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Schattentraum

Die ganze Geschichte, in die ich im Zusammenhang mit dieser Schattenglut hineingeraten war, wurde mir langsam aber sicher immer mehr suspekt. Seit Tagen nörgelte ich mahnend an Mara herum, wobei ihr Vorhaben sich im Vergleich zu meiner Aktion zwischenzeitlich deutlich harmloser darzustellen schien. Möglicherweise steckte ich hier sogar schon richtig tief in der Klemme. Ich wusste ja nicht mal, ob mir diese Alena mit ihrer unwiderstehlich bezaubernden Stimme die Wahrheit erzählt hatte, oder ob ich meinen Kopf bereits im Übermut in ihre Schlinge gelegt hatte. Sie konnte mir schließlich alles Mögliche erzählen. Selbst, dass sie auch eine Blinde sei, könnte eine Lüge gewesen sein. Mir war klar, dass ich eine Möglichkeit finden musste, die mir dabei half für mich selbst etwas mehr Licht in dieses Dunkel zu bringen. Fest stand allerdings, dass ich diesen Blinddate eigeninitiativ wollte. Das Einzige, was mir blieb, um hier einigermaßen ungeschoren zu meinem Ziel zu kommen, war wachsam zu bleiben und das Beste aus der verfahrenen Situation zu machen.

Ungeschoren? Die prickelnd schöne Zweideutigkeit brachte mich auf einen neuen Gedanken. Mara hatte mir heute Morgen zärtlich meinen ganzen Körper geschoren. Aber, wie war das bei Yasu? Ihre Haut fühlte sich sogar noch ein bisschen glatter, als meine eigenen frisch rasierten Stellen an? An Alena kam ich im Moment nicht ran, das war klar. Aber an Yasu schon. So könnte ich auch schnell herausfinden, was das Rätsel mit ihrem Alter auf sich hatte und auf diese Weise sicherstellen, dass sie auch wirklich volljährig ist. Sie einfach nach Ihrem Perso zu fragen, konnte ich ohne eine vertrauenswürdige Assistentin an meiner Seite vergessen. Aber das war das kleinste Problem. Schließlich war ich es ja gewohnt mir alles, was mich interessierte auf andere Art zu erschließen und am einfachste funktionierte das eben immer mit tasten. Wenn Yasu die Reifeprüfung bestand, dann stand meinem weiteren Vergnügen mit ihr, auch ohne die plötzlich sehr eigentümlich wirkende Alena, nichts mehr im Wege. Aber zuerst musste ich noch herausfinden, wo ich war und wer uns bei dem, was hier gerade geschah, wie auch immer noch zuschauen oder sogar heimlich fotografieren und filmen könnte. Ja genau, die Vorhänge, das sollte ich zuerst klären. Wenn hier nämlich, so wie Yasu das etwas rätselhaft angedeutet hatte, wirklich kein Licht war, könnte das Ganze doch noch irgendwie alles legal sein und würde dann auch wieder verständlicher zusammen passen.

„Also, ich sitze!“, sagte ich. Meine Stimme klang, nachdem ich erneut einen eigenen Plan hatte, auch wieder selbstbewusst und angstfrei.
„Dann sollten wir erst mal reden“, sagte Alena und ihre schöne Stimme klang dabei wieder genauso entspannt und sympathisch wie im ersten Telefonat, das wir vor knapp zwei Stunden zusammen geführt hatten.

„Ja genau, am Telefon hatten wir zuletzt über eure Schattengalerie gesprochen“, antwortete ich flott.

„Nicht ganz, zuletzt hatten wir darüber gesprochen, dass du mit deiner Blindheit nicht klarkommst“, entgegnete Alena freundlich, aber kühl.

„Ach nee. Bitte nicht schon wieder dieses Thema. Wenn das so wäre, würde ich ja jetzt nicht hier sitzen. Aber Schwamm drüber, apropos hier sitzen. Ist das hier so etwas Ähnliches wie das unsicht-Bar?“

„Ah, du kennst das unsicht-Bar, das Dunkelrestaurant in Berlin-Mitte, in der alten Backfabrik? Ja, das hier ist ein ähnliches Konzept. Unser Restaurant heißt aber Schattentraum“, antwortete Alena mit hörbar ehrlicher Freude in ihrer Stimme. „Im unsicht-Bar hatte ich sogar mal einen Minijob.“

„Schattentraum? Das klingt aber nicht nur nach gutem Essen“, gab ich Alena so zur Antwort, dass eine Blinde ein schräges Grinsen aus meinen Worten heraushören können müsste. Außerdem zeigte ich Yasu ohne Worte, dass ich ihre Hand, die noch immer auf meinem Unterarm lag, als vorsichtigen Annäherungsversuch verstehen wollte und begann damit, sie so leise wie möglich vorsichtig zu streicheln. Jetzt, wo ich erneut ein paar Fäden in der Hand hatte, die es mir erlaubten, das rätselhafte Treffen auf meine Art zu analysieren, war für mich wieder alles ok. Dieses Kribbeln und Kitzeln war auch wieder da. Allerdings war ich nun auf Yasu noch mehr als vorher auf Alena scharf, die bei mir zwischenzeitlich trotz ihrer erotischen Stimme ziemlich unten durch war. Kurz darauf sank Yasus Kopf seitlich auf meine Schulter und ich spürte schwere glatte lange Haare, die mir, wie leichter Nebel, auf die weiche Seide meiner dünnen Bluse glitten und dort über meine Brüste strichen.

„Ganz genau, nicht nur gutes Essen. Aber wie ich höre, lächelst du wohl hauptsächlich deshalb, weil dir Yasus sinnliche Träume im Moment nicht gerade ungelegen in deinen Schoß fallen, oder?“ Ohne groß nachzudenken, antwortete ich der Spaßbremse Alena, die mich langsam wirklich zu nerven anfing, flapsig knapp zurück.

„Jetzt weiß ich wenigstens, dass deine Blindheit so echt wie meine ist und du damit auch nicht besser klarzukommen scheinst als ich.“ Gleichzeitig trieb mir mein Herz schon kräftig und laut pochend eine gehörige Menge heißes Blut durch die Adern, während meine Hände über Yasus Hals neugierig zu ihrem Kopf hoch glitten. Sie war sportlich leicht gekleidet und trug ein gut gebügeltes Poloshirt aus dicker Baumwolle, das sich schön weich anfühlte.

„Menschen wie du, die gegen ihre Gebrechen ankämpfen, sind oft grundlos misstrauisch, weil sie nicht souverän über der eigenen Sache stehen“, schien mich Alena tatsächlich belehren zu wollen. „Deshalb urteilen viele dann auch häufig zu schnell und aus diesen Gründen oft falsch und teilweise sogar unfair über andere“, antwortete mir Alena ganz gelassen, ohne einen anfeindenden Unterton in ihrer Stimme. Ich war mir sicher, dass sie jedes Detail von meinen Kuscheleien mit Yasu genau mitbekam.

Yasu und ich hatten uns inzwischen auf unseren Stühlen einander zugewendet, streichelten uns unsere Rücken und tauschten leise erste zärtliche Küsschen aus. Obwohl ich von der Hitze und der Leidenschaft, die schon heftig in mir brodelten, fast schon die Beherrschung verlor, musste ich mir aber zuerst noch ein Bild über Yasus tatsächliche Reife verschaffen. Alles andere wäre verantwortungslos gewesen.

Ich spürte das drängende Verlangen ihre Brüste zu berühren, wollte so gern ertasten, welche Form ihre Brustwarzen hatten und wie hart sie schon waren. Aber vorher musste ich mich erst noch vergewissern, dass ihr Schamhaar normal entwickelt war und ihr Körper sich wie der einer ausgewachsenen Frau anfühlte. Nur diese Alena fand kein Ende damit, mir mit ihrem tiefsinnigen Geschwafel die Lust auf Yasu verderben zu wollen. Ein Dunkelrestaurant mit edlen Stofftischdecken, in dem ein altkluges Orakel ungefragt an mir herumnörgelt? Heute war wohl doch nicht mein Glückstag.

„Muss das denn sein?“, fauchte ich fast meine Kontenance verlierend. Ohne dabei meine Finger von Yasus Körper zu lösen schob ich noch eine zornigere Wortsalve hinterher. „Du hast zwar eine schöne Stimme, Alena. Aber der Inhalt, dessen, was du sagst, hört sich fast schon so gefühlskalt, wie all die schlimmen Dinge, die Maike mir vorhin über eurer Etablissement erzählt hat an.“

Mein Herz raste wie wild, weil sich zu meiner Erregung jetzt auch noch Zorn hinzumischte. Nur Yasu, deren Körper so schön weich und warm war und die mich beruhigend streichelte, hatte eine weitere Eskalation meines Zorns gerade noch verhindern können. Ihre Hände streichelten mein Gesicht. Im Gegensatz zu mir war sie die Ruhe selbst und unglaublich friedlich. Sie schmiegte sich beruhigend an mich und streichelte mich ganz lieb. Verspielt glitt Ihre zarte Hand über meine Wange und dann spürte ich, wie sie mir vorsichtig ihren Zeigefinger über meine Lippen legte. Yasu gab mir damit ohne Worte unaufdringlich zu verstehen, dass ich mich besser auch auf die Suche nach meinem inneren Frieden begeben sollte, anstatt mich weiter so wie eine unreife Zicke aufzuführen. Wie konnte ein so zartes Geschöpf nur so über den Dingen stehen? Yasu, konnte so wie sie sich verhielt, unmöglich noch ein unreifes Kind sein. Ganz im Gegenteil, sie kam mir reifer und in ihrer Persönlichkeit gefestigter, als ich vor. War ich wirklich nur so zickig, weil ich etwas in mir verdrängen, bekämpfen oder gar mich selbst verleugnen wollte? Es waren Yasus Hände, die ich plötzlich auf meiner Bauchdecke spürte und die mich zurück ins Geschehen holten. Ich fühlte mich wie in den siebten Himmel gehoben. Mit flatternden Schmetterlingen in meinem Bauch hatte Yasu mich verzaubert und zu einer erotischen Himmelfahrt eingeladen. Einen Moment später saß sie so auf mir, als sei ich der fliegende Teppich, auf dem wir beide davon schweben wollten. In selben Moment stellte ich fest, dass sie einen sehr kurzen Minirock trug, dessen Saum sich nach einem Pelzbesatz anfühlte, der sich schon bis zu ihren Hüften hochgeschoben hatte. Wie ein Windhauch kam sie hauchzart über mich geweht, um dann gegrätscht über mir aufgerichtet auf meinen Schoß zu sitzen.

„Ihr müsst euch aber nicht auf diesen unbequemen Stühlen lieben?“, hörte ich Alena verständnisvoll in gütigem Ton sagen. „Yasu führt dich bestimmt auch gern zur Schattenwiese, dort könnt ihr, wenn dir das lieber ist, Ronja, auch ganz ungestört alleine nur unter euch sein.“

Ich biss mir so fest ich konnte auf die Lippen, spürte, dass Yasu sich nach vorne beugte und mir mit ihrem halb geöffnetem Mund total entspannt meinen Hals entlang nach oben auf mein Gesicht zu züngelte. Weil meine Hände mittlerweile von ihrem Rücken zu ihrem fraulich runden Po gewandert waren, mit dem sie sich genüsslich auf dem Leder meiner Jeans auf mir herum schlängelte, wusste ich, dass sie untenrum schon splitternackt war. Meine Knie zitterten vor explosiver Lust, als sich meine Finger entlang ihres süßen Hinterteils nach vorne zu ihren weichen Schenkeln, die sich auch fraulich mollig anfühlten, vor streichelten. Aber als ich mich endlich im Strudel meiner eigenen Lust zu ihren Leistenbeugen vorangetastet hatte, erschrak ich plötzlich.

Mit blankem Entsetzen spürte ich eine Gänsehaut. Von einem Moment auf den anderen zog sich in mir alles, fröstelnd vor Schreck, zusammen. Meine Lust war schlagartig schockgefroren und ließ mich zu einem fassungslosen Eisblock erstarren.

Schattenspiel

„Urteile nicht zu schnell, Ronja, vertrau mir, sonst wirst du es nach wenigen Sekunden bitter bereuen.“

Da war sie wieder, Alenas, allwissend und allmächtig klingende Orakel Stimme, die, obwohl sie leise war, wie ein schwermütig mahnendes Echo im Raum nachklang. Diesmal kochte ich wirklich vor Wut über diese besserwissende Spielverderberin, an der ich nach meinem Schreck nichts Gutes mehr erkennen wollte. Der Schock, der mir wegen Yasus Körper wie Blei in meine Knochen gefahren war raubte mir fast meine restlichen Sinne.

Yasus Schamhügel war tatsächlich auch so spiegelglatt wie ihre Schulterpartie und ihre zarten Hände. Nicht samtig glatt, wie bei Mara und mir, sondern richtig spiegelglatt, ohne Stoppel, nicht mal ein Härchen Flaum war auf ihrer weichen Haut zu ertasten. Aber das war noch nicht alles. Mir blieb fast mein Herz stehen …, war da etwa noch etwas, das mich an meinen morgendlichen Streit mit Mara, kurz bevor sie mich verlassen hatte, erinnerte. War Yasu etwa gar keine richtige Frau? Ich war total verwirrt, denn ein richtiger Mann war sie auch nicht, das spürte ich ja ganz deutlich.

Sie …, oder Er …, oder Es … Oje, was für fürchterliche Worte für ein so liebenswertes Wesen? Ich zweifelte an mir selbst und an meinem Verstand, während ihr Zäpfchen in meiner Hand, die ich vor Schreck zur Faust geballt hatte, geduldig auf neue Zärtlichkeiten wartend, lustvoll erregt, vor sich hin pulsierte. Yasu, hatte mir doch vorhin schon klar und verständlich erklärt, dass sie sich als Frau versteht. War ich wirklich so oberflächlich unterwegs, dass ich sie in meinem Stress soeben sprachlich als Sache, ja, als Objekt bezeichnet hatte? Oder aus welchem anderen Grund sollten mir solche Taktlosigkeiten sonst in den Sinn gekommen sein. Mara legte sonst immer so viel Wert auf Respekt und Freiheit gepaart mit lustvoller Toleranz, was mir ja auch wieder Kraft und mein neues Selbstbewusstsein eingehaucht hatte.

„Das ist der Grund, warum ich meinem Land den Rücken gekehrt habe“, sagte Yasu leise und fast tröstend zu mir. Ihre Sprachmelodie brachte ihre innere Zufriedenheit so glaubhaft zum Ausdruck, dass mir vor Rührung fast schwindelig wurde. Dann brach ich in Tränen aus und drücke sie so fest ich konnte an mich.
„Genau das, wollten wir mit dir teilen, Ronja“, sagte jetzt auch Alenas Stimme mit einer Wärme in die dunkle Stille, in der sonst nur noch mein Schluchzen schwebte. „Jetzt verstehst du vielleicht auch, warum Yasu trotz aller Farben, die sie noch hat, das Licht nicht mag, das wir nicht haben.“ Dann hörte ich Alena, mit leisen Schritten entschwinden, aber kurze Zeit später erschien sie schon wieder. Ihr Atem verriet mir, dass sie sich auf etwas konzentrierte. Das Geräusch, das von der Tischdecke leise und dumpf zu meinen Trommelfellen schallte, klang nach einem Tablett, das sie dort abgestellt hatte.

„Warum?“, flüsterte ich, während ich Yasu noch immer fest in meinen Armen hielt und über den glücklichen Langmut der fantastischen Frau nachdachte, die ich in meinen Armen hielt, aber nicht verstand.

„Warum? Nun ja, Wesen, die ihre Geschlechter wechseln können, haben in der japanischen Kultur eine Jahrtausende alte Tradition und werden in Japan Futanaries genannt“, erklärte mir Yasu.

„Eine strenge Trennung nach nur zwei Geschlechtern gibt es dort nicht. Aber das ist in vielen anderen Kulturen auf der Welt auch anders als hier. Denk doch nur mal an die Hijras in Indien, die Ladyboys in Thailand, Kambodscha und auf den Philippinen. Die gibt es in Asien sogar bis nach China. Oder die Trannys in Brasilien und an die feminisierten Schönheiten, die sich an kolumbianischen Traumstränden in winzige Mikrobikinis gehüllt, im Sand sonnen und zur Abkühlung im Meer plantschen."
„Du kannst dein Geschlecht wechseln?“, fragte ich ungläubig und fast schon wieder zornig werdend zurück. „Außerdem verstehe ich nicht, warum du dann überhaupt mit deinem Land dann gebrochen hast. So wie sich das gerade anhört, scheinst du die grausamen Rituale ja sogar als Betroffene noch voll gut zu finden.“

„Nein, ich kann mein Geschlecht natürlich auch nicht nach Lust und Laune, so wie ein Leguan seine Farbe wechseln kann, situativ beeinflussen. Das geht natürlich nicht. Es stimmt auch, dass ich jetzt so bleiben will, wie ich bin. Aber mich stört, dass andere das alles, als ich noch zu klein war, um es selbst zu verstehen, für mich entschieden haben. Woher soll ich denn überhaupt wissen, wie ich heute gern anders sein wollte? Ich kenne es doch nur so. Vielleicht ist das so ähnlich wie mit den Farben bei blinden Menschen. Geburtsblinde stecken den fehlenden Farbsinn, ja auch oft leichter weg, als Späterblindete. Das, was ich dir zu der Fähigkeit der frühen Futanaries, von denen man sich erzählte, dass sie ihr Geschlecht wechseln konnten, sagte, sind fast vergesse Sagen aus der Vergangenheit. In Japan gibt es solche wie mich schon seit mehreren tausend Jahren. Natürlich sind wir alle Wesen, bei denen andere Menschen mit unseren Feminisierungen sehr weltlich nachgeholfen haben, eine alte Tradition fortzuführen. Heute weiß man, dass es die ursprünglichen Fabelwesen nie gegeben haben kann. Der Zauber der alten Sagen ist leider bei vielen japanischen Männern bis zum heutigen Tage gesellschaftlich allgegenwärtig und deren Verlangen nach uns ist stärker als Aufklärung, Respekt und Vernunft.“

Ein leises rasches Knistern und Kratzen, das aus Alena’s Richtung kam, erregte in meinem Unterbewusstsein zusätzliche Aufmerksamkeit und lenkte mich etwas ab. Zornig auf Yasus Peiniger, presste ich dennoch betroffen glucksend einen weiteren Satz aus mir heraus.

„Also die gleiche Barbarei, so wie das die katholische Kirche im Mittelalter mit ihren Singknaben gemacht hat?“, zischte ich zornig. Yasu streichelte mir mit ihren kleinen Handrücken zärtlich über meine Wangen und verwischte die mir hervorgequollenen Tränchen zu einem kühlenden Film, der mein Gesicht danach nur noch leicht benetzte.

„Plopp“ …, schallte es durch den Raum und ich hörte zischend und schäumend Champagner in Gläser sprudeln. Die Gläser mussten so eng gedrängt auf dem Tablett stehen, dass sie schon während des Eingießens hell wie Glöckchen klingelten. Es hörte sich nach Sektflöten aus dünnem Kristall an. Die Flasche musste sich, uns gegenüber, auf der anderen Seite des Tisches in Alena’s Hand befinden. Von dort, wo die edlen Tropfen lebhaft aus dem Flaschenhals rannen, wehte ein trockener, herber Duft zu Yasus und zu meiner Nase herüber. Das kühle Nass flüsterte ein feinperliges Sprudeln dazu.

Einfühlsam schoben sich Yasus kleine Hände unter die Finger meiner noch kraftlos geschlossenen Faust. Ihr kleiner Kerl, war jetzt noch kleiner geworden, aber noch immer ein gewaltiger Riese im Vergleich zu meinem Kitzler. Die frostige Kälte in mir war von Yasus grenzenloser Zufriedenheit und ausgleichender Menschenliebe komplett weg getröstet und mein kurzer Schmerz, der für Yasu in Wahrheit ja gar keiner mehr zu sein schien, schmolz dahin wie Eis in der Sonne. Mein Verlangen nach leidenschaftlichem Sex mit ihr brach wie ein isländischer Geysir durch den Rest der dünnen Eisdecke, die mein Herz von dem Schreck noch einhüllte. Wie ein Feuer spuckender Vulkan brach meine neue Lust durch das Eis hindurch und überschüttete die dünne Oberfläche mit einem wilden Funkenregen, der das letzte Eiskristall wie Butter in der Sonne dahinschmelzen ließ.

„Wollen wir nicht wenigstens noch zusammen anstoßen?“, mischte sich Alena höflich, mit einem gut hörbaren, aber wissenden Grinsen wieder in unsere Unterhaltung ein.

Yasu glitt geschmeidig von meinem Schoß herunter. Ein Hauch ihrer erotischen Wärme, die ich links von mir spürte, ließ mich wissen, dass sie noch dicht bei mir stand und ich hörte, dass sie damit beschäftigt war, sich ihr Röckchen wieder sorgfältig zurecht zu zupfen. Deshalb wollte ich auch aufstehen, um bei Alena schon mal nach unseren Gläsern zu sehen. Kaum dass ich mich erhoben hatte, spürte ich Yasus Hand auf meiner Schulter.

„Du bleibst mal besser hier, ich mach’ das schon …“, hörte ich das süße Wesen, zwar hell und zart, aber in einer Art und Weise sagen, die mich aufhorchen ließ.

„Soll das heißen, dass mir Alena für immer verborgen bleiben soll?“, fragte ich verwundert.

„Glaub mir, das ist besser so“, sagte Alena weich und diesmal glaubte ich in ihrer Stimme einen wirklich traurigen Unterton herausgehört zu haben.

„Dann hast du selbst also doch mehr Probleme mit deinem Gebrechen, als du zugeben willst?“, rutschte mir spontan ein wirklich dummer Satz heraus.

„Besser du kehrst erstmal vor deiner eigenen Tür, Ronja“, bemerkte Alena dazu völlig trocken.

„Komm, nimm mal …“, im selben Moment spürte ich eine eiskalte Sektflöte, mit der Yasu aufmunternd gegen meinen Handrücken stupfte und griff vorsichtig zu.

„Auf deinen ersten Besuch bei uns in der Schattenglut, Ronja. Du befindest dich im Moment, wie du weißt, noch in der Schattenwelt, aber nach unserem Umtrunk, kann Yasu dich, vorbei an den Schattenbildern, derentwegen du ja ursprünglich zu uns kommen wolltest, entlang der Schattengalerie durch die Schattenbar bis in die Schattenhölle führen. Danach kennst du dann auch die wirklich dunklen Seiten in unserer Schattenglut.“

„Wie, du gehst nicht mit?“, fragte ich überrascht.

„Nein, Ronja, das Licht passt nicht gut zu meinem Gebrechen. Lass uns lieber über andere Dinge reden und auf deinen Besuch anstoßen. Du bist uns hier jederzeit willkommen.“

Ganz benommen von den vielen neuen Eindrücken, spürte ich, dass Yasu mich ganz vorsichtig an meinem Handgelenk zu einer Stelle über dem großen runden Tisch lenkte, an der unsere drei Gläser kurz darauf im Gleichklang klirrten und wir uns danach zuprosteten.

Alena sprach im weiteren Verlauf unseres Gesprächs davon, dass ihr Name zum gleichen Sprachstamm wie Olena gehörte und sowohl in Russland, als auch in der Ukraine weit verbreitet und beliebt sei. So erfuhr ich auch, dass sie aus der Ukraine stammte, wo sie wegen Putins barbarisch wütender Russen erblindet war.

In unseren Gläsern befand sich übrigens ein ganz erlesener, sehr trockener Sekt, der auf der Halbinsel Krim in der Ukraine in nur ganz geringen Mengen erzeugt wurde.

Während des spontanen Umtrunks erzählte uns Alena Weisheiten und alte Geschichten aus ihrer Heimat. Sie sprach auch über die Bedeutung ihres Namens und erklärte uns, was daran gerade jetzt, während Putins Überfalls auf ihr Land so bedeutsam sei. Dass die Firstlady, also Präsident Selenskyjs Frau, auch Olena heißt, wusste ich schon aus den Nachrichten, aber die Bedeutung dieses Namens kannte ich vor Alenas Erklärungen noch nicht. Beide Namen, so hörte ich interessiert, hätten mit ‚der Strahlenden‘ und ‚der Abwehrenden‘ eine Doppelbedeutung. Während die Strahlende selbsterklärend war, hörte ich, dass die 'Abwehrende´ bedeute, dass alle Olenas als starke Frauen, ihre Ehemänner vor der Aggression feindseliger fremder Männern beschützen könnten.

Alena blieb für mich, weil ich sie mir ja noch immer nicht mit meinen eigenen Händen hatte ansehen dürfen, bis zu unserer Verabschiedung aus den Schattenträumen ein geheimnisvolles Rätsel. Aber das Bild, das ich beim Gehen von ihr in meinem Kopf hatte, wolte ich so wie Alena für mich war, in mein Herz schließen. Für mich war sie wunderschön. Noch als meine Hand schon, bereit zum Verlassen der Schattenträume auf Yasus Schulter lag, stellte ich mir Alena wie eine stolz und gleichzeitig gütig in die Welt blickende Madonna vor …

„Aber warte mal, wollten wir nicht auch noch zur Schattenwiese?“, hörte ich mich Yasu mit meiner, von einem leidenschaftlichen Flackern begleiteten Stimme fragen.

Dabei glitt meine Hand von ihrer Schulter hinunter und an ihrem Schlüsselbein entlang auf die Stelle zu, an der sich ihr Brustansatz befinden müsste – oder hatten Futanaries, gar keine richtig weiblichen Brüste? Meine Fingerkuppen vibrierten noch mehr, als meine Stimme.

Im selben Augenblick schrillte plötzlich eine weiche harmonische Melodie aus meinem Rucksack heraus.

„Ohh je …, sorry, das muss Mara sein!“, schrie ich besorgt auf und riss mir den Rucksack von meiner Schulter.

„Mara?“, fragte Yasu. „Deine Freundin?“

„Ja, meine Freundin …, also nein, eine Freundin, ähm …, doch meine beste Freundin, und doch ja auch meine Freundin!“, stotterte ich herum und nestelte nervös mein Handy hervor um das Gespräch mit zitternden Fingern anzunehmen.

 

„Hallo Mara? Ich hoffe, es ist alles gut bei dir?“

„…“

„Oh, das tut mir leid.“

„…“

„Nein, ich bin ja auch nicht zu Hause?“

„…“

„In der Stadt.“

„…“

„Wie? …dieser Alex fährt dich? … mit diesem Schlitten?“

„…“

„Na dann kommt doch einfach zum Restaurant Marjellchen. Das ist an der Ecke Mommsenstraße mit der Schlüterstraße."

„…“

„Ok, rufe einfach fünf Minuten vorher nochmal an, wir kommen dann raus und holen euch dort vor der Tür ab."

„…“

"Nein, nicht ins Marjellchen, das hier heißt „Schattenglut“

„…“

„Das ist eine lange Geschichte. Es fing, wie bei dir, mit Bildern an. … nur ganz anders.“

„…“

„Wie, wer ‚wir‘ ist?“

„…“

„Yasu“

„…“

„Nein, keine Frau, äh … also schon eine Frau, aber eigentlich eine Futanari“

„…“

„Jetzt frag mir doch am Telefon keine Löcher in den Bauch, komm her und wir erklären dir dann alles.“

„…“

„Na und? Ich durfte ja alles anfassen, was mir hier bisher wichtig war, … bis auf eine Ausnahme. Aber das ist jetzt wirklich kein Thema mehr fürs Telefon.“

„…“

„Ok, cool! So vierzig Minuten also! Bis gleich dann.“

Schattenwiese

„Ich wollte nur nicht aufdringlich erscheinen“, sagte Yasu, während sie schon die Richtung änderte, um mich noch tiefer in die Schattenwelt zu dirigieren. Schnell hörte ich am Echo einer Wand, dass wir uns im hinteren Bereich der Schattenträume, wieder einer Tür näherten. Überrascht nahm ich dann aber auch Alena noch einmal hinter uns wahr. Wie ein lautloser Schatten musste sie uns hinterher gehuscht sein und ich fragte mich kurz, ob das Ganze jetzt doch noch auf Zärtlichkeiten zu dritt hinauslaufen könnte. Aber sie drückte Yasu nur das Tablett, mit der Sektflasche und unseren Gläsern in ihre Hände.

„Wollt ihr das nicht gerne haben?“, hörte ich sie schmunzelnd murmeln. Sekunden später war sie dann endgültig verschwunden.

„Kannst Du mal bitte nehmen?“, fragte mich Yasu und schob mir das Tablett mit der Kante an den Handrücken meiner Hand, die noch locker entspannt auf ihrer Schulter lag. Mein Körper straffte sich blitzschnell und eine Sekunde später hatte ich dann schon mal das Tablett mit der Flasche gut und sicher zwischen meinen Händen in der Horizontalen ausbalanciert. Genauso flott schaffte ich es ohne Stock und sogar ohne Körperkontakt zu anderen Orientierungspunkten aus meiner Umgebung, genug Körperspannung für einen sicheren Stand aufbauen.

Kurz darauf hörte ich eine schwere Tür vor uns aufschwingen, spürte einen warmen Lufthauch und fühlte mich vom Duft von Räucherstäbchen, die nach Rosen, Rosmarin, ätherischen Ölen und einem leichten Hauch Zimt dufteten, eingehüllt. Yasu erlöste mich wieder von dem Tablett und ich folgte ihr in einen warmen Raum, dessen Akustik mir das Vorhandensein von flauschigen Tüchern, kuschelweichen Decken und gemütlichen Liegeflächen vermittelte. Der Fußboden fühlte sich, selbst durch die dicken Sohlen meiner Stiefel, schon nach dem ersten Schritt über die Schwelle schön gemütlich an.

Mein Herz meldete pochend einen neuen gestreckten Jagdgalopp an und meine Nippelchen benahmen sich, als wollten sie vor lauter Ungeduld die dünne Seide meiner Bluse durchbohren. Mir kam es so vor, als würden nur die zwei Ringe, die ich vorne als Piercings an den Knospen meines Busen trug, einen Durchstoß verhindern.

Yasus Atem klang aufgeregt. Sie stand ganz dicht vor mir und wartete auf mehr. Diesmal zögerte ich keine Sekunde, zog sie spontan ganz dicht an mich heran und Yasu erwiderte meine Umarmung mit einer innigen Umklammerung. Die Luft, die sie ausatmete, strich feucht und warm an meinem Kinn vorbei und von dort weiter zu meinen Nasenflügeln, die bebend Yasus heißen Duft schnüffelten. Meine Hände strichen zärtlich über ihren Rücken, während Yasu lustvoll aufstöhnte.

Eigentlich wollte ich noch etwas zu ihr sagen, aber Yasu erstickte meine weiteren Worte einfach mit ihrer Zunge und tastete nach den Knöpfen meiner Bluse. Leidenschaftlich knutschend knöpfte sie mich von oben nach unten, bis auf den letzten Knopf auf, um mit meinen erregten Nippelchen zu spielen. Ihre neugierigen Finger ertasteten meine Piercings, schoben sich von unten federleicht unter meine beiden Ringe und ließen sie danach wieder neckisch auf meine Vorhöfe zurück pendeln. Yasu schien es regelrecht anzutörnen, mir ihre Fingerchen durch meine beiden Schmuckstücke hindurchzustecken und mich auf diese Art anzufixen. Im selben Moment spürte ich, dass sich da etwas sehr süß und klein gegen das aufgeweichte Leder in meinen Schritt drückte.

Sofort erinnerte ich mich daran, dass Futanaries, obwohl sie so weiblich wie ich sind, in entsprechender Stimmung, wie Männer erigierten. Mein Herz raste plötzlich wie das, einer arabischen Vollblutstute, nachdem sie einen Hengst gewittert hatte. Für die Stute, als Instinkt gesteuertes Fluchttier, wäre jetzt Flucht oder Lust, die nächste Frage gewesen. Darüber wollte ich mir, so erregt und so verrückt wie ich nach Yasu war, aber keine langen Gedanken machen.

Mit ungezügeltem Verlangen entschied ich mich für die in mir auflodernde Lust und knutschte mit Yasu wild weiter. Wir küssten und streichelten uns so schön, wie ich das bisher nur unter Frauen kennengelernt hatte. Yasu hatte sich inzwischen auf die Zehenspitzen gestellt und mir ihr Zäpfchen beim Knutschen, jauchzend vor Lust zwischen die Innenseiten meiner Oberschenkel in die aufgeweichte lederne Ritze meiner Jeans geschoben. Ihr kleiner Freund begann mich richtig süß mit sanftem Druck in der Lederfalte meiner hautengen Hose zwischen meinen Beinen zu stimulieren.

Yasu war unter ihrem süßen Kerlchen zwar komplett gestutzt worden, aber obwohl sie da so glatt wie ich, nur ohne Schamlippen und ohne Vagina war, genoss sie unser Liebesspiel nicht weniger als Mara. Mara und ich hatten es heute Morgen, also kurz vor dem für mich so schmerzlichen Abschied auch noch einmal in ähnlicher Weise zusammen unter der Dusche getrieben. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich mir nicht träumen lassen, dass mein Tag sich heute sogar noch besser als der von Mara entwickeln könnte. Yasu hatte sich plötzlich nach hinten auf eine weiche Matratze zwischen Berge aus Kissen und Decken fallen lassen.

Etwas überrumpelt plumpste ich ihr, weil sie mich einfach mit sich mitgerissen hatte, dort unten genau zwischen ihre gespreizten Schenkel. Mein Gesicht befand sich über dem ihren und wir verschmolzen erneut ganz entspannt Mund zu Mund. Unser genussvolles Stöhnen, das vor lauter Freude die Wellen unserer Orgasmen begleitete, wurde gegen Ende etwas lauter. Es waren Wellen, die immer wieder so wie wilde Brandung neu anrollten. Sie fühlten sich wie die Wellen eines Sturms an, die nie müde werdend auf den Strand rollten und ihr Brausen donnerte laut und tief in meinem Bauch. Arm in Arm eingedämmert vergasen wir für einen Moment Zeit und Raum.

Nach dem Erwachen befreite Yasu mich von meinen Stiefeln und vom Rest meiner Kleidung. Das Badezimmer, in das sie mich danach führte, erinnerte mich an jenes einer Suite, die ich vor einigen Wochen zusammen mit Mara ein paar Tage in einem schönen Resort in Mexiko in einem kleinen Bungalow direkt am Strand bewohnt hatte. Yasus Badezimmer war auch schön heiß. Es war von sattem Dampf erfüllt und in der Mitte hörte ich einladend ein Jacuzzi sprudeln, in dem wir uns dann weiter zusammen entspannten. Yasu hüllte mich nach dem Abtrocknen in einen weichen langen Bademantel aus schwerer Seide und schlüpfte danach in ein ähnliches Modell, das sich bis auf die viel kleinere Grüße identisch zu meinem neuen Kleidungsstück anfühlte.

Kurz darauf verließen wir die Schattenwiese und durchschritten wieder Alenas noch immer von dezenten Klängen erfülltes Dunkelrestaurant. Beim Vorbeigehen erkannte ich mit meinem Handrücken an einer rundlichen Kante, über die ein Tischtuch herunterhing, den runden Tisch, an dem Alena den Sekt für uns geöffnet hatte. Dort fand ich dann auch gleich danach meinen kleinen Rucksack, den ich an diesem Ort vorher auf einem Stuhl abgelegt hatte. Kurz darauf ertastete ich den ersten Vorhang der Lichtschleuse und wusste, dass wir die uns vor neugierigen oder gar bösen Blicken schützende Dunkelheit jetzt gleich wieder verlassen würden.

Schattenbilder

 Schon bevor Yasu mich durch den letzten Vorhang der Lichtschleuse hindurch führte, hörte ich wieder das Plätschern des Wassers in der Lobby, tastete nach meinem Rucksack, lies meinen Langstock wieder auf klackern und schob mir erneut die kleine verspiegelte Nickelbrille auf meine Nase. Mir war klar, dass wir mit dem Passieren des letzten Vorhangs die vertraute Dunkelheit der Schattenwelt wieder verlassen würden. Zum Glück hatte ich mittlerweile Yasu als Guide an meiner Seite. Meine neue Freundin, dessen war ich mir mittlerweile sicher, würde mich auch im Licht in keiner noch so blöden Situation dumm da stehen lassen und mein Stock war ja auch noch da.
„Auf dem Weg zur Schattenbar, die sich im oberen Stockwerk befindet, kommen wir auch an einem der bekanntesten Werke von Laurent Benaïm vorbei. Es hängt gleich nach der Treppe links in einer Reihe, in der noch weitere Bilder von ihm ausgestellt sind“, erklärte mir Yasu. „Wir nennen diese Licht überflutete Empore, die Galerie der Schattenbilder. Möchtest du, dass ich dir seine Bilder beschreibe? Du kannst sie, wenn du dich für seine Kunst interessierst, natürlich auch anfassen und zuerst einmal selbst erkunden."
„Wenn ich ehrlich sein soll, hätte ich eigentlich auch gleich Lust auf etwas Fetziges“, beantwortete ich Yasus Frage höflich, aber mit mäßiger Begeisterung und fügte noch etwas hinzu.

„Wenn du mir das eine sehr bekannte Bild kurz beschreiben würdest, bin ich dir dafür natürlich auch dankbar, aber zu viel Kultur auf einmal muss nicht unbedingt sein. Außerdem würde uns nach dem Sekt und dem entspannten Bad auch wieder etwas Bewegung guttun. Wie ist das denn so mit Musik und Tanzen in eurer Schattenbar?“ Während ich zu Yasu sprach, ließ ich meine Hand um ihren Nacken herum gleiten und schob mir meine kleine Freundin zärtlich unter meine Armbeuge. Dann stutzte ich und blieb abrupt stehen. „Du sagtest lichtdurchflutet? … – warum spürte ich denn hier keine Wärme vor der Glasfront …?“

„Ja, tausend Blicke aus allen Ecken, deshalb bin ich auch nicht gerne hier. Warum fragst du?“, antwortete mir Yasu, die sofort wie auf Kommando mit mir stehen geblieben war.

„Weil ich die Sonne nicht spüre. … Nordseite, oder?“ sagte ich, klappte dabei kurz entschlossen wieder meinen weißen Verräter zusammen und verstaute ihn erneut in dem kleinen Rucksack, der jetzt sicher alles andere als perfekt zu meinem neuen seidenen Outfit passte. Danach stopfte ich noch die schwarze Nickelbrille dem Stock hinterher dazu und verschloss den praktischen Handtaschenersatz. Rucksäcke hatten eben den Vorteil, dass ich immer zwei Hände freihatte, ohne dass ungewollt ein Träger von meiner Schulter rutschen konnte. Im Nu hatte ich alles, was mich für Sehende gleich als Blinde hätte, erkennbar machen können, gut verstaut und warf mir den Rucksack schräg grinsend erneut auf meinem Rücken.

Dann blinzelte ich Yasu, mit den feurigen arabischen Blicken, meiner zwei farbigen Kontaktlinsen, die ich mir extra für diesen Zweck besorgt hatte, so gut ich das damit noch konnte, verführerisch zu.
„Wow, Ronja! Du hast atemberaubend schöne Augen, so pechschwarz wie dein Haar“, schmeichelte mir Yasu, schlüpfte wieder unter meine Schulter und schmiegte sich mit ihrem süßen Körper eng an mich.

„Darf ich raten, was ich glaube, woran du gerade denkst?“, fragte mich Yasu leise und streichelte mich dabei zärtlich über ein Ohr.

„Willst du in meinen Gedanken oder in meinem Herzen lesen?“, antwortete ich ihr mit einer kessen Gegenfrage und küsste sie dabei zärtlich durch ihre atemberaubend gut duftenden Haare auf ihren Hinterkopf.

„In deinen Gedanken lese ich, dass du heute nicht als eine Blinde erkannt werden willst und in deinem Herzen lese ich, dass ich dich nach dem Tanzen wieder zurück zur Schattenwiese führen soll.“

„Komm her Süße …“, Yasus Zunge lag warm, weich und friedlich entspannt in ihrem zarten Mund, bis meine sie dort fand, … beim Luft schnappen flüsterte ich Yasu verträumt in ihr Ohr. „Hellsehen kannst du, wie es scheint, genauso gut wie den Menschen in ihre Herzen sehen.“ Nach einem weiteren, eher längeren Augenblick, lösten wir uns und gingen Arm in Arm zusammen los.

„Treppe!“, flüsterte Yasu nahezu unhörbar und kniff mich einen Sekundenbruchteil später zusätzlich mit Daumen und Zeigefinger leicht in meine linke Schulter. So erklommen wir, ohne anzuhalten und ohne zu zögern, nebeneinander die Treppe nach oben bis zur Schattengalerie. Den Boden der Galerie erkannte ich nach der letzten Stufe sofort an dem anderen Belag, aber auch am veränderten Klang unserer Schritte und schwenkte, schon bevor Yasu mir die Richtungsänderung andeuten musste, aus unserer Bewegung heraus, schwungvoll nach links.

„Die Wand ist rechts von dir“, hauchte Yasu mir ins Ohr.

„Wo sonst? Ich weiß doch, wo die Lobby ist.“ Flüsterte ich schnippisch grinsend zurück und knuffte meine neue Freundin, die sich ohne weitere Worte auf mein kleines Versteckspielen eingelassen hatte. Es fühlte sich einfach total genial an, wie diskret sie mich ohne sich unnötig einzumischen unterstützte. Wir schlenderten schmusend als liebendes Paar nahe an der Wand entlang, an der meine rechte Hand mit dem Handrücken zu einer Raufasertapete auf den Kanten meiner Fingernägel entlang glitt, bis ich das erste Bild sicher gefunden hatte.

„Jetzt bist du wieder dran“, sagte ich in normaler Lautstärke zu Yasu, die sich zärtlich von oben die drei längsten Finger meiner rechten Hand griff und meine Linke an die untere linke Ecke des Bildes legte, das vor uns an der Wand hing. Dann führte sie die drei Finger meiner rechten Hand von der rechten unteren Ecke mit den Fingerkuppen über die Oberfläche des Bildes zu einem bestimmten Punkt. Was da vor uns hing, konnte kein großes Foto sein, dafür war es zu groß.

„Ein gerahmter Plakatdruck?", fragte ich.

„Eine Schwarz/Weiß-Aufnahme, aber bräunlich. Hier befindet sich der Scheitel, einer etwa dreißigjährigen mittelblonden Frau mit langem welligem Haar. Sie wurde nackt, mit zu uns gerichtetem Gesicht fotografiert. Ihr Gesicht ist hier … Sie schwebt in einer aus geflochtenen Hanfseilen geknüpften Liebesschaukel unter der Decke und …, Ja?", unterbrach Yasu, ihre Erklärungen als sie bemerkte, dass ich plötzlich etwas noch genauer wissen zu wollen schien.

„Eine Liebesschaukel? … Was ist das?“, fragte ich Yasu neugierig.

„Echt jetzt? Nach dem Tanzen führe ich dich in unsere Schattenhölle. Die ist anders als die Schattenwiese. Dort kannst du dir auch live eine Liebesschaukel ansehen und wenn du magst, können wir sie danach auch gleich zusammen ausprobieren.“

„Nicht wieder zurück in die Schattenwelt zu Alena?“, fragte ich etwas irritiert.

„Aber nein, das ist nicht Alenas Niveau. Die Schattenhölle befindet sich gleich hinter der Schattenbar. Dort ist es zwar nicht hell, aber auch nicht dunkel. Die Schattenhölle ist auch mehr ein Fegefeuer, als die pure Hölle.“

„Dann sollten wir uns hier aber nicht mehr zu lange mit dem kulturellen Teil aufhalten.“ Während ich das sagte, knuffte ich Yasu, schlang meine Arme um ihren kleinen mollig weichen, aber dennoch zierlichen Körper, drückte sie und musste sie einfach zwischendurch mal wieder schön lang knutschen.

„Hast du schon genug von dem Bild gesehen?“

„Nein, nicht ganz. Aber die unwesentlichen Details darfst, du auch gerne erstmal weglassen. Wir können es uns ja auch später irgendwann mal noch genauer ansehen.“

„Also gut. Sie ist eine Amputierte und hängt nackt in den Seilen. Noch mehr … ?“, hörte ich Yasu, schnippisch grinsend sagen.

„Eine nackte Amputierte, hier an der Wand? Igitt, wie scheußlich! Das ist doch taktlos und abstoßend. Bloß gestellt und vorgeführt, das ist ja furchtbar. Also doch ein übler Schuppen. Das hat auch nichts mehr mit Kunst zu tun. Ich bin wirklich oft scheiß sauer darüber, dass ich schon als ich erst mal gerade zehn Jahre alt war, stockblind geworden bin. Aber in diesem Fall bin ich ja fast froh darüber, dass ich mir das Übel hier nicht mit meinen eigenen Augen ansehen muss.“

„Komm mal her, Ronja, wäre wegschauen denn wirklich besser?“, sagte Yasu, schlang mir ihre Arme um meine Hüfte, legte ihren Kopf zwischen meine Brüste und streichelte mir beruhigend und tröstend meinen Rücken.

„Die Frau auf dem Foto sieht sehr authentisch und auch nicht unglücklich aus, das darfst du mir wirklich glauben. Sie wirkt eher ernst und stolz und als traurig. Das sieht alles sehr ästhetisch und überhaupt nicht gezwungen aus. Man sieht ihr deutlich an, dass sie sich gerne so zeigt. Für mich ist das voll in Ordnung, schließlich ist sie ja das Modell und Benaïm ist kein billiger schmieriger Typ, sondern ein Künstler, den man weltweit schätzt.“

„Würdest du dich hier denn gerne, nackt an Seilen baumelnd fotografiert, im Rampenlicht aufhängen lassen?“ blaffte ich Yasu, obwohl sie mich noch immer lieb streichelte, schmollend an.

„Aber das ist doch gar nicht der Punkt, um den es geht, Ronja. Die Frau auf dem Bild hat zwar nur noch ihre linke Hand und ihre Beine sind auch beidseitig amputiert, aber ihren rechten Armstummel hat sie sich trotzdem kunstvoll tätowieren lassen. Sie wird ihre eigenen Gründe dafür haben, dass sie Modell sein will. Der Punkt ist doch, dass sie ohne einen wie Benaïm gar kein Modell sein könnte. Nicht jede Frau, die ein Gebrechen hat, muss deshalb Modell werden, aber nur so haben alle gleiche Chancen. Du kennst meine Gründe, warum ich trotz all der schönen Farben und Bilder, die ich bei Licht sehen kann, viel lieber bei Alena in der Schattenwelt, als hier oben bin. Aber dennoch habe ich mächtig Hochachtung vor der mutigen amputierten Frau auf dem Bild vor uns. Ich finde gut, dass es hier hängt. Wenn Benaïms Bilder niemand aufhängen würde, dann würde er es auch sein lassen, sie verkaufen zu wollen. Schließlich müssen Fotografen von dem leben, was sie fotografieren.“

„Deshalb verdienen die Normalen, aber immer noch an unserem Leid“, brummelte ich stur weiter.

„Plapperst du jetzt schon Maikes Sprüche nach?“

„Das war deutlich, aber nicht schlecht“, gab ich mit einem schrägen Lacher von mir, der mir leicht über die Lippen ging, nachdem ich Yasus frechen Unterton gehört hatte und sie mich dazu noch anfing fies zu kitzeln.

„Jetzt hab ich aber die Schnauze echt gestrichen voll von Kunst und Kultur.“

„Komm, wir gehen wir tanzen“, sagte Yasu und schlüpfte wieder so unter meine Schulter, dass nicht gleich auffiel, dass ich geführt werden musste. Wir waren gerade drei Schritte weit gekommen als wieder die “Time to say good bye“ Melodie aus meinem Rucksack heraus schrillte.

„Oh Gott! Mara, ich hatte sie total vergessen. Da muss etwas passiert sein.

„Hallo Mara? …“

„…“

„Oh nein! Wie kommst du denn dazu, dich mit korrupten Russen anzulegen?“

„…“

„Tropical-Island?“, fragte ich Mara. „In Krausnick ...? In diesem Vergnügungspark ...? Dort, wo du mit mir im letzten Monat zum Schnuppertauchen in dem Tropenwald-Resort in der 'Südsee' baden warst?“

„Das kenne ich auch“, rief Yasu dazwischen. „Mit meinem Auto könnten wir in einer Stunde dort sein.“

„Wir können in einer Stunde auch dort sein. Könnt ihr euch wo verstecken?“, schrie ich aufgeregt in mein Handy, während ich hinter Yasu her stolperte, die schon die Treppe mit mir erreicht hatte.

„…“

„Ein Maskenball?

„…“

„Ok, wir kümmern uns drum."

„…“

„Ja, in der Lagune. …, in den unterirdischen Grotten!"

„…“

„Ok! ... 15:00 Uhr! Pass ja gut auf dich auf.“

„…“

„Ciao Mara!“

Schattenbad

„Ja, ein Maskenball, ein Event für Kinder, für kleine Seeräuber und Piraten, eine gute Tarnung“, sagte ich zu Yasu, während wir erneut die Vorhänge zur Schattenwelt passierten und vor dem Restaurant einen Haken nach links schlugen, wo noch ein Tür war.

„Willkommen in meinem eigenen kleinen Reich“, sagte Yasu und zeigte mir, dass dort, wo einen Augenblick später das Mahlwerk einer Espressomaschine aufheulte, auch einige hohe, weich gepolsterte Stühle standen. „Wow, eine Kochinsel“, sagte ich, „echt cool!“, und begann sofort damit Yasus Kaffeeecke genauer zu erforschen, während Yasu in ihr Schlafzimmer verschwand, um uns ein paar passende Badesachen zusammenzusuchen. Auf dem Weg zur Schattenwelt hatte ich Yasu in Stichworten erklärt, dass Mara im Wasser ungewöhnlich mobil ist, weil sie schon als Teen in einem Sportverein verschiedene Kampfsportarten trainierte.

„Für Mara habe ich einen Zentai eingepackt“, sprühte Yasu vor Begeisterung, setzte sich neben mich und ließ unsere Sporttasche auf den Boden plumpsen.

„Hier, Dein Espresso Yasu“, wir dürfen keine Zeit verlieren. „Zucker ist schon drin und dort sind zwei Gläser mit frischem Wasser.“

„Danke, Ronja! Auf dich kann man sich offensichtlich auch verlassen, wenn’s mal brennt“, sagte Yasu und knuffte mich.

„Wieso denn ausgerechnet einen Zentai für Mara? Sie ist viel größer als wir. Du hättest besser noch einen weiteren Bikini für sie eingepackt, als so einen extravaganten Tanzanzug“, sagte ich etwas besorgt, während ich Yasu durch eine Tür ins Freie folgte.

„Keine Angst, Ronja, der ist von Alena. Ich bin mir sicher, dass er passen wird. Lycra ist ja äußerst elastisch und Alena ist auch groß", sagte Yasu und ergänzte, dass der Zentai, für das, was wir vorhatten, die optimale Farbe habe.

„Er ist so wasserblau wie das Wasser in der Lagune und schimmert in der Sonne genauso türkis.“

 

***

 

„Oh, ein Smart“, das hätte ich mir denken können, dass du so ein lustiges kleines Auto fährst. Das passt echt zu dir“, sagte ich und ließ mich in den sportlichen Beifahrersitz fallen, in dem ich kaum angekommen war, als meine Tür ins Schloss fiel.

„Wasserblau oder sonnengelb, von mir aus, aber wir fahren ja nicht zur Modenschau“, sagte ich während Yasu schon wie beim Autoscooter in einem Vergnügungspark beschleunigte.

„Nein, keine Modeschau. Der Zentai macht sie aber unsichtbar“, sagte Yasu pfiffig und schlängelte sich weiter geschickt durch den Verkehr.



***

„Einmal ermäßigt mit Begleitperson“, sagte ich an der Kasse und legte fünfzig Euro und meinen grün-orange farbigen Ausweis mit dem „B“, das mich zur Mitnahme einer Begleitperson berechtigt, auf den Tisch.

„Dass es heute etwas wilder zugehen wird und auch ungemütlich werden kann, wissen sie aber schon, wegen der vielen Kinder …?“, hörte ich die Kassiererin in einem Ton sagen, der so klang, als ob wir an diesem Tag im Tropenresort keine besonders willkommenen Gäste seien.

„Ja, das ist schon ok, so alt sind wir ja auch noch nicht“, antwortete ich der Dame kurz angebunden und wartete auf mein Wechselgeld.

„Hier, zwölf-fünfzig zurück. Wir schließen um 23:30 Uhr. Einen angenehmen Aufenthalt für sie.“

„Komm Ronja, dort vorne um die Ecke ist die Umkleide und Schränke für unsere Sachen sind dort auch“, sagte Yasu.



***

„Mara? Bist du das“, rief ich aufgeregt, als Yasu gerade dabei war unseren Spind abzuschließen.

„Ja, Ronja, wir sind hier!“, kam gleich darauf die Antwort aus einer weiter hinten befindlichen Reihe von Umkleidekabinen zurück.

„Cool! Yasu und ich kommen gleich zu euch“, antwortete ich noch aufgeregter und hörte, dass Yasu sich noch den Zentai schnappte, bevor sie zuschloss. Kurz darauf hatten Yasu und ich die drei Kabinen gefunden, in denen sich Susi, Alex und Mara schon fast fertig umgezogen hatten und ich schlüpfte zu Mara, um ihr zu erklären, welche geniale Kostümierung sich Yasu mit dem Zentai für sie ausgedacht hatte.

„Kannst du auch nicht schwimmen?“, fragte Alex verdattert, als er aus seiner Umkleidekabine trat und sah, dass sich Mara einen gepolsterten Gurt, der ihm wie eine Schwimmhilfe vorkam, um ihren nackten Bauch geschnallt hatte.

„Wow, ein NaviGürtel von feelSpace“, pfiff Yasu begeistert durch ihre Zähne. "Gibt's die jetzt auch schon wasserfest?"

"Wieso auch ...", zischte Mara. "Ach so, klar, weil ich ja auch blind bin ...", und Alex lief knallrot an.

„Hallo Alex, so schnell trifft man sich wieder“, grinste Ronja und streckte ihm freundlich ihre Hand entgegen, während sie weitersprach. „Bis zu Maras Anruf dachte ich, dass du der üble Entführer seist, wie dumm von mir. Natürlich kann Mara schwimmen, noch besser als ein Fisch sogar. Wasser ist das Element, in dem man sich am meisten vor ihr in Acht nehmen sollte, wenn man sie zur Gegnerin hat."

„Ich bin Susi und kann euch gar nicht sagen, wie froh ich darüber bin, dass Mara uns mit eurer Unterstützung hilft, aus dem Schlamassel heraus zu kommen, in das wir mit diesen skrupellosen Russen hineingeraten sind“, sagte die Dritte im Bunde der drei Leute, die mit Mara im Tropical-Island angekommen waren.



***

Um uns herum gluckste es dumpf vom leichten Wellenschlag und die schweren Wassertropfen, die von der Decke der Grotte in unregelmäßigen Abständen auf die Wasseroberfläche trommelten, hallten gespenstig durch die feuchtwarme Luft.

„Das mit dem Zentai war eine wirklich clevere Idee von dir Yasu“, sagte Mara, „damit hatte ich gar nicht gerechnet“, und streifte sich die hellblaue Tarnhaut im Schutz der düsteren Grotte über ihren bunten Bikini. Yasu hatte mir vorher erklärt, dass sowohl ihr roter Badeanzug als auch mein orangerot leuchtender Bikini inmitten der vielen Piratenkostüme genauso unauffällig wie die sportliche schwarze Badehose, die Alex trug, wirkten und nur Susi die Einzige von uns war, die alle Blicke auf sich zog.

„Susi und Alex machen die Lockvögel. Yasu und Ronja sorgen, nachdem ich mit Pawel fertig bin, für die nötige Ablenkung und ein bisschen Tumult. Da Pawel sie nicht kennt, dürfte er auch keinen Verdacht schöpfen, wenn sie sich vor meinem Zugriff in seiner Nähe aufhalten, aber es kann trotzdem gefährlich werden. Seid ihr euch auch ganz sicher, dass ihr dabei sein und das Ganze auch nervlich durchhalten wollt?", fragte Mara in unsere Runde und wartete geduldig ab. So kannte selbst ich meine Freundin noch nicht, sie war jetzt ganz offensichtlich im Kampfmodus.

„Ok, toi, toi toi“, sagte Mara konzentriert.

„Dann schwimmen wir jetzt raus in die Lagune und üben noch ein bisschen auf den Rutschen und vor allem im Wasser davor. Von Susi, Alex und Yasu würde ich, bevor es losgeht, gerne noch etwas über die Wirksamkeit meiner Tarnung hören. Danach ist der Ball bei Alex und Susi, die uns über das Kennwort dann sofort den Startschuss geben, wenn sie Pawel gesichtet haben und Susi ihn an der Angel hat.", sagte Mara.

„Ahoi Miss Sparrow!“, rief Susi wie aus der Pistole geschossen und alle fünf tauchten auf ihr Kommando in Sekundenschnelle ab. Wie ein Rudel bunter Delfine schossen sie unter Wasser pfeilschnell davon. Ronja und Yasu schwammen, bis sie am Fuß der großen Rutschen angekommen waren, links und rechts von Mara, die das Trio anführte.

Schattentribunal

Das Kreischen und Jauchzen auf dem Rutschenturm, der sich in dem riesigen Dom, fast so hoch wie das Brandenburger Tor über Berlin erhob, ließ Mara und mich das bunte Treiben um uns herum förmlich hören.

„Bist du dir wirklich sicher, dass das richtig ist, was wir hier tun, Mara?“, fragte ich meine Freundin. Mara und ich klebten seitlich von den Rutschen zu zweit in einer Nische am Beckenrand und pumpten während einer kleinen Verschnaufpause neue Luft in unsere Lungen.

„Absolut, Ronja. Als wir meine Badesachen und den NaviGürtel in unserer Wohnung holten, haben wir den skrupellosen Stümper sogar, noch auf frischer Tat bei einem Einbruch bei uns Zuhause ertappt. Er hatte sogar unseren PC mit einem Trojaner verwanzt und uns fies ausgespäht, muss ich noch mehr dazu sagen?“ zischte Mara entschlossen.

„Schon das wäre genug, aber das ist noch lange nicht alles, was der auf dem Kerbholz hat“, fuhr sie zähneknirschend fort.

„Auch nur für das, was er Susi alles angetan hat, hätte er schon tausend Mal den Tod verdient. Die Arme hat seinetwegen einen Arm und ein Auge verloren, weil er sie ohne, dass sie das wusste, in jungen Jahren russischen Psychopathen ans Messer geliefert hatte.

„Ahoi Captain Sparrow!“, ertönte in diesem Moment Susis Schrei vom Rutschenturm und Yasu kam Sekunden später wie aus dem Nichts unter Wasser heran geschossen und ergriff Ronjas Hand, die schon nach dem ersten Ton aus dem Becken heraus auf die Platten hinaus gesprungen war.



***

„Da vorne sind sie!“, flüsterte Yasu Ronja zu, während sie die letzten Stufen hinter sich ließen und sich von hinten wie zwei Freundinnen, die zusammen rutschen wollten, an ihr Opfer heranpirschten. Susi schwenkte theatralisch den Seeräuber-Haken, den sie sich an ihren Armstumpf geschnallt hatte und ließ sich mit ihrer gruseligen Augenklappe mit einem lauten Schrei in die Tiefe fallen. Kinder und Mütter kreischten vor Schreck auf und verfolgten den gewagten Sprung, der Seeräuberbraut, die gelenkig in die Röhre der Rutsche gesprungen war.

Die Ampel sprang sofort auf Rot und dazu schrillte kurz darauf noch eine Sirene. Dass zeitgleich zwei weitere Frauen, die einen Mann vor sich herschoben, in eine andere, auch aus Sicherheitsgründen automatisch mit gesperrte Röhre gehechtet und ebenfalls in der Tiefe verschwunden waren, hatte in dem Tumult niemand von den anderen Badegästen mitbekommen.

„Knack … ! Eigentlich ein hässliches Geräusch, wenn unter Wasser in der Nähe sensibler Ohren ein Genick bricht“, dachte Mara und entfernte sich als unsichtbarer blauer Schatten mit vorsichtigen Schwimmbewegungen vom Ort des Geschehens.

Im Schutz des über ihr brodelnden Wassers, das unter den Rutschen vom Plantschen der aufgebrachten Menge schäumte, gelang es ihr wie geplant so ungesehen wieder zu verschwinden, wie sie gekommen war.

Schattenplausch

„Fünf Prosecco bitte und …“, sagte Alex und deutete auf den Tisch, an dem der Rest seiner Clique saß.

„Wäre es vielleicht möglich, dass sie uns die leckeren Brötchenhälften mit dem Eiersalat auf dem Lachs und die Käse-, Salami-, und Schinkenschnittchen als Fingerfood servieren? Ein scharfes Messer täte es natürlich auch.

„Aber ja, das ist gar kein Problem“, sagte die Frau an der Kasse, die sofort sah, dass Susi nur noch einen Arm hatte. Aber sie nehmen besser eine ganze Flasche, das ist billiger als fünf einzelne Gläser und den Rest bekommen sie dann zum Nachschenken gratis dazu.



***

„Entschuldigen sie die Störung, mein Name ist Heinberg, Kommissar Heinberg“, hörte ich eine Stimme, die zu einem schwer atmenden Mann gehörte, den ich mir übergewichtig und mit dünnen Haaren vorstellte, die an einer fettig glänzenden Kopfhaut klebten.

„Guten Tag, Herr Heinberg“, sagte Mara. „Möchten sie sich nicht setzen?“, während sie näher an mich heranrückte, hinter uns nach der Lehne eines Stuhls am leeren Nachbartisch tastete und diesen mit einer einladenden Geste etwas drehte.

„Nun ja. … gerne, aber ich werde sie nicht lange aufhalten müssen, sie sind ja …“, sagte er verstört und quetschte sich zwischen Mara und Susi auf den Stuhl, den Mara für den Kommissar mittlerweile bereits fast ganz in die Lücke jongliert hatte.

„Ich glaube zwar auch, dass wir ihnen, obwohl wir hier die ganze Zeit zusammen im Bad waren wenig weiterhelfen können, aber wenn sie Fragen haben, stehen wir der Polizei natürlich gerne zur Verfügung. Als hier plötzlich überall die Panik ausbrach", sagte Mara und sah den Kommissar freundlich, mit leerem Blick so an, wie sie wusste, dass Sehende das immer fürchterlich irritierte, „ … hatten wir natürlich im ersten Moment alle Hände mit uns selbst zu tun."

Mara hatte mir zwar schon vorher einmal von dieser Taktik, mit der sie es trickreich verstand, von sich abzulenken, erzählt. Aber ich bekam trotzdem Gänsehaut, als ich zum ersten Mal miterlebte, mit welcher Unverfrorenheit meine Freundin ihre Blindheit eiskalt dazu einsetzte, die Oberhand über das Geschehen zu behalten.

„Was ist denn überhaupt genau passiert, Herr Kommissar?“, fragte Alex und sagte, dass bisher nur andeutungsweise das Gerücht von einem Sportunfall durchgesickert sei und er sich frage, warum sich die Polizei dafür interessiere.

„Ja, das zeichnet sich im Moment so ab. Das Opfer scheint zwar zwielichtige Kontakte, über die ich nicht reden darf, gepflegt zu haben, aber die derzeitige Beweislage deutet im Moment in der Tat darauf hin, dass er heute rein privat das Resort hier besuchte. Ihre Personalien muss ich aber trotzdem aufnehmen. Das werden sie sicher verstehen, oder?“

„Aber natürlich, Herr Kommissar, sagte Yasu und schob dem Beamten ihren Personalausweis über den Tisch, den sie schon während des Zuhörens aus ihrer Sporttasche heraus gefummelt hatte. „Ich bin als Begleitperson von ihr dabei“, fügte sie noch hinzu und deutete auf Ronja.

Ronja hob ihren Schwerbehindertenausweis, den Yasu ihr so betont fürsorglich in die Hand geschoben hatte, dass der Kommissar es mitbekommen haben musste, fragend an. „Den brauchen sie bestimmt auch, oder?“

„Ich bin auch als Begleitperson dabei“, sagte Alex unaufgefordert und deutete auf Mara, die sich eine Haarsträhne aus der Stirn wischte und sich schwungvoll mit einer Kopfbewegung ihre blonden Haare in den Nacken beförderte.

„Hier ist mein Perso“, sagte Susi, ich bin mit Mara und Alex befreundet.

"Sagt ihnen der Name Orlejev etwas? Oberst Orlejev ...?", fragte der Kommissar und starrte dabei gedankenverloren auf Susis Armstumpf.

"Nein nie gehört. Warum fragen sie mich das?, fragte Susi scheinbar lässig zurück.

"Es war nur ein spontaner Gedanke. Lassen wir es besser gut sein", sagte Heinberg mit gerunzelter Stirn.

"Wenn wir ihnen sonst wie noch helfen können ... ?" fügte Mara mit einem bedauernden Schulterzucken hinzu.

„Danke, danke, das genügt fürs Erste allemal. Wir wissen ja, wo wir sie finden können. Ich wünsche noch einen schönen Abend", sagte der Kommissar, tippte sich grüßend an die Stirn und ging einige Tische weiter.

Schattenfeuer

"Woher kennst du Orlejev?", zischte Yasu und sah Susi dabei feindselig an.

"Ich kenne ihn nicht", sagte Susi mit dünner Stimme. Ich weiß aber, dass seine Leute Pawel in der Hand hatten. Aber den können wir jetzt nicht mehr nach seinen Hintermännern fragen.

"Also doch kein Einzeltäter", sagte Mara.

"Aber Alena, können wir noch fragen", sagte Yasu grimmig.

"Alena kennt Orlejev?", schrie Susi völlig entsetzt auf.

"Nein, aber seine Terroristen haben sie als wehrlose Verletzte wie ein Stück Holz verbrannt." sagte Yasu mit erstickter Stimme.

"Wir müssen sofort mit ihr reden", sagte Mara und stand entschlossen auf. "Alex, du fährst uns jetzt bitte auf der Stelle alle zusammen in das Schattenglut."

Fortsetzung

"Himmelfahrt - Das Buch"

Impressum

Texte: © Lisa Mondschein
Bildmaterialien: © Ali Saadat / unsplash.com
Cover: © Fizzy Lemon
Tag der Veröffentlichung: 14.12.2022

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gegen russischen Terror in der Ukraine! Mit Sympathie und Unterstützung für alle Menschen, die sich ihrer Haut wehren müssen.

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