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Schulschluss

Er verließ gerade das Schulgebäude als er sie entdeckte. Sie ging einige Meter vor ihm auf dem Gehweg. Es war schon dunkel, nach 21 Uhr. Dieser Sprachkurs, zu dem ihn sein Chef gedrängt hatte, war langweilig und unnötig. Er fragte sich ob sie ihn ein wenig ablenken könnte, also ging er schneller um sie einzuholen. Auf ihrer Höhe drehte er seinen Kopf in ihre Richtung und sah ihr ins Gesicht. Gleichzeitig blieb sie stehen und wühlte in ihrer Handtasche. Er wartete nicht damit sie keinen Verdacht schöpfte. Während sie ihre Kopfhörer auseinander knotete und an ihr Handy anschloss, eilte er vor. 'Zu welchem Kurs die wohl genötigt wurde?'. Vermutlich hatte sie nicht einmal gemerkt, dass er kurz zögerte stehen zu bleiben um sie anzustarren. Er blieb vor ihr, was ihm natürlich keineswegs gefiel, denn so sah er nicht wo sie hin ging oder wo sie wohnte. Als er die Straße überqueren musste sah er sich nach ihr um. Sie war noch da und würde vermutlich ebenfalls dort rüber gehen, denn selten blieb jemand auf der linken Straßenseite. Um sie vorgehen zu lassen ohne es zu auffällig zu gestalten, blieb er an der dunklen Einfahrt zu einem ebenso düsteren Parkplatz stehen und versteckte sich. Sie war so vertieft, dass sie nichts bemerkte. Im Vorbeigehen konnte er ihre Musik ganz leise hören. Sie bewegte ihren Kopf leicht im Takt. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie irgendwann angefangen hätte im Gehen zu tanzen. 

 Er folgte ihr nun. Sie schien nicht zu bemerken wie er sie anstarrte während sie schnellen Schrittes voran ging. Lange wollte er nicht warten, dann würde er sie ansprechen. Er musste sie ansprechen. Er würde es sich nicht verzeihen sie einfach so davon kommen zu lassen. Sie konnte nicht einfach nach Hause verschwinden. Das würde er nicht zulassen. 

'Wie die geht!', dachte er sich. Dabei beobachtete er genau wie sich ihre Hüften beim Gehen bewegten. Er wollte sie anfassen. Er wollte spüren wie sie sich bewegten. Er analysierte die Art wie sie ihre Füße setzte und wie ihre Arme schwangen. Er betrachtete ihre ganze Art. Er kam nicht mehr von ihr los. Sie musste es sein. 

 

"Hallo. Darf ich dich fragen wie du heißt?". Sie war irritiert. Sie hatte wohl kein Wort verstanden, da sie ihre Kopfhörer noch auf hatte. Nach einigen Sekunden stöpselte sie ihre Ohren frei und er fragte erneut. Noch bevor er einen Schritt neben ihr weiter ging hatte er den Namen bereits vergessen. Es war auch nicht wichtig. Es würde egal sein. Er würde sich an ihren Körper erinnern aber nicht an den Namen. Er erinnerte sich nie an Namen. 

Er  hatte sie in schlechtem Deutsch angesprochen. Zuerst fragte er immer nach dem Namen, nicht nur um sie in ein Gespräch zu verwickeln, sondern auch weil dies die Frage war, die er am häufigsten gestellt hatte. Er sprach sie beinahe akzentfrei aus. Danach wurde es schwieriger. Oft wurde er nicht verstanden. Der Deutsch-Kurs war wohl doch nicht so verkehrt. Aber langweilig war er. Es waren keine interessanten Leute da, niemand so wie sie. 

 

Sie schien nicht auf direktem Weg nach Hause gehen zu wollen. Er hatte das Gefühl, dass sie sich von ihm gestört fühlte. Er hatte schon oft erlebt, dass die Mädchen nicht direkt zu ihren Behausungen gingen, weil sie Angst hatten von ihm gestalkt zu werden. Aber so weit ließ er es nie kommen. Sie zeigte in eine der ältesten Straßen der Stadt. Dort wohnte sie angeblich. Er glaubte es ihr nicht, sagte aber nichts. Er würde nicht lange genug mit ihr zu tun haben um sich Gedanken über ihren Wohnort zu machen. Aber es sollte ihm recht sein. Wenn sie Umwege ging hatte er mehr Zeit einen geeigneten Ort für sie zu finden. 

Sie war nun sichtlich abgeneigt und versuchte ihn los zu werden. Auch das war er gewohnt. Es war aber zu spät, so schnell würde er sie nicht gehen lassen. Sie war höflich, sagte nicht was sie dachte. Sie hoffte wohl er würde von alleine gehen. Er tat als verstünde er nicht, aber er verstand sie sehr wohl. Er hatte gelernt die Körpersprache zu lesen. Er wusste, dass sie abgeneigt war, noch bevor sie sich dessen im Klaren war. Es würde nichts ändern. 

 

Als rechts von ihnen eine schmale Gasse abging, die nur breit genug war um Fußgänger durch zu lassen, stieß er sie in die Richtung. Noch bevor sie sich wehren konnte war er über ihr. Es geschah so schnell, dass sie es nicht einmal wahr nahm. Er genoss die wenigen Sekunden, denn lange dauerte es nicht bis er mit ihr fertig war. 

 

Eine ältere Dame ging eine der ältesten Straßen der Stadt entlang. Es war noch recht früh am Morgen, die Bäckereien hatten gerade geöffnet. Sie hatte nicht mehr schlafen können und ihr Hund wollte vor die Tür. Vor ihrer Stamm-Bäckerei band sie ihren Hund kurz an und beeilte sich. Sie ließ den Kleinen nicht gerne lange vor der Tür warten. Er würde anfangen zu heulen, wenn sie zu lange weg wäre, und das wäre zu dieser Uhrzeit unvorteilhaft. Mit den Brötchen in der einen und der Leine in der anderen Hand machte sie sich wieder auf den Rückweg. Plötzlich zog der Hund an der Leine, etwas was er sonst nie tat. Sofort vorne in der Gasse blieb er stehen. Als sie genauer hinsah, entdeckte sie einen Körper. Erst fielen die Brötchen zu Boden, dann die Hundeleine. Ein heller Schrei drang aus ihrer Kehle. Vor ihr lag der nackte Körper eines Mädchens, blutverschmiert, mit verdrehten Gliedmaßen. 

Impressum

Texte: Bianca Thomahsen
Tag der Veröffentlichung: 01.04.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet allen wundertollen Menschen ♥

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