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Prolog

 

Stell dir vor dein Leben ist so grau wie ein Himmel vor dem ein Gewittersturm stürmt und dunkle Schatten auf die Welt wirft. 

Anonym war kein Mädchen wie jedes andere. Schon ihr Name ließ vermuten das hier irgendwas schief gelaufen sein musste.

Welche Eltern nannten ihr Kind schon Anonym?  

Es konnte vielleicht daran liegen, dass sie keine Eltern hatte. 

Anonym war nicht mit einer liebenden Mutter aufgewachsen, die ihre schwarzen Haare bürstete oder ihr Kochen beigebracht hatte, so wie es jedes normale Mädchen mit der Zeit lernte. 

Sie hatte keinen Vater, der jeden vorbeikommenden Jungen misstrauische Blicke zuwarf und dem seine Tochter alles bedeutete.

Keine jüngere Schwester die sie zur Weisglut treiben konnte, oder der sie Ratschläge geben konnte. 

Es gab nur Dan.

Stell dir vor dein Leben ist so wertvoll wie eine leere Konservendose die verbeult vor einem Mülleimer liegt.

An manchen Tagen saß Anonym auf der großen Wiese hinter dem Heim, das sie ihr Zuhause nennen konnte und dachte nach. 

Warum hatten ihre Eltern sie einfach abgegeben? 

Normalerweise suchte sie die Schuld zuerst bei sich.

Vielleicht war sie als Baby einfach zu laut gewesen. Oder sie sah nicht so aus, wie ihre Mutter es gerne gehabt hätte. 

Ständig kamen neue Leute ins Heim und suchten nach dem passenden Kind für ihre Familie. 

Anonym erinnerte das an ein Tierheim.

Vor langer Zeit, genau genommen 2 Jahren, hatte sie mit einigen Kindern so ein Heim für Tiere besucht. 

Auf der Fahrt hatte sie aus dem Fenster gesehen und sich das Gebäude ausgemalt. In ihrer Fantasie spielten unzählige Tiere in einem riesigen Garten durch den ein Fluss mit glasklarem Bergwasser floss.

Die Realität sah erschreckend anders aus.

Verängstigte Hunde und Katzen drängten sich an die Gitterstäbe und schauten sie mit ihren großen Augen an. 

Anonym fühlte einen Stich in der Brustgegend als sie von Dan sanft aber bestimmt weitergeschoben wurde. 

Auf eine schreckliche Art erinnerte sie das alles an ihr eigenes zuhause, in dem die anderen Kinder genauso reagierten wie die gebrochenen Tiere in den Zwingern.

Aber vielleicht, nur ganz vielleicht, hatte es auch an ihrer Mutter oder ihrem Vater gelegen.

Sie waren vielleicht noch nicht bereit gewesen die Verantwortung die ein Kind mit sich brachte zu übernehmen, oder sie war schlichtweg ein Unfall gewesen. 

Das alles, so schlimm es auch war, konnte sie ertragen.

Aber was wenn sie Anonym einfach nicht geliebt hatten? 

Stell dir vor dein Leben ist so eintönig wie der Weg der Sonne, keine Veränderungen, keine Abweichungen.

Das Leben im Heim war zwar nicht das schönste, aber Anonym liebte es trotzdem ; es war das einigste war sie besaß. 

Jeder Tag bestand aus dem gleichen Ablauf.

Um sechs Uhr weckten die Sonnenstrahlen die durch das schmutzige Fenster fielen Anonym auf und teilten ihr mit, das es Zeit war.

Zeit aufzuräumen.

Sie verbrachte den Morgen damit, das Frühstück vorzubereiten, die Betten zu machen und den Boden zu wischen.

Wenn sie ein paar Momente nichts zu tun hatte, würde sie sich auf die Wiese setzen und nachdenken. 

Sie würde jedes Mal zu dem Entschluss kommen, das es egal war warum sie hier war und nicht in einem großen Haus. Es war nun mal so und nichts konnte etwas daran ändern, ob sie es nun wollte oder nicht.

Das war auch ein wichtiger Punkt für Anonym.  

Wollte sie überhaupt hier weg, zu jemand völlig Fremden? Immer wenn ein Kind freudestrahlend seine wenigen Habseligkeiten aus dem Gebäude trug und zu zwei Menschen ins Auto stieg, fragte sich sie was nun passieren würde. Konnte man sich an Eltern gewöhnen, wenn man nie welche besessen hatte?

Und was wenn sie nicht so nett waren wie sie aussahen?

Wenn Anonym eins in den Jahren im Heim gelernt hatte, war es das Menschen immer zwei Gesichter hatten.

Ein Gesicht was sie für die Öffentlichkeit aufsetzten. Normalerweise war an diesem Gesicht nichts auszusetzen, es erweckte leicht den Verdacht das die Person nett und vertrauenswürdig war. 

Aber das andere Gesicht, was sie nur privat zeigten, war eine andere Angelegenheit. Je freundlicher man in der Öffentlichkeit war, desto verbitterter waren die meisten Menschen wenn niemand da war um sie zu beurteilen.

Deswegen mochte Anonym offen schlecht gelaunte Menschen mehr ; die niemanden an sich ran ließen und ihre Gefühle vor den anderen versteckten. 

Solche Personen waren wenigstens ehrlich. 

Eine Charaktereigenschaft die Anonym gerne an mehr Menschen sehen würde.

Im Heim gab es wenigstens Dan. 

Dan war ein Mann um die siebzig, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte den Kindern das Leben im Heim so lebenswert wie möglich zu machen.

Vor einiger Zeit hatte er das St. Trevors übernommen und alle verbitterten Aufseher rauswerfen lassen. 

Er war mittlerweile der einigste der hier arbeitete.

Anonym fragte sich oft was passieren würde wenn Dan einmal starb.

Wenn niemand mehr hier war der auf die Kinder aufpasste, würden sie auf andere Heime verteilt werden? 

Oder würden neue Aufseher kommen, die nichts von Dan’s Herzlichkeit in sich hatten?

Im Heim herrschte ein gewisser Respekt vor dem alten Mann mit dem freundlichen Lächeln und den silbernen Haaren.

Es würde einfach nicht richtig sein, etwas zu tun das ihm missfallen würde.

Er war der einzige dem Anonym vertraute ; er war so was wie ihr Ersatzvater.

Alles in Allem war Anonym mit ihrem Leben vollkommen zufrieden gewesen. 

Bis zu dem einen Tag.

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 15.06.2014

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