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1. Nacht

"Nimm mir bitte Pommes mit.", rufe ich meiner besten Freundin Tyra zu die gerade von unserem Tisch in der Cafeteria aufsteht. "Du hast selber zwei gesunde Füße.", meckert sie noch aber ich weiß dass sie mir die Pommes ohnehin mitbringt.

Ich blicke in unsere Runde. Da sitzen Henry, Tyras Freund, und mein Zwillingsbruder Lokas. Die beiden streiten sich mal wieder über irgendwelche Footballergebnisse. Langweilig, genauso gut könnte ich dem Gras beim Wachsen zusehen.

Lokas und ich sind zwar Zwillinge, könnten aber unterschiedlicher nicht sein. Er ist groß und muskulös, hat haselnussbraune Haare und Augen und dieses Lächeln mit dem er die Herzen aller Mädchen zum Schmelzen bringt. Während ich eher klein und schmal bin, meine Haare sind ganz komisch rotblond und ich habe grüne Augen und meine blasse Haut ist mit Sommersprossen übersäht. Die meisten Leute können es kaum glauben dass wir Geschwister sind.

Ich zippe an meinem beigen Nagellack und die Spitze blättert ab als sich Tyra wieder auf ihren Platz neben mir fallen lässt. "Hier." Sie stellt mir meine Pommes vor die Nase und ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange. "Hey!", beschwert sich Henry grinsend. Tyra zuckt nur mit den Schultern. "Ein Mädchen muss man immer mit der besten Freundin teilen." "Ich teile gar nichts.", wirft mein Bruder ein. So ein blöder Womanizer, wenn er könnte würde er jede Nacht zehn flachlegen.

"Carline lässt doch jeden ran.", wirft Tyra ein. "Pass eher auf dass du dir keinen dicken Herpes holst." "Ich esse!", unterbreche ich sie. Die anderen lachen nur und ich kaue weiter genüsslich auf meinen Pommes.

"Gehen wir heute Abend ins Black'n White?", fragt Henry. Sofort leuchten Tyras blaue Augen auf, sie ist so ein Partymensch. Ich hingegen bin das komplette Gegenteil, ich mache es mir lieber mit einem guten Buch zu Hause gemütlich. Vielleicht sind wir gerade deshalb beste Freundinnen, sie sorgt dafür dass ich mal raus komme und ich dass sie nicht einmal wöchentlich ne Alkoholvergiftung hat. "Ja klar, wenn du uns reinbringen kannst." "Ich kenn den Türsteher, das dürfte kein Problem sein." "Cool dann sehen wir uns bei mir um acht!", dann steht Tyra auf, gibt Henry einen Kuss auf die Wange und geht zu ihrer nächsten Stunde.

"Was habt ihr jetzt?, frage ich die Jungs. "Mathe beim Koller." Ich lache. "Uhhhh, ich bin ganz neidisch. Viel Spaß." Jetzt stehe auch ich auf, hänge mir meine Converse-Tasche um, und gehe zu Bio.

Gespannt setze ich mich auf meinen Platz neben Roxette. "Hey." "Hi." Besonders viel reden wir nie miteinander. Biologie ist der einige Gegenstand den ich nicht mit Tyra gemeinsam habe, sie musste ja Physik wählen, also verbringe ich die meiste Zeit damit die Kritzeleien auf den Tischen zu entziffern. Die Unterstufenschüler finden es mal wieder besonders witzig einen Penis auf den Tisch zu malen, aber sind wir doch mal ehrlich, in der Hinsicht waren wir alle gleich.

Endlich hatte ich den heutigen Schultag durchgedrückt, ich sehe auf die Digitaluhr meines Handys, erst halb vier. Noch zu früh um bei Tyra aufzukreuzen also beschließe ich erstmal nach Hause zu gehen und zu duschen. Meine Mum versucht mich im Flur mit Fragen zu löchern, doch ich flüchte schnell ins Badezimmer. Ich betreibe nicht gerne Konversation mit meiner Mutter, das endet für mich meistens peinlich.

Langsam ziehe ich mich vor dem Spiegel aus und betrachte mich von oben bis unten. Heute ist wieder einer dieser Tage an denen ich einigermaßen zufrieden mit mir bin. Mein Bauch ist flach, mein Busen schön straff und meine Wangen leicht rosa. Ich schalte das Wasser ein und lasse es über meine Hand laufen bis ich mit der Temperatur zufrieden bin, dann steige ich unter das warme Wasser. Manche Leute singen unter der Dusche, andere versinken in ihren Gedanken, ich stehe einfach nur da und starr auf meine Zehen. Einfach abschalten und an nichts denken, das entspannt mich am besten.

Ich tapse nur in meinem Bademantel in mein Zimmer zurück und hinterlasse nasse Fußabdrücke auf dem Parkett. Ich löse den Handtuchturban den ich um meine Haare gebunden hatte und beginne durch meine langen Locken zu kämmen um sie anschließend trocken zu föhnen.

Als ich fertig bin und mich angezogen habe bekomme ich eine SMS von Tyra.

 

- Beweg deinen süßen Arsch hier rüber, ich weiß nicht was ich anziehen soll':*

 

Lachend lasse ich mein Handy in meine Tasche gleiten, packe meinen Mascara und den Rosé farbenen Lippenstift ein. Ich ziehe meine Ballerinas an und mache mich auf den Weg, zwei Blocks weiter, zu meiner besten Freundin.

"Ein Glück dass du da bist.", nimmt sie mich sofort in Beschlag als ich bei ihr ankomme. Skeptisch sehe ich mich in ihrem Zimmer um, es ist noch chaotischer als sonst. Überall liegen Klamotten herum und mittendrin Tyra mit einer Gurkenalgen Maske und einem verzweifelt Ausdruck auf dem Gesicht. Ich fange an die Kleidungsstücke wieder zusammen zu falten. "Warum ziehst du nicht das creme farbene Top und die schwarze Leggins an die du letztens gekauft hast?", schlage ich vor. Sofort springt sie auf und kramt eine Tüte aus ihrem Schrank hervor und nimmt die Sachen heraus. Sie hat noch nicht einmal die Etiketten abgeschnitten, sie geht einfach zu oft shoppen.

Wir stehen beide vor Tyras Spiegel und schminken uns, ich nehme wie immer nur Mascara und Lippenstift obwohl Tyra vergeblich versucht mich zu etwas Liedschatten und Kajal zu überreden. "Das würde deinen Augen mehr Kontur geben." "Nein danke, ich muss heute Abend niemanden beeindrucken." "Ach das wirst du auch so.", sagt sie als sie ihre High Heels aus dem Karton kramt. Sie stakst etwas auf den zwölf Zentimetern, so ganz sicher geht sie damit noch nicht. Allerdings ist das auch egal weil sie wahrscheinlich ohnehin den ganzen Abend knutschend mit Henry in einer Ecke verbringen wird.

Wir betreten den Club; sofort schlägt mir eine Mischung aus Alkohol, Zigaretten und Schweiß entgegen. "Geil!", höre ich Tyra neben mir sagen. Ich wünschte mir schon jetzt ich wäre zu Hause geblieben. Die Musik ist bis auf das Maximum aufgedreht und ich spüre den Bass in meiner Brust vibrieren. Irgendeine Pop null acht fünfzehn Charts Nummer klingt aus den Boxen, gar nicht meine Richtung. Tyra greift nach meiner und Henrys Hand und zieht uns auf die Tanzfläche. Solange sie nüchtern ist gibt sie sich immer sehr viel Mühe dass ich mir nicht wie ein drittes Rad am Wagen vor komme aber das muss sie eigentlich nicht. Ich bin ein großes Mädchen und kann mich selbst unterhalten. Zu einigen Songs tanzen wir zu dritt, dann kommt jedoch ein langsames Lied und ich möchte mich nicht zwischen die beiden trennen. "Ich hol mir was zu trinken.", ich schenke Tyra noch ein Lächeln und gehe dann Richtung Bar.

Die Hocker sind alle besetzt also stelle ich mich zwischen einen Typen mit Tattoos und Lederjacke und einen mit Hemd und Jackett. Das krasse Gegenteil. "Was darf ich dir bringen?", fragt mich die Barkeeperin, deren Dekolleté nicht mehr viel der Fantasie überlässt. "Einen Long Island Ice Tea bitte." Sie mustert mich kurz, wohl wissend dass ich noch keine 21 bin, zuckt dann jedoch mit den Schultern und mixt meinen Drink. "Das macht vier Dollar." Als ich gerade nach meiner Geldbörse greifen möchte, knallt der Lederjackentyp einen Zehndollarschein auf den Tisch. "Geht auf mich Süße." Der Typ ist mindestens 35 und sturzbesoffen, was will der von mir? "Ahm danke..", ich will mich gerade umdrehen und gehen, da fasst er nach meinem Unterarm. "Bleib doch noch ein bisschen Schätzchen." Ich versuche mich loszureißen. "Ich bin nicht Ihr Schätzchen.", ich bemühe mich dass meine Stimme fest klingt aber meine Unsicherheit ist deutlich zu hören. "Ach komm schon ein bisschen Plaudern hat noch niemandem geschadet." Ich will gerade antworten als sich der Jacketttyp umdreht. "Sie will aber nicht plaudern!" Seine eisblauen Augen funkeln gefährlich. Der mit der Lederjacke lässt mein Handgelenk los und baut sich vor meinem Retter auf. "Und was willst du Kleiner?" "Ich will dass du verschwindest." Einen Moment lang habe ich Angst dass mein Angreifer ihm eine knallt, dieser besinnt sich aber eines besseren, murmelt noch etwas unverständliches und zieht ab.

"Danke." Ich lächle etwas verlegen. "Keine Ursache, Jeff ist einfach nur ein notgeiles A*schloch." Und dann lächelt er. Es war keines dieser typischen Kataloglächeln, es war echt und wunderschön. Einen Moment starr ich ihn nur an, dann räuspert er sich: "Ähm ich bin Austin." Er streckt mir seine Hand hin und ich nahm sie etwas perplex. "Noemi!" "Setz dich doch." Ich lächle und lasse mich auf den Barhocker fallen auf dem eben noch Jeff gesessen hat. "Danke." "Ich hab dich hier noch nie gesehen." "Ja ich bin mit ner Freundin und ihrem Freund heute zum ersten Mal hier." "Du wirkst aber auch nicht wie der typische Clubmensch." Ich beäuge sein Hemd, bei dem die obersten drei Knöpfe offen sind und sein Jackett. Austin grinst mich an. "Spaß haben ja, aber mit Stil." Ich will gerade etwas sagen, da macht mir der DJ einen Strich durch die Rechnung. The Killers klingen aus den Boxen. "Mann ich liebe diesen Song, ich hätte nicht gedacht dass die auch was ordentliches spielen können." Austin zuckt mit den Schultern. "Willst du tanzen?", seine Hand bereits ausgestreckt. Kurz entschlossen lege ich meine Hand in seine und er zieht mich mit sich auf die Tanzfläche.

Zuerst tanzen wir lockerer, dann wird die Musik wieder ruhiger. Langsam legt mir Austin seine Hände an die Hüften und ich schlinge etwas schüchtern meine Arme um seinen Hals. Während wir langsam im Takt der Musik wippen betrachte ich Austins Profil, die stechend blauen Augen, der sanft geschwungene Mund und die leicht krumme Nase, die schwarzen Haare sind gerade lang genug um ihm leicht ins Gesicht zu fallen. Normalerweise würde ich mich durch seinen Blick, der mich keine Sekunde verlässt, unwohl fühlen aber ich fühle mich von ihm seltsam beruhigt.

"Da bist du ja.", unterbricht Tyra keuchend unseren Tanz. Ich weiß nicht wie lange wir jetzt miteinander getanzt haben denn ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Ganz der Gentleman stellt sich Austin ihr sofort vor. "Du musst Tyra sein, hi ich bin Austin." Eher Tyra jedoch etwas antworten kann mischt sich Henry ein. "Ja hi und ich bin Henry, ihr Freund." Leicht verwirrt blickt Austin erst zu mir, dann wieder zu Henry. "Ahm ja, freut mich Mann." Nun scheint Tyra wieder eingefallen zu sein warum sie uns eigentlich untebrochen hat. "Noi, es ist bereits nach zwei." Ich werfe einen Blick auf mein Handy. "Verdammt, meine Mum bringt mich um!" "Wir boxen dich da schon irgendwie raus, aber wir sollten jetzt wirklich gehen.", drängt meine Freundin.

Tyra und Henry sind bereits zum Auto gegangen. "Sehen wir uns?", fragt mich Austin als wir Richtung Ausgang gehen. "Unbedingt. Warte, ich gib dir meine Nummer." Ich will schon nach meinem Handy greifen, da hält er mich auf. "Morgen, acht Uhr, wieder hier?", er sieht mich mit diesem Blick an der mich daran hindert weitere Fragen zu stellen. "Okay.", antworte ich knapp. Ich stelle mich auf meine Zehenspitzen, Austin muss sich aber trotzdem noch zu mir runter beugen damit ich ihm einen Kuss auf die Wange geben kann. "Wir sehen uns morgen."

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Tag der Veröffentlichung: 01.08.2015

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