Cover

Unerwarteter Besuch


Maddies Sicht:

Mittlerweile war schon eine Woche vergangen, seit er sich das letzte Mal gemeldet hatte. Ich vermisste ihn. Doch ich wollte ihm nicht schreiben, ich war zu stur. Außerdem, dachte ich, dass es schwach wäre, mich der Versuchung hinzugeben. Ich wollte nicht schwach sein. Er war derjenige der einen Fehler gemacht hatte, nicht ich. Also sollte er auch derjenige sein, der sich bei mir entschuldigte. Nicht umgekehrt. Warum sollte ich ihm nachlaufen? Wieder einmal? Um sein Ego noch weiter zu stärken? Nein, sicher nicht, nicht mit mir. Ich hatte es wirklich satt. Am besten wäre es doch, ihn gleich zu vergessen, mit ihm abzuschließen aus meinem Leben zu verbannen, diesen arroganten, egoistischen…

Durch das Klingeln des Telefons wurde ich aus meiner Gedankenwelt gerissen. Schnell sprang ich aus dem Bett, stürmte aus der Tür, fiel dabei fast über meine eigenen Beine und rannte letztendlich gekonnt und doch noch ohne hinzufallen, die Treppe hinunter. Ich ging die letzten paar Schritte, ein wenig aus der Puste, zum Hörer, und nahm ab.
„Hallo?“
Ein kurzes Rauschen war zu hören, danach tönte mir die helle Stimme meiner besten Freundin Lina entgegen.
„Hey, ich bin‘s Lina. Hast du Zeit?“
Ich kniff die Augen zusammen und fragte sie warum.
Zeit hatte ich, doch die Frage war, wofür. Manchmal hatte ich keine Lust auf Linas ausgeflippte Ideen und genau heute war wieder einmal einer dieser Tage.
„Das wirst du schon sehen. Also, hast du?“, drängte sie aufgeregt.
„Ja, schon. Aber ich bin echt mies drauf Lina. Tut mir leid, aber ich möchte heute zu Hause bleiben. Kann das nicht bis morgen warten?“
Sie stöhnte auf.
„Maddy, verdammt. Du hast schon die ganze Woche schlechte Laune und das nur wegen diesem Arschloch von Noah. Es wird Zeit dass du wieder rauskommst und nicht den ganzen Tag zuhause sitzt und Trübsal bläst. Das bringt doch nichts! Ich bitte dich.“
Ich zögerte immer noch. Was konnte es denn so wichtiges sein, dass es unbedingt jetzt sein musste? Vielleicht hatte sie recht und ich sollte etwas unternehmen. Schlimmeres als sich den ganzen Tag zu langweilen und an den Streit mit Noah zu denken gab es ja kaum.
„Ja, okay. Ich mach mich noch eben fertig, du kannst in zehn Minuten vorbei kommen“, gab ich schließlich nach.
Ich wusste, dass Lina genau in diesem Moment einen Freudensprung machte. Ich hörte sie noch kurz lachen, bevor sie „bis gleich“ sagte und auflegte.

Um rechtzeitig fertig zu sein, sprintete ich wieder die Treppe hoch und zurück in mein Zimmer. Mit einem Ruck öffnete ich die Tür meines Kleiderschrankes, schon kam mir ein Stapel Klamotten entgegen und fiel mir ins Gesicht.
„Fuck“, schrie ich kurz auf.
Mit der Ordnung in meinem Schrank hatte ich es wirklich nicht so. Da mir das schon zum dritten Mal in den letzten paar Tagen passierte, nahm ich mir vor, bald alles zu sortieren und auszumisten. Schließlich wollte ich nicht jedes Mal, wenn ich etwas herausnahm, einen Stapel Kleidung auf meinem Kopf zu spüren bekommen. Ich überlegte nicht lange, was ich anziehen sollte und entschied mich für eine enge, schwarze Röhrenjeans und einen dunkelroten Pulli mit dreiviertel Ärmeln. Danach ging ich ins Bad, nahm meine Bürste zur Hand und kämmte meine Haare, die strubblig in alle Richtungen abstanden, da ich sie heute noch nicht gebürstet hatte und sie vom Schlafen noch etwas durcheinander waren. Schnell putzte ich meine Zähne und trug danach etwas Puder und Wimperntusche auf. Mehr brauchte ich nicht. Ich ging zurück in mein Zimmer, steckte etwas Geld und mein Handy ein, bevor ich hinunter rannte, um mir meine schwarzen Vans anzuziehen. Mit einem schnellen Blick auf die Uhr, die an der Wand hing, bemerkte ich, dass Lina gleich da sein würde. Also prüfte ich noch eben mein Aussehen im Spiegel, als es auch schon an der Tür klingelte.
„Ich komme“, schrie ich.
Mit einem Lächeln auf den Lippen, öffnete ich die Tür und wollte meiner besten Freundin entgegenspringen, als ich bemerkte, dass es gar nicht Lina war. Meine Augen weiteten sich und ich begann zu zittern.
„W-was machst DU denn hier?“, fragte ich erstarrt und mit piepsiger Stimme.
Mit einem dreckigen Grinsen und einem kalten Blick kam er mir entgegen. Ich wollte die Tür zuschlagen, doch er war schneller und stellte seinen Fuß zwischen Tür und Türstock.
„Lass mich in Ruhe!“
Meine Stimme war voller Wut. Ich hatte Angst, große Angst, doch meine Wut war stärker, größer.
„Warum sollte ich?“, fragte er mich belustigt. „Hast du nicht auch Lust auf ein bisschen Spaß?“
Er kam auf mich zu, trat einfach ein und schloss die Tür hinter sich. Ich wich zurück, da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte. Ich war vollkommen perplex.
„J-Jean, bitte nicht“, stotterte ich. „Lina wird gleich hier sein“, fügte ich piepsig hinzu.
Er lachte bitter. Seine eiskalten blauen Augen richteten sich auf mich. Er hatte sich kein bisschen verändert, nur seine Haare waren ein klein wenig länger. Aber sonst, war er genau derselbe wie auch damals, als wir uns kennengelernt haben. Nur ein noch größerer Mistkerl. Mittlerweile stand ich mit dem Rücken zur Wand, es gab keinen Fluchtweg. Jean kam auf mich zu und presste mir seine linke Hand auf den Hals. Mit seinem Daumen drückte er auf meinen Kehlkopf, sodass ich für einen kurzen Moment keine Luft bekam. Es dauerte einige Sekunden bis er den Druck etwas lockerte und ich halbwegs normal weiteratmen konnte. Als er sprach, war seine Stimme ohne jegliche Emotionen, was mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ.
„Lina“, begann er und wartete daraufhin einige Sekunden bis er weitersprach, „wird nicht kommen, Kleine. Auf die kannst du lange warten. Deine Eltern sind bis sieben Uhr arbeiten. Er schaute auf seine Uhr. Wie du wahrscheinlich weißt, ist es kurz nach halb drei. Pech für dich, Süße“
Er grinste.
„Lass und ein bisschen Spaß haben.“
Wie konnte ich diesen Typen jemals geliebt und gern in meiner Nähe gehabt haben?
Als wir uns kennenlernten, war er der süßeste Junge, dem ich jemals begegnet war. Er hatte mich immer liebevoll mit seinen eisblauen Augen angesehen, die damals noch funkelten, vor allem wenn er mit mir redete. Alle meine Freunde meinten, dass er in mich verliebt wäre. Ich konnte es nicht glauben, bis er es mir eines Tages selbst gesagt hatte. Mit ihm war alles perfekt, bis zu diesem einen Tag, an dem..
Plötzlich fuhr ein heftiger Schmerz durch meine Backe. Dieses Arschloch hatte mir eine Ohrfeige verpasst. Ich starrte ihn an, mein Hass gegen ihn steigerte sich mit jeder Sekunde.
„Verpiss dich von hier, verpiss dich einfach. Was willst du noch von mir? Hast du nicht schon das, was du immer wolltest? Hat das noch nicht gereicht? Ich hasse dich so sehr, oh Gott und wie ich dich hasse. Lass mich einfach in Ruhe, du verdammter Mistkerl“, spie ich ihm entgegen.
Es nützte nichts, ich konnte sagen, was ich wollte. Jean blieb unbeeindruckt, er grinste sogar noch dreckiger. Plötzlich sah ich in seinen Augen etwas aufblitzen und mich durchzuckte ein heftiger Schmerz. Für einen Augenblick sahen seine Augen genauso aus wie damals. Nun lockerte er seinen Griff um meinen Hals und legte seine Hand an meine Wange. Was sollte das denn jetzt? Ich blickte ihn entgeistert an.
„Maddy.“
Seine Stimme klang sanft.
„Maddy, ich liebe dich.“
Ich blinzelte ein paar Mal und fragte mich, ob das hier gerade real war oder ob ich mir das alles nur einbildete. Im nächsten Moment schon, lagen seine Lippen auf meinen. Zärtlich strich er durch meine langen Haare und legte mir dann seine Hand in den Nacken. Ich konnte nicht fassen, was hier gerade passierte. Wahrscheinlich machte er das nur, um mich rumzukriegen. Mit aller Kraft drückte ich ihn von mir weg und schlug auf seine Brust ein.
„Was soll das verdammte Scheiße? Warum machst du das?“
Jean blickte mich an. Seine Augen waren wieder eiskalt und das Grinsen, das ich so an ihm hasste und ihm am liebsten aus der Visage prügeln würde, kehrte zurück.
„Hast mich also durchschaut, Kleine. Bist wohl doch nicht so naiv, wie ich gedacht habe. Schade eigentlich, aber so macht es auch Spaß.“
Er packte mich so fest am Arm, dass ich aufschrie.
„Halt deine Klappe“, drohte er mir.
Ich versuchte mich zu wehren, doch ich musste einsehen, dass es nichts nützte.
„Wenn du nicht sofort still hältst, verpass ich dir gleich nochmal eine.“
Vergeblich hoffte ich, dass er Lina nichts angetan hatte und sie kam um mir zu helfen. Meine beste Freundin hatte den schwarzen Gürtel in Karate und mich somit schon mehrmals aus brenzligen Situationen gerettet. Nur noch einmal versuchte ich mich zu wehren und schlug wie verrückt auf ihn ein, um mich aus seinem Griff zu befreien. Plötzlich spürte ich einen heftigen Schlag gegen meine Schläfe und ich wusste, dass es doch keine so gute Idee gewesen war. Ziemlich schnell sackte ich zusammen und verlor das Bewusstsein.

 

 

Drohungen


Jeans Sicht:

Jetzt versuchte die Göre schon wieder zu flüchten. Merkte sie denn nicht, dass sie keine Chance gegen mich hatte? Um sie nicht dauernd stillhalten zu müssen, verpasste ich ihr kurz und knapp einen Schlag gegen ihre rechte Schläfe. Sie blickte mich noch kurz an, bevor ihre Augenlider flatterten und sie zusammensackte. Damit sie nicht auf den Boden knallte und sich verletzte, fing ich sie mit meinen Armen auf. Ich drückte Maddy an meine Brust und musterte ihr Gesicht.
„Tut mir leid, aber das musste sein“, sagte ich, obwohl sie mich sowieso nicht hören konnte.
Da ich mich gut in ihrem Haus auskannte, ging ich schnurstracks die Treppe hoch, öffnete die Tür zu ihrem Zimmer und legte sie auf ihr großes Bett. Wo sollte ich anfangen? Ich musste unbedingt diese verdammte Kette finden, die ich ihr damals, vor etwa einem Jahr, geschenkt hatte. Ohne lange nachzudenken, öffnete ich eine Schublade nach der anderen und durchwühlte dann ihren Kleiderschrank. Als ich die linke Tür öffnete viel mir ein Stapel Klamotten entgegen. 
„Kann die nicht mal aufräumen, verdammt?“, schimpfte ich.
„Immer noch so ein Chaot wie früher.“
Ich musste an unsere gemeinsame Zeit denken, doch schon nach weniger Sekunden lenkte ich meine Gedanken wieder zu meiner tatsächlichen Aufgabe. Eine halbe Stunde später war ich kurz vorm verzweifeln. Vielleicht sollte ich versuchen, Maddy wieder wachzubekommen und sie zu erpressen. Wenn sie Angst hatte, und das hatte sie wirklich, wie ich vorhin schon bemerkt hatte, würde sie bestimmt mit der Sprache rausrücken. Also stellte ich mich neben sie ans Bett und schüttelte sie. Als sie sich nicht rührte, schrie ich sie an. Hoffentlich hatte ich sie nicht zu hart getroffen. Ich hatte nicht ewig Zeit, also gab ich ihr wie unten schon, eine Ohrfeige. Diesmal auf die andere Seite. 
„Wach doch auf, Mann.“ 
Ich wurde wütend. An das was passieren würde, wenn ich meinem Vater die Kette nicht brachte, wollte ich gar nicht denken. Plötzlich hörte ich ein Stöhnen neben mir, Maddy wachte auf.
„Was zum..?“, fragte sie verwirrt.
„Wo bin ich?“
Ging doch, dachte ich. Langsam beugte ich meinen Kopf über ihr Gesicht und schaute sie durchdringlich an. Augenblicklich fing sie an zu schreien und mit ihren Händen und Füßen um sich zu schlagen. Maddy rückte weg von mir, zur anderen Bettseite. In ihre Augen schlich sich ein ängstlicher Ausdruck und sie begann leicht zu zittern, doch ich merkte, wie sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Leider gescheitert. Um zu verdeutlichen, dass ich ihr nichts tun wollte, hob ich meine Hände in die Luft. Ich legte meinen Kopf zur Seite.
„Wo ist die Kette?“, fragte ich drängend.
Ihre Augen weiteten sich.
„Was für eine Kette? Was willst du von mir? Geh weg Jean.“
Ich seufzte.
„Die Kette, die du von MIR hast. Was denn sonst?“ Er stoppte kurz. „Stellst du dich nur so, oder bist du wirklich so hohl, dass du dich nicht mehr daran erinnern kannst?“
Anscheinend konnte sie immer noch nicht fassen, was hier geschah.
„Ich habe deine Kette nicht mehr“, antwortete sie schnell. 
Ihre nächsten Worte, konnte ich kaum mehr hören, da sie so leise sprach.
„Ich hab sie weggeworfen.“
Schneller als sie reagieren konnte, schnappte ich mir ihren Arm und zog sie zu mir.
Mit meiner rechten Hand, packte ich ihr Kinn und drehte ihren Kopf so, dass sie mir in die Augen blicken musste.
„T-Tu mir ni-chtt-s“, bettelte sie. 
Ich merkte, wie sie sich vor Angst fast in die Hose machte. So war es richtig.
„DU HAST WAS?“, zischte ich ganz langsam und bedrohlich um ihr klar zu machen, wie ernst ich es meinte. 
„Spinnst du? Sag mir jetzt sofort wo die Kette ist oder du wirst was erleben.“
Sie schwieg und starrte mich an.
Leerer Blick.
Emotionslos.
„Ich hasse dich.“
Ich grinste. 
„Süß. Jetzt sag mir wo die Kette ist und schieb dir deinen Hass sonst wohin. Ich hab keine Zeit für sowas. Maddy wollte ihren Blick abwenden, doch das ließ ich nicht zu. Ganz kurz verstärkte ich den Druck auf ihren Kieferknochen, sodass ihre Augen ruckartig zurückwanderten. Ich bemerkte wie sich Tränen in ihren Augenwinkeln bildeten, doch sie versuchte verzweifelt diese zurückzuhalten. Es gelang ihr nicht, eine Träne rann über ihre Wange und bis zum Kinn. Meine Güte, jetzt fing die auch noch an zu flennen. Was kam denn noch alles? Ich blickte sie an und versuchte einen sanften Ausdruck in meine Augen zu legen.
„Lass das“, murmelte sie.
„Warum?“, fragte ich sie belustigt.
Maddy schluckte und atmete tief ein. Sie schrie. Und das so laut, dass ich kurz zusammenzuckte.
„Ich hab das beschissene Schmuckstück schon seit einem halben Jahr nicht mehr. Hol es dir doch aus der Mülltonne wenn du es unbedingt brauchst, du scheiß Wichser. Von mir bekommst du gar nichts du minderbemittelter, arroganter Scheißkerl. Stirb einfach, stirb!“
Süß wie sie sich aufregte. Doch das interessierte mich herzlich wenig. Ich musste lachen und bemerkte an ihrem verdatterten Blick wie sehr sie diese Reaktion verwirrte. Meine Hand wanderte zu ihrem Hals und ich drückte zu. Maddys Augen weiteten sich und somit wusste ich, dass sie keine Luft bekam. Also ließ ich meine Finger noch etwas verweilen, bevor ich sie lockerte. Schließlich wollte ich sie nicht ernsthaft verletzen.
„Hör mir jetzt ganz genau zu“, schärfte ich ihr ein. „Entweder du sagst mir SOFORT wo die Kette ist oder bringst sie mir in 2 Tagen zu einem Treffpunkt, den wir noch vereinbaren werden. Wenn nicht“, ich stoppte um meine Worte zu verdeutlichen, „wird einem Menschen, der dir sehr viel bedeutet, etwas zustoßen. Also überleg es dir gut, die Wahl liegt bei dir.“
Ich drückte meine Finger nochmals zusammen, um den Worten Nachdruck zu verleihen. Danach stürmte ich die Treppe runter und hinaus auf die Straße. Bevor ich die Haustür hinter mir schloss, hörte ich, wie Maddy in ihrem Zimmer mit einem lauten Schluchzer zusammenbrach.

Erinnerungen

 

Maddies Sicht:

Jean blickte mich noch einmal eiskalt an, bevor er auf dem Absatz kehrt machte und mich alleine lies. Ich konnte mich gerade noch so halten, doch ich wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde. Noch bevor die Haustür ins Schloss fiel, brach ich zusammen. Er musste es gehört haben. Obwohl ich ihn nie wieder sehen wollte und über alles hasste, da er die Schuld an meinen damaligen Depressionen trug, wünschte ich mir er würde zurück kommen und mich in den Arm nehmen. Sich für alles entschuldigen. Natürlich würde ich ihm nicht vergeben, keinesfalls. Doch ich brauchte jetzt jemanden. Jemanden, der mich kannte und mich in meinen schwächsten Momenten erlebt hatte, denn so einen Moment durchlebte ich gerade.

Meine Arm schmerzte, mein Hals schmerzte, meine Wangen ebenfalls. Am meisten jedoch brannte meine Seele. Wie konnte er mir das nur antun? Innerhalb kürzester Zeit hatte er alle Erinnerungen mehrerer Monate wieder hervorgerufen. Erinnerungen, die ich mit aller Kraft verdrängt hatte. Beinahe dachte ich, mir die Seele aus dem Leib zu kreischen. Egal wie sehr mein Hals bereits schmerzte, das bisschen würde er schon noch aushalten. Denn ich konnte nicht anders. Ich musste all meine Gefühle aus mir herausschreien. Meine Wut, den Hass, die Angst und vor allem die Trauer. Nach gefühlten zehn Minuten drang kein Laut mehr aus meiner Kehle. Erschöpfung und Müdigkeit fielen über mich her und ich schlief noch im selben Augenblick, indem ich dies realisierte, auf meinem Zimmerfußboden, ein.

Rettung

Maddies Sicht:

Ich bemerkte wie ich wild durchgerüttelt wurde. Langsam drang eine mir sehr bekannte Stimme an mein Ohr, die meinen Namen schrie. 
"Maddy! Wach auf, was ist passiert?"
Plötzlich riss ich meine Augen auf, da ich bemerkte, wer da neben mir kniete. Es war Noah. Ich blickte ihn verdattert an, sein Blick war sehr besorgt. Ein kurzer Wärmestoß fuhr durch meinen Körper und ich bemerkte, wie ich ganz kribbelig wurde. Doch schlagartig kamen die Erinnerungen an das eben Geschehe hoch und ich musste erneut meine Tränen zurückhalten, was ich diesmal auch schaffte. Ich fiel Noah um den Hals und schmiegte meinen Kopf an seine Brust. Es tat so gut ihm wieder nahe zu sein und ich war überglücklich, dass er gekommen ist. Ich war noch zu schwach um zu sprechen, doch das übernahm er fürs erste.
"Maddy, Liebes. Gehts dir gut? Es tut mir so leid, dass ich mich nicht gemeldet habe. Du weißt doch, wie stur ich bin. Es tut mir wirklich leid für mein Arschloch-mäßiges Verhalten, ich hätte.."
Ich legte einen Finger an seine Lippen.
"Nicht", flüsterte ich.
Wenn er mir jetzt sein Herz ausschüttete, würde ich garantiert zu weinen beginnen, doch das wollte ich nicht, nicht schon wieder. Ich wollte einfach in seinen Armen liegen und seine Nähe genießen. Wenn ich dazu bereit bin, werde ich ihm alles erzählen. Die angenehme Stille dauerte jedoch nicht lange an, da er meine Haare zur Seite strich und seine Augen aufriss. Ein entsetzer Ausdruck machte sich in ihnen breit.
"Was ist das Maddy? Wer hat dir das angetan?"
Er klang ziemlich wütend. Ich schluckte. Sollte ich ihm wirklich erzählen, was passiert war? Noah würde ausrasten, bestimmt übereilt handeln, meinen Ex aufsuchen und ihn zusammenschlagen. Was nicht gut ausgehen würde, da Jean viel stärker und brutaler war als Noah. Daran wollte ich gar nicht denken, deshalb verdrängte ich diesen Gedanken sofort wieder. Da ich meinen Freund nicht anlügen wollte, rückte ich vorsichtig mit der Wahrheit heraus.
"Bitte sei nicht sauer. Du kannst dich doch bestimmt noch an Jean erinnern, nicht?"
Ich bemerkte wie er sich verkrampfte und so wendete ich meinen Blick von ihm ab.
"Ja",knurrte er.
Augenblicklich bereute ich seinen Namen erwähnt zu haben. Doch da ich schon begonnen hatte, musste ich zu Ende erzählen, ein zurück gab es nicht mehr, da ich ziemlich schlecht im Ausreden erfinden war.
"Lina wollte vorbei kommen. Und als es geklingelt hat, hab ich einfach aufgemacht, ohne nachzusehen, wer an der Tür ist. Ich hatte einen riesen Schock als ich anstatt meiner besten Freunden, Jean erblickte", sprach ich weiter. 
Nun begann ich wirklich zu zittern.
"E-er-rr", stotterte ich, "er hat mich bedroht und mi-chh gewürgt."
Zaghaft zeigte ich auf die Abdrücke an meinem Hals, die er eben bemerkt hatte.
"Er wollte d-di-ese Kette von mir. Jean hat gesagt, dass wenn ich ihm die Kette nicht in spätestens zwei Tagen bringen würde, er einer geliebten Person etwas antun würde."
Ich stockte. Dann sprach ich ganz leise weiter.
"Ich hab Angst, Noah. Bitte hilf mir. Ich hab s-so Angst."
Ruckartig stand er auf und lies mich alleine sitzen. Mit meinem Handrücken fuhr ich über meine Augen, um die kleine Träne, die sich aus meinem Augenwinkel stahl, zu trocknen. Als ich auf meine Hand starrte, bemerkte ich, dass sie ganz verschmiert war. Wie ich aussehen musste.
Noah verkrampfte sich. Die Sehnen an seinem Hals, sowie an seinen Armen traten heraus. Ebenso wurden seine Fingerknöchel ganz weiß, da er seine Fäußte mit aller Kraft zusammenpresste. 
"Dieser scheiß Wichser. Ich bring ihn um, ich bring ihn sowas von um", schrie er.
Ich zuckte zusammen. So laut wurde er selten.
"Noah, lass das", versuchte ich ihn zu beruhigen.
"Bitte", flüsterte ich.
Das war die wahrlich am wenigsten benötigte Reaktion, doch er schien mich gar nicht zu hören. Er sah mich durchdringlich an, seine Gesichtsfarbe verwandelte sich ins Rötliche. 
"Nein, ich lass es nicht, verdammt!"
Um seine Worte zu verdeutlichen, warf er seine Hände in die Luft.
"Dieser dreckige Mistkerl hat dich angefasst, schon wieder. Er ist Schuld an all den schlimmen Dingen, die du durchlebt hast. Ich hasse ihn abgrundtief. Ich mach ihm das Leben zur Hölle. Dich bekommt er nicht, niemals. Das lass ich nicht zu. Und selbst wenn ich mein Leben dafür geben muss, ich werde dich beschützen. SCHEIßE VERDAMMT."
Je näher er dem Ende kam, desto lauter wurde er. Ich hasste es, wenn er so wütend war. 
"Schatz, ich schaff das, okay? Vertrau mir."
Wenn ich Noah da reinziehen würde, würde Jean ihm bestimmt auch etwas antun. Das konnte ich nicht zulassen, ich musste das alleine schaffen. Ich musste ihm einfach die Kette bringen. Er würde mich schon nicht töten, dachte ich. Noah sagte gar nichts dazu. Jedoch kam er auf mich zu und nahm mich wieder in den Arm. Anscheinend hatte er sich beruhigt. Sanft strich er über meine Haare und legte sein Kinn an meinen Kopf.
"Ich werde dich beschützen."
Bei diesen Worten musste ich innerlich lächeln. 
"Ich liebe dich."
Ich wandte meinen Kopf zu ihm und blickte ihm tief in die Augen. Sie waren voller Sorge aber vor allem voller Liebe.
"Ich dich auch", sagte ich und lies mich wieder in seine Arme fallen.

Zeitdruck

Jeans Sicht:
Ich schmiss die Tür mit einem lauten Knall hinter mir zu und ging mit verkrampften Händen und schnellen Schritten die Straße hinunter. Ich war sauer, so verdammt sauer. Genervt fuhr ich durch meine Haare und schlug gegen eine Hauswand. Wieder einmal hatte ich es verbockt, anscheinend war ich wirklich nicht kalt genug, wie mein Dad immer sagte. Aber ich würde mir die Kette holen, darauf konnte Maddy sich gefasst machen. Denn wenn Dad etwas wollte, würde er es auch bekommen. Und wenn ich das in seinem Auftrag erledigen musste, würde ich es tun. Maddy wollte ich zwar nicht mit reinziehen, denn ich war nicht der Typ Mensch, der alles und jeden ohne jegliche Gewissensbisse verletzte, egal ob körperlich oder seelisch, aber was sein musste, musste sein. Als ich mich halbwegs beruhigt hatte, ging ich eilig weiter. Ich schnappte mir meine Zigarettenschachtel, nahm eine heraus und wollte sie mir anzünden. Tat immer gut nach so einer nervenaufreibenden Situation. Doch plötzlich klingelte mein Handy, also holte ich es schnell aus meiner Hosentasche und drückte auf annehmen.
"Hallo?", meldete ich mich sofort zu Wort.
Es war Dad, wer auch sonst. Ich verdrehte die Augen, ich hätte ich kotzen können. Auf seine aufdringliche und hochnäsige Art hatte ich nun wirklich keine Lust.
"Hast du sie?", fuhr er mich an.
"Nein, ich brauch Zeit."
Ich wusste zwar, dass er jetzt ausrasten würde, aber das war mir egal. Nach Hause würde ich sowieso nicht kommen und auflegen konnte ich jederzeit. Außerdem hatte er mir nicht mehr lange etwas zu sagen, ich war fast 18. Seine Stimme wurde laut.
"Zeit? Ich hab dir gesagt ich will die Kette JETZT!"
Konnte der nicht einmal abchillen? Warum er die jetzt überhaupt wiederhaben wollte, nach über einem Jahr. Mum hatte sie mir damals geschenkt, kurz bevor sie gestorben war und jetzt wollte er die Kette seiner neuen Schlampe Victoria schenken. Ich hasste sie genau so sehr wie ihn. Aber was solls. Ich wollte die Kette zwar nicht hergeben, da sie mich an meine Mum erinnerte, aber er hatte gesagt, dass wenn ich sie ihm nicht bringen würde, er sie sich selbst holen würde und das wollte ich wiederrum auch nicht. Also musste ich sie wohl oder übel für ihn holen. Ich war mir ziemlich sicher, dass Maddy mich angelogen hatte, was die Kette anging. So etwas Wertvolles würde sie nicht wegschmeißen. Wenn doch, tja, dann würde ich mir schon noch etwas einfallen lassen.
"Dad, ich hab jetzt keine Zeit für sowas. Ich bring dir die Kette am Samstag, also mach keinen Stress. Ciao."
Ich legte einfach auf, ich hatte keine Lust auf ein Gespräch mit ihm. Endlich konnte ich meine Zigarette rauchen also schnappte ich mir mein Feuerzeug, auf dem sich übringens ein Totenkopf befand, und zündete sie an. Nach einem tiefen Lungenzug und dem daraufhin ausgeblasenen Rauch fühlte ich mich gleich viel besser. Da ich nicht wusste, wie spät es war, schaute ich hinunter auf meine Armbanduhr. 18:16 Uhr. Ich überlegte was ich heute noch machen könnte, denn vor hatte ich nichts. Ich zog an meiner Zigarette und schnappte mir noch einmal mein Handy. Daraufhin entsperrte ich es und wählte die Nummer von einem Kumpel. Er nahm sofort an.
"Hey Alter", begrüßte ich ihn.
"Lust heute feiern zu gehen und ein paar Mädels klarzumachen?"
Er lachte und war sofort einverstanden. Wir hatten einfach dieselben Interessen und so ein bisschen Ablenkung für den Abend würde auch ganz gut tun. 
"Ich komm dann bei dir vorbei, okay?"
Immerhin musste ich noch duschen und mich frisch machen. Andernfalls würde mir doch niemand zugehen. Obwohl, doch. Ich wusste genau worauf die Mädchen standen und mit meinem Aussehen bekam ich sowieso fast jede rum. Meine Zigarette brannte aus, also schmiss ich sie auf den Boden und grinste.

Kein Glück

Jeans Sicht:
Mittlerweile war es 21:00 Uhr, ich war fertig geduscht und gestylt. Mit meiner schwarzen Röhrenjeans, dem weißen, enganliegenden T-Shirt und meinen roten Nikes sah ich echt gut aus. Ein bisschen arrogant, ich weiß, aber wenn man Bestätigung für sein Aussehen bekommt, dann ist das eben so. Meine schwarzen Haare hatte ich mit Gel in die perfekte Form gebracht. Nun trug ich noch Parfum auf und fertig war ich. 
"Können wir gehen?", fragte mich Lukas.
Er konnte es kaum erwarten sich eine zu schnappen. So gut ich es als Junge beurteilen konnte, sah er ebenfalls nicht schlecht aus. Seine Augen hatten fast die gleiche Farbe wie meine, blau, nur ein bisschen dunkler waren sie. Der größte Unterschied waren wohl unsere Haare, während meine tiefschwarz waren, hatte er blonde.
"Wir können."
Ich grinste, denn ich war bereit um auf Mädchenjagd zu gehen.

15 Minuten später
Mit einem Ruck öffnete ich die Tür des Clubs, sofort kam einem die stickige Luft, die drinnen herrschte, entgegen. Es war schon ziemlich voll, doch das war nur von Vorteil für uns beide. Je mehr Menschen, desto mehr heiße Mädchen. Lukas machte den Vorschlag, sofort etwas zu trinken zu holen, natürlich war ich damit einverstanden. Ich ging durch die Menge und schaute mich um, doch mein Blick blieb nicht lange an jemandem hängen. Die sahen alle miteinander nicht sehr besonders aus, niemand der mir ins Auge stach oder der mir länger als zwei Sekunden in Erinnerung blieb. Doch plötzlich bemerkte ich, dass ein Blick an mir haftete. Also drehte ich mich in ihre Richtung und wir sahen uns direkt in die Augen. Ich fuhr durch meine Haare und grinste ihr zu. Sie sah echt heiß aus, mit ihren schulterlangen braunen Haaren und dem engen Top, das sie trug. Auf die Entfernung konnte ich ihre Augenfarbe natürlich nicht ausmachen, aber ich glaubte, dass sie braun waren. Auf jeden Fall blitzte etwas in ihren Augen und das machte sie sehr interessant. Schnurstracks ging ich auf sie zu.
"Hey, du. Du hast wunderschöne Augen, da musste ich mal einen genaueren Blick drauf werfen", meinte ich und zwinkerte ihr dabei zu. 
Komplimente klappten so gut wie immer. Vor allem eines wie, "du hast schöne Augen" oder "deine Haare sehen toll aus."
Doch eines störte mich. Aus der Nähe sah sie gar nicht mehr so hübsch aus.
"Scheiße", dachte ich nur. 
Doch so richtig erschrak ich erst, als sie den Mund aufmachte. Ihre Zähne waren total schief und stummelig und ihre Stimme war tief. Sehr tief, wie die eines Mannes.
"Danke. Du siehst gut aus."
Sie lächelte mich an. Angesprungen war sie ja schon mal, aber wenn ich ehrlich sein sollte, wollte ich sie nur noch loswerden. Als sie mir gefährlich nahe kam, wich ich zurück und machte auf dem Absatz kehrt. Schnell verschwand ich in der Menge. Die sah ja aus wie eine Vogelscheuche. Um zu überspielen, dass mir das eben peinlich gewesen war, hob ich meinen Kopf in die Höhe um möglichst selbstsicher zu wirken. Was ich natürlich auch war, doch für einen kurzen Augenblick war ich wirklich entsetzt gewesen, an was ich da geraten war. 
Ich drängte mich durch die Menge und suchte Lukas. Es wurde echt Zeit, dass ich mal etwas zu trinken bekam. Glücklicherweise fand ich ihn schnell, doch ich glaubte ich sah nicht richtig. Um ihn herum standen gleich zwei Mädchen. Die eine groß, schlank, braune Haare und ein unglaublich süßes Lächeln. Die andere etwas kleiner, ebenfalls schlank, dunkelblonde Haare und unglaublich heiß. Jetzt war ich ein kleines bisschen neidisch auf ihn, wenn ich ehrlich sein sollte. Da er beschäftigt war, musste ich mir wohl oder übel selbst etwas zu trinken bestellen. Fürs Erste nahm ich Wodka Orange, doch gleich darauf schoss ich einige Tequila. Gerade in dem Moment als ich aufstehen wollte, setzte sich ein Mädchen neben mich. Sie zeigte kein großes Interesse an mir, doch das würde sich ändern. 
"Das geht auf mich", sagte ich, also sie sich etwas zu trinken bestellte.
Das Mädchen drehte sich zu mir und schaute mich verdutzt an. Ihre Augen waren stechend blau, noch heller als meine, ihre Nase war unglaublich süß und ihre Haare waren braun und brustlang. Sie war eine wahre Schönheit. Nun fing sie an zu lachen.
"Versuchs erst gar nicht, ich hab einen Freund Kleiner. Glaub ja nicht dass du mit deinem Aussehen jede haben kannst."
Sie zwinkerte mir zu, nahm ihr Trinken und ging. Wollten die mich heute alle verarschen? Wenn mir sowas noch einmal passierte, würde ich nach Hause gehen. Langsam musste ich auch mal zur Toilette, also stand ich auf und sah mich um. Ich konnte nicht glauben, wer in der Menge stand und mich ansah. 
"Maddy", flüsterte ich.
Was machte die denn hier?

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 18.11.2013

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /