister von Reako auf ihren Segeln, andere jenes der Floghlai Mara. An den Steuerrädern befanden sich ausschließlich bedrohlich aussehende Kämpfer, die mancherlei Feind aus den Grauwäldern bekannt vorkamen. Das vorderste Schiff, in grau, wurde von Yagre und Thogra besetzt, die lautstark über ihr weiteres Vorgehen sprachen. Die beiden befanden sich unter Deck, waren aber trotzdem bis auf den Ausguck zu hören. Einer der Krieger verdrehte die Augen, während er auf einem Hähnchenkeule kaute und den Königen lauschte.

,,Yagre, dir ist bewusst, dass wir von hier aus rein gar nichts tun können, oder?"

,,Du irrst dich, Schwesterherz. Das können wir sehr wohl." Erneut donnerte Yagres Faust auf den Tisch, welcher sich zwischen ihnen befand. Sein Becher verlor das Gleichgewicht und rollte von der Fläche. Mit einem Klappern landete dieser auf dem Holzboden.

,,Dein Plan ist riskant. Wir könnten alle draufgehen!"

Yagre verlor die Kontrolle über sich. Wütend ging er um den Tisch herum und packte Thogra an der Kehle. ,,Wir holen den anderen Teil unserer Armee zurück, der uns vor Jahren genommen wurde, egal wie schlecht das Wetter ist!"

,,Du befiehlst mir gar nichts!"

,,Doch, da ich älter bin, als du!" Er löste seine Hand von ihrem Hals.

,,Die halbe Truppe oder sogar noch mehr, wird auch meinen Befehl hören! Ich werde sie mir schnappen und umkehren!"

Ihr Bruder zog sein Schwert und richtete es auf sie. ,,Tu das, wenn es dich glücklich macht! Meine Anhänger werden die Schiffe behalten und euch von Bord werfen. Ihr könnt zurück schwimmen, wenn ihr es schafft."

,,Sei kein Bierfass, Yagre! Ein Teil der Schiffe gehört auch mir!"

,,Die Krieger werden sich wohl kaum für dich entscheiden", lenkte er sofort ein."

Thogra zog ihren Degen hervor. ,,Das werden wir ja sehen. Ich bringe sie wenigstens nicht zu den fernen Inseln, wo unser halbes Land noch sein könnte...Es ist ertrunken, gestorben, wie dein Verstand!"

Yagre holte mit dem Schwert aus, seine Schwester konterte eilig mit dem Degen. Es gab ein leises Klirren.

,,Mein Verstand funktioniert sehr gut. Sobald ich die fernen Inseln erst unter mein Kommando genommen habe, gehört mir auch der restliche Teil von Lornas Land. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis ich auch sie stürze!"

,,Träumen ist ja nicht verboten", sagte Thogra grinsend. Sie glaubte an keinen Erfolg ihres Bruders, seitdem dieser sich von einem Kind hatte besiegen lassen. ,,Du kannst froh sein, wenn dich die Überlebenden, sofern es welche gibt, nicht vernichten. Es ist Jahre her, dass die Drachen gegen die Wölfe kämpften. Ragran ist seit einer Ewigkeit tot."

,,Ich habe dir gesagt, dass ich ihn am Leben vermute!" Yagre holte erneut mit seiner Waffe aus, verfehlte erneut sein Ziel. ,,Nimm deine Anhänger und verschwinde!"

,,Das werde ich!", entgegnete Thogra zornig.

,,Eines noch. Ich kann dir versprechen, sollten wir uns eines Tages wiedersehen, bist du selbst vor mir nicht sicher."

Thogra funkelte ihren Bruder böse an. ,,Das kannst auch du von mir erwarten."

 König Yagre war sich seiner Sache ziemlich sicher, wie der Besitzer, dem einst dieses Schiff gehörte, denn er war es, der fünfzig Schiffe besaß.

 

 

Fortsetzung folgt...

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Tag der Veröffentlichung: 01.10.2016

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