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Constanța

Ronja

 

Ronja, die von ihrem Großvater an einen Dealer verkauft wurde, findet sich in Constanza wieder und hat anfänglich wenig Erinnerung an das, was mit ihr geschehen ist. Akasha, die sie gerettet zu haben scheint, wirft zunächst nicht nur Ronja gegenüber mehr Fragen auf, als Antworten für alles, was bisher geschah …

 

Ronjas Vorgeschichte: Schwarzmeerland

Bittersüß

„I feel in love with you, Akasha“, flüsterte ich mit tränenschwerer Stimme und drückte die Frau, die nicht immer eine war, erfüllt von Schwermut. Ob ich wirklich weiter traurig sein wollte, war mir in dem Moment nicht klar. Umso klarer jedoch war mir, dass ich ihr mit Respekt begegnen und sie nicht bedrängen wollte. Erst vor Kurzem hatte sie mich nach fürchterlichen Erlebnissen, gepeinigt von Albträumen aus einer trostlosen Situation, die ich meinem Großvater zu verdanken hatte, befreit. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung davon, dass ihr Schicksal sie noch viel heftiger erwischt hatte, als das bei mir der Fall war. Die positive Einstellung dieser starken Frau, die trotz allem taff und selbstsicher unterwegs war, beeindruckte mich total. Schon nur an ihrer Seite sein zu dürfen, gab mir neue Zuversicht und bescherte mir nach langer Zeit endlich auch wieder erste süße Träume.

„Did your subconscious told you about me?“, fragte mich Akasha ganz leise und ruhig danach, ob mir mein Unterbewusstsein schon etwas von ihrem Geheimnis eröffnet hatte und sah mir dabei mit ihrem einzigartigen Blick tief in meine Seele hinein.

„Ja, ich war in Koovagam“, erwiderte ich ihr, dort habe ich viele Hijras total ausgelassen bei den rituellen Feiern erlebt. Auch die Bedeutung der Nirvanoperation, also die rituelle Kastration, die in Indien bei Männern gemacht wird, die sich dem dritten Geschlecht zugehörig fühlen, wurde mir klar. Nur, dass Menschen, die dort weder als Mann noch als Frau so leben, wie sie sind, nicht vollständig in die soziale Gemeinschaft integriert leben können, das verstehe ich nicht. Schließlich gehören die Hijras doch zur dortigen Kultur. Während ich sprach, streichelte ich Akasha sanft über die Muskeln ihres durchtrainierten Bauches und endet mit der Frage: „Aber woher weiß ich das alles, es war doch nur ein Traum und ich war noch nie in meinem Leben in Indien …?“

„Du wolltest wissen, wer ich bin und ich habe es deinem Unterbewusstsein erzählt während du nach dem ersten Keks und dem Tee schliefst“, hörte ich sie sanft sagen und schob meine Hand vorsichtig über ihr Becken hinweg etwas tiefer.

„Acum știu că nu ai un vagin ca mine. Mai pot să te mângâi acolo?“, fragte ich Akasha etwas verklemmt, ob ich sie dort trotzdem streicheln dürfe, jetzt nachdem ich erfahren hatte, dass sie keine Vagina so wie ich hat.

„Sure, I like to take heartly care, of you, but i like not you could be shockt about that“, antwortete sie mir total entspannt und kraulte mich dabei zärtlich in meinem Busch, der von meiner wieder aufflammenden Erregung von Sekunde zu Sekunde immer feuchter wurde. Dabei erklärte sie mir, dass sie sich gerne von ganzem Herzen um mich kümmern, aber vermeiden wollte, dass mich das, was ich bei ihr dort vorfinden würde, hätte schocken können. Eine Schambehaarung hatte Akasha nicht und die Spur, die von ihren Genitalien geblieben war beschränkte sich auf eine winzig kleine Ausstülpung auf ihrem geglätteten Schamhügel. Ihre Haut war dort bis auf die Stelle, die sich etwas vernarbt anfühlte, butterzart und ohne ein einziges Härchen. Vorbereitet, wie ich war, hatte ich das ja so ähnlich erwartet, nur dass sie keine Stoppeln vom Rasieren hatte, schockierte mich dann doch. War es nicht so, dass die Angleichung erst bei Erwachsenen stattfand, die sich selbstbestimmt für das dritte Geschlecht entschieden hatten? Dass das in Akashas Fall alles vor Eintritt in die Pubertät stattgefunden haben musste, irritierte mich und ließ mich wieder tief traurig werden. Noch darüber sinnierend, wie ich mit ihr über ihr Schicksal sprechen und wie ich ihr mein Mitgefühl dafür zum Ausdruck bringen könnte, was ihr offensichtlich angetan worden war, wurde mir ganz flau. Bevor ich diesen Gedanken fertig denken konnte, fiel mir plötzlich etwas ganz anderes, etwas sehr Merkwürdiges auf. Wie konnte das sein, dass wir uns in drei Sprachen unterhielten, von denen wir beide keine gemeinsam gut beherrschten? Warum konnte jede von uns ohne Dolmetscher und ohne technische Hilfen plötzlich dennoch alles sofort verstehen, was die andere gerade gesagt hatte. Das konnte doch nicht nur von den Keksen kommen? Der Gedanke, der mich daraufhin beschlich, kam mir unglaublich vor. Konnte es wirklich sein, dass Menschen, die sich nahe waren, über die Grenzen ihres Bewusstseins hinweg, in ihnen fremden Sprachen, oder sogar ganz ohne gesprochene Worte miteinander kommunizieren konnten?

„Ronja, was bedrückt dich denn, das, was du machst, ist doch wunderschön“, durchbrachen Akashas zärtlich gehauchte Worte mein Grübeln.

„Ja schon, aber mir scheint, dass du früher, als ich mir das vorstellen wollte, zum dritten Geschlecht gewechselt bist, oder sollte es so sein, dass du dorthin ohne eigene Selbstbestimmung gewechselt wurdest? Dieser eine Gedanke, hat mich gerade sehr traurig gemacht und mich melancholisch werden lassen“, ließ ich sie wissen und streichelte ihr dabei nachdenklich und vielleicht auch etwas tröstlich ihren Bauch.

„Bestimmt nicht zu früh für mich, Ronja, ich war da schon elf Jahre alt und wollte nichts inniger als ganz zu meiner Gemeinschaft dazuzugehören. Indien ist kein Land, in dem es allen Menschen gleich gut geht und wenn du als Kind alleine auf der Straße leben musst, blickst du täglich dem Tod ins Auge. Vor dem hungrigen Einschlafen ohne eigene Bleibe und ohne ein Dach über dem Kopf fällt es dir immer schwer abzuwarten, wann er dich endlich mit sich nimmt und dich so von dem Elend und deinen Ängsten erlöst. Je früher du eine Hijra-Community findest, deren Guru dich aufnimmt, desto schneller hast du ein besseres Leben. Aber selbst dieses Glück findet dort nicht jeder Mensch und kleine Straßenkinder noch weniger. Für mich war dieses Glück ein erster Schritt in ein besseres Leben und deshalb hadere ich auch heute noch kein bisschen damit früh eine Hijra geworden zu sein. Womit ich hadere, das sind die Ungerechtigkeiten und das Böse in der Welt. Jedoch, das endet nicht an Indiens Grenzen. Einzelne können das auch nicht im Großen ändern, aber dafür im Kleinen. Dass du bei mir bist, ist für dich vielleicht auch ein erster Schritt in ein selbstbestimmtes und glücklicheres Leben und das macht mich im Moment wirklich glücklich.

„Das ist ja der helle Wahnsinn, was das Unterbewusstsein alles kann und was darin alles verborgen ist, Akasha“, staunte ich über all das, was mir meine Freundin aus den Erfahrungen erzählte, die sie auf dem Weg zu ihrer Selbstfindung gesammelt hatte. Die Tage, die vergangen waren, seit sie mich unter ihre Fittiche genommen hatte, waren die glücklichsten meines bisherigen Lebens. Oft hatten wir total coolen Sex und ich hatte gelernt, wie schön er für zwei Menschen sein kann, die sich respektieren und mögen. Auch, dass Akasha auf mein Streicheln, Küssen und Lecken an den unterschiedlichsten Stellen ihres Körpers, begleitet von Knabbern, Saugen, Pusten und anderen vielfältig variierenden Zärtlichkeiten, so mega abfuhr, turnte mich total an. Nur mit dem Schicksal der Mädchen, die wir noch nicht so wie mich retten konnten und die sich noch immer in den Händen der Jäger, die mich vergewaltigt hatten, befanden, wollte ich mich nicht abfinden. Daran änderten auch Akashas sich wiederholende Erklärungs- und Beruhigungsversuche nichts. Dass sie mich außerstande sah, sie bei einer erfolgversprechenden Befreiung erfolgreich unterstützen zu können wollte ich weder wahrhaben noch akzeptieren. Außer den Keksen hatte ich mittlerweile auch den einen und den anderen Joint mit ihr zusammen geraucht. Das half mir viele Fragen über Altlasten zu beantworten, die ich aus meinem noch jungen Leben schon alle unbeantwortet in mir schlummernd mit mir herumschleppte. Aber das, was die Jäger mir angetan hatten, konnte ich, so sehr ich mich auch anstrengte, nicht in mir ausgraben und Akasha, meinte, dass das gut so sei.

„Ronja, glaub mir einfach, dass die Welt so nicht zu retten ist und du mit dir selbst noch genug zu tun hast“, beschwor sie mich, nachdem ich ihr zum x-ten Mal von dem erzählt hatte, was ich von den Geschehnissen im Wald aus meinen langsam wiederkehrende Erinnerungen herausbekommen hatte.

„Ich weiß, dass der Schlüssel, den wir brauchen, um den Mädchen zu helfen, tief in mir drin liegt, ich komme nur nicht dran“, beschwerte ich mich fast bei ihr.

„Nein, Ronja, das ist nur dein Ego, das über deinem wahren Ich in der Bewusstseinsebene lebt und dir ein Zerrbild von Stärke vorgaukelt, die du gar nicht hast“, erklärte sie mir so einfühlsam und geduldig wie viele Male zuvor.

„Mit Zauberpilzen könnte ich es bestimmt schaffen“, hielt ich ihr fast schon trotzig entgegen.

„Nein, damit würdest du nur Dinge über dich selbst ausgraben können, für die du im Moment noch nicht stark genug bist. Die Psychedelika, die in halluzinogenen Pilzen enthalten sind, verschaffen dir nur weitere Erkenntnisse über das, was unverarbeitet zum Schutz deiner Seele dort gut verpackt in dir schlummert. Diese Wahrheit musst du aber aushalten können, um dir damit nicht zu schaden. Ein Wundermittel, das dich stark macht, gibt es nicht. Resilienz musst du dir geduldig erarbeiten“, erklärte sie mir gütig und schloss mich zärtlich in ihre Arme.

„Wenigstens könnte ich so alles erfahren, was im Wald mit mir geschehen ist. Die Pilze sind ja nicht giftig und sie machen genauso wenig abhängig wie Cannabis. Das hast du mir nämlich selbst genau so erzählt“, bockte ich ungeduldig und versuchte mich aus ihren Armen zu winden.

„Ja, das stimmt wohl, abhängig machen sie nicht, aber sie können schlummernde Psychosen auslösen. Einen solchen Horrortrip wünsche ich mir bestimmt nicht für dich, meine ungeduldige Kleine.“ Akashas ehrlicher Blick sagte mir mehr als ihre Worte, aber das zu akzeptieren, was sie sagte, fiel mir an dieser Stelle, schon der Mädchen wegen, unglaublich schwer.

„Auch wenn es dir schwerfällt solltest du akzeptieren, dass Leben manchmal bitter, aber dann auch wieder zuckersüß sein kann“, hörte ich Akasha sagen, die sich in dem Bett, in dem wir kuschelten, kurz zur Seite gereckt hatte. Das Rascheln, das ich dann vernahm, machte mich schon neugierig, bevor ich sehen konnte was sie aus der Schublade, die sie aus dem Nachttisch herausgezogen hatte hervorholte.
„Das hier macht glücklich und auch süchtig, ist aber noch unbedenklicher als Cannabis“, säuselte Akasha mit einem erregt klingenden Schwingen in ihrer Stimme.
„Leckereien“, staunte ich und beobachtete wie sie mit zittrigen Fingern eine keine Tüte aufdrehte, die sie vorher aus einer durchsichtigen Plastikverpackung heraus gefummelt hatte. Durch die transparente Folie sah ich noch viele weitere Schokoladenbrocken, die sich in unterschiedlichen Farben eingewickelt, als eine Art Pralinen, die mir wie ungeschliffene Diamanten vorkamen, in dem knisternden Etwas befanden.

 

 

Zuckersüß

„Schon alleine der Duft dieser Kugeln macht mich verrückt nach dir, du süße Maus“, sagte Akasha, steckte sich den hellbraunen Leckerbissen zwischen ihre Lippen und hielt ihn dort so mit den Zähnen fest, dass die Hälfte noch herausschaute. Eine solche Riesenpraline sah ich zum ersten Mal in meinem Leben und, dass sie eigentlich gar keine richtige Kugel, sondern bei genauem Hinsehen, ein schroffer, mit feinen dunkelbraunen Schokoladenstreifen verzierter Klumpen war, ließ sie wie ein handgemachtes Kunstwerk wirken. Einen Moment später ließ ich mich von meiner erregten Freundin willig auf meinen Rücken drehen. In den Duft der frischen Bettwäsche mischte sich von Sekunde zu Sekunde mehr von dem leckeren Schokoladenaroma, das meine Freundin offensichtlich Mega erregte. Das Feuer der Lust, das jetzt in ihr loderte, war auf mich übergesprungen und ich verspürte zum ersten Mal Verlangen nach Sex mit einem Menschen in meinem Körper. Da war auf einmal eine Aufregung, ein Kribbeln in mir, das ich so nicht kannte. Die Vergewaltigung, an die ich mich nicht mehr erinnern konnte ausgenommen, hatte ich mich bis zu dieser Stunde nur selbst an meinen erogenen Stellen gestreichelt. Angst hatte ich keine mehr. Auch weder Scheu vor Akashas Körper noch Mitleid. Die Schokolade hatte uns beide verzaubert und als ich ihre Lippen durch den süßen Film hindurch schmeckte, verstand ich, dass dieses Ritual für Akasha eine ganz besondere Bedeutung hatte. Mir wurde ganz warm um mein Herz als sie mir auf die süßeste Art, die vorstellbar war, bewies wie sie das meinte mit der bitteren Süße, die manchmal zum Leben dazu gehört und wie sie akzeptierbar werden kann. Erotische Gefühle als Arrangement mit dem Schicksal mit Schokolade zu stimulieren war schon für sich genommen gigantisch. Diese Gefühle mit mir zu teilen und somit auch mir mit Schokolade meine verletzte Seele zu heilen, das war noch viel mehr als nur gigantisch.

Zuckermänner

„Jetzt ist sie weg, die Schokolade und wir brauchen 'ne Dusche, Süße“, sagte Akasha und zog mich mit sich aus dem Bett in das Badezimmer, das mollig warm vorgeheizt war. Ein netter Ort wo wir einander zum Abschluss mit heißem Wasser verwöhnen konnten.

„Wie schade, ich glaube davon kann ich ab heute nie mehr genug bekommen“, antwortete ich ihr, drückte mein Becken fest an ihre Scham und küsste sie mit meiner Zunge lang und tief in ihren Mund.

„Komm schnell abtrocknen jetzt Ronja. Auf den Klippen von Constanța steht hoch über dem alten Casino ein kleines Restaurant, das auch dem Ruf eines gemütlichen Cafés gerecht wird. Dort gibt es leckeres Gebäck und selbstgemachten Liquor, den sie aus in der Sonne vorgetrockneten Trauben herstellen. Dazu noch Espresso mit einer einzigartig schaumigen Crema, der so stark ist, dass er sich beim Rühren so zäh wie dünnflüssiger Honig anfühlt."

„Das hört sich gut an und noch besser wäre es dir diese Köstlichkeiten alle von deiner Haut zu lecken“, kicherte ich, schlüpfte in meine Sachen und zog meine Schuhe an.



***



„Was für ein atemberaubender Blick über das Meer …“, flüsterte ich und schmiegte mich an Akashas Schulter. Das tiefe Blau weit unter uns war gekrönt von Wellen, deren blau und weiß sogar zu den Windbeuteln passten, die mit dunkelblauem Zuckerguss veredelt und mit Sahne gekrönt nicht nur fantastisch aussahen, sondern auch sehr sexy schmeckten. Es war ein erfüllendes Nachspiel, Akasha in der strahlenden Sonne, immer wieder neue Spuren süßer Creme aus ihren Mundwinkeln zu lecken, die dort Biss für Biss einladend leuchteten und wir beide schwebten dabei wie auf Wolken. Wir saßen in der ersten Reihe, den Himmel mit Wolken wie Schaum über uns und fühlten uns schwerelos in unserer eigenen Welt, in der wir frei von Sorgen und Ängsten weilten. Mehr als einen Augenblick lang sahen wir nur uns beide. Auf die zwei jungen Männer, die eine Reihe hinter uns auf den gleichen Outdoorgarnituren wie wir im Freien saßen, wurden wir erst aufmerksam, nachdem wir sie tuscheln gehört hatten.

„Entschuldigung, wir wollten nicht stören“, antwortete uns einer von ihnen mit einem verständnisvollen Augenzwinkern. Er hatte gepflegte Kastanien farbige Haare und ein außergewöhnlich fein gezeichnetes Gesicht. Die freundlichen Blicke seines Begleiters, die den Dialog begleiteten strahlten ebenfalls spontan Sympathie aus.

„Kein Problem, wir wollten sie auch weder stören noch uns daneben benehmen“, antwortete Akasha ihnen ebenfalls freundlich, schubste mich keck und drehte sich zu den Beiden um. Mit auf der Rückenlehne aufgestützten Ellenbogen hatte sie sich offen und unvoreingenommen den beiden Männern hinter uns zugewandt und ich drehte mich zögerlich in der gleichen Art und Weise zu ihnen um.

„Ihr habt uns überhaupt nicht gestört“, hörte ich den Mann sagen, mit dem Akasha spontan ins Gespräch gekommen war, der hinzufügte, dass es an ihnen wäre sich bei uns zu entschuldigen und nicht umgekehrt. Sein Freund, der seine pechschwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug, kam mir so scheu wie ich vor. Seine strahlend blaue Augen zuckten aufmerksam zwischen uns hin und her, aber er sagte kein Wort. Vor ihnen stand auch ein Teller mit Windbeuteln, die in unterschiedlichen Farben lecker in der Sonne strahlten.

„Möchtet ihr?“, fragte der mit den braunen Augen, die treu und vertrauenerweckend in sich ruhten.

„Ja gern, ihre Leckereien sehen auch sehr köstlich aus“, sagte Akasha und streckte ihre Hand nach dem Teller aus, den er uns freundlich entgegenstreckte.

„Wenn du Minze magst, würde ich dir zu dem Giftgrünen raten. Es ist der letzte von der Sorte, der übriggeblieben ist. Diese Kreation schmeckt besonders erfrischend und so kühl wie der frische Wind“, erwiderte der Kommunikative der Beiden und lächelte freundlich.

„Gern, unsere Gemüter etwas abzukühlen, kann bestimmt nicht schaden“, sagte Akasha und griff neugierig lächelnd zu.

„Und für dich, vielleicht das Türkisblaue, es schmeckt nach Eukalyptus. Es verwöhnt dir deine Zunge wie zartschmelzendes Eis und kühlt auch die Gemüter“, hörte ich ihn sagen und sah den Scheuen aufmunternd nicken. Zögerlich griff ich auch zu, obwohl ich nicht so schnell wie Akasha etwas von Fremden annehmen wollte, nur wollte ich nicht unhöflich sein. Akasha biss gleich kräftig zu und ich kaute vorsichtig einen kleinen Bissen, den ich, als ich sah was mit Akasha passierte, gleich wieder ausspie. Ihre Augen hatten sich urplötzlich geweitet und ihr Gesicht war vom Schmerz verzerrt, während ihre Hände zu ihrem Hals zuckten und sie nach Luft rang. Mit Schaum vor dem Mund, der nach bitteren Mandeln roch, kippte sie wie in Zeitlupe so langsam zur Seite, dass ich sie sogar noch auffangen konnte, nachdem ich meine Schrecksekunde überwunden hatte. Ihr Körper versteifte sich in meinen Armen und ich spürte, dass die Szene vor meinen Augen verschwamm und sich mit Bildern von Fratzen verfing, die ich noch von den sweet Dreams aus Koovagam in meinem Kopf hatte.

„Schnell einen Arzt …“, hörte ich den Blauäugigen wie durch eine Nebelwand rufen. „Die Frau hat einen epileptischen Anfall und ihre Freundin kollabiert …“. Ich wollte mich dagegen wehren, dass sie mir Akasha aus meinen Armen rissen, aber mein Körper war wie gelähmt und gehorchte nicht mehr meinem Willen. Den Transporter, in dem sie mich wegbrachten, sah ich nicht mehr, aber mein Unterbewusstsein registrierte noch das Klacken der Schlossfallen, das dumpf zwischen dem Scheppern der Hecktüren erklang, die sie hinter mir zuwarfen. Dieses Geräusch hatte ich schon einmal gehört und werde es nie wieder vergessen können.

Zuckerpuppe

Bukarest

 

An das Hungerleiden konnte ich mich nur noch vage erinnern und von Schokolade wurde mir von Tag zu Tag schneller übel. Heute kam er wieder, der Onkel, der mich hier immer wieder besuchte und dazwischen vergingen von Mal zu Mal mehr unzählige Tage, an denen andere kamen und mich entsprechend ihrer Vorlieben nahmen. Manche von ihnen liebten es eine von uns auszuführen, aber nur an Orte, die unverfänglich waren für das, womit wir alle gezeichnet waren. Alle Mädchen hier trugen Masken. Masken aus schwerem Leder, die uns um unsere Köpfe geschnallt wurden und die über der Nasenwurzel mit kleinen Vorhängeschlössern gesichert waren. Die Freier durften uns sehen, nur wir mussten ihnen blind dienen und ihnen zu ihrem Willen sein.

„Ronja mein Schatz, wie schön dich zu sehen …“, sagte der Onkel und in dem Moment, in dem ich ihn hörte, hatte ich schon den Geruch der Pralinen in der Nase, mit denen er mich immer zu bezirzten versuchte. Er war zwar auch ein Freier, aber doch er war ganz anders als all die anderen. Warum seine Schokolade mir, anstatt sweet Dreams, Albträume bereitete, hatte ich ihm nie verraten.

„Hi", sagte ich schüchtern als Antwort auf seine Begrüßung und streckte ihm meine tastenden Hände mit so ehrlicher Willkommensfreude entgegen, wie die Umstände es zuließen.

„Hi Zuckerpuppe …! Lust auf einen Ausflug?", fragte er viel netter, als die meisten der Freier, die kamen, um eine von uns für kurze Zeit mitzunehmen.

„Gern, wohin du mich führen willst“, antwortete ich artig und schob sanft die Schachtel mit den Pralinen zur Seite um ihn mit zwei Küsschen auf seine Wangen zu begrüßen.

„Na dann komm, heute zeige ich dir etwas ganz Besonderes …“, hörte ich ihn sagen und ließ mich von ihm gern von hier fortbringen. Das Besondere an dem Onkel war, dass er sich den Schlüssel für meine Augenbinde besorgt hatte. Er liebte es sie mir an den exponiertesten Orten in Bukarest abzunehmen und mir dann Komplimente zu machen. Es bereitete im offenbar lustvolles Vergnügen sich nach dem Abnehmen der Maske von meinen schwarzen Augen verzaubern zu lassen. Die Fahrt in seinem Auto dauerte wie oft etwas länger, aber als er es stoppte, befiel mich nach dem Öffnen der Tür unerwartete Angst, weil dieser Ort ganz anders roch, als alle anderen zuvor. Auch das Gurgeln und Glucksen, das aus einer Art Schacht heraus, an meine Ohren drang, war alles andere als Vertrauen schaffend.

„Ronja, heute möchte ich dir etwas anderes als Schokolade schenken …“, sagte er geheimnisvoll und steckte dabei den Schlüssel in das Schloss der ledernen Geißel, die uns alle unseres Augenlichts beraubte. Es war Vollmond und meine des Lichts entwöhnte Augen sahen in der sternenklaren Nacht so hell, als sei es lichter Tag. In Schwarzweiß und in Blautönen sah ich die unwirtliche Umgebung, in der wir uns befanden und zitterte am ganzen Leib. Die wolkenlose Nacht war schon beißend kalt und ich war viel zu leicht bekleidet, aber mein Frösteln kam nicht von der Kälte.

„Ronja, du bist frei“, sagte er ganz ruhig und stieß einen schrillen Pfiff aus.

„Frei? … hier? … nicht mehr zurück ins Bordell?", stotterte ich und schlang meine Arme schützend um meine bibbernden Schultern. „Warum?“

„Wegen deiner Augen, sie sind so wunderschön und du verdienst besseres, als das Leben in dem du hier gelandet bist“, sagte der Onkel und winkte eine schmächtige Person zu uns, die sich aus den Schatten löste. „Das hier ist Lenuta, sie wird dir helfen unterzutauchen …; und Ronja, gib ihr die Pralinen. Ich weiß nicht, warum du sie immer weniger verträgst, aber sie wird es dir danken."

„Das kommt alles so schnell und ich weiß gar nicht wie ich das alles schaffen soll, dass sie mich nicht wieder fangen“, stotterte ich, streckte dem Mädchen in den zerlumpten Klamotten die Schachtel mit den Pralinen hin und schenkte ihr ein schüchternes Lächeln.

„Du wirst es schon irgendwie schaffen Zuckerpuppe“, sagte der Onkel und verschwand bevor ich mich bei ihm bedanken konnte in der sternenklaren Nacht.

Lenuta

„Du riechst gefährlich“, sagte Lenuta, schnappte mich mit festem Griff an meinem Handgelenk und zog mich hinter sich her zu einem betonierten Schacht, dessen Deckel daneben vom Rost zerfressen im dürren Gras lag, das im fahlen Mondlicht trostlos aussah. Aus dem schwarzen Schlund, der sich dort vor uns auftat, gurgelten von tief unten die Geräusche einer Kloake zu uns herauf, die sich unter der Stadt zäh zum Dambovita-Kanal vorarbeitete.

„Das ist Ada Kaleh, ich habe es im Frühling als mărțișor geschenkt bekommen“, versuchte ich mich für meinen Duft, in dem Pfingstrose vorherrschte zu rechtfertigen und schaute voller Angst in die stinkende Öffnung, in die Lenuta vor mir hineinkletterte.

„Wer so riecht, lebt auch hier unten auch gefährlich, wenn es sich bei dem Duft nur um ein traditionelles Geschenk zum Frühlingsbeginn handelt, Aber egal …, komm und lass uns schnell verschwinden! Bleib dicht hinter mir und taste mit deinen Füßen nach den eisernen Sprossen, dann bist du fürs Erste in Sicherheit", sagte Lenuta und verschwand in der Tiefe. Nach dem dritten Atemzug hatte ich mich schon grob an den Gestank gewöhnt und zwang mich mit tiefen Atemzügen durchzuatmen, bis wir kurz danach das unterirdische Höhlensystem der Stadtentwässerung erreicht hatten.

„Warte sagte Lenuta …“, und ging auf die Knie um mit beiden Händen von der mit Regenwasser verdünnten Gülle zu schöpfen, die vor unseren Füßen wie ein unterirdischer Bach vorbeifloss.

„Igitt, nein! … Bitte nicht …", entfuhr mir ein unterdrückter Schrei, aber der kam zu spät.

„Stell dich nicht so an“, zischte Lenuta und wuschelte mir durch meine Haare, von denen das Abwasser auf meine Schultern triefte und verteilte es auf meiner dünnen Kleidung. Trotz der Nässe fror ich nicht mehr, weil die Luft hier durch die Wärme der Fäulnis viel wärmer als draußen war.

„War das wirklich nötig?“, fragte ich entsetzt, roch an meinen Fingern und rümpfte die Nase.

„Wenn du hier bleiben und dich sicher verstecken willst, geht es nicht anders“, sagte sie knapp und zog mich weiter auf dem Sims entlang, der den übelriechenden Bach wie ein Bürgersteig begrenzte. Die Dunkelheit wurde vom spärlichen Licht vereinzelter Glühbirnen erhellt, von denen die meisten zerbrochen und erloschen waren. Nach kurzer Zeit erreichten wir eine Tür, von der die letzten Reste Farbe abblätterten, die in einen Raum führte, der mit von Schmutz überzogenen, ehemals weißen Wandfliesen getäfelt war. An den Seiten befanden sich auf Hüfthöhe Steintröge über denen aus vergammelten Ausläufen Rinnsale von halbwegs frischem Wasser tropften.

„Da kannst du dich waschen, aber Seife ist hier unten tödlich …, auch für Klamotten. Aber übertreib's nicht mit dem Wasser …", riet mir Lenuta und deutet auf die verrotteten Waschtröge. „Zieh lieber das hier an …“, ergänzte sie und wies auf ein Bündel, das sie offensichtlich schon vorher dort für mich zurechtgelegt hatte.

„Ein Waschraum …? Hier unten?", fragte ich neugierig während ich mich entkleidete und den schmierigen Film, der meine Haut benetzte so viel zu verdünnte, dass ich mich den Umständen entsprechend wieder wohlfühlte. „Warum das alles, Lenuta?“

„Unsere Feinde oben kennst du zur Genüge Ronja. Aber hier unten gilt das Faustrecht. Du musst immer auf der Hut sein und dich, wenn sich Ärger anbahnt, so unsichtbar machen können, dass dich auch niemand riechen kann."

„Und der Raum hier? … So etwas hätte ich hier nie vermutet?", fragte ich nochmal, weil ich verstehen wollte was hier abging.

„Das war in besseren Zeiten, der Waschraum der Kanalratten“, sagte sie grinsend, „ ... und die sind heute wir." Die Klamotten, die sie mir überlassen hatte, waren bessere Lumpen. Jedoch waren sie mir tausendmal lieber, als diejenigen, in denen ich mich jahrelang verkaufen musste.

„Komm Ronja, jetzt zeige ich dir wo wir schlafen werden. Ein wunderbar trockenes Plätzchen, das im Sommer von starken Ventilatoren gekühlt wird und im Winter mollig warm ist." Die Tür mit dem verblassten roten Blitz, zu der sie mich durch einen Nebenraum geführt hatte, der wie eine Putzkammer aussah, warnte vor elektrischem Strom. Das Brummen der Transformatoren klang schon tödlich, bevor sie die beiden Schlösser, die vorne oben und unten in die Türkante eingelassen waren mit einem Spezialschlüssel, der so ähnlich wie ein Korkenzieher aussah, geöffnet hatte.

„Ist das nicht lebensgefährlich?“, fragte ich sie ängstlich, als die Tür mit einem Quitschen aufsprang.

„Bisschen vielleicht, aber dafür traut sich hier außer mir auch niemand herein“, raunte sie verschmitzt und sagte: „Mach's wie ich, dann passiert dir auch nichts", und warf sich bäuchlings auf den Boden. Als ich sah, wie sie geübt unter den Hochspannungsdrähten hindurch robbte, die an verschiedenen Stellen in der Wand verschwanden, stockte mir der Atem. Im Inneren des Raumes sah ich einen kleinen Tisch zwischen den Kühlrippen von großen Transformatoren stehen, und zwei Schlafstellen, die richtig gemütlich aussahen.

„Wenn du meinst“, brummte ich. „Viel zu verlieren hab ich ja auch nicht mehr“, und robbte ihr hinterher.

 

 

***

 

„Hier, nimm! Das entspannt und macht schläfrig …", sagte Lenuta und hielt mir eine oben zusammengeknüllte Tüte hin, aus der sie gerade einen tiefen Atemzug genommen hatte.

„Wie, du schnüffelst?“, fragte ich total geschockt.

„Ja klar, das Zeug kostet nichts. Es steht eimerweise auf Baustellen herum und wirkt fast so gut wie Kippen, oder Tabletten gegen den Frust", antwortete mir meine neue Gefährtin mit schwerer Zunge und gönnte sich den nächsten Zug.

„Das ist pures Gift und wird dich krank machen“, entgegnete ich der Frau, die es eigentlich gut mit mir meinte und dachte dabei an die vielen Dinge, die ich von Akasha über Rauschmittel gelernt hatte.

„Fick dich doch“, brach ein aggressiver Schwall verwaschener Laute aus Lenuta heraus, deren Name in unserer rumänischen Muttersprache eigentlich die Bedeutung ‚sanfte Frau‘ hatte. Erfüllt von Hass auf sich selbst und auf die ganze Welt, war sie im Rausch plötzlich ein anderer Mensch geworden. In diesem Moment wurde mir klar, dass sie nur so gefasst wirkte, solange die Lösungsmittel nicht die Kontrolle über ihr bereits vergiftetes Hirn übernommen hatten. Das Einzige, was ich in dieser gefährlichen Umgebung tun konnte, war sie, ohne mich in kritische Bereiche zu wagen, zu beruhigen. Aber Lenuta sprang wie besessen auf, um mich immer wütender zu beschimpfen und hatte offensichtlich total vergessen auf welchem Pulverfass wir beide in diesem Versteck saßen. Sie fuchtelte mit den Armen durch die Luft und dann geschah das Unvermeidliche. Der erste Funke sprang im Bruchteil einer Sekunde auf ihre ausgestreckte Hand über und umhüllte sie einen Augenblick später, begleitet von einem ohrenbetäubenden Donner wie eine Sternschnuppe die am Himmel verglüht. Den Schweif, der sich wie ein Regenbogen von Trafo zu Trafo spannte, schien eine zischende Dampfwolke zu umwabern, die für einen kurzen Moment an die Form eines menschlichen Körpers erinnerte, bevor dieser sich in gleißend helles Licht verwandelte. Die Wucht des Elektroblitzes wirbelte mich wie ein Spielball durch den Raum und danach war alles totenstill. Nichteinmal das Brummen der Transformatoren war noch zu hören und mich umhüllte nur noch dieses gleißend helle Licht, in dem meine Begleiterin verbrannte und das mich blendete.

 

 

Fortsetzung mit Ronja und Mara

Schwarzwasserdusche

 

Die Schattenglutreihe

Inklusion

Impressum

Texte: ©Lisa Mondschein
Bildmaterialien: ©Ali Sadaat / unsplash.com
Cover: ©Fizzy Lemon
Tag der Veröffentlichung: 24.09.2024

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die fallen … Dass sie stets Mut finden immer wieder aufzustehen.

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