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Star Trek - das leere Raumschiff

Er schrie.

Das Raumschiff hallte seine raue, abgenutzte Stimme wider, warf sie durch die verlassenen Gänge und zerschmetterte sie an den Wänden – niemand antwortete. Sie alle schwiegen vor Angst.

Der Hass loderte in seinen roten Augen auf, als er auf die Schaltzentrale des Schiffs einschlug und erneut brüllte, blind und wild vor Wut und Verzweiflung. Funken sprühten auf und Schaltkreise blitzten als er wahllos Kabel aus der Konsole zerrte und Maschinen lahmlegte, das ganze Raumschiff schien zu ächzen unter seiner Rebellion gegen die Stille und die Tränen, die sich in seinen Augen anstauten und auch, als das Blut kochend durch seine Schläfen pulsierte und sein Atem zitterte, vor Rage, war er noch nicht fertig.

„Bitte... wir können doch nichts dafür...“, wimmerte eine Frau, die sich verstört an eine der großen, weißen Säulen klammerte. „Verschonen Sie uns... ich bitte Sie. Meine Crew und ich, wir können nichts dafür, was die mit ihnen gemacht haben. Wir haben doch keine Ahnung...“

Er hielt inne. Sein Blick schweifte über die unzähligen verängstigten Menschen, die ihn aus großen Augen anstarrten. Sie alle hatten Familie. Sie hatten Leben zu beschützen. Eine Crew. Sie hatten Zukunft. Und er nicht mehr.

Kurz wurde sein Blick weicher und für wenige, schreckliche Sekunden schien er zu begreifen, was er hier tat. Das blanke Entsetzen trat in seine Augen, seine Hand ballte sich zur Faust, als wolle er nach etwas greifen, was nicht da war, seine Pupillen suchten nach Halt in dem alles erschlagenden Chaos, das er geschaffen hatte. Er atmete tief ein, versuchte, seinen Puls zu beruhigen, sah in das hoffnungsvolle Gesicht der blonden Frau – dann legte er ohne ein Wort den Schalter der lebenserhaltenden Maschinen um und spürte, wie der Sauerstoff aus der Luft wich, während er den Atem anhielt.

Er blieb, bis es zu Ende war.

In seinen blanken Augen spiegelten sich die unzähligen Körper der Toten, als er sich über ihnen seinen Weg nach draußen bahnte.

Sie waren die vierten gewesen, diese Woche.

 

**

 

„Raumschiff der Föderation voraus, Captain.“

Starling drehte sich herum. Hatte sie richtig gehört?

„Ein Raumschiff der Föderation?“, wiederholte sie und runzelte die Stirn. „Unmöglich. Wir sind die einzige Mission in diesem Sektor.“

„Sehen sie selbst“, meinte ihr zweiter Pilot und deutete auf das Display.

„Holen Sie's mir auf den Schirm“, wies sie ihn an und tatsächlich: Das Schiff, dass nun vor ihr in Übergröße erschien, war ohne Zweifel eine Föderationsmaschine. „Was zur Hölle...?“, fragte sie und beugte sich vor. „Die Allister II? Die ist in einem völlig anderen Sektor unterwegs.“

„Gibt es ein Problem?“, fragte Colins, ihr erster Offizier.

„Die Allister II“, wiederholte Starling langsam. „Schwebt ein paar Kilometer von uns entfernt. Was sagen Sie dazu?“

„Unmöglich“, bestätigte Colins ihre Annahme. „Die sind an den Grenzen, nicht im inneren Bereich.“

„Was haben wir für Informationen?“, fragte sie ihren Techniker.

„Die Allister II“, begann der Vulkanier, „Ist vor vier Monaten zu einer Mission im Sinne der Grenzkontrolle aufgebrochen, hat vor circa 2 Stunden ihren letzten Funkkontakt zur Zentrale hergestellt und scheint rapide vom Kurs abgekommen zu sein, innerhalb der letzten eineinhalb Stunden.“

„Was ist mit der Crew?“, fragte sie weiter. Vielleicht war das nicht ihre Angelegenheit. Als reines Frachtschiff sollte sie sich aus den Föderationsangelegenheiten vielleicht lieber raus halten.

„Die Geräte müssen kaputt sein“, schüttelte Zark den Kopf.

„Unmöglich, wir sind gerade frisch aus der Wartung“, gab Colins zurück. „Was zeigen sie an?“

„Das kann nicht sein“, murmelte Zark, für einen Vulkanier erstaunlich verwirrt. „Schlichtweg unmöglich.“

„Jetzt rücken Sie mit der Sprache raus, was ist es?!“, fragte Starling ungeduldig. Sie verloren viel zu viel Zeit.

„Keine... keine lebenden Crewmitglieder an Bord, Captain.“

„Was soll das heißen?!“, fragte sie verwirrt. Sie hatte ein Ziehen in der Magengrube, ein leichtes Kribbeln im Hals. Vielleicht waren das die Abenteuer, die ihr Vater ihr immer erzählt hatte. Vielleicht fing es jetzt an, mit den großen Geschichten, die man sich ehrfürchtig im ganzen Universum erzählte. So wie die USS Enterprise, die gerade erst aufgebrochen war. Sie war abgelehnt worden. Zu schlechte Noten. Und jetzt dümpelte sie durchs Weltall, Frachtfahrten, lieferte Rohstoffe ab und hoffte auf den großen Knall.

„Ein lebendiges humanoides Lebewesen wurde klassifiziert“, berichtete Colins, der sich über Zarks Bildschirm gelehnt hatte. „Und das Raumschiff scheint alleine von ihm gesteuert zu werden.“

Ihr Pilot lachte auf. „Jetzt machen Sie sich aber lächerlich. Ein Föderationsschiff? Von einer Person? Was für ein Blödsinn.“

„Captain?“ Colins sah sie an. „Was soll getan werden?“

Starling richtete sich in ihrem Sitz auf und festigte ihren Blick.

„Wir werden uns das Ganze aus der Nähe ansehen“, nickte sie dann. Ein abenteuerlustiges Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. „Genau jetzt.“

 

**

 

„Ich halte das wirklich nicht für eine gute Idee“, schüttelte Colins den Kopf. „Das Schiff ohne Captain und 1. Offizier zurückzulassen und zu allem Überfluss auch noch den führenden Techniker und den Chefchirurgen mitzunehmen. Das grenzt an Wahnsinn, Starling.“

„Danke“, erwiderte sie lächelnd und wartete auf das wohlbekannte Kribbeln des Beamers. „Ich wusste schon immer, dass sie voll hinter meiner Führungsposition stehen.“

„Captain...“ Colins schüttelte kritisch den Kopf. „Es geht nicht um ihre Position – aber sollten wir nicht vielleicht doch erst die Föderation verständigen und warten?“

„Auf keinen Fall“, wehrte sie ab. „Was, wenn es doch ein Fehler der Geräte ist? Es war ein Kurzscan. Wenn doch noch Leute am Leben sind und nur übersehen worden sind, müssen wir sie retten. Und wenn nicht, sollten wir dringend herausfinden, was hier schief gegangen ist und ob das wirklich an die Öffentlichkeit gelangen muss. So machen es doch alle führenden Raumschiffe. Was glauben Sie, wie viele Fälle die Enterprise inzwischen vertuscht haben wird?“

„Die Enterprise!“, rief Colins. „Sie haben gut reden. Die sind die Helden der Nation! Wir sind ein einfaches Frachtschiff dritter Klasse, ohne große Abwehrmaßnahmen an Bord.“

„Hat hier jemand Enterprise gesagt?“ Zark beugte sich vor. „Einer meiner Verwandten ist dort mit an Bord. Ich könnte ihn anfunken.“

„Auf keinen Fall“, unterbrach Starling ihn. „Das ist unser Fall. Wir werden niemanden anfunken – bis ich es anordne. Ced, bist du so weit?“

Der Chirurg blickte auf – bis eben hatte er seinen Rucksack geschnürt und alle möglichen medizinischen Mittel eingepackt. „Ja, meinetwegen kann's losgehen.“

Starling nickte.

„Wir könnten ihn aber wirklich anfunken. Sein Name ist Mr. Spock und -“

„Ja, wir wissen, er ist ein Cousin dritten Grades“, seufzte Colins. „Die Geschichte erzählen Sie uns dreimal am Tag. Und trotzdem glaube ich, er wird anderes zu tun haben als uns dabei zu helfen, Abenteurer zu spielen und das Schicksal unserer Crew leichtfertig aufs Spiel zu setzen.“ Es folgte ein eindringlicher Blick und ein Räuspern zu Starling.

Sie schüttelte den Kopf.

„Ach was. Was soll schon passieren. Wir sind im inneren Sektor, bis hierhin trauen sich die Klingonen lange nicht. Wird schon schief gehen.“

Dann erklang das wohlbekannte Sirren und die Szenerie vor ihren Augen verschwamm.

 

**

 

Sie waren alle tot.

Erschlagen von dem grausamen Bild, das sich ihnen darbot, taumelte Starling ein paar Schritte zurück, nur um gegen eine zerstörte Schaltsäule zu taumeln, aus der bedrohliche Funken sprühten, als ihr Schutzanzug damit in Kontakt kam.

Selbst durch den Helm nahm sie den Gestank nach Blut und Leichen wahr, nach Feuer und Ruß und Tod.

„Beth...“, flüsterte Colins, „Oh mein Gott, Beth...“ Er schien gar nicht zu bemerken, dass er ihren Vornamen benutzte.

Cedrick schüttelte seinen Kopf, als könne er nicht fassen, was er sah. Stichprobenartig begann er, den Puls einiger Körper zu checken – nur um ein vernichtendes Urteil zu bekommen. „Alle tot. Hier ist keiner mehr am Leben.“

Starling schluckte. Sie war auf vieles vorbereitet worden, während ihrer Ausbildung, aber das hier war etwas, für das sie nicht gewappnet gewesen war. Noch nie hatte ihr ein Bild derartig die Sprache verschlagen.

„Sie sind erstickt“, stellte Zark sachkundig fest. Er schien der einzige zu sein, den der Anblick der unzähligen Leichen nicht großartig berührte. Verdammte Vulkanier. „Sehen Sie, wie blau sie sind? Einige haben noch die Hand am Hals. Irgendetwas scheint die lebenserhaltenden Systeme beschädigt zu haben.“

„Aber einer lebt noch“, argumentierte Starling dagegen. „Was ist mit ihm?“

„Vielleicht ein außerirdisches Wesen?“, fragte Colins.

„Nein, es war eindeutig humanoid“, wehrte Zark ab. „Vielleicht war er durch Zufall geschützt.“

„Dann sollten wir ihn holen und zwar schnell“, beschloss Starling. „Er wird uns mehr sagen können.“

„Beth“, hielt Colins sie am Arm zurück. „Beth, vielleicht sollten wir uns das nochmal überlegen. Es kann gut sein, dass er ein Überlebender ist, aber was, wenn... naja... wenn er der einzige Lebende ist, weil er... für das hier verantwortlich ist?“

Sein Blick schweifte über die leblosen Körper. Starling lachte hell auf. „Ja, sicherlich, Colins. Einer von der Besatzung beschließt plötzlich, alle umzubringen und findet zufällig auch noch einen Weg, sich zu schützen. Genau.“

„Er hätte uns anfunken können“, meinte Cedrick plötzlich. „Warum hat er das nicht getan?“

„Vielleicht weil das Schiff voller Leichen ist?!“ Starling hatte die Nase voll. Sie würden ihr dieses Abenteuer nicht kaputt machen. „Wenn er wirklich geschützt war, ist er vermutlich unten gewesen. Als Mechaniker ist er kein Funkexperte!“

„Aber er steuert das Schiff, ganz alleine... er... er hat den Kurs geändert!“, rief Colins. „Beth, ich bitte dich...“

„Starling“, unterbrach sie ihn unwirsch. „Für dich immer noch Starling.“

Dann drehte sie sich ohne ein weiteres Wort zu Zark. „Zark, wo ist dieser geheimnisvolle Überlebende?“

„Auf der Brücke, Captain.“

Sie nickte und begann, sich ihren Weg zwischen den Leichen hindurch zu bahnen. In ihrem Hinterkopf kratzte etwas an ihrem Gewissen. Natürlich hatten die Anderen Recht, irgendetwas war hier faul und die Fragen wurden mehr als die Antworten, dennoch wollte sie jetzt nicht umkehren. Vielleicht wäre das ihre Chance, befördert zu werden und eine ähnliche Mission wie die Enterprise anzuführen. Sie war für Größeres bestimmt als das hier, und das hatte nicht nur sie, sondern auch ihr Vater gewusst. Außerdem konnten sie jederzeit zurück auf ihr Schiff. Sie waren sicher.

Zumindest versuchte sie, sich das einzureden.

 

**

 

Er saß da, als würde das Schiff ihm gehören.

Starling wusste, dass er sie längst bemerkt hatte.

Die Brücke war tot, wie alle anderen Teile des Schiffs. Der Captain der Allister II lag mit leeren Augen neben seinem ehemaligen Sessel, der nun einen neuen Besitzer gefunden hatte. In diesem Teil des Raumschiffs war Blut vergossen worden. Kabel hingen aus der Decke, das Licht flimmerte und blitzte durch die Luft, bis Zark seinen Decoder nahm und das Signal störte, sodass es ganz ausfiel und den Raum voller Leichen in Dunkelheit tauchte.

Sie gab sich Mühe, nicht auf all die angstverzerrten Masken der Toten zu starren. Es war, als würden sie alle sie anstarren.

Was tust du, Starling? Was ist das für ein Wahnsinn, in dem du hier das Leben deiner Crew aufs Spiel setzt?

Sie schluckte und versuchte, sich auf das einzig wichtige zu konzentrieren; der Mann im Sessel des Captains.

Er saß da, die roten Augen starr auf die Displays vor ihm gerichtet, wie in Trance. Er hatte tiefe Augenringe und war blass, selbst in diesem Licht stach seine Hautfarbe hervor wie ein Haufen Schnee. Seine Hände zitterten. Wer war er?

„Ich habe gleich gesagt, er gehört nicht zur Crew“, flüsterte Colins leise, als auch er sah, dass da kein Abzeichen auf der Brust des Fremden war. Schwarz in Schwarz – sonst nichts.

Plötzlich erklang ein leises, spöttisches Lachen. Starling zuckte zusammen und starrte den Fremden an, der noch immer den Blick gesenkt hatte, aber nun immer lauter wurde. Obwohl es ihr unglaubliche Angst machte, wie er sich benahm, weckte er Mitleid in ihr. Das war kein selbstgerechtes, fröhliches Lachen, das war das Lachen eines Mannes, der am Ende seiner Existenz angekommen war und lachte, um nicht zu weinen. Ein Appell an die Ungerechtigkeit und Lächerlichkeit der Welt.

Eine Weile geschah nichts. Er lachte, während Tränen über seine Wange liefen und sie standen da und starrten ihn an, erstarrt vor Angst.

„S...Sir...?“, fragte sie nach einer halben Ewigkeit.

Er hob den Blick. Ein Blick, der triefte vor Schmerz und Verzweiflung. Das leise Lächeln um seine Lippen konnte nicht vertuschen, dass er alles verloren hatte und nichts, rein gar nichts mehr irgendeinen Sinn für ihn hatte. Er war von der gefährlichen Sorte Mensch, wenn er denn einer war.

„Captain Bethany Starling mein Name“, versuchte sie, sich respektvoll und trotzdem stark vorzustellen, wie man es sie gelehrt hatte.

Lass den Feind nicht wissen, wenn du Angst hast. Sei stark. Eindrucksvoll. Gib ihm das Gefühl, du weißt, was du tust.

Aber irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass das umsonst war. Dieser Mann wusste, wie sehr sie innerlich zitterte.

Sein Lächeln wurde breiter und er starrte wieder auf die Displays, fuhr abwesend über die Kontrollleiste, bis er erwiderte: „Ja... so etwas habe ich mir schon gedacht.“

„Sir, können Sie uns sagen, was hier passiert ist?“, fragte Cedrick, der als erster die Stimme wieder gefunden hatte.

„Hier?“ Er sah sich um, als würden ihm erst jetzt all die Leichen auffallen. „Achso... sie sind gestorben. Wir ihr es immer tut. Lächerliche, kleine Menschen. Immer müsst ihr euch beweisen, wie großartig ihr seid, aber wenn es um wahre Stärke geht... ihr seht ja, wer gewonnen hat.“

Colins sog scharf die Luft ein, aber bevor er etwas sagen konnte, schritt Starling ein.

„Sir, bitte identifizieren Sie sich.“ Sie versuchte mit aller Kraft, das Zittern aus ihrer Stimme zu verbannen. Er musterte sie ein paar Sekunden, bevor er sich aufrichtete und vom dem Sessel fort schritt. Er lief über die Leiche des Captains, ohne Notiz von den brechenden Knochen unter seinen Füßen zu nehmen. Schließlich blieb er stehen, an der höchsten Stelle der Brücke und drehte sich zu ihnen. Sein Blick vereiste.

„Meine Name...“, begann er. „Ist Khan.“

Sie sah, wie Cedrick zurück taumelte. Colin rutschte die Waffe aus der Hand. Selbst Zark öffnete den Mund, nur um ihn wieder zu schließen. Und sie selbst? Sie erstarrte endgültig zum Eisblock und stierte den Mann an, der sich gerade als ihr größter Feind entpuppt hatte. Sie hätte die Föderation verständigen sollen. Sofort.

Er lächelte wieder sein seltsames, trauriges Lächeln und musterte belustigt ihre verängstigten Gesichter.

Er durfte hier nicht sein.

„Aber... Sie und ihre Crew...“

Sie wurde davon unterbrochen, dass die Brüstung der Brücke mit einem lauten Bersten unter seinem Tritt zerbrach. Er schrie.

„Wage es nicht! Wage es nicht, ihren Namen in den Mund zu nehmen!“, brüllte er und seine dröhnend tiefe Stimme wurde von den Wänden wider geworfen und versenkte sich vibrierend in ihren Schläfen. Er stand da, keuchend und zitternd. Colins Hand lag plötzlich in ihrer und sie drückten einander so fest, dass ein stechender Schmerz durch ihr Handgelenk fuhr. „Eure dreckigen Mäuler sind ihrer Erwähnung nicht wert! Hört auf so zu tun, als könntet ihr auch nur ansatzweise begreifen, wer sie waren und was sie bedeuten!“

„Okay...“, hauchte Ced und hob beschwichtigend die Hände. „Okay.“

„Okay?!“, wiederholte Khan. „Okay? Ja, das sieht euch ähnlich. Für euch ist immer alles okay. Okay. OKAY!“

Als nächstes ging der Stromkasten unter seinem Tritt unter. „Es ist das vierte Schiff diese Woche! Und ich habe sie immer noch nicht wieder gefunden!“

„Wen?“, fragte Zark.

„Meine Crew“, zischte Khan verächtlich. „Ich bin aufgewacht und sie waren fort. Mitgenommen. Damit ich kooperiere. Aber mit der Kooperation ist es vorbei. Jetzt ist meine Zeit angebrochen – meine RACHE!“

Funken sprühten auf, als er in blinder Wut Kabel aus der Wand riss und um sich schleuderte. „Ich werde sie finden. Und wenn ich sie nicht finde, dann werden immer mehr Leute sterben. Bis sie sie rausrücken!“

„Sie rotten... seit Wochen Schiffe aus?“, fragte Starling entsetzt. Ihre Stimme war kaum hörbar, so sehr zitterte sie. „Sie kapern sie, suchen nach ihrer Mannschaft und wenn sie nicht da ist, dann... dann töten sie die gesamte Besatzung?“

„Sie hätten mich nicht wecken sollen“, knurrte Khan und schüttelte den Kopf. „Sie hätten mich NIEMALS wecken sollen.“

„Sie hinterlassen leere Raumschiffe...“, murmelte Cedrick. „Ausgelöscht durch Ihren Hass.“

„Sie könnten mir meine Crew wiedergeben. Aber das tun sie nicht. Also werde ich weiter gehen“, erwiderte Khan. „Und glücklicherweise ist da direkt vor mir ein neues Raumschiff aufgetaucht – ohne Spur von Captain und erstem Offizier.“

Sie hörte das Sirren des Beamers zu spät. Sah das goldene Flimmern erst, als seine Gestalt schon verschwamm.

„Nein!“, schrie Colins. Der Schuss seines Phazers ging ins Leere.

„Scheiße“, fluchte Cedrick. „Was hat der Typ vor?!“

„Er wird auf unser Schiff gehen, feststellen, dass seine Besatzung nicht da ist und... sie alle umbringen“, zählte Zark auf.

„Danke“, zischte Starling. „Das haben wir jetzt wirklich gebraucht.“

„Wir müssen hinterher!“, rief Colins und zog sein Funkgerät. „Simons! Simons, hören Sie mich?!“

Keine Antwort.

Starling stürzte zu der großen Frontscheibe und starrte ihre geliebte Packers 27 an. Sie lag ganz unschuldig da, friedlich, kein Anzeichen von Terror, doch das, was vermutlich gerade in ihrem Inneren vorging, drehte ihr den Magen um. Schuldbewusstsein kochte in ihr hoch wie in einem Vulkan und raubte ihr den Atem.

„Beth...“

Sie fuhr herum. Vor ihr standen drei ihrer wichtigsten Crewmitglieder, mit denen sie die letzten drei Monate gearbeitet, gelebt und eine innige Freundschaft gepflegt hatte. Aus ihren Augen sprach die blanke Angst und ein stummer Vorwurf.

„Es tut mir Leid...“, flüsterte sie. „Es tut mir so Leid...“

„Keine Zeit für Selbstvorwürfe“, unterbrach Colins sie. „Wir brauchen einen Plan. Und zwar schnell. Über die Konsequenzen können wir immer noch reden.“

Sie nickte dankbar. „Zark, haben wir Energie?“

Der Vulkanier schüttelte bedauernd den Kopf. „Er hat alles ausgestellt. Keine Chance. Der Funkkontakt ist tot.“

„Wie viel kriegen Sie repariert in den nächsten fünf Minuten?“, fragte sie hektisch.

Viel mehr Zeit würden Sie nicht haben, spätestens dann hätte er seinen Weg zu den lebenserhaltenden Steuersystemen gemacht.

„Den Beamer vielleicht...“

„Wie viel brauchen Sie für die Torpedos?“, fragte sie eindringlich.

„Die was?!“, rief Cedrick entsetzt. „Du verarschst uns.“

„Wie lange?“, wiederholte sie erneut.

„Eine viertel Stunde, höchstens“, erwiderte Zark, „Aber ich weiß wirklich nicht, ob das empfehlenswert wäre...“

„Setzen Sie sich an den Beamer“, wies sie ihn an. „Colins, Cedrick, ich werde gleich hinüber gehen und versuchen, ihn abzufangen. Wir müssen ihn aufhalten, nur kurz, aber ich brauche einen Vorsprung.“

„Was haben Sie vor?“, fragte Colins mit gerunzelter Stirn. Jetzt siezte er sie wieder.

„Egal, was ich Ihnen gleich erzähle“, begann sie, „Versprechen Sie mir, meinen Befehlen zu gehorchen.“

Ihr Herz schlug höher, als sie die Beiden mit einem eindringlichen Blick bedachte.

Ein paar Sekunden geschah nichts.

Dann nickte Colins.

„In Ordnung. Was ist der Plan?“

 

**

 

Starling lief. Sie war viel gelaufen in ihrem Leben, für den sportlichen Einstellungstest für die Offizierslaufbahn, um Sachen hin und her zu tragen, wenn die Angestellten mal wieder etwas vergessen hatten, um Stempel und Unterschriften für die Unterlagen zu bekommen, aber noch nie war ihr irgendetwas so wichtig gewesen, wie jetzt.

Sie versuchte, die ohnmächtige technische Assistentin im Beamer-Raum zu ignorieren und begann zu sprinten, sobald sie sich orientiert hatte. Sie wusste instinktiv, welchen Weg Khan nehmen würde und so nahm sie sofort die Abkürzung durch die breiten Lüftungsschächte. Es war keine Zeit zu verlieren, ihr war klar, dass er sich nicht erst die Mühe machen würde, nach seiner Crew zu suchen. Er wusste, dass hier nichts zu holen war und würde sich allein auf seine Rache konzentrieren.

Sie ließ nicht zu, dass die kalte Panik sich in ihr Herz biss, noch nicht.

„Khan!“, schrie sie. Immer und immer wieder. „Khan!!“

Sie wollte alles, aber nicht, dass sie verlieren würde. Nicht wegen ihres dämlichen Abenteuergeists. Es waren zu viele unschuldige Leute an Bord.

„KHAAAN!!“

Sie rutschte aus dem metallenen Schacht und landete auf beiden Füßen. Er stand mit dem Rücken zu ihr an den Kontrollsystemen, beachtete sie nicht.

Ohne lange nachzudenken stürzte sie sich auf ihn und schubste ihn von den Kabeln weg. Die Überraschung stand auf ihrer Seite, doch sie hatte das Gefühl, sie würde auf Stahl einprügeln, als sie ihm ins Gesicht schlug. Es reichte trotzdem, um ihn für wenige Sekunden abzulenken und zur Funkanlage zu sprinten.

„Hier spricht Captain Starling!“, schrie sie und hörte, wie ihre Stimme von allen Lautsprechern des Schiffs ausgestrahlt wurde. „Evakuieren Sie das Schiff! Setzen Sie sich ab und ziehen Sie zur Allister II, die Beamer stehen berei...“

Brüllender Schmerz explodierte in ihrem Hinterkopf. Mit einem Knall schlug sie auf dem Metallkasten auf, spürte, wie er ausholte, um ihr das Bewusstsein zu nehmen, doch das Adrenalin, das durch ihre Venen pulsierte, verlieh ihr ungeahnte Kräfte. Mit einer schnellen Bewegung ließ sie sich zu Boden rutschen.

Zerberstendes Metall neben ihrem Gesicht.

Heißes Blut lief ihr in die Augen.

Aber er hatte nicht sie getroffen.

Sie versuchte, das schrille Fiepen in ihren Ohren zu ignorieren, rutschte zwischen seinen Beinen hindurch und verpasste ihm mit dem Phazer einen Schlag auf den Hinterkopf, sodass er nach vorne kippte und sich die Stirn einschlug. Sie schoss. Und schoss. Und schoss.

Er ächzte, taumelte, fiel aber nicht.

Entschlossen stellte sie den Schalter von Betäubung auf tödlich. Er hatte es so gewollt.

Doch sie war nicht schnell genug. Seine Finger schlossen sich wie eine eiserne Handschelle um ihr Gelenk und sie schrie auf, vor Schmerz, als ihr die Waffe aus den Fingern rutschte. Mit Schweißperlen auf der Stirn kickte sie sie außer Reichweite.

Wortlos versenkte er die Faust in ihrer Magengrube und es raubte ihr sowohl Atem als auch jegliche Besinnung, doch nun war ihr Kampfgeist geweckt. Sie schluckte, richtete sich unter Schmerzen auf und wich dem nächsten Schlag aus, dann trat sie ihm mit aller Kraft seitlich gegen das Knie.

Ihr Tritt selber konnte nichts ausrichten, doch der Schwung reichte, um sein Gelenk zu verdrehen und ihm einen Laut des Schmerzes zu entlocken.

„Meine Crew kriegst du nicht“, keuchte sie und trat erneut zu. „Sie können nichts dafür und ich werde dafür sorgen, dass sie sicher hier weg kommen!“

Er schlug zu und ihre Nase schien unter seiner Faust zu explodieren, so heiß jagten die Wellen des Schmerzes durch ihr Gesicht. Kurz war er ihr ganz nahe. Sie konnte seinen heißen Atem auf ihrer Haut spüren und ihre Hände begannen unkontrolliert zu zittern.

„Sie konnten auch nichts dafür. Nicht eine Sekunde“, zischte er und holte aus. „Und deshalb werde ich euch zeigen, jedem einzelnen von euch, was wahrer Schmerz bedeutet.“

Sie wusste, dass er nicht von dem folgenden Schlag sprach und trotzdem hob er ihre Welt aus den Angeln und trieb ihr Tränen in die Augen. Kurz verlor sie ihr Sehvermögen und alles drehte sich – Blut schwemmte ihr in den Mund und lief in einem heißen Schwall über ihr Kinn, ihre Beine gaben nach und so rutschte sie nach Luft schnappend und röchelnd zu Boden, wo er sie liegen ließ.

Sie sah seinen verächtlichen Blick, als er sich erneut den Geräten zuwandte wie durch einen dunklen Schleier – trotzdem tastete ihre Hand wie von selbst nach dem Funkgerät an ihrem Gürtel.

„Sind sie drüben?“, röchelte sie und versuchte, möglichst stark zu klingen, auch, wenn sie die Antwort kaum verstand, über dem Klingeln ihrer Ohren.

„Ja, Starling, sind sie...“

„Dann los.“

„Aber... was ist mit Ihnen?“

„Ich sagte los.“

„Starling...“

„Beth“, berichtigte sie ihn traurig. „Beth.“

Khan hielt inne und drehte sich zu ihr um. Seine Augen blitzten misstrauisch. Er ahnte etwas.

Sie erwiderte seinen Blick so gut es ging und nun war sie es, die lächelte. Am Ende ihrer Existenz.

„Wissen Sie noch... heute?“, fragte sie. „Colins? Als sie sagten... wir wären nicht die Enterprise?“

„Ja, Beth, ja, natürlich... aber was hat das damit zutun?“ Er klang besorgt. Vielleicht liebte er sie. Wer wusste das schon? Jetzt war es egal.

Sie schloss die Augen. „Sie hatten Recht. Wir sind nicht die Enterprise. Aber deshalb sind wir nicht weniger wert oder können weniger ausrichten.“

Sie spuckte eine weitere Welle Blut auf den Boden. Khan zuckte kaum merklich zusammen.

„Die schweben durch ihr Weltall und sind die Helden... die retten die Welten, nicht wir. Wir sind die Opferzahl. Die Statistik. Der Grund, sie zu ihren Taten zu bewegen.“

„Beth...“

„Shh“, würgte sie ihn ab. „Aber davon habe ich die Schnauze voll. Es ist nicht James Tiberius Kirks Privileg, der Held zu sein. Ich will keine Zahl sein. Ich will, dass einmal...“, sie hustete, „Einmal auch die Statistik einen Namen hat. Also schießen Sie die verdammten Torpedos. Es ist unser Recht, uns zu opfern. Schießen Sie und bringen sie uns beide zusammen um, dann rufen sie die Föderation und erzählen Sie denen, dass ihre Enterprise ausnahmsweise einmal nicht zur Stelle war. Aber wir können auch Helden sein.“

Ein paar Sekunden herrschte Stille. Khans Augen verengten sich zu Schlitzen. War das Anerkennung?

„Beth...“

„Ja?“

„Ich liebe dich.“

Also doch. Sie lächelte. „Ja“, sagte sie dann leise. „Ja. Und jetzt schieß.“

Es kam keine Antwort mehr.

Khan neigte den Kopf. „Nicht schlecht, Menschlein“, nickte er dann langsam.

Sie lachte leise. „Sie sind mit Abstand das größte Arschloch, das mir jemals untergekommen ist. Und jetzt halten Sie die Klappe und sterben Sie, damit ich noch irgendwas geschafft habe.“

Er musterte sie, schwieg aber tatsächlich.

Das sollten sie Kirk erzählen. Dass es da draußen Leute gab, die so groß waren, wie er. Dass nur, weil sie die Helden waren, die Anderen nicht unwichtig waren. Es war ein geben und nehmen. Ohne Statistik keine Helden.

Eine Explosion zerriss das All.

Doch nur einer der beiden starb dabei.

Khan überlebte.

Weil es nicht der Job der kleinen war, die Bösewichte zu ergreifen.

Weil Bösewichte größere, epischere Tode bekamen.

Das würde ein paar Jahre später das Problem der Enterprise werden.

Und Captain Bethany Starling wurde vergessen.

Von allen.

Außer von Khan.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.04.2015

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