DAS THÜRINGER DEKAMERON
Richard Hebstreit
- Erzählungen -
Der Schliemer
Werners Braut
Loberstedts Frauen
Tröpfchen
Männertag Männertag
Alfi
Zum Fick auf die Zwick
Der Abtaucher
Der Jäger und die tote Frau neben dem Nachttisch
Feuchte Pflaumen und Schnecken
Auf´m Tisch
Der Rammler
Der Schliemer
"Hat deu schon mal von hinge geschliemt?" fragt mich Kurti an meiner Weipert Drehbank in meiner ersten Lehrwoche. "Nee" antworte ich und bekomme rote Ohren. Das ich noch nicht mal von vorne "geschliemt" habe, sage ich Kurti nicht. Gerade vor einem Jahr sah ich das erste mal wie von der Seite "geschliemt" wurde. "Ficken" haben wir damals kaum gesagt. Umgangssprachlich hieß das bei uns fünfzehnjährigen Jungs in Südwestthüringen "Pimpern". Mit dem "schliemen", das konnte ich mir aber gleich denken, was Kurti meinte. Schließlich hat er es dann noch nachdrücklich auf hochdeutsch "pimpern" genannt und teilweise erklärt. Er machte es mit seiner Freundin jeden Tag so gegen Abend, prahlte Kurti - von vorn und von hinten. Nach ein paar Wochen stellte sich heraus, Kurti hatte seine Adelheid entweder von vorn oder von hinten angeschliemt. Kurti wagte es nicht gleich, seiner Familie aufzutischen, dass er Vater wird. Sein Vater würde ihm totschlagen, dachte Kurti. Kurti bemühte sich, alles wieder rückgängig zu machen. Na, eigentlich bemühte sich erst einmal Adelheid alleine. Adelheid kletterte, wenn ihre Eltern nicht zu Hause waren, auf einen Stuhl und dann kletterte Adelheid auf einen Tisch. Dann sprang sie - vom Tisch. Adelheid sprang sehr oft und sehr lange. Es half nichts, all das Gehüpfe. Lediglich im Keller fiel der Lehmputz flatschenweise von der Decke. Auch das viele Heulen nützte nichts. Adelheid bekam zu ihren roten Haaren nun noch rote Augen. Nun versuchte es Kurti mit seiner BK. Die BK war ein schweres Motorrad mit Kardanwelle, weil die DDR wenig Motorradkettenproduktion hatte, mit der er und Adelheid zu einem Bahngleis kurz nach dem Abendzug nach Meiningen fuhr. Dann ging es im zweiten Gang zwischen den Gleisen auf den Schwellen ein paar Kilometer hin und zurück bis die Adelheid nicht mehr sitzen konnte und Bauchschmerzen bekam. Am anderen Tag hatte Adelheid Blutungen und Adelheids Mutter schleppte die Adelheid mit einem feuerroten Hintern und feuerroten Augen zu Doktor Kapeller nach Bad Salzungen. Kapeller meinte, Adelheid ist schon im fünftem Monat und sollte bitte nicht mehr Motorrad fahren. Kurtis Vater schlug Kurti nicht tot, sondern klatschte ihm zwei Ohrfeigen, eine rechts und eine links, so dass Kurti feuerrote Bäckchen bekam und Kurtis Vater brüllte ein wenig hinter geschlossenen Fensterscheiben nutzlos herum. Dann ging Kurtis Vater zu Adelheids Vater und entschuldigte sich für seinen ältesten Sohn. Eine Stunde später wurde der Hochzeitstermin auf Tag und Stunde festgelegt. Tags darauf stand Kurti wieder neben mir neben der Weipert Drehmaschine. "Ich mud frei" sagte Kurti mit roten Ohren. Das heißt auf hochdeutsch "Ich muss heiraten". "Der Polterabend ist in 8 Wochen". Zum Polterabend konnte die Adelheid kaum noch sitzen und war wohl die dickste Braut, die das Dorf je gesehen hatte. Es war ein schönes Bild, wie der dicke Pfarrer und die dicke Adelheid sich gegenüber standen und die Adelheid ohne rote Augen "ja" sagte. Kurti sagte mit roten Ohren auch "ja" und Kurtis Vater knirschte mit den Zähnen, weil ihm noch kurz vor der Trauungszeremonie ein schadenfroher Nachbar die Eisenbahnfuhren seines Sohnes verpetzte.
Inzwischen sind Jahre ins Land gegangen und viel Wasser ist die Werra hinunter geflossen. Neben der Werra verläuft ein ausgeleiertes Bahngleis. Und wie der Zufall so spielt, sitzt in der Diesellock eines der Züge, die noch täglich an der Werra entlang rumpeln, ein Lokomotivführer, dem die böse Strecke nicht viel ausmacht. Der Lokomotivführer heißt auch Kurt, so wie sein Vater.
Werners Braut
Werners Vater Daniel war aus Rumänien. Nähe Hermannstadt. Einmal im Jahr seit Ende der Sechziger fuhr Daniel nach Rumänien. Im Koffer hatte er alles was es um Hermannstadt nicht gab und in einen Koffer passt. Daniel war spezialisiert auf Dinge, welche klein sind, unauffällig sind und im Zuge ihrer Kleinheit und Unauffälligkeit gut geschmuggelt werden konnten. Daniel war Nähnadelspezialist. Im speziellen Maschinennähnadeln. Die packte er in große grüne Nagelschachteln.
Daniel fuhr Montag Früh in Eisenach los unrasiert, in einem alten verschlissenen Zimmermannsanzug, und hatte dazu noch schöne saudreckige Finger ungeputzte Schuhe und stank noch Meter gegen den Wind nach Knoblauch. In Erfurt klapperte er die Haushaltwarengeschäfte ab und kaufte alles, was an Nähmaschinennadeln da war, auf. Gegen Mittag war er fertig und fuhr weiter nach Leipzig. In der Innenstadt drehte Daniel seine Nähnadel-Runden. Gegen fünfzehn Uhr saß er im Zug nach Dresden und hatte dort noch eine knappe Stunde Zeit für seine Nähnadeltour. Dann schlief er in einem Hotel in der Nähe des Bahnhofs und fuhr früh mit dem ersten Zug nach Prag. Nachdem er auch noch die Prager Geschäfte um viele viele Nähmaschinennadeln erleichtert hatte, tourte Daniel nach Bratislava und an einem weiteren Tag nach Budapest. Die ungarischen Nähnadeln wollte er auch haben. Alle Zöllner, die mal seinen Koffer zum Filzen in die Finger bekamen, ließen den Koffer ungefilzt. Der stank erbärmlich nach Speiseresten, Schuhcreme, ranzigem Fett und sonstwas. Die Nagelkartons enthielten rostige Nägel und Nähmaschinennadeln. Das stand auch auf seiner Zollerklärung. "Nägel und Nadeln". Das er damit in drei Ländern in mehreren großen Städten folgedessen Nähnadelmangel verursacht hatte, störte Daniel weniger. Mit seiner Tour war für ein Jahr in halb Rumänien das Nähmaschinennadelproblem gelöst.Nachdem Daniel mit seiner Sendung Nähnadeln in Hermannstadt eintraf, begann er mit dem Eintüten der Nähnadeln. Inzwischen war aus Westdeutschland ein kleines Packet mit zusammengefalteten Singernähmaschinennähnadelschachteln eingetroffen. Die ostdeutschen, tschechischen und ungarischen Nähnadeln wurden nun ohne viel Wundertaten in westdeutsche Nähnadeln verwandelt. So zwei Tage brauchte Daniel zum Verpacken seiner Ware. Nachdem rasierte er sich, zog einen bei der rumänischen Verwandtschaft deponierten schwarzen Anzug mit Weste und feinen Schuhen an und besuchte seine vielzähligen Nähmaschinennadelkunden. So nach einer Woche war Daniel herum in Rumänien. Alle, die wussten und wollten, hatten Nähnadeln und Daniel hatte einen großen Koffer voll rumänisches Geld. Sehr viel rumänisches Geld. Was hat Daniel mit dem ganzen schönen Geld gemacht? Daniel hat es verschenkt. An seine rumänische Verwandtschaft und Bekanntschaften. Scheinweise, Bündelweise. Kartonweise. Daniels Sinnen und Trachten war, als reicher deutscher Verwandter in Rumänien angesehen zu werden. Den Trick mit den Nähnadeln kannte niemand. Die kannten nur den Daniel und seine unerschöpfliche Freigiebigkeit. Wo er nur hinkam, wurden Schweine, Schafe und Rinder geschlachtet, floss Wein und Schnaps auf Festen in Strömen. Ein weiterer Kick war, dass ja Daniel aus Ostdeutschland kam und er einigen westdeutschen Verwandten, die in Rumänien zu Besuch waren, total die Show gestohlen hatte. Freilich brachten auch die Gaben und Geschenke mit. Gegen den Krösus Daniel konnte aber wenige mithalten. Er kaufte den Verwandten Land und Gebäude, soweit es möglich war. Westpackete mit Kaffee und sonstigen Lebensmitteln, von seinen beiden erwachsenen Kindern aus Westdeutschland, die Ende der Fünfziger aus der DDR getürmt waren, leitete er ebenfalls teilweise nach Rumänien um. Irgendwer in seiner zahlreichen rumänischen Verwandtschaft kam dann auf die Idee, seine Tochter nach Deutschland zu verheiraten und da Daniel einen unverheirateten Sohn hatte, lag es nahe, dem Daniel entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Daniel war nicht abgeneigt und so trat er eines Tages den Rückweg nicht nur mit Siebenbürger Schinken und Knackwurst im Gepäck an, sondern auch mit einer jungen Frau mir riesigen Brüsten, die von der Fotografie seines Sohnes Werner sichtlich angetan und zumindestens interessiert war. Der Werner staunte nicht schlecht, als sein Vater ihm die dralle Schönheit aus Rumänien eines Tages unvorbereitet vorstellte. Sie war einen halben Kopf größer als Werner und einen viertel Zentner schwerer. Werner war schwer zuckerkrank und konnte eigentlich mit einer schweren Frau wenig anfangen. Kaffee trinken, Frühstücken und Erzählen, war alles was er ihr bieten konnte. Sie bekam das Null Komma Nichts mit und sah sich sofort nach anderen Bettpartnern um, welche innerhalb kürzester Zeit Schlange standen. Einer der Schlangensteher zerlegte mit seinen heftigen Bewegungen und den Bewegungen dieser Pfundsfrau das Besucherbett und Werner zeigte mir empört das zerstörte Bettgestell. Alle, außer ihm wären schon unter deren stramm sitzendem Rock gewesen und er als Bräutigam als einziger noch nicht. "Meine Braut," als diese hatte er sie quasi akzeptiert "hat das Besucherbett zerrammelt!" beichtete er mir. Er fragte, was er nun tun solle. Ich wusste Rat und Werner beherzigte diesen, er würde dafür sorgen, dass die Rumänin ohne Verlobungsring wieder nach Rumänien zurück fährt. Den Verlobungsring hatte Werner schon am ersten Tag des Zusammentreffens spendiert und ohne viel Federlesens wurde Verlobung gefeiert. "Laß die Finger davon", gab ich dann doch den Rat als Freund. "In der Hochzeitsnacht erwürgt die Dich!" Doch der Hochzeitstermin war schon organisiert und Werner war darauf und dran, sich in´s Unglück zu stürzen. Er saß täglich Abends mit ihr im Arm vor dem Fernseher, kusselte ein bissel herum und spielte schon mal Liebespaar. Aber dann hatte Werner rote Augen und die Augenbrauen juckten ihm wie verrückt. Er ging zum Augenarzt, der ihn sofort zu einem anderen Arzt überwies, weil Werner kleine Tierchen in den Augenbrauen hatte, die dem Augenarzt nicht viel angingen. Filzläuse! Werner spurtete hoch geladen nach Hause und sammelte den Verlobungsring wieder ein. Er packte seiner rumänischen Braut den Koffer und schickte sie mit einem Behandlungswässerchen und Salben gegen die Filzläuse im Gepäck wieder nach Rumänien zurück. "Die Sau die, die Hure!" sagte Werner und erzählte mir mit Tränen in den Augen haarklein sein Drama mit seiner rumänischen Braut. Zustimmend nickte ich mit dem Kopf, lief dann nach Hause und schrieb mir vorsorglich den Namen des Filzlausmedikamentes auf einen Zettel. Man konnte ja nie wissen........!
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Texte: © Copyright by Richard Hebstreit
Foto: © Copyright by Richard Hebstreit
Alle Rechte vorbehalten.
Stand des Manuskrips: 02.03.2011
Texte: © Richard Hebstreit, 2011
Tag der Veröffentlichung: 23.10.2009
Alle Rechte vorbehalten