Cover

Leseprobe

Liebesroman

BIG FOUR

Ein Anwalt fürs Leben

„Big Four“-Reihe Band 4

von Rose Bloom

 

 


Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.

1. Edition, 2020

© 2020 All rights reserved.

Rose Bloom

c/o Papyrus Autoren-Club

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

info@rose-bloom.de

Coverdesign: Hippomonte Publishing e.K.

Covermotiv: Mann ©️ by Dragosh Co, www.shutterstock.com (Stockfoto-ID: 688914823)

 


INHALTSVERZEICHNIS

 

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Danksagung

Über die Autorin

Leseprobe aus „Big Four“ Band 1

 

 

Kapitel 1

Reese – vor sechs monaten

Keanu: Was soll das heißen, Mann?

Jay: Dass du Psychos wie magisch anziehst!

Zayn: :-D Wer sagt, dass er nicht drauf steht?

Jay: Stimmt auch wieder …
Zayn: Als Gott die Psychos verteilt hat, hat Keanu definitiv hier gerufen!

Keanu: Hey! Auch verrückte Frauen wollen Liebe ;-)

Zayn: :-D

Jay: :-D

Keanu: Apropos, kann ich heute Abend das Apartment haben?

 

Ich suchte auf meinem Smartphone das Smiley mit der Sonnenbrille und schickte es ab.

»Reese!«, erklang mein Name laut durch den Innenraum des Starbucks Cafés am Pike Place und ich sah auf. Einer meiner besten Freunde und Mitanwalt Jay unserer Gemeinschaftskanzlei sagte zwar, Kaffee dieser Kette, wäre kein richtiger Kaffee, doch hier in Seattle, der Geburtsstadt des Starbucks kam man kaum an einem der Läden vorbei. Außerdem wollte er nur nicht zugeben, dass er genauso wie ich auf Java Chip Chocolate Cream Frappuccino mit extra Sahne stand. Meiner Meinung nach tat meine Vorliebe für zuckerhaltige Getränke meiner Männlichkeit absolut keinen Abbruch.

Ich steckte mein Handy in die Innentasche meines Jacketts und schlängelte mich durch haufenweise Menschen in Richtung Ausgabe. »Reese?«, fragte eine hübsche Schwarzhaarige hinter der Theke und hielt mir einen extra großen Kaffeebecher entgegen. Sie blinzelte mit ihren langen Wimpern und unverkennbar konnte ich eine leichte Röte auf ihren Wangen erkennen.

»Das bin ich«, antwortete ich ihr und griff nach dem Becher, aber nicht ohne, ihre Finger kurz mit meinen zu streifen. »Vielen Dank.«

»Jederzeit gerne.«

Es wäre leicht gewesen, auf den Flirt einzusteigen, aber es war mitten am Tag, hinter mir lag eine nervenaufreibende Verhandlung vor Gericht, die ich glücklicherweise für meinen Klienten gewinnen konnte, obwohl die Karten mehr als schlecht standen, und in fünfzehn Minuten hatte ich einen Termin in unserer Kanzlei. An einem üblichen Tag blieben kaum diese zehn Minuten, um auf ein Getränk bei einem Café vorbeizuschauen, geschweige denn ein heißer One-Night-Stand mit einer Barista in einem Starbuckslager. Nein, der musste definitiv warten.

Ich schenkte ihr noch ein charmantes Lächeln und wandte mich um, während mein Handy schon wieder in meiner Jackentasche zu vibrieren begann. Eine Mutter mit einem Baby auf dem Arm zog ein Kleinkind hinter sich her, das laut schreiend nach Kuchen verlangte, und ich drückte mich gegen einen der Tische, um ihr aus dem Weg zu gehen. Weitere Namen wurden im Hintergrund gerufen, das Stimmengewirr der anwesenden Menschen nahm zu und mein Handy wollte nicht aufhören, mich penetrant zu nerven. Das Kleinkind streckte mir die Zunge raus, während seine Mom es an mir vorbeizog, und als ich gerade weiterlaufen wollte, stand jemand hinter mir auf und traf meinen Ellenbogen so unglücklich, dass sich der Frappuccino über meiner Hose ergoss. Ich unterdrückte ein Fluchen und vernahm nur noch ein gemurmeltes »Sorry« hinter mir und ein aufgeregtes »Hey!«, vor mir.

Genervt wandte ich die Aufmerksamkeit von meinen durchnässten Klamotten nach vorn. Über einen Tisch waren Blätter verteilt, die augenscheinlich die andere Hälfte meines Kaffees abbekommen hatten. Eine Blondine in einem smaragdgrünen Kleid schob ihre Unterlagen hektisch zusammen, und endlich konnte ich reagieren. Ich eilte zurück zur Station, schmiss meinen halbleeren Becher weg, nahm einen Stapel Servietten und lief zu der Frau, um den Schaden zu beheben.

»Es tut mir ausgesprochen leid«, sagte ich und tupfte die vollgesogenen Blätter ab. Die junge Frau sah auf und ein Blick aus großen, blauen Augen traf mich völlig unvorbereitet. Auch sie schien für einen Moment ins Stocken zu geraten, bevor sie eine honigblonde, kinnlange Strähne hinter das Ohr schob und sich wieder dem Desaster widmete.

»Ist schon okay, ich nehme nicht an, dass es extra war.« Sie scherzte und war irgendwie süß. Ich unterdrückte ein Schmunzeln.

»Darf ich Sie dafür auf ein Getränk einladen?«, fragte ich und nahm ein besonders durchnässtes Blatt in die Hand. Brauner Kaffee hatte es halb verfärbt und tropfte von einer Ecke, doch die Zeichnung darauf konnte man immer noch sehr gut erkennen. Sie zeigte einen Mann mit breiten Schultern und erhobenen Augenbrauen. Er war im Stil einer Karikatur gezeichnet, aber jedes Detail an seinem massigen Körper und in seinem anzüglichen Blick war perfekt getroffen. Irgendwie kam er mir bekannt vor, aber ich kam nicht auf seinen Namen.

»Nein, danke«, beantwortete sie meine Frage, während ich nun versuchte, auch noch einen Blick auf ihre anderen Zeichnungen zu werfen. Sie waren gut. Richtig gut. Manche zeigten Menschen in einem Park, andere wiederum Leute hinter Schreibtischen in einem Großraumbüro, die alles andere als frei und glücklich wirkten. Doch so unterschiedlich die Bilder auch waren, ihr ganz eigener Stil war unverkennbar. Als ich den Finger auf eine Zeichnung mit einer Frau legte, die ihr ziemlich ähnlich sah, räusperte sie sich und riss mir förmlich das Blatt aus der Hand, um es umgedreht auf den Stapel getrockneter Papiere zu legen.

»Wow, hat Ihnen mal jemand gesagt, dass die richtig gut sind? Wenn Sie dem Urteil eines Menschen vertrauen, der noch nicht mal ein Strichmännchen richtig zeichnen kann.« Ihre Lippen zuckten. Sie waren voll und ihr Mund ein wenig zu groß für ihr schlankes Gesicht. Wenn sie lachte, riss sie sicherlich alle in ihrem Umkreis in ihren Bann. »Machen Sie das professionell?«

»Nein, ich zeichne nur als Ablenkung in meiner Mittagspause. Um es beruflich zu machen, sind diese Kritzeleien nicht gut genug.«

»Wieso denken Sie das?«

»Weil mir Menschen das gesagt habe.«

»Und eben hat Ihnen ein Mensch gesagt, dass sie es ziemlich draufhaben. Wem wollen Sie nun glauben?« Da war es! Ein kleines, vorsichtiges Lächeln und ich erwiderte es. »Aber abgesehen davon, ist völlig irrelevant, wer an sie glaubt. Sie müssen an sich selbst glauben, das ist das wirkliche Geheimnis«, wisperte ich gedämpft und kurz erkannte ich in ihrem Blick so etwas wie Zuneigung. »Kann ich Ihnen wirklich kein Getränk als Entschädigung ausgeben? Es würde meinem schlechten Gewissen ziemlich entgegenkommen.« Wieder vibrierte mein Handy, aber ich ignorierte es. Sie schüttelte den Kopf und steckte die Blätter in eine übergroße Handtasche. Dass Frauen in solchen Ungetümen irgendetwas wiederfanden, war mir ein Rätsel.

»Leider nein, ich hätte schon längst losgemusst. Wahrscheinlich war Ihre unfreiwillige Dusche gar nicht so schlecht, sonst hätte ich meine Pause überzogen und mein Chef wäre ausgerastet.«

»Lassen Sie mich raten, der Mann auf einer Ihrer Zeichnungen?«

Sie senkte beschämt den Blick und schulterte ihre Tasche. »Ähm … schuldig.«

»Sie zeichnen reale Personen.«

»Meistens. Wenn sie mir im Gedächtnis bleiben.«

»Also zeichnen Sie nun auch mich?« Ihre Augen begannen zu funkeln und ihr Schmunzeln wurde größer. Aus einem unerfindlichen Grund wollte ich noch nicht, dass diese Begegnung hier endete. Ich wollte mehr. Ein richtiges Lachen. Die Geräuschkulisse um uns herum war nun nur noch ein dumpfes Rauschen.

»Ich denke nicht, dass das angebracht wäre.«

»Wer tut schon gerne Dinge, die angebracht wären?«

Für einen Moment hatte ich sie aus dem Takt gebracht. Sie räusperte sich und ging einen halben Schritt nach vorn, doch leider nicht, weil sie mir näherkommen wollte. Sie musste an mir vorbei, bevor sie abhauen konnte, aber ich hatte nicht vor, sie jetzt schon gehen zu lassen. Wir waren uns nun so nahe, dass ich ihren süßen Duft ausmachen konnte, der selbst den herben Kaffeegeruch übertraf, der hier in jedem Winkel steckte. Ich wusste noch nicht, was meine Faszination für sie ausmachte, aber ich hatte vor, es definitiv herauszufinden. Schon lange hatte mich keine Frau mehr wirklich interessiert. Zumindest nicht, wenn es um etwas anderes als körperliche Anziehung ging. Doch in diesem Moment, mit dem Blick auf diese kobaltblauen Augen gerichtet, wusste ich, dass es diesmal nicht mit einem One-Night-Stand getan war. Ich hatte in meinem Leben erst eine feste Beziehung gehabt, und das war auf der Highschool, bevor ich mit meinen Freunden ans andere Ende des Landes nach Harvard gegangen war, um zu studieren. Ich konnte behaupten, dass mich die Trennung alles andere als kalt gelassen hatte, und seitdem hatte ich meine Zeit eher meiner Tätigkeit als Anwalt gewidmet als dem Aufbau einer festen Beziehung. Kaum etwas war wichtiger für mich, als mein Job, doch in diesem Moment fiel es mir mehr als leicht, das penetrante Klingeln meines Handys zu ignorieren.

»Sie brauchen wirklich kein schlechtes Gewissen wegen dieser Sache zu haben. Ich kann mir vorstellen, dass Sie ziemlich viel zu tun haben … genauso wie ich.« Sie drückte sich an mir vorbei und streifte mich mit ihrer Seite. Ich ging einen Schritt zurück und ließ sie durch, aber nicht ohne, ihr durch den Raum zu folgen und ihr die Tür aufzuhalten. Die heiße Augustluft drang sofort ins Innere, als hätte sie nur darauf gewartet, den klimatisierten Raum zu fluten. Umgehend geriet ich unter meinem Anzug und der engen Krawatte ins Schwitzen.

»Okay, ich verstehe, wenn eine Frau kein Interesse hat«, erwiderte ich immer noch mit einem herausfordernden Lächeln auf den Lippen und trat neben ihr auf die Straße. Anscheinend war jetzt zur Mittagszeit ganz Seattle unterwegs. Die Sonne breitete sich erbarmungslos über uns aus und ich war froh, dass die Kanzlei nur wenige Schritte von hier zu erreichen und vor allem klimatisiert war. Sie zögerte immer noch. Wenn sie es wirklich so eilig hatte, wieso stand sie dann weiterhin vor mir?

»Außerdem sind wir wohl beide nicht ganz heil aus der Sache rausgekommen.« Sie nickte in Richtung meiner durchnässten Anzughose. Der dunkle Fleck hob sich eindeutig zu erkennen auf dem blauen Stoff ab. »Sie sollten sich eine neue Ausstattung gönnen, bevor sie an die Arbeit gehen.«

»Werde ich.« Ich steckte die Hände in die Hosentaschen. »Dürfte ich wenigstens Ihren Namen erfahren? Nur, um vor meinen Freunden damit anzugeben, dass ich die Künstlerin dieser Werke kennengelernt habe, wenn Sie groß rausgekommen sind.«

Sie lachte einmal auf. »Ich denke nicht, dass dieser Umstand jemals eintrifft.«

»Warten wir es ab.« Ich zögerte einen Moment, aber anscheinend hatte sie wirklich nicht vor, mir ihren Namen zu verraten. »Dann auf Wiedersehen«, sagte ich, ohne mich von der Stelle zu rühren.

»Bye«, hauchte sie und ich wusste nicht, was ich noch sagen konnte, ohne wie ein irrer Freak rüberzukommen. Unsere Blicke hingen einige Sekunden aneinander, dann wandte sie sich ab und ich sah ihr einen Moment hinterher, wie sie mit wogenden Schritten und ohne sich noch einmal umzudrehen, hinter der nächsten Hausecke verschwand.

Ich zog mein Handy aus der Tasche und drückte es mir ans Ohr. »Was gibts, Ann?«

»Ihr ein Uhr Termin ist da, Mr Johnson«, erwiderte meine Assistentin.

»Bin sofort da, kannst du ihm einen Kaffee bringen?«

»Schon erledigt.«

»Danke, du bist die Beste! Bis gleich!« Ich löste mich aus der Starre und eilte in die entgegengesetzte Richtung. Hoffentlich traf der Spruch, dass man sich immer zweimal im Leben sah, diesmal zu. Denn wenn man eines gelernt hatte, wenn man in der Großstadt wohnte: Das Leben verwob das Schicksal zweier beliebiger Menschen ausgesprochen gerne, wenn man nicht damit rechnete.

 

Kapitel 2

Andie – Dezember

Ich legte den Bleistift ab und schüttelte meine linke Hand aus, die sich in diesem Moment anfühlte, als würde sie gleich abfallen.

»Wieso benutzt du nicht das neue Grafiktablett, damit geht es viel einfacher!« Meine Kollegin Karla sah an ihrem PC vorbei und wedelte in der Luft mit dem passenden Stift dazu. Ich schnaubte.

»Weil es sich anfühlt, als würde ich mit einem Fahrrad über den Highway fahren.«

»Oh, wie poetisch, könnte jemand mal bitte Miss Andrea Price den Mittelalterdämon austreiben?«, rief sie laut durch unser Großraumbüro. Außer Gemurmel bekam sie kaum etwas zurück. Die Arbeitsatmosphäre war hier ungefähr so, wie bei einer Beerdigung. Hätte ich Karla nicht, wäre ich schon längst durchgedreht.

Ich musste grinsen. »Du spinnst.«

»Nein, du spinnst! Du kannst damit genauso gut zeichnen wie mit deiner Hand, wenn nicht sogar besser. Außerdem müsstest du danach nicht alles noch übertragen. Denk dran, was Nasty uns gepredigt hat, als er die Dinger angeschafft hat.«

»Ganz ehrlich, die Designs, die er für die diesjährigen Kalender haben möchte, könnten wir auch einfach aus einem Siebzigerjahre Katalog kopieren und einfügen …«, flüsterte ich und Karla kicherte.

»Stimmt, wetten dass er nie rauskriegt, dass ich genau das auf ein paar Seiten gemacht habe.«

»Karla!«, rügte ich sie gespielt empört, konnte mir aber das Grinsen nicht verkneifen. Unser Chef Mr Walker war groß, breitschultrig und verdammt gutaussehend. Er war charmant und wickelte jeden sofort um seinen Finger. Fast. Denn Karla und ich hatten ihn schon lange durchschaut. Wir waren uns sicher, dass er uns und die drei anderen Frauen nur eingestellt hatte, weil er eine gewisse Frauenquote rechtfertigen wollte. Und vor allem, weil er nach außen hin gerne den gutmütiger Samariter spielte. Aber in Wirklichkeit war er ein chauvinistischer Arsch und nicht nur einmal hatte eine unserer Kolleginnen in der Vergangenheit gekündigt, ohne einen genauen Grund zu nennen. Wir waren uns sicher, dass Mr Walker, oder Nasty, wie wir ihn nannten, dafür verantwortlich waren. Es hatte mehr als ein Gerücht gegeben, dass er hinter seiner glatten Fassade seine Finger nicht bei sich behalten konnte und ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass das stimmte. Irgendetwas in seinem Blick machte mich nervös.

Jedes Jahr fertigen Karla und ich als Angestellte der Marketingabteilung furchtbare Kalender für unsere Kunden als Weihnachtsgeschenke an und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, was ich hier eigentlich tat. Die Arbeit war langweilig und wir waren an Nastys schrecklichen Geschmack gebunden, denn auch außerhalb der Feiertage, bei denen er Sonderwünsche wie diese Kalender hatte, ließ er uns nicht gerade viel Freiheiten bei der äußeren Darstellung seiner Firma. Vielleicht, weil es Nasty weder an Geld noch an Kontakten fehlte. Vor einigen Jahren hatte er die Immobilienagentur von seinem Vater übernommen. Wieso auch etwas ändern, was seit einer Ewigkeit funktionierte?

»Hast du Lust nach der Weihnachtsfeier heut Abend noch etwas trinken zu gehen?«

Ich stöhnte. »Oh man, die Feier hab ich ganz vergessen …«

»Hätte ich am liebsten auch, aber du weißt, wer zur Dekorationsabgeordneten benannt worden ist?« Sie drückte den Rücken durch und zeigte mit beiden Daumen auf sich. »Hier ein subtiler Hinweis, falls du es vergessen haben solltest.« Ich war froh, dass ich Karla hatte, die mich nicht nur einmal mit ihrer ständigen guten Laune und sarkastischen Sprüchen aufgemuntert hatte. Nicht nur, dass unser Chef ein riesiger Arsch war, auch die Arbeit, die wir hier taten, stand weit unter unseren Fähigkeiten. Doch in Seattle einen angesehenen Job in einer Marketingabteilung zu finden, der einem ein anständiges Gehalt sicherte und einen gleichzeitig auch noch erfüllte, war so gut wie unmöglich. Immerhin bezahlte Nasty ganz gut und ich konnte mir eine hübsche Wohnung im Stadtteil First Hill direkt in der Nähe des Frye Art Museums leisten, in dem ich mehrmals die Woche zu Besuch war.

»Und dieses Jahr musst du unbedingt den Eierlikörpunsch probieren.«

»Den, den Heather immer mitbringt?«

»Ich habe sie mit zwanzig Mäusen bestochen, damit sie dem Ganzen noch ein wenig mehr Dampf gibt.« Karla wackelte mit ihren dunklen, perfekt gezupften Augenbrauen und warf ihre schwarzen Locken zurück. Erneut musste ich lachen. Heather war ungefähr Mitte achtzig und laut ihrer Aussage in diesem Unternehmen tätig, seitdem es von Nastys Dad gegründet wurde. Sie hatte keinen Mann und keine Kinder, dafür aber vier weiße Tibet Terrier, die alle nach Schauspielern der Serie Dallas benannt waren. Jeder davon besetzte einen Bilderrahmen auf ihrem Schreibtisch am anderen Ende des Raumes.

»Du meinst, wir ertragen diese Feier nur, wenn wir uns mit Heathers Punsch besinnungslos betrinken?«

»Du hast es verstanden, Schwester.«

»Könnt ihr jetzt endlich einmal aufhören, zu plappern und zurück an die Arbeit gehen?«

Ich verdrehte die Augen, als Eric Gambler sich auf seinem Schreibtischstuhl umdrehte und uns böse anfunkelte. Wenn es in jeder Firma einen Liebling des Chefs gab, war Gambler das absolute Paradebeispiel. Und noch dazu Nastys nutzloser Neffe.

»Und hast du nicht noch ein paar Schleimspuren zu verteilen, Ricky?«, flötete Karla.

»Total witzig, wie immer Karla«, sagte er so abschätzig, wie nur möglich und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Seine Finger klimperten über die Tastatur und auf seinem Bildschirm erschienen Massen an Zahlen, Formularen und irgendwelchem anderen, superwichtigen Buchhalterkram.

Karla schenkte mir noch ein Lächeln, dann nahmen wir alle unsere Arbeit wieder auf und bedächtige Ruhe legte sich über das Büro. Wie am Rande vernahm ich Stimmen und Tastaturanschläge und meine Gedanken verloren sich in Wünschen und hirnrissigen Träumen, ich könnte irgendwann einmal mehr als das hier sein.

Ich erinnerte mich an die Begegnung mit einem großen, gutgebauten Anzugträger mit dem charmantesten Lächeln, das ich je gesehen hatte in einem Starbucks im Sommer. Auch wenn ich mich zu dieser Zeit frisch nach einer Trennung nicht auf jemanden einlassen konnte, würde ich seine Worte doch niemals vergessen:

»Und eben hat Ihnen ein Mensch gesagt, dass sie es ziemlich draufhaben. Wem wollen Sie nun glauben?«

Es war eine schöne Illusion, zu denken, dass er recht gehabt hatte. Vor lauter Euphorie hatte ich sogar einen Social Media Account unter dem Namen andieloveart eröffnet und ihn mit Zeichnungen von mir gefüllt. Mittlerweile hatte ich stolze fünfzigtausend Follower und mein Selbstvertrauen wuchs von Tag zu Tag mehr. Doch der Mut, mich von Walkers Inc. zu lösen und mein eigenes Ding durchzuziehen, scheiterte nicht nur an der fehlenden Kohle, weil meine Mom mich regelmäßig um Geld bat.

Ich allein war es, die den Sprung ins kalte Wasser noch nie gewagt hatte und wahrscheinlich auch niemals wagen würde. Es lag einfach zu viel auf dem Spiel und ich war nicht bereit, das Risiko einzugehen. Denn mit meiner Mom hatte ich das perfekte Beispiel, wie man es nicht machen sollte.

Heathers Punsch war wirklich erste Sahne. Ich wusste, dass ich langsamer machen musste, denn vor meinen Augen lag ein Schleier und das Drehen in meinem Kopf war nicht mehr zu ignorieren, aber all das hier machte tatsächlich so etwas wie Spaß.

Karla und ich fegten laut grölend zu I will survive über die provisorische Tanzfläche, die inmitten eines leergeräumten Büroraumes errichtet worden war. Sogar Gambler wippte am Rand im Takt und ich hätte schwören können, dass seine Lippen sich zu dem Text bewegten. Und auch andere Kollegen waren ausgelassen, bedienten sich an der Candy Bar, die Karla organisiert hatte, tanzten, unterhielten sich und hatten tatsächlich einmal Spaß. Was mich ein wenig beunruhigte war Nasty, dessen Hemd schon seit einer halben Stunde nicht mehr in seiner maßgeschneiderten Anzughose steckte. Sein lüsterner Blick wanderte durch den Raum, als würde er sich seine nächste Eroberung für die Nacht aussuchen und eine unangenehme Gänsehaut zog sich über meinen Körper, als seine Augen auf mir hängenblieben. Er schwankte leicht und hielt ein Punschglas, das er ansetzte, während er mich über den Rand hinweg beobachtete. Seine blonden Haare waren so zerzaust, als hätte er bereits eine Liaison mit einer Frau hinter sich gehabt.

»Karla?« Ich zog meine Kollegin und mittlerweile auch

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Rose Bloom
Bildmaterialien: Hippomonte Publishing e.K.
Cover: Hippomonte Publishing e.K.
Tag der Veröffentlichung: 24.10.2022
ISBN: 978-3-7554-2388-1

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