Cover

Ist das nicht ironisch?

Wir sind jetzt drei geniale Jahre zusammen, als er mich fragt, ob ich mal Lust auf etwas “Anderes” habe, während er Anstalten macht, an meinen Zehen zu knabbern. Selbst wenn ich ahnte, was er damit meint, könnte ich auf keine Erfahrung zurückblicken, die mich davon abhalten könnte. Außerdem vertraue ich ihm ja. Wie könnte jemand Böses im Schilde führen, der mich eben noch mit einer weißen Flagge um eine Waffenpause hat betteln lassen, und jetzt schon wieder meine schweißnassen Beine küsst?

 

Meine Vergangenheit ist eher von oberflächlichen Wünschen der Männer geprägt und weniger von meiner Fantasie. Weil dem so ist, liegt eben diese Fantasie unter einem Haufen von Komplexen und einem latenten Minderwertigkeitsgefühl begraben. Patrick ist vom ersten Moment an anders gewesen. Er achtet scheinbar auf jede Reaktion meines Körpers, kann mich problemlos eine Stunde am seidenen Faden hängen lassen, um dann genau den richtigen Moment abzupassen, mich um den Verstand zu bringen.

 

Aus meiner Sicht ist das eine hinreichende Voraussetzung für ein erfülltes Sexleben, mehr brauche ich nicht. Daher mein Zögern, als er mir verspricht, einen Traum wahr werden zu lassen, wenn ich mich ihm bedingungslos ausliefere. Ich habe mir schon Hände und Füße ans Bett fesseln lassen und es hat wirklich Spaß gemacht, so “wehrlos” zu sein. Mehr aber auch nicht. Wenn ich nicht gefesselt bin, lasse ich ihn genauso machen, was ihm in den Sinn kommt. Er kennt meine Grenzen und erweitert sie nur maßvoll und äußerst aufmerksam. Heute um ein Nachspiel, bei dem ich bisweilen glaube, meinen Verstand für immer einzubüßen, so oft wie ich dieselben Worte von dem scheinbar synchron mit den Bildern in meinem Kopf wirbelnden Deckenventilator auf die Wände verteilen lasse.

 

Patrick legt fest, dass ein Sonntag ideal sei, um seinen heimlichen Plan in die Tat umzusetzen. Den ganzen Samstag bohre ich nach, um zu erfahren, welchen meiner „Träume“ er wohl im Sinn hat, aber er macht nicht die geringste Andeutung. In mir will sich einfach kein Bild formen, von dem ich ihm einmal erzählt haben mag und das so weltbewegend sein soll, wie seine offenkundige Vorfreude nahelegt.

 

Nachdem ich geduscht habe, bittet er mich, im Wohnzimmer auf ihn zu warten, mich aber nicht anzuziehen. Er hat Couch und Tisch beiseite geschoben und da, wo sonst der kaum genutzte Hängesessel eingehakt werden kann, baumelt jetzt ein grob geflochtenes Seil von der Decke, an dessen Ende meine gepolsterten Handschellen befestig sind. Deren offensichtliche Bestimmung lässt mich schmunzeln und weckt vollends meine Neugier auf das, was Patrick mit mir vorhat. Es dauert eine Ewigkeit, bis er sich fertig rasiert hat und ich rutsche auf dem großen Sessel hin und her, der heute mitten im Raum platziert ist. Der Frühlingswind, der gelegentlich durch die weit geöffnete Terrassentür weht, fühlt sich angenehm kühl an, auch weil er ungehindert meinen ganzen Körper umspielen kann.

 

In Shorts und T-Shirt kommt Patrick dann doch endlich zu mir, nimmt mich bei der Hand, zieht mich aus dem Sessel und küsst mich. „Bereit?“, fragt er mit einem spitzbübischen Lächeln und ich hebe zur Antwort meine Arme gen Decke. Er legt mir die Handschellen an, stellt sicher, dass sie fest sitzen und geht um die Couch herum. Der an sich belanglose Besenstiel, den er hervorholt, ist links und rechts um je eine Fußfessel bereichert worden. Patrick kniet sich hinter mich, lässt mich die Beine spreizen und fixiert mich in dieser Position. Er ist sichtlich zufrieden mit seinem Werk, rückt sich den Sessel zurecht und nimmt sein Smartphone zur Hand. „Du siehst umwerfend aus“, lässt er mich wissen und macht hörbar ein paar Fotos von mir. Meine Versuche, dem Motiv etwas mehr Dynamik zu verleihen, indem ich mich ihm entgegenstrecke, scheitern an den Fesseln. „Das hat ja schon mal funktioniert“, stellt er mit offenkundiger Genugtuung fest.

 

„Willst du da jetzt sitzen und mich anglotzen?“ Ich grinse ihn frech an und versuche mich vergeblich darin, mein Becken verführerisch kreisen zu lassen.
„Ganz sicher nicht.“ Er steht auf, macht einen Schritt auf mich zu und gibt mir einen Zungenkuss, der mir etwas eindringlicher erscheint als sonst. Das mag auch an seiner Hand liegen, die zuerst meine Brust umfasst, dann aber gleich nach unten wandert.

 

„Das fühlt sich an, als wärst du schon in Stimmung”, flüstert er mir ins Ohr. Dass ich feucht bin, weiß ich selber. Natürlich bin ich in Stimmung, spätestens seit … einem ganzen verfluchten Tag.
Er setzt seine Erkundungen fort, berührt mich, küsst mich. Dieses Ausgeliefertsein außerhalb des Bettes, die offene Terrassentür, das alles hat schon was. Das ist wirklich mal was „Anderes“. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass uns hier jemand überrascht, es ist fast schon öffentlich, gewagt, verboten. Ein bisschen zumindest.

Ohne Umschweife steckt er seinen Finger in mich, dann einen zweiten, winkelt sie an, braucht eine gefühlte Minute und hat eine sich windende Eroberung gemacht. Das Schlimmste daran, gefesselt zu sein, ist, dass ich ihn nicht berühren kann. Genau jetzt wäre mein Griff unausweichlich, um ihm etwas von dem zurückzugeben, was er in mir auslöst. Weil ich nichts an meiner Lage zu ändern vermag, entscheide ich, seine Berührungen einfach zu genießen.

 

Dass er mir nicht widerstehen kann, wenn ich so bin, hat er mir mindestens hundertmal gesagt. Ich liebe es, wenn er mich so anhimmelt, sehe ihm gerne zu, wie er immer mehr Lust auf mich bekommt. Ich kenne meine Wirkung auf ihn und es gibt nichts Schöneres für mich, als vor ihm damit zu spielen. Es ist schon wie ein kleines Ritual, ihn um den heranwinkenden Finger zu wickeln, wenn ich - ganz aus Versehen - in Dessous oder nackt vor ihm stehe. Sein Blick, wenn er schon langsam heiß wird und ich mich auf allen Vieren vor ihn knie, ist einfach unbeschreiblich. Nichts lässt mich so aufblühen wie der Eindruck, in solchen Momenten der Mittelpunkt seines Universums zu sein. Kein Mann vor ihm hat mir je dieses Gefühl gegeben. Wenn er so ist, lässt er mich glauben, die begehrenswerteste Frau auf diesem Planeten zu sein.
Er fingert noch einmal prüfend an meinen Handschellen, küsst mich und legt seine Lippen an mein Ohr. „Du wirst noch etwas mehr Aufmerksamkeit erhalten, wenn du es zulässt.“ Er hat schon wieder meine Gedanken erraten. Nach einem weiteren Kuss hält er mir meine Augenbinde vor das Gesicht. Ich schließe lächelnd die Lider und halte still, bis er sie mir angelegt hat. Seine Schritte entfernen sich. Er hantiert an irgendetwas herum, während ich ungeduldig mit den Füßen wippe.

 

Plötzlich ertönt Musik. Alanis Morissette, meine bevorzugte Begleitung zu so gut wie allem. Ich fahre richtig zusammen, so laut dröhnt sie mir entgegen. Patrick stellt sich hinter mich, legt seine Hände auf meine Brüste und beginnt, sie sanft zu massieren. Ich wiege mich im Rhythmus von „Thank You“ und lege den Kopf in den Nacken. Ein paar Küsse auf meinen Hals und ein geübtes Fingerspiel machen mich vollends bereit für was auch immer. Seine Hände lassen von mir ab und ich spüre, dass er sich von seiner überflüssigen Kleidung befreit.

 

Patrick steht direkt hinter mir, zieht meinen Kopf wieder in den Nacken und gibt mir einen Kuss, den ich mit gleicher Intensität erwidere. Ohne Vorwarnung dringt er tief in mich ein. Er wartet vielleicht zwei, drei Sekunden, dann beginnt er, mich mit festen rhythmischen Stößen zu nehmen. Seine Hände greifen nach mir, meinen Brüsten, den Brustwarzen, meinem Po, als sei ich ein Selbstbedienungsladen. Kein Abwarten meiner Reaktion wie sonst. Er befriedigt sich an mir, so kommt es mir vor, und mein Körper scheint nicht das Geringste dagegen zu haben. Ich hänge buchstäblich in den Seilen, was dazu führt, dass er mich in die für ihn angenehmste Position bewegen kann. Dieses Abgeben jeder Kontrolle rauscht in meinem Kopf, als wollte es die Musik übertönen. Ich will jetzt mehr und rufe dieses Gefühl unverhohlen mit jedem Stoß laut in die dunkle, perfekt untermalte Welt. Mein ganzer Körper ist ein einziges Signal und ich spüre, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis Patrick mich erlöst.

 

Es klopft in meinen umherwirbelnden Gedanken, bis Patrick plötzlich innehält. Er steckt regungslos in mir, während ich den Kopf hin und her drehe, ohne auch nur das Geringste sehen oder das Klopfen deuten zu können, weil es sich nicht wiederholt.
„Hi, ihr zwei.“ Das ist Kathis Stimme, unverkennbar. Unsere zur Freundin gewordene erste gemeinsame Urlaubsbekanntschaft. Als hätte ich sie in Form eines Pfannkuchens mit der Bratpfanne aufgefangen, legt sich eine Erkenntnis über mein euphorisches Gemüt. Diesen Traum meint er! Davon erzählte ich ihm einmal im Bett, während er mich für eine zweite Runde in Stimmung zu bringen versuchte. Ich hatte geträumt, Kathi hätte uns beim Sex erwischt und – statt aufzuhören – machten wir einfach weiter und – statt zu gehen – blieb sie und sah uns zu. Patrick hatte so lange nachgehakt, dass ich schließlich das Eingeständnis formte, die Vorstellung ganz nett zu finden. Also schon mehr als nett, allerdings mit der entschärfenden Gewissheit, dass Kathi sich nie auf solch ein Terzett einlassen würde. Sie hat mit Männern nichts am Hut und sicher kein Interesse daran, uns beim Sex zuzusehen.

 

Jetzt ist Kathi hier - es war ganz sicher ihre Stimme - und ihre unangekündigte Anwesenheit kann kein Zufall sein. „Soll ich weitermachen?“ Patricks Lippen berühren mein Ohr. Sein Griff um meine Schenkel wird wieder etwas fester. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, hänge hier mit gespreizten Beinen in meinem Wohnzimmer und habe Kathi gerade die zunehmende Entgleisung meiner Selbstbeherrschung entgegengerufen.

„Das sind ja glänzende Aussichten“, höre ich sie sagen und frage mich, ob sie damit die Situation insgesamt oder meinen zur Schau gestellten Schritt meint, in dessen Mitte Patrick jetzt wieder langsame Bewegungen macht. Seine Stöße werden schneller, fester, sind bald wieder so wild wie kurz zuvor und nehmen mir die Entscheidung ab, auf was ich mich hier gerade einlassen will. Die Vorstellung, vor einer anderen Frau so genommen zu werden, heizt mir mehr ein, als ich je erwartet hätte. Dass Patrick ähnlich aufgewühlt ist, kann ich spüren. Dennoch wird er bald langsamer und bleibt dann wieder beinahe regungslos in mir. Erneut spüre ich seine Lippen an meinem Ohr. „Sie würde dich gerne berühren, wenn sie darf.“ Der Satz scheppert wie eine pfeifende Dampflok durch meinen Körper. Ich umgreife die langen Ketten meiner Handschellen und drücke kaum merklich meinen Rücken durch, als berührten ihre Finger mich längst. Mehr Zustimmung wage ich nicht und mehr brauchen scheinbar weder Kathi noch Patrick. Er zieht sich aus mir zurück, alles in mir will sich darüber beschweren, aber mir leuchtet ein, dass Kathi keine Lust hat, eine Frau zu vernaschen, in der ein Kerl steckt.

 

„Darf ich?“ Ihre Frage klingt unaufgeregt, fast kühl, als bitte sie um Milch zum Kaffee. Ihre Finger holen sich die Antwort, indem sie meine Brüste umkreisen. Sie gleiten ganz sanft über meine Haut, ziehen immer enger werdende Kreise und formen schließlich zwei sanft zudrückende Paare von Daumen und Zeigefingern. Mein Kopf gleitet in den Nacken und die wenige Kraft, die in meinen Beinen verblieben ist, nutze ich, um ihr mein Becken aufzudrängen. Ihre Fingernägel gleiten an mir herab, schicken einen Schauer nach dem anderen durch meinen Körper und setzen ihre Reise über meinen Po fort. Ich kann ihren Atem spüren, der sich zwischen meinen Schenkeln ausbreitet, als wäre er die einzig vorstellbare Steigerung des Frühlingshauchs, der mich umweht. Wie sie mich ansieht, wüsste ich jetzt gerne und doch bin ich froh um die Augenbinde, weil ich mir nicht vorstellen kann, wie ich diesen Blick erwidern sollte. Ihre Finger zwischen meinen Pobacken lassen mich den Atem anhalten. Alanis Morissette fragt sich, ob das nicht ironisch sei, den Mann ihrer Träume zu treffen und dann seine bildschöne Frau. Das jagt einen Gedanken mitten durch meine knisternde Erregung. Kathi und Patrick. Ich gefesselt. Die beiden unter einer Decke. Aber Kathi und ein Mann? Patrick und eine andere Frau? Das ist beides abwegig. Ein dämlicherer Gedanke könnte mir jetzt nicht durch den Kopf gehen, mal abgesehen von dem Pfannkuchen vorhin. Ich habe nicht einmal Hunger, das ist eindeutig Appetit.

Kathis Zunge löst meine Zweifel von mir ab und ihre Lippen nehmen sie auf. So fühlt sich das also an, wenn eine Zunge aus eigener Erfahrung spricht. Reichlich unfair ist das und widerstehen mag man da auch nicht. Ich hänge hilflos vor ihr, willenlos, grenzenlos berauscht und nur noch im Stande, mich allem hinzugeben, was jetzt passieren mag. Sie taucht in mir ein, saugt sich an mir fest und der unaufhaltsame Strom, der sich einen aufgewühlten Weg durch meinen Körper bahnt, reißt mich mit und lässt mich bebend die Musik in Grund und Boden jammern.

 

Noch während ich um Atem ringe, befreien zwei sich anschmiegende Hände meine Füße. Kaum sind auch meine Hände freigegeben, sacke ich von Armen aufgefangen zusammen, die sich wie Patricks anfühlen. Ich sinke an seinem Körper herab, streiche mit dem Mund darüber und suche die salzig schmeckende Haut nach dem einzigen Halt ab, der mir jetzt in den Sinn kommt. Mir ist egal, was Kathi davon hält, dass ich meine erste Erfahrung mit einer Frau durch ein dankbares Lippenbekenntnis krönen will. Mir ist danach und die alles erhitzende Lava, die noch in mir strömt, will von Patrick gelöscht werden. Saugend und schmatzend knie ich vor meinem Traumdeuter und gebe ihn erst frei, als er förmlich um Gnade winselt.

 

Patrick nimmt mir die Augenbinde ab, kniet sich zu mir und nimmt mich in seine Arme. Mein vom wiedergekehrten Tageslicht geblendeter Blick geht zögerlich zum Sessel, der leer ist. Ich sehe mich um, während ich auf Patricks Schoß klettere und meine Arme um seinen Hals lege. Er nimmt sein Smartphone von dem kleinen Tisch, den er neben dem Sessel positioniert hat.
„Hi, ihr zwei“, tönt Kathis Stimme aus dem Telefon, gefolgt von einem „Darf ich?“, das Patrick durch ein erneutes Tippen auf das Display auslöst. Ich sehe auf das Telefon, tippe darauf, lasse es an der Tür klopfen und Kathi wieder zu uns sprechen.

 

„War nicht schwer zu durchschauen, ich weiß, aber ich dachte, es reicht, um ein bisschen Kopfkino in Gang zu setzen.“ Ich versuche, gleichzeitig vorwurfsvoll und kein bisschen überrascht auszusehen, während ich mit dem Zeigefinger eine halbherzig ermahnende Geste vor seinem strahlenden Gesicht aufführe. Mein Grinsen fühlt sich an, als wollte es für immer bleiben.
„Mach das noch mal“, hauche ich ihm ins Ohr.
„Was genau?“
„Hab ich vergessen.“

Impressum

Texte: Joyce Cunnings
Cover: Shibari Kinbaku
Tag der Veröffentlichung: 20.12.2019

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /