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Mondglut

„Bist du fertig für unsere nächste Tour, Susi?“, fragte Mirjam, der ich als Trainee für mein Mobilitätstraining zugeteilt worden war. In der geheimen Anlage des russischen Militärs, die in der östlichen Ukraine als Sanatorium getarnt betrieben wurde, kannte sie sich, als meine Mobilitätstrainerin, prima aus. So gut wie sie hier als Blinde überall zurechtkam, hatte ich sie schon einige Male im Verdacht, dass sie noch mehr sehen konnte, als sie zugab. Aber jedes Mal, wenn ich sie darauf ansprach, wich sie mir genauso wie auf meine anderen neugierigen Fragen zu dem, was hier wirklich passierte, geschickt aus.

„Ja klar, ich weiß ja wie pünktlich du immer bist, Mirj“, antwortete ich ihr viel besser gelaunt als an den vorausgegangenen Tagen. Zum ersten Mal seit Wochen hatte ich wieder tief durchgeschlafen und fühlte mich topfit. Meine Kopfschmerzen waren schon kurz nachdem mir Anna, die Chirurgin dieser Anstalt mein stärker vergiftetes Auge entfernt hatte, fast ganz weg und an die Bestrahlungen, die mir immer noch zäh und langweilig vorkamen, hatte ich mich inzwischen auch gewöhnt.

„Es hat die ganze Nacht heftig geschneit“, sagte Mirjam zu mir in zwar freundlichem, aber Distanz wahrendem kühlem Ton. Das Englisch, das sie sprach, war so perfekt, dass es ihre ukrainische Herkunft fast nicht mehr verriet. Meine toughe Trainerin warf tief in meinem Inneren immer wieder neue Fragen auf, aber je neugieriger ich wurde, desto verschlossener verhielt sie sich mir gegenüber.

„Unser Training wird heute mit russischem Tee und zwei Zigaretten auf der Terrasse vor der Kantine beginnen", offenbarte mir meine Trainerin und erklärte mir, dass das Thema der Lektion Orientierung im Neuschnee sei.



***

 

„Ich ein Rätsel für dich? Das viel größere Rätsel bist immer noch du für uns“, sagte Mirjam und blies ihren tiefen Lungenzug in die klirrende Kälte.

„Ich ein Rätsel für euch?“, fragte ich total perplex und zog erneut an meiner Zigarette.

„Wundert dich das wirklich? Du tauchst hier auf, keine von uns weiß, woher du kommst und was du hier verloren hast. Es hat sich längst herumgesprochen, dass sie versuchen dir dein letztes Auge mit irgendwelchen Bestrahlungen zu retten, das macht dich nicht nur rätselhaft, sondern sehr verdächtig.

„Verdächtig? Verdächtig wofür?“, fragte ich total entsetzt und sprach gleich weiter.

„Ich wurde in dem Glauben an ein Sanatorium hier hergebracht und habe erst, nachdem ich hier eingetroffen war, erfahren, dass die Russen diese Anlage für irgendetwas Geheimes nutzen. Von allem, was hier wirklich läuft, habe ich keine Ahnung und ich weiß auch nicht, was das alles zu bedeuten hat“, verteidigte ich mich so gut ich konnte, während mir meine Finger wie Espenlaub zitterten.

„Zuerst hielten wir dich für eine russische Kollaborateurin“, hauchte mir Mirj leise in mein Ohr und mir wurde plötzlich schwindelig. So schwindelig, dass ich spontan meinen Arm ausstreckte, um irgendwo Halt zu finden und ich spürte, wie mir meine Knie weich wurden.

„Nun ja, wir wissen natürlich auch, dass Anna, diese russische Teufelin, dir außer deinem einen Auge auch deinen rechten Arm amputiert hat. Das spricht zumindest mal dafür, dass sie dich auch nicht weniger als uns verschonen wollen“, antwortete Mirjam mir und stützte mich. Ihre Hand fühlte sich trotz der dick gefütterten Lederhandschuhe, die sie trug, jetzt eher besorgt, als feindselig an.

„Oje, als ob ich etwas mit den terroristischen Russen zu tun hätte, die euer Land völkerrechtlich verwerflich so brutal überfallen haben“, sagte ich und brach vor Verzweiflung in Tränen aus.

„Warum bist du wirklich hier, Susi?“, fragte mich Mirj leise flüsternd in mein Ohr. Mich fröstelte nicht nur, weil die Kälte für mich von Minute zu Minute mehr zur Qual wurde.

„Mein Freund Pawel wurde von den Russen dazu missbraucht, mich in Berlin mit einem Spray zu vergiften. Er sagte, es sei Medizin gegen meine Antriebslosigkeit und gegen Konzentrationsstörungen. Das Spray hat bei mir dann eine Augenkrankheit ausgelöst, die unsere Ärzte als Krebs diagnostiziert hatten“, schluchzte ich.

„Das hört sich zwar mysteriös, aber dennoch glaubhaft an, was du da erzählst“, sagte Mirjam nachdenklich und schnippte ihre bis zum doppelt eingekniffenen Pappröhrchen aufgerauchte Papirossa in den Schnee.



***


Zum Abendessen gab es Brotsuppe, die offensichtlich allen außer mir geschmeckt hatte, aber mir war eh zum Kotzen und das nicht nur, weil ich von Pawel, der mir das hier alles eingebrockt hatte, schon wochenlang nichts mehr hörte. Das einzige, das mir an diesem Tag Hoffnung machte, war die heutige Untersuchung bei Anna. Alle drei Tage leuchtete die Chirurgin mir mit einer Taschenlampe in mein Auge, aber ich sah schon seit Wochen keinen Lichtschimmer mehr. Deshalb kam sie mir bisher dennoch nicht wie eine russische Teufelin, sondern eher wie eine um die Entgiftung meines Körpers engagierte Ärztin vor. Vor dem Schneegeflüster mit Mirjam dachte ich, dass Anna nicht weniger als die beiden Ärztinnen in Berlin um meine Gesundheit bemüht war. Aber nach dem morgendlichen Gespräch hatte ich inzwischen doch etwas Zweifel daran, wem ich noch trauen konnte und wem nicht. Ausgerechnet heute, an diesem eh schon komischen Tag quetschte Anna mir dann gleich zur Begrüßung einen klobigen Fremdkörper in meine entleerte Augenhöhle. Sie erklärte mir, dass die Acrylplombe die Reste meiner empfindlichen Schleimhäute besser vor der bitteren Kälte, die draußen herrschte, schützen würde. Das kam mir im Vergleich zu den realitätsnahen kosmetischen Glasaugen, die ich in Deutschland hätte bekommen sollen, plötzlich wie ein böses Omen vor. Schon wieder eine Quälerei, dachte ich, nachdem ich bereits beim Rauchen am Morgen um eine schmerzliche Erfahrung mit dem ukrainischen Frost reicher geworden war. Nur einen Augenblick später hätte ich Anna dann vor Freude um den Hals fallen können. Zuerst hielt ich die glimmende Scheibe, die wie ein dunkelrot schimmernder Glutball in einer pechschwarzen Nacht aussah, nur für eine optische Täuschung. Wie ein am Himmel ähnlich einer Morgensonne schwelender Vollmond sah das Licht der Lampe aus. Es erinnerte mich an das Leuchten von flüssigem Metall, das mich aus pechschwarzer Nacht wie das Licht eines Leuchtturms anstrahlte, um mir meinen Weg zu weisen. Aber spätestens als Anna mir sagte, dass mein krankes Auge schon wieder dem Licht folgen wollte, zweifelte ich nicht mehr an ihr. Jetzt wo ich anfing wieder sehen zu können, fühlte ich mich hier innerhalb von Sekunden in wie einer anderen Welt und musste mich erneut fragen, ob Anna für mich nicht doch eine Wunderheilerin war.



***



Verwirrt von den Geschehnissen des heutigen Tages verschwand ich gleich nach dem Abendessen auf mein Zimmer, um meine Gedanken für mich alleine zu ordnen.

„Wenn wir nur wüssten, was mit Pawel los ist?“, fragte mich meine innere Stimme wiederholt. Warum hatte er mich durch die Wirren eines hier gerade erst beginnenden Krieges zu diesem Ort gebracht? An den Ort, an dem ich seit heute wieder sehen konnte. Wenn die Ursache für mein Erblinden tatsächlich kein Krebs, sondern nachweislich eine Vergiftung mit synthetischen Drogen oder einer Art neuer russischer Biowaffe war, hätte Pawel mich damit fast für immer geblendet. Auch wenn er missbraucht wurde, hatte er Mitschuld an meinem Problem. Mein Problem, für das ich nun wieder Hoffnung hatte, dachte ich als ich zur Schreibtischlampe griff und in die Lichtquelle blickte. Die glutrote Scheibe, tauchte im selben Moment wieder genau an der Stelle auf, an der sich meine Hand befand, in welcher der heiß und hell strahlende Schirm meiner Schreibtischlampe lag. Nach den vielen Wochen, in denen ich Licht nur noch als Wärmestrahlung wahrnehmen konnte, fühlte sich das schwelende Glühen der grellen Lampe noch besser als ein Kinofilm auf der Leinwand an. Als ich meine Hand schwenkte, spürte ich, dass mein Auge tatsächlich schon wieder dem Licht folgen konnte. Einen Augenblick später hörte ich draußen auf dem Gang den Takt eines Stocks, den ich mittlerweile aus den Geräuschen von allen anderen Blindenstöcken sofort heraushören konnte. Stirnrunzelnd und etwas irritiert drückte ich mit meinem Kinn auf den Knopf der sprechenden Uhr, die hier alle bekommen hatten.

„Einundzwanzig Uhr achtzehn“, krächzte es mir von meinem linken Handgelenk entgegen und im selben Moment klopfte es auch schon an meiner Tür.

„Zieh dir schnell warme Sachen an, wir machen noch eine Tour“, sagte Mirjam, schlüpfte durch die geöffnete Tür zu mir herein und schloss sie danach sofort wieder mit einem leisen Klicken.

„Eine Tour? Jetzt? … es ist doch schon stockdunkel und die Nacht ist eisig kalt", sagte ich etwas ängstlich und machte zunächst keine Anstalten Mirjams Aufforderung zu folgen.

„Stell dich nicht so an, für uns ist eh immer Nacht, aber das, was ich dir zeigen will, geht nur im Schutz der richtigen Nacht", sagte Mirj so verschwörerisch, dass meine Neugier erwachte.

„Was hast du denn vor?“, fragte ich zurück und schlüpfte in den dick wattierten Kampfanzug, der hier für alle, also auch an mich ausgegeben worden war.

„Zuerst so wie heute Morgen auch. Erstmal nur raus und noch eine rauchen", sagte Mirjam ganz entspannt in einem Ton zu mir, der plötzlich überhaupt nicht mehr so distanziert klang, wie ich es von ihr in ihrer Rolle als Trainerin bisher gewohnt war.

„Und nach dem Rauchen?", fragte ich neugierig, während ich den Reißverschluss etwas hochzog, und den Overall, den ich mir dann doch schnell überstreifen wollte, nur bis knapp über meinen Bauchnabel zuzog, weil es im Haus eigentlich viel zu warm für diese Montur war.

„Dann gibt es Nachtisch und Früchte aus Nachbars Garten“, sagte Mirj und ich hörte zum ersten Mal ein verschmitztes Grinsen aus ihrer Stimme heraus.



***



Die Kantine war ausgefüllt von dem Gemurmel der Frauen, die sich hier um diese Zeit mit taktilen Würfel- und Brettspielen ihre Langeweile vertrieben. Ab und zu wehte ein eisiger Luftstrom durch den Raum, wenn welche, die zum Rauchen auf der Terrasse waren, hereinkamen oder deshalb hinausschlüpften. Mirj und ich fielen in dem bunten Treiben kein bisschen auf. Wir schlenderten zusammen durch den Raum und ich orientierte mich selbständig an dem frostigen Luftzug, der uns den Weg zur Außentür verriet. Wir gingen recht zügig und ließen dabei so wie alle hier unsere Stöcke vor uns hin und her pendeln, um nicht mit jemandem zusammenzuprallen und gegen keinen der unordentlich im Raum verteilten Stühle zu stoßen. Ich gab mir alle Mühe, um nicht mit einem tolpatschigen Fehler die Aufmerksamkeit anderer auf uns zu ziehen. Auf der Terrasse herrschte wildes Schneetreiben und der Wind blies Mirj und mir frostigen Neuschnee in unsere Gesichter. Dort wo die zugeschnürten Kapuzen offen waren, stachen uns herbei pfeifende Eiskristalle wie spitze Nadeln in unsere Haut. Bevor ich das Päckchen mit den Papirossas aus meiner Tasche nestelte, hatte ich mir meinen Overall bis zur Unterlippe zugezogen. Dick in warmer Winterkleidung eingepackt, waren wir sonst gut vor der uns umgebenden Kälte geschützt. Noch bevor ich mit meinen Lippen zwei Glimmstängel aus dem Papppäckchen ziehen konnte, spürte ich plötzlich Mirjs Finger auf meinem eiskalten Gesicht. In meinem Bauch entfaltete sich ein wohliges Kribbeln, während sie mir meine Lippen dick mit einem Fettstift bestrich. Das erinnerte mich an das Lipgloss, welches ich in Berlin immer gerne nahm, bevor ich mit Pawel loszog. Die Erinnerung daran fühlte sich wie aus einem anderen Leben an.

„Du setzt besser das noch auf. Es war gar nicht einfach, das hier für dich aufzutreiben“, sagte Mirj und drückte mir eine aus dicker Wolle gestrickte Augenklappe in meine Hand, an der zwei gehäkelte Kordeln herab baumelten.

„Danke, aber mit der Schleife an meinem Hinterkopf brauche ich deine Hilfe“, sagte ich bedrückt. Der kurze Armstummel, der mir nach Annas Amputation noch an meiner rechten Schulter verblieben war, schränkte mich mittlerweile mehr als mein fehlendes Augenlicht ein. Wie ich hier geworden war, frustrierte mich besonders bei so selbstverständlichen Tätigkeiten, weil ich dann daran erinnert wurde, wie sehr ich manchmal auf fremde Hilfe angewiesen war. Das nagte gewaltig an meinem Selbstbewusstsein und auch Mirj merkte sofort, dass ich plötzlich sehr ängstlich klang.

„Kein Problem, nur Kneifen gilt nicht“, sagte Mirj und knuffte mich aufmunternd zwischen meine Rippen.

„Kneifen ist ein gutes Stichwort“, antwortete ich und biss mit meinen Schneidezähnen in die beiden Pappröhrchen unserer zwei Herzegowina Flors jeweils zwei tiefe Kerben. Das russische Kraut, das hier alle rauchten, klemmte einen Augenblick später zwischen meinen frisch gefetteten Lippen und ich fummelte in der Tasche meines Kampfanzugs nach meinem Feuerzeug. Als es aufflammte, sah ich plötzlich wieder diesen glutroten Mond, der so unnatürlich wie in einem Fantasy Roman aussah, nur, dass er diesmal die Form einer Sichel hatte. Als mir klar wurde, dass ich in der Dunkelheit das Leuchten der lodernden Flamme sah, machte mein Herz einen weiteren Freudensprung. Kurz darauf sog ich den würzigen Rauch tief in meine Lunge und das Nikotin, das durch meinen Hals strömte, half mir dabei, den letzten Rest meiner Angst zu überwinden. Mirij und ich rauchten schweigsam und ließen die winterliche Stille, die uns zwischen den Böen des fauchenden Schneesturms umgab, auf uns wirken. Sie gaukelte mir eine eigenartig friedliche Stimmung vor.

„Früchte aus Nachbars Garten hat Mirj gesagt, aber wo kann es hier in dieser unwirtlichen Einöde Früchte geben? … und was hat sie wirklich mit mir vor?" fragte ich mich leise, aber als sie mir nach dem Rauchen mein Auge mit dem Kälteschutz zuband, hatte ich plötzlich Zweifel daran, ob ich ihr trauen konnte.

Ohne Mirj zurück auf mein Zimmer … ? Dafür war es jetzt zu spät. Vorsichtig schob ich mir, ohne Mirjams Aufmerksamkeit dafür zu erregen, die wärmende Augenklappe von links nach rechts über die Acrylplombe. Mein gutes Auge brauchte Licht und frische Luft, aber dass ich damit schon wieder ein bisschen sehen konnte, wollte ich ihr, ich weiß nicht warum, noch nicht oder vielleicht auch niemals verraten.

Schneebrücke

„Mirjam, das kann nicht dein Ernst sein“, sagte ich während ich in meinem Kälteschutzanzug fast verglühte. Wir hatten uns eine gefühlte Ewigkeit durch Berge von Neuschnee hindurch gekämpft und ich fühlte mich wie eine sibirische Wühlmaus, die in klirrender Kälte aus ihrem warmen Bau heraus gescheucht worden war.

„Susi, hab keine Angst, dir kann nichts passieren, ich mache das nicht zum ersten Mal und die anderen, denen man hier trauen kann, machen das nicht anders als wir", beruhigte mich Mirj.

„Nein, das ist Selbstmord. Uljana hat Pawel und mich eindringlich davor gewarnt, dass hier gleich hinter dem Stacheldraht alles mit Sprengfallen vermint ist“, schrie ich entsetzt. Mirj hatte sich vor mir schon durch das Loch des rostigen Stachelzauns, an dessen Stacheln ich kleine Eiszapfen ertasten konnte, hindurch geschlängelt und wartete dort im Minenfeld auf mich.

„Wie? Du sprichst von der rechten Hand unseres schlimmsten Peinigers und nennst sie auch noch wie eine gute Freundin, Uljana?“, zischte mich Mirjam feindselig an.

„Komm zurück auf meine Seite, dann erkläre ich dir alles, es ist absolut nicht so wie du denkst“, entgegnete ich der aufgebrachten Mirjam, die sich aus meiner Sicht in akuter Lebensgefahr befand.

„Nachdem, was ich da gerade von dir gehört habe, dürfte ich dir eigentlich nicht mehr trauen. Und dann hättest du es nicht besser verdient, als hier alleine zurückgelassen zu werden“, fauchte Mirijam.

„Wie, du willst mich hier in dieser klirrenden Kälte den Naturgewalten überlassen? Und was heißt es schon jemanden vertrauen zu können? Ich weiß zwar nicht, was die Russen hier für ein übles Spiel spielen, aber dass ich mich in dir getäuscht habe, weiß ich jetzt wenigstens schon mal", schleuderte ich ihr wutentbrannt entgegen. Ohne zu zögern, drehte ich mich um und ergriff Hals über Kopf die Flucht zurück.



***


Einige Minuten später lag ich keuchend vor Anstrengung tief eingesunken im Neuschnee auf dem Rücken und sortierte meine Gedanken. Innerlich glühte ich, angefacht vom Adrenalin und von meiner Wut auf Mirjam und mich selbst so sehr, wie die Glut, die ich seit heute wieder sehen konnte. Die russischen Klamotten, die ich trug, schützen mich zwar vor der Kälte, aber nicht vor meiner neuen Feindin, der ich zutraute, dass sie mich für immer mundtot machen würde, wenn sie mich erwischte. Daran, dass sie mich verfolgen würde, hatte ich, nachdem, was ich heute alles gelernt hatte, wenig Zweifel. Oder täuschte ich mich doch in ihr? Schließlich hatte ich ihr mit der Nennung von Uljanas Vornamen auch einen guten Grund dafür geliefert, dass sie jetzt an meiner Integrität zweifelte. Wie dumm von mir. Auch meine Panik vor dem Minenfeld war dumm, weil die Tretminen unter der meterdicken Schneedecke, die sie überbrückten, im Moment wohl wirklich keinem Menschen gefährlich werden konnten.

„Du musst etwas unternehmen, wenn du deine Haut noch retten willst“, sagte meine innere Stimme zu mir. Deshalb rappelte mich gleich wieder auf, als mir klar geworden war, dass ich in einem Kampf auf Leben und Tod, keine Chance gegen Mirjam hätte. Die Spur, die ich während meiner Flucht im Schnee hinterlassen hatte, verschneite von Minute zu Minute mehr. Wenn Mirjam ihr dann nicht mehr folgen könnte, hätte ich selbst auch eine Chance mehr verspielt. Die Spur war mein einziger Weg zurück, wenn auch mit dürftiger Orientierung. Das war aber immer noch besser als der Kälte zum Opfer zu fallen. Hier musste ich jedenfalls schnellstens wieder wegkommen, bevor es auch dafür zu spät war.

Schlupfloch

„Dann habe ich dir vielleicht doch zu schnell misstraut“, sagte Mirjam nachdenklich, nachdem ich ihr davon berichtet hatte, dass ich gleich nach unserer Ankunft auch geschockt davon war, wie vertraulich sich Uljana und Pawel begrüßt hatten. Nachdem ich ihr danach von Uljanas Wutausbruch wegen des Termitoxsprays, das mir Pawel unabgesprochen verabreicht hatte und der geplatzten Versuchsreihe erzählt hatte, nahm sie mich in den Arm und entschuldigte sich für das Misstrauen, das sie vorschnell gegen mich gehegt hatte.

„Kein Problem, Mirj, dass ich wegen des Minenfeldes so dusselig reagiert hatte, war auch keine Glanzleistung“, entgegnete ich. Während ich in ihren Armen lag, genoss ich bevor es weiterging erleichtert die Wärme ihres Atems. Einige Minuten später stießen wir auf eine vereiste Steinmauer, die wie das Bollwerk einer mittelalterlichen Burg aus dem Schnee aufragte. Mirj schlich an der Wand entlang und ich hörte, dass sie mit ihren Handschuhen auf dem Eis herumkratzte als würde sie dort etwas Bestimmtes, eine verborgene Tür vielleicht, oder Trittstufen suchen.

„Hier ist es! Das ist die richtige Stelle", sagte sie plötzlich und forderte mich auf, ihr beim Graben im Schnee zu helfen. Nach wenigen Minuten hatten wir uns so tief eingegraben, dass ich den gefrorenen Boden eines Ackers oder einer Viehweide ertasten konnte und stellte fest, dass dort etwas mit Holzbohlen abgedeckt worden war. Nachdem Mirj drei der Bohlen aus dem Eis gebrochen hatte, tat sich ein Spalt auf, der gerade so groß war, dass wir nacheinander in einen unterirdischen Gang kriechen konnten, der mich an eine Eishöhle aus der Steinzeit erinnerte. Eine Minute später wurde ich, nachdem wir unter der Mauer hindurchgekrochen waren, eines Besseren belehrt, als wir uns dort wieder so aus dem Schnee heraus buddeln mussten, wie wir uns vorher in ihn hinein gegraben hatten.

Wintergarten

Nach einer weiteren anstrengenden Viertelstunde erreichten wir ein Gebäude, dessen Fassade, je näher wir ihm kamen, immer mehr Wärme abstrahlte. Soviel Wärme, dass der Schnee auf der Treppe, die mich Mirj hinaufführte, bei jedem weiteren Schritt nur noch matschig schmatzend zwischen dem Stollenprofil unserer schweren Stiefel heraus quatschte.

„Wir sind da!“, sagte Mirj und blieb vor einer spiegelglatten senkrechten Fläche stehen, die mir wohlig warm mein durchgefrorenes Gesicht erwärmte. Während Mirj etwas aus ihrer Overalltasche heraus kramte, streifte ich meine Kapuze ab und einen Augenblick später hörte ich das leise Summen eines Elektromotors. Im selben Moment strömte tropisch heiße Luft aus einem Raum heraus und wehte mir wie ein Föhn durch mein kurzgeschorenes Stoppelhaar. Vom Schneebuddeln unter der Mauer war doch noch mehr Schnee als ich dachte unter meiner Kapuze und mein Kopf fühlte sich wie eine durch gefrorene Eiskugel an. Durchsetzt von gefrorenem Tauwasser und zahlreichen Eisklümpchen zwischen den Stoppeln hatten sich meine Haare Sekunden vorher noch so ähnlich wie nasses Stroh, das verklumpt war, angefühlt. Wie durch ein Wunder dampften sie schon, als sich die Tür mit dem gleichen leisen Summen, mit dem sie sich vorher für uns geöffnet hatte, nach unserem Eintreten wieder hinter uns schloss. Meine Haare hatten sich sekundenschnell in ein feuchtwarmes Etwas verwandelt und fühlten sich plötzlich wieder kuschelig weich an. Das Tollste war aber, dass ich das Licht, das plötzlich überall gleißend hell im Raum aufgeflammt war, wieder sehen konnte. Das tropische Klima, das hier in diesem hallenartig klingenden Paradies herrschte, ließ mir begleitet von Geräuschen umherfliegender Vögel und ihres unbekümmerten Zwitscherns mein Herz aufblühen. Alles hier erfüllte mich mit unerwarteter Freude. Die Umgebung erinnerte mich an das Tropic-Island, das sich nahe bei Berlin befand. Dort hatte ich schon als Kind in abenteuerlich schummrigen Grotten und jaulend vor Spaß auf den Rutschen meinen ersten Spaß am Schwimmen und Baden erfahren. Später war ich dann noch einige Male mit Pawel dort, aber dann standen die Rutschen nicht mehr ganz so hoch im Kurs, weil die Grotten uns zum Austausch erster jugendlicher Zärtlichkeiten mehr angezogen hatten.

„Schnell raus aus den Wärmeschutzanzügen, bevor uns die Hitze wie in einer Bratfolie durchgart“, hörte ich Mirj grinsend sagen und begann mich auch gleich auszupacken. Mirj war viel schneller als ich ausgezogen. Alles mit einem Arm zu bewerkstelligen kostete Zeit, aber Mirj eilte schon herbei, als ich noch mit meinen Schnürstiefeln beschäftigt war.

„Warte, ich helfe Dir“, hörte ich sie sagen als sie schon an meinem linken Ärmel zog, in dem noch mein ganzer Arm steckte. Auf die Schnelle hatte ich das Oberteil nur auf meiner amputierten Körperseite herunter gestreift, um mich danach zuerst um meine Stiefel zu kümmern. Mirj schob mir meinen Overall bis zu meinen Hüftknochen hinunter und ich stand nur noch mit einem viel zu weiten Armeeshirt bekleidet vor ihr. Darunter trug ich einen mir auch zu viel großen altmodischen Stäbchen-BH, der für Frauen zur Grundausstattung des russischen Militärs gehörte. Es war die kleinste Größe, die es gab und ich trug ihn nur, weil er dick wattiert war. Als Kälteschutz halt. Das was ich von Mirj nur schemenhaft wie dunkle Schatten auf etwas hellerem weißen Grund, der wie Schnee oder weißer Nebel aussah, schon wieder sehen konnte, war nicht viel, aber es war genug um zu erahnen wie fraulich sie aussah. Sie drückte mich sanft nach hinten, wo mich eine mit weichem Leder bezogene Liege, die so groß wie ein riesiges Queensize-Bett sein musste, auffing. Ihre schweren vollen Brüste streiften meinen nackten Bauch und ich spürte schon wieder dieses lustvolle Kribbeln als ich realisierte, dass Mirj schon splitternackt war.

„Hier Mirj“, sagte ich, weil ich vermutete, sie dachte, dass ich schon so nackig wie sie sei und erinnerte sie an die gehäkelte Piratenklappe, die sie mir zum Schutz meines Auges gegeben hatte. Das war das letzte Kleidungsstück, das ich ablegen konnte. Dann wollte ich sie eigentlich neckisch knuffen, um mit ihr in der erholsamen Schwüle, die nach der Kälte so richtig guttat, wild auf dem Bett herumzutollen. Ein plötzliches dunkel klingendes Grollen unterbrach mich jedoch jäh, bevor ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen konnte.

„Hey, was ist denn jetzt los?“, schrie ich zu Tode erschrocken und sprang auf. Das, was ich sah, ließ mich befürchten, dass das Glashaus, in dem wir uns befanden, von den Schneemassen über uns eingedrückt und schon einen Augenblick später wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen würde. Dann drang auch noch tosendes Brausen von herabstürzenden Urgewalten der Natur zu meinen Ohren und ich sah nicht weit vor uns blasse Schatten, die wie Unmengen von herabstürzendem Schnee aussahen. Sie stürzten wie eine Lawine, die alles unter sich begraben wollte von oben herab und vor unseren Füßen stob weißer Schnee hoch. Alles um uns herum schien uns auffressen und unter eisiger Kälte begraben und ersticken zu wollen. Das einzige, was mich irritierte war, dass das, was mich da ergriff, sich nicht wie Schnee, sondern eher wie heißer Wasserdampf anfühlte.

„Was ist denn in dich gefahren?“, fragte Mirj, lachte, stürmte auf mich zu und fesselte mich mit einer innigen Umarmung so an ihren Körper, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Mein Herz raste wie wild und ich verstand die Welt, in der ich mich hier befand, immer weniger. Nichts passte mehr zu meinen Wahrnehmungen und mein wieder erwachendes Sehen schien mich noch mehr zu verwirren, als die Dunkelheit, in der ich mich gerade begonnen hatte, zurechtzufinden.
„Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist“, log ich Mirj an und hasste mich im selben Moment für meine Unehrlichkeit, die nichts anderes als Feigheit war.

„Ach das? Das war nur der Geysir. Den hat sich der irre Kommandant hier einbauen lassen. Vor uns ist sein künstlicher Thermalsee. Wir befinden uns hier in der Mitte seines persönlichen Lustschlosses", sagte Mirj und begann mich zärtlich zu streicheln.

„Ein Thermalsee? Hier …? Was für ein Lustschloss und wer ist dieser Kommandant?“, stammelte ich und genoss die Wärme, die Zuneigung und auch den Trost, während Mirjs Erregung mich überflutete. Ihre feurige Hitze riss mich so mit, dass die Schmetterlinge in meinem Bauch wild flatterten und ich mich mit ihr am liebsten sofort so eng umschlungen wie wir dastanden, in den Thermalsee geworfen hätte.

„Und jetzt, komm mit, oder hast Du die Früchte vergessen, die ich dir aus Nachbars Garten versprochen habe?“, sagte Mirj und riss mich leichtfüßig davon trabend mit sich mit. Sie kannte die Umgebung hier sogar so gut, dass sie sich auch ohne ihren Langstock mit mir im Schlepptau sicher orientieren konnte. Schon nach wenigen Metern spürte ich gewachsenes Gras unter meinen Fußsohlen und es roch mit jedem weiteren Schritt intensiver nach exotischen Früchten.

„Hier fühl mal …, kommst du selbst darauf, was das ist?“, hörte ich mich Mirj fragen, die meine Hand zu einem Ast führte.

„Eine Mango?“, fragte ich etwas ungläubig.

„Ja, genau! Ganz frisch vom Baum. Sie ist reif, außen schön weich und innen drin, saftig und zuckersüß …, so wie du, oder täusche ich mich?“, hauchte sie mir ins Ohr und biss mir zärtlich in mein Ohrläppchen.



***



Selbst das Gras, auf dem ich lag, fühlte sich an meinem Rücken nicht kalt, sondern tropisch feucht und wohlig warm an. Als Mirj mir meinen schweißnassen Bauch streichelte und ich ihre Berührung mit einem lustvollen Stöhnen quittierte, bewegte sie ihre Hand immer tiefer in Richtung meiner Scham und glitt über den feuchten Schleim, der immer lustvoller aus mir herausquoll. Zuerst öffnete ich meine Schenkel nur zögerlich, aber dann immer mehr, bis ich weit aufgespreizt neben ihr im sich immer heller lichtenden Nebel lag. Der fruchtige Geruch der Mango, die sie über mir wie eine Zitrone ausquetschte, machte mich fast noch wuschiger, als der Duft, der mir aus ihren tropfnass gewordenen Schamlippen in meine Nase strömte. Dann spürte ich Mirjs Zunge, sie fühlte sich etwas rau an und kitzelte mich zärtlich an den Innenseiten meiner Schenkel. Ein bisschen kühl kam sie mir dennoch vor, während sie sich Millimeter für Millimeter immer schneller kreisend meinem Lustzäpfchen näherte. Aber dann hörte ich ein metallisches Klicken, das mich unsanft aus meinen süßen Träumen zurück in die Gegenwart katapultierte. Mit einer Mischung aus Neugier und Schreck kniff ich mein immer besser sehendes Auge zusammen und starte sie damit an. Es ließ mich den schemenhaften Hauch eines russischen Offiziersmessers wie eine silberne Sichel aufblitzen sehen und so erschaudern, dass ich eine Gänsehaut bekam, als ob ich plötzlich fröre. Mir blieb fast mein wild pochendes Herz stehen, bevor ich kurz nach dem Schreck wieder entspannt durchatmen konnte nachdem ich kapierte, was Mirj damit anstellen wollte. Eigentlich hatte ich mich schon auf ein zartfühlendes Eindringen ihrer schlanken Finger in mich eingestellt, aber die saftigen Spalten, die sie in langen Streifen von einer klebrig süßen Mango abgeschnitten hatte, waren eine viel bessere Idee. Wir knieten so eng beisammen, dass Mirjs schwere Brüste meine kleinen Nippelchen immer wieder sanft berührten, während wir uns einander abwechselnd die frischen Fruchtspalten in unsere schon sehnsüchtig zuckenden Lustspalten hinein streichelten. Wieder auf dem Rücken im Gras liegend sah ich die Schatten von Mirjs Schenkel, die sich über meinem Gesicht langsam schlossen und sich das Licht zu einem dünnen Nebelstrahl verjüngte. Schon, dass Mirj so über mich gegrätscht ihr Becken auf mein Gesicht senkte, raubte mir fast meinen Verstand und ich konnte es fast nicht mehr erwarten, endlich ihre geöffneten Schamlippen mit meiner Zunge begrüßen zu dürfen. Als es endlich so weit war und ich den süßen Saft schmeckte, der aus ihr in meinen Mund sickerte, stieß ich ihr einen kehlig klingenden Schrei in ihre feurig erglühte Grotte. Das Schmatzen, das an meine Ohren drang, als Mirj damit begann, die Fruchtstreifen wieder nacheinander aus mir heraus zu lutschen, um sie mit ihren Lippen dann von meinem Kitzler zu knabbern, heizte mich an, das Gleiche mit ihr zu tun.

„Uns einander als Nachtisch die Früchte aus Nachbars Garten auf diese Art gegenseitig zu kredenzen, war eine total pfiffige Idee von dir, Mirj", flüsterte ich, nach dem ich den fruchtigsten Orgasmus meines Lebens erlebt hatte und genoss jeden weiteren Atemzug, den uns die unerwartete Umgebung hier spendete.

„Was war das denn vorhin mit der Lawine, Süße? Hast du mir etwas verschwiegen", fragte Mirj während sie mir weiter zärtlich meinen Bauch streichelte, aber schon durchblicken ließ, dass sie mehr von meinem neuen Geheimnis ahnte, als ich erhofft hatte.

„Bestimmt nicht mehr als du mir", antwortete ich ihr gereizt, weil ich ihre Frage als Bestätigung dafür interpretierte, dass alle anderen in diesem eigenartigen Umfeld auch nicht so blind waren, wie sie sich mir gegenüber immer gaben.

Schneeblind

Kurz bevor wir vom Rückweg, den wir aufgrund der jüngsten Verstimmung schweigend hinter uns gelassen hatten, total erschöpft, den Stacheldrahtzaun erreichten, fasste ich mir dann doch ein Herz.

„Ok, ich kann seit heute wieder ein bisschen sehen, aber nur Nebelfetzen und Schatten. Selbst Schneeblind wäre für das bisschen, geprahlt", keuchte ich in die Kälte und folgte weiter Mirjs Spur.

„Du brauchst mir nichts beichten, was ich mir selbst schon zusammenreimen konnte, aber nimm dich vor Anna in acht", brummte Mirij mir leise zu, bevor sie vor mir durch den Zaun schlüpfte.

„Wieso sollte ich Anna misstrauen? Sie ist doch diejenige, die mir das Licht zurückgegeben hat", murrte ich, während ich Mirj durch das Drahtloch folgte.

„Pssst, nicht so laut. Pass einfach mehr auf dich und auf dein Auge auf. Ich habe eh schon viel zu viel gesagt. Mit dir über diese und andere Dinge, die hier noch passieren, zu reden ist streng verboten", flüsterte Mirijam noch in einem sorgenvollen Ton zu mir und stapfte danach wortlos davon.

Vorgeschichte

 Verspätung

Fortsetzung

Gadgets

Die ganze Geschichte von Anfang an:"Himmelfahrt - Das Buch"

Himmelfahrt - Das Buch

Impressum

Texte: ©Lisa Mondschein
Bildmaterialien: ©pixabay
Cover: ©Fizzy Lemon
Tag der Veröffentlichung: 03.02.2023

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle die kein sauberes Wasser, keinen Strom, oder im eiskalten Winter gar kein Dach mehr über ihrem Kopf haben ...

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