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Gerettet

Ronja

 

Ronja, die von ihrem Großvater an einen Dealer verkauft wurde, findet sich in Constanza wieder und hat anfänglich wenig Erinnerung an das, was mit ihr geschehen ist. Akasha, die sie gerettet zu haben scheint, wirft zunächst nicht nur Ronja gegenüber mehr Fragen auf, als Antworten für alles, was bisher geschah …

 

Ronjas Vorgeschichte: Schwarzmeerland

Constanța

„Wo bin ich?“, fragte ich mich noch bevor ich meine Augen öffnen konnte und hatte einen fahlen Geschmack im Mund. Mein Kopf dröhnte und meine Zunge fühlte sich staubtrocken an. Nie zuvor erwachte ich in einem frischen Bett, das sich so weich und warm anfühlte und mir eine Geborgenheit vermittelte, die ich so nicht kannte. Über meinem Körper spürte ich eine flauschige Decke, die nach frischen Blumen duftete und dann hörte ich eine Stimme. Eine raue, aber dennoch weich klingende Stimme. Die Stimme einer Frau.

„Do not be scared“, hörte ich sie in englischer Sprache sagen. Vorsichtig schlug ich meine Augen auf und sah, dass das Bett, in dem ich lag, in einem modern eingerichteten Raum stand, der hell von Sonnenlicht durchflutet war. Neben mir lag die Frau, die mich zärtlich streichelte und mich fürsorglich besorgt ansah. Ihre Worte klangen fremd in meinen Ohren und ich konnte sie kaum verstehen. Die wenigen Jahre, die ich in der Schule Englisch hatte, halfen ein wenig, aber ich konnte die Sprache so gut wie gar nicht selbst sprechen. Woher die Fremde stammte, konnte ich nicht erahnen, denn sie sah ganz anders aus, als die Menschen, die mich in Rumänien bisher umgaben.

„Angst?“, antwortete ich ihr holprig in rumänischer Sprache und deutet mit dem Finger auf sie.

„Am I afraid ...? No, not for a long time“, hörte ich sie daraufhin mit einem gutmütigen Lächeln auf ihrem Gesicht sagen und schloss daraus, dass sie es wohl so meinte, dass ich Angst vor ihr haben könnte. Die Fürsorglichkeit, die in den Worten der Frau mitschwang, klang ehrlich und tat mir total gut. Ihre Antwort auf meine Frage meinte ich durch ein Kopfschütteln von ihr bekommen zu haben und dazu drang auch schon gleich der nächste englische Satz aus ihrem Mund.
„Cold water also drives away fear“. Während sie sprach, lächelte sie mich immer warmherziger an. Das Englisch, das sie sprach, klang auch ganz anders als die paar einfachen Sätze, an die ich mich noch aus der Schule erinnern konnte. Ihre Schultern wirkten breit und ihre Arme von intensivem Training außergewöhnlich muskulös für eine Frau, aber weder ihr fremdländischer Akzent, noch ihr Aussehen machten mir Angst. Dann spürte ich, wie ihre eine Hand sich zärtlich unter meinen Kopf schob und sah, dass sie mir mit der anderen ein Glas mit frischem Wasser zu meinen Lippen führte.

„Kaltes Wasser fließt …? … irgendwo hin?“, antwortete ich ihr verdutzt in meiner Muttersprache, trank dann einige kleine Schlucke aus dem Glas und sah sie fragend an.

„Fear, scared and afraid, are same“, antwortete sie mir, mimte kurz eine ängstliche Grimasse, die fast lustig aussah und stellte das Glas auf dem Nachtisch ab, um eine Hand freizubekommen. Mit dieser wedelte sie sich mit einer Geste die Angst aus ihrer Mimik, ersetzte sie wieder mit einem Lächeln und deutet auf das Glas. Sofort danach verstand ich, dass sie wohl meinte, dass kaltes Wasser ein gutes Mittel gegen aufkeimende Angst sei.

„I not afraid you“, stakste ich, genoss ihre warmherzige Fürsorglichkeit und nippte noch einige weitere Male aus dem Glas.

„Who are you?“, fragte ich, nachdem ich das Glas fast ganz ausgetrunken und mir mühsam die Worte für meine einfache Frage überlegt hatte.

„Akasha, and you?“, fragte sie und sah mich mit ruhigen Blicken an. Es waren Blicke wie ich sie vorher noch nie gesehen hatte. Ihr bernsteinfarbenes Leuchten strahlte eine unbeschreibliche Güte aus, aber hinter dem bräunlichen Glanz jeder Iris ihrer beider Augen, die so golden wie winzige Heiligenscheine anmuteten, verbarg sich auch ein Schimmer von Traurigkeit.

„Ronja, …“, stammelte ich schüchtern und richtete mich auf während Teile meiner Erinnerung erwachten. Ich erinnerte mich an die Flucht vor den Jägern, an die ich offensichtlich weiterverkauft werden sollte und an die Rettung in letzter Sekunde. Akasha hatte plötzlich ein Handy in der Hand, hielt es mir vor meinen Mund und nickte mir auffordernd zu.

„Bist du die Frau, die bei den Jägern war?“, sprach ich in rumänischer Sprache in das Mikrofon, nachdem mir nebulös dämmerte, dass ich die Frau vor kurzem schon einmal gesehen hatte.

„Ja, ich eilte euch zu Hilfe“, sagte sie ruhig und sah mich dabei weiter so warmherzig an als ob sie kein Wässerchen trüben könnte, während sie mir ihre Antwort in meiner Landessprache zu lesen gab.

„Warum …? Was ist mit den anderen? Hast du sie auch gerettet?“, fragte ich verstört und blickte durch das Fenster auf das Meer und den weitläufigen Sandstrand hinaus, der sich tief unter dem Balkon erstreckte und zu dem Hotelzimmer gehörte, in dem wir uns befanden.

„Die Welt kann ich nicht retten, aber vielleicht dich“, war ihre Antwort. Akasha trug einen weißen Bademantel, der sie flauschig einhüllte und während sie sich aufrichtete, entblößte sich ein Teil ihres Oberkörpers. Im Gegensatz zu mir war sie eine sehr große und gertenschlanke Frau, deren kräftige Schultern mir auffallend gut trainiert zu sein schienen. Nur die Rundungen ihrer Brüste waren viel weniger entwickelt als bei mir. Eigentlich wollte ich sie gar nicht so indiskret anstarren, wie mir das in dem Moment, als mich ein unverhofftes Misstrauen ergriff, passiert war.

„Du kommst nicht aus meinem Land“, blaffte ich spontan und aggressiver als ich es wirklich wollte völlig unüberlegt in ihr Handy und richtete mich, so splitternackt wie ich war ebenfalls auf. „Willst du so wie die Jäger auch Sex mit mir …? Hast du mich deshalb gerettet …?“, fragte ich entzaubert, nachdem ich mich an die Frau an der Spitze der Jägerhorde erinnert hatte, die wie eine Amazone gekleidet war. Der Pferdeschwanz meiner Bettnachbarin hatte den gleichen blauschwarzen Glanz wie die offen Haare der Kämpferin, die mit den Jägern auf die anderen gefangenen Mädchen und mich zustürmte. Das konnte kein Zufall sein.

„Sex, nur wenn er dir hilft, weil du dich nach Liebe und Zuneigung sehnst, nur für dich und nicht für mich“, antwortete sie mir noch rätselhafter, mit glaubhaft friedlich klingender Stimme.

„Warum bist du jetzt plötzlich so gut zu mir?“, fragte ich noch verwirrter in ihr Handy und spürte plötzlich auch wieder Schmerzen in meinem Bauch.

„Mein Name, Akasha, bedeutet in dem Land, in dem ich geboren wurde, in Indien, sowohl Himmel als auch Weltraum. Er steht für Kraft und Weisheit, aber auch für Freiheit und Inspiration. Schon vor langer Zeit ist er mir zu einem guten Omen geworden. Das ist während meines IT-Studiums in Delhi an der Uni passiert, als ich im Buddhismus den Frieden mit der Welt, in der wir leben, für mich gefunden habe. Dir konnte ich noch helfen und deshalb habe ich dir auch geholfen, aber den anderen Mädchen kann ich nicht mehr helfen“, antwortete sie mir mit Worten, deren Sinn ich trotz der Handyübersetzung kein bisschen verstand. Angst fühlte ich keine, zumindest nicht vor ihr, eher das Gegenteil. Es kam mir tatsächlich so vor als wolle sie mich beschützen.

„Sind sie tot? Alle tot …? Oje, die Waffen der Jäger …, oder?“, fragte ich, schluchzte und ließ mein Gesicht in meine Hände sinken.

„Arme Ronja“, sagte Akasha, legte zärtlich von hinten ihre Arme um mich, schmiegte sich mit ihrem Oberkörper an meinen Rücken und summte mir eine beruhigende Weise in mein Ohr. Die fremd klingende Melodie, glich einem Singsang aus Lauten wie ich sie noch nie gehört hatte und deren Bedeutung ich nicht verstand, aber sie wirkte so tröstlich, dass ich in Akashas Armen erneut wegdusselte.

„Tee und ein Keks? Für mich …?“, fragte ich Akasha nachdem ich wieder aufgewacht war.

„Ja, iss und trink. Es wird dir guttun“, bedeutete mir Akasha. Draußen war es schon dämmrig geworden und das Abendrot ließ das Meer jetzt rötlich, statt blau glitzern. Meine Wohltäterin stellte Kerzen auf und zündete eine Art Räucherstäbchen an, die jedoch viel dicker als die Räucherstäbchen waren, wie ich sie aus der heiligen Messe unseres Popen kannte. In dem großen Zimmer verbreitete sich eine harmonische Stimmung, die dem modernen Design eine noch wohltuendere Atmosphäre verlieh und sogar ein bisschen feierlich wirkte.

 

 

***

 

Es war schon dunkel geworden, als ich im ersten Moment glaubte in Akashas Umarmung genauso erwacht zu sein, wie ich darin eingeschlafen war. Das konnte jedoch nicht sein, denn der Duft, der mich umgab, war nicht der gleiche, wie der, den ich noch aus meinen Träumen in meiner Nase hatte. Zum Glück waren die Schlangen, die sich zu einem Flötenspiel aus Körben emporreckten und die Feuerschlucker nicht wirklich da, sondern nur der Duft, der das Spektakel umgab, von dem ich geträumt hatte. Außerdem war die große Schlanke nicht mehr in den flauschigen Bademantel gehüllt, den sie noch trug, bevor ich in ihren nackten Armen einschlief. Auf meiner Decke sah ich im schummrigen Lodern einiger Kerzen einen ähnlichen Catsuit liegen, der genauso wie die eng anliegende mattschwarze Seidenhaut aussah, in der muskulöse Körper meiner Gastgeberin jetzt steckte. Die Dämpfe der mysteriösen Glimmstangen hingen wie Nebelschwaden im Raum und ich fühlte mich auf seltsame Art frei von allen Ängsten und Sorgen.

„Hier Ronja, trink noch etwas von dem Tee und iss auch noch ein Plätzchen. In fünfzehn Minuten ziehen wir los“, hauchte Akasha mir zärtlich in mein Ohr und drückte mir einen kleinen Kuss auf eine meiner Wangen. Nach dem Nickerchen fühlte ich mich wie neu geboren und hatte das Gefühl, als könnte ich in mein tiefstes Inneres blicken und in meiner befreiten Seele wie in einem Buch über mich selbst lesen.

„Der Tee schmeckt gut, nur das Plätzchen schmeckt wie Gras“, plapperte ich los und hatte keinen Zweifel daran, dass Akasha alles, was ich sagte, verstehen konnte. Ihre Gesten ließen mich auch ihre Worte verstehen und ich machte mich daran, mich in die gleiche nachtschwarze Seide, die sie trug, zu hüllen. Minuten später legte sie mir ihren Zeigefinger auf meine Lippen und öffnete die Balkontür, an deren Seite sich eine Feuerleiter befand, auf der wir in unseren schwarzen Overalls unsichtbar mit der Nacht verschmolzen.

 

***

 

Unsichtbar und lautlos bewegten wir uns im Schutz der Dunkelheit auf ein Gebäude mit einer maroden Fassade zu. Ein monumentales Bauwerk, das bessere Zeiten offensichtlich schon lange hinter sich gelassen hatte, aber nichts an Anziehungskraft eingebüßt zu haben schien. Je näher wir kamen, desto deutlicher hörten wir das Gejohle, das aus dem einst prächtigen Gebäude herausdrang und sahen zunehmend auch erste Lichtschwaden hinter den trüben Fenstern wabern.

„Wow, das alte Casino“, raunte ich Akasha zu und brannte vor Neugier und Abenteuerlust darauf zu erfahren, was es mit dieser nächtlichen Tour auf sich haben könnte. Mein Inneres strahlte und ich fühlte mich so stark wie Akasha, die Amazone.

„Psst“, zischte sie mit einem Lächeln, in dem ein Hauch von Strenge mitschwang und deutete auf ihre und auf meine Hände.

„O.k.“ bedeutete ich ihr mit einem Handzeichen und folgte ihr dicht auf ihren Fersen weiter durch die mondlose Nacht. Lautlos wie zwei Katzen schlichen wir uns bis zu einem der großen Fenster vor. Akasha voran und ich dicht hinter ihr, als sei ich ihr Schatten.

„Schau“, sagte mir ihr Zeigefinger, der schemenhaft schwarz, vor den Lichtschlieren, die durch die blinden Fenster nach außen drangen, erkennbar war. Einige der Gestalten, die sich im Inneren des Gemäuers versammelt hatten, schienen im richtigen Leben echte Gentlemen zu sein. Das erkannte ich an den schwarzen Anzügen, die sie trugen. Teuer, schienen sie gewesen zu sein, aus bestem Stoff und maßgeschneidert, aber an den Männern, die sie trugen, hingen sie jetzt wie billige Fetzen. Auf den Tischen standen stillose PET-Flaschen umgeben von teilweise umgekippten Gläsern, aus denen die feinen Herren offensichtlich Unmengen Schnaps gesoffen hatten. Den traditionellen Pflaumenschnaps, selbst gebrannt aus Plastikflaschen, so wie ich das von meinem Großvater kannte, der mich an einen Dealer verkauft hatte. Einer der Gentleman, dessen feines Hemd bis zum Bauchnabel offenstand und aus einer mit Essensresten verschmutzten Hose hing, deren Hosenschlitz sperrangelweit offen stand, schniefte weißes Pulver von seinem einseitig entblößten Unterarm. Auch als Akasha mich dann sanft nach hinten wegzog und zu einem andern Fenster brachte, brannte ich noch vor Neugier und hatte keinen Schimmer, was das alles zu bedeuten haben könnte. Das zweite Fenster, durch dessen Einblick ich mir Aufklärung erhoffte, lag an der Ecke zum Haupteingang. Vor dessen breiter Treppe blubberte der laufende Motor eins Polizeiautos vor sich hin, in dem zwei Polizisten dösten, die einen kaum weniger lädierten Eindruck, als die Typen in der ehemals noblen Ruine machten.

„Psst“, bedeutet mir Akasha mit einer weiteren Geste und schob mich vor sich.

 „Ich bin voll ok“, signalisierte ich ihr mit dem hochgestreckten Daumen meiner rechten Hand zurück, während sie meinen Kopf vor die Scheibe des Foyer-Fensters schob. Der Schrei, der aus mir herausbrechen wollte, als ich die mit Handschellen an die Garderoben gefesselten Mädchen mit den schwarzen Augenbinden wiedererkannte, erstarb unter der Hand meiner Begleiterin, die sich von hinten blitzschnell über meinen Mund gelegt hatte. Sie lagen alle apathisch und schwer atmend auf dem schmutzigen Boden und wirkten schon halb tot. Sekunden später waren wir wieder sicher mit der Dunkelheit verschmolzen und unsichtbar. Erstarrt vor Schreck und von neuerlicher Angst gequält, ließ ich mich von Akasha widerstandslos in Richtung Strand in Sicherheit bringen.


***


„Was hat das alles zu bedeuten?“, fragte ich Akasha in den Translator ihres Phones, nachdem wir das sichere Hotelzimmer wieder unbeschadet erreicht hatten.

„Warte, kurz …“, las ich auf dem Display des Handys und beobachtet sie dabei wie sie an dem Gerät mit dem Übersetzungsprogramm ein Headset anschloss. Einen der zwei Stöpsel steckte sie sich in eines ihrer Ohren und den andern streckte sie mir mit einem auffordernden Nicken entgegen.

„So geht das noch besser“, hörte ich Akasha jetzt mit der Stimme einer anderen Frau sagen, die mit auch angenehmem, aber auch etwas melancholischem Klang nicht Englisch, sondern nun Rumänisch mit mir sprach.

„Kannst du mich in deiner Sprache hören?“, fragte ich sie mit matter Stimme, die auch der Stimmung entsprach, die sie körpersprachlich zum Ausdruck brachte. Nach dem, was ich gerade gesehen hatte, konnte ich mich über nichts mehr freuen. Nicht einmal das an Zauberei grenzende Tool warf für mich neue Fragen auf, weil mich die Fragen zu dem, was ich erlebt hatte, nahezu auffraßen. Die Leere, die mich erfüllte, hatte mich unbeschreiblich traurig werden lassen.

„Ja Ronja, das kann ich und jetzt müssen wir reden“ quäkte es klar und deutlich in meinem Ohr.

„Ich kann nicht …“, presste ich glucksend heraus und ließ mich erschöpft auf die Bettkante sinken.

„Komm mit, Ronja. Ich weiß, was dir schnell helfen wird“, sagte sie sanft, stöpselte uns ab und begann mir vorsichtig den Catsuit abzustreifen. Als ich nackt war, ergriff sie mich vorsichtig an meiner Hand, um mich zum Bad zu bringen. Das aus der Brause kalt herabrieselnde Wasser tat mir gut und spülte die Tränen, die mir noch aus den Augen quollen einfach mit sich weg. Die Tür war noch einen Spalt geöffnet, aber dennoch fühlte ich mich von meiner Retterin mit meinem Kummer irgendwie alleine gelassen. Dieser nagte trotz des kalten Schauers an meinem verletzlichen Kern und die Gedanken an die gefangenen Mädchen gärten in mir mit gemischten Gefühlen aus Wut und Angst. Als ich in ein weißes Handtuch eingewickelt zurück ins Zimmer kam, sah ich sie in ihrem Catsuit im Kerzenschein am Fenster stehen und gedankenverloren in die Nacht hinaus starren. Auch die Räucherstäbchen glimmten wieder vor sich hin und das Bett war aufgeschlagen. Zwischen den zwei Kopfkissen sah ich ihr Handy und auf meiner Seite, das noch nicht wieder angeschlossene Headset liegen.

„Leg dich hin und ruhe dich aus“, bedeutete sie mir bevor sie sich auch ins Badezimmer begab.

 

***

 

Nackt und an Armen und Beinen zu einem lebendigen Andreaskreuz aufgespannt, sah ich mich hilflos zwischen Bäume gespannt. Das Seeufer zwar nah, aber für mich in unerreichbarer Ferne, taumelten Mädchen auf mich zu, die alle schwarze Augenbinden trugen. Sie kamen nur quälend langsam voran, aber waren im Gegensatz zu mir nicht durch Fesseln in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Nur die Augenbinden, konnten sie sich ohne fremde Hilfe nicht abstreifen, da sie in der Mitte ihrer Stirn mit kleinen Vorhängeschlössern gesichert waren. Von den Jägern sah ich keine Spur, aber ich hörte sie in ihrem Suff durch den Wald johlen und grölen. Sobald die Mädchen bei mir einträfen, könnten sie mich mit dem silbrig in der Sonne glitzernden Messer befreien, das etwa zwei Meter vor mir im Morast des Waldbodens lag. Dann hätten wir eine reelle Chance für eine erfolgreiche Flucht.


„Are you sleeping?“, hörte ich Akasha fragen, die sich, so wie ich in ein Handtuch gehüllt hatte und auf der anderen Seite des Bettes zu mir unter die flauschig warme Decke kroch.

„Nu, am avut un vis urât despre că scăpăm de vânători“, antworte ich geistesabwesend und hörte die Stimme der Übersetzerin aus dem Lautsprecher von Akashas Mobilphone: „Nein, ich hatte einen schlimmen Traum von unserer Flucht vor den Jägern.“ Die Ansage war zwar von Rückkopplungen überlagert und hatte total gepiepst, aber Akasha verstand mich offensichtlich trotzdem, steckte aber gleich danach wieder das Headset in das Gerät.

„Das kommt von dem Gift der Jäger“, sagte Akasha, die durch den Ohrhörer klar und deutlich mit der Stimme der Übersetzerin zu mir sprach.

„Die Drogen hat mir der Dealer gegeben. Was die Jäger mit mir gemacht haben, weiß ich nicht“, antwortete ich ihr leise und streckte meine Arme nach ihr aus.

„Ich meine nicht die Drogen, Ronja. Ich meine das Gift, das sie in deiner Seele, in deinem Unterbewusstsein, hinterlassen haben“, hörte ich sie sagen und fühlte an der Kühle ihrer Haut, dass sie auch so kalt wie ich geduscht hatte.

„Das ist es nicht, es sind die Mädchen, sie haben mich doch befreit …“, schluchzte ich hilflos.

„Ja, das Schicksal der Mädchen, natürlich belastet es deine Seele. Aber auch das, was dir widerfahren ist. Du musst reden. Reden über das, was in dir ist. Es muss raus …“, bemerkte Akasha ohne mich zu drängen und streichelte mir zärtlich über meine Wangen. Das Haargummi hatte sie gelöst und sich mit dem Ellenbogen auf ihrem Kissen abgestützt. Ihr Kopf lag in einer ihrer Hände und ihr blauschwarzes Haar floss wie ein Trauerschleier über ihre Schultern und bedeckte ihre flache Brust. Aber in ihren Augen sah ich wieder diesen befreienden Schimmer, dieses bernsteinfarbene Leuchten, das tief in mich blickte und so wohltuend tröstlich war.

„Ich weiß nicht, was mit mir los ist, Akasha. Bis ich die Mädchen im Casino sah, wie sie, mit Handschellen an die Garderoben gefesselt dalagen, als ob sie tot seien, fühlte ich mich so stark wie du und seither ist da nur noch Dunkelheit und Schwäche in mir.“

„Ja, das schmerzt, aber ohne einen Entzug ist ihnen nicht mehr zu helfen. Dir reichen noch Kekse.“

„Kekse?“, fragte ich, weil ich nicht verstand, was Akasha mir damit sagen wollte.

„Ja, Cannabiskekse, die dir helfen in deine Seele zu sehen und in dir aufzuräumen, bevor es zu spät ist, Ronja."

„Wie …? Du hast mir auch Drogen gegeben?“, fragte ich schaudernd.

„Drogen sind nicht gleich Drogen und Cannabis ist nicht giftig. Eine bewusstseinserweiternde Medizin, die dir hilft, deine verletzte Seele zu heilen. Sieh in dich und lese in deinem Unterbewusstsein, das wird dir schnell helfen, Ronja."

„Woher weißt du das alles und woher wusstest du, wo die Mädchen sind? Was hast du mit dem allem und diesen Bestien überhaupt zu tun?“, brach es aus mir heraus. Mir schien als ob nur meine Neugier mir half, all das Unverständliche etwas besser zu sortieren, anstatt den Stab über Akasha zu brechen und sie gemeinsam mit den Jägern und den Gentlemen zu verdammen.

„Die Bestien, wie du sie nennst, sind Kokser aus dem internationalen Team, in dem auch ich arbeite. Eigentlich sind sie auch eine Art Opfer. Opfer der Wohlstandsgesellschaft und der Korruption. Die eigentlichen Bestien sind die Verbrecher, die sie melken, sie mit Kokain versorgen und ihnen Mädchen verkaufen, um an ihr Geld zu kommen. In ihrer Euphorie erkennen Kokser die Realität nur noch verzerrt und wenn die Wirkung nachlässt, brauchen sie neuen Stoff, weil sie die Welt, so wie sie ist, anders nicht mehr ertragen können.

„Akasha? … was hast du mit all dem zu tun?

„Unser Team ist hier, um die Grenzsicherung für den Schengenraum auf EU-Standard zu bringen und mein Job ist es mich um die IT-Sicherheit zu kümmern. Mit den Gentlemen aus den anderen Ländern pflege ich außerhalb unserer Arbeit so wenig Kontakt wie möglich. Aber ich weiß, was sie tun und wer das zu verantworten hat, was hier im Dunklen passiert.“

„Aber du warst mit den Jägern am See …“

„Ja, und niemand außer dir, weiß besser was ich dort tat?“, antwortete mir Akasha mit einem traurigen Lächeln und ich begann langsam die Zusammenhänge zu verstehen.

 

 

***

 

 

„Ja, ich weiß, dass du mich gerettet hast, aber warum nur mich?“, fragte ich die Frau mit den blauschwarzen Haaren, während ich mich entspannte und den Körperkontakt mit ihr genoss, der mich immer mehr beruhigte.

„Das, was ich dir gezeigt habe, sollte dir als Erklärung besser so reichen, Süße“, hörte ich Akasha sanft sagen.

„Es scheint mir aber nur die halbe Wahrheit zu sein, oder?“, entgegnete ich ihr und kuschelte mich noch dichter an ihren Körper.

„Das mag sein, dennoch wäre es besser, erstmal in dir selbst weiter aufzuräumen. Dein Unterbewusstsein ist tiefer als du dir das im Moment vorstellen kannst und nach der Traurigkeit, die dich gerade ergriffen hatte, bin ich mir sicher, dass du die ganze Wahrheit in diesem Zustand nicht aushalten könntest.“

„Akasha, nein, ich fühle mich wieder so stark wie du und zusammen könnten wir den Mädchen sicher helfen, sie befreien, befreien wie mich, wir beide, versteh doch bitte …“, flehte ich sie an und umschlang ihren Körper mit übermütiger Begeisterung.

„Nein Liebes, das können wir eben nicht und du würdest daran zerbrechen wie eine kostbare Porzellanvase, die ein Windstoß vom Tisch gefegt hat, ohne dass sie sich dagegen hätte wehren können“, sagte sie mit einem vielsagenden Lachen. Dabei strahlten ihre bernsteinfarbenen Augen wie zwei Sonnen und mir wurde brennend heiß. Die Schmerzen in meinem Bauch waren wie weggeblasen und das Kribbeln unter meinem schwarzen Pelzchen fühlte sich mega schön an. Akashas Körper glitt langsam über meinen Bauch und zwischen meinen geöffneten Schenkeln hindurch, bis ihre Zunge, die sich weich wie Samt anfühlte, meine Schamlippen fand.

„Ahhhhhh …, stieß ich voller Glück einen schrillen Schrei aus, als sie mich an meiner intimsten Stelle berührte und ihre Zunge sanft um mein Perlchen kreisen ließ. Ich sah mich als prall gefüllten rosafarben Luftballon zum Himmel aufsteigen, hinauf zu weißen Wolken die ein Ballett zu unserem Liebesspiel aufführten. Dort wollte ich vor Lust platzen und geflutet von Akashas Energie zu einer Wolke werden, aus der sich ein Gewitter voller Zärtlichkeit auf die Menschen ergießen würde. Als Schneeflocke wollte ich dann zart und weich auf Akashas heißer Haut landen und dort für immer mit ihr verschmelzen.

 

 

***

 

 

„Na, Kleine, aus dem Land der Träume zurück?“, hörte ich, immer noch auf Wolke7 schwebend, Akashas wohltuende Stimme.

„You are so cute, Akasha“, sprudelte überglücklich ein englischer Satz aus mir heraus, der nur einen Teil dessen ausdrückte, was ich mittlerweile für meine Retterin empfand. Ihre taffe Persönlichkeit lehrte mich von Stunde zu Stunde mehr, wie ich eine harte Schale zum Schutz meines weichen, von den Jägern geschundenen, Kerns um diesen entwickeln konnte. Ein Traum, wie zuckersüß sie sich mir gegenüber verhielt, ohne sich dabei selbst infrage zu stellen. Akasha, taff und sexy, der erste Mensch, der die Schmetterlinge in meinem Bauch zum Flattern brachte …

„Wow, your subconscious is already really good at English”, bemerkte Akasha lobend das Englisch, das aus meinem Unterbewusstsein locker aus mir heraussprudelte, grinste schräg und knuddelte mich total lieb. Einer Intuition folgend warf ich mich ganz spontan auf meine coole Freundin, presste meinen schweißnassen Körper so fest ich konnte an sie und küsste sie mit meiner Zunge tief in ihren Mund.

„Wait, do this not!“, bremste sie mich. Meine Zunge, die kurz zuvor zwischen den Ansätzen ihres nur als Andeutung entwickelten Busens nach unten geglitten war und dort gerade ihren Bauchnabel passieren wollte hatte ihr eigentliches Ziel noch nicht erreicht. Ohne Vorwarnung fiel ich verstört und bis ins Mark enttäuscht in ein abgrundtiefes Loch. Mit unerwartet wiederholt verletzter Seele fragte ich mich: 'warum nur will Akasha meine Gefühle für sie nicht erwidern?'. Das hörte ich mich meine innere Stimme voller Unverständnis fragen, während mein Selbstbewusstsein wie ein Kartenhaus einstürzte. Ein Krater voller Dunst, der stechend nach Schwefel stank und mir meinen Atem raubte, tat sich vor mir auf und ich stürzte mit dem Kopf voraus hinein. Unter mir sah ich brodelndes Rot, auf das ich zuraste, während ich in die Tiefe stürzte. Weit unten lechzten teuflische Fratzen nach mir, deren Wangen, mit silbrig funkelnden Dolchen von links nach rechts durchstoßen waren. Die geschliffenen Klingen lachten mich aus weit aufklaffenden Mäulern an, als wollten sie mich verhöhnen. Nur der Singsang, der von dort unten zu meinen Ohren herauf säuselte, passte nicht in das gruselige Bild. Er erinnerte mich an die beruhigende Waise, die Akasha mir auf eines meiner Trommelfelle gesummt hatte, als es mir so schlecht ging.


Indien - Koovagam festival
In jedem Frühling  eines jeden Jahres treffen sich hier tausende indische Hijras, um das traditionelle Fest des ‚Dritten Geschlechts’ zu feiern und ich befand mich mitten unter ihnen. Welchen Tag der fünfzehntägigen Feierlichkeiten ich erwischt hatte, wusste ich nicht, aber ich erahnte – warum auch immer? - wohin ich durch den Vulkankrater, in den ich stürzte, gelangt war. Die Feuerschlucker und Schlangenbeschwörer zählten schon zu meinen Bekannten. Ausgelassen feiernde Hijras, die ohne jegliche Skrupel ihre Röcke hoben und den Blick auf ihre glatte Scham freigaben, sah ich hier zum ersten Mal. Auf den ersten Blick sahen sie aus wie Frauen, aber wer genauer hinsah, konnte im lichten Flaum ihrer Schambehaarung, die Kastrationsnarben erkennen, die sie zu dem hatten, werden lassen, was sie waren. Nicht Mann und auch nicht Frau.

 

Vorgeschichte von Ronja

Schwarzmeerland

 

Fortsetzung mit Ronja

Schwarzmeerblitz

Ronja und Mara

Schwarzwasserdusche

Die ganze Geschichte:

Himmelfahrt - Das Buch

 

 

Die Schattenglutreihe

Inklusion

Impressum

Texte: ©Lisa Mondschein
Bildmaterialien: ©pixabay
Cover: ©Fizzy Lemon
Tag der Veröffentlichung: 30.05.2024

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die sich gegen Freiheitsberaubung, Mädchenhandel und Korruption mafiöser Strukturen einsetzen und für die bewusstseinserweiternde Behandlung Traumatisierter und von Schmerzen geplagten Menschen mit Cannabis.

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