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Would you be my Valentine?

Sehnsucht ist etwas Schreckliches. Sie lässt einen innerlich zergehen, zehrt an einem und lässt sich nicht vertreiben, was auch immer man versucht. Sagt, wie viel Sehnsucht kann ein Mensch ertragen, bevor er zerbricht?

 

Es war Abend, er wusste nicht, der wievielte nach ihrem letzten Treffen. Irgendwann hatte er aufgehört, die Stunden und Tage zu zählen. Gequält schloss Janosh seine Augen. Er hasste diese Stunden. Jene, die er abends im Bett lag und in denen er sich vor Augen führen musste, dass er es wohl vermasselt hatte. Wieder einmal. Das Gedankenkarussell in seinem Kopf würde niemals aufhören, dessen war er sich sicher. Das Gefühl in seiner Brust, das seine wehmütigen Überlegungen begleitete, war beinahe schmerzhaft. Ein fieses Ziehen, ein Druck, der nicht kleiner werden wollte, egal wie viel Zeit auch verging. Sehnsucht. Verdammte, alles einnehmende Sehnsucht. Er konnte sich ihr nicht erwehren, hatte ihr nichts entgegenzusetzen. Das Einzige, das er nicht zuließ, waren Tränen. Nein, weinen würde er nicht, ganz sicher nicht. Schließlich war er irgendwo selbst Schuld an seiner Misere. Traurig starrte Janosh auf sein Handy. Nichts auf der Welt wünschte er sich gerade mehr, als eine Nachricht von Tjorven. Auch das war nichts Neues, ebenso wie der innere Kampf gegen sich selbst. Er vermisste ihn. Vermisste ihn so sehr, dass er in einigen Momenten glaubte, nicht genügend Luft zu bekommen, wenn er an ihn dachte. Solche Momente waren es, in denen seine Finger zuckten, in denen ein inneres Stimmchen ihm zuflüsterte, dass er doch genauso gut eine SMS schicken könnte. So gern würde er ihr nachgeben, doch er verbot es sich strickt.
Wehmütig dachte er an ihre letzten Treffen zurück. Im November, das Wochenende der Buchmesse, an dem er bei Tjorven übernachtet hatte, da die Veranstaltung in seiner Stadt stattfand. Es war ein wunderschönes Wochenende gewesen, sie hatten viel gelacht und in der zweiten Nacht hatte er sogar in Tjorvens Bett geschlafen, statt wie geplant im Gästezimmer. Der Gedanke daran, dass sie morgens eine kleine Weile eng aneinander gekuschelt einfach nur entspannt unter der Decke gelegen hatten, zauberte ein Lächeln in Jans Gesicht. Die Abreise fiel ihm schwer, die 500 Kilometer zwischen ihnen vereinfachten die Lage nicht gerade und dennoch blieb ihm nichts anderes übrig. Die darauf folgende Nacht, allein in seinem Bett, war die Hölle gewesen.
Frustriert ballte Janosh seine Hände zu Fäusten. Warum konnte er nicht einfach zu seinen Gefühlen stehen? Warum konnte er Tjorven nicht einfach sagen, dass er ihm wichtig war? Warum bloß war es so unendlich schwer, über seine Gefühle zu sprechen? Jan kannte die Antwort und sie schürte die innere Verzweiflung. Er konnte nicht vertrauen. Die Angst, dass er hinterher nur noch mehr verletzt würde, war überwältigend groß. Zu groß, um sie zu überwinden. Die Erlebnisse aus seiner Vergangenheit verboten es ihm, sich irgendwem zu öffnen, so sehr er es auch wollte.

Sie hatten sich wiedergesehen, danach. Einmal auf einem kleinen Fest in Tjorvens Heimatstadt, die nicht weit von Jans zu Hause entfernt war und danach, kurz bevor er zurück fahren musste, noch einmal allein. Gemeinsam waren sie durch die Stadt geschlendert, hatten sich unterhalten und in verschiedenen Läden gestöbert. Nur zu gut konnte Janosh sich an die ständigen Fragen nach etwas zu Essen erinnern und an die Antwort, die sein Freund ihm auf seine Frage, ob er denn jemals an etwas anderes denken würde, gegeben hatte. Das simple „An dich“ hatte ihn im Schritt stocken und seinen Herzschlag aussetzen lassen. Hitze war ihm in die Wangen gekrochen und obwohl er so gern etwas erwidert hätte, kam ihm kein Wort über die Lippen. Seine verunsichertes Ich hatte sofort Alarm geschlagen. 'Ja, Tjorven klang ernst, aber was, wenn er es doch als Scherz meinte? Was, wenn er sich über dich lustig macht, sobald... Nein, Janosh. Nein!' Die verfluchte Angst lähmte ihn geradezu. Erst Sekunden später hatte er ein lapidares „Da fühle ich mich aber geehrt“, herausgequetscht und es hatte sich so verdammt falsch angefühlt. Geändert hatte dieses unangenehme Gefühl allerdings nichts.
Kopfschüttelnd starrte Jan seine Zimmerdecke an. Was war so schwer daran, ein simples „Ich auch an dich!“, oder ein „Geht mir genauso“, zu erwidern?
Ja, er hatte es versemmelt und er konnte Tjorven nicht übel nehmen, dass er sich nicht bei ihm meldete. Nicht nachdem er ihn schon das zweite Mal so behandelt hatte, waren sie doch vor 3 Jahren schon einmal an einem ähnlichen Punkt gewesen. Damals hatte sein Freund noch in der Nähe gewohnt und Janosh hatte sich wahnsinnig zu ihm hingezogen gefühlt. Dass es seinem Torven nicht anders ging, hatte selbst er erahnen können. Aber er hatte es nicht gekonnt. Die Nähe war zu viel gewesen, das Gefühl, sich jemandem anvertrauen, sich in jemandes Hände begeben zu können hatte ihn sich panisch zurückziehen lassen. Ohne Erklärung, ohne Entschuldigung. Wie sehr er sich dafür hasste. Selbst wenn Tjorven immernoch ernsthaftes Interesse an ihm hätte, er würde an seiner Stelle auch keinen Vorstoß wagen...

 

Einen Monat lang hatte Jan es nach ihrer Verabschiedung am Bahnhof ausgehalten. Einen Monat, den ganzen Januar hindurch, hatte er ihm nicht geschrieben. Beinahe jeden Abend hatte er in dieser Zeit einsam in seinem Bett gelegen und das Was-wäre-wenn-Spiel gespielt. Hatte sich die sanften Berührungen seiner Haut an diesem einen Novembermorgen in Erinnerung gerufen. Schon nach wenigen Tagen war ihm klar gewesen, dass er seinen Freund vermisste, und zwar auf eine sehr unmissverständliche Art und Weise. Er hatte sich verliebt. Das erste Mal in seinem Leben so sehr, dass er nicht mehr wusste, wohin mit all seinen Gefühlen. Das erste Mal so sehr, dass es weh tat.
Er hatte den Kontakt gesucht, hatte zumindest irgendetwas von ihm haben wollen und sei es nur eine dämliche Textnachricht. Doch die Antworten kamen eher schleppend, wirkten irgendwie gezwungen und so zwang Janosh sich mittlerweile dazu, die Finger vom Handy zu lassen. Das letzte, was er wollte, war sich irgendwem aufzudrängen.
Seufzend rollte er sich in seinem Bett zusammen. Er sollte schlafen. Mit einem Tippen löschte er sein Nachtlicht und schloss die Augen. Die Vorstellung, Tjorven läge neben ihm im Bett und er bräuchte nur die Hand nach seiner auszustrecken, kam von ganz allein und garantierte ihm eine traumhafte Nacht.

 

Der nächste Morgen begann mit leichten Kopfschmerzen. Die Sonnenstrahlen, die durch sein Fenster direkt auf sein Gesicht fielen, machten die Sache nicht gerade besser. Genervt bedeckte Janosh seine Augen mit einem Unterarm. Klasse, selbst das Wetter wollte ihn heute anscheinend verhöhnen. Samstag, der 14. Februar. Valentinstag. Scheiß Tag! Konnte es nicht zumindest aus Eimern gießen?!
Kurz überlegte er, ob er heute überhaupt aufstehen sollte, wog die Optionen 'Im Bett bleiben und grübeln' und 'Rausgehen und tausend verliebten Pärchen begegnen' gegeneinander ab. Beides nicht sonderlich verlockend, doch er war nicht der Typ, der sich gerne im Bett verkroch. Sein erster Gang führte ihn ins Badezimmer, wo er immer eine Notfallpackung Kopfschmerztabletten aufbewahrte. Nach einer Dusche und einem ausgiebigen Frühstück fühlte er sich einigermaßen bereit, sich dem Tag zu stellen. Obwohl er eigentlich für seine Klausuren lernen sollte, beschloss Jan, sich erst einmal seine Kamera zu schnappen und in den Park zu gehen. Vielleicht gelangen ihm ein paar schöne Bilder des nahenden Frühlings.
Wie erwartet war die Grünanlage bei diesem Wetter ziemlich gut besucht. Janosh suchte sich eine freie Bank und ließ sich darauf nieder. Eine ganze Weile ließ er seinen Blick über die Menschen wandern, beobachtete Paare, die Hand in Hand an dem kleinen See entlang spazierten, sich verliebte Blicke zuwarfen und sich küssten. Würde er das jemals selbst erleben? Mittlerweile glaubte er bereit zu sein, das Risiko, das eine Beziehung mit Tjorven barg, eingehen zu wollen. Er wollte nicht länger Spielball seiner Gefühle sein, wollte sich nicht länger fragen müssen, ob er es irgendwann bereuen würde, es niemals versucht zu haben. Das einzige, was er nicht konnte, war seinem Freund dies auch mitzuteilen. Die Vorstellung, irgendwem sein Gefühlsleben offenbaren zu müssen, verursachte nach wie vor eine erschütternde Panik in ihm. Und dass er seinem Freund alles erzählen müsste – inklusive seiner Vergangenheit und dem, was diese aus ihm gemacht hatte – stand außer Frage. Denn darauf bauten Beziehungen schließlich auf, stellte er einmal mehr für sich fest. Vertrauen. Eben jenes Vertrauen, von dem er sich nicht sicher war, ob er es jemals würde aufbringen können.

Deine Gedanken drehen sich mal wieder im Kreis, Janosh... Das bringt doch nichts!

Alles wäre so viel einfacher, wenn Tjorven den ersten Schritt tun würde. Wenn er irgendwie sicher sein könnte, dass er ihn noch wollte, dass nicht alle Chancen vertan waren. Wenn er doch nur nach dem Grund fragen würde... Antworten war um so vieles leichter, als selbst zu beginnen und diesmal würde er sicher nicht wieder ausweichen.

Seufzend erhob Jan sich von seiner Bank und hob seine Kamera. Zeit, sich ein bisschen abzulenken. Tatsächlich gelangen ihm ein paar gute Schnappschüsse. Er liebte das Gefühl der Schwere des Apparates in seiner Hand. Fotografieren beruhigte ihn ungemein. Als er die Bilder zu Hause am Rechner sichtete, schlich sich ein Lächeln in sein Gesicht. Verträumt blickte er auf den Bildschirm. Er hatte sich vorwiegend Pärchen als Motive ausgesucht, war aber immer darauf bedacht gewesen, keine Gesichter zu zeigen. Das Bild vor ihm zeigte zwei junge Männer, beide schräg mit dem Rücken zu ihm am See stehend. Der eine zeigte lachend mit einer Hand auf das Wasser hinaus, während sein Partner, seitlich zu ihm stehend und eine Hand auf seiner Schulter abgelegt, zu ihm aufblickte. Die Sonne, die zwischen den kahlen Bäumen hindurch ihr Licht auf diese Szenerie warf, vervollständigte die wahnsinnig tolle Atmosphäre dieses Bildes. Ja, das würde ein gutes, neues Album in seiner Sammlung werden, beschloss Janosh, bevor er alle Dateien schloss und den Rechner runter fuhr. Den Stich, den er in seinem Herzen spürte, seit er die Fotos zusammengestellt hatte, ignorierte er gekonnt.

Den restlichen Tag verbrachte Jan am Schreibtisch. Erst Stunden nachdem die Sonne untergegangen war, streckte er seine müden Knochen und schlenderte in die Küche, um sich Abendbrot zu machen. Zu faul, für sich allein etwas zu kochen, schmierte er sich lediglich ein paar Brötchen und verzog sich damit ins Wohnzimmer. Kurz checkte er sein Handy auf Nachrichten und tatsächlich zeigte es ihm einige an. Die irrsinnige Hoffnung, die ihn beim Anblick der kleinen Briefsymbole überkam, erstickte er im Keim. Sie war dumm und hirnrissig und er sollte endlich damit aufhören!

Tatsächlich waren es nur ein paar Wünsche zum Valentinstag von einigen Freundinnen, die es nicht besser wussten. Einen Moment starrte er auf das Display, dann knallte er das Telefon beinahe wütend auf den Wohnzimmertisch und widmete sich dem Essen. Nicht, dass er noch großen Appetit gehabt hätte. Gewillt, sich irgendwie zu beschäftigen, schaltete er schließlich den Fernseher ein, doch das, was ihm dort geboten wurde, ließ die Welle der Verzweiflung erneut brachial über ihm zusammenschlagen. Natürlich, was hatte er auch erwartet, an einem Tag wie diesem? Valentinstag, Tag der Liebenden, Tag der Frühlingsgefühle und der Geständnisse – war es nicht klar, dass auch die TV-Sender diesen Hype unterstützen mussten? Sofort drückte er den Aus-Knopf.
Den Kloß in seinem Hals hinunterschluckend schlug Janosh sich die Hände vor's Gesicht. Er konnte nicht mehr. Und er wollte auch nicht mehr. Irgendwann würde er an dieser nagenden Sehnsucht zugrunde gehen, das Gefühl des Vermissens, welches statt abzuflauen einfach immer stärker geworden war, würde ihn noch um den Verstand bringen. Mit sich selbst ringend zog er die Beine an den Körper, umklammerte sie mit den Armen. Sich selbst zu umarmen half ein bisschen, das Gefühl zu zerbrechen einzudämmen. Jämmerlich, dachte er bei sich selbst, so jämmerlich. Wie kann man sich nur so dermaßen selbst im Weg stehen...?

Es dauerte lange, sehr lange, bis er sich dazu durchringen konnte, seine Hand nach dem Handy auszustrecken. Noch länger dauerte es, bis er sich dazu entschloss, den Entsperrungscode einzugeben und das Menü aufzurufen. Genau in diesem Moment gab das Gerät ein leises Piepen von sich. Es hätte nicht viel gefehlt und Janosh hätte es vor Schreck fallen lassen. Gerade noch rechtzeitig fing er es wieder auf. Ein wenig befremdet starrte er auf das leuchtende Display. Wer um alles in der Welt schrieb ihm um diese Uhrzeit – es war immerhin schon deutlich nach 22 Uhr – noch eine Nachricht? Verwirrt öffnete er den Texteingang und der Name, der ihm dort entgegen leuchtete, ließ sein Herz augenblicklich höher schlagen. Tjorven. Sekundenlang konnte er nichts weiter tun, als das kleine, schwarze Ding in seiner Hand fassungslos anzusehen. Als er sich endlich dazu durchrang, den Knopf für das Öffnen der Nachricht zu drücken, zitterten seine Hände.
Das, was ihm daraufhin angezeigt wurde, trieb ihm die Tränen in die Augen. Machtlos, etwas dagegen zu unternehmen, schluchzte er auf. Vor ihm offenbarte sich die Erfüllung seines allergrößten Traumes. In großen Buchstaben, mit einem abschließenden Herz, leuchteten ihm die Worte entgegen, deren Bedeutung er sich so sehnlichst gewünscht hatte:
„Would you be my Valentine?“

 

FIN

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.02.2015

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