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Fließendes Wasser und Duschen für fast alle gibt es noch nicht sehr lange. So vor Hundert Jahren ging das erst in Deutschland los. Kurz vor dem ersten Weltkrieg. Vorher hat man sich kaum gewaschen und wenn, dann mit einer Schüssel. Dazu gab es damals noch oft noch einen Waschwasserkrug. Ein Relikt dieser Waschprozeduren waren so genannte Waschhocker in vielen Haushalten.

Ein kleiner Hocker, wo man den Sitz hochklappen konnte und darunter befand sich eine rechteckige Emaillieschüssel und manchmal auch eine Vorrichtung, wo sich die Seife, oft ein Stück Kernseife befand. So ein Ding aus dem Anfang der fünfziger Jahre des vorherigen Jahrhunderts schleppen Klaus und Jana Bölcke aus dem Haushalt einer Oma mit in ihre neue Wohnung in Halle Neustadt kurz vor Weihnachten 1969. Beide haben jung ein Jahr vorher mit 18 geheiratet und von Gänsebraten braten absolut keine Ahnung. Im Kinderzimmer kräht ein 2 Monate alter wohl genährter Säugling von 10 Kilo und in der Küche liegt eine 3 Kilo Mastgans aus Polen.

Aber nun mal noch eine Weile mit dem Waschhocker weiter. Der war nämlich ganz praktisch. Manchmal, wenn ich beiden Bölckes besuchte, saß Rainer vor dem schwarz-weiß Fernseher und badete seine schwarzen Füße. Die Füße waren oft schwarz, weil er als Dreher in Leuna Graugußteile drehte und schwarzer Graphitstaub seine Füße schön gleichmäßig dabei schwärzte. Erst nach einem halbstündigem feierabendlichen Fußbad vor dem Fernseher in der Waschhockerschüssel konnte man das schwarze Zeug mit einer Wurzelbürste ab schrubben.

Das geschah in der rechteckigen Waschschüssel, welche dazu einfach aus dem Hocker entnommen wurde. Und da beide keine Waschmaschine hatten, wurden anschließend die voll gekackten Windeln von ihrem kleinen kiloschweren Scheißer in der Waschschüssel auf dem Gasherd gekocht. Das war praktisch, denn der Hocker stand immer in einer Ecke der kleinen Einbauküche. Eine große Bratschüssel befand sich nicht in ihrem Haushalt und da war beim ersten Gänsebraten im gemeinsamen Haushalt die rechteckige Schüssel eben außerordentlich geeignet.
Die passte auf dem Milimeter genau in den Gasherd.

Wie gesagt, von Gänsebraten braten hatten beide absolut keine Ahnung und ein Kochbuch hatten sie auch nicht. Also wurde mit der Gans auch 3 Würfel MARINA Magarine im Konsum gekauft und die 3 Margarinewürfel landeten mit 2 Äpfeln und 10 Zwiebeln in der Emaillieschüssel. Diese Kalorienbombe schoben sie dann am 25. Dezember fruh um sieben Uhr in die Bratröhre.

Ich war mit meiner Frau von beiden zum Gänsebraten futtern eingeladen. Wir waren gegen 12 Uhr pünktlich da und wickelten einen krachsauren Saale-Unstrut Wein aus dem damaligen komischen blassen DDR-HO-Weihnachtspapier.

In diesem Moment gab es in der Küche eine Explosion und vor uns auf dem Flur lag eine leichenblasse zerfetzte polnische Mastgans und ein schwarzbraunrandige Waschhockerschüssel.

Das Nachfragen brachte die Ursache zu Tage. Klaus hatte irgendwo mal gehört, das Speisen, welche mit Alkohol übergossen wurden, besonders gut schmecken. Also hatte Klaus eine halbe Flasche 60 Prozentigen Deputatschnaps auf die Gans geschüttet. Der Alkohol war irgendwie verdunstet und irgenwann beziehungsweise als wir den Wein auswickelten machte es im Gasherd Bummmmm!

"Die schöne, schöne Margarine" jammerte erschrocken Jana trotzdem noch sehr stolz. "Extra drei Würfel Margarine" hätte sie zum Braten der Gans genommen - damit sie schön zart wird!". Aus dem Wohnzimmer tönte es zart aus dem Radio "Fröhliche Weihnachten überall"!

Inzwischen war auch die Feuerwehr vier Mann stark in voller Montur und mit aufgesetzten Gasmasken eingetroffen, als es im Radio "Oh du fröhliche , oh du selige Weihnachtszeit" vom Dresdner Kreuzchor aus hellen Kinderstimmen tönte. Die Nachbarn hatten Telefon und die Explosion wie ein mittelschweres Erdbeben wahr genommen.

Die Feuerwehrmänner lauschtem beim Abzug des Explosionsqualmes andächtig dem Rezept von Jana. "3 Würfel Margarine, 2 Äpfeln und 10 Zwiebeln und eine halbe Flasche Kumpeltod".

Die Feuerwehrmänner hatten Tränen vor Lachen in den Augen. Inzwischen knallte es nochmals dumpf in der Küche, als Jana den Gasherd als Explosionsübel demonstrieren wollte. Jana ist auf der Gänseschmalz-Margarine Schmiere ausgerutscht und hat sich den linken Arm gebrochen. Den Roten Kreuz Sanitätern, die auch zu viert an rückten wurde dann das Rezept auch noch einmal erzählt. "3 Würfel Margarine, 2 Äpfel und 10 Zwiebeln und eine halbe Flasche Kumpeltod".

Klaus ist mit der lädierten Jana mit dem DRK Auto ins Krankenhaus gefahren und wir haben den sauren Wein und das Baby mit nach Hause genommen und haben uns zwei Eier in die Pfanne gehauen. Ohne Äppel, ohne Zwiebel und ohne Margarine. Als wir die Spiegeleier verputzen, schrie das Baby wie am Spieß. Es war nichts passiert. Die Windeln vom Baby Marina waren voll.

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Salzunger Thüringer Klöße

Zutaten
1,5 Kg große geschälte Kartoffeln, Salz, 0,5 Liter Milch, 120g Semmelwürfel, 50g Butter,
1 Schwefelstange

Was man machen muss, damit die Klöße auch zu Klößen werden:

Die geschälten rohen Kartoffen werden in einem geschlossenen Behältnis eine halbe Stunde geschwefelt (Schwefelstange ca. 4 cm anzünden und mit einem Deckel verschließen)

Das Schwefeln hat die Bewandnis, dass die Kartoffelfasern nicht grau hinterher anlaufen und die Kartoffeln schön weiß werden - die dabei entstehende schweflige Säure gibt den originären pikanten Geschmack..

Zwei Drittel der rohen Kartoffeln werden dann gerieben. Dazu kann man eine moderne Küchenmaschine nehmen oder einfach nur eine olle Kartoffelreibe. Die geriebenen leicht gesalzenen Kartoffeln werden in einem Sack mit der Hand ausgepreßt. (Wir Thüringer haben dazu eine Kartoffelpresse!) Wer nicht soviel Kraft in seinen Fäusten hat, kann auch ein verknotetes Leinentuch oder änhliches nutzen, welches man der Waschmaschine - eingestellt auf den Schleudergang überantwortet. Ein Drittel der Kartoffeln werden in leicht gesalzenem Wasser gekocht und anschließend mit 0,5 Liter Milch zu einem dünnen Kartoffelbrei verrührt. (Früher hat man unentrahmte Milch zur Verfügung gehabt - da brauchte man den Anteil gekochte Kartoffeln nicht) Die knalltrockenen geriebenen Kartoffeln werden in eine große Rührschüssel gegeben und so zerbröselt, daß keine Klumpen mehr zu sehen sind. Anschließend wird der Kartoffelbrei kurz aufgekocht und damit die geriebenen Kartoffeln sehr schnell überbrüht. Die Kloßmasse wird ebenfalls extrem schnell und kräftig verrührt. Anschließend werden die Klöße zwischen zwei nassen Händen geformt und mit zwei bis drei mit Butter gerösteten Semmelwürfeln gefüllt. In leicht siedenden Salzwasser werden die Klöße in einem großen Topf ca. 10 -15 Minuten gegart. Wenn Sie oben schwimmen und einzelne Kartoffelfasern leicht glasig schimmern sind die Klöße gar!

Die Klöße sind gelungen, wenn sie auf den angewärmten Teller gelegt, und mit zwei Gabeln auseinander gerissen, knistern als wenn sie unter Hochspannung stehen. Die Kartoffelfasern müssen leicht glasig schimmern und die Klöße müssen leicht und wattig sein.

Sollten Sie nicht sofort zu diesem Ergebnis gelangt sein, so verzweifeln Sie nicht. Ein wenig Erfahrung und Übung ist schon notwendig, damit es richtig klappt. Es ist viel davon abhängig, was man für Kartoffeln erwischt hat. Manchmal ist zuviel Stärke in den Kartoffeln, dann wird es eine klebrige pampige Masse, manchmal ist zu wenig Stärke vorhanden, dann zerkocht alles zu einen undefinierten Brühe.

Unsere Altforderen haben ca. 250 Jahre für diese Rezeptentwicklung gebraucht. Versuchen Sie es bitte öfter und Sie werden seltener zu Tütenklößen oder in die Tiefkühltruhe greifen, wo es diese Thüringer Klöße nun mal nicht geben kann. Die gibt es aber überall auf der Welt, wo man ein wenig Geduld, Kartoffeln und heißes Wasser hat! In Thüringen werden tausende von Tonnen Kartoffeln extra für diese speziellen kulinarischen regionalen Interessen und Zwecke angebaut.

Guten Appetit!

Seit etwa 250 Jahren gibt es wohl die "Thüringer Klöße"!

In Thüringen werden Kartoffeln eben seit ca. 1717 und im ehemaligen Herzogtum Sachsen-Meiningen erst seit 1730 erwähnt. Im oberen Vogtland, bei den Randsachsen gibt es sie schon seit 1680. Die ersten Kartoffeln sollen aus Holland stammen und dienten hauptsächlich der Erzeugung von Kartoffelmehl, dass zum Strecken und als Ersatz für Roggenmehl diente. Der ausgepresste Rückstand wurde als Viehfutter verwendet.

Die Thüringer haben damals wohl erkannt, dass diese Kartoffelrückstände als Viehfutter eine Verschwendung waren und merkten, dass sich besonders bei Speisen mit Fleisch die Klöße aus Pressrückständen der Kartoffeln sich sehr gut als "Streckmittel" eigneten.

Ein Abfall mutierte sich hier zu einer Delikatesse für arme Leute. Im vor-vorigen Jahrhundert aß man Klöße über die ganze Woche. Im Urzustand oder als "Aufgeschnittene" nochmals in der Pfanne in Butter oder Schweineschmalz gebraten. Auch in alle möglichen Gemüsesuppen wurden kleinere Klößchen als Fleischersatz versenkt.

Dieser Umstand änderte sich, als Kartoffelmehl immer mehr industriell hergestellt wurde und Klöße durch neue Speisen verdrängt wurden.

Der rohe Kloß wurde dann wegen seiner aufwendigen Zubereitungsweise fast zum Luxus und zierte zumeißt nur noch den Sonntags- und Festtagstisch. Wenn sich die Thüringer Männer auch sonst selten in der Küche sehen ließen - so war die Prozedur der Kloßherstellung oft eine Domäne der Männer. Die Reiberei und das Pressen war Muskelarbeit.

Im westthüringer Raum heißen die Klöße "Hütes"oder "Hüts". Eine Sage erzählt, eine gütige Fee hätte einst einer Thüringer Hausfrau das Rezept gegeben und gesagt: "Hüt es!".

Hütes ist aber die Ableitung aus dem alten Wort "Heit", daß dem angelsächsischen Wort "head" (Kopf) entstamt. Mit dem Wegfall des "b" von althochdeutsch "houbit" (Haupt), wurde es ein Mundartwort für "Kopf" schlechthin. Die Klöße wurden also wegen ihrer kopfähnlichen Form so genannt und in einigen Dörfern hießen sie auch "Höbes".

Der Name Kloß bedeutet soviel wie "Klumpen". In der Gegend um Lauscha heißen die Klöße "Knella", welches auf die süddeutsche Bezeichnung "Knödel" zurückgeht. Aber auch klitzekleine Klöße werden als Suppenbeilagen genutzt und die sprichwörtliche "Kloßbrühe", die selten klar sein kann, wurde mit Fleischbrühe zu weiteren Suppen verarbeitet.

Klöße bilden zusammen mit Fleisch ein kulinarisches Schlemmermahl - welches beim Essen immer zu der Entscheidung zwingt - "Was ist nun mein nächster Happen - das Fleisch oder die Klöße". Wenn man das Fleisch gelangweilt auf dem Teller liegen lässt, dann sind die Thüringer Klöße, Salzunger Art gelungen!

Ein erster Weihnachtsfeiertag in einer Thüringer Haftanstalt, an dem die Klöße den Köchen nicht gelangen, war vor einigen Jahren Ursache für eine kleine Gefängnisrevolte.

Trotzdem, in Deutschland sind geriebene Kartoffelgerichte seit 250 Jahren aus allen Gegenden genau so bekannt. In der Literatur weniger. Da haben wohl die Thüringer das Glück öfter in der Geschichte aus allen möglichen und unmöglichen Gründen bedeutend erwähnt zu werden. Meine Mutter stammt aus Ungarn. Als sie nach Deutschland kam und von ihrer deutschen Schwiegermutter in die Geheimnisse der Thüringer Kloßkunst eingeweiht werden sollte, grinste meine Mutter nur locker und zelebrierte ihre Variante, die sie von einer Siebenbürgerin aus Szombathely kannte. Da gab es ein Rezept mit Rahm, also fette Rahmklöße. Später machte sie Klöße mit Selterswasser. Mich grämt heute, das ich es nicht weis, wie sie die Selterswasserklöße machte. Die Dinger waren sowas wie High-Tech. Locker flockig, fast wie Watte. Mama hat das Rezept mit in´s Grab genommen.

Ich hab nie nachgefragt!


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 03.12.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet Ingrid Winkelmann! Einer Kloßpressenbesorgerin

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