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1. Wettbewerb: Zeitlos

"Freut mich, Sie kennenzulernen"

Leicht erschlagen ergriff sie die Hand des Mannes, der mit einem Mal vor ihr stand. 

"Ich brauche ihre Hilfe. Welches Datum haben wir?"

"Den... 1. Oktober... 2014?", fragte sie mehr, als dass sie antwortete.

"Grandios!", rief der Typ. "Welche Stadt?"

"L...London"

"Land?"

"England?"

"Brillant!", jubelte er. "Wie ist ihr Name?"

"Jenny", antwortete Jenny überrumpelt.

"Fantastisch. Ich bin X"

"Wie?"

"X"

"Wie der Buchstabe?"

"Ganz genau"

"Ahja. Habe ich jetzt gewonnen?"

"Was denn gewonnen?"

"Naja, sie haben mir all die Fragen ja wohl nicht einfach so gestellt! Ist das kein Gewinnspiel?"

"Nicht ganz". X wiegte den Kopf. Dann sah er auf. "Ach, wissen Sie was? Sie haben gewonnen"

Jenny lachte aufgeregt. Das war ihr ja noch nie passiert!

"Und wo sind die Kameras?"

"Ähm... keine... Kameras. Ich bin vom Radio. Hier!"

Er hielt ihr ein seltsames Ding unter die Nase.

"Oh, cool!", rief Jenny. "Darf ich wen grüßen?"

"Na klar", stimmte X zu. "Aber beeilen Sie sich!"

"Schöne Grüße an Oma! Alles Gute zum Geburtstag! Wird das heute noch gesendet? Bitte sagen Sie, dass das heute noch gesendet wird, sonst ist ja gar nicht mehr ihr Geburtstag..."

"Jaja", nickte X. "Alles live"

"Live?!", kreischte Jenny auf. "Um Gottes Willen, Sie senden das alles? Ungeschnitten?"

"Ja, genau. Hören Sie, würde es Sie stören, mitzukommen?"

"Wohin?"

"In die Vergangenheit"

"Ach, so... so Hörspielmäßig? Oder habe ich eine Theaterkarte gewonnen?"

"Ja... ja. Eine Fahrkarte, um genau zu sein. Eine Fahrkarte INS Theater!"

"Ui, toll!", freute sich Jenny. "Wann geht's los?"

"Jetzt!", rief X.

"Jetzt?"

"Jetzt!"

Dann griff er nach ihrem Arm und zerrte sie mit. Sie hatte gar keine Zeit mehr, ihre Einkäufe mitzunehmen, so schnell ging das. Quer über den Platz. Und wieder zurück. Und wieder hin.

"Wo wollen Sie denn hin?!", keuchte sie. 

"Subway!", erwiderte X.

"Die U-Bahn oder das Restaurant?"

"U-Bahn"

"Da!"

Sie deutete auf das riesige Schild direkt vor den Beiden. Und schon ging es die Treppe runter. Ohne Karte. Einfach so. Er kletterte über die Absperrung und zerrte sie einfach mit. Die Security-Leute bemerkten es natürlich, aber der Kerl rannte sogar die Rolltreppe ohne Stop nach unten.

"Warten Sie!", rief Jenny. "Wo wollen sie denn hin?"

"London, 19. Jahrhundert", erwiderte der Typ.

"Shakespeare?"

"Später"

Er sprintete weiter, in einen der überfüllten Wagons. Also zumindest hätte er überfüllt sein sollen. War er aber nicht. Er war leer. Die Wachmänner, die ihnen bis eben nich dicht auf den Fersen gewesen waren, sahen sich ratlos um, als wären sie vom Erdboden verschwunden.

"Halten Sie sich fest, Jenny!", rief X. "Jetzt geht's los!"

Jenny runzelte die Stirn. "Was...?"

Doch weiter kam sie nicht. Die Welt drehte sich einmal um. Ein Knall zerriss die Luft und sie schlug hart gegen die Wand. X nicht. Er stand da, als wäre es das Normalste der Welt, dass der U-Bahn Wagon sich in eine Achterbahn verwandelt hatte. 

Jenny schrie. Und schlug erneut gegen die Wand. Und plötzlich stand alles still. X lächelte breit. 

"Herzlich Willkommen"

"Wozu?". Sie richtete sich auf und rieb sich den schmerzenden Kopf.

"Schauen Sie doch selbst"

Langsam ging Jenny zu einem der Fenster und spähte nach draußen. Es war, als wäre mit einem Schlag jegliche Luft aus ihrem Körper gewichen. Die Welt, wie sie sie kannte, war verschwunden.

3. Wettbewerb: 2. Fortsetzung "Hinter den Spiegeln"

Meine Augen brennen.

Meine Haut.

Mein Herz.

Es ist, als würde die Sonne mich langsam zu einem zähflüssigen Klumpen schmelzen.

Ich weiß nicht wohin, aber meine Füße tragen mich trotzdem weiter, einem unbekannten Horizont entgegen, von dem ich nicht einmal weiß, ob er echt ist. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren und eigentlich ist es mir auch egal. Irgendwann knicken meine Beine ein, weil sie meine Last nicht mehr tragen wollen und so lasse ich mich in den glühenden Wand sinken, starre in den blitzblauen Himmel und versuche, meine Gedanken zum Stehen zu bringen. 

Was, wenn sie Brian etwas antut?

Meinen Eltern?

Mein Leben zerstört?

Was, wenn alle mir die Schuld geben, für das, was sie tut?

Es ist hoffnungslos. Das Karussell in meinem Kopf dreht sich zu schnell, als dass ich irgendwie Ruhe finden könnte. Also schließe ich die Augen.

Und als ich sie wieder öffne, ist es dunkel. 

Erschrocken setze ich mich auf. Habe ich geschlafen? Oder bin ich teleportiert worden? Ein Blick auf meine Arme bestätigt letztere Vermutung; kein Sonnenbrand. Aber wieso bin ich dann hier? Bin ich eingeschlafen und mein Unterbewusstsein hat mich hierher versetzt?

Ich lausche; kein Geräusch.

Ich sehe mich um; schwarz.

Mein eigener, zitternder Atem hallt tausendfach verstärkt in der Finsternis wieder. Ich versuche, mich fortzudenken, aber es ist aussichtslos. Meine Gedanken sickern mir durch die Finger wie Wasser. Was ist, wenn die dunklen Wesen wiederkommen? Ein kreischendes Fiepen dröhnt durch meine Schläfen und pochender Schmerz schießt durch meinen Kopf. Für ein paar Sekunden höre ich nichts als ein grauenhaftes Schrillen, versetzt mit meinem eigenen, viel zu schnellen Herzschlag, dann reißt das Geräusch ab und lässt mich in einer blendenden Helligkeit zurück. Alles ist weiß. Was passiert hier?!

Dann höre ich Musik. 

I'm walking on sunshine... Oh-ooh... 

Ich versuche, die Augen zu öffnen, aber es ist hoffnungslos. Mein Körper hängt wie gelähmt in der alles verschluckenden Grelle. Es ist, als würde das Weiß mich durchleuchten. Die Kopfschmerzen werden schlimmer.

I'm walking on sunshine... Oh-ooh!

Jemand singt. Eine männliche Stimme, noch dazu extrem schräg. Sie kam mir bekannt vor, irgendwie. Was geht hier bloß vor? 

Endlich schaffe ich es, mich loszureißen und springe auf, aus der blendenden Helle hinaus, in einen Raum. 

Es ist schwer in Worte zu fassen, was mich dahinter erwartet. Ich fühle mich, als hätte man mich in einen Cocktail geworfen, der aus Farben, Bildern und Gegenständen gemixt ist, die alle auf eine seltsame Weise miteinander verschmelzen. 

Bunte Stoffbahnen, vom Boden bis zur Decke.

Eine überdimensionale Uhr, mit Tieren statt Zahlen. Die Zeiger sind Pommes Frittes. 

Unwirklich bunte Wände, bemalt und bekritzelt mit Sätzen, Worten und Zeichnungen, die ich nicht kenne. 

Bücher. Tausende Bücher. 

Und inmitten von all dem: Brian. Mit Sonnenbrille. Und Kopftuch. Und einem Walkman.

"I'm walking on sunshiiiiiiine.... oooh-oh...", brüllt er und dreht sich ein paar Mal um sich selbst, bis er mich sieht und stehen bleibt. 

Ein paar skurrile Sekunden herrscht Stille, ich stehe da, mit zerrissenen Kleidern, verschmierter Wimperntusche und getrockneten Tränen, er die Hände noch um ein imaginäres Mikrofon gelegt, mit den scheppernden Kopfhörern des Walkmans auf dem Kopf. Wir starren uns an. Die Uhr tickt. Dann bellt sie zweimal. 

Brian schließt langsam seinen Mund und lässt seine Hände sinken.

Klick.

Der Walkman verstummt.

"Und du bist...?", fragt er.

Erst jetzt beginne ich zu realisieren, was hier vor geht. Bin ich wieder frei?! Bin ich im realen Leben? Mein Herz überschlägt sich beinahe, so heftig trommelt es gegen meine Brust. 

Ich öffne den Mund und blinzle ein paar Freudentränen aus meinen Augenwinkeln. Erleichterung durchströmt meinen Körper.

"Brian... Brian, ich bin's", weine ich und lache verzweifelt. Er sieht wirklich seltsam aus. Und sein Zimmer erst... aber das ist nicht wichtig. Hauptsache, dieser Alptraum hat ein Ende. 

"Bist du nicht dieses Mädel?", fragt mein Gegenüber nun stirnrunzelnd und nimmt seine Sonnenbrille ab. Die selben strahlend blauen Augen, von denen ich monatelang geträumt hatte. "Das, das immer mit dem Anderen rumhängt?"

"Dem Anderen?", wiederhole ich langsam und augenblicklich beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Irgendetwas stimmt hier nicht.

"Na mit dem von der anderen Seite."

Ich war nicht frei. Das Salz in meinem Mund schmeckt plötzlich nach Verzweiflung. Ich war nicht Zuhause. Ich war in Brians Spiegel. Und das hier vor mir war nicht Brian, nein. Das war sein Abklatsch. Sein Zwilling. Das war ein verdammter Irrer! 

Ich beginne, zu schreien sprinte zu einer der Wände. Keine Türen. Kein Fenster. Erst jetzt fällt mir auf, was die Stoffbahnen geschickt kaschieren. Ich bin eingesperrt. Das einzige, was einem Ausgang gleich kommt, ist der große, runde Spiegel, am anderen Ende des Raums. Er ist schwarz. So wie der, hinter den mich mein Gegenstück verbannt hat. 

Ich laufe zu der eiskalten, glatten Oberfläche und beginne, darauf einzuschlagen. Tränen steigen mir in die Augen und ich beginne, Namen zu schreien. Namen von Leuten, für deren Gesichter ich gerade alles gegeben hätte. Brian muss so nah bei mir sein... hinter dieser Oberfläche. Ich meine fast schon, die Stimme meiner Lebensdiebin zu hören, die ihn bezirzt.

"Nein!!", schreie ich und schlage mir die Hände blutig. "Lasst mich hier raus!!"

Der falsche Brian tut nichts. Er steht nur da und starrt mich an, als ich kraftlos am Boden zusammen sinke und weine. Er sieht hilflos aus. Wo ist mein Brian? Er würde mich bestimmt in den Arm nehmen. 

Eine halbe Ewigkeit vergeht, in der ich nur da sitze und mir die Augen rot weine und zitternd auf ein Wunder hoffe. Meine Bauchschmerzen kommen wieder. Das schwarze Ding regt sich und mir wird schlecht. Das hier war die absolute Hölle. 

Irgendwann habe ich keine Kraft mehr und mein Blick wandert müde zum falschen Brian.

Er lächelt schief. 

"Was zu trinken?"

"Schnaps", antworte ich trocken. Scheiß drauf. Wenn schon, denn schon.

Sein Grinsen wird breiter. "Das hört man gerne."

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.09.2014

Alle Rechte vorbehalten

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