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Der erste Fall für das Team:

Antje Hansen

Agrippina-News, beamen war gestern

 

Die vier jungen Redakteure können nicht fassen, was an der Kölner Agrippina-Gesamtschule kurz vor den Sommerferien passiert: Einbruch, Raub und die Sabotage an der ersten Ausgabe ihrer Schülerzeitung.

Schlimm genug, dass Modelmama Heidi Klum in den Artikel über Kölns Stadtgründerin montiert und Schulleiter Kaiser mit Piratenbärtchen und Warze verziert wurden. – Aber wer hat die unbezahlbare antike Agrippina-Büste gegen eine Kopie vertauscht?

Und als unvermutet eine fremde Frau in der Redaktion auftaucht, zweifeln David, Heidi, Marie und Rufus endgültig an ihrem Verstand. Sie ahnen nicht, welch mysteriöse und gefährliche Ereignisse ihnen bevorstehen …

 

© Antje Hansen Psst Hörmal Verlag, Köln

Agrippina-News, beamen war gestern

Taschenbuch ISBN 978-3-00-049239-6

Januar 2018

3. Auflage

überarbeitete Fassung, Erstveröffentlichung August 2015

gedruckt in Deutschland auf Recyclingpapier

Covergestaltung und Illustration: Antje Hansen

Alle Urheberrechte vorbehalten

www.psst-hoermal.de

Vorher

News4U ist die neue Schülerzeitung der Kölner Agrippina-Gesamtschule, die seit heute Morgen im Schulkiosk verkauft wird.

Unser Redaktionsteam besteht aus vier gleichberechtigten Mitgliedern: Rufus, genannt der Rote, der in die 7a geht, Marie und Heidi aus der 7d und mir, David, 7c.

Der Rote ist schwer in Ordnung. Er ist nicht sehr groß, dafür kräftig, und seine grünen Augen blicken meist offen und freundlich. Wenn er nicht gerade explodiert, was häufiger vorkommt. Seinem kupferroten Haar verdankt er den Spitznamen. Er nimmt ihn uns aber nicht übel, weil er weiß, dass er nicht böse gemeint ist.

Die Mädchen sind ganz erträglich. Nein Quatsch, sie sind okay. Heidi ist fast so groß wie ich. Die meisten Jungs in unserer Jahrgangsstufe sind ein bisschen verknallt in sie, weil Heidi mit ihren kurzen hellblonden Haaren und den veilchenblauen Augen erstens ziemlich hübsch und zweitens nicht doof ist und drittens fast immer eine gute Idee auf Lager hat. Marie, die vierte in unserem Team, gewinnt jeder noch so heiklen Situation etwas Positives ab. Sie hat dunkle Locken und lustige braune Augen.

Das News4U-Redaktionsbüro liegt im Keller unter der Schulturnhalle. Den Raum hat Heidi im letzten Winter unserem Hausmeister abgeschwatzt. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden dort kaputte Sportgeräte gelagert. Aber nachdem Hausmeister Wüst ausgemistet und den ganzen Krempel im Internet versteigert hat, durften wir von dem Erlös unser Redaktionsbüro ausstatten. Unverständlicherweise wurde ihm das Zeug innerhalb weniger Tage aus den Händen gerissen.

Das muss mir mal jemand erklären: Warum geben Leute Geld für bröselige Medizinbälle und nach nassem Hund stinkende Turnmatten aus? Egal. Auf jeden Fall sind wir seit April mit allem, was das Herz eines Schulreporters begehrt, ausgestattet. Den Restbetrag haben wir für laufende Ausgaben und Druckkosten auf ein zu diesem Zweck eingerichtetes Konto eingezahlt. Nach Rücksprache mit Herrn Kaiser, unserem Schulleiter, versteht sich, der uns ebenfalls unterstützt. „Euch ist aber bewusst, dass der Name News4U eine Anhäufung von unsäglichen Anglizismen darstellt“, so der kaiserliche O-Ton. Der Kaiser ist fair, aber bei ihm herrscht absolut humorfreie Zone.

So weit, so gut …

I - Die News wird aus dem Verkehr gezogen

Dienstag, 8. Juli

Vormittags in der Schule:

„Ich reiß ihr den Kopf ab!“

Die Redaktionstür steht sperrangelweit offen, und ein Papierflieger saust mir vor die Füße.

„Wem?“, frage ich und betrete noch relativ gut gelaunt das Redaktionsbüro.

„Dämliche Frage! Marie, dieser blöden Schnecke!“ Mit der Faust schlägt der Rote auf ein druckfrisches News4U-Exemplar und faucht: „Wir können den Laden hier zumachen!“

Rufus‘ Pulverkopf ist legendär, deswegen denke ich mir nichts weiter bei seinem Ausbruch und erwidere bloß lapidar: „Komm mal wieder runter.“

Unbeeindruckt hebe ich den Flieger auf, knülle ihn zu einer Kugel und werfe ihn in den hässlichen grünen Glasamphoren-Schirmständer-Mülleimer, der unter dem einzigen Fenster in unserem Kellerbüro steht.

Treffer. Versenkt. Gekonnt ist gekonnt.

„Erzähl! Was ist passiert?“

„Das hier!“ Der Rote schleudert die Zeitung auf den Tisch. „Seite fünf! Maries Bericht und das Interview mit unserem Schulleiter über die Agrippina-Büste, die im Foyer steht.“ Verzweifelt strubbelt er durch seine Haare. „Seit heute im Verkauf am Kiosk.“

„Weiß ich. – Und? Was ist mit dem Kaiser und der ollen Giftmischerin?“

„Und, und …! Hast du schon reingeschaut?“

„Nö. Warum? Ich weiß doch was drinsteht.“

„Ach, ja? Das sollte mich schwer wundern!“ Rufus‘ Augen sprühen wütende Funken, als er die Zeitung aufschlägt und auf das Interview tippt. Er knurrt: „Dann schau mal genau hin! Kannst du dir vorstellen, was passiert, wenn der Kaiser sein Bild – aufgehübscht mit Piratenbärtchen, Augenklappe und Warze – zu Gesicht bekommt? Einen Tag vor der Zeugniskonferenz? Und der Text sieht aus, als wäre er durch die Zensur des Bundes-Nachrichten-Dienstes gegangen. Wenn die Bombe hochgeht, werden wir alle Hände voll zu tun haben, um unsere Hintern aus der Schusslinie zu bringen. Und daneben …“

Ich werfe einen Blick auf das Foto und pruste: „Modelmama Heidi Klum? Sehr kreativ, Rufus. Aber …“

„Du hast es nicht kapiert, David! Das kann bloß einer von Maries dummen Witzen sein und …“ Rufus‘ Wut verebbt abrupt. Stattdessen blinzelt er eine Träne aus dem Augenwinkel. „Die News wird seit heute Morgen so verkauft! Frau Obermaier hat mich vorhin auf der Treppe abgefangen, um mir den Kopf zu waschen.“

„Echt jetzt? Scheiße! Marie tickt doch nicht ganz sauber!“ Mir vergeht das Lachen.

„Du sagst es! Als wir die News gestern Nachmittag in der Druckerei abgeholt haben, hätten wir lieber einen Blick hineinwerfen sollen, statt ins Freibad zu gehen“, stellt der Rote fest.

Ich werde blass um die Nase. „Die Zeitungen aus dem Kiosk, hast du die …?“

„Sofort einkassiert? Na klar! Ich bin doch nicht lebensmüde! Direkt nach dem Anschiss von der Obermaier habe ich sie in meinem Schließfach deponiert. Aber ich habe keine Ahnung, wieviel Exemplare schon im Umlauf sind. Hoffentlich war ich schnell genug.“

Der Schulgong beendet unser unerfreuliches Gespräch. Niedergeschlagen schleichen wir zurück in unsere Klassenräume.  

In den nächsten beiden Schulstunden sitze ich wie auf heißen Kohlen. Wenigstens ist an der Agrippina dienstags um ein Uhr Schulschluss. Als es endlich klingelt, würge ich das Geplauder meiner Tischnachbarin ab, stopfe Federmäppchen und Hefte in den Rucksack und sprinte zu den Fahrradständern. Ich habe nicht die geringste Lust von einem der Lehrer abgefangen und gegebenenfalls zur Rechenschaft gezogen zu werden. Zumindest nicht, bevor die Themen Piratenbärtchen und Modelmama mit Marie geklärt sind.

Ähnliches muss dem Roten durch den Kopf gegangen sein, denn er sitzt bereits auf dem Sattel seines Mountainbikes und will losfahren.

„He, Rufus! Warte!“

Der Rote dreht sich zu mir um, blickt aber an mir vorbei. Seine Gesichtszüge verzerren sich zu einer grimmigen Maske. „Na, die kann was erleben. Aus der mache ich Hackfleisch“, zischt er und lässt sein Rad achtlos zu Boden fallen. Mit einem Satz schnellt er Marie und Heidi entgegen, die, in ein Gespräch vertieft, soeben das Schulgebäude verlassen und auf uns zukommen.

„Hi Rufus und David! Sagt mal, was ist mit der News passiert?“, fragt Heidi, als sie uns bemerkt. „Sollte heute nicht der Verkauf starten?“ Sie stülpt ihren Fahrradhelm über die Haare. Dann hält sie inne und  mustert den Roten, der sich grollend vor den Mädchen aufbaut. „Wie siehst du denn aus?“

„Ist in der Druckerei etwas schiefgegangen?“, erkundigt sich Marie, während sie ihren Fahrradschlüssel aus der Hosentasche fingert.

Hallo? Wie mies ist das denn?

Der Rote mutiert von einer harmlosen Silvesterrakete zur Supernova. Mit krebsrotem Kopf spuckt er den beiden die Worte: „Geht’s noch?“, entgegen. „Schiefgegangen? Wollt ihr uns verarschen?“

Wutentbrannt hält er ihnen das zerknüllte News4U-Exemplar unter die Nase, dabei wechselt seine Gesichtsfarbe in ein ungesund aussehendes grünstichiges Weiß. Mit leiser, vor Wut vibrierender Stimme bringt er die Anschuldigungen gegen Marie vor und zum Ende seiner Attacke schleudert er Heidi entgegen: „Und ich wette, dass du dabei mitgemacht hast!“

Da ich die ganze Zeit unmittelbar hinter Rufus stehe und ihn um einen Kopf überrage, habe ich volle Sicht auf Marie und Heidi und mache mir meine eigenen Gedanken: Irgendetwas stimmt hier nicht. Die Schülerzeitung ist unser gemeinsames Projekt, in das wir ziemlich viel freie Zeit investieren, und die Mädchen sind ebenso leidenschaftliche Reporterinnen wir der Rote und ich. Setzen sie wirklich für einen albernen Scherz das ganze Zeitungsunternehmen aufs Spiel? Außerdem sehen sie nicht schuldbewusst aus; eher überrumpelt und ratlos.

„Warte mal!“, unterbreche ich den Roten und tippe ihm vorsichtig auf die Schulter.

„Was?“, faucht er.

Ich wische mir einige seiner Spucketröpfchen von der Backe und deute kopfschüttelnd auf die Mädchen. „Das siehst du doch: Marie und Heidi wissen von nichts. Sie waren es nicht.“

„Natürlich waren wir das nicht!“, zischt Marie, nun ihrerseits ziemlich sauer.

„Wie kommt ihr überhaupt auf so eine hirnverbrannte Idee?“, fragt Heidi. „Ich fasse es nicht! Wir ruinieren doch nicht die Arbeit von Wochen, nur um uns einen Spaß mit dem Kaiser zu erlauben. Er ist zwar nicht der große Sympathieträger, aber seit er uns mit dem Redaktionsbüro geholfen hat, steht er unter Naturschutz. Außerdem, wenn du weiter so einen Aufstand machst, Rufus, kannst du den Artikel gleich ans schwarze Brett nageln. Halt endlich die Klappe! Du hast schon genug Aufsehen erregt.“

„Okay Leute. Das war’s. So kommen wir nicht weiter. Wir besprechen das später in Ruhe und treffen uns heute Nachmittag bei mir zur Redaktionssitzung. Passt euch vier Uhr?“, frage ich.

Mit den Worten: „Weitergehen Herrschaften, die Vorstellung ist vorbei!“, verscheucht Rufus eine Traube Fünftklässler, die interessiert unserem Streit gelauscht haben und sich die Hälse verrenken, um einen Blick in die Zeitung zu werfen.

Schweigend schwingen wir uns auf die Räder und fahren gemeinsam das Sträßchen hinter der Schule entlang. Mein Schulweg ist der Kürzeste, denn ich wohne in einem Fachwerkhaus am Ende dieses Weges, zwischen einem kleinen Auwäldchen und einer Pferdekoppel. Luftlinie 672 Meter von der Haustür bis ins Klassenzimmer der 7c; habe ich mal in einer Anwandlung von Pingeligkeit ausgemessen. Der Rote, Heidi und Marie haben einen längeren Schulweg. Sie radeln bis zum Bayentalgürtel, wo Rufus in einer eleganten Jugendstil-Villa wohnt. Dort trennen sie sich. Maries Heimweg führt durch den Rheinauhafen in die Südstadt, und Heidi fährt den Gürtel weiter bis zu einer 70er-Jahre Hochhaussiedlung.

II

Mittags bei mir zu Hause:

Ich werfe meinen Rucksack in die Diele und gehe in die Küche, um im Kühlschrank nach etwas Essbarem zu fahnden.

„Was für ein katastrophaler Vormittag!“, grunze ich.

Unter einer Lage Alufolie werde ich fündig: Gemischter Salat, garniert mit einer Sardelle und Thunfisch. Ansonsten herrscht im Kühlschrank gähnende Leere.

„Auch das noch! Kaninchenfutter!“, stöhne ich enttäuscht. „Auf so eine Idee kann auch nur Papa kommen.“

Wenigstens ist noch ein Stückchen Baguette von gestern im Brotkasten. An die Küchentheke gelehnt, stochere ich in meinem trostlosen Mittagessen herum und lese dabei die Nachricht, die mein Vater auf der Alufolie hinterlassen hat: Hallo mein Großer, bin bei einem Meeting im Museum und gegen sechs zurück, guten Appetit, Kuss, Papa.

„Guter Appetit? Das soll wohl ein Witz sein“, murmele ich.

Papas Kochkünste sind nicht der Rede wert, und seit Mama vor einem Monat eine Professur für europäisches Recht an der Princeton University in den USA angenommen hat, sieht es auf unserem Speiseplan ziemlich düster aus; Salat und Spaghetti oder Spaghetti und Salat.

Mein Vater ist Historiker und arbeitet als freier Berater für verschiedene Museen. Er hat sich vor zwei Jahren dafür eingesetzt, dass die Agrippina-Büste ihr tristes Dasein im Archiv des Römisch-Germanischen Museums gegen den sonnigen Standort im Foyer unserer Schule eintauschen durfte.

Eine Schönheit ist die Namensgeberin unserer Schule und gleichsam Kölns Stadtpatronin allerdings nicht. Die Hälfte ihrer antiken Nase ist futsch. Ganz zu schweigen von ihrem abgrundtief schlechten Charakter, von dem übrigens Maries Reportage handelt, die so fies sabotiert wurde.

Während ich lustlos Thunfisch und Sardelle an den Tellerrand schubse und eine Tomatenscheibe in den Mund stecke, lasse ich mir die Geschehnisse des Vormittages durch den Kopf gehen und komme zu dem Ergebnis, dass ich keine Ahnung habe, wie, warum und von wem die News manipuliert worden sein könnte. Ich weiß nur eins: Sowohl der Text als auch das Foto waren in Ordnung, als der Rote und ich die pdf-Datei der News4U letzte Woche in die Druckerei gemailt haben.

Mein Vater hatte das Interview sowie alle Artikel und Reportagen am Abend vorher korrekturgelesen. Und der hätte uns was gehustet, wenn ihm, statt seiner hochverehrten Agrippina, Modelmama Heidi Klum oder der verunstaltete Kaiser entgegengegrinst hätten.

Mit einem für seine Körperfülle überraschend eleganten Satz, springt mein graugetigerter Kater auf die Küchentheke. Er reibt seinen Kopf an meiner Schulter.

„Na Dicker, ich habe mich schon gewundert, wo du bleibst. Lass es dir schmecken!“, sage ich und halte ihm etwas Thunfisch vor die Nase. „Schling nicht so! Ich esse dir das bestimmt nicht weg.“

Kater Carlo ortet Thunfisch normalerweise aus hundert Metern Entfernung. Dafür unterbricht der ältere Herr sogar sein geheiligtes Mittagsschläfchen.

Er versetzt mir einen freundschaftlichen Hieb mit der Pfote.

„Vergiss es.“ Ich schüttele den Kopf. „Die Sardelle ist tabu. Viel zu salzig“, kläre ich ihn auf.

Beleidigt tritt er den Rückzug an, stolziert zur Treppe, dreht sich zu mir um und gähnt ausgiebig. Den Rucksack geschultert, folge ich ihm in mein Zimmer, um vor der Redaktionssitzung die Hausaufgaben zu erledigen.

Kaum habe ich mein Englischbuch ausgepackt, sind vom Bett bereits leise Schnarchgeräusche zu vernehmen. Lächelnd vertiefe ich mich in die Vokabeln, doch nach wenigen Minuten klappe ich das Buch wieder zu. Sinnlos. Erstens lohnt es sich nicht, weil in zwei Wochen die Sommerferien anfangen, zweitens kreisen meine Gedanken die ganze Zeit um die News und drittens ist es gnadenlos heiß und stickig. Heute früh wurde im Radio ein Gewitter angekündigt, das im Laufe des Tages über der Stadt heruntergehen soll. Bin gespannt, ob es an Köln vorbeizieht, wie bereits häufiger in diesem Sommer oder endlich die ersehnte Abkühlung bringt.

Ich strecke mich neben Kater Carlo auf dem Bett aus und denke nach.

Als es zwei Stunden später an unserer Haustür läutet, feiere ich gerade den letzten Sieg der Saison unserer Volleyball-Mannschaft: 25:13, 25:15 und 25:7! Leider nur ein schöner Traum.

 

Nachmittags bei mir zu Hause:

Verschlafen strubbele ich durch meine blonden Haare, schlurfe zur Tür, öffne und reibe mir beim Anblick eines wahrgewordenen Alptraums die Augen.

„Endlich hat das Grauen einen Namen! Gelb!“

„Wie recht du hast!“ Rufus grinst hämisch, während er mir anerkennend auf die Schulter klopft. „Sie hängt die Schule an den Nagel und wird …“

„Banane?“, fällt ihm Marie glucksend ins Wort.

Die Verursacherin unseres albernen Heiterkeitsausbruchs zeigt sich unbeeindruckt. Ungerührt dreht Heidi eine Pirouette im Vorgarten. Wassertröpfchen spritzen rotierend nach allen Seiten und verpassen mir dabei eine erfrischende Dusche.

„Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber in Sachen Mode seid ihr drei komplette Analphabeten.“ Heidi stellt sich in Positur, breitet die langen Arme aus, um uns ihre neuste Kreation in voller Pracht vorzuführen.

Passend zu dem Gewitterregen, durch den meine Freunde soeben geradelt sind und den ich verschlafen habe, ist der quietschgelbe Ostfriesennerz von Heidis Mutter der Schere zum Opfer gefallen. Die Ärmel wurden in Schulterhöhe abgeschnitten und die Taille mit einem breiten, pinkfarbenen Stretchgürtel gerafft. Dazu trägt die Designerin gestreifte Flip-Flops mit albernen Bommeln aus Frischhaltefolie. Ihre Zehennägel leuchten in dekorativem Krokodilgrün.

Schräge Aufmachung.

„Dies“, informiert uns Heidi, „ist ein Mantelkleid!“ Sie kickt die triefenden Flip-Flops von den Füßen. „Etwas Ähnliches habe ich in den Osterferien in Hamburg gesehen; im Schaufenster von Issey Miyake. Das Teil war der Oberhammer!“

„Und du hast einen Oberknall. Ärmelloser Regenmantel! Ich hab schon besser gelacht“, konstatiert Rufus. „Gestern Abend zuviel Germanys next Doofmodel geguckt, was?“

„Womit wir direkt beim Thema sind“, stellt Marie treffend fest. Sie fasst ihre langen Locken im Nacken zusammen und wringt sie aus.

„Stimmt!“, sage ich und erteile den dreien die Anweisung sich in ihrem klatschnassen Zustand dem Innern des Hauses fernzuhalten. „Geht durch die Waschküche. Ich komme gleich.“

Den trostlosen Kühlschrankinhalt erleichtere ich um Eiswürfel und die letzte Flasche Limonade, angele aus dem Bad Handtücher sowie die zerfledderte News4U, hole Laptop und USB-Stick aus meinem Zimmer und trage alles in den Garten.

Wir machen es uns mit eisgekühlten Getränken an dem Holztisch unter dem Blätterdach einer alten Linde gemütlich. Ich klappe den Rechner auf, drücke den Startknopf und schiebe den Stick in die Buchse.

Das Gewitter hat sich in Richtung Bergisches Land verzogen. Von einem milchig blauen Himmel brennt die Sonne gnadenlos auf Pfützen, aus denen Dampfwölkchen aufsteigen. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei gefühlten 90 Prozent. Schweißtreibend.

Rufus nimmt die News zur Hand und schlägt Seite fünf auf. Piratenbärtchen und Warze grinsen uns höhnisch entgegen.

Der Rechner ist längst hochgefahren, dennoch starren wir reglos auf den Bildschirm.

„Mach endlich die Datei auf, David!“ Marie nimmt einen Schluck Limonade.

Doppelklick News4U-Juli-Ausgabe.pdf.

Bis ich zu Maries Reportage scrolle, halten wir den Atem an, der allerdings angesichts eines ordentlichen Interviews und eines erstklassigen Fotos vom Kaiser (gänzlich ohne dekorativem Zubehör) und der Agrippina-Büste (keine Modelmama, dafür mit kaputter Nase) erleichtert entweicht.

„Das ist die Datei, die David und ich in die Druckerei gemailt haben.“ Der Rote nickt zufrieden. „Damit ist die Sache ja wohl klar: Einer der Mitarbeiter dort muss seine Finger im Spiel haben. Niemand anderes hatte eine Gelegenheit!“

Mir fällt ein, dass der Kaiser, vor seiner Beförderung zum Schulleiter, Latein und Mathe unterrichtet hat. Beides Fächer, mit denen man sich bei Schülern ziemlich unbeliebt machen kann. Und zufällig weiß ich von meinem Vater, dass seine damalige Mitschülerin Sabine Sieb, die Druckereibesitzerin, seinerzeit in der mündlichen Abiprüfung beim Kaiser durchgefallen ist.

„Vielleicht ist sie immer noch sauer auf ihn und will ihm eins auswischen“, kombiniere ich.

„Jahrhunderte später? Mit einer Warze in einer unbekannten Schülerzeitung, die eine Auflage von 200 Stück hat? Blödsinn!“ Heidi trommelt gegen ihr leeres Limonadenglas.

Ich zucke mit den Schultern und gebe zu, dass es zwar ziemlich unwahrscheinlich, aber theoretisch möglich ist.

„Wie ist die Sache mit der Mail eigentlich genau abgelaufen? Wann habt ihr die Druckvorlage versendet?“

„Nachdem mein Vater die News korrekturgelesen hat, habe ich die Datei auf einem USB-Stick gespeichert und ihn am nächsten Morgen mit in die Schule genommen. Und bevor ihr fragt, nein, ich war nicht so dämlich ihn irgendwo liegenzulassen oder so. Er steckte die ganze Zeit über in meiner Hosentasche. Nach dem Unterricht haben Rufus und ich uns dann in der Redaktion getroffen, um den Druckauftrag zu schreiben. Wir haben die Datei vom Stick angehängt und abge...“

„Stopp! Warte mal, David. Das ist nicht ganz korrekt. Wir wurden unterbrochen. Bevor wir die Mail verschickt haben, hat es geklopft. Hausmeister Wüst kam vorbei, um …“

„Ja richtig! Stimmt! Das habe ich fast vergessen. Er fragte, ob wir ihm einen Gefallen tun können. – Das war vielleicht eine elende Maloche!“

Heidi und Marie blicken uns fragend an.

Grinsend sagt Rufus: „Der Wüst fühlt sich seit neustem zu einer künstlerischen Laufbahn berufen. Hat er uns zumindest erzählt. Er will nach den Ferien eine Bildhauer-AG für Oberstufenschüler anbieten. An dem besagten Nachmittag bekam er Steine geliefert; einen ganzen Haufen verflucht schwerer Marmorblöcke. Wir haben ihm geholfen, sie in die Werkstatt zu schleppen, die er in der ehemaligen Garage hinter dem Schulgarten eingerichtet hat“, erläutert der Rote, woraufhin er gequält das Gesicht verzieht. „Danach hatte ich zwei Tage lang Muskelkater.“

„Bildhauer-AG? Der Wüst? Sachen gibt’s. Und währenddessen stand der Rechner unbeaufsichtigt in der Redaktion und die Mail war noch nicht abgeschickt? Sehe ich das richtig?“ Heidis (heute in grellem Orange gefärbte) Augenbraue schnellt misstrauisch in Richtung Haaransatz.

Der Roten und ich schauen uns schuldbewusst an.

„Stimmt!“, gebe ich zu.

„Aber die Tür war abgeschlossen“, fällt Rufus ein. „Ich habe noch gedacht: Schließ mal lieber zu, damit hier kein Unbefugter reinkommt. – Wegen klauen und so.“

„Hm, das erweitert den Kreis der Verdächtigen. Es könnte demnach auch jemand aus der Schule gewesen sein, der Zugang zum Schlüssel hatte“, stellt Marie fest. „Aber wie du auf die Schnapsidee gekommen

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Antje Hansen
Bildmaterialien: Antje Hansen
Cover: Antje Hansen
Lektorat: Psst Hörmal Verlag
Satz: Psst Hörmal Verlag
Tag der Veröffentlichung: 08.01.2018
ISBN: 978-3-7438-4919-8

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