© Antje Hansen Psst Hörmal Verlag, Köln
Abenteuer auf der Pirateninsel, der kleine Vampir Valentin 1
ISBN 978-3-946506-02-7
2. überarbeitete Auflage Taschenbuch Februar 2018
(Erstveröffentlichung in der Hardcover-Gesamtausgabe der ersten drei Bücher:
Der kleine Vampir Valentin, 2013)
gedruckt in Deutschland auf Recyclingpapier
Covergestaltung und Illustrationen: Antje Hansen
Alle Urheberrechte vorbehalten
www.psst-hoermal.de
Inmitten eines dunklen Tannenwaldes erhebt sich ein kleiner Hügel, auf dem eine verlassene Burgruine steht. Ein Geröllhaufen versperrt den Weg zu dem vermoderten Burgtor, das nur noch an einer rostigen Türangel hängt. Beim kleinsten Windhauch schlägt es gespenstisch an die alten Mauern. Vier mit Zinnen bewerte Türme ragen über die Baumwipfel.
Wanderer verirren sich nie in diesen finsteren Teil des Waldes, und nur wenige Vögel nisten in dem alten Gemäuer. Manchmal trampelt eine Wildschweinrotte auf der Suche nach Nahrung durch den nahen Drachenwald.
Ein Eichhörnchenpaar hat es sich auf der knorrigen Kiefer im Burghof gemütlich gemacht. Jedes Jahr im Frühling zieht es dort seine Jungen groß. Sie haben ihr Nest mit der Rosshaarfüllung des uralten Burgsofas gepolstert.
Es ist sehr still und sehr einsam auf der verfallenen Burg. Zumindest tagsüber. Nachts kann man ziemlich unheimliche Dinge beobachten. Wenn man sich traut! Denn pünktlich um Mitternacht wird auf dem höchsten der vier Burgtürme eine blutrote Fahne mit schwarzer Fledermaus darauf gehisst. Schauerliches Gejammer und Geheul schallt dann über die Burgzinnen. Und kurze Zeit später flattert etwas Schwarzes lautlos davon.
Da du ein kluges Kind bist, hast du bestimmt längst erraten, wer in der alten Burgruine haust, oder?
Natürlich! Ein Vampir.
Genauer gesagt: der kleine Vampir Valentin von Donnersbach. Vampir Valentin lebt seit 275 Jahren auf der Burg derer von Donnersbach und wurde nur durch einen ziemlich dummen Zufall ein Vampir. Er wurde von der berüchtigten Vampirmücke gestochen. Dem letzten lebenden Exemplar dieser Art, das glücklicherweise ausgestorben ist.
Da das Unglück mit dem Vampirmückenstich passierte, als Valentin gerade seinen elften Geburtstag feierte, geistert er jetzt seit genau 264 Jahren um die Burg Donnersbach herum und versetzt die Bewohner der umliegenden Dörfer und der nahen Stadt in Angst und Schrecken. Doch nach 264 Jahren Vampirspuk haben die Leute die Nase gestrichen voll von Valentin und auch schon eine gute Idee, wie sie der verflixten Spukerei ein Ende bereiten können. Denn wer möchte schon ständig von einem Vampir gebissen werden? Niemand! Richtig. Deshalb haben sie eine steinharte Überraschung für ihn auf Lager!
Wie in den vorangegangenen 264 Jahren auch, schlummert der kleine Vampir Valentin in der stickigen Gruft unter einem der vier Burgtürme, bis zwölfmal ein scheppernder Gong ertönt. Die Burguhr schlägt Mitternacht.
Wie von Geisterhand öffnet sich der Marmordeckel des Sarges ein Stückchen. Dann hört man ein lautes Gähnen, gefolgt von einem Rumms.
„Autsch! Verflixt!“, flucht er gereizt. „Ich sollte dieses bescheuerte Teil endlich reparieren. Jeden Tag das Gleiche mit der doofen Kiste.“ Ein schmaler weißer Arm erscheint über dem Sargrand. „Beim Aufwachen stoße ich mir den Kopf, und morgens muss ich mich wieder in diese enge Sardinenbüchse reinquetschen. So ein Mist!“ Schlecht gelaunt drückt Valentin den Sargdeckel auf und schwingt sich heraus.
Da steht er, der kleine Vampir Valentin von Donners-bach, und nun erkennst du auch, warum er kleiner Vampir genannt wird: Er ist mickrig, dünn und ganz schön blass. Kein bisschen unheimlich! Dafür sieht er ziemlich müde aus. Kein Wunder, nach 264 Jahren Spukerei. Er hat schwarze strubbelige Haare, eine Stupsnase und hellblaue Augen.
Noch einmal recken und strecken, gähnen, Schlafanzug aus- und Vampiranzug anziehen. Weißes Hemd (um ehrlich zu sein, eher schmuddelig grau als weiß), schwarze Hose und schwarzer Umhang (innen blutrotes Seidenfutter), schwarze Lackschuhe. Jetzt noch die spitzen Vampireckzähne mit Dr. Vampis bestem Zahnputzgel putzten, die rote Vampirflagge auf der höchsten Turmspitze hissen und Jacke, Schal und Handschuhe anziehen, denn draußen ist es verflucht kalt.
„Los geht’s! Ich hab Hunger!“ Valentins Magen knurrt. Schnell den Fledermaus-Verwandlungszauber aufsagen: „Ehne mehne meck, Valentin ist weg. Ehne mehne muh, ‘ne Fledermaus bist du!“
Funken sprühen und feiner roter Rauch steigt an der Stelle auf, wo der Vampir eben noch stand. Jetzt sitzt dort eine Fledermaus, die ihre schwarzen Flügel ausbreitet und lautlos über die dunklen Turmzinnen in die Nacht hinausgleitet.
„Jippie! Auf zum Blut saugen und Schabernack treiben!“
Bei Vollmond und sternenklarem Nachthimmel dreht Valentin eine Runde über dem Burgturm. Er flattert über die wogenden Baumwipfel des dunklen Tannenwaldes und hat ein munteres Liedchen auf den Lippen. Valentin freut sich schon auf was Leckeres.
„Ja, ja, so rot, rot, rot ist der Blutorangensaft, Blutorangensaft, Blutorangensaft!“
Wie schon viele hundert Male vorher, landet er im Glockenturm des alten Doms auf der steinernen Fensterbrüstung. Ein kurzes Augenzwinkern, und aus Fledermaus Valentin wird wieder Valentin, der Vampir. Er huscht die steile Wendeltreppe hinunter. Als er unten ankommt, ist ihm schlecht. Er kichert: „Nicht schlimm. Das ist wie Karussell fahren auf der Kirmes. Da gehört ein ordentlicher Drehwurm schließlich auch dazu, sonst ist es nur der halbe Spaß.“
Fröstelnd steht Valentin am Fuß des Glockenturms und blickt vorsichtig um einen Mauervorsprung. „Niemand unterwegs? Alles stockfinster? Das ist ja wie ausgestorben.“ Etwas unheimlich ist ihm zumute. „Brr, ist das kalt heute Nacht. Hm, in welche Richtung? Links, rechts, geradeaus?“
Valentin kennt sich natürlich aus. 264 Jahre Vampirleben, im Jahr 365-mal spuken – da kommt einiges zusammen. Und während er überlegt, ob er in Richtung Marktplatz oder Fußgängerzone gehen soll, schnappt die Falle langsam zu.
Erinnerst du dich? Die Stadtbewohner wollten Valentin eine steinharte Überraschung bereiten. Ihm für alle Zeiten das Handwerk legen. Ihn austricksen.
Die nächtlichen Straßen der Stadt sind menschenleer. Kein Autofahrer, kein Fahrradfahrer. Nicht ein einziger Fußgänger ist unterwegs. Sämtliche Straßenlaternen sind ausgeschaltet. In den dunklen Fenstern der Häuser glitzert das silberne Mondlicht.
„Was ist denn hier los? Wo sind die alle? Verdammt! Ich hab Hunger!“
Ganz leicht und sanft erklingt plötzlich eine Melodie. Mit einem Schlag erstrahlt das Gebäude gegenüber des Doms in einem Lichtermeer. Die Türen öffnen sich. In der hell erleuchteten Eingangshalle stehen Männer, Frauen und Kinder. Schlanke Gestalten in wunderschönen Abendkleidern und Anzügen mit bezauberndem Lächeln auf den Gesichtern.
„Na endlich! Da sind sie!“, flüstert Valentin entzückt. „Ganz viele sogar. Und wie hübsch sie sich angezogen haben! Das wird ein Festschmaus. Lecker!“
Ohne nachzudenken, jagt er über den Domplatz, rennt in das Gebäude. Schnell muss er sein. Einen erwischen, bevor die Leute schreiend vor ihm davonlaufen. Aber niemand rührt sich. Niemand rennt weg. Alle lächeln ihn freundlich an.
„Meine Glücksnacht!“ Valentin wuschelt aufgeregt durch seinen schwarzen Haarschopf. „Ich habe freie Auswahl! Wen nehme ich? Diese süße goldlockige Dame in dem rosa Kleid oder … nein … doch lieber die Dunkelhaarige mit dem niedlichen Hut! Wer die Wahl hat ... Quatsch! Ich beiß einfach beide!“
Er muss sich recken, um den schlanken Hals der blonden Frau zu erreichen. Der Vampir schlägt seine spitzen Zähne hinein, dabei läuft ihm das Wasser im Mund zusammen. Endlich gibt es Frühstück.
Doch er hat sich verrechnet.
„Aua, aua, aua! – Wie hart ist die denn?“ Wimmernd hält sich Valentin die Hand vor den Mund. „Ein Stein ist nichts dagegen! – Oh nein! Meine schönen Vampirzähne! Beide abgebrochen! Gemeinheit! Autsch! Tut das weh!“
Du hast sicher längst erraten, mit welchem Trick die Stadtbewohner Vampir Valentin hereingelegt haben, stimmt‘s?
Genau! Die schön angezogenen Leute sind natürlich keine Menschen, sondern die Schaufensterpuppen eines Kaufhauses. Die Stadtbewohner haben Valentin mit den Puppen angelockt, und in seiner Gier ist er ihnen in die Falle gegangen.
Aber was nun? Valentin hat wirklich schlimme Zahnschmerzen.
„Endlich haben wir ihn erwischt, diesen fiesen Blutsauger!“, freut sich Bürgermeister Blumenkohl.
Der rundliche ältere Herr mit krausem Blondhaar und Schnurrbart schiebt den Vorhang der Umkleidekabine zur Seite. Zusammen mit seinen beiden Komplizen, dem Polizeiinspektor Grünschnabel und der Kaufhausbesitzerin Schnütgen, hatte er sich dort versteckt.
„Ihr ward das? Boah, wie gemein von euch!“, faucht Valentin empört. „Schaut, was ihr angerichtet habt: Meine schönen Vampirzähne sind abgebrochen! Autsch! Das tut verdammt weh! Wie
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Antje Hansen
Bildmaterialien: Antje Hansen
Cover: Antje Hansen
Lektorat: Psst Hörmal Verlag
Satz: Psst Hörmal Verlag
Tag der Veröffentlichung: 16.10.2015
ISBN: 978-3-7396-1846-3
Alle Rechte vorbehalten