Ende des 19. Jahrhunderts, ein einsamer Hafen an einer Küste bei Mexiko. Eine junge Frau in blauem Kleid und Regenschirm ging an Land, hinter ihr ein Mann. Sie sahen sich nicht an, als ob sie nicht zusammen gehörten. Beim Vorbeigehen raunte er ihr etwas zu. Dann verschwand er im Getümmel der Menschen. Sie sah im hinterher, ihr Blick hatte eine Mischung aus kaltem Hass und lodernder Liebe. Von außen wirkte sie kühl, sexy und unwiderstehlich. Sie setzte sich auf eine Steinbank, einen kleinen Reisekoffer in der Hand. Sie wusste, was er jetzt von ihr verlangte. Und sie tat, was er sagte, sie war seine Marionette. Langsam verschwanden die Menschenmengen und ein Mann trat aus ihnen heraus. Sein braunes Haar war nach hinten gekämmt und wurde wahrscheinlich mit Wasser festgehalten. Seine grünen Augen blitzten, er hatte einen sportlichen Körper und war etwa 10 Zentimeter größer als sie. Er ging offen auf sie zu. „Georgina? Georgina Deveraux? Sind sie es oder täusche ich mich?“ Scheu warf sie den Kopf nach rechts, so, wie es ihr gesagt wurde und lächelte schwach. „Ja, ich bin es. Und wenn mich nicht alles täuscht, dann sind sie Lord William Byron?“ Er nickte. Georgina wusste in einem Moment nicht, was sie tun sollte. Es war etwas Ersticktes zwischen sie getreten. Als sie den Mann sah, hatte er etwas Faszinierendes und Anziehendes an sich. Sie durfte diesen zwischenmenschlichen Kontakt nicht verlieren. Vorsichtig und vornehm stand Georgina auf und schaute ihm direkt in die Augen. Er bekam eine Gänsehaut. Sie sah, wie er kurz schluckte, dann sagte er leise: „Sie sind schöner, als ich es mir je vorstellen konnte.“ Sie lächelte charmant. Jetzt wusste sie, dass sie ihn soweit hatte. Aber im gleichen Moment bekam sie ein schlechtes Gewissen, da sie wusste, dass er seine Verliebtheit nicht lange auskosten konnte. Sie beugte den Kopf ein wenig nach vorne, sodass sie nach oben schauen musste, um ihn ansehen zu können. „Wollen wir?“ Kurz schüttelte William seinen Kopf, so, als ob er aus einer Art Trance erwachte. „Aber ja, aber ja.“ Hilfesuchend blickte sie sich um, um ihm klar zu machen, dass sie den Weg nicht kannte. Kurzerhand hakte er sich bei ihr ein und führte sie vorsichtig einen Weg entlang.
Er hatte ihr Treffen beobachtet. Scheinbar war alles perfekt verlaufen. Sie hatte ihm den Kopf verdreht und schon bald würde sie eine reiche Witwe sein. Nachdem er sie nicht mehr sehen konnte, verschwand er im Schatten, es war, als hätte es ihn nie gegeben. Keiner sah ihn kommen, keiner gehen.
Sie kamen an einem kleinen Palast an, so schien es Georgina. Eine Art von Villa, die so etwas Ergreifendes an sich hatte, sie hatte sich sofort in sie verliebt. „Da wären wir.“, meinte William leise. „Es ist wunderschön!“, freute sich Georgina offen. „Hast du keine Angst?“, fragte er sie. Georgina blickte ihn fragend an. „Na, wegen der … Hochzeit.“ Richtig, sie heirateten bereits in einer Woche, so war es vorgesehen. „Ich mache mir keine Gedanken darüber, die Dinge werden ihren Weg gehen schätze ich. Aber, ich hätte dennoch eine Frage, wenn es mir erlaubt ist.“ William machte eine großzügige Geste. „Nur zu. Fragen sind dazu da, gestellt zu werden.“ – „Wieso, wieso haben sie sich eine französisch-amerikanische Frau ausgesucht, wo es hier so viele mexikanische Schönheiten gibt?“ – „Es ist so. Wir sind die Vergangenheit, ihr seid die Zukunft. Georgina, vom ersten Moment als ich dich sah, hatte ich mich in dich verliebt.“ Sie blickte ihn verblüfft an. So viel Offenheit und so viel Gefühl irritierten sie. „Sage jetzt nichts!“, meinte er lächelnd. „Komm, ich zeige dir dein Zimmer. Und, bevor ich es vergesse, ich habe vor, dich heute Abend in ein Theater auszuführen.“ Georgina durchzuckte es kalt. „Was ist Liebste? Ist dir Theater nicht recht?“ – „Doch, natürlich, ich habe damit kein Problem. Also, sie wollten mir mein Zimmer zeigen?“, versuchte sie, vom Thema abzulenken. „Ja. Soll ich dir gleich das ganze Haus zeigen oder willst du erst einmal deine Sachen auspacken?“ Georgia fühlte sich unwohl. Ansonsten wurde ihr befohlen, was sie als nächstes zu tun hatte, niemand fragte sie nach ihren Bedürfnissen. „Wenn es recht ist, würde ich lieber erst meine Sachen verstauen. Aber zeigen sie mir bitte, wo ich sie wieder aufgreifen kann, bevor ich mich hoffnungslos verirre.“ Er lächelte. „Natürlich. Folge mir bitte.“ Georgia betrat die Eingangshalle und war überwältigt von so viel Prunk und Reichtum. Sie blickte an die Decke, die schier nicht enden wollte. Unabsichtlich blieb ihr dabei der Mund offen stehen, als sie es bemerkte, schloss sie ihn wieder und schämte sich für diese Unschicklichkeit. Im nächsten Raum war das Treppenhaus. Alles war in Weiß gehalten, nur an den Wänden waren Porträts von älteren Menschen. Sie schauten Georgia streng an. Oder meldete sich ihr Gewissen nur wieder? „Angsteinflößend, oder? Am liebsten würde ich sie abhängen, aber es ist nun mal meine Familie.“, meinte William und zwinkerte, nachdem ihm Georginas Blick aufgefallen war. Das brachte sie zum Lachen. „Oh ja, aber die Verwandtschaft ist nun mal Verwandtschaft, auch wenn man vor ihr etwas Angst hat. So muss es doch sein.“, meinte sie. Als sie an der Treppe, die nach oben führte, angekommen waren, nahm er ihr ihren Koffer ab. Sie berührte das Geländer. Es war nicht eine Unebenheit oder ein Schandfleck zu finden. Alles war so ungewohnt rein. Über Georgina hing ein riesiger Kronleuchter und sie befürchtete, dass er auf sie hinunterfallen könne. William folgte ihren Blick und seufzte. „Ebenso ein altes Erbstück. Beachte ihn einfach nicht. Nachdem Georgia die Treppe hinaufgegangen war, 22 Treppen, wie sie gezählt hatte, kamen sie in einen weiteren Flur. Links und rechts gingen jeweils 3 Türen weg. Der Flur an sich hatte eine Holzverkleidung und einen Teppichboden mit einem orientalischen Muster. Auch hier war alles sauber. William ging in den zweiten Raum von links. Als Georgina vorsichtig eintrat fand sie ein großes Bett, einen Schreibtisch, einen Schminktisch, einen Kleiderschrank und eine Truhe vor. „Ich habe das Zimmer extra für sich einrichten lassen. Solange … naja, solange wir eben noch nicht in einem gemeinsamen Zimmer nächtigen.“ Ihm kam die Schamröte ins Gesicht, doch sie verblasste relativ schnell wieder. Die Wände hier waren in einem warmen weiß – karamellton gehalten, ein roter Teppichboden. William stellte die Tasche auf das Bett. „Ich werde mich nun in mein Büro zurückziehen. Jenes ist gegenüber von deinem Zimmer. Komme einfach, wenn du fertig bist.“ Damit zog er sich zurück und schloss leise die Tür. Laut atmete Georgina die Luft aus, die scheinbar ihr Herz belastete und ließ sich auf den Schreibtischstuhl sinken. Sie rieb sich die Augen, sie war ein wenig müde geworden. Dann ging sie zu dem großen Fenster und blickte hinaus. Sie sah einen kleinen Teil eines Dorfes, Kinder warfen sich mit Kartoffeln ab, jene sie wohl auf dem Feld gestohlen hatten. Ein Markt war ein wenig weiter zu sehen und … ein Mann. Er stand an einer der vordersten Häuser angelehnt und begutachtete die Villa, in der Georgina sich aufhielt. Er hatte einen Hut und eine Brille auf. In dem Moment, wo sie ihn sah, schien auch er sie zu sehen. Er nickte ihr kurz zu, tippte sich an den Hut und lächelte. Georgina wich in den Schatten zurück. Das Katz- und Maus- Spiel hatte wieder angefangen.
Sie wusste nun, dass er wusste, wo sie sich aufhielt. Nachdem sie sich erschrocken zurückgezogen hatte, ging er in eine kleine Bar, bestellte sich ein Bier und bezahlte bar. Er wusste, dass es wieder angefangen hatte. Und er wusste, dass sie es auch wusste. Was für ein Triumph, und das mit nur einem Blick. Seine kleine Marionette war wieder auferstanden.
Vorsichtig klopfte Georgina gegen das Arbeitszimmer. „Ja herein?“, meinte William freundlich von innen. Sie öffnete die Tür, und sah ihren zukünftigen Ehemann an einem großen, schwarzen, galanten Schreibtisch sitzen. „Oh Georgina! Bist du schon fertig mit Auspacken deiner Sachen?“ Georgina nickte. „Ja, es ging schnell. Wenn es keine Umstände macht, würde ich mich jetzt ein wenig ausruhen.“ William nickte verständnisvoll. „Lege dich hin, Liebste. Und sobald du etwas begehrst, gebe mir oder dem Hauspersonal Bescheid.“ Georgina lächelte. „Dankeschön, das werde ich.“ Dann machte sie einen leichten Knicks, schloss die Tür und ging wieder in ihr Zimmer. Dort zog sie sich das Kleid aus und ihr Schlafhemd an. Dann legte sie sich ins Bett und schloss die Augen. Lange wälzte sich Georgina hin und her und konnte keinen Schlaf finden. Andauernd meldete sich ihr Gewissen wieder und sie bekam das Gefühl, als ob sie brechen würde. Schnell stand sie auf, schlug jede Tür auf, bis sie endlich das Bad erreichte. Sie beugte sich über die Toilette und erbrach sich. Georgina stand zitternd auf und wischte sich mit der flachen Rückseite ihrer Hand über den Mund. Langsam ging sie zurück in ihr Zimmer. Als sie sich wieder in ihr Bett legte und versuchte, sich zu beruhigen. Dann setzte sie sich vorsichtig auf und erschrak: Vor ihr stand ein Mann, der Mann, der noch vor ein paar Stunden vor der Villa stand. Er ging grinsend auf sie zu, setzte sich auf die Bettkante. Georgina rutschte ein wenig weg und schaute ihm mit eisigem Blick an. „Georga…“, flüsterte er und nahm ihr Gesicht in eine Hand und drückte ihren Wangen und Lippen ein wenig zusammen. Er kam ihr mit dem Gesicht näher. „Du hast mich und unseren kleinen Plan doch nicht vergessen, oder?“ Georgina kniff die Augen ein wenig zusammen. „Wie sollte ich dich jemals vergessen?“ Er lächelte schwach. „Na na na, wir wollen doch nicht zickig werden.“ Georgina wandte sich aus seinem Griff, legte sich hin, sodass sie ihm den kalten Rücken zeigte. Er legte sich ebenfalls hin und schlang seinen Arm um sie und drückte sie nah an sich ran. Erst wehrte sie sich, dann ließ sie ihn gewähren. Er führte sein Gesicht zu ihrem Ohr und flüsterte: „Wir wissen doch beide, dass du mich brauchst. Du kannst nicht ohne mich sein. Folge einfach unserem kleinem Plan und dann bin ich zufrieden.“ Georgia hatte aber ihren eigenen Kopf. „Aber ich…“ Doch der Mann unterbrach sie. „Schschsch. Es ist besser so.“ Georgina überkam plötzlich eine riesige Müdigkeit und ihr fielen beinahe die Augen zu. „Nein.“, murmelte sie. „Schschsch. Doch.“ – „Hm… nein…“ – „Schschsch. Doch.“ Dann war Georgina eingeschlafen. Der Mann blieb noch ein wenig bei ihr liegen, dann stand er auf und verließ die Villa durch das Fenster, aus dem er auch gekommen war.
Gegen Abend wachte Georgina auf. Schlaftrunken blickte sie sich um und wusste im ersten Moment nicht, wo sie war. Doch dann erinnerte sie sich wieder, an das Treffen am Hafen, die Rundführung und an das Arbeitszimmer. Der Mann, jener sie auf eine höchst skurrile Weise besucht hatte, hatte Georgina allerdings wieder vergessen. Als sie sich umgezogen, ihr Gesicht und ihre Haare gerichtet hatte, klopfte sie zuerst am Arbeitszimmer an. Als dort keine Antwort an, trat sie vorsichtig ein. Doch der Raum war leer. Vorsichtig schloss Georgina die schwere, dunkelbraune Tür hinter sich und blickte sich um. An den Wänden links und rechts gingen hohe Regale mit dicken Büchern nach oben. Die Wand vor ihr besaß die gesamten Fenster des Raumes. Die Fenster waren groß, und so kam es dass das Zimmer sehr hell schien. Vorsichtig ging Georgina auf den Schreibtisch zu und setze sich in den Ledersessel. Er war sehr weich und sie ging fast darin ein. Der Schreibtisch war beinahe leer. Eine Feder lag rechts, ein Döschen mit schwarzer Tinte und ein Bild. Behutsam nahm es Georgina in beide Hände und schaute es sich an. Darauf war sie zu sehen. Das Bild, jenes sie ihm mit einem Bild geschickt hatte. Der Bilderrahmen hatte dieselbe Farbe des Tisches: Pechschwarz. Schon wieder meldete sich Georginas Gewissen wieder, aber da war noch etwas anderes: Eine heiße Flutwelle durchspülte sie, als sie das Bild entdeckt hatte. Unwillkürlich musste sie lächeln. Dann stellte sie das Bild wieder zurück, wobei sie ihren Blick darauf ruhen ließ. Georgina faltete die Hände und schloss die Augen. „Gott, mein Vater. Verzeihe mir meinen baldigen Verstoß deiner Gebote. Ich weiß, dass du etwas Großartiges mit mir vorhast. Aber wann? Helfe mir hier heraus und ich möchte für ewig in deiner Schuld stehen. Lass diesen Mann in Ruhe weiter leben und führe Teufels Brut dahin, wo sie rechtmäßig hingehört. Befreie mich von meinem Leid. Amen.“ Lange blieb sie noch in dieser Haltung sitzen, bis sie merkte, dass ihre Hände anfingen zu schwitzen. Dann öffnete sie ihre Augen, diese waren tränenerfüllt. „Wieso?“, flüsterte sie. „Wieso ich?“ Eine Träne kullerte ihre linke Wange hinunter, mit einer kurzen Handbewegung wischte Georgina sie weg. Schließlich stand sie auf, strich sich ihre Kleidung zu Recht und ging in den Flur. Sie blickte von links nach rechts, als ob irgendetwas den richtigen Weg zeigen würde. Auf einmal kam eine ältere, dunkelhäutige Frau um eine Ecke. „Ms. Deveraux? Lord William wartet bereits mit dem Abendessen auf sie. Wenn sie mir bitte folgen würden.“ Auf dem Weg erklärte die Frau, dass sie Grant hieß. „Und eines müssen sie wissen.“, fügte sie hinzu. „Lord William hat sehr weiches und liebevolles Herz. Vielleicht haben sie den Schlüssel dafür. Aber bitte verlieren sie ihn nicht.“ Auf einmal spürte Georgina etwas, was sie noch nie gespürt hatte: Hoffnung. „Das werde ich nicht.“ Grant lächelte sie an. Es war ein sehr schönes Lächeln. „Das hoffe ich. Wissen sie, Lord William hatte sich einmal verliebt. Er war ein vernünftiger Mann, bis eben diese Frau auftauchte. Sie stammte aus einem reichen Elternhaus, war gebildet, hatte Ansehen und Ruf. Und dennoch hat sie nichts als Unglück über uns gebracht. Lord William konnte nur noch an sie denken, vergaß seine Arbeit und seine Familie. Aber irgendwann wurde er von selbst wach und sah, was für ein Trümmerhaufen er verursacht hatte. Und ich sagte zu ihm: William, mein lieber William. Auch die Liebe mag dir nicht vergönnt sein. Aber verschließe dein Herz für die Frau, jene den Schlüssel dafür findet. Ich glaube, naja, ich hoffe zumindest, dass so eine reizende Frau wie sie vielleicht sein gebrochenes Herz wieder flicken kann. So, da wären wir.“ Grant und Georgina standen vor weißen Doppeltüren, die doppelt so groß waren, wie sie selbst. „Lord William legt Wert auf Tischmanieren.“, mahnte sie Georgina vorsichtshalber. Diese nickte vorsichtig. Grant öffnete die Türen und Georgina betrat einen prächtigen Raum: Nicht allzu hohe Decken, einen Kamin, ein Flügel und, was wohl den meisten Platz des Raumes einnahm, eine lange Tafel, an deren beiden Enden jeweils ein Stuhl stand. William saß auf dem einen und als er Georgina erblickte, strahlten seine Augen. Die Tafel war mit allerlei Prächtigem gedeckt: Schweinefleisch, exotische Früchte, Kaviar, Fisch und alles, was einem mundete. Georgina kam aus dem Staunen nicht mehr raus. William machte eine freundliche Geste auf den Stuhl, jener noch frei stand. Gerade und förmlich ging Georgina zu dem Stuhl und ließ sich darauf sinken. Dann genoss sie den Anblick der vielen Speisen, sie verschlang sie gierig mit den Augen. Sie betrachtete alles genau, bis sich ihr Blick mit Williams traf. „Gefällt es dir?“, fragte er. „Ja, oh ja und wie es mir gefällt!“, lächelte Georgina. Sie nahm sich ein Stück Ananas, Kaviar und einen gut schmeckenden Fisch. Auch William begann zu essen. „Das Zimmer, jenes mir gehört, gefällt mir sehr gut. Das Bett ist sehr bequem und…“ Doch William hob die rechte Hand. „Ich habe es nicht gerne, wenn man beim Essen redet. Bitte unterlasse es.“ Verwirrt blickte Georgina an. Sie gehörte doch nur sich selbst! Sie will nicht gehorsam oder gezogen sein! Ihr ist es egal, was andere über sie denken! Und ganz gewiss ist sie nicht Williams Eigentum! Doch sie schwieg. Sie wollte weder sich noch William in Verlegenheit bringen. Als sie so viel gegessen hatte, dass absolut nichts mehr passte und auch William fertig war, saß sie einfach nur da und wartete. Sie wusste nicht, worauf. Und auch nicht, wann sie wieder reden dürfte. William schloss die Augen, faltete die Hände über dem Bauch und seufzte zufrieden. Fünf Minuten passierte nichts und Georgina begann, auf ihrem Platz unruhig hin und her zu rutschen. Dann endlich öffnete William die Augen, schaute sie an und fragte: „Wie hat es dir geschmeckt, Georgina?“ Ein wenig zuckte sie zusammen, Williams Stimme erzeugte ein Echo in dem Raum. „Gut, vielen Dank. Wenn es nicht zu unverschämt wäre, würde ich gerne mal am Flügel spielen.“ – „Sicher doch. Nur lass mich hier noch ein wenig sitzen, ich werde dir zuhören.“ Georgina stand auf und ging zu dem Klavier, setze sich auf den Hocker und spielte einzelne Noten. Sie wollte wissen, welchen Klang der Flügel hatte. Ein durch und durch lieblicher Klang erfüllte den Raum und die Herzen. Nun setze Georgina beide Hände auf die Tasten und begann, wunderschöne klassische Musik zu spielen, als ob sie es schon ihr ganzes Leben hätte. Jeder einzelne Klang hallte wieder, blieb in den Ohren und in den Herzen sitzen. William war seltsam berührt. Langsam öffneten sich die Doppeltüren und die gesamte Dienerschaft betrat den Raum, um zu erfahren, woher diese Töne kamen. Minutenlang schloss Georgina sogar die Augen und spielte auswendig. Es war, als wäre sie mit der Musik eins geworden. Immer langsamer wurde die Musik schließlich, bis der letzte Ton verklungen war. In dem Esszimmer wurde es auf eine behagliche Art und Weise leise. Jeder hatte sich in der Musik wiederfinden können, ein jeder hatte jeden einzelnen Ton berührt. Georgina blieb sitzen, mit geschlossenen Augen und bemerkte nichts um sich rum. Dann stand William auf und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie erschrak, wie aus einer Art Traum, aus dem sie geweckt wurde. Er beugte sich zu ihrem Ohr und flüsterte: „Das war so wunderschön.“ Georgina lächelte. Langsam verteilte sich die Dienerschaft wieder, aber jeder nahm ein Stück der Melodie mit. Schließlich meine Georgina: „Wenn es keine Umstände macht, würde ich jetzt gerne schon Schlafen gehen. Es ist noch nicht so spät, ich weiß, aber die Müdigkeit nagt an mir.“ William lächelte verständnisvoll. „Aber natürlich. Ich werde dich morgen früh dann wecken lassen. Gute Nacht.“ Und er küsste sie auf die linke Wange. „Gute Nacht.“, antwortete Georgina und ging aus dem Zimmer, draußen, im Flur, strich sie mit einer behandschuhten Hand über die Wange, auf die sie William geküsst hatte. Sie wurde schon wieder von dieser heißen Flutwelle durchspült. Georgina ging ins Bett, schlief schnell ein und hatte eine traumlose Nacht. Am nächsten Morgen klopfte es an der Tür. Georgina gähnt und streckte sich, dann ging die Tür auf. William kam herein mit einer Kanne Kaffee und 2 Tassen. „Ich hätte draußen warten können, aber dann wäre der Kaffee kalt geworden.“, entschuldigte er sich. „Es ist besser so.“, lächelte Georgina. Sie tranken zusammen Kaffee und unterhielten sich. Dann ging William in sein Arbeitszimmer und Georgina zog ein weinrotes Kleid an und band ihre Haare als französischen Zopf zur Seite, warf es sich um die Schulter und band die Haare mit einer cremefarbenen Schleife zusammen. Am Mittag ritten sie zusammen aus. Nach langer Zeit kamen sie auf einer grünen Wiese an. Georgina streichelte ihre weiße Stute und gab ihr einen Apfel. Derweil hatte William sein Wallach an einen Baum gebunden. Dann kam er hinüber und fragte Georgina: „Und… wieso hast du einen mexikanischen Mann genommen?“ Sie lächelte. „Um der Zukunft zu entgehen. Um jemand anderes zu werden.“ William schaute ihr tief in die Augen. „Mit dir … bin ich ein anderer. Ich bin … ich selbst.“ Georgina lächelte und trat einen Schritt auf ihn zu. Auch William kam mit seinem Gesicht näher. Langsam beugte sie ihren Kopf nach links und er kam noch ein klein wenig näher. Dann küssten sie sich lange und leidenschaftlich. William nahm ihr Gesicht in beide Hände und schaute ihr in die Augen. „Du machst mich verrückt.“ Georgina lächelte. „Wäre das nicht wunderbar?“ Dann küssten sie sich erneut und diesmal war es nicht nur eine heiße Flutwelle, sondern ein Feuer, das aufflammte.
Er war ihnen gefolgt, oder besser gesagt, sie waren ihnen so gut wie in die Arme gelaufen. Hinter einem Baum war er gestanden und hatte zugesehen, wie sie ihn geküsst hatte. Oder hatte er sie geküsst? Es war im Ergebnis egal. William hatte sich in Georgina verliebt, da gab es keinen Zweifel. Doch er machte sich Sorgen, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte. Es war Zeit, wieder einmal ein Gespräch zu führen.
Als sie zurück kamen und die Pferde in die Hände der Stallknaben gaben, lächelte Georgina William überglücklich an. „Weißt du was?“, fragte er, umarmte sie und wirbelte sie einmal um sich selbst. „Was denn?“, fragte sie, die Arme über seinen Schultern. „Ich habe vor, dich heute Abend in das Theater auszuführen.“ Georginas Augen blitzen. „Nein!“ Dann stieß sie einen Freudeschrei aus und umarmte ihn nochmals. „Wie ich mich freue. Ich war noch nie so glücklich!“ William gefiel Georginas offenes und freudiges Wesen. Aber dann wurde sie ernst. „Oh je? Und was soll ich bitte anziehen?“ William biss sich auf die Unterlippe. „Ich besorge dir noch einen Termin beim Schneider. Er wird sicher noch einige Kleider dort haben. Suche dir das schönste aus. Egal, um welchen Preis.“ Georgina lächelte. „Okay, ich glaube, ich gehe einfach gleich los. Ich hoffe nur nicht, dass es unhöflich ist, ohne Termin beim Schneider aufzutauchen.“ William winkte ab. Ach was… Hier kennt dich sowieso schon jeder.“ Georgina bekam große Augen. „Und … als was kennen sie mich?“, fragte sie stotternd nach. „Als eine wunderschöne Frau, und sie wissen, dass wir bald verheiratet sind.“ Innerlich atmete Georgina auf. „Na dann ist ja alles gut. Ich gehe, ja? Ich werde mich beeilen.“ William nickte und überreichte ihr seine Geldbörse. „Also wie gesagt: Egal, welcher Preis.“ Georgina nickte, steckte die Börse in eine kleine Tasche und ging. William blieb noch eine Weile stehen und blickte ihr nach, bis sie in der Menschenmenge verschwand. Er war hoffnungslos verliebt, das stimmte, doch aus irgendeinem Grund schien sie ihm die Verlorene. Georgina war bald in der Menschenmenge verschwunden. Die Leute schauten sie lächelnd an, ein paar grüßten sie. Auf einmal packte sie eine Hand am linken Oberarm und sie wurde in eine dunkle Ecke gezogen. Bevor Georgina überhaupt mitbekommen konnte, was los war, bekam sie schon eine flache Hand ins Gesicht. Keuchend hielt sie sich die Wange. Wer zum Teufel war das? Dann erst bemerkte sie, dass sie ihre Augen geschlossen hatte, worauf sie sie öffnete und in seine Augen sah. „Georga. Ist unser kleines Gespräch dir wieder in Vergessenheit geraten?“ Einen Moment musste Georgina tatsächlich nachdenken, doch dann fiel es ihr siedeheiß wieder ein. Er holte zu einer weiteren Ohrfeige aus, doch sie rief noch schnell: „Nein, nein ich habe es nicht vergessen, keine Sorge.“ Er lächelte. „Ich habe dich mit diesem Sohn einer Hündin gesehen. Wenn ich dich jetzt küsse, könnte ich ihn an dir schmecken?“ Georgina drehte sich weg. „Ach Georga, soll ich dir das Ganze noch einmal von vorne erklären? Du bringst ihn dazu, sich in dich zu verlieben, wobei du dich nicht verliebst. Dann heiratet ihr, er teilt sich von da an sein gesamtes Geld mit dir und er wird scheinheilig von einer Räuberbande getötet. Du bist dann eine reiche Witwe und nachdem du dich von diesem Seelenschmerz erholt hast, wirst du mich heiraten. Und wir werden reiche, sehr reiche Eheleute.“ Immer noch wandte sich Georga von ihm ab. „Was willst du? Du hast nicht die geringste Ahnung davon, was ich geplant habe, stürzt dich wieder und wieder in meine Ideen. Halte dich einfach einmal heraus, beobachte und genieße eventuell.“ Er lächelte. „Jetzt bist du wieder die Georgina, die ich kenne. Das freut mich. Aber eine Sache muss ich mit dir noch klären.“ Eiskalt fragend blickte Georgina ihn an. Sie wollte, dass er die Maske seiner Marionette sah, die Maske, die er sehen wollte. „Hast du dich in diesen Esel von Mann verliebt?“ Langsam und kaum merklich nahm Georgina die linke Hand hinter den Rücken und kreuzte Zeige- mit Mittelfinger. „Nein, natürlich nicht.“ Er lächelte. „Sehr schön, sehr schön. Alles läuft ganz nach Plan. Wann denkst du, soll ich in dieses Spiel kommen?“ Georgina lächelte ebenfalls und entblößte ihre vorderen Zähne. „Lass mich erst heiraten und den Ehevertrag unterschreiben. Danach warten wir noch ein paar Tage… Bis er auf eine Geschäftsreise muss, von der er nur nie wieder zurückkehren wird.“ Der Mann griff auf einmal an Georginas Hinterkopf und drückte sie zu sich und stieß ihr die Zunge in den Hals. Am liebsten hätte Georgina ihn abgeschüttelt, doch sie wusste, dass er dann nur Verdacht schöpfte. Er sollte sich in seiner anscheinenden Macht über sie suhlen bis er darin erstickt. Sie wusste, dass sie nicht nur einen Mann verlassen wird, sollte es soweit sein. Aber noch sollten sich beide sicher fühlen und denken, dass sie sie liebte. Wobei sie sich bei ihren Gefühlen für William nicht sicher war. Liebte sie ihn? Oder war es tatsächlich nur ein Spiel? Die Gefühle fuhren Achterbahn und Georgina konnte nicht so richtig einordnen, ob sie sich auf einem Hoch oder einem Tief befand. Als er endlich aufhörte, sie auf seine unnachahmliche Art und Weise zu küssen, meinte sie: „Ich muss jetzt wirklich los. Ansonsten schöpft noch irgendjemand Verdacht.“ Das Lächeln stand ihm noch immer im Gesicht. „Das wollen wir doch nicht. Aber denke daran: Du sollst seine Ehefrau spielen, nicht seine Hure.“ Georgina nickte, lächelte, wandte sich um und ging, ohne noch einmal zurück zu blicken.
Nach längerem Suchen hatte Georgina die Schneiderei gefunden. Sie trat ein und blickte sich um. Es hingen edle Kleider an Modellen und ein Regal voller Haarschleifen für jeden Anlass. Die Schneiderei wirkte leer, jedoch war von außen ein „Geöffnet“ – Schild zu erkennen. Also wartete sich seelenruhig auf den Schneider. Endlich kam ein älterer Mann aus einem der vielen Seitenräume der Schneiderei und blickte sie freundlich an. „Oh Mrs. Byron. Oh, nein, entschuldigen sie meine Ungeschicktheit bitte, Ms. Deveraux. Ich denke so oft über sie nach, dass es mir schon fast so vorkommt, als wären sie und der werte Lord Byron schon seit Jahren verheiratet.“ Georgina schüttelte den Kopf und lächelte schwach. „Für sowas braucht man sich nicht zu entschuldigen. Das kann jedem passieren.“ Der Schneider schüttelte ebenfalls den Kopf. „Aber nicht bei einer solchen Schönheit wie sie es sind, meine werte Ms. Deveraux. Sie müssen wissen, das ganze Dorf redet inzwischen schon von ihnen.“ Bei den Worten wurde Georgina unwohl, sie legte sich eine Hand in den Nacken, drehte sich um und schaute der Menschenmenge vor der Ladentür zu, die stur ihren Beschäftigungen nachgingen. „Aber, ich kann sie beruhigen.“, beschwichtigte der Schneider sie, als er ihren Blick sah. „Es sind, soweit ich gehört habe, nur positive Meinungen. Und ich höre sehr viel.“, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu. „Es wird darüber gesprochen, dass Lord Byron schon lange nicht mehr so fröhlich gewirkt hatte, er jeden grüßt und von ihnen ganz zu schweigen. Ich muss sagen, die Bauern und Leute des Dorfes haben ganz und gar nicht übertrieben, als sie sie als bildschön, mit eleganten Bewegungen und wallendem Haare die sich mit dem Winde formen, beschrieben haben. Sie sind wirklich außergewöhnlich schön. Französin, nehme ich an?“, hakte er nach. Georgina lächelte, wobei ihr auch die Schamesröte ins Gesicht stieg. „Ja, fast. Ich bin von amerikanischer – französischer Abstammung. Meine Mutter ist eine Gräfin im Norden Frankreichs. Dort heiratete sie ihren ersten Ehemann. Als dieser verstarb, traf sie meinen Vater und verliebte sich unsterblich in ihn. Beide sind mittlerweile verstorben.“ Georgina fand, sie hatte diese Geschichte gut eingeübt. Und anscheinend brachte sie sie auch glaubhaft rüber. „Oh, das tut mir Leid. Aber, bevor wir hier ein Kaffeekränzchen veranstalten, weshalb sind sie zu mir gekommen, Ms. Deveraux?“ Georgina hob beide Augenbrauen und lächelte. Der Schneider schüttelte sich kurz. „Aber gewiss, gewiss. Ich bin ja immer noch auf meiner Arbeitsstelle.“ Und er bekam einen lustigen Lachanfall, den Georgina aber nicht erwidern konnte. „So, für welchen Anlass wollen sie denn ein Kleid haben, Ms. Deveraux?“, fragte er sie, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. „Ich gehe heute Abend das Theater besuchen. Dafür suche ich ein elegantes, jedoch schlichtes Kleid.“ Er nickte. „Und haben sie auch schon eine Vorstellung, welche Farbe ihnen vielleicht beliebt ist, Ms. Deveraux?“, fragte er höflich. „Ich dachte an Schwarz.“ Er hob die Augenbrauen und blickte sie an. „Sagten sie Schwarz?“ Die Farbe sprach er wie etwas außerordentlich Widerwärtiges aus. „Ja, Schwarz.“ Der Schneider verdeutlichte seine Meinung zu der dunklen Farbe, indem er meinte: „Ist Schwarz nicht eine Farbe der Trauer?“ Georgina lächelte. „Sicher ist Schwarz auch eine Farbe der Trauer.“, wobei sie das Wort ‚auch‘ besonders betonte. „Aber sehen sie, die heilige Schrift ist auch in der Farbe Schwarz geschrieben. Und ich bin mir sicher, dass darin nicht annähernd so viel Trauer vorkommt, wie die Menschen in dieser Farbe sehen. Ich fixiere diese Farbe eher zur Schrift Gottes und nicht zu einem Friedhof.“ Der Schneider war beeindruckt, wie gewandt Georgina ihm widersprechen konnte. „Darauf weiß ich nichts zu erwidern. Ich muss ihnen wohl oder übel zustimmen, meine Liebe. Nun lassen sie mich sehen, was ich finden kann.“ Und der Schneider verschwand in einer seiner vielen Kammern. Ein paar Momente später kam er mit einem so wunderschönen Kleid zurück, wie es Georgina noch nie gesehen hatte. Es war unendlich viele Male hochgesteckt, Rüschen und Falten machten das Kleid weniger dominant, wie es ohne sie ausschauen würde. Es war so einmalig schlicht, und doch so vielseitig und elegant. Die Ärmel waren eng, sodass sie an ihrer Haut anliegen und ihre Figur betonen sollte. Ab Hüften wurde das Kleid sehr weit ausgefallen, aber es wurde nicht mit einem Reigen getragen, sodass es mit natürlicher Weite vom Körper abstand. Der Schneider lächelte, als er Georginas Gesichtsausdruck sah. „Es ist wunderschön, nicht wahr? Ich habe es gesehen und dachte: Das ist es, das ist das Kleid, indem unsere Ms. Deveraux heute Abend den Lord Byron verführen wird. Sehen sie, das Kleid ist aus Samt und anderen sehr teuren und seltenen Stoffen gefertigt. Die Ärmel schmiegen sich den Armen an, doch lassen sie ihnen genügend Raum zum atmen. Der untere Teil hat zwar eine gewisse Weite bis zum Körper, aber es scheint nicht aufdringlich. Das Kleid entspricht ganz und gar sie. Glauben sie mir.“ Georgina schluckte trocken. „Kann ich es … kann ich es vielleicht einmal anprobieren?“ Der Schneider nickte. „Natürlich, natürlich Ms. Deveraux.“
Tag der Veröffentlichung: 19.12.2009
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