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Und ab der Luzi

Es war vor ein paar Jahren, da hörte der Alte seinen Hund aufgeregt bellen  und ging hinaus in den Garten. Der Hund stand vor der Hecke, schaute auf den Boden und wedelte aufgeregt mit seinem Schwanz.

Als er näher kam, sah er, wie direkt vor dem Hund etwas am Fuße der Hecke saß, nein, eher hockte; eine junge Ringeltaube, die, noch flugunfähig, wohl aus ihrem Nest gefallen war. Die Verletzung an ihrem Kopf zeugte davon, daß dies unfreiwillig und nicht aus Tolpatschigkeit geschehen sein mußte.

Der Alte bückte sich und nahm den Unglücksvogel vorsichtig in seine faltigen Hände und trug ihn ins Haus. Ein Schuhkarton war schnell zu einem Ersatznest umfunktioniert, und ein herbeitelefonierter Tierarzt tapte die Kopfwunde.

Die Wunde heilte rasch, und der gute Appetit tat das seinige, daß aus dem Findelkind bald ein kreuzfideles Taubenkind wurde.

Es fühlte sich offensichtlich wohl, wuchs, gedieh und auch sein kahler Kopf war bald wieder befiedert.

Bald waren auch die Schwungfedern in voller Größe ausgewachsen, und bei seinen Eltern wäre der Vogel wohl nun reif für die erste Flugstunde.

Nun waren die Flugkünste des Alten eher bescheiden ausgebildet und so fiel der Flugunterricht aus.

Zum Alltag reichten Luzi, wie der Alte die Taube getauft hatte, das Flattern und Hüpfen, welches ihr im Blut lag, völlig.

Wasser und Futter waren in Reichweite ständig reichlich und frisch vorhanden. So flatterte Luzi von ihrem Schlafplatz auf der Terrasse in den Vorgarten und nur selten weiter als bis zu jener Hecke, vor der der Hund sie seinerzeit gefunden hatte.

Ab und zu saß im Apfelbaum eine Verwandte von ihr, die sie aber nicht weiter interessierte.

Als der Alte sie in ihrem jämmerlichen Zustand auflas, war sie in ihrer Prägephase, und sie machte es den Graugänsen Konrad Lorenz′ nach und erkor ihn als Partner.

Der Alte mußte immer lachen, wenn sie ihn angurrte und ließ ihr einige Streicheleinheiten zukommen.

So lief es für die beiden sehr harmonisch, und selbst der Hund hatte keine Probleme mit dem gefiederten Hausgenossen

Eines Tages flatterte sie wie immer morgens an den Wassernapf vor der Hundehütte und eigentlich hätte der Hund herauskommen und sie bellend auf das Dach der Hundehütte scheuchen müssen, weil das zwischen den beiden inzwischen so eine Art Ritus geworden war.

Nur kam heute weder ein Bellen, noch der Hund.

Die Hütte war leer. Der Alte erschien kurz danach wie immer, war nur etwas ruhiger als sonst, und er rief auch nicht nach dem Hund.

Ab diesem Tag waren sie nur noch zu zweit.

Der Alte verbrachte viel mehr Zeit als früher mit ihr, die ja eigentlich keine „Sie“ sondern ein Täuberich war, nur waren die Geschlechter von Ringeltauben für Menschen nur sehr schwierig zu unterscheiden, und so blieb es bei Luzi.

Als der Winter kam, durfte der Luzi das erste Mal nach drinnen. Der Alte wollte wohl nicht alleine die dunklen Abende verbringen.

So vergingen der Herbst und der Winter.

Der Frühling kam und Luzi kehrte auf die Terrasse zurück. Die Sonne mühte sich, den Alten in seinem Liegestuhl zu wärmen, und er schien es mit fest geschlossenen Augen zu genießen.

Am nächsten Tag waren seine Augen immer noch geschlossen und Luzis Futternapf leer.

Luzi flatterte ihm auf den Kopf, wie sie es des öfteren tat, aber diesmal regierte er überhaupt nicht, nicht einmal, als seine Brille durch die Heftigkeit des Anfluges herunterfiel.

Bisher war Luzi mit Futter und Wasser ausreichend und ständig versorgt gewesen, nun hatte er offensichtlich ein Problem, an beides zu gelangen.

Er flatterte auf den Dachfirst und schaute sich um.

Es gab hier viele andere Gärten in der Nachbarschaft, die hatte er noch nie besucht. Er faßte sich ein Herz und schwang sich in die Luft und aus dem Flattern wurde mehr und mehr ein Flug.

Das erste Mal in seinem Leben sah er die Bäume von oben, und als hätte er sich darüber erschrocken, landete er im Gipfel der großen Blaufichte.

Dort waren noch die fetten Zapfen aus dem letzten Jahr, und er fraß das erste Mal nicht aus einem Napf.

Nicht weit entfernt entdeckte er den kleinen Bach, zu dem er nun schon etwas eleganter hinflog.

Während er seinen Durst stillte, erschrak er ob eines kräftigen Flügelschlages über ihm.

Eine Artgenossin landete neben ihm, um ebenfalls zu trinken.

Luzi war verwirrt.

Partner für ihn mußten eigentlich graue Haare und einen Bart haben, und er fragte sich, warum dieser seltsame Vogel nun immer näher kam und was er von ihm wollte.

Irgendwann siegte dann aber die Stimme des Blutes über die Prägung, und es erhob sich ein heftiges Gegurre.

Die junge Dame hatte sogar schon ganz genaue Pläne, wo er mit ihr zusammen ein Nest zu bauen hätte.

So saßen sie wenige Zeit später in dem großen Nußbaum in dem Nest, das sie beide errichtet hatten.

Luzi staunte nicht schlecht, als eines Tages so ein rundes Ding im Nest lag, etwas kleiner aber nicht unähnlich jenem, welches der Alte immer morgens zum Frühstück gegessen hatte.

Sie aß es aber nicht, sondern setzte sich drauf, und Luzi staunte nicht wenig, als am nächsten Morgen noch so ein Ding im Nest lag. Es folgte noch ein drittes, und sie saß auf allen dreien, verließ das Nest nur um zu essen und zu trinken.

Eines Tages wurde sie sehr unruhig, erhob sich von den Dingern, und Luzi bekam einen Schreck. Eines dieser Dinger war kaputt, zerbrochen. Er dachte, daß sie nun sehr unglücklich wäre, aber ganz im Gegenteil, sie war sehr aufgeregt und begann den Sprung in dem Ding mit dem Schnabel noch zu vergrößern.

Verdattert schaute Luzi, als auf einmal ein kleiner Kopf aus den Trümmern herausschaute. Einige Strampler später lag ein Küken im Nest, welches nun von ihr gewärmt wurde, wie auch die anderen unbeschädigten runden Dinger.

Einen Tag später waren sie zu fünft, und Luzi vervollkommnete seine Flugkünste auf den vielen  Flügen, die er nun zu absolvieren hatte, um seine Familie zu ernähren.

Luzi war in der Natur angekommen,

 

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Tag der Veröffentlichung: 06.04.2016

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