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Kapitel 1


Meine Füße schlürften durch staubigen Sand einer leeren Nebenstraße. Ich taumelte in die Richtung des Stadttores. Meine Beine zitterten. Meine Arme waren schlaff und mein ganzer Körper fühlte sich so ausgezerrt an, wie ich es noch nie erlebt hatte. Es war die glühende Mittagshitze eines unerbitterlichen Sommers. Ich rieb meine spröden Lippen übereinander, die sich nach jeder Art von Wasser sehnten. Ich stieß den schweren Atem aus und starrte zum hellblauen Himmel hoch und kniff die Augen zusammen, als ich in das sengende Sonnenlicht blickte.
Ich lehnte mich in den Schatten einer Hauswand und spähte um die Ecke zum Stadttor und Schweiß kitzelte mir die Schläfen bis zum Kinn herab.
Zwölf Wachen waren an dem Tor postiert und kontrollierten genauestens wer rein kam und auch wer raus ging.
Wie sollte ich daran vorbei kommen? Ich rieb mir mit einer Hand das müde Gesicht und lehnte meinen Körper gegen die kalten Steine.
Egal wie, ich musste aus der Stadt. Man suchte mich. Man hatte mich schon einmal gefunden, doch ich konnte noch fliehen, aber ein weiteres Mal würde ich es nicht schaffen. Ich hatte seit zwei Tagen nichts mehr gegessen, denn ich wollte nicht das Risiko eingehen bei einem Diebstahl die Aufmerksamkeit der Wachen auf mich zu ziehen, die durch so ziemlich jede Straße patrollierten. Ich war überhaupt glücklich, dass sie mich nicht so schon erkannten.
Um das Stadttor wirbelte so viel Staub, dass ich glaubte alleine von dem Anblick zu Husten.
Drei Wachen lösten sich vom Tor und kontrollierten einen Händlerwagen, der in die Stadt wollte.
Gleichzeitig sah ich, wie ein alter betrunkener Mann mit zerschlissener Kleidung einen der Wachmänner, der weiterhin seinen Posten bezog, beschimpfte. Nach dem der Mann nicht aufhörte immer heißerer dem Wachmann Beleidigungen gegen den Kopf zu werfen trat der Wachmann vor und stieß den Mann an und sagte mit wütender Stimme, dass er verschwinden soll.
Der Betrunkene, der keine Selbstbeherrschung mehr hatte stürzte, blickte einen Moment lang verdutzt drein und rappelte sich taumelnd wieder aus dem Sand auf, begann dann noch heftiger auf den Mann ein zu schimpfen, trat vor ihn, tippte ihn mit einem Finger auf die Brust und tadelte ihn wie ein kleines Kind und ich sah, wie sich die Züge der Wache immer zorniger zusammenzogen. Alle Gemüter waren durch die schwüle Luft und stechende Sonne erhitzt. Schließlich stieß der Wachmann den Älteren wieder, nur diesmal heftiger und zog gleichzeitig sein Schwert. Die anderen Wachen musterten die Beiden, ohne wirklich einschreiten zu wollen.
Vielleicht war das meine einzige Chance.
Ich löste mich von der kühlen Hauswand, trat einen Schritt vor, atmete tief durch und sammelte meine letzte Kraft, um durch das Tor zu sprinten. Doch kaum hatte ich zum rennen angesetzt, da zog mich eine Hand an der Schulter zurück und ich verlor mein Gleichgewicht und stürzte nach hinten, stieß wieder mit der Hauswand zusammen, gegen die ich mich gelehnt hatte und blickte zu zwei in hellbraunen Kleidern vermummten Gestalten auf.
„Das würde ich nicht tun.“ Sagte eine Männerstimme.
Mein Herz raste hoch und ich suchte, zur Seite paddelnd, meine Balance wieder.
Kopfgeldjäger. Schoss es mir durch den Kopf und ich wandte mich nach links, versuchte der Hand, die erneut nach mir griff auszuweichen, doch meine Reflexe waren einfach zu langsam und diesmal stieß mich der Mann heftig gegen die Wand.
Ich keuchte auf. Ich war geliefert. Vielleicht hatte ich Glück und er brachte mich hier schnell und schmerzlos um.
Er umschlang den Kragen meines Hemdes, dass ich den Kopf nach oben reckte und drückte mich wie einen kleinen Knaben gegen die Wand. Ich umgriff mit meinen Händen seine Eine, die mich starr festhielt und versuchte sie von mir zu bekommen, aber meine Kräfte waren erschöpft.
„Hör zu! Du folgst uns anstandslos, verstanden?!“ zischte er mir entgegen, doch ich hörte ihm nicht zu, versuchte lediglich mich aus seinem Griff zu befreien. Trat ihm mit meinem Fuß gegen das Knie, doch er reagierte darauf nur fast unmerklich.
Er schlug mich erneut gegen die Wand und als sein Arm auf meine Brust traf keuchte ich erneut auf. Das überanstrengte Pochen meines Herzens schoss mir bis in den Kopf und mein Atem schien nicht nach zu kommen.
„Hör auf!“ fuhr er mich diesmal zornig an.
Ich hielt inne, versuchte ruhiger zu atmen und fühlte den tauben Schmerz in meinem ganzen Körper. Das tosende Geräusch, das ich in letzter Zeit so oft erlebt hatte überfiel mich wieder und ich versuchte es mit aller Kraft zu unterdrücken.
Jetzt lockerte er seinen Griff, ließ mich los und ich blinzelte ihn an, sah die andere Gestalt an, die genau so verhüllt war wie er. Das Adrenalin, das durch meinen Körper pulsierte verlieh mir einen neuen Aufschwung.
Ich biss die Zähne zusammen, atmete kurz ein und als der Mann einen weiteren Schritt zurück trat sprintete ich zur Seite wieder los, stolperte eigentlich mehr.
Er fluchte und ich schaffte es noch im letzten Moment um die Ecke zu hechten, bevor seine Hand mich erreichte. Ich war in der Menschenmasse, die sich um das Stadttor drängte, doch es dauerte keinen Augenblick, da stand er schon ein Stück hinter mir. Ich konnte nicht mehr fliehen und tat es doch, unterdrückte die Schmerzen meiner schlaffen Muskeln und zwängte mich an dem Strom der Menschen vorbei.
Mein Herz schlug so wild gegen meine Brust, dass ich glaubte, dass es gleich herausspringen würde. Das tosende Geräusch in meinen Ohren vom Stimmengewimmel, mein Blick, der sich unglaublich scharf klärte und dann in eine Unbestimmtheit verlief. Ich hätte mich übergeben können, doch der Puls drang mich nur dazu weg zu kommen.
Ich drängte mich durch die Menschenmasse und er folgte mir. Ich sah zum Stadttor, doch alle Wachen konzentrierten sich wieder auf die Menschen, die dem Tor zu nahe kamen. Mein Blick viel auf den Betrunkenen, der gerade von zwei Männern weggeschliffen wurde, eine große Platzwunde an seinem Kopf offenbarte sich mir aus der dunkelrote Tropfen in den aufgewirbelten Sand fielen. Einen Moment verschwamm alles wieder, starrte dann zu dem Wachmann, der sein Schwert wieder einsteckte, an dessen Knauf ich eine Spur des Blutes von dem betrunkenen Mann erkannte. Vielleicht war der Mann Tod, vielleicht auch nur bewusstlos. Dies war eine gnadenlose Stadt – etwas dass ich vorher nie bemerkt hatte.
Alles fing an sich um mich herum zu drehen und als ich nach dem Kopfgeldjäger Ausschau hielt, merkte ich, dass er direkt hinter mir stand. Ich zuckte zusammen, doch seine Hand griff nach meinem Nacken und zog mich zurück. Ich war am Ende, vor Verzweiflung hatte ich das Gefühl, dass mir Tränen in die Augen schießen und ich nur aufschreien wollte.
Ich schlug wahllos um mich. Sein Griff, der sich von mir löste. Um mich war alles so taub, dass ich nicht wusste, ob ich ihn getroffen hatte, stolperte nur vorwärts und versuchte so viele Leute wie möglichst zwischen uns zu bekommen.
Ich stürmte die Hauptstraße herauf, rempelte eine alte Frau an, stammelte Entschuldigung und sah zu dem eingehüllten Mann, die Straße herab, der verschwunden war. Er war weg?
Mehr glücklich, als verwirrt verlangsamten sich meine Schritte und ich tappte in die nächste Nebenstraße, atmete aus, warf mich hinter ein paar herrenlose Holzkisten und ließ meinen Kopf in meine Arme sinken.
Ich wartete, zählte bis hundert, während mein Herzschlag sich wieder beruhigte und mein Atem kraftloser wurde. Ich konnte gar nicht beschreiben, wie ich diese Stadt hasste – wie ich die Menschen in ihr hasste.
Ich erhob mich wieder zitternd und erstarrte. Blickte von hellen Lederschuhen auf, die ein paar Schritte von mir entfernt bewegungslos im Staub standen.
Es war der andere Kopfgeldjäger. Bevor ich hätte reagieren können warf er sich gegen mich und drückte mich gegen die Wand. Mein Körper wollte unter der Kraft, die auf ihn einbrach zusammensinken. Er war kleiner als ich, jedoch gnadenlos überlegen.
Aber ich konnte nicht aufhören mich zu wehren, wie ein wildes Tier in einer Falle. Ich drehte mich, bekam einen Arm frei und schlug dem Mann ins Gesicht.
Die Hände ließen mich los, doch ich erstarrte erneut.
Die Kapuze war nach hinten gerutscht und nun offenbarte sich mir ein feines weibliches Gesicht, hellblonde Haare, die zurückgebunden waren. Ein Mädchen, das vielleicht drei Jahre jünger war als ich.
Sie hielt sich den Kiefer, wo ich sie getroffen hatte und sah mich mit einem verhassten Blick an.
Ich wollte zurück taumeln, doch blieb einfach nur fragend stehen.
Nichts hatte einen Rückschluss darauf gegeben, dass sie hätte ein Mädchen sein können. Die Kleidung, die sie trug zeigte nicht eine einzige weibliche Körperform. Ich stockte, konnte nicht mehr denken.
Doch ehe ich mich versah schlug sie zurück und der Schlag war härter als ich mir je hätte vorstellen können. Meine Beine ließen nach und ich sackte herunter.
„Reg dich ab, Shira.“ Sagte eine männliche Stimme, die ich mit einem Zusammenzucken wiedererkannte und benommen sah ich zu dem Mann auf.
Das Mädchen stand immer noch mit erhobener Faust über mir und ich wusste, dass wenn ich es wagte aufzustehen sie mich wieder niederschlagen würde.
Mein halbes Gesicht war von einem stechenden Schmerz überzogen und mein ganzer Körper schien diese zusammengesackte Haltung zu genießen.
Mein Atem, den ich hilflos ausstieß. Der Puls, die Geräusche, das Licht – es war so als ob mein eigener Körper gegen mich arbeitete.
Der Mann, von dem ich immer noch nicht wirklich das Gesicht erkannte zog mich unter den Armen hoch, während ich versuchte wie ein kleines Kind mein Gleichgewicht wieder zu finden.
Ich wehrte mich zwar noch schwach gegen seinen Griff, doch ich merkte, dass ich verloren hatte.
Sie zerrten mich durch kleine verwinkelte Gassen, ich versuchte noch einmal zu entkommen, doch bevor ich wirklich wegkam drehte mir der Mann den Arm hinter den Rücken, dass ich schmerzlich auf zischte.
„Ich hab‘ nichts getan!“ erklärte ich hilflos, aber sie zogen mich in eine neue Straße.
Das Mädchen trat vor und öffnete eine schwere Holztür zu einem Haus und unter Protest meines Seitz wurde ich hineingezerrt.
Die Tür hinter mir schloss sich mit einem quietschenden Geräusch von nicht geölten Scharnieren.
Erst jetzt ließ er meinen verdrehten Arm los und ich stolperte nach vorne.
Ich stand in einer Küche mit einem Esstisch, an dem ein Mann um die sechzig saß und mich mit einem sanften Lächeln musterte. Kleine dunkle Augen, die in einem kantigen Gesicht standen. Ein grauer Dreitagebart und kahlrasiertes Haupt. Über einem Kaminfeuer hing ein Topf, dessen Inhalt eine ältere Frau rührte, die sich nun zu mir drehte. Der Geruch von zerkochten Karotten stieg mir augenblicklich in die Nase.
„Sieh einer an.“ Meinte der ältere Mann am Esstisch und stand auf. Er war groß, er war riesig.
Ich lief zurück, aber der Mann hinter mir stieß mich nach vorne, so dass ich vor Kraftlosigkeit glaubte wieder auf die Knie zu sinken.
Der Mann und das Mädchen legten ihre Mäntel ab und ich sah zu dem Mädchen, dessen zierlichen Körperbau sich mir nun offenbarten und noch mehr Schuldgefühle überkamen mich.
Der atemraubende Geruch aus dem Kochtopf schwebte um meinen Kopf und mein Blick zog sich zu einem Tunnel zu, der schwarz wurde.
Wie ein Getreidesack kippte ich plötzlich zur Seite und merkte nur noch einen dumpfen Aufprall.

Es war ein verwirrender Traum, aus dem ich immer wieder aufgeweckt wurde. Mein Kopf, der angehoben wurde, kühlte Flüssigkeit, die meinen Mund füllte und mir dann weich die Kehle herunter rann. Gelegentlich der Geschmack von einer lauwarmen Suppe. Ich erkannte keine Gesichter, hörte nur zwei Stimmen. Schweiß hatte meine ganzen Kleider durchnässt und klebte sie an meine Haut, selbst die Haare in meinem Nacken und auf meiner Stirn klebten vor Schweiß. Es war ein widerliches Gefühl, dass ich nicht los wurde. Ich wollte die Decke wegstoßen, hatte jedoch keine Kraft. Ich konnte die Augen nicht öffnen und alles wurde wieder zu Nichts. In einem verschwommenen Traum sah ich meine Eltern, dass Blut, Glasscherben eines zerbrochenen Weinglases und wie dessen roter Inhalt gemischt mit Blut in dem hellgelben Teppich versank. Schwarze Augen, die mich anstarrten, etwas Grausames flüsterten. Meine Kehle schnürte sich zu, das trockene Gefühl meiner Kehle und ich zuckte zusammen. Öffnete die Augen, starrte ziellos an eine dunkle Decke. Ein kühles Tuch strich mir plötzlich über die glühende Stirn, für dessen zärtliche Berührung ich in diesem Augenblick so unglaublich dankbar war. Griff nach irgendjemanden, merkte dann aber nur, wie mein Körper zurücksank und ich wieder in Schlaf verfiel: Ich sah sie. Nila, meine kleine Schwester stand in ihrem feinen hellblauen Nachthemd vor mir. Sie lächelte mich an, rannte auf mich zu und hielt meine Beine. Ihr zuckersüßes Lachen, das mir bitter durch den Kopf hallte. Sie hob den Kopf und das glückliche Lächeln wurde zu einem finsteren, grausamen. Das Gesicht wurde hart und ich starrte in der nächsten Sekunde in die Augen ihres Mörders. Der Dämon stieg plötzlich in mir auf, fuhr mit seinen Krallen durch mein Herz und erfasste mich. Mein Herzschlag, den ich selbst durch den Traum, wie wild durch meinen Körper schlagen spürte. Unendlicher Hass, mit dem unzügelbaren Willen zu töten fuhr durch mich und gleichzeitig das widerwärtige Gefühl, wie eine Klinge durch sein Fleisch drang. Ich schreckte auf, merkte wie mein Körper hochfuhr – ich wusste nicht, ob ich schrie als ich hochfuhr, aber ein innerlicher Schrei hallte weiter durch meinen Kopf. Ich keuchte, spürte noch meinen eigenen wilden Herzschlag und starrte auf eine weiße weiche Decke herab.
Eine Hand berührte mich an der Schulter und ich zuckte zusammen.
Ich sah ein Mädchen an, deren hellblonde Haare fein zurück gesteckt waren. Ich schrak noch mehr zusammen. Ich erkannte sie, ich drückte mich gegen die Wand und ließ den Blick mit schwerem Atem nicht von ihr.
„Es ist alles in Ordnung. Dir wird hier nichts passieren.“ Meinte sie und reichte mir einen Holzbecher.
Sollte ich auf diese Aussage einfach nur lachen oder hysterisch Schreien? Die Worte, die ich bereits kannte, und auf die ich mit fünf Faustschlägen anschließend zur Bewusstlosigkeit geschlagen wurde.
Meine Ohren rauschten vor Blut, das mir durch den Kopf schoss und ich glaubte mir würde für einen kurzen Augenblick wieder schwarz vor Augen werden, doch es klärte sich wieder.
Sie hielt mir weiter den Becher hin.
„Du solltest etwas trinken.“ Erklärte sie mir, als ich weiterhin sie nur misstrauisch anstarrte.
Mein Hals kratze nach wie vor und mein Mund war schleimig.
Mit leicht zitternden Fingern nahm ich den Becher jetzt entgegen, blickte in ihn hinein, in dem klares Wasser durch die Bewegung leichte Wellen schlug. Sie lächelte leicht und stand dann auf.
„Ich bin gleich zurück.“ Und die Zimmertür schloss sich hinter ihr.
Zögernd trank ich das Wasser und starrte durch den Raum. Er war leer, bis auf das Bett, einen Stuhl und einen kleinen Tisch. In dem Zimmer gab es auch ein Fenster, das geöffnet war, jedoch war es so klein, dass kaum mein Kopf hindurch passen würde. Hier stand eine widerliche schwüle und gleichzeitig staubige Luft.
Das Wasser war lauwarm, angenehm.
Ich ließ mich wieder zurück ins Kissen sinken, blieb jedoch wach auf der Seite liegen und starrte auf die Tür.
Es dauerte ein wenig, bis sich die Tür wieder öffnete und das Mädchen trat mit einer Schale ein, von der ich den Geruch von Gries wahrnahm. Sie reichte mir das Essen und streckte mir dann noch einen Löffel entgegen.
Ich richtete mich erneut auf und sah auf das Essen herab. Wahrscheinlich hatte ich so viel Hunger, dass ich keinen Hunger mehr spüren konnte, jedoch merkte ich als der Geruch mir immer mehr in die Nase stieg wie ein verlangendes Gefühl in mir gleichzeitig aufstieg.
Vorsichtig aß ich, während sie sich auf den Stuhl nieder ließ und mich schweigend musterte. Nicht neugierig, nicht kindlich, es wirkte nur argwöhnisch.
Ich konnte nicht alles essen und hatte die Schale nicht mal zur Hälfte geleert, als ich die Schale auf einen kleinen Tisch neben dem Bett schob.
Ich lehnte mich zurück gegen die Wand und fühlte in meinen schwachen Körper, dessen Gedanken überall verstreut zu sein schienen.
„Was wollt ihr von mir?“ fragte ich schließlich das Mädchen, ohne wirklich zu ihr aufzusehen.
„Nur das du keine Dummheit begehst.“ Meinte sie ohne jegliche Gefühlsregung, stand dann auf, nahm die Schale und ging mit leisen Schritten aus dem Zimmer. Einen Moment später vernahm ich das Knarren einer Treppe.
Mit einer Hand strich ich mir über das Gesicht, das in schimmerndem Schweiß stand. Die Wand in meinem Rücken war auch kein Trost, da es einfaches Holz war. Es war unerträgliche Mittagshitze.
Ich vernahm etwas klirrendes, eine kräftige weibliche Stimme, die fluchte und dann wie Glasscherben weggeräumt wurden.
Ich rutschte an die Bettkante und stellte meine nackten Füße auf den Boden. Sie fühlten sich nach wie vor schwach an. Ich trug eine hellgraue Hose, die mir bis knapp über die Knie reichte. Dazu hatte ich noch ein sandfarbenes Hemd an. Beide aus dünnem Stoff, doch es waren nicht meine Kleider.
Ich hörte, wie jemand wieder die Treppe hoch lief und die Tür öffnete sich ohne, dass ich verhindern konnte, dass ich leicht zusammenzuckte.
Es war ein Mann, dessen Identität sich mir auf den ersten Blick nicht offenbarte, als er jedoch sprach, wusste ich es sofort wieder.
„Du scheinst dich gut zu erholen.“ Er sprach es ohne ein Lächeln; als einfache Feststellung. Er hatte mich hier her verschleppt und da er jetzt nicht mehr sein Gesicht versteckte erkannte ich weiche schlanke Züge. Genau wie ich hatte er kastanienbraune Augen, die warm wirkten und genauso wach und argwöhnisch alles musterten, dunkelbraune Haare, die jedoch im Gegensatz zu meinen kurz geschoren waren. Ich schätzte ihn auf ein alter von dreiundzwanzig – vielleicht auch etwas älter.
Ich war knapp vierzehn, aber ich wurde immer etwas älter eingeschätzt, was hier allerding weniger hilfreich war.
„Was wollt ihr von mir?“ fragte ich wieder und hob leicht den Kopf.
„In erster Linie wollen wir dich in Sicherheit wissen.“
Ich verengte die Augen. Ich kannte diese Leute nicht und wusste nicht, welches Interesse sie an meiner Sicherheit haben sollten, zumal die ganze Stadt hinter mir her war. Vielleicht in Sicherheit bei ihnen, das mich keine anderen Kopfgeldjäger bekamen und sie die Belohnung erhielten.
„Liefert Ihr mich aus?“ fragte ich jetzt direkt.
Der Mann lächelte – irgendwie amüsiert, und es wirkte wie eine Beleidigung für mich.
„Nein, sicher nicht.“ Erklärte er dann.
Er klang glaubwürdig, dennoch kam ich nicht um das merkwürdige Kribbeln, das durch meine Adern schoss.
„Hör zu. Ich weiß, dass du sicher viele Fragen hast, jedoch solltest du dich erst mal richtig erholen. Ich versichere dir, dass dir hier nichts passieren wird.“
Ich nickte, wobei ich ihn finster ansah. Ich wollte überlegen wirken. Ich brauchte ihre angebliche Sicherheit nicht. Hätten sie mich nicht festgehalten, wäre ich schon längst aus der Stadt – in Sicherheit.
Ich saß in der Ecke und sah zu dem letzten Sonnenstrahl, der nicht mehr als ein Punkt war und auf die Tür leuchtete. Doch in diesem Moment würde ich nicht abhauen. Ich würde mich ausruhen und wenn ich wieder genug Kraft hätte würde ich wieder verschwinden. Was auch immer diese Leute von mir wollten, in meiner momentanen Situation glaubte ich nicht, dass es irgendetwas Gutes sein konnte.
Ich legte mich auf die Decke. Es war nach wie vor nicht wirklich bequem, aber es war besser, als die Nächte, wo ich in einer Ecke gegen eine Holzkiste gelehnt saß und jeder kalte Windzug mich aufwachen ließ.
Ich war direkt eingeschlafen und erst die wachen Geräusche des Hauses und der Stadt weckten mich wieder auf.

In den nächsten Tagen ging es mir zunehmend besser und ich fühlte mich trotz der elenden Hitze wieder gut. Ich konnte wieder aufstehen und tappte unruhig durch das Zimmer.
Die ältere Frau, die eigentlich nur in der Küche stand und kochte, kam in mein Zimmer herauf und brachte mir heute etwas zu essen.
„Du riechst wie eine Kanalratte.“ Meinte sie plötzlich und ich starrte sie über den Tellerrand an. Sie rümpfte betonend die Nase.
„Ich sage Shira, sie soll dir ein Bad einlassen.“ Verkündete sie und verließ das Zimmer.
Ein Bad. Wie ich innerlich plötzlich auflächelte. Wenigstens etwas Positives.
Es war keine sonderlich große Wanne, aber ich genoss einfach nur das warme Wasser, das sich um mich schmiegte. Ich ließ mich hinein sinken und strich mir über die Arme, die von Wunden versehen waren. Shira schüttete mir plötzlich ohne Vorwarnung einen ganzen Eimer Wasser über den Kopf und ich hustete auf, als ich etwas von dem Wasser einatmete.
„Verdammt, bist du wahnsinnig?“ hustete ich weiter.
„Vielleicht.“ Meinte sie lediglich und klemmte sich den Eimer unter den Arm.
Ich glaubte, dass sie immer noch sauer auf mich war, weil ich sie geschlagen hatte – natürlich war sie noch sauer. Vielleicht hasste sie mich sogar.
Ich war hier nicht mehr als ein Gefangener, auch wenn mir so etwas wie Folter erspart blieb.
Man bevorzugte es anschließend, da ich wieder bei Kräften war, dass ich in der Küche bei allen anderen mit aß.
Wir befanden uns auf einem Flur, der extrem schlicht war. Nicht mal Bilder hingen an den Wänden.
Der Flur führte zu einer Treppe, deren knarrendes Geräusch sich fast schon in meinen Kopf eingebrannt hatte.
Die Küche war der größte Raum des Hauses. Man hatte versucht sie gemütlich einzurichten, jedoch konnte man es nicht gerade als besonders modisch bezeichnen.
„Setz dich.“ Stieß mich der Mann, mit den kurzgeschorenen Haaren etwas unfreundlich an, doch mein Blick fiel auf die Tür, die raus auf die Straße führte. Mit innerlichem Widerstreben setzte ich mich auf einen Stuhl an dem Küchentisch.
Die Frau, die nach wie vor bei dem Kochtopf stand füllte zwei Schalen mit der orangenen Suppe und gab sie dem Mann. Der Geruch des weichgekochten Blumenkohls und der Kartoffeln schwebte schon den ganzen Tag lang im Haus. Sie stellte eine Schale vor mich, eine anderen setzte sie Shira vor, die neben mir saß. Ich runzelte die Stirn, während ich an dem widerlichen Geruch der Suppe roch. Wenn es eins gab, was ich nicht leiden konnte, dann Gemüse und noch weniger, wenn es in einer Suppe zermanscht wurde.
„Iss.“ Befahl mir der Mann.
Widerstrebt nahm ich den Löffel. Selbst bei dem großen Hunger, den ich verspürte änderte es nichts daran, dass ich am liebsten die Suppe zur Seite gestoßen hätte und etwas anderes gefordert hätte. Aber ich fühlte mich nicht in der Position hier so etwas zu fordern – ich war nicht mehr in meinem alten Leben. Ich war Rang- und Namenslos.
Der ältere Mann mit den kleinen schwarzen Augen, der mich immer anlächelte schlürfte an der Suppe, während ich nur lustlos den Löffel anhob.
Nach dem ich fertig war, fühlte ich mich nicht wirklich satt.
Wie ich die große Tafel vermisste, die mit allem möglichen Gedeckt wurde. Über Obst, süßem Gebäck, Schinkenscheiben und Käse.

„Wie ist dein Name?“ fragte ich den Mann, als wir wieder in dem oberen Zimmer waren.
Erst sah er mich fragend an, sagte dann aber „Jeran.“
Ich nickte und erwartete, dass er mich fragte, wie ich hieß, doch er tat es nicht. Ich runzelte die Stirn, doch dann sah er mich mit einem Lächeln an „Ich weiß, wie du heißt.“
Ich runzelte noch mehr die Stirn.
„Eren Davíer. Habe ich recht?“
Ich nickte vorsichtig.
„Wir wissen so ziemlich alles über dich, also erwarte keine Fragen.“
„Warum? Was wollt ihr von mir?“ ich war auf irgendeine Art unheimlich wütend. Niemand hier redete wirklich mit mir. Es waren höchstens Anweisungen: Komm runter, setzt dich, iss…
„Du hast ein paar Fähigkeiten, die ziemlich wertvoll sind. Das Attentat, das auf deine Familie ausgeübte wurde, war nur ein Teil, des eigentlichen Attentats auf dich und solltest du draußen weiter so rumlaufen wird dein Kopf bald vor dem Stadttor hängen.“
„Das heißt, ihr glaubt nicht, dass ich es war?“
Er zog eine Augenbraue hoch „Natürlich nicht.“
Meine Muskeln verkrampften sich. Ich wusste nicht, ob es ironisch gemeint war, aber wenn nicht war er vielleicht der Erste, der nicht die allgemeine Auffassung der Vorfälle hatte.
Alle glaubten, ich hätte meine Familie – meine Eltern, meine kleine Schwester – den ganzen Haushalt ermordet, weil ich der einzige Überlebende nach dem Massaker war. Die Wachen hatten mich mit einem blutverschmierten Messer aufgegriffen. Verzweifelt hatte ich versucht zu erklären, dass ich geflohen sei und dass Blut von einem Attentäter stammte, doch sie glaubten mir nicht mal ansatzweise. Ich wurde ins Gefängnis gesteckt und sollte auf meine Todesstrafe warten.
Doch ich war geflohen und ein hohes Kopfgeld war auf mich ausgesetzt, so dass es den Leuten egal war, ob ich Schuldig war oder nicht – zumal sie sowieso von meiner Schuld überzeugt waren.
Ich biss die Zähne zusammen.
„Wir werden dich unterrichten. Du wirst nicht mehr leben so wie davor, gewöhn dich besser schon mal dran. Wir warten, bis die Wachen nicht mehr so durchforstend nach dir suchen und bringen dich dann aus der Stadt.“
„Wohin? Und was ist, wenn ich nicht von euch unterrichtet werden möchte? Wenn ich gar nicht mit euch gehen möchte?“ ich verengte misstrauisch die Augen.
Er verzog seine Lippen zu einem schiefen Lächeln „Du hast keine Wahl. Wo willst du hin, wenn nicht mit uns? Und selbst wenn, dann würden dich Shantra früher oder später finden. Dann kannst du noch froh sein, wenn die Wachen dich vorher finden.“
Ich runzelte erneut die Stirn.
„Shantra?“
„Das Regiment von Shantra, besser gesagt. Sie wollen dich tot, wir wollen dich lebend. Ich meine, natürlich kannst du das dir aussuchen, aber so wie ich dich einschätze bevorzugst du es zu leben.“
„Das Regiment von Shantra? Welches Interesse sollten sie an meinem Tod haben?“ wiederholte ich. Shantra war eine komplizierte Angelegenheit. Nach dem die mächtigen Leute in dem Land mit der Monarchie unglücklich waren stürzten sie die Königsfamilie. Mehrere einflussreiche Leute, zum Großteil Händler schlossen sich zusammen und übernahmen die Leitung von Shantra. Die reichsten Leute von Lcâp bis Surda, deren Ziele nichts anderes zu sein schienen, als noch mehr Geld anzuhäufen.
Mein Magen verkrampfte sich. Ich erinnerte mich an ein Streitgespräch zwischen meinem Vater und Vertretern von Shantra, wie er aggressiv die Stimme erhob und erklärte, dass er ihre Verschwörung niemals unterstützen würde, niemandem außer König Malius (Dem momentanen König von Avarell) treu schwören würde und – die Erwiderung, dass es ihm leid tun würde.
Jeran stieß den Atem aus „Habe ich doch gesagt. Du hast gewisse Fähigkeiten, weswegen sie dich als Bedrohung ansehen. Am liebsten würden sie uns alle tot sehen.“
Wir schwiegen. Doch unendlich viele Fragen schwirrten noch in meinem Kopf.
„Wer seid ihr?“ fragte ich jetzt mit fester Stimme.
„Assassinen. Menschen, mit Fähigkeiten wie du. Vielleicht sagt dir Die Assassinen von Saret etwas mehr.“ Er lächelte knapp.
Ich erstarrte. Mein Schicksal wurde immer unverständlicher für mich, doch gleichzeitig verstand ich, was sie von mir wollten - sie wollten mich unterrichten, also auch zu einem Assassinen machen, weil sie wussten was ich getan hatte, was ich konnte.
Vielleicht konnten sie mir helfen?
Warum sollten sie das tun?
Die Assassinen von Saret. Mein Lehrer wurde immer steif, wenn ich etwas zu dem Thema fragte. Mein Vater war wütend geworden, meine Mutter kreidebleich. Mein damaliger Freund Chester war der einzige, der offen darüber mit mir geredet hatte.
Er erzählte mir von Gerüchten, dass sie unter dem Befehl des Königs standen und das andere behaupteten, dass sie eine Verschwörung gegen reiche Menschen waren, andere, dass sie wie Shantra die Herrschaft über das Land ergreifen wollten.
Aber eins dass ich definitiv von meinem Lehrer wusste, dass alle und zwar wirklich alle vor ihren Anschlägen Angst hatten.
Dann runzelte ich die Stirn.
„Ich bin kein Mörder.“ Meinte ich mit finsterer Miene.
„Wirklich?“ Es war ein Lächeln, das wieder ernst wurde „Was war in jener Nacht? Was war mit dem einen Mann? Hättest du nicht alle Attentäter, die deine Familie ermordet haben umgebracht, wenn du die Möglichkeit dazu gehabt hättest? Würdest du es nicht immer noch tun?“
Ich biss die Zähne zusammen. Vielleicht hätte ich seine Worte, dass sie so ziemlich alles über mich wussten besser mehr ernst genommen.
„Niemand macht dir Vorwürfe, dass du Rachegedanken hast. Nur es wird nichts daran ändern, dass du nicht mehr zurück kannst. Alle deine Besitztümer wurden dir abgesprochen, du wirst verfolgt und wurdest als Vogelfrei erklärt. Deine Mutter ist Tod, dein Vater ist Tod, deine Schwester ist Tod. Sie haben dein Haus niedergebrannt, selbst deinen Hund haben sie vergiftet und deine Verwandten und Bekannten sind eingeschüchtert und bestochen worden, gegen dich auszusagen und dir keinen Schutz zu bieten. Du bist alleine.“
Ich ballte die Fäuste. Tränen wollten meine Augen füllen und ich wandte den Blick zur Seite.
„Ist mir bewusst.“ Es war mir nicht wirklich bewusst gewesen, zu mindestens nicht bis zu dem Punkt, bis er es eben sagte.
Es klopfte leicht gegen die Tür, die sich danach zögerlich öffnete.
„Gerhard will mit dir reden.“ Erklärte Shira.
Jeran nickte und schritt über die Holzdielen aus dem Zimmer und die Tür schloss sich wieder.
Ich stand immer noch mit zusammengeballten Händen da und jetzt rann mir eine Träne über das Gesicht. Ich würde nicht hier bleiben, aber ich würde mich auch nicht den Assassinen anschließen. Sie wussten, dass ich Rachegedanken hatte, doch ich glaubte nicht, dass sie mich meine Rache ausführen lassen würden. Sie würden es ausnutzen. Mein Lehrer hatte mir erklärt, dass sie nach der Philosophie „Töten aus einer Notwendigkeit“ lebten. Rache war sicher keine Notwendigkeit. Über ein Jahr, das ich im Gefängnis gesessen hatte, hatte ich mir die blutrünstigsten Rachephantasien ausgemalt – ich wollte die Schuldigen leiden lassen, so wie ich litt. Sie würden die Folter durchleben, die ich durchleben musste. Tage und Nächte, die ich geschlagen wurde. Mein Körper war immer noch von blauen bis roten Flecken übersät. Man gab mir nichts zu essen und kippte mir dann nur Wasser ins Gesicht, wenn ich vor Übermüdung drohte einzuschlafen.
Ich erklärte immer wieder, dass ich nichts getan hätte, dass es fremde Männer gewesen waren, denen ich selbst mit Mühe entkommen war. Mir kam es vor wie eine Verschwörung. Sie griffen nicht zu härteren Methoden, da ich immer noch von hoher Abstammung war und der Rest meiner Verwandten zu dem Zeitpunkt schon extremen Protest erhoben. Am Ende wurde ich als verrückt erklärt. Mein Körper sei von Dämonen ergriffen und ich sei eine Bedrohung für das Königreich. Dann wurde mein Todesurteil ausgesprochen.
Irgendwie war es eine Verschwörung, doch ich wusste nicht wie. Das Regiment von Shantra.
Doch was hatten Leute von dort in dieser Stadt Armenius zu suchen?
Shantra und Avarell waren allgemein nicht gut aufeinander zu sprechen. Nicht minder, weil Shantra ein blutrünstiges Land war, dessen Kultur nicht mit der von Avarell übereinstimmte, sondern auch weil es viel Verrat zwischen den beiden Ländern gab.
Wie hätte sie sich in die Regierung der Stadt einschleusen sollen?
Sie war mein einziger Anhaltspunkt, an den ich mich vorerst halten musste.
Und wenn ich dann genau wusste, wer bei der Verschwörung beteiligt war würde ich sie auffinden, ich würde sie zu einem Geständnis zwingen, dass sie meine Familie umgebracht hatten, damit meine Unschuld beweisen, mein Recht auf meine Besitztümer zurückfordern, die mir genommen worden waren. Ich würde von der Regierung, vielleicht sogar vom König selbst Wiedergutmachung fordern. Es war ein langer Weg, doch danach würde ich mir ein neues Leben aufbauen. Wieder in Frieden leben können, auch wenn ich das, was geschehen war womöglich nie wieder vergessen konnte.
In meinem Kopf hallten die Worte meines Vaters, der mir erklärt hatte, dass die Assassinen irre seien – sie glaubten sie würden die Welt durch morden verbessern, aber dass das unmöglich die Lösung sein konnte um Frieden zu erlangen, weil am Ende alle nur in Angst leben würden, weil wenn sie ein Unrecht begangen direkt gemeuchelt wurden.
Ich teilte seine Meinung nicht wirklich, vor allem nicht, da ich momentan in dieser Situation war, in der es keinen anderen Weg zu geben schien, als Frieden durch Mord wieder herstellen zu können.
Vielleicht war es doch eine Notwendigkeit. Allerdings es war irgendwie Verrat für mich, wenn ich mich den Assassinen anschließen würde. Etwas, dass mein Vater und meine Mutter immer abgelehnt hatte und dass ich dann verwendete, um Rache für sie auszuüben?
Ich würde meine Rache alleine ausführen. Ich würde Gerechtigkeit ausüben. Gleichzeitig war mir bewusst, dass wenn ich mich gegen die Assassinen entschied wahrscheinlich sterben würde – wenn Jerans Worte wahr waren. Ich stand in irgendeinem Dilemma, doch das Gefühl, dass ich weg von hier musste blieb, am besten würde ich dann verschwinden, wenn sie mich aus der Stadt gebracht hatten. Ich wusste nicht, wer alles bestochen war, eingeschüchtert worden war mir keine Zuflucht zu bieten und ich wusste nicht, wer alles den Worten der Verschwörer glaubte. Am besten würde ich nachts einfach verschwinden, eine neue Identität annehmen und irgendwo untertauchen. Bei Schauspielern oder Händlern.
Es war kein wirklich durchdachter Plan. Höchstens eine grobe Vorstellung, aber mein Leben war nicht mehr mehr als eine grobe Vorstellung. Ich hatte keinen Weg, nur das Ziel die Schuldigen für das Geschehene zu finden und bestraft zu sehen.

Die Tage vergingen. Es war eine Woche bis Jeran mir erklärte, das wir am nächsten Abend nach Saret aufbrechen würden. Ich erzählte ihm nichts davon, dass ich mich ihnen nicht anschließen würde. Immer wieder fragte ich Jeran, wie sie vorhatten mit mir die Stadt zu verlassen bzw. an den Wachen am Stadttor vorbei zu kommen, aber er sagte nicht mehr, als dass sie mich vorbeischmuggeln würden. Mir wurde unwohl, da ich glaubte, dass er es vielleicht ahnen könnte, dass ich nicht vorhatte mich ihnen anzuschließen.
Ich fühlte mich träge, aber ausgeruht. Ich tat den ganzen Tag nichts anderes außer stundenlang in dem Zimmer zu sitzen, etwas zu Essen, die halbe Nacht zu überlegen wer schuldig an diesem Verrat war, um dann wieder über mein vergangenes Leben nachzudenken. Mir war nie aufgefallen, wie glücklich ich war – wie einfach das Leben gewesen war.
Ich aß zu Abend und es gab wieder eine Gemüsesuppe, die eine hellgrüne Farbe hatte. Auch wenn sie vielleicht so ziemlich alles über mich zu wissen schienen, wussten sie anscheinend nicht, dass ich Gemüse nicht ausstehen konnte.
Ich nippte nur zögerlich an der Suppe. Die letzten Tage hatte ich genug gegessen, so dass ich keinen Hunger hatte und mich nur die Blicke, der anderen am Tisch dazu zwangen wenigstens etwas davon zu essen.
Die Anderen waren bereits fertig und ich schob die noch halbvolle Suppenschale zur Seite und stand auf.
Jeran musterte mich und ich sah ihn fragend an.
Doch plötzlich merkte ich, wie mich ein benommenes Gefühl erschlug, meine Beine verloren ihre Kraft und ich griff nach seinem Arm, um nicht zu stürzen.
Er löste meinen Griff von seinem Arm und ich stürzte zu Boden. Mein Atem raste wie wild und ich versuchte verzweifelt wieder aufzustehen.
Sie hatten mich vergiftet. Sie wussten, dass ich mich ihnen nicht anschließen würde und deshalb zogen sie meinen Tod vor.
„Was…?“ meine Stimme brach unter meinem Atem ab.
„Es ist nur zu deinem besten.“ Erklärte er und meine Augenlider fingen an zu flimmern.
Ich versuchte immer noch aufzustehen, doch mit jeder Bewegung wich immer mehr Kraft aus mir.
Bis schließlich mein ganzer Körper nachgab und alles in Dunkelheit verschwand.

Ich vernahm das Geräusch von Pferdehufen und von Holzrädern, die über eine ebene sandige Straße fuhren. Vorsichtig blinzelte ich. Ich wollte mich bewegen, doch meine Hände waren hinter meinen Rücken gebunden und auch meine Füße waren zusammengebunden. Mein Kopf dröhnte vor Müdigkeit und erst jetzt erkannte ich Jeran, der neben mir in dem kleinen Wagen saß und nicht bemerkt hatte, dass ich aufgewacht war. Er sah nachdenklich auf die Stoffplane, die den Wagen bedeckte und in dem Fahrtwind Wellen schlug.
Ich biss die Zähne zusammen und stieß mich hoch, warf mich mit der benommenen Kraft gegen ihn und verwundert verlor er kurz sein Gleichgewicht und kippte sitzend zur Seite. Doch er brauchte nicht lange um es wieder zu finden.
„Ihr verdammten Penner!“schrie ich ihn an.
Er schlug mir im nächsten Moment ins Gesicht und ich merkte nur leicht, wie meine Lippe aufplatzte. Ich war zu benommen, als dass ich hätte einen großen Schmerz spüren können.
Er drehte mich und zog mir die hinterm Rücken gebundenen Arme hoch, so dass ich vor Schmerz diesmal leicht aufschreien musste.
„Beruhig dich, verdammt!“ fuhr er mich an, doch ich versuchte mich unter dem Schmerz weiter zu wehren, doch er zog nur noch fester, so dass ich wieder aufschreien musste und schließlich ruhig liegen blieb.
Er drehte mich wieder auf den Rücken, zog mich leicht hoch, so dass ich mich gegen einen Strohsack lehnen konnte.
„Du bist echt eine Kämpfernatur.“ Meinte er, doch es klang mehr genervt.
Ich wollte mich wieder auf ihn werfen, doch es würde mir nicht mehr als weitere Schläge einbringen, stattdessen stieß ich hörbar wütend den Atem aus.
„Sollte das Schlafmittel nicht bis nach Saret halten?“ fragte er und erst jetzt bemerkte ich Shira, die im hinteren Teil des Wagens ruhig saß.
„Er hat zu wenig zu sich genommen.“ meinte sie nüchtern.
„Ich will nicht nach Saret!“ meinte ich zornig.
„Was du willst ist egal.“ Erklärte Jeran.
Alles in mir raste vor Wut und ich versteckte es auch nicht, Jeran ignorierte mich jedoch.
„Wir werden heute Nacht in Mondare übernachten. Ich will dem Kutscher nicht zumuten noch eine weitere Nacht durchzufahren.“
Mondare war mindestens eineinhalb Tagesreisen von Armenius entfernt. Aber ich wusste, dass Mondare eine kleine Stadt war, die von Händlern, Reisenden und Schauspielern überflutet war. Ich würde nachts, wenn alle schliefen mich befreien und irgendwelchen Schauspielern anschließen. Der grobe Plan schien besser aufzugehen, als ich selbst geglaubt hätte. Es würde kein einfaches Unterfangen werden, doch es schien mir die einzige und letzte Möglichkeit zu sein der Assassinengilde zu entkommen. Ich verstand zwar immer noch nicht wirklich, warum es ihnen anscheinend so wichtig war mich bei ihnen aufzunehmen, aber das Entscheidende für mich war, dass ich es nicht wollte und dass mein Vater das auch nicht gewollt hätte.
Es dämmerte langsam und ich hörte Geräusche von einer Stadt aufkommen. Lautes Gelächter, das Bellen eines Hundes, andere Kutschenräder. Dann hielt der Wagen.
„Pass auf ihn auf.“ Meinte Jeran zu Shira und kletterte aus dem Wagen und zog den weißen Stoffvorhang wieder zu.
Ich sah wütend zu Shira, da sie mir das Schlafmittel anscheinend in die Suppe gemischt hatte. Ich hatte das Gefühl, dass sie Rache an mir übte und ich war wütend darüber, dass sie nicht einfach verstand, dass es ein ausversehen gewesen war.
Selbst zum Abendessen banden sie meine Fesseln nicht los und so wurde ich etwas unsanft von Shira mit Brot gestopft. Ich wollte nichts von ihnen annehmen, aber ich musste bei Kräften bleiben. Die Benommenheit vom Schlafmittel war verschwunden, worüber ich ziemlich froh war, weil ich glaubte, dass wenn sie angehalten hätte ein Fluchtversuch niemals geklappt hätte.
Jeran war nicht im Wagen sondern unterhielt sich draußen mit irgendwelchen Leuten. Ich verstand die Sprachfetzten nicht, versuchte aber trotzdem zu lauschen und irgendetwas Sinnvolles zu entnehmen.
Es war dunkel geworden, aber Lichter von draußen, von irgendwelchen Lampen und Feuerstellen brachten genug Helligkeit von außen in den Wagen.
Shira betrachtete mich und ich wandte den Blick von ihr ab. Sie tapste neben mich und ließ sich dann nieder. Aus einer kleinen Tasche an ihrem Gürtel holte sie ein Döschen heraus und ich musterte sie mit verengten Augen.
„Keine Angst, ist nur eine Wundheilsalbe.“
Sie trug mir dir Salbe auf die aufgeplatzte Wunde von Jerans Faustschlag behutsam mit einem Finger auf und sah mich dann wieder an. Ich fand sie irgendwie zwiespältig. Sie verwirrte mich einfach. Sie kleidete sich nicht wie ein Mädchen sondern wie ein Mann, wobei sie ein unglaublich unschuldiges süßes Gesicht hatte. Sie vergiftete Leute und gleichzeitig heilte sie sie.
Ich drehte mich zur Seite, doch sie bewegte sich nicht.
„Akzeptier es einfach.“ Sagte sie plötzlich.
Ich schloss die Augen, da wieder Wut in mir aufkam. Wie sollte ich diese Welt einfach akzeptieren?
Die Wagenplane wurde wieder geöffnet und ich wusste, dass es Jeran war.
„Irgendwelchen Ärger?“ fragte er Shira und sie schüttelte nur den Kopf.
Ich wartete, bis ich ihre sanften schlafenden Atem hörte und machte mich an mein Werk.
Zuerst zog ich die Arme unter meinen Beinen durch, so dass sie vor mir waren und nicht mehr hinter meinen Rücken. Ich war dankbar dafür, dass ich so gelenkig war. Ich betrachtete in der blau schwarzen Nacht die Seile, die eng um meine Handgelenke geschnürt waren, so dass es schon leicht ins Fleisch schnitt. Ich bewegte die Hände, doch es brachte nichts. Ich sah mich um und der Rahmen des Wagens war das Einzige mit dem ich die Seile durchtrennen konnte. Vorsichtig richtete ich mich auf und betrachtete Jeran und Shira, die ruhig schliefen. Der Kutscher schlief irgendwo draußen, beiden Pferden.
Ich rieb an einem Seil und selbst der leise Lärm, der dabei entstand wirkte für mich unendlich laut.
Jeran drehte sich und ich zuckte zusammen und legte mich augenblicklich wieder hin. Mein Herz klopfte vor Nervosität und ich wartete ein paar Minuten. Ich begann jetzt wie eine Ratte das Seil durchzunagen. Ich zerriss immer ein paar einzelne Fäden und langsam begann mein Gebiss zu schmerzen. Es dauerte Stunden, doch ich kam langsam voran.
Mittlerweile war es tiefe Nacht und niemand war mehr in der Stadt wach.
Ich hatte es fast ganz durch und mein Mund war bereits vollkommen Trocken und ich schmeckte nur noch den widerlichen Geschmack von dem Seil. An dem letzten Stück zog ich mit aller Kraft an dem Seil und es löste sich endlich von meinem Handgelenk. Mein Herz pochte wieder auf und ich sah zu Jeran und Shira. Ich musste mich jetzt beeilen und mit nervösen Fingern befreite ich meine Beine, während das eine Seil, noch an meinem rechten Arm hing, ich aber keine Zeit damit verschwenden wollte, den Knoten zu lösen. Endlich bekam ich auch meine Beine los und verharrte. Ich hörte auf den Atem der Beiden, wobei mein eigenes Herz lauter schlug. Der Hund bellte plötzlich und ich zuckte zusammen, doch keiner der beiden reagierte. Auf allen Vieren kroch ich vorwärts, wobei der Holzboden leicht knarrte und ich bei jedem Geräusch, das ich auslöste zusammenzuckte. Ich fühlte die Müdigkeit nicht, da zu viel Adrenalin durch meine Adern floss und ich wurde langsam euphorisch. Ich zog die Wagenplane vorsichtig auf und erhob mich langsam. Ich stieß den Atem langsam aus um etwas herunter zu kommen. Ich wollte gerade den Wagen herunter klettern, als der Hund wieder bellte. Ich wollte mich gerade umdrehen doch Hände packten mich an den Beinen und zogen mich zurück. Ich verlor mein Gleichgewicht und stürzte ohne mich auffangen zu können auf den Wagenboden. Ich stöhnte auf, als mein Kopf auf das raue Holz aufschlug. Doch das Adrenalin hemmte den Schmerz und ich versuchte direkt wieder mich aufzurappeln und nach vorne zu sprinten. Doch bevor ich dazu kam legte sich ein schweres Gewicht in meinen Rücken und ein Knie stemmte sich in meine Wirbelsäule und ich keuchte, als mein Atem mir aus der Lunge gepresst wurde. Ich versuchte mich zur Seite zu drehen, zappelte mit den Armen und versuchte Jeran irgendwie von meinem Rücken zu bekommen. Es klappte – er kippte leicht zur Seite, doch er zog mir meine Arme wieder zurück, drückte sie auf meinen Rücken und zog sie überkreuz zu meinem Nacken hoch und ich schrie wieder auf. Wie ich es hasste.
„Lass mich los!“ brüllte ich ihn an, doch er griff nur plötzlich meinen Kopf und schlug ihn auf den Holzboden.
„Sei leise!“ zischte er mich wuterfüllt an.
Jetzt spürte ich den Schmerz und Shira tauchte vor mir auf. Sie hielt ein kleines Glasflächen in der Hand. Ich fürchtete, dass es wieder das Schlafmittel war. Ich wehrte mich weiter, aber Jeran war zu stark für mich.
Sie drückte mir die Kiefer auseinander und tropfte mir die Flüssigkeit in den Mund. Ich wollte sie ausspucken, doch sie riss mir den Kopf hoch und hielt mir den Mund zu. Ich atmete verzweifelt durch die Nase, doch ich konnte den Reflex nicht bezwingen und etwas von der Flüssigkeit rann mir die Kehle herunter. Schlagartig überkam mich eine Benommenheit und ich zappelte weiter, als ob ich es so verhindern könnte. Doch Jeran drückte mich nur noch fester nieder und bedeutend schneller als letztes Mal versank ich in einem traumlosen Schlaf.

Ich wachte auf und mein Kopf schmerzte heftiger, als das letzte Mal. Ich fühlte mich als ob ich eine ganze Rumflasche alleine geleert hätte.
Zögernd öffnete ich die Augen. Ich war nicht mehr gefesselt und lag in einem Bett. In einem weichen bequemem Bett.
Mir war schlecht und ich hatte unendlichen Durst. Mein ganzer Mund war schleimig und hatte immer noch den Geschmack von dem Seil.
Ich drehte mich zur Seite und sah mit müden Augen zu Jeran, der mit einem Stuhl gegen die Wand hinter sich kippte.
„Na endlich.“ Meinte er mit leichtem Lächeln, als ob wir niemals eine Auseinandersetzung gehabt hätten.
Meine Kehle brannte und ich musste unweigerlich husten. Mein Kopf schmerzte, von dem Schlag gegen den Wagenboden. Ich versuchte mich aufzurichten, doch meine Arme, wollten mein Gewicht nicht tragen.
Er zog mich hoch und gab mir etwas Wasser zu trinken. Es war zwar nur Wasser, aber ich war ihm unglaublich Dankbar für diese Geste, auch wenn ich sauer auf ihn war, weil er mich überhaupt erst in diese Situation gebracht hatte.
„Ich sag Bescheid, dass du wach bist.“ Meinte er und stellte den Becher auf einen kleinen Tisch neben dem Bett.
Er schritt zu der Tür und verschwand kurz hinter ihr. Ich hörte seine Stimme, die mit jemanden sprach, der hinter der Tür war und ich rollte mich zur Seite zur Bettkante hin.
Ich wusste wo ich war. Ich war in der Assassinengilde. Egal wie, ich musste so schnellst wie möglich hier wieder verschwinden.
Mit dem Oberkörper lag ich noch leicht und ließ die Beine die Bettkante runter hängen. Ich glaubte jetzt sogar Shira zu hassen.
Mit jeder Kraftreserve erhob ich mich langsam, doch als ich mein Gewicht auf meine Beine stützen wollte, kippte ich nur nach vorne. Fing mich zuerst auf alle Vier, doch mein Körper war noch zu sehr von dem Schlafmittel gefangen und mein ganzer Körper kippte zur Seite. Ich atmete schwer und starrte zu der leicht angelehnten Tür. Sie öffnete sich wieder und Jeran sah mich mit hochgezogener Augenbraue an.
„Du gibst echt nie auf.“
Mein Atem war so schwer und rau, dass man meinen könnte ich würde ersticken.
Er ging neben mir in die Knie und mustere mich. Dann schüttelte er leicht den Kopf, stieß den Atem aus und zog mich wieder hoch auf das Bett.
Ich hasste das taube Gefühl – ich spürte nicht mal den Stoff der Decke unter meinen Fingern.
Jeran setzte sich wieder auf den Stuhl und beobachtete mich, als ich immer wieder versuchte meine Kraft wieder zu finden. Ich bekam es hin mich leicht in dem Kissen hochzuschieben, doch dann blieb ich ruhig liegen. Es hatte keinen Sinn und ich musste einfach warten bis das Mittel aufhörte zu wirken.
„Willst du etwas essen?“ fragte er mich nach einer Weile und ich sah zu ihm auf.
Ich wollte den Kopf schütteln, doch ich nickte. Denn ich wollte immer noch nichts von ihm annehmen, aber der Hunger saß mir so übelerregend im Magen, dass ich nicht anders konnte.
Er nickte und stand auf.
„Unternimm keine Ausflugsveruche mehr.“ Sagte er noch und schloss dann die Tür hinter sich.
Ich unternahm nichts vergleichbares, versuchte nur meine Kräfte wiederzufinden, die ganz langsam zurück kamen.
Jeran kam mit einer Schale wieder und ich fürchtete, dass es schon wieder eine Gemüsesuppe war, aber es war eine warme leichtgewürzte Nudelsuppe und zum ersten Mal war ich zufrieden mit dem Essen. Ich kratze das letzte bisschen vom Boden und er nahm mir wieder die Schale ab, stellte sie aber nur auf den Tisch neben dem Bett.
„Kannst du aufstehen?“
Ich zuckte mit den Schultern. Mir ging es bedeutend besser als davor, doch ich wollte nicht wieder zu Boden stürzen.
Zögerlich erhob ich mich – unternahm den Versuch, denn ich wollte stehen – und ich blieb stehen. Ich lächelte leicht.
„Gut, der Gildenmeister will dich nämlich sehen.“
Das Lächeln wich direkt aus meinem Gesicht.
„Warum?“ fragte ich unbehaglich.
„Wird er dir selbst erklären.“
Mein Gesichtsausdruck wurde besorgt und meine Gedanken rannten im Kreis. Aber wenn ich mit ihm redete und ihm erklärte… war erklärte? Ihm einfach zu sagen, dass ich mich der Gilde nicht anschließen wollte, weil… mein Vater es nicht wollte. Es war der einzige Grund im Nachhinein weshalb ich nicht in die Gilde wollte.
Ich zog meine Schuhe an, die neben das Bett gestellt worden waren und folgte ihm dann mit tapsigen Schritten.
Jeran hatte seine braune Kleidung abgelegt und trug jetzt eine schwarze Uniform auf das am Ärmel dezent das Gildenwappen aufgenäht war. Es war ein kunstvoller Falke in roter Farbe, um den sich in goldgestickt dornenlose verschnörkelte Ranken erhoben. Eine dunkelrote Schärpe war um seine Taille gewickelte und unterteilte ein knielanges Hemd, das an den Seiten Einschnitte hatte. Ein lederner Gürtel hing ihm um die Hüfte mit einer Scheide in der offenkundig ein Dolch steckte. Feine aus dunkeln Leder gefertigte Schuhe. Es war keine Frage. In dieser Kleidung wirkte er beeindruckend, ehrerbietend, noch angsteinflößender als sonst.
Wir gingen einen Flur entlang und wir begegneten mehreren Leuten, die mich neugierig musterten.
Ich legte eine finstere Miene auf und beobachtete alles genau. Schließlich schritten wir durch eine große Tür in einen großen Innenhof. Knallrote und hellgelbe Sommerblumen wuchsen in Beeten um Steinbänke herum. Ich sah zu der Mauer auf der einen Seite auf, wo ich zwei Wachtposten entdeckte.
Die Wachtposten hier trugen genau wie die Stadtwachen in Arminius Wappenumhänge, hier jedoch in einem melierten grau und nicht dem dunklen Blau, dass ich sonst gewohnt war.
Einige Leute, an denen wir vorbei gingen, trugen die gleiche Kleidung wie Jeran, andere trugen die Kleidung in Weiß mit einer schwarzen oder roten Schärpe.
Wir schritten eine Treppe aus weißen Stufen hoch in ein neues Gebäude und ich sah zu den Männern, die an dem Eingang postiert waren. Sie sahen gleichgültig aus, jedoch merkte ich, wie der eine mich aus dem Augenwinkel ansah. Ich hasste es angesehen zu werden. Es löste ein seltsames Gefühl in mir aus, dass ich zu viel Aufmerksamkeitserregendes an mir hatte.
Im Gebäude bogen wir direkt auf eine Treppe zur Seite ab, folgten ihr hoch auf einen Flur, der zur Mitte des Raumes offen war. Am Ende des Flures klopfte Jeran an eine schwere Holztür und eine Stimme von drinnen verhieß uns hereinzukommen.
Er öffnete die Tür und mit angespannter Körperhaltung folgte ich ihm.
Ein Mann um die vierzig stand in der Mitte eines großen Raumes, der mit Bücherregalen gesäumt war. Der Mann hatte einen leichten hellgrauen Bart, hellblaue neugierige Augen und schmale Lippen, die nicht hätten besser passen können. Er trug eine blaue Kleidung mit einer roten Schärpe.
Ein riesiges Fenster aus buntem Mosaik in seinem Rücken brachte angenehmes Licht in den Raum in dem noch einem vergleichsmäßig kleinen Schreibtisch schräg in einer Ecke stand.
Jeran zog mich sofort auf die Knie und ich hätte nichts anderes tun können, als seiner Kraft nach zu geben.
„Gab es irgendwelche Komplikationen auf Eurer Reise?“ fragte er an Jeran gerichtet.
„Ein wenig. Nichts Bedeutendes.“ Meinte Jeran und es kränkte mich irgendwie.
„Inwiefern?“ hakte jetzt doch der Mann nach.
„Er gibt sich nicht gerne geschlagen.“
Der Gildenmeister nickte nur. „Sehr gut.“
Ich runzelte die Stirn.
„Wir haben die Namen der Mörder deiner… Familie.“ Erklärte der Meister plötzlich.
Ich presste die Lippen aufeinander. Ich war eigentlich ein Waisenkind. Mein Adoptivvater hatte mir früh erklärt, dass meine Eltern gestorben seien. Jedoch hatte er es dann nie wieder erwähnt und ich hatte es fast wie vergessen. Sie waren meine Familie, die Tatsache, dass sie nicht meine leiblichen Eltern waren existierte nicht in meinem Kopf. Erst jetzt wo er „deiner Familie“ so stotternd ausdrückte, lief es mir unangenehm durch den Kopf.
„Wir verraten sie dir unter einer Bedingung.“ Erklärte er weiter und ich verengte die Augen, ich wollte aufstehen, doch ich wagte es irgendwie nicht.
„Du leistest den Schwur der Gilde ab.“
Ich hätte lachen können, wenn ich mich nicht so verarscht Gefühl hätte.
„Was bringen mir Namen, wenn ich niemals nach ihnen suchen kann?“ fragte ich zornig.
Er schwieg. Ich hatte seinen Plan durchschaut. Er würde mir die Namen verraten, doch hätte ich den Schwur abgelegt könnte ich niemals meine Rache ausüben, da ich mich dazu verpflichtet hätte nur aus Notwendigkeit zu töten. Für sie war Rache keine Notwendigkeit. Alleine politische Morde waren ihr Handwerk.
„Wie kommst du darauf? Unser oberstes Ziel ist es das Regiment von Shantra wieder aufzulösen.“
Ich verengte noch mehr die Augen und sah zögerlich zu ihm auf „Warum sollte ich Euch das glauben?“
Er stieß den Atem aus „Warum? Shantra ist machtgierig. Mittlerweile suchen sie nach einem Weg ebenfalls unseren König zu stürzen.“
„Das heißt ihr arbeitet für den König?“ fragte ich erstaunt. Chesters eines Gerücht schien sich zu bestätigen.
Er lachte leicht „Ja.“
Es war eine kurze Schweigeminute, dann ergriff er wieder das Wort.
„Es gibt viele Dinge, die für dich davor bedeutungslos waren, Dinge von denen du nichts wusstest, Dingen von denen du auch jetzt noch nichts weißt.“
Ich sah zu Boden. Mein Herz schlug hoch.
„Ihr redet von den Fähigkeiten?“
Seine Schritte liefen durch den Raum. „Wie viel weißt du darüber?“
Ich presste die Lippen aufeinander. „Dämonenkräfte. Ich weiß es nicht.“ Ein kalter Schauer überlief mich. Dieses wollende und schreckliche Gefühl, alleine die Erinnerung daran entsetze mich. Ich hatte den einen Attentäter, mit diesen Kräften umgebracht. Ein berauschendes Gefühl, in dem ich alles wahrzunehmen schien und auf Arten reagierte, die ich nie gelernt hatte.
Seine Lippenwinkel zogen sich etwas höher.
„Dämonenkräfte ist vielleicht ein wenig überbewertet. Sie haben es dir sicher so erzählt.“ Er schnaufte. „Es sind Fähigkeiten, die von dir kommen. Wenn dein Herzschlag sich erhöht und dein Atem steigt, dann kommt es einem Adrenalinzustand nahe – aber es ist viel bedeutender. Du kannst es kontrollieren, du wirst lernen es zu kontrollieren.“
Ich senkte etwas den Blick „Ich weiß nicht, ob ich das will.“
„Steh auf.“ Sagte er und mein Atem erstarrte sich plötzlich. Langsam hob ich den Kopf sah ihn fragend an und er lächelte nur zustimmend. Behutsam erhob ich mich, senkte aber den Blick.
„Das was du erlebt hast war das Resultat, dass du keine Kontrolle über diese Fähigkeiten hattest. Wenn du es nicht lernst gefährdest du dein eigenes Leben und das anderer. Du musst dich nicht der Gilde auf ewig verpflichten, aber wenn du dich jetzt gegen uns entscheidest hast du nicht mehr als drei oder vier Tage zu leben. Halte dir diese Tatsache bitte vor Augen. Ich möchte dich nicht in den Tod schicken, aber ich kann dir diese Entscheidung auch nicht verwehren.“
Ich spürte seinen durchbohrenden Blick auf mir, Kummer und sogar ein Hauch Angst schwebte in seiner Stimme, in jedem seiner Atemzüge.
Ich schloss die Augen und hörte auf meinen gleichmäßigen Puls. Ich konnte es nicht abstreiten, dass seine Worte so Real klangen, dass sie mich leicht zittern ließen. Ich wollte überleben. Mein Vater würde nicht wütend auf mich sein, wenn ich hier die Möglichkeit dazu hatte. Ich betete zum aller ersten Mal, dass er es nicht sein würde, denn ich würde sie mit meinem eigenen Tod niemals Rächen können.
Ich konnte nicht sterben.
Der Gildenmeister ging mit langsamen Schritten auf mich zu. Langsam sah ich zu ihm auf und er blieb unmittelbar vor mir stehen. Er griff nach meinen Händen und streckte sie mit der Innenfläche nach oben.
„In deinen Händen sind eindeutig die Linien der Jazuijafamilie zu sehen.“
Ich blickte unsicher auf meine Hände herab. Geschwungene Linien, die für mich Bedeutungslos waren. Nur mit einmal stürmten Gedanken in meinem Kopf. Jazuijafamilie. Ich wusste nie mehr, als das meine leibliche Mutter Maria und mein leiblicher Vater Isaac hießen und dass sie bei einem Unfall gestorben waren. Mein Kopf drehte sich vor Fragen, die ich mir noch nie gestellt hatte und ich starrte auf die Linien in meiner Hand.
Was hatten sie mir vererbt?
Wer waren sie?
Ich sah zu dem Mann in der blauen Kleidung auf und zum aller ersten Mal in meinem Leben stellte ich mir die Frage:
Wer bin ich?

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Tag der Veröffentlichung: 07.08.2010

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