Daniel Ziepke
Der Spalter
Ich teile gern
Komödie-Tragödie-Psycho
Copyright © 2019 Daniel Schmidt, Paderborn
Alle Rechte vorbehalten.
Für Frank
In guten wie in schlechten Tagen
wirst du ihn am Finger tragen
diesen Ring der dich verbindet
bis das Leben aus dir schwindet
Doch kurz nur ist die schöne Zeit
voll Liebe, Sex und Zärtlichkeit
"Fuß vom Tisch, Schluss mit den Faxen"
Du siehst ihr einen Besen wachsen
Ist Schwiegermutter noch vor Ort
stehst du kurz vorm Doppelmord
Jetzt Diskussionen? Schlechte Wahl
denn du bist in der Unterzahl
"Du darfst in der Küche stehn,
denn ich kann super Rasen mähn"
Ein guter Plan, doch what the fuck
plötzlich spülst du Teller ab
Man hatte sich mal richtig lieb
doch heut läuft nur noch Handbetrieb
Man hatte auch mal was im Magen
heut musst du bei McDonalds fragen
Traurig, traurig so ein Leben
doch es wird einen Ausweg geben
Mit 70, 80 hast du Ruh
zu den Arsch und raus bist du
Teilen. Mein Job ist es zu teilen, was sich im ersten Moment nach einer schönen, wenn nicht sogar gönnerhaften, Tätigkeit anhört. Ersetzt man jedoch den Begriff „teilen“ durch „stückeln“, „zerhacken“ oder „stümmeln“, so wandelt sich der gerade noch vor Ihnen stehende Samariter recht schnell in einen finster dreinblickenden Totengräber mit schwarzem Zylinder auf dem Kopf.
Meine Werkzeuge sind nicht etwa vor Weisheit triefende Worte oder früchteteilende Hände, sondern Kettensäge, Trennschleifer und die gute alte Axt. Ja, die Axt ist mir am liebsten. Ein feines Gerät. Nicht unterstützt von explodierendem Benzin oder elektrischem Strom verrichtet sie ihre Arbeit allein durch meine Muskelkraft.
Die stechenden Augen in meinem zur Fratze gerissenen Gesicht nehmen das zu stückelnde Objekt stets gierig in Augenschein, kurz bevor die wirbelnde Axt zuschlägt.
Angespannte Muskeln und Sehnen, kalter Schweiß auf der Stirn und, je nachdem was ich gegessen habe, auch eine Knoblauchfahne, verbreiten Angst und Schrecken.
Nicht zu vergessen die Schreie. Wildes, brüllendes Grölen, getrieben von hasserfüllter Raserei, genau das wünschen sich meine Kunden, während ich meine Arbeit verrichte.
Und sie haben die Wahl, meine Kunden. Entscheiden können sie sich zwischen einem kanadischen Holzfäller, einem entflohenen Perversen in Sträflingsmontur oder eben jenem Totengräber mit schwarzem Zylinder auf dem Kopf, der bei ihnen wüten soll. Ach ja, da gibt es natürlich noch den Papst, der glücklicherweise nur selten gebucht wird, da das weiße, liturgische Gewand nach Erfüllung des Auftrags nur schwer zu reinigen ist.
Blut? Warum um alles in der Welt denken Sie denn jetzt bitte an Blutflecken? Ölig sind sie, diese kleinen schmierigen Splitter, die mir in schöner Regelmäßigkeit die Kostüme ruinieren.
Schon mal mit einer Kettensäge durch einen Flachbildfernseher gefräst? Lassen Sie es besser. Außerdem ist das mein Job. Egal, ob Stereoanlage, Einbauküche oder Ledergarnitur. Ich bekomme alles kaputt, einmal sogar einen hochwertigen Whirlpool, was sich als äußerst schwierig und schweißtreibend herausstellte. Nicht etwa, dass es die Scheibe des Trennschleifers nicht mit dem getriebenen Metall des Sprudelbades aufnehmen konnte. Nein, der Whirlpool stand weit hinten im Garten, und ich hatte schlichtweg das Verlängerungskabel vergessen. Also musste die Axt herhalten. Dies stellte sich im Nachhinein als reinen Segen heraus, da die Arbeit so mehr Zeit in Anspruch nahm, was ich freudig auf der zu stellenden Rechnung berücksichtigen konnte.
Klara und Werner, ein älterer Herr mit Halbglatze, der etwas kleiner war als die hübsche, blonde Frau neben ihm, hatten ihre wahre Freude bei jedem Schlag der Axt, der ihren Luxuswhirlpool Zentimeter um Zentimeter in zwei Hälften spaltete. Klara war vor lauter Erregung so dermaßen aus dem Häuschen, dass sie nicht mehr an sich halten konnte und mir voller Übermut durch die Jeans ins Genital kniff. In diesen Momenten wurde mir immer wieder aufs Neue bewusst, dass ich zwei Menschen glücklich gemacht hatte.
Klaras Angebot, einen Saunagang zu dritt zu riskieren, in dem alles inbegriffen sein sollte, was erwachsenen Menschen Spaß macht, lehnte ich jedoch dankend ab. Nachdem mich Werner ebenfalls gekniffen hatte stand fest, dass dies eine weise Entscheidung war.
Dem Wunsch eines Pärchens aus Schöneberg, ihren kleinen Hund zu halbieren, erteilte ich ebenfalls eine Absage. Ich muss zugeben, dass ich bei dem großzügigen finanziellen Angebot, das mir offeriert wurde, kurz an meinen Trennschleifer im VW-Bus dachte, doch was zu weit geht, geht zu weit. Allein beim Anblick dieses offensichtlich bis zur Stirnhöhle zugekoksten Pärchens verging mir schnell die Lust, überhaupt etwas zu spalten.
Dusty Angel, wie sie sich mir vorstellte, war ein kleiner, dürrer Zwerg, im Minirock. Auf ihrem bauchfreien Top, das die kaum vorhandene Oberweite bedeckte, schrien mir Wendepailletten “Don`t touch“ entgegen. Wie nett, aber da musste sie wirklich keine Angst haben. Ich stellte mir die Frage, welcher Text wohl erschienen wäre, wenn ich doch, der Aufschrift zum Trotze, mit der Hand über die Pailletten gefahren wäre. “Fick mich“ wahrscheinlich. Ich verzichtete darauf, es herauszufinden.
Angel machte mich mit Apollo bekannt, einem riesen Kerl, den ich auf 2,10 Meter und 200 Kilo schätzte. Er selbst war nicht mehr in der Lage sich persönlich vorzustellen. Schwankend stand er da, wie eine Litfaßsäule aus Gummi, und brabbelte unentwegt halbfertige Sätze wie “Hund spalten. Ich nehme vorne. Vorne bellt, hinten kackt.“.
»Das ist Apollo. Er ist Immobilienhändler, schwer reich und hat immer was zu naschen in den Taschen. Mach den Hund kalt, und Apollo teilt alles mit dir.«
Mir reichte es. Mein selbst auferlegter Ehrenkodex verbot es mir, mit der Flex auf den Chihuahua loszugehen. Tiere nur, wenn man sie anschließend essen kann, und selbst diese Perversität hätte ich Angel und Apollo zugetraut. Außerdem kam die Tatsache hinzu, dass sie für den Job ausgerechnet den Papst gebucht hatten. Ich sah mich schon einige Stunden später mit einer Flasche Bleichmittel in der Waschküche hantieren. Und so ging ich, ohne meinen Auftrag auch nur begonnen zu haben, begleitet vom fluchenden Gebrüll der beiden Schneehasen, zurück zum Bulli. Das quälende Jaulen des Chihuahuas, es ging mir durch Mark und Bein, bis es schließlich verstummte, rührte wahrscheinlich daher, dass der kleine Hund in eine Heftzwecke getreten war.
An jenem Tag hatte ich mal wieder kein Geld verdient, aber die Tatsache, dass das weiße Papstgewand nicht beschmutzt worden war, spendete mir wenigstens etwas Trost. Eine andere Sache bedrückte mich allerdings sehr.
Unter der Whirlpoolaktion, einige Tage zuvor, hatte meine Axt so dermaßen gelitten, dass ich eine neue brauchte, und dieser Umstand erforderte ein Gespräch mit meiner reizenden Gattin. Toll!
Was genau mache ich denn beruflich? Gewiss habe ich Sie lange genug auf die Folter gespannt. Nun ja, auf meinem alten VW-Bus steht: “Sie trennen sich, ich trenne den Rest“ und dick darunter: “Der Spalter.“ Auf dem Dach des Bullis ist eine etwa zwei Meter lange Plastikaxt montiert, die den Anschein erweckt, als hätte sie ein Typ wie Apollo durch das Blechdach des Fahrzeugs geschlagen.
Ich teile die Einrichtung frisch geschiedener Eheleute, Lebensgefährten oder Pärchen auf, und versuchte dabei stets gerecht zu sein. Meist herrscht Einigkeit, wer beispielsweise den rechten oder linken Teil der Bose-Anlage, oder das vordere oder hintere Ende des 911er Porsches haben möchte. Ja, ich arbeite auch mit Autos.
Die ganze Sache ist ein Gag für Reiche, eher für Superreiche. Ja O.K., man hat sich getrennt, alles ist mehr oder weniger friedlich verlaufen, und jetzt möchte man es noch einmal so richtig krachen lassen. Manchmal sind nur die beiden Ex-Partner anwesend oder auch deren Familien, oft sogar ganze Partygesellschaften. Und genau so soll es sein, wenn der Spalter vorbeischaut: Eine riesen Party, am besten mit Stehtischen und Champagner, Räumen in denen noch geraucht werden darf und dann das dekadente Lachen der beschwipsten Gesellschaft, wenn der Spalter wieder und wieder zuschlägt.
Ja, dekadent. Ich bediene die versnobtesten Leute der Stadt, wie gesagt, die Superreichen. Doch das Überkandidelteste und Stinkreichste, das mir je über den Weg gelaufen ist, habe ich nicht bei meiner Arbeit kennengelernt, sondern einige Jahre zuvor beim Joggen. Dann haben wir geheiratet.
Wer sich blind mit einem Hauruck und ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben in so wichtige Dinge wie eine Ehe stürzt, der sitzt irgendwann einsam in der Ecke rum und muss blöd rumfummeln, damit in seinem Leben überhaupt noch etwas funktioniert. Und bei mir funktionierte gar nichts mehr.
Freifrau von Gutenholz Steinherz zu, den Rest habe ich vergessen. Nennen wir sie einfach Rita, was dem ersten ihrer neun Vornamen entspricht. Und genau zu Rita musste ich an jenem Abend fahren, in unser gemeinsames Zuhause, mal wieder ohne auch nur einen Cent verdient zu haben. Dafür hatte ich das Leben eines Chihuahuas gerettet, oder sagen wir ehrlicherweise, es wahrscheinlich nur um einige Minuten verlängert.
So schön unser Haus auch war, soviel Sprit die beiden Sportwagen in der Garage auch durchjagten, so sorgenfrei mein Leben hätte sein können, ich war todunglücklich. Finanziell hing ich voll und ganz an Ritas Tropf und war abhängig von ihrem Vermögen. Mein Job brachte leider nicht viel ein, da selbst viele Superreiche zu geizig waren, ihren Sportwagen oder die Stereo-Anlage spalten zu lassen.
Rita war auch eine von denen. Zwar hatte sie mir den Bulli und das Werkzeug für meine Geschäftsidee finanziert, das aber wahrscheinlich nur, um mich scheitern zu sehen. Und genau das sah sie an jedem gottverdammten Tag. Hatte ich einen Auftrag pro Woche zu erledigen, war schon richtig was los, doch wann kam das schon mal vor? Nie! Ich betrieb mein Geschäft jetzt seit einem guten Jahr und hatte bislang sieben Aufträge erledigt, von denen nur sechs bezahlt worden waren. Mein Einkommen bestand Hauptsächlich aus dem Geld, das mir Rita monatlich auf mein Taschengeldkonto überwies. Zum mitschreiben: Ich war 37 Jahre alt. Traurig, aber ich war ja selbst schuld.
Haben, haben, haben. Vor der Hochzeit wollte ich einfach nur haben, und Rita war eine mehr als gute Partie. Aus adligem Haus, steinreich und damals zudem noch hübsch. Doch mit jedem Glas Prosecco, den sie sich hektoliterweise hinter die Binde kippte, wurden ihre Tränensäcke dicker und mein Geduldsfaden dünner. Zudem hatte wohl Wernher von Braun die Frechheit besessen, unter Ritas Body-Mass-Index ein Apollo-Triebwerk zu zünden.
Ihr Charakter hatte sich mit den Jahren von dem einer anspruchsvollen Frau, in den einer verwöhnten Prinzessin gewandelt. Rita konnte mit ihrem Arsch sogar eine Erbse spüren, die unter dem Autositz lag, und irgendeine Erbse lag immer darunter, ganz egal worauf Rita saß, lag oder stand.
Unser Haus hatte so viele Zimmer, und mindestens zwei davon sollten Kinderzimmer werden. Ein Sandkasten und eine große Schaukel im Garten, und auf dem großen Hof, vor den Garagen, wollte ich den Kleinen das Fahrradfahren beibringen. Reisen, ihnen die Welt zeigen, den Kindern all meine Liebe schenken und sie zu geraden, aufrichtigen Menschen erziehen. Doch leider wurde nichts aus meinem Kinderwunsch. Schaue ich Rita heute an, kann ich nur drei Kreuze machen, dass es nicht geklappt hat. Rita war doch nicht mal in der Lage, einen Dackel vernünftig zu erziehen, geschweige denn neun Monate lang auf ihr Blubberwasser zu verzichten. Ein Kind in die Welt setzen, dessen theoretische Chancen auf einen Hauptschulabschluss bereits pränatal auf null resettet wurden?…Nein!
Und wie schnell war ich damals zum Notar gefahren, um den Ehevertrag zu unterschreiben. Ohne diesen Kontrakt wäre die Hochzeit hinfällig gewesen oder mein Schwiegervater hätte Rita enterbt. Weinbrand saufender, ewig grimmig dreinschauender Methusalem. Ich glaube, der alte Dinosaurier stirbt nie.
Auf der Fahrt nach Hause rauchte ich eine Zigarette nach der anderen. In meinem Bulli hätte man Mettenden aufhängen können, so dicht war der beißende Qualm. Ich erkannte aber dennoch, dass vor mir ein Streifenwagen fuhr, der bei dem Stop-and-go-Feierabendverkehr genauso schnell vorankam, wie ich mit meiner Räucherkammer. Und dieses langsame, sich Meter um Meter nach vorne Quälen, war mir nur recht. Rita, gleich würde sie wieder auf dem sündhaft teuren Velour-Leder-Sofa sitzen, mit den Fingern auf der Glasplatte des Wohnzimmertisches herumtrippeln und mich einfach nur missgünstig anschauen. Dann schnell noch mal die Stimmbänder geölt und los:
„Wieder nix verdient?“, „Warst du bei einer anderen?“ oder einfach nur „Lass mich in Ruhe!“, bei Rita musste man auf alles gefasst sein, besonders dann, wenn neben dem Sofa mindestens zwei leere Prosecco-Flaschen standen. Also freute ich mich über jeden Meter, den die Reifen des Bullis noch langsamer abspulten als den vorherigen.
Dann klingelte mein Handy auf dem Beifahrersitz. Der brennende Rauch in meinen Augen machte es mir unmöglich, auf dem Display den Anrufer zu erkennen. Zudem hatte sich mit der Zeit eine dicke Nikotinschicht auf dem Gerät niedergeschlagen, sodass selbst bei guten Sichtverhältnissen kaum etwas zu sehen war.
Ein Kunde. Ja! Es war wahrscheinlich ein glücklich getrenntes Paar, das die Dienste des Spalters in Anspruch nehmen wollte. Es klingelte weiter, vibrierte wie blöd, doch ich traute mich nicht abzunehmen, da vor mir der Streifenwagen fuhr und die Augen des Herrn Beamten am Rückspiegel klebten. Die 100 Euro Strafe hätten mir in jenem Monat erst recht das Rückgrat gebrochen.
Dann kam die Gelegenheit. Auf einer kleinen, von rechts einmündenden Stichstraße war ein rosaroter Kleinwagen darum bemüht, sich in den schleichenden Verkehr einzuordnen. Ich bremste und bot der Fahrerin mit gönnerhafter Geste die Möglichkeit, vor mit zu schleichen. Endlich! Von dem Streifenwagen ging keine Gefahr mehr aus. Hastig griff ich zum Handy und meldete mich mit “Der Spalter“. Ich hätte doch gewiss Interesse daran, meine Internetgeschwindigkeit um das Zweifache…. Ich hatte genug gehört und wischte den Anruf weg. Da freute ich mich auf das Gespräch mit einem zukünftigen, gerade frisch geschiedenen Kunden, bei dem es etwas aufzuteilen gab, und dann sowas. Egal. Es hätte auch durchaus unerfreulicher kommen können, z. B. Rita, die mir lallend aber bestimmt aufträgt, bei Gregors Feinkost-Tempel drei Kisten Prosecco einzuladen, sozusagen als kleinen Warmmacher für unsere bevorstehende Unterhaltung.
Ich wollte nicht mehr, wollte nicht nach Hause zur Villa fahren, wobei mich die beiden Sportwagen in der Garage weniger störten. Nicht andauernd kleingemacht werden wollte ich, vielleicht einfach mal von meiner Frau, die mir lächelnd die Haustür öffnet, umarmt werden. Stattdessen war ich schon beim Betreten des Treppenabsatzes vollends in Panik, da die Anzahl der geleerten Flaschen im Wohnzimmer nicht abzuschätzen war. Und mit jedem Schluck des sündhaft teuren Proseccos, es durfte auch gerne noch sündhaft teurerer Champagner sein, stieg Ritas Eifersuchtspegel. Ein offener Knopf am Hemdkragen, oder schlimmer noch, ein offener Hosenstall, reichten Rita aus, um mich mit den übelsten Vorwürfen zu attackieren.
Spätestens nach der zweiten Flasche war ihr diese diplomatische Vorgehensweise nicht mehr genug und sie bediente sich der Schlagkraft kinetischer Energie, in Form eines gezielt geworfenen Aschenbechers. Der Glaser hatte unsere Adresse schon seit geraumer Zeit in seinem Navi gespeichert, die Polizei übrigens auch.
Bei unseren sensationslustigen Nachbarn rechts, links und gegenüber kein Wunder. Natürlich machten sie sich nur Sorgen, dass bei uns ein LKW durch die Wohnzimmerwand gedroschen sei, doch eine Stimmung wie auf dem Weihnachtsmarkt kam bei Ritas Wutausbrüchen niemals auf, obwohl mich ihre Fahne leicht an Glühwein erinnerte.
Warum nur führte ich so ein Leben? Nur, um mich am Wochenende in den Porsche oder Lamborghini zu setzen und Deutschlands Autobahnen oder Landstraßen zu zeigen, wer hier der King ist? In Wirklichkeit suchte ich doch nur nach dem dicksten Baum.
Hätte es nicht alles eine Nummer kleiner ausfallen können? Einfach weniger haben? Ein kleines Ein-Zimmer-Apartment und dazu noch Single, glücklicher Single? Eine 16-Zimmer-Villa mit 5 Klos, 520 PS unter dem Allerwertesten und nur Augen für eine dicke Eiche, die ich mir so sehr herbeisehnte, und das um so mehr, je schneller ich fuhr. Schon hinter der nächsten Kurve hätte er stehen können, der mächtige Baum. Airbag? Bei 250 Sachen? Ich lach mich tot.
Meine Blicke fielen auf den kleinen Nissan, der direkt vor mir schlich. Beim Einbiegen hatte ich schemenhaft eine Frau auf dem Fahrersitz erkannt, die sich kurz mit Handzeichen bedankte. Wie schön, ein kleiner Nissan Micra.
Sie kommt jetzt gewiss von der Arbeit und fährt zu ihrer Familie, vielleicht in eine Mietwohnung, die gerade groß genug für die Glücklichen ist, oder ein kleines Reihenhaus im Grünen. Emily an Bord. Ein schöner ovaler Aufkleber, dort auf der Kofferraumklappe des rosaroten Kleinwagens. Eine Sonderlackierung, die hatte sie sich gegönnt, einfach weil es ihr Wunsch war und sie gewiss lange auf ihr Auto gespart hatte, das dann auch perfekt sein sollte.
Emily an Bord, und daneben das geschwungene Symbol eines Fisches. Um den Rückspiegel hängt eine Kette mit rundem Anhänger. Bestimmt der heilige Christophorus, der sie auf den Ausfahrten mit Emily und ihrem Mann beschützen soll. Und sie suchen garantiert keine dicken Bäume, sondern erfreuen sich im Frühling am blühenden Flieder.
Ein schönes Bild, hineintreten wollte ich, mich neben Emily auf die Rücksitzbank setzen und am Ausflug teilnehmen. Gemächlich über die Landstraßen hin zu einer Picknickwiese fahren, die weißen Blüten des Flieders bewundern und über die dicke Eiche am Wegesrand spotten.
Wo waren die letzten Minuten, vielleicht waren es auch Stunden, hin? Gedankenverloren, nein, mit Träumen beschenkt hatte ich sie verbracht. Vor mir befand sich nicht mehr der rosarote Nissan, sondern eine rotweiße Schranke. Ich umfuhr den Schlagbaum, wie schon so oft, und stand an meinem Lieblingsort, dem verbotenen Parkplatz am Steinbruch. Verboten war dieser Ort wegen der regelmäßig stattfindenden Sprengungen. Vielleicht war es ja brennend juckender Nervenkitzel, der mich, wann immer ich Zeit hatte, diesen sonst so ruhigen Platz aufsuchen ließ. Jeden Moment hätte eine Ladung Dynamit den Parkplatz in die Tiefe reißen können und ich wäre unter tausenden Tonnen Kalkstein begraben worden.
» Drei, zwei, eins und Zündung! Bitteschön!«.
Es war mir völlig egal. Bei Regen rauchte ich
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 26.11.2019
ISBN: 978-3-7487-2198-7
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Widmung:
Für Frank