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Kapitel 1

Die Sonne stand heiß am Himmel, die Luft flirrte, als wir im viel zu warmen Wagen durch die ländlichen Straßen des Vororts von Tokyo fuhren. Die Hauptstadt hatten wir weit hinter uns gelassen, die Hochhäuser waren noch immer gut zu erkennen, flimmerten aber richtig in der heißen Luft, die uns umgab. Das Zirpen der Grillen erfüllte die Luft und konnte einem schon beinahe die letzten Nerven rauben, wenn man es nicht gewohnt war. Wann es wohl das letzte Mal geregnet hatte? 
Zehn Jahre war es nun her, dass ich Japan verlassen hatte, um mit meinen Eltern nach Amerika zu gehen. Sie hofften, dort würde alles besser werden. Ein langer Streit mit den Eltern meiner Mutter hatte am Ende dazu geführt, dass sie mit mir, meinem Vater und meiner kleinen Schwester Japan für immer den Rücken kehrte. 
Als der Brief um das Erbe kam, war sie entsetzt und flehte mich an, nie wieder den Boden dieses Anwesens zu betreten. Das Böse würde hier auf mich lauern und sie hätte nur versucht, mich und meine Schwester zu beschützen. Doch das einzig Böse, was ich nun sah, war das total verwitterte und zerfallene Gebäude, als wäre seit Jahrhunderten niemand mehr hier gewesen. Nur ein altes Windspiel klang im seichten Sommerwind. 
"Wow ... das nenne ich mal eine Bruchbude", murmelte mein bester Freund, der beschlossen hatte, mich nach Japan zu begleiten. "Aoki? Du kannst echt stolz auf deine Großeltern sein. Die waren wohl auch schon seit hundert Jahren nicht mehr hier und vererben dir jetzt einen Schrotthaufen. Deine Mutter wusste wohl, was für Messies deine Großeltern waren. Deswegen wollte sie bestimmt nicht, dass du das Erbe annimmst. Aber du wusstest ja mal wieder alles besser, kann das sein?" Brummelnd sah ich Jason an, der sich an den Mietwagen lehnte und auf seinem Kaugummi herum kaute. "Ich bin hier groß geworden, ja? Da kann ich doch nicht auch noch alles verrotten lassen."
Die Wahrheit war, dass ich nicht genau wusste, warum ich nach Japan zurückgekehrt war. Ich war neun, als meine Eltern mit mir das Land verließen. An meine Großeltern konnte ich mich gut erinnern, aber von dem Anwesen hatte ich kein klares Bild mehr vor Augen. Ich kannte nur noch den Brunnen im Garten, der immer abgedeckt war, damit ich oder Yumi nicht hineinfielen. 
Ich konnte mir nur noch erträumen, was für ein prächtiges Anwesen es mal gewesen war; im alten, japanischen Stil, sehr traditionell und groß genug, um drei Familien darin unterzubringen. "Ich will eben nicht komplett den Kontakt zu meinen Wurzeln verlieren. Weißt du, was ich für einen Ärger deswegen mit meinen Eltern hatte? Es war grausam ... meinem Vater war das alles relativ egal, aber meine Mutter war richtig hysterisch. Sie hat mich sogar angeschrien, wenn ich nicht aufpassen würde, dann würde das Haus mich früher oder später töten."
Blinzelnd sah mich Jason an. "Meinst du das ernst?", murmelte er leise. "Ich habe das Gefühl, deine Mutter bekommt so langsam aber sicher ernsthaft einen an der Waffel, kann das sein?" Ich zuckte mit den Schultern. "Sie ist nicht immer einfach, aber es wird schon einen Grund dafür geben, denke ich mal. Zwar weiß ich beim besten Willen nicht, was an einem Haus so gefährlich sein soll, aber sie wird schon wissen, was sie tut. Trotzdem bin ich hergekommen." 
Es war beinahe so, als würde mich dieser Ort magisch anziehen. Selbst in diesem Moment, als ich nur an der Auffahrt stand und das Anwesen von Weitem betrachtete, fühlte ich mich, als würde ich nach Hause kommen. Das alles war mir so bekannt, obwohl ich seit Jahren nicht mehr hier war, und im gleichem Atemzug konnte ich nicht einmal sagen, woher ich das alles hier kannte. Von den Zimmern oder dem Garten hatte ich keine klare Vorstellung.
In mir war nur dieses Gefühl ... und das wurde ich auch einfach nicht mehr los. 
Jason klopfte mir auf die Schulter. "Wenn wir schon mal hier sind, können wir auch hier übernachten, oder? Ich denke wir müssen keine Angst vor Geistern haben, und wenn hier doch einer rum spukt, wird das wenigstens ein spannender Ausflug werden." Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf und riss mich von den Gedanken los, in die ich versunken war. Jason war der typische Amerikaner. Groß, mit breiten Schultern, spielte in der Schulmannschaft Football und mit seinen blonden Haaren und den großen, blauen Augen war er besonders bei den Mädchen der Schule mehr als beliebt. Die waren total in ihn verliebt und lagen ihm reihenweise zu Füßen.
Trotzdem war Jason Single und meinte als Erklärung immer, dass Frauen ihn nie verstehen würden. Ich musste ehrlich zugeben, was er damit meinte, verstand auch ich nicht so genau. Manchmal sprach er so sehr in Rätseln, selbst ein Detektiv wäre nie dahinter gekommen, was er damit meinte. 
Ich war dagegen schon eher ein Abbild von dem, was die Amerikaner von einem Japaner erwarteten. Klein, zierlich und mehr an Astrologie als an Sport interessiert. Freunde hatte ich außer Jason keinen. Irgendwie war ich den Amerikanern wohl immer suspekt geblieben, während mein bester Freund davon überzeugt war, sie hätten nur Angst mich zu zerbrechen. 
Eine Einstellung, die beim besten Willen nur Jason haben konnte. Im Gegensatz zu ihm fühlte ich mich in der Schule regelrecht unsichtbar. Schwarze, kinnlange Haare, eine blasse Haut und ebenso nichtssagende, dunkle Augen. Ich war wie ein Schatten und wurde regelmäßig von der Masse der anderen Schüler verschlungen, während Jason wie ein strahlend heller Stern daraus hervorstach. 
War ich aus dem Grund mit ihm befreundet? 
Um so ein wenig Aufmerksamkeit zu bekommen? Die meisten in meiner Klasse kannten nicht einmal meinen Namen, meist nannten sie mich nur den Freund von Jason - oder seinen kleinen Hund. Keines von beidem ein Kosename, mit dem man sonderlich gut leben konnte, aber ich musste es wohl und hatte mich mittlerweile schon daran gewöhnt. Ebenso unterschiedlich, wie wir vom Äußeren waren, waren wir es auch vom Charakter. 
Jason war offen, aufgeschlossen und hatte immer einen coolen Spruch auf den Lippen. Dagegen fing ich meistens an zu stottern, wenn jemand mit mir sprach, der nicht gerade Jason hieß oder zur Familie gehörte.

Seufzend schüttelte ich den Kopf, denn ich war nicht mehr in Amerika. Jetzt starrte man Jason an, als wäre er ein Alien, weil er einfach nicht hierher passte. Die meisten Mädchen himmelten ihn aber schon wieder an, was sich wohl auf keinem Kontinent der Welt ändern würde. 
Ich griff nach meiner Reisetasche und warf sie mir über die Schulter. "Dann sehen wir uns hier mal um, okay? Hier die Straße runter ist ein Supermarkt, somit verhungern wir hier wenigstens nicht. Ansonsten müssen wir mal gucken, ob wir irgendwo Futons finden, die noch zu gebrauchen sind, sonst müssen wir auf dem Boden schlafen. Hast du deinen Schlafsack mitgenommen?" 
Erstaunt sah mich Jason an. "Bitte? Schlafsack? Ich dachte, ich kann in einem gemütlichen, alten Bett schlafen. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass deine Großeltern in einer Bruchbude gelebt haben?", regte er sich auf, ehe ein schweres Seufzen seine Lippen verließ. "Das ist wirklich dein Ernst, oder? Was erwarte ich auch? Du hast ja noch nie einen Scherz gemacht." 
Meine einzige Reaktion war ein missbilligendes Verziehen der Mundwinkel. Manchmal regte er mich dann schon auf, musste ich zugeben, so gerne ich ihn als Freund auch hatte. Es gab Momente, da fragte ich mich schon, warum ich nun gerade mit diesem Kerl befreundet war, obwohl ... soweit ich mich erinnern konnte, war er es damals, der mich angesprochen hatte und mit mir befreundet sein wollte; aus welchen Gründen auch immer. Seit diesem Tag wurde ich ihn nicht mehr los.
Ich warf mir meine Tasche über die Schulter, griff nach dem Schlüssel und öffnete das schwere Eisentor, welches die Auffahrt zu dem alten Anwesen verschloss und damit für Unbefugte unzugänglich machte. "Deine Großeltern waren nicht gerade Freunde von Besuchern, kann das sein? Wenn ich mir dieses riesige Eisentor ansehe und die hohe Steinmauer um das Grundstück herum ... also das wirkt alles nicht sonderlich einladend."
Die Steinmauer war fast vollkommen mit Efeu bewachsen und der Garten wirkte dunkel und bedrohlich durch die hohen Bäume, die überall ums Haus herum standen. "Wenn ich ehrlich bin, kann ich dir das nicht sagen. Ich weiß noch genau, wie meine Großeltern aussahen, aber das ist dann dummerweise auch schon alles, woran ich mich erinnern kann. Zu mir waren sie immer sehr nett ... glaube ich." Neugierig musterte mich Jason, ehe er das Tor aufstieß und den schmalen Pfad aus Kieselsteinen betrat. "Ist echt gruselig hier ... würde mich nicht wundern, wenn wir hier doch noch einen Geist treffen würden. Ist hier mal wer gestorben? Deine Großeltern waren doch in einem Heim, wenn ich mich nicht täusche."
Seufzend folgte ich meinem Freund und nickte etwas. "Ja ... mein Großvater wurde schwer krank und starb dann auch, kurz, nachdem man bei ihm Krebs diagnostiziert hatte. Meine Großmutter ist dann ins Heim gegangen, weil sie alleine mit dem großen Haus überfordert war. Wenn ich mir das Ding so ansehe, kann ich das gut verstehen. Offenbar wollten sie aber auch keine Hilfe haben, weder von Freunden, noch von einem Angestellten. Ich schwöre dir, die beiden hätten sich locker ein oder zwei Angestellte leisten können."
Viel hatte meine Mutter mir über meine Großeltern nicht erzählt. Sie wurde nur nicht müde zu betonen, dass die beiden lieber für sich alleine waren und nichts mit anderen Menschen zu tun haben wollten. Es gab immer nur sie zwei und sonst niemanden auf der Welt. "Deine Mum ist das einzige Kind der beiden, oder?", wollte Jason wissen, der seinen Blick über den verwilderten Garten gleiten ließ. "Hier braucht man nicht nur ein Hausmädchen, sondern auch drei Gärtner ... ist ja Wahnsinn, was hier an Unkraut steht."
Schmunzelnd schob ich ihn weiter zum Haus und nickte etwas. "Ja, meine Mum war das einzige Kind der beiden. Darum verstehe ich auch nicht, warum sie sich nicht wieder vertragen haben. Selbst zur Beerdigung wollte meine Mutter nicht nach Japan kommen. Gut, ich war auch nicht hier, aber nur weil Mum es nicht wollte. Ich wüsste zu gerne, was bei ihnen passiert ist und warum sie sich so sehr gestritten haben. Mit mir redet aber ja keiner, die tun alle so, als wäre ich ein kleines Kind. Das kann einen wirklich nerven."
Als ich die Haustür aufschob, quietschte es gefährlich. Leise lachte Jason. "Ich hoffe, nur uns fällt in der Nacht nicht die Decke auf den Kopf ... darauf kann ich verzichten und dann hätte deine Mum am Ende doch noch recht, dass dieses Haus uns umbringt. Vermutlich hat sie das gemeint."
Das bezweifelte ich selbst allerdings, auch wenn ich nicht begriff, was meine Mutter mit ihren Worten gemeint hatte. "Vielleicht ... naja, machen wir hier erst einmal die Fenster auf und lassen etwas Luft rein. Ich gehe nachher noch einkaufen, okay? Du kannst dich hier ja umsehen und gucken ob du in der Zeit irgendwas an Decken und Kissen findest."
Was mich schon beim Betreten des Hauses wunderte, war die Tatsache, dass sich hier nichts getan hatte. Es war, als würden meine Großeltern gleich um die Kurve kommen und mich in ihre Arme schließen, so wie sie es früher auch immer getan hatten. Jetzt ohne die beiden hier herumzulaufen, fühlte sich falsch an. Es trieb mir sogar die Tränen in die Augen, was mich selbst wunderte. Dabei kannte ich die beiden doch kaum, hatte zehn Jahre nichts von ihnen gehört, weder zu Weihnachten, noch zum Geburtstag. Im Grunde war es doch, als hätten die beiden mich vergessen und auch meine Schwester, die alleine aus diesem Grund nicht mit nach Japan kommen wollte.
Auch wenn Mutter bei ihr nicht so ausgeflippt war, hatte sie auch ihr davon abgeraten, das Erbe der Großeltern anzunehmen. Und nun stand ich hier in dem Haus, in dem ich früher auch mal gelebt hatte, obwohl ich mich kaum an die Zeit erinnern konnte und alles so wirkte, als wäre es ein Traum, den ich vor vielen Jahren einmal träumte.
Für einen Moment blieb ich einfach im Eingangsbereich des Hauses stehen, während Jason schon losging und die Fenster öffnete. Staub wurde aufgewirbelt und machte damit deutlich, wie lange schon keiner mehr in diesem ehrwürdigen Gebäude gewesen war. Lächelnd sah ich meinem Freund nach, stellte meine Tasche in die Ecke und machte mich auf den Weg, um etwas zu Essen zu organisieren. Mir knurrte nämlich langsam der Magen.

Es fühlte sich seltsam an, nach den ganzen Jahren wieder einen japanischen Supermarkt zu betreten. Von dem Angebot war ich total erschlagen und ich musste schmunzeln, ging ich davon aus, dass Jason mit dem meisten hier nichts anfangen konnte. Er war niemand, der gerne oder viel asiatisches Essen zu sich nahm. Da ich aber keine Lust hatte, noch zum McDonalds zu fahren, musste er wohl oder übel damit leben. 
Immerhin hatte er darauf bestanden mich zu begleiten, also musste er sich darauf einstellen, sich an das Essen zu gewöhnen. An der Kasse musterte mich ein junger Mann, ehe seine dunklen Augen anfingen zu glitzern. "Aoki? Bist du das wirklich? Mensch, wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen. Erinnerst du dich noch an mich? Yuta! Dein alter Nachbar!"
Ich brauchte tatsächlich ein paar Sekunden, um zu verstehen, was der Typ von mir wollte, doch dann erkannte auch ich meinen alten Jugendfreund und musste schmunzeln. "Was machst du denn in einem Supermarkt? Wolltest du nicht Pilot werden?", hakte ich nach, was Yuta seufzen ließ. "Wenn das so einfach wäre", murmelte er leise. "Mein Alter sitzt im Knast, meine Mutter ist krank und einer muss ja meine Geschwister versorgen, sonst verhungern die mir noch. Tja, da musste ich mein Studium eben hinten anstellen."
Benommen sah ich Yuta an, denn schon früher hatte er mit seinen Eltern immer Probleme gehabt, doch dass sein Vater mal im Gefängnis landen würde, damit rechnete doch keiner. "Das tut mir leid", flüsterte ich leise. Jetzt musste er alle seine Wünsche und Ziele hinten anstellen, nur weil sein Vater sein Leben nicht auf die Reihe bekam.
Lächelnd winkte Yuta ab. "Mach dir mal keinen Kopf. Aber wie kommt es, dass du wieder hier bist? Hast du Sehnsucht nach mir gehabt? Deine Großeltern sind doch beide sehr kurz hintereinander gestorben, oder? Willst du das Haus übernehmen?" Früher waren wir gute Freunde, warum sollte ich also nicht mit ihm darüber reden? "Ich habe das Haus geerbt und bin heute mit einem Freund aus Amerika zurückgekommen, um mir alles anzusehen. Es gibt bestimmt nicht viel zu holen, wenn ich mir ansehe, was meine Großeltern aus dem Haus gemacht haben. Das ist total verwittert, hat sich da denn keiner drum gekümmert?"
So konnte ich erfahren, ob sich jemand um meine Großeltern gekümmert hatte, oder ob sie bis zum Ende alleine waren. Yuta überlegte etwas, ehe er den Kopf schüttelte. "Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass da jemand war. Die beiden waren doch schon immer totale Einsiedler, und als deine Mutter auch noch das Land verlassen hat, wurde es noch schlimmer. Ich kann dir höchstens den Namen der Pflegerin geben, die sich zum Schluss um deine Großmutter kümmerte. Eine sehr nette Dame, aber ich denke, sie hatte es mit der Alten nicht einfach. Selbst mich hat sie mal fertiggemacht, weil meine Brüder ihren Ball auf ihren Garten geschossen hatten und ich ihn zurückholen musste. Die war vielleicht sauer, ich verstehe gar nicht, warum …, aber verwittert war es zu der Zeit auch schon. Hat sich ja auch keiner mehr drum gekümmert."
Das konnte ich mir fast denken, so wie der Garten aussah. Seufzend griff ich in meine Tasche und holte meinen Geldbeutel raus. "Na dann ... bestimmt sehen wir uns jetzt öfter. Jason und ich sind jetzt nebenan, und wenn deine Brüder noch mal ihren Ball rüber schießen, musst du dir keine Sorgen mehr machen, dass du einen auf den Deckel bekommst." Schmunzelnd nickte Yuta, gab mir meine Sachen mit und verabschiedete sich mit den Worten, dass ich doch einmal rüber kommen sollte, um ihn zu besuchen.
Eine Bitte, der ich bestimmt nachkommen würde. Es gab viel zu erzählen nach den ganzen Jahren. Ich wollte auch wissen, wie es ihm ergangen war und wie es seinen Geschwistern ging. Eigentlich erstaunlich, wo wir uns doch total aus den Augen verloren hatten und selbst der Briefkontakt eines Tages einschlief, fühlte ich mich in diesem Moment wie damals, als wir noch nebeneinander wohnten und jeden Tag zusammen verbrachten. Solch eine Freundschaft schien eben doch nie zu zerbrechen, der Gedanke machte mich in diesem Moment unglaublich glücklich.

Als ich wieder das Grundstück des alten Anwesens betrat, fiel mir etwas Merkwürdiges auf. Es war ein heißer Sommertag, die Grillen zirpten und die Luft flimmerte vor Hitze, doch in dem Moment, als ich den Grund und Boden meiner Großeltern betrat, wurde es kühler und mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Was war denn nur los mit mir?
"Aoki? Da bist du ja! Weißt du, wie lange ich schon auf dich warte?", empfing mich mein Freund, der sich locker an den Türrahmen lehnte. "Das Haus ist echt riesig ... nur auf dem Dachboden war ich noch nicht, da kommt man nämlich irgendwie nicht hin. Ich weiß auch nicht, warum, aber der Zugang ist versperrt. Ich wüsste ja gerne, warum das so ist ... kannst du dir da irgendwas denken?" Neugierig sah er mich an, doch ich zuckte mit den Schultern. "Du erinnerst dich daran, dass ich selbst ewig nicht mehr hier war? Vielleicht haben die beiden den Schlüssel verlegt oder was weiß ich. Jedenfalls habe ich etwas zu essen mitgebracht. Hast du in der Küche mal geguckt, ob der Herd noch geht? Sonst wird es sehr wenig geben."
Brummelnd zuckte Jason mit den Schultern. "Keine Ahnung, bisher habe ich den Herd noch nicht angeschaltet. Wir können einfach mal gucken gehen, oder? Ich habe mich hier nur umgesehen und nach Matratzen oder irgendwas an Decken und Kissen gesucht, was noch nicht total muffig oder von Mäusen zerfressen ist. Ziemlich schwierig in dieser Bruchbude, aber ich habe dann doch was gefunden, auch wenn ich sehr hoffe, dass es nicht gerade das Zeug ist, in dem deine Großeltern hier gepennt haben."
Schmunzelnd sah ich ihn an. "Wenn die Waschmaschine noch geht, waschen wir erst einmal alles, was wir hier haben. Oder wir fahren morgen in die Stadt und holen uns einfach neue Decken. Die kosten ja nun auch nicht die Welt, meinst du nicht auch?" Ich drängte mich an ihm vorbei in das Haus und wieder lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. "Sag mal, findest du es hier nicht auch ganz schön kühl?", murmelte ich leise. Jason folgte mir, stutze etwas und nickte dann. "Ist das ein Wunder? Das Anwesen ist durch die ganzen Bäume doch vollkommen von der Sonne abgeschnitten. Hier steht also alles in der Dunkelheit, da musst du dich doch über so was nicht wundern." Im Grunde war mir klar, dass er Recht hatte, mit dem, was er sagte, aber trotzdem fand ich es komisch. Warum wurde mir hier so kalt?
Bestimmt bildete ich mir das alles nur ein und in Wahrheit war das alles gar nicht so schlimm, wie ich es nun machte. "Gut, dann gehen wir jetzt erst einmal in die Küche und machen uns was zu essen. Ich habe wirklich Hunger ... willst du auch noch einen Tee haben?" Schnell schüttelte Jason den Kopf. "Auch wenn dir hier offenbar kalt ist, möchte ich lieber was Kühles trinken. Mir ist nämlich total warm. Ist das bei euch in Japan in jedem Sommer so?", murmelte er leise, wischte sich den Schweiß von der Stirn und seufzte schwer. Offenbar fiel es ihm schwer, sich an das Wetter zu gewöhnen. "Bei uns zu Hause ist es doch auch ganz schön warm", beschwerte ich mich. "Die Sommertage hier können natürlich sehr warm werden, das ist klar ... aber was will man machen? Ich kann das Wetter nicht ändern, hörst du also bitte auf, dich zu beschweren?"
Warum war ich so gereizt? Normalerweise reagierte ich nicht so und kannte die Scherze von meinem Freund relativ gut. Erstaunt musterte mich Jason, wuschelte mir dann aber durch die Haare und grinste mich breit an. "Ich habe das dumme Gefühl, dass dir der Hunger auf den Magen schlägt, kann das sein? Komm, kochen wir und dann hast du auch schon bessere Laune." Ich hoffte, dass er recht hatte. Vielleicht schlug mir das Anwesen auch einfach zu sehr auf den Magen? Die Erinnerungen an meine Großeltern kamen langsam wieder und es waren hauptsächlich Erinnerungen an Streitereien zwischen ihnen und meiner Mutter.
Schon als Kind fürchtete ich mich in solchen Nächten, wenn die Drei sich stritten und mein Vater sich auch noch einmischte. Es war, als hätte das Haus eine eigene Laune, die mich einschloss, eine Art Aura, der ich mich nicht entziehen konnte. Warum war ich überhaupt noch einmal hergekommen? Weil ich versuchen wollte, mich an etwas zu erinnern? Weil ich wissen wollte, warum meine Mutter jeden Kontakt nach Japan unterband? 
Langsam schien ich das alles zu vergessen. Vielleicht war es auch nicht weiter wichtig, jetzt war ich hier und lebte hier auf meine Art und Weise. Es war mein Leben und ich konnte nur hoffen, dass ich keinen Fehler gemacht hatte, als ich meinen eigenen Kopf durchsetzte und gegen den Willen meiner Mutter herkam. Einen Fehler wollte ich mir nicht eingestehen, bestimmt war ich einfach nur sehr sentimental und sonst nichts weiter. In ein paar Tagen würde sich alles legen, da war ich mir sicher.

In der Küche lag zentimeterdicker Staub, genau wie in den anderen Räumen wohl auch. Jason wischte die Herdplatten mit einem Lappen sauber, den er unter der Spüle fand, und ich war froh darüber, dass wenigstens das Wasser noch lief. "Gut ... dann werden wir mal sehen, ob wir noch Gas haben oder ob wir doch einen Lieferdienst suchen müssen", murmelte er leise.
Irgendwie kam in mir ein schlechtes Gefühl hoch und ich schob meinen Freund vom Herd weg. "Ich mach das schon. Ist immerhin jetzt mein Haus, oder? Wenn das Ding explodiert, sollst du nicht daran schuld sein", versuchte ich mir selbst mein schlechtes Gefühl zu erklären. Es war komisch, warum war ich so vorsichtig?
Auch Jason wusste nicht, wie er mit mir umgehen sollte. Sein skeptischer Blick zeigte mir deutlich, dass er nicht damit einverstanden war, doch er schwieg und nickte nur etwas. "Von mir aus gerne."
Warum zitterten mir die Hände? Unsicher griff ich nach dem Herd, drehte den Knopf und wartete darauf, dass eine Flamme entstand. Doch das, was mir entgegen kam, war keine kleine Flamme wie man es kannte ... es war eine Stichflamme, die geradezu nach mir leckte, als wolle sie nach mir greifen. Sofort schreckte ich zurück, ließ den Knopf los und wäre beinahe auf den Boden gefallen, hätte mich Jason nicht aufgefangen. "Was war das denn?", flüsterte er erschrocken. "Geht es dir gut? Hast du dich verletzt?"
Panisch starrte ich den Herd an, auf der Suche nach einer Antwort, die ich wohl nicht bekommen würde. "I-Ich weiß nicht ... offenbar ist er kaputt, anders kann ich mir das nicht erklären", flüsterte ich mit zitternder Stimme und versuchte, so gut wie möglich wieder Haltung zu bewahren. Einfach war das nicht, aber ich musste mich zusammenreißen. Jason schüttelte den Kopf, ging an den Herd, und noch bevor ich ihn warnen konnte, drehte er den Knopf der Gasschaltung um. Im ersten Moment erstarrte ich, doch es geschah ... nichts. Jedenfalls nichts Außergewöhnliches, denn die kleine Flamme flackerte, so wie es sich für einen normalen Herd gehörte.
Lächelnd drehte sich Jason zu mir. "Ich denke, das hat was mit dem Staub zu tun oder was weiß ich. Jedenfalls geht er vollkommen normal und alles ist super." Für mich fühlte es sich eher so an, als hätte der Herd versucht ... mich anzugreifen. Langsam wurde ich paranoid. Meine Mutter schien damit nicht unrecht gehabt zu haben, dass es falsch war, herzukommen.
Ob sie mehr wusste? Mist, ich wollte mit ihr reden, aber dann würde ich mir doch eingestehen, hier nicht klarzukommen. Besorgt sah Jason mich an. "Du bist weiß wie eine Wand ... geht es dir wirklich gut? Möchtest du dich lieber hinsetzen oder so was?", murmelte er leise, doch seine Worte erreichten mich kaum.
Ich fühlte mich wie in Watte gepackt, als wäre ich in einer anderen Welt, die Jason nicht mehr ganz erreichen konnte. Vor meinen Augen verschwamm alles, meine Knie wurden weich und ich spürte, wie etwas nach mir griff, das sich unglaublich merkwürdig und weich anfühlte. Im Hinterkopf hörte ich eine Stimme, die nach mir rief ... wer war denn da? Wer rief da meinen Namen? Egal wie sehr ich auch gegen die Ohnmacht ankämpfte, ich war nicht stark genug. Meine Knie gaben nach und vor meinen Augen wurde alles schwarz. Ich sackte in eine verschlingende Dunkelheit, die mich mit warmen Armen umschloss und fest umklammerte.

Kapitel 2

 

Als ich langsam wieder wach wurde, dröhnte mein Kopf, als stünde ein Presslufthammer direkt neben mir. Ich richtete mich mit einem leisen Stöhnen auf, hielt mir den Kopf und konnte im ersten Moment gar nicht erkennen, wo ich war, oder an welchem Ort ich mich befand. Zu meiner Verwunderung lag ich sehr weich, hatte ich doch mit dem nackten Boden gerechnet. Vielleicht war Jason so geistesgegenwärtig gewesen, mich auf seine Decke zu legen, oder er hatte doch noch die eine oder andere Decke gefunden, auf der ich liegen konnte.
Es war schön weich und fühlte sich gut an.
Erst ein leises Klingeln riss mich aus dem Dämmerschlaf. Sofort schreckte ich hoch, doch mein Blick war so verschwommen, ich brauchte ein paar Sekunden um die Umgebung, in der ich mich befand, klar erkennen zu können. "Bist du endlich wach?", hörte ich eine warme, sanfte Stimme. Eine Stimme, die ich noch nie in meinem Leben gehört hatte. Mein Blick suchte nach dem Mann, der mich angesprochen hatte, doch erst als er aus dem Schatten des Zimmers auf mich zutrat, bemerkte ich ihn. Ein junger Mann, ungefähr Mitte bis Ende 20 stand vor mir, die braunen Augen mit einem sehr warmen Blick auf mich gerichtet.
Erst jetzt bemerkte ich, was jedem anderen wohl schon auf den ersten Blick aufgefallen wäre. Das Haus, in dem ich war, schien in keiner Art und Weise verrottet zu sein. Der Boden war aus frischem Holz, die Wände mit dünnem Papier überzogen, wo bei mir nur Fetzen hingen. Und doch, es gab keinen Zweifel daran, ich befand mich im Haus meiner Großeltern. Direkt nebenan musste die Küche sein und ich konnte durch die offene Schiebetür in den gepflegten Garten sehen.
Was war denn hier nur los?
"Geht es dir nicht gut?", wollte der junge Mann wissen, ehe er auf mich zukam. Sofort war mein Blick wieder bei ihm und ich musterte den gut aussehenden Kerl. Eine groß gewachsene Gestalt mit leicht breiten Schultern, für einen Mann aber immer noch sehr zart und zerbrechlich gebaut. Hellweiße Haut, fast wie aus dem gleichen Papier mit dem die Türen bespannt waren, braune Augen und schwarze Haare, die er sich zu einem kurzen Zopf gebunden hatte. Auf den rosigen Lippen lag ein so warmes Lächeln, das mir Schauer über den Rücken liefen.
Seinen eher weich gebauten Körper hatte er in einen hellen Yukata gehüllt, was seinen schmächtigen Körper und die weichen Hüften nur noch mehr betonte. "W-Wo bin ich?", brachte ich schließlich doch hervor, nachdem sich für mindestens zehn Minuten ein gespenstisches Schweigen zwischen uns ausgebreitet hatte. Wer war er? Und wo war ich? Schauer liefen mir über den Rücken und je mehr Zeit ich hatte, um mich in diesem Haus umzusehen, umso sicherer wurde ich, dass ich im Haus meiner Großeltern war.
Der junge Mann ging auf weißen Socken an mir vorbei, schob die Tür weiter auf und sah in den Himmel. Ein paar Sekunden lang verlor sich sein Blick in den Sternen, was ihn noch perfekter wirken ließ, als er in meinen Augen eh schon war. Wie konnte ich so was nur denken? Ich befand mich in einer Situation, die ich kaum beschreiben vermochte und machte mir Gedanken darüber, wie gut der Kerl da aussah? Es wäre ja möglich, dass er mir im nächsten Moment ein Messer in den Bauch rammen wollte.
Doch der Fremde war so verträumt, beinahe in einer anderen Welt versunken, dass ich ihm nichts Böses mehr zutrauen mochte. "Mein Name ist Kiosuke. Du befindest dich im Heiyan-Anwesen. Ich fand dich in der Küche, ohne Bewusstsein, da dachte ich mir es wäre besser, wenn ich dich auf meinen Futon lege und du dich erholst." Ruhig drehte er sich wieder zu mir und ich versank in den braunen Augen, die mir vom ersten Blick an den Verstand raubten.
Ich sollte nicht hier sein ... das war mir vom ersten Moment an klar. Das hier war das Anwesen meiner Großeltern, daran gab es keinen Zweifel. Aber was machte ich hier? Wie war ich hier hergekommen? So viele Fragen und ich konnte einfach keine Antworten finden.
Noch immer sprachlos über das, was mit mir geschah, konnte ich kaum auf das reagieren, was der Mann vor mir sagte. "Wie heißt du? Und wie bist du auf einmal in der Küche aufgetaucht?", wollte Kiosuke von mir wissen.
Eine durchaus legitime Frage, wenn man bedachte, dass ich einfach in seiner Küche gelegen hatte. "I-Ich bin Aoki", flüsterte ich leise. "U-Und ich habe keine Ahnung wie ich hier hergekommen bin", nuschelte ich leise. Es wurde Zeit diesem Mann alles zu erzählen, auch wenn mir davor graute. Die Geschichte war doch viel zu fantastisch, als das Er mir glauben konnte. Trotzdem sah er mich so aufmerksam an, als würde er nicht zulassen, dass ich ihm meine Geschichte verheimlichte. Einen Moment blieb ich noch ruhig, dann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und berichtete ihm von allem, was ich wusste, auch wenn das zugegebenermaßen, verdammt wenig war.

Schweigend lauschte mir Kiosuke bis zum Ende meiner Geschichte, in der ich von meinem eigenen Herd angegriffen und niedergestreckt wurde, ehe ich hier erwachte. Zu meiner Verwunderung schien die ganze Geschichte für Kiosuke überhaupt nicht weiter erstaunlich zu sein. Es war, als hörte er sie nicht zum ersten Mal, was mich erst recht verunsicherte.
Vermutlich kannte er meine Familie besser als ich, wurde doch von meiner Seite her ständig das Tuch des Schweigens über meine Großeltern gelegt. Einen Moment schwieg Kiosuke, ehe ein leises Seufzen seine Lippen verließ. "Ich denke, es hat einen guten Grund, warum du hergekommen bist. Ich bin ein sehr gläubiger Mensch und gehe davon aus, dass alles einen Sinn hat und wenn du eine so weite Reise auf dich nimmst, dann bist du wohl derjenige, der gekommen ist, um uns alle von diesem Fluch zu erlösen."
Fluch? Also das ging nun doch ein wenig zu weit. Musste ich mich damit abfinden, dass ich mich in einer Zeit befand, die nichts mehr mit meiner zu tun hatte? Oder war ich in einem Parallel-Universum? Benommen raufte ich mir die Haare. "Was meinst du damit? Ich bin doch in keinem Fluch gefangen, oder? Und wenn ja ... was habe ich damit zu tun? Und wo bin ich hier? Das ist das Anwesen meiner Großeltern, keine Frage, aber in welcher Zeit? Ich bin doch mit Sicherheit nicht mehr in meiner Zeit." Meine Stimme klang weinerlich, so elend wie in diesem Moment hatte ich mich auch noch nie gefühlt, jedenfalls konnte ich mich nicht daran erinnern.
Kiosuke lächelte und sah mich an. "Wir befinden uns in der Zeit von Ieyasu, der erst vor wenigen Tagen verkünden ließ, dass die neue Hauptstadt in dem unbedeutenden Fischereihafen Edo liegen soll. Dort hat er die Regierung errichtet, um sie weit weg vom Kaiserhof ansiedeln zu können."
Sofort fing mein Wissen über japanische Zeitgeschichte an, in Wallung zu kommen. Ieyasu war mir natürlich ein Begriff, ebenso wie Oda Nobunaga und Toyotomi Hideyoshi. Befand ich mich wirklich in der Edo-Zeit? Wie war ich hier hergekommen? Und was sollte ich hier? Was meinte der Kerl denn nur mit Fluch?
Alleine von den ganzen Informationen wurde mir schwindelig. "Das ist alles ein bisschen viel für mich", gestand ich leise, auch wenn es mir unangenehm war. Gerade vor ihm wollte ich keinerlei Schwäche zugeben. Besorgt musterte mich Kiosuke. "Ich mache dir einen Tee. Warte hier, ich bin gleich wieder bei dir." Wie sollte ich denn gehen? Ich wusste nicht einmal, wie ich hergekommen war, was eine Rückkehr vermutlich leichter machen würde.
Mein Herz hämmerte wild in meiner Brust, während mein Kopf total damit überfordert war, das alles noch zu verarbeiten. Was passierte hier? Was war hier los? Wie war ich hier hergekommen, und, was viel wichtiger war, wie kam ich wieder nach Hause?

Wenige Minuten später kam Kiosuke mit einer Tasse Tee wieder, die er mir reichte. "Ich sollte dir wohl ein wenig über mich erzählen", meinte er lächelnd. "Ich denke, du hast viele Fragen. Meinen Namen habe ich dir ja bereits genannt. Ich stamme nicht aus deiner Familie. Vor wenigen Jahren heiratete meine Schwester einen Vorfahren von dir. Da ich ihr einziger noch lebender Verwandter war, bat sich mich darum mit ihr herzukommen und so zog ich in dieses Anwesen. Ich bin Schriftsteller und verdiene nicht viel Geld, daher bin ich für jede Hilfe meines Schwagers dankbar. Dabei musste er selbst sehr leiden, verlor er doch in dem Jahr, in dem er meine Schwester heiratete, seinen Vater an einer unheilbaren Krankheit. In seiner Trauer beichtete er mir, dass wohl ein Fluch auf seiner Familie liegen würde. Er beschrieb es, als würde das Haus ihm seine Lebensenergie entziehen und damit jedes männliche Mitglied der Familie weit vor seiner Zeit dem Tod begegnen lassen."
Was um alles in der Welt, was das für eine Geschichte. Kiosuke sah mich abwartend an, doch ich konnte mich nicht daran erinnern, dass es jemals jemanden gegeben hatte, der mit mir über einen Fluch gesprochen hätte. Allerdings musste ich ja auch zugeben, dass niemals jemand mit mir über die Geschichte meiner Familie ein Wort verloren hatte. "Ein Fluch? Aber ... wer hat hier denn jemanden verflucht?", flüsterte ich leise. Mittlerweile war mir sowieso alles egal, innerlich beschloss ich nämlich, das alles als eine Art Fiebertraum zu abzutun. Bestimmt war ich bei meinem Sturz doch irgendwo mit dem Kopf aufgeschlagen, oder das Feuer verletzte mich mehr, als ich im ersten Moment erwartet hatte. Jedenfalls konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich in eine andere Zeit gereist war, um einen Fluch von meiner Familie zu nehmen.
Und der Mann vor mir wirkte eh wie eine Manifestation aus einem erotischen Traum. Nun war wohl auch Kiosuke überfragt, denn er zuckte nur leicht mit den Schultern. "Weiter hat mein Schwager nicht mit mir gesprochen. Ich weiß nur, dass auch der Mann meiner Schwester langsam schwächer wird. Mich selbst scheint diese Krankheit jedoch nicht erfasst zu haben, obwohl ich nun auch schon eine ganze Zeit hier lebe. Meine geliebte Schwester ist sehr besorgt um ihn, wo sie doch gerade sein Kind unter ihrem Herzen trägt, ist jede Aufregung für sie alles andere als vorteilhaft. Die Sorge um ihren Mann lässt sie nachts nicht mehr schlafen, sodass ich mich mittlerweile um beide sorge."
Aber wie soll ein Haus einem Energie abziehen können? Und vor allem, warum? Ginge man davon aus, dass dieses Haus wirklich einem Fluch erlegen war, musste doch jemand diesen Fluch ausgesprochen haben ... nur wer?
Und bedeutete das dann wirklich, dass ich früher oder später auch von diesem Fluch ergriffen wurde? Kiosuke musterte mich etwas, ehe er sich zu mir auf den Boden setzte. "Für dich ist das alles bestimmt zu viel", flüsterte er leise. Seine warme Stimme ließ mir Schauer über den Rücken laufen, was ich von mir kaum kannte. Natürlich war mir bewusst, dass ich mit Frauen nicht viel anfangen konnte und mich eher zu Männern hingezogen fühlte ... daher war es doch nur logisch, dass ich in Kiosuke jemanden sah, der nicht real sein konnte und vermutlich eher meinen Fantasien und den einsamen Nächten in meinem Bett entsprungen war.
Noch immer davon überzeugt, dass ich einfach nur einen an den Kopf bekommen hatte, überlegte ich gar nicht weiter, ob Kiosuke real sein konnte, ebenso wie das was er mir erzählte. "Aber wenn dieser Fluch real ist, gehen wir einfach mal davon aus, er ist es ... dann muss es doch jemanden geben, der meine Familie verflucht hat und offenbar nur die männlichen Mitglieder. Darüber muss man doch etwas finden können. Gibt es nicht so was? Eine Art ... Familienchronik?" Vielleicht war Kiosuke auch jemand, der mir von meinem Unterbewusstsein geschickt wurde. Es konnte doch sein, dass ich in einem Streit meiner Großeltern mit meiner Mutter von diesem Fluch etwas gehört habe und mich jetzt halbwegs daran erinnern wollte.
Und um das alles zusammensetzen zu können, war Kiosuke doch geradewegs perfekt. Erstaunt sah mich der junge Mann an, ehe er die Stirn in Falten legte und ich war ein wenig neidisch, denn selbst diese Geste entstellte ihn nicht.
Benommen fuhr ich mir durch die Haare, denn ich wollte mir nicht anmerken lassen, was ich für Gefühle bekam, die offenbar er in mir weckte. "Nun, ich weiß nicht, ob es etwas gibt das über deine Familie nieder geschrieben wurde, aber man kann danach suchen. Du in deiner Zeit und ich werde in meiner Zeit danach suchen. Sollte ich etwas finden dann ... nun gehen wir davon aus, wir befinden uns in dem gleichen Anwesen ...", murmelte er vor sich hin, während ich langsam immer mehr den Faden verlor und ihm kaum noch folgen konnte.
Was plante der Kerl? Langsam erhob er sich, huschte in eine Ecke des Raumes, wo er sich wieder hinkniete und eine lose Diele anhob. "Hier ... sollte ich etwas finden, werde ich es genau hier verstecken und du solltest es in deiner Zeit finden können, oder nicht? Ich denke, wir sollten das einfach probieren." Er klang, als würde ich zurück kehren können, um ihm davon zu berichten ... aber ich war mir immer noch sicher, dass nichts davon real war. Also brauchte ich mir doch auch keinen Kopf darüber machen, ob sein Plan funktionierte. "Ich denke wir können es versuchen", murmelte ich leise. "Aber ... Kiosuke? Glaubst du wirklich daran, dass ich mich in deiner Zeit befinde? I-Irgendwie denke ich ja immer noch, dass ich einfach einen zu sehr auf den Kopf bekommen habe, als der Herd explodiert ist."
Wieder traf mich sein warmes Lächeln, welches durchaus in der Lage war Polkappen schmelzen zu lassen. So war ich doch nicht! Ich war doch nicht so, dass ich mich ständig in der Schönheit eines Menschen verlor. Aber Kiosuke war einfach unbeschreiblich und von einer Anmut, die seinesgleichen suchte. So hatte ich mich bisher noch nie gefühlt, aber meine Empfindungen ließen sich auch nicht weiter kontrollieren, egal wie sehr ich das auch versuchte.
Offenbar störte es ihn überhaupt nicht, dass ich ihn für ein Wesen hielt, welches nicht existierte. "Du siehst es also so, dass du mich nur erträumst? Nun, es wäre durchaus möglich. Kann man denn so genau sagen, wer von uns real ist und wer nicht? Ich weiß nur, dass du auf einmal in der Küche lagst, weder woher du kommst, noch ob ich dir die Geschichte du würdest aus der Zukunft kommen, ganz glauben kann. Aber habe ich eine andere Wahl? Du bist hier, das ist alles, was ich zurzeit nicht leugnen kann und was ziemlich ... real wirkt. Es kann genauso gut sein, dass ich mich ebenfalls gestoßen habe und du nur eine Fantasie von mir bist ... oder ich verfalle langsam dem Wahnsinn, von dem das gesamte Haus erfasst wurde. Denkst du nicht ... auch so was wäre möglich?"
Natürlich war auch das alles richtig ... irgendwie. Aus seiner Sicht gesehen, gaben auch diese Worte einen gewissen Sinn, selbst wenn er mir nicht gefiel. Der Gedanke, ich könnte nicht real sein, gefiel mir gar nicht. Aber ich wusste doch, dass ich real war.
Langsam tat mir der Kopf weh und seufzend schloss ich meine Augen. "Ich denke das führt zu nichts, wenn wir uns darüber unterhalten, wer von uns nun real ist und wer nicht." Zustimmend nickte Kiosuke, ehe er doch noch eine weitere Möglichkeit in den Raum warf. "Und was, wenn das Anwesen dich in diese Zeit gebracht hat, damit du etwas an dem Fluch änderst? Oder aus einem anderen Grund? Das wäre genauso möglich, oder nicht?"
Es gab so viele Möglichkeiten, dass mir davon langsam aber sicher der Kopf schwirrte. Was auch immer nun der wahre Grund war, ich konnte nur hoffen ihn bald zu finden, damit ich wieder nach Hause konnte. 

Kiosuke musterte mich etwas, ehe er an die Tür zum Garten ging und lächelte. "Lass uns einen kurzen Spaziergang machen. Ich denke, der Garten in dieser Zeit sollte dir gefallen", flüsterte er leise. Seine Füße schienen sich in Zeitlupe zu bewegen, was mir schon wieder einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Was war denn nur los mit mir?
In dem Moment, in dem er den Raum verließ, fühlte ich mich, als würde ich den Boden unter den Füßen verlieren. Das Windspiel schien mir lauter als vorher und mir wurde schwindelig. "Geh nicht", flüsterte ich leise, streckte meine Hand nach Kiosuke aus und fühlte mich doch, als könnte ich meinen eigenen Körper nicht mehr bewegen. Schwer wie Blei fiel meine Hand sofort wieder runter, nachdem ich sie auch nur angehoben hatte. Kiosuke drehte sich zu mir und sah mich aus großen Augen an. Ich konnte hören, wie er meinen Namen rief, doch das änderte nichts. Meine Augen fielen zu, noch bevor er bei mir war.

Kapitel 3

 

Mit einem panischen Aufschrei schreckte ich hoch, wurde aber sofort von starken Händen gefangen, die mich an eine breite Brust drückten. "Keine Sorge, ich bin doch bei dir. Was ist denn los? Hattest du einen Alptraum?", flüsterte mir die bekannte Stimme von Jason ins Ohr. Mein Herz raste noch immer, seit ich dieses komische Gefühl bekommen hatte, seit ich mich so schwer gefühlt hatte, als wäre ich gar nicht richtig am Leben.
War ich wieder zu Hause? War ich jetzt richtig wach? Sofort tastete ich meine Stirn ab, schnappte nach Luft und versuchte mich erst einmal zu fangen. Ruhig streichelte Jason durch meine Haare. "Du musst keine Angst haben", flüsterte er leise. "Ich bin doch da ... du bist einfach ohnmächtig geworden, nachdem der Herd so explodiert ist. Den habe ich mir noch mal angesehen, seit du weggetreten bist, aber mit dem ist alles in Ordnung. Ich denke mal, ihn nach so langer Zeit anzuschalten hat einfach irgendwas in dem Ding ausgelöst. Jedenfalls ist er nicht kaputt ... Wie fühlst du dich?" Benommen sah ich ihn an, versuchte sein Gesicht in eine klare Linie zu bringen und nicht nur in den verwirrenden Matsch, den ich gerade vor mir hatte.
Mir tat der Kopf gehörig weh, als wolle er gleich explodieren. "E-Es geht schon, denke ich", flüsterte ich leise, erstaunt darüber, wie sehr meine Stimme zitterte. So kannte ich mich nicht, aber was ich da in der Zeit gesehen hatte, während ich komplett weg gewesen war, überforderte mich noch immer. Besorgt musterte Jason mich. "Komm, leg dich wieder hin. Ich bringe dir jetzt erst einmal etwas zu essen und dann ruhst du dich aus, ja? Kann ja sein, dass du einen Alptraum hattest, oder so was. Und wenn du morgen immer noch solche Kopfschmerzen hast, dann werde ich mit dir zu einem Arzt fahren. Auch wenn wir hier auf dem Land sind, wird es doch wohl irgendwo einen Doc geben, oder?"
Das war die Art, die ich so sehr an Jason mochte. Auch wenn es mir noch so dreckig ging, brachte er mich mit seiner Art zum Lachen, egal ob er es wollte, oder nicht.
Erschöpft sah ich ihm in die Augen. "Natürlich haben wir hier auch einen Arzt, was denkst du denn? Ich lebe hier ja nicht hinterm Mond", murmelte ich, erstaunt darüber, wie bleich Jason auf einmal wurde. Schnell verschwand er, nur um Sekunden später mit einem nassen Lappen und Taschentüchern wieder zu kommen. "Hier ... du hast Nasenbluten und du weißt, ich kann es nicht sehen, wenn du blutest."
Lügner ... zwar war der Kerl ein totales Sport-Ass und war der Star eines Sportes, bei dem es nicht zimperlich zuging, trotzdem konnte Jason kein Blut sehen. Seufzend nahm ich das Taschentuch, um es mir an die Nase zu drücken. "Danke ...", flüsterte ich leise. "Kannst du mir ein Glas Wasser oder so was bringen? Irgendwie ist meine Kehle unglaublich trocken." Dazu kam, dass ich nicht in der Lage war, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Ich war wieder zurück und konnte nicht aufhören an das zu denken, was Kiosuke mir erzählte. War dieses Haus tatsächlich verflucht? Der Gedanke ließ mich nicht mehr los, ich konnte tun, was ich wollte. Mein Unterbewusstsein musste mir da etwas sehr dominierendes in den Kopf gesetzt haben.
Es musste Aufzeichnungen geben. Darüber, was Kiosuke mir erzählt hatte, über alles. Meine Familie, wie sie entstand und was für ein Geheimnis sie verbarg. Als Jason mit einer Suppe wieder kam, hob ich meinen Blick kaum an. Er reichte mir den Teller und lächelte etwas. "Hier ... du solltest jetzt erst einmal etwas essen, so blass, wie du bist. Ich mache mir Sorgen um dich, und wenn du morgen noch immer wie ein Leichentuch aussiehst, bringe ich dich zum Arzt, auch gegen deinen Willen."
Aber ich wollte nicht zu einem Arzt! Ich brauchte keinen Arzt, sondern jemanden der mir erklärte, was hier vor sich ging. Seufzend nippte ich gerade an meiner Suppe, als ich etwas leise klingeln hörte. Was war das? Woher kam es?
Benommen sah ich mich um. "W-Was ist das?", flüsterte ich leise. Jason blinzelte, den Löffel im Mund was etwas albern wirkte. Ich wusste nicht einmal, woher er das Besteck hatte, geschweige denn die Teller und Töpfe. Offenbar war doch eine ganze Menge Zeit vergangen, seit ich hier zusammengebrochen war. "Was meinst du denn?", wollte er von mir wissen, während er sich in dem Zimmer umsah. Ja, hörte er das denn wirklich nicht?
War der denn taub? Das war doch beinahe schon nicht mehr zu überhören! "Na, dieses Gebimmel. Das musst du doch auch hören, oder nicht? So ein doofes Glöckchen und das ist hier irgendwo, ich weiß nur nicht wo." Und es machte mich wahnsinnig.
Woran klammerte ich mich denn da? An die kleine Hoffnung, dass Kiosuke doch mehr war als nur ein Traum? Das war verrückt! Vermutlich war es das, was dieses Haus wirklich tat. Es machte einen mit der Zeit wahnsinnig. Jason sah mich erstaunt an. "Doch das höre ich. Vermutlich ein Windspiel, das im Garten hängt, oder sonst wo im Haus. Oder eine Katze mit einem Glöckchen um den Hals. So was tun doch mache Menschen ... auch wenn mir die Katzen wirklich leidtun, wenn die so vor sich hin klirren."
Mir hämmerte das Herz bis zum Hals, aber auf der anderen Seite erfüllte mich das leise klingeln mit einem Gefühl, unglaublich warm und weich. Beinahe wie Kiosukes Stimme. Seine Stimme, dicht an meinem Ohr ... war er doch kein Traum? Oder wurde ich einfach nur verrückt?
Langsam und mit zitternden Knien erhob ich mich. "Gut, dann werde ich das jetzt suchen gehen", flüsterte ich leise. "Ich will wissen, was es mit diesen Glöckchen auf sich hat und wo das alles herkommt. Kommst du mit?" Jason brummelte leise. "Isst du bitte erst einmal deine Suppe auf? Es kann doch nicht sein, dass ich mich für dich in die Küche stelle und du dann davon läufst. Wir können doch morgen immer noch danach suchen. Wenn es eine Katze ist, werden wir sie sowieso nicht finden, weil sie abhauen wird, wenn sie uns bemerkt. Und wenn es ein Glockenspiel ist, dann wird es morgen auch noch da sein. Setzt du dich also bitte wieder hin?"
In diesem Moment kam er mir vor, wie eine verbitterte Ehefrau. Aber vermutlich hatte er irgendwie recht, mit dem, was er sagte. Ein Glockenspiel würde mir nicht weglaufen und es würde nichts bringen, wenn ich jetzt einfach losrannte um dieses Glockenspiel zu suchen, brach ich mir bei den ganzen Wurzeln und Löchern dort draußen nur noch alle Gräten. "Also gut", gab ich mich dann doch geschlagen, wenn auch widerwillig. Ich wollte das alles nicht. Im Grunde wäre es mir lieber gewesen, gleich nach dem Glockenspiel zu suchen ... aber Jason würde mich nicht gehen lassen und es hätte vermutlich auch nicht sonderlich viel Sinn.
Seufzend setzte ich mich wieder auf den Boden und griff nach dem Teller mit Suppe. "Danke ... du hast dir wirklich Mühe gegeben. Dabei habe ich dich noch nie kochen sehen. In Amerika warst du noch nie kochen, oder?", murmelte ich leise um ein wenig auf andere Gedanken zu kommen. Es tat gut ihn bei mir zu haben, und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Wenn ich erst einmal darüber geschlafen hatte, ergab das alles einen Sinn. Oder ich machte mir einfach keine Gedanken mehr um das, was ich mir da zusammen geträumt hatte. "Ich denke, ich esse auf und dann werde ich mich schlafen legen. Du hattest doch was gefunden, oder muss ich auf dem Boden schlafen?"
Meine Stimme klang genauso müde, wie ich mich fühlte. Warum war ich noch einmal nach Japan gekommen? Wollte ich wissen, warum ich meine Großeltern verlassen musste? Oder wollte ich meine Erinnerungen auffrischen? Es konnte genauso gut sein, dass ich meiner Mutter nur die letzten Nerven rauben wollte und darum das Erbe antrat, egal wie kindisch das auch sein mochte. Jason deutete auf einen Berg von Kissen und alten Decken. "Da sollte etwas zu finden sein, worin wir schlafen können, ohne von irgendwas gebissen zu werden." Ich konnte nur hoffen, dass er recht hatte, denn mir fielen langsam aber sicher die Augen zu. Morgen war auch noch ein Tag und dann konnte ich weiter sehen ... was auch immer ich dann tun sollte.


Es waren die Vögel, die mich am nächsten Morgen aus meinem traumlosen Schlaf rissen. Waren die schon immer so laut? Müde rieb ich mir über die Augen, um den Schlaf los zu werden, der mich noch immer fest im Griff zu haben schien. Mein Blick wanderte in dem heruntergekommenen Zimmer herum, welches noch heruntergekommener wirkte als gestern, jetzt wo die Sonne in den Raum schien. Es war unglaublich hell, was mich erstaunt aufsehen ließ. Schon gestern war es heiß und die Sonne brannte vom Himmel, doch jetzt schienen die hellen Strahlen zum ersten Mal diesen Raum zu erreichen und es dauerte einen Moment, bis ich begriff, woran das lag.
Die Türen standen offen und einiges an Grünzeug war verschwunden. Erst jetzt bemerkte ich, dass Jason nicht mit im Zimmer lag. War der Kerl nun wirklich los gezogen um den Garten auf Vordermann zu bringen? Das war doch verrückt, ich hatte die Hoffnung er würde das wissen. Auf der anderen Seite kam ich nicht darum herum, genau diese Art an ihm niedlich zu finden. Bestimmt machte er das alles nur, weil ich ihm gesagt hatte wie kühl ich es hier fand. Schmunzelnd räumte ich das Bettzeug zusammen, ehe ich in den Garten trat und mich streckte.
Von dem kühlen Gefühl, welches mich noch gestern ergriffen hatte, war auf einmal nichts mehr zu spüren. Es war warm ... die Sonne kitzelte mich an der Nase und die Vögel, die gestern noch total still gewesen waren, zwitscherten als würde es um ihr Leben gehen. Und da stand Jason ... sein Anblick verwirrte mich im ersten Moment, doch dann musste ich einfach los lachen. Mein bester Freund war von oben bis unten nass, auch wenn ich nicht wusste, woran das lag oder was er angestellt hatte.
Schmunzelnd machte ich mich auf den Weg zu ihm wurde aber auf einmal etwas unsanft von ihm angeschrien. "Wehe du gehst jetzt auch nur einen Schritt weiter, dann siehst du nämlich so aus wie ich!" Erstaunt sah ich zu meinen Füßen und bemerkte einen Teich ...
Moment, seit wann hatten wir denn einen Teich? "I-Ich wusste nichts davon, dass wir hier so einen Teich haben", murmelte ich leise. Jason stapfte zu mir und fuhr sich durch die nassen Haare. "Jetzt kann ich auf jeden Fall erst einmal duschen gehen. Ich dachte ich sorge ein bisschen dafür, dass es hübsch wird in deinem Garten und dass du dich hier wohl fühlst ... aber das ihr hier einen Teich habt, damit habe ich nicht gerechnet. Wenigstens sind keine Fische mehr drin, sonst wäre das alles noch lustiger für dich geworden. Kannst du also bitte mal aufhören zu lachen?" Schnaubend sah er mich an, ehe er sich wie ein Hund schüttelte und mich ebenfalls mit dem moderigen Wasser benetzte.
Beruhigend hob ich meine Hände. "Tut mir ja leid, aber hast du schon mal in den Spiegel gesehen? Deine Fans würden sich schieflachen, wenn sie diese komische Wasserpflanze in deinen Haaren sehen würden", meinte ich amüsiert und angelte ihm die Pflanze aus dem blonden Haar. "Ich sollte ein Foto auf Facebook hochladen", stichelte ich noch etwas weiter, was mir jedoch erst recht böse Blicke meines besten Freundes einbrachte. "Du kannst für mich mal das Bad putzen. Die Toilette ist sauber, darum habe ich mich gekümmert, aber die Badewanne ist nicht zu gebrauchen. Ich weiß eh nicht, wie ihr Japaner in so was baden wollt ..."
Im Bad war ich nur im Halbschlaf gewesen und auch nur kurz auf Toilette, daher konnte ich noch gar nicht genau sagen, was er nun mit der Badewanne hatte. "Gut, ich werde sie mir ansehen und ich werde auch sauber machen, versprochen. Aber erst einmal sollten wir Frühstücken, oder hast du das auch schon gemacht? Wie spät ist es überhaupt? Wie lange habe ich geschlafen?" Jason schmunzelte und hielt mir seine Uhr unter die Nase. "Es ist elf Uhr morgens und du hast ziemlich lange geschlafen. Wenigstens hast du irgendwann aufgehört im Schlaf zu reden, sonst hätte ich mir ein anderes Zimmer gesucht. So kenne ich dich gar nicht ... also das Du im Schlaf redest."
Das war auch eine Seite an mir, die ich nicht kannte. "Gut, dann eben kein Frühstück mehr", lenkte ich von dem Thema ab. "Dann mache ich uns eben erst einmal etwas zu essen." Alles was ich mit Kiosuke erlebt hatte, wirkte nun wirklich wie ein sehr realer Traum. Ich hatte nur einen zu sehr an den Kopf bekommen, mehr war das bestimmt nicht. Wie konnte so etwas auch real sein? Nur für ein paar Sekunden dachte ich noch an ihn und an das seltsame Glockenspiel, von dem trotz leichter Brise nichts mehr zu hören war. Was das menschliche Gehirn sich doch alles einbilden konnte. Immerhin hatte Jason schon in der letzten Nacht nichts davon gehört, bestimmt war auch das nur eine gewisse Einbildung von mir gewesen, oder die Nachwirkungen der Ohnmacht, die einfach ein wenig länger angehalten hatte. Nach der langen und tiefen Nacht wirkte das alles jedenfalls nicht mehr real. Badezimmer putzen und Mittag machen war dagegen sehr real und etwas mit dem ich mich wohl dringend befassen musste, wenn Jason an meiner Seite bleiben sollte, sonst suchte der sich am Ende ein Hotel und ich war in dem Spukanwesen auf mich allein gestellt.

Genüsslich ließen Jason und ich uns das Essen schmecken und ich band ihm lieber nicht auf die Nase, dass er japanisches Essen doch eigentlich gar nicht mochte. Trotzdem gab er sich mit dem zufrieden, was ich ihm hinstellte. "Gut, wie machen wir weiter? Du willst ja bestimmt nicht einfach nur den Garten retten, oder?"
Schmunzelnd sah ich meinen besten Freund an, der mich brummelnd ansah. "Kannst du bitte damit aufhören mir das immer wieder auf die Nase binden? Für mich ist das peinlich genug ... aber ich denke man kann den Teich erneut herstellen und dann können wir da auch Fische rein setzen. Ich frage mich ja eh, was du mit deinem Erbe vorhast. Willst du hier wohnen bleiben, willst du wieder zurück nach Amerika und hier nur alles verkaufen? Ich meine ... du hast so viele Möglichkeiten, hast du dir da jemals Gedanken drüber gemacht?"
Wenn ich ehrlich war ... Nein. "Keine Ahnung", gestand ich leise. "Ich wollte nur hier herkommen, aber was ich mit dem Anwesen hier mache ... darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Erst einmal will ich einfach nur wissen, was hier los ist." Seufzend stocherte ich in meinem Essen herum, was Jason wohl dazu brachte, Mitleid mit mir zu empfinden. Sanft legte er seine Hand auf meine und sah mir in die Augen. "Und ich bin mit dir hergekommen, weil ich dir helfen will, egal was du auch vorhast. Warten wir einfach ab und du kannst immer noch entscheiden was passieren soll, wenn du hier gefunden hast, was du suchst. Hast du schon einen Plan, wie du weiter machen willst? Irgendeinen Ort, an den du gehen willst, oder jemanden mit dem du reden willst?"
Wenn ich das alles wüsste. Jason stellte mir Fragen, über die ich mir selbst schon meine Gedanken hätte machen müssen, aber ich war einfach nicht dazu in der Lage. Immer wenn ich versuchte auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, endete ich bei Kiosuke. "Ich denke mal, ich werde mit Yuta sprechen. Wir beide kennen uns seit Jahren und er ist unser Nachbar. Vielleicht hat er mehr von dem mitbekommen, was hier passiert ist."
Für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl, als würde Jason zusammenzucken. Ob es ihm nicht gefällt, dass ich hier auch noch Freunde habe? Beruhigend sehe ich ihn an. "Wir sind früher zusammen auf die gleiche Schule gegangen", meinte ich schmunzelnd. "Und ich habe ihn gestern im Laden nebenan getroffen. Wenn jemand hier etwas mitbekommen hat, dann er ... denke ich. Oder er kann mir wenigstens sagen, wo ich suchen muss oder was hier los war. Wie meine Großeltern in der letzten Zeit drauf waren und so was ..."
Noch immer wirkte Jason brummig, aber was sollte ich denn machen? Ich hatte eben auch meine Freunde und ein Leben, bevor ich nach Amerika kam. "Komm schon ... du hast doch auch noch andere Freunde neben mir, oder? Immerhin gehst du auch zum Sport und deine ganze Mannschaft steht hinter dir. Wenn ich da jedes Mal eifersüchtig werden würde, hätte ich aber eine Menge zu tun, weißt du das?", knurrte ich ihn leise an. Was war denn mit mir los? Warum reagierte ich so wütend auf ihn, obwohl er es doch nur gut mit mir meinte.
Immerhin war ich lange nicht mehr hier gewesen und ... ach, ich wusste auch nicht mehr, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Jason hob beruhigend seine Hände und quälte sich zu einem Lächeln durch. "Schon gut … ich weiß, dass du ein Leben hattest, bevor du nach Amerika gekommen bist. Ich konnte das nur immer sehr gut ausblenden. Für mich hat dein Leben erst in dem Moment angefangen, als du bei uns in die Klasse gekommen bist. Alles andere war ... vorher und hat mich auch nie richtig interessiert. Aber ... seit wir hier sind, fühle ich mich, als wärst du ein ganz anderer Aoki, den ich gar nicht kenne."
Seine Worte verwirrten mich, denn wenn mich jemand kennen sollte, dann doch Jason. Vermutlich hatte er aber recht ... für ihn fing mein Leben in dem Moment an, in dem es anfing, sich mit seinem zu kreuzen. Das Anwesen und mein Leben hier war für ihn vollkommen fremd und etwas, an das er wohl noch nie einen einzigen Gedanken verschwendet hatte. "Ich denke du solltest Yuta früher oder später mal kennenlernen. Bestimmt könnte er dir von Seiten erzählen, die du noch gar nicht von mir kennst", flüsterte ich leise. Wollte ich, dass die beiden Männer die mir am meisten in meinem Leben bedeuteten, sich kennenlernten? Irgendwie versetzte es mir einen kleinen Stich, da die beiden mir auf ihre ganz bestimmte Art und Weise nur mir gehörten. Nur ich kannte die fürsorgliche und sanfte Art von Jason und ich war der Einzige der die zurückhaltende und zerbrechliche Seite an Yuta kannte. Seinen Geschwistern gegenüber musste er immer stark und selbstbewusst sein. Im Grunde war er aber ganz anders, oft verunsichert und schnell aus der Bahn zu werfen. Das kannte nur ich und es war ein komisches Gefühl, dieses Verhalten jetzt auch einem anderen Menschen zu offenbaren. Ich seufzte leise und sah zu Jason, der mit den Schultern zuckte. "Du kannst ihn ja zum Abendessen mitbringen, wenn du willst. Großen Wert lege ich eigentlich nicht darauf ihn kennenzulernen, aber wenn du das möchtest, werde ich den braven Freund aus Amerika spielen."
Warum setzte ihm das denn so sehr zu? Allein sein Gesicht verriet mir, wie wenig er von der Idee hielt. Ich musste mir das noch einmal genau durch den Kopf gehen lassen, denn ich wollte Jason auf keinen Fall verletzen, obwohl ich es tat ... hatte ich das dumme Gefühl. Ich wusste nicht warum, aber der Gedanke das ich ihm gerade das Herz brach, ließ mich einfach nicht mehr los. Was stimmte denn nur nicht mit mir? Seit ich diesen Traum gehabt hatte, schien meine Wahrnehmung eine ganz andere zu sein. Seufzend erhob ich mich und lächelte etwas. "Gut, dann mache ich mich auf den Weg zu Yuta ... was willst du machen?"
Jason zuckte desinteressiert mit den Schultern. "Weiß ich auch noch nicht. Du hast das Bad geputzt, da kann ich baden gehen ... auch wenn ich mich mit der alten Badewanne immer noch überfordert sehe. Ihr Japaner badet wirklich merkwürdig ... aber ich werde mal sehen", murmelte er leise. Es war, als hätte sich eine Maske auf sein Gesicht gelegt. Ich konnte ihn nicht mehr durchschauen, was mir in diesem Moment einen unglaublich starken Stich mitten ins Herz versetzte.

An diesem Tag hatte Yuta frei und er empfing mich bei sich zu Hause. "Komm rein, freut mich dich wieder in meinen eigenen vier Wänden begrüßen zu dürfen. Sieht noch immer so erbärmlich aus wie früher, was? Dabei verdiene ich doch schon ganz gut Geld, aber am Ende des Monats bleibt trotzdem kaum was übrig." Erstaunt sah ich mich in dem kleinen Haus um.
Man merkte, dass Yuta kaum Geld hatte, doch das störte mich überhaupt nicht. Immerhin war er ja mein bester Freund. Keiner kannte mich so gut wie er, jedenfalls hier in Japan und ich wusste auch ganz genau, wo seine Schwachstellen lagen. "Du weißt, dass ich mir daraus noch nie etwas gemacht habe, oder? Aber ... ich würde einfach gerne mal mit dir reden. Auch über das, was meinen Großeltern passiert ist und warum sie sich immer mit meiner Mutter gestritten haben."
Ich wusste nicht ob Yuta mich verstehen würde, doch er lächelte und deutete auf einen kleinen Raum am Ende eines langen Ganges. "Setz dich dort hin, ja? Ich mache uns einen Tee und dann können wir uns über alles unterhalten, was dir auf der Seele liegt." Er war so freundlich und es tat gut, mich mit ihm zu unterhalten. Zwar hatte ich Jason, doch der kannte meine Großeltern nicht und auch meine Familie kannte er nur aus Amerika. Das Leben hier gehörte mir alleine ... und ein wenig auch Yuta, der kurz, nachdem ich mich gesetzt hatte, mit einer Teetasse zu mir kam und sich auf den Boden setzte.
Der Raum war sehr sauber, doch man merkte an den wenigen Möbeln, die in keinem guten Zustand waren, dass es in dieser Familie an allem mangelte. Ich ließ mir so wenig wie möglich anmerken und nahm dankend die Tasse entgegen. "Wirklich nett von dir", flüsterte ich leise. "Es ist schon komisch wieder zu Hause zu sein und dann ganz ohne meine Eltern. Ich weiß einfach nicht, warum sich meine Großeltern so sehr mit meiner Mutter gestritten haben. Du wohnst doch nebenan und hast bestimmt auch mal mit den beiden gesprochen, oder? Haben sie mit dir darüber gesprochen, warum sie sich ständig mit meiner Mutter in der Wolle hatten?" 
Hoffnungsvoll sah ich meinen alten Freund an, der skeptisch die Stirn in Falten legte und selbst an seiner Teetasse nippte. "Ich habe mich öfter mit deinen Großeltern unterhalten, seit du nicht mehr hier warst. Die beiden waren sehr nett zu mir, aber viel erzählt haben sie nicht. Immer wenn es um dieses Thema ging, wurden sie sehr schweigsam. Ich denke, es gibt niemanden, der dir da viel erzählen kann. Allerdings ..." Yuta wurde schweigsam, was mich verwirrt aufsehen ließ. Er wusste doch etwas, oder nicht? Skeptisch musterte ich meinen alten Freund. "Allerdings? Was ist denn los? Wenn du irgendwas weißt, dann rede bitte mit mir. Ich weiß einfach nicht, wie es noch weiter gehen soll."

Beruhigend sah Yuta mich an. "Mach dir keine Gedanken ... Mir ist nur gerade etwas in den Kopf gekommen. Weißt du, je älter und kränker dein Großvater wurde, umso mehr hat er erzählt, auch den Menschen denen er nicht so viel hätten erzähle erzählen sollen. Jedenfalls hat deine Oma sich deswegen oft mit ihm in der Wolle gehabt. Viel habe ich davon nicht mitbekommen, aber was er immer wieder betont hat, ist die Tatsache … na ja, er war wohl nicht der Vater deiner Mutter. Das erzählte er mir immer wieder, wenn ich den beiden die Einkäufe brachte, die sie bei mir bestellt hatten."
Erstaunt sah ich Yuta an. "Moment ... meinst du das ernst? M-Mein Großvater war nicht der Vater meiner Mutter?" Davon hatte man in den Jahren in denen sie zusammenlebten, rein gar nichts bemerkt. Meine Mutter war ihm gegenüber immer sehr freundlich gewesen, liebte ihn wie einen Vater, jedenfalls kam das bei mir immer so an. Und meine Großmutter hätte das wohl auch nie mit einem einzigen Wort erwähnt. Yuta sah mich mitleidig an und nickte. "Tut mir leid, wenn du das gerade von mir erfahren musst, aber das hat er mir erzählt. Der Vater deiner Mutter ist wohl nur wenige Wochen vor deiner Geburt gestorben. Bestimmt war das sehr schlimm für sie und darum hat sie nie mit dir darüber gesprochen."
Schmollend verschränkte ich die Arme vor der Brust. "Yuta, ich bin kein kleines Kind mehr. Jetzt hätte sie es doch wenigstens mal mit einem Wort erwähnen können, oder? Außerdem ... für mich ist das nicht schlimm, sie musste doch mit einem neuen Vater leben. Den muss meine Großmutter aber ja sehr schnell kennengelernt haben, denn für mich war er schon immer da. Ich kann mir eine Zeit ohne ihn gar nicht vorstellen."
Einen Moment überlegte Yuta, der gerade mal ein halbes Jahr älter war als ich, dann aber nickte. "Ja, ich denke die beiden haben sich schnell kennengelernt. Aber du musst auch bedenken, dass du dich an dein erstes bis zweites Lebensjahr nicht mehr erinnern kannst. Für deine Mutter war das aber so kein Geheimnis, also denke ich nicht, dass die beiden sich deswegen in der Wolle hatten. Es muss einen anderen Grund gegeben haben ... immerhin war sie ja schon erwachsen, als sie dich zu Welt gebracht hat." Das ist logisch. Für einen Moment hatte ich mit dem Gedanken gespielt, dass meine Mutter wütend war, weil man ihren leiblichen Vater so schnell gegen einen anderen ersetzt hatte, doch dann wäre sie anders mit dem Mann umgegangen, den ich als meinen Großvater kennenlernen durfte. Also musste noch ein anderes Geheimnis dahinter stecken, hinter das ich noch nicht gekommen war. "Schade ... aber ich denke diese Lösung wäre auch zu einfach gewesen, denkst du nicht auch? Wegen so was streitet man sich nicht dermaßen heftig, dass man sogar den Kontakt zueinander abbricht." Zustimmend nickte Yuta. "Kann ich mir auch nicht vorstellen. Da muss was anderes vorgefallen sein, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, was das war ... jedenfalls bist du deutlich gesünder, als früher."
Was meint er denn nun damit? Gut, ich war manchmal etwas schwächlich auf den Beinen, aber ich war nie krank, oder erinnerte ich mich einfach nur nicht mehr daran? "So oft war ich nun auch wieder nicht krank ...", brummle ich leise. "Du tust gerade so, als wäre ich früher ein echtes Weichei gewesen." Lachend schüttelt Yuta den Kopf. "Nein, so meinte ich das gar nicht. Ich habe da auch nicht sehr viel von mitbekommen, aber deine Großmutter erzählte mir davon. Sie würde sich Sorgen machen, jetzt wo du in Amerika lebst, weil du doch als Baby schon immer so krank warst und sie jetzt kein Auge mehr auf dich haben konnte. Was sie damit meinte, weiß ich aber nicht. Du warst doch nie sonderlich krank, oder erinnere ich mich nur nicht daran?"
Ob ich als Baby nun krank war oder nicht, konnte ich selbst nicht mehr so genau sagen. Aber meine Großmutter schien sich deswegen viele Gedanken gemacht zu haben. "Die haben dir ja doch eine Menge erzählt, auch wenn ich zugeben muss, dass ich mit diesen Informationen nicht sonderlich viel anfangen kann." Irgendwie war ich enttäuscht.
Von meinem Besuch bei meinem alten Freund hatte ich mir mehr erwartet als nur ein paar solcher Worte, mit denen ich am Ende doch nichts anfangen konnte. Traurig sah Yuta mich an, spürte er wohl, dass ich mir mehr erwartet hatte. "Komm, trink deinen Tee und dann können wir uns auch über andere Sachen unterhalten, meinst du nicht? Wir müssen ja nicht immer nur über deine Großeltern sprechen, oder hast du deinen alten Freund gar nicht vermisst?" Lächelnd sehe ich ihn an und schüttle den Kopf. "Dummkopf, natürlich habe ich dich vermisst." Und damit nippte ich zum ersten Mal an dem Tee, den mir Yuta gegeben hatte. Warm floss er meine Kehle herunter, hinterließ dabei aber ein seltsames Brennen.
Langsam fing meine Kehle an sich zu zuschnüren, mir wurde schwindelig und schwarz vor Augen. Ich sah panisch zu Yuta, der sofort aufsprang und erschrocken an mir rüttelte. Immer wieder kämpfte ich gegen die Ohnmacht an, musste aber schon bald einsehen ... egal, was gerade mit mir los war, es war stärker als ich.

Kapitel 4

 

Das leise Klirren eines Windspiels weckte mich mit zarter Bestimmtheit aus der Ohnmacht. Schon wieder schmerzte mir der Kopf, als ich mich erhob und mich in dem Raum, den ich nun schon so gut kannte, umsah. Hier fühlte ich mich sofort zu Hause, ob ich wollte oder nicht. Was war denn nur los mit mir? Warum fühlte ich mich an einem Ort, den ich kaum kannte, so zu Hause?
"Na? Wieder wach?", hörte ich eine warme Stimme, dicht an meinem Ohr. Sofort wirbelte ich mit starkem Herzklopfen herum und sah direkt in Kiosukes Augen. Er kniete hinter mir und hatte mich offenbar mit einem kühlen Tuch versorgt, welches mir gerade von der Stirn rutschte. "J-Ja ... und vor allem bin ich schon wieder hier", flüsterte ich leise. "Und ich weiß schon wieder nicht, wie ich hier hergekommen bin. Ich war doch nicht einmal in meinem Haus ... wie bin ich dann zu dir gekommen? Ich verstehe das alles nicht mehr."
Alles was ich getan habe, war Tee zu trinken. Warum landete ich dann an diesem Ort? Ruhig sah mir Kiosuke in die Augen, ehe ein Lächeln über seine Lippen huschte. "Egal, aus welchem Grund du auch hier sein magst, ich bin froh das du hier bist. Ohne dich wäre es für mich hier sehr einsam. In diesem Haus ist kaum noch Leben. Meine Schwester leidet sehr unter der Krankheit ihres Mannes und der ist kaum noch in der Lage sich zu bewegen. Täglich pflegt sie ihn und nachts weint sie sich in den Schlaf. Da bin ich dankbar, wenn ich mich wenigstens für ein paar Minuten mit jemandem unterhalten kann, der nicht in Tränen ausbricht."
Seufzend erhob er sich und fuhr sich durch die Haare. "Ich bin wirklich egoistisch, kann das sein? Es geht jedem im Haus hier so schlecht und ich denke nur daran, wie ich mich etwas wohler fühlen könnte. So was ist nicht in Ordnung, oder?" Langsam versuchte ich auf die Beine zu kommen, was nicht einfach war, da sie sich anfühlten, als würden sie aus Wackelpudding bestehen. "Doch, das ist vollkommen in Ordnung", flüsterte ich leise und ging zu ihm. "Du willst doch auch nur etwas Ablenkung ... für dich ist es auch nicht einfach, denke ich."
Lächelnd sah er mich an. Und genau dieses Lächeln fühlte sich einfach gut an. Mein Herz hämmerte sofort schneller, was mir Schauer über den Rücken laufen ließ. An seiner Seite fühlte ich mich wohl und geborgen, obwohl ich ihn doch gar nicht kannte. Kiosuke wirkte so traurig, so einsam ... wie gern hätte ich ihn einfach in den Arm genommen, doch das traute ich mich auch wieder nicht. 
Sein Blick verlor sich in den hellen Sternen, die über dem Anwesen funkelten, die Nacht aber kaum erhellten. Diese schönen, braunen Augen, die mir den Atem raubten, mit jeder Sekunde mehr. Ich folgte seinem Blick und beobachtete einen Moment lang die funkelnden Sterne. "Wenn ich ehrlich bin, will ich dir gar nicht helfen", flüsterte Kiosuke auf einmal.
Erstaunt sah ich ihn an. "W-Was meinst du damit? Immerhin war es doch deine Idee, dass wir uns zusammentun und darüber reden, wie das alles aufhört und was es mit diesem Fluch auf sich hat, oder?" Wollte er mich nicht mehr sehen? Ging ich ihm auf die Nerven? Es krampfte mir das Herz zusammen, doch Kiosuke schüttelte mit einem warmen Lächeln den Kopf. "So meine ich das nicht. Wenn wir beide dahinter kommen, was hier los ist und warum du immer wieder herkommst, wird das alles doch enden, oder? Wenn wir den Fluch brechen, hast du keinen Grund mehr, um zu mir zu kommen", flüsterte diese warme Stimme.
Hatte er Angst, dass wir uns nicht wiedersehen würden? Sofort schlug mein Herz noch etwas schneller. Ich stand nur neben ihm, spürte seine weiche Hand an meiner, und sagte kein Wort mehr. Es hatte mir regelrecht die Sprache verschlagen, doch der Gedanke ihn nicht mehr sehen zu können, verletzte auch mich sehr. Keiner von uns sagte ein Wort, vermutlich wäre jedes Wort auch zu viel gewesen, in so einem Moment. In diesem Zeitalter war es doch bestimmt noch verpönt so etwas einem Mann zu sagen, doch Kiosuke schien sich dem gar nicht zu schämen. Was sollte ich dazu nur sagen? Mir fielen keine passenden Worte ein, darum genoss ich einfach nur dieses Schweigen zwischen uns, welches keinen zu stören schien.

Es war Kiosuke, der dieses für mich sehr angenehme Schweigen brach. "Aber so egoistisch kann ich nicht sein, oder? Immer nur daran zu denken, wie es wäre, wenn wir uns nicht wiedersehen würden. In den letzten Stunden konnte ich nur daran denken, wie es wäre, wenn du noch einmal zu mir kommen würdest, und doch habe ich nicht im Traum gewagt, wirklich darauf zu hoffen. Und jetzt bist du hier, weil der Fluch dein Leben bedroht. Da kann ich doch nicht nur an mich denken ... ich muss daran denken, dass du sonst vielleicht stirbst, was ich natürlich beim besten Willen nicht möchte."
Seine Worte klangen so traurig und verzweifelt, wie sein Blick es war. Heiße Schauer liefen über meinen Rücken genau in ein Zentrum, wo ich diese Hitze nicht gebrauchen konnte. Leise räusperte ich mich, zu feige ihm in die Augen zu sehen.
Seine Worte fühlten sich gut an, als wären sie aus Zuckerwatte gemacht worden und ich freute mich darüber, dass er sie zu mir sagte. Bedeutete das nicht, dass ich ihm etwas bedeuten musste? Sonst würde er nicht so denken, oder fühlen? Ein schlechtes Gewissen bekam ich schon, weil er sich sehr damit quälte, im nächsten Moment war ich aber wieder glücklich. "I-Ich denke wir können das ein wenig mischen, meinst du nicht? D-Diese Sache mit dem Fluch ... ich weiß immer noch nicht, ob es real ist, oder ob das nur ein Versuch ist die schwache Konstitution in meiner Familie zu begründen. Ich war heute bei einem alten Freund von mir, der mir erzählte mein leiblicher Großvater sei kurz vor meiner Geburt gestorben. Und ich solle als Baby wohl auch sehr schwach gewesen sein, davon hat mir nur nie jemand etwas erzählt."
Erstaunt sah Kiosuke mich an. "Ein alter Freund? Wen meinst du denn?" Bestimmt kannte er ihn eh nicht, aber ich erzählte ihm vom Yuta und meinem Gespräch mit ihm, wie wir uns kennenlernten und das wir schon seit vielen Jahren Freunde waren. Wenn ich mehr heraus bekommen wollte, über das, was mich und meine Familie befallen hatte, musste ich ehrlich zu ihm sein.
Wieder hörte er mir zu, ohne ein Wort zu dem zu sagen, was ich ihm erzählte. Sein Blick war fest auf mich gerichtet, was mich dazu brachte immer wieder zu unterbrechen, und mich von seinen schönen Augen los zu reißen. Musste mir so was denn gerade jetzt passieren? Bestimmt machte mein doofes Unterbewusstsein, das nur, um die Fragen die ich hatte, auf so angenehme Art und Weise zu verarbeiten, nur konnte ich dabei nicht leugnen, wie wohl ich mich fühlte und der Gedanke das alles zu verlieren, fühlte sich nicht gut an.
Immer wieder nickte Kiosuke, als würde alles, was ich ihm erzählte, für ihn Sinn ergeben. Einen Sinn, den ich erst noch finden musste. Ob er wohl mehr wusste als ich? Ein schweres Seufzen kam über seine hübschen Lippen, die ich zu gerne einmal berührt hätte ... ach verdammt, ich musste aufhören, an so etwas zu denken. Damit würde ich Kiosuke nur in Schwierigkeiten bringen. "Gut ... ich denke du solltest dich von deinem Freund ein bisschen fernhalten, meinst du nicht auch? Das letzte Mal hat dich der Herd angegriffen, diesmal trinkst du einen Tee von deinem Freund und brichst zusammen. Du gerätst doch ständig in Schwierigkeiten und ... was, wenn in dem Tee etwas war?"
Der Gedanke wäre mir nie im Leben gekommen. Wie konnte Kiosuke nur so etwas denken? "Nein! Ich kenne Yuta nun schon so lange, er wäre der letzte Mensch der Welt, der mir etwas antun würde! Daran werde ich nicht einmal einen einzigen Gedanken verlieren. Was das mit dem Herd war, weiß ich auch nicht, aber Yuta hatte damit nichts zu tun. Er hatte doch nur wenige Minuten zuvor davon erfahren, dass ich wieder nach Japan gekommen war. Wie hätte er den Herd also beeinflussen sollen? Er wusste doch nichts von alldem ... außerdem sind wir beste Freunde, er würde mir nie ein Haar krümmen ... nie!"
Seine Worte machten mich wütend, auch wenn ich mich wehren wollte. Niemals würde Yuta mir wehtun, auf die Idee würde ich nicht einmal kommen. Beruhigend sah Kiosuke mich an. "Es tut mir leid, ich wollte dich nicht wütend machen", flüsterte er mit einer so sanften Stimme, dass meine Wut sofort wieder verschwunden war. Seufzend schüttelte ich den Kopf und tat zum ersten Mal einen Schritt in den Garten. "Du wolltest mir doch den Garten zeigen, oder?", flüsterte ich leise. "Ich will mit dir nicht über meinen besten Freund reden, der beim besten Willen nie jemandem etwas getan hat. Sag mal ... habt ihr einen Gartenteich?", fragend drehte ich mich zu ihm, was ihn erstaunt blinzeln ließ. Offenbar war er über den abrupten Wechsel der Themen verwirrt, doch dann schlich sich wieder dieses warme Lächeln auf seine Lippen. "Nein ... habt ihr einen im Garten? Kannst du mir zeigen, wo ihr ihn habt? Vielleicht bauen wir dann auch einen ..."
Lächelnd nickte ich. "Gut, dann komm", flüsterte ich leise. Meine Schritte wurden sicherer, mit jedem Schritt, den ich in dieser Umgebung machte. Die Sterne funkelten vom Himmel und ich fühlte mich so wohl bei Kiosuke. Wir lachten viel, während ich die Strecke ablief, an der sich unser Teich befand. Ich berichtete ihm natürlich sofort davon, dass Jason einfach in den Teich gefallen war, der von Gras und anderen Ranken total überwuchert war. Es war schön Kiosuke so frei und fröhlich zu sehen, nur seine Augen, die wirkten noch immer so traurig. Ob ich wohl jemals diesen Ausdruck in seinen Augen vertreiben konnte? Oder war ich gar der Grund dafür?

Im Garten kam Kiosuke endlich dazu, auch mal etwas mehr von sich zu erzählen. Von mir wusste er so viel, aber selbst erzählte er nur wenig von sich. 27 war er schon, lebte bei seiner kleinen Schwester und seinem Schwager, während er versuchte als Autor und Schriftsteller in der Welt seinen Platz zu finden. "Das ist nicht immer einfach", flüsterte er leise, während er in die Sterne sah. "Irgendwie habe ich immer auf eine Art Zeichen gewartet. Etwas, das mir zeigt: Ich bin auf dem richtigen Weg. Aber das ist gar nicht so einfach. Jetzt wo mein Schwager krank ist, bittet meine Schwester mich oft darum, ihr bei den Angelegenheiten im Haus zu kümmern, was mir überhaupt nicht liegt. Ich habe noch eine ältere Schwester, die schon seit Längerem verheiratet ist ... sie nannte mich immer einen hoffnungslosen Träumer, der mit seinem Leben überfordert ist. Ich liebe meine Schwestern, aber sie ist immer sehr streng zu mir. Akane lässt mir meine Freiheiten und weiß, wie ich bin. Es stört sie nicht, im Gegenteil, sie unterstützt mich, wo sie nur kann, dabei mache ich ihr bestimmt auch viele Sorgen."
Er schien sich für viele Dinge die Schuld zu geben, dabei konnte er doch auch nichts dafür. Jeder Mensch war eben, wie er war und in meinen Augen konnte ein Mensch nicht besser sein, als Kiosuke. 
Seine Schwester machte mir mittlerweile aber auch so meine Gedanken. "Sag mal ... müssen wir nicht vorsichtig sein? Wenn wir hier im Garten herumschlendern, könnte uns deine Schwester oder dein Schwager doch jederzeit sehen, oder nicht? I-Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich das möchte, oder ob ich dann erklären möchte, wie ich hier hergekommen bin."
Beruhigend sah mich Kiosuke an. "Ich weiß zwar nicht, wie spät es in deiner Welt ist, aber bei mir musst du dir keine Gedanken machen. Es ist mitten in der Nacht und meine Schwester liegt im Bett und schläft ..." Kaum den Satz ausgesprochen, hörte ich leise Schritte hinter mir. Am liebsten wäre ich mit einem Satz ins Gebüsch gesprungen, doch Kiosuke hielt mich an der Hand fest. Alleine dieses Gefühl sorgte dafür, dass mir beinahe schwindelig wurde. Benommen sah ich mich um und bemerkte kurz darauf einen Mann auf der Veranda. "I-Ist das dein Schwager?", flüsterte ich leise.
Kiosuke nickte. "Das beobachte ich nun schon seit ein paar Tagen. Er schlafwandelt ... am Tag kann er seinen Körper nicht mehr aus dem Bett erheben, weil er viel zu schwach ist. Sieh dir an, wie dünn er ist, dabei isst er tatsächlich mehr als ich. Ein sehr merkwürdiges Verhalten, meinst du nicht auch? Ich weiß jedenfalls nicht, was ich davon halten soll. Er schläft und wandert dabei jede Nacht durchs Haus. Sogar zu meiner Schwester geht er, auch wenn ich nicht weiß, was er von ihr möchte. Es ist, als würde Wataru nach seinem Kind sehen wollen."
Wataru war also der Name meines Vorfahren. Das musste ich mir auf jeden Fall merken. Wataru aus der Edo-Zeit, da sollte man doch Informationen finden können. "Vielleicht ist das ja auch so", meinte ich leise, denn ich wollte die Aufmerksamkeit meines Vorfahren nicht auf mich ziehen. "Wenn er sich Sorgen um sein Kind und seine Frau macht, dann wäre es doch gut möglich, dass er nach ihr sehen will und überprüfen will ob es ihr und dem Kind gut geht. Lieben die beiden sich?"
In der Zeit, in der ich mich befand, war das alles andere als selbstverständlich, würde sein Verhalten aber auf jeden Fall erklären. Sofort errötete Kiosuke, war das doch offenbar ein Thema, über das er nicht oft sprach. "N-Nun, ich denke schon. Die Gefühle meiner Schwester für ihn sind auf jeden Fall sehr intensiv und sie sorgt sich darum auch so sehr um ihn. Meinem Schwager habe ich nie entlockt, was er für Gefühle hat, aber er geht sehr liebevoll und sorgsam mit meiner Schwester um, daher denke ich schon, dass er ihre Gefühle ebenso intensiv erwidern wird."
Wie er so darüber sprach, brachte mich zum Lächeln. Ich wusste nicht, warum, aber es fühlte sich gut an, wenn er über diese Gefühle sprach. Ach Kiosuke, wenn du wüsstest, was du mit mir machtest. Ich fürchtete zwar um mein Herz und meinen Verstand, aber das alles war es Wert, wenn ich nur ein paar Minuten bei dir sein konnte.

Schweigend sah ich wieder zu meinem Vorfahren, der einen Moment in unsere Richtung sah, ehe er wieder davon schlurfte. Offenbar konnte er seine Füße kaum anheben, denn seine Schritte waren sehr schwer und erinnerten mich eher an jemanden, der kaum Kräfte hatte. Der eigentlich wohl sehr stark gebaute Körper, breite Schulter ... er war dürr und viel zu schlank, unter den Augen lagen dunkle Ringe, die ich selbst hier deutlich erkennen konnte. Mir lief ein Schauer über den Rücken, als er mich direkt ansah.
Ob er wusste, wer ich war? Konnte er einschätzen, dass ich aus einer anderen Welt gekommen war, um zu erfahren, wie es ihm ging und wie ich diesen Fluch brechen konnte? "Komm, gehen wir lieber", flüsterte Kiosuke auf einmal. Seine Hand griff wieder nach meiner und sanft zog er mich mit sich. Ich konnte aus dem Augenwinkel erkennen, wie Wataru langsam weiter schlurfte und im Haus verschwand. Eine Gefahr schien er auf jeden Fall nicht zu sein. "Gut", murmelte ich und drückte die Hand in meiner sanft.
Im ersten Moment zuckte Kiosuke zusammen, wollte er mich los lassen? Nein, seine Hand hielt meine weiterhin fest, was mich lächeln ließ. Herrje, ich war nicht hier um romantische Anwandlungen zu bekommen, mit einem Mann, den ich vermutlich niemals wiedersehen würde, sondern weil auf meiner Familie eine Geschichte lag, die ich unbedingt ändern musste. War ich in solcher Gefahr, dass ich ebenso enden konnte, wie dieser Wataru?
Irgendwoher kannte ich sein Gesicht, aber ich konnte nicht sagen, woher. Was war denn nur mit mir los? Benommen schüttelte ich den Kopf und krallte mich etwas in die Hand von Kiosuke. "Hast du Angst?", hörte ich seine warme Stimme dicht an meinem Ohr. Erschrocken sah ich ihn an, während er mich besorgt musterte. Seine andere Hand legte sich auf seine Wange. "Du bist ganz blass ... wirst du auch schon krank?"
Vermutlich wurde ich in diesem Moment eher rot als blass, weswegen ich beruhigend den Kopf schüttelte. "Nein ... ich glaube es hat mich nur erschreckt, einen meiner Verwandten in so einem Zustand zu sehen. Zwar kenne ich diesen Mann nicht persönlich, aber wenn ich mir vorstelle, du hast mit diesem Fluch recht und anderen Männern, vielleicht auch meinem Großvater, erging es genauso. Der Gedanke ... Ich weiß nicht, aber die Vorstellung macht mir ein wenig Angst." Noch immer lag seine Hand sanft auf meiner. "Schon gut, ich kann dich verstehen. Vielleicht sollte ich einfach mal offen mit meinem Schwager reden. Was soll dabei schon passieren?", flüsterte er leise, als hätte er noch immer Angst, hier könne gleich jemand um die Ecke kommen und uns erwischen. Wäre das denn gefährlich? Vermutlich würde mir keiner glauben, wenn ich ihnen meine Geschichte erzählen würde. "Meinst du nicht, er könnte Verdacht schöpfen?"
Beruhigend schüttelte Kiosuke den Kopf. "Ich glaube nicht einmal, dass er richtig verstehen würde, was ich von ihm möchte. Dafür ist Wataru leider schon viel zu weit weg. Ich muss nur eine Zeit abwarten, in der Akane nicht im Haus ist. Morgen hat sie einen Termin beim Arzt, ich denke das werde ich wahrnehmen. Wenn sie heraus bekommen würde, worüber ich mit ihrem Mann spreche, würde sie sich nur noch mehr Sorgen machen, was ich verhindern möchte. Jeder Stress könnte für meine Schwester und ihr ungeborenes Kind gerade gefährlich sein und sie leidet schon genug. Ich möchte nur vermeiden, dass sie sich noch mehr Sorgen macht."
Ich mochte ihn für seine Art und für die Sorgen, die er sich um die Menschen machte, die ihm nahe waren. "Schon gut, du musst auch nicht mit deinem Schwager reden, vielleicht weiß er ja auch gar nichts." Unsicher zuckte Kiosuke mit den Schultern. "Das kann man nicht genau sagen, aber wenn ich ihn nicht frage, dann werden wir das auch nie heraus bekommen."
Ein leises Klirren wurde von dem aufkommenden Wind zu uns hinüber getragen. "W-Was ist das für ein Windspiel? Ich habe das Gefühl, als würde ich es auch bei mir zu Hause hören können, aber das ist doch im Grunde vollkommen unmöglich, oder?" Mein Blick huschte durch den Garten und blieb an einem Weidenbaum hängen, dessen Äste typisch für diese Art, herunterhingen und im Wind etwas flatterten. "Oh, die Trauerweide habe ich gepflanzt", erklärte mir Kiosuke, nachdem er meinem Blick gefolgt war. "Kurz, nachdem ich hier eingezogen war und das Windspiel habe ich auch selbst gebastelt. Ob es noch immer in dem Baum hängt, weiß ich nicht aber ..." Erstarrt sah er mich an. "Aoki? D-Du hast Nasenbluten", flüsterte er leise. In dem Moment, an dem ich mir an die Nase griff, wurde das Läuten in meinem Ohr unglaublich laut. Es dröhnte fast schon und verzweifelt hielt ich mir die Ohren zu. Woher kam der Lärm? Am liebsten hätte ich geschrien, doch meine Lippen verließ kein Laut. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich Kiosuke an, der mir etwas sagen wollte. Ich konnte nur erkennen, wie er seine Lippen bewegte ... dann wurde mir schwarz vor Augen.

Kapitel 5

 

Das Blut in meinen Adern rauschte, als ich die Augen aufriss und hustend wieder zur Besinnung kam. Allein der muffige Geruch, machte mir schnell klar wo ich war. "Das ist jawohl alles deine schuld! Ich wollte von Anfang an nicht, dass er zu dir geht und jetzt weiß ich auch warum. Sei doch ehrlich, du hast ihm irgendwas in den Tee gegeben, oder?", hörte ich Jason, der offenbar ziemlich sauer war. Stöhnend erhob ich mich und hielt mich an einem Stuhl fest, der dicht neben mir stand. "Kannst du bitte etwas leiser sein?", murmelte ich benommen.
Sofort verstummten die beiden lauten Stimmen zu meiner Freude. Mein Schädel dröhnte als wäre ich von einem LKW überfahren worden. "Was ist denn überhaupt passiert?" Fragend sah ich meine beiden Freunde an, die hoch rote Gesichter hatten und sich wohl bis eben noch die Köpfe einschlagen wollten. War Jason auch der Meinung, Yuta hätte etwas damit zu tun? Schnell war Jason bei mir, legte seinen Arm um meine Hüfte und stütze mich. "Komm, du musst dich  hinsetzen. Du siehst beim besten Willen nicht gut aus, bist bleich wie eine Wand und zitterst am ganzen Körper."

War das ein Wunder? Zwischen den Zeiten zu springen war alles andere als angenehm. Meine Beine waren schwach und ich war dankbar, als Jason mich erst einmal auf einen Stuhl setzte. "Danke, hast du einen Tee für mich?", flüsterte ich leise. Wütend funkelte Jason meinen alten Freund an, der in der Ecke stand und ziemlich schweigsam war. "Ich werde dir auf jeden Fall einen Tee machen, in dem keine komischen Mitteln drin sind. Halte dich ja von dem Kerl fern, der ist doch nicht normal... das sieht man ihm doch auf den ersten Blick an."
Funkelnd erwiderte Yuta den Blick, was mich schwach schmunzeln ließ. Immerhin stritten die zwei sich wie kleine Kinder denen man nur ein Spielzeug gegeben hatte. "Nun geh schon, ich werde mich schon gegen Yuta wehren können, da mach dir mal keine Gedanken." Brummelnd verließ Jason das Zimmer, obwohl man ihm anmerkte wie ungerne er das machte. Langsam wanderte mein Blick zu Yuta, der zu mir ging und sich neben mich kniete. "Du glaubst ihm jawohl nicht, oder? Als wenn ich dir etwas in den Tee tun würde. Wir sind die besten Freunde, da würde ich dir nie im Leben etwas antun... wie kommt der Kerl überhaupt auf diese dämliche Idee? Was hast du ihm denn von mir alles erzählt?"

Gar nichts hatte ich Jason von ihm erzählt. "Nichts... ich meine, bis heute wusste er nicht einmal, dass du am Leben bist. Jason macht sich einfach nur Sorgen um mich, da musst du dir nichts bei denken", murmelte ich leise. Warum dachte auch Jason, dass mir Yuta etwas antun wollte? Damit war Kiosuke auch schon gekommen. Bestimmt war mir einfach nur schlecht geworden und das aus ganz normalen Gründen. Yuta musterte mich etwas, ehe er brummelte. "Und ich dachte ich wäre es dir wenigstens mal Wert, erwähnt zu werden. Du hast mich in Amerika total vergessen, kann das sein?"

Seufzend raufte ich mir die Haare. "Das hat doch damit nichts zu tun", brummelte ich leise. "Du warst es doch, der sich auf meine Mails oder meine Briefe nicht mehr gemeldet hat. Da dachte ich doch auch, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben willst. Und ich wollte mit meinem Leben in Japan nicht mehr so viel zu tun haben. Meine Mutter hat mir im Grunde sogar verboten weiter mit dir Kontakt zu halten, aber den hast du dann ja ganz erfolgreich abgebrochen würde ich sagen." Ich war noch immer wütend auf ihn deswegen, auch wenn ich nicht genau sagen konnte, warum. Er hatte mich im Stich gelassen, irgendwie.

Erstaunt sah Yuta mich an. "Hör mal... ich habe dir geschrieben, aber du bist ja nie auf meine Briefe eingegangen. Immer wenn ich dir geschrieben habe, hast du mich nachher gefragt, warum ich mich nicht melden würde." Sein Blick war ehrlich und ich legte die Stirn in Falten. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff was das zu bedeuten hatte. "Meine Mutter... ich wette sie hat deine Briefe abgefangen", murmelte ich leise. Yuta zog eine Augenbraue hoch. "Warum sollte sie das denn tun? Wir waren doch schon immer die besten Freunde, oder nicht? Sie kannte mich doch, warum sollte sie dir nicht erlauben, mit mir zu schreiben? Jedenfalls war sie zu mir immer sehr freundlich."
Ich verstand das doch selbst nicht, aber eine andere Lösung für diese Frage, sah ich einfach nicht. Als Jason mit dem Tee wieder kam, packte er Yuta an der Schulter und schob ihn aus dem Raum. "Er braucht jetzt erst einmal Ruhe... du solltest gehen und ob ich zulasse, dass du ihn noch einmal triffst, werden wir dann sehen, klar?"

Also darüber musste ich mit Jason dringend nochmal reden.


Brummelnd nahm ich meinen Tee und musterte meinen besten Freund. "Was machst du denn da? Ich meine... Yuta hat damit bestimmt nichts zu tun. Warum sollte er mich denn vergiften wollen? Das hat doch gar keinen Sinn, oder?", schnaubte ich wütend, nippte an dem Tee und spürte, wie mir von innen langsam wärmer wurde. Das war ein schönes Gefühl, nachdem eine seltsame Kälte mich ergriffen hatte. Jason musterte mich und griff in seine Tasche, nahm ein Taschentuch und wischte mir etwas von der Nase weg. "Seit wann hast du denn Nasenbluten?", wich er mir aus. Doch meinem Blick konnte er wohl entnehmen, dass ich ein Ausweichen nicht dulden würde.

Seine blauen Augen funkelten etwas wütend, als er sich erhob und anfing unruhig in dem engen, alten Zimmer auf und ab zu laufen. Die alten Reismatten knirschten unter seinen Schuhen, was mir ein warmes Gefühl gab. "Das wundert dich noch? Also... das ich diesen Idioten verdächtige dir etwas getan zu haben? Du gehst zu ihm und bist total fit, was in deinem Zustand eben fit ist, dann kommt er nur eine Stunde später bei mir an und meint du wärst zusammen gebrochen und wirst nicht wieder wach. Aoki, du musst doch selbst auf den Gedanken kommen, dass da irgendwas nicht ganz richtig ist, oder nicht?"

Aber ich konnte doch auch meinen besten Freund nicht verdächtigen, dass er mir sowas antun würde. "Yuta und ich kennen uns nun wirklich schon seit Jahren. Er würde mir niemals etwas tun, da bin ich mir sicher", flüsterte ich leise. "Und hör bitte auf ihn ständig zu verdächtigen, ja? Das stimmt einfach nicht. Wir haben uns immer gut verstanden. Er war immer für mich da und ich habe ihn sehr verletzt, als ich einfach irgendwann aufgehört habe ihm Briefe zu schreiben. Nur weil meine Mutter mir seine Briefe vorenthalten hat... ich verstehe nur nicht warum. Warum sollte meine Mutter so etwas tun? Am liebsten würde ich sie anrufen, aber vermutlich würde sie eh gleich wieder auflegen."

Meine Mutter würde nie im Leben mit mir darüber reden, warum sie den Kontakt zu Yuta nicht mehr haben wollte. Das musste ich alleine raus finden, auch wenn ich nicht wusste wie. Jason seufzte und griff nach meiner Hand. "Hör mal, deine Mum wird sich schon etwas dabei gedacht haben, dass du lieber keinen Kontakt mehr zu ihm haben solltest. Ich meine es doch auch nur gut mit dir und ich mache mir Sorgen um dich. Du bist total blass, seid wir hier her gekommen sind. Du warst ja schon immer blasser als ich, aber du bist weiß wie eine Wand. Ich mache mir eben Sorgen um dich und was soll ich denn von einem Mann halten, bei dem du nur kurz Tee trinken willst und der dich dann bewusstlos wieder zu mir bringt? Ich kenne doch nur die Fakten. Woher soll das denn sonst gekommen sein? Du kippst doch nicht auf einmal um."

Eigentlich hatte Jason ja Recht, nur wollte ich es nicht hören. Yuta war mein Freund, der würde mir nie weh tun. Das war alles was ich immer wieder vor mich her betete und an was ich auch fest glauben wollte. "Können wir das Thema Yuta jetzt bitte endlich lassen? Ich werde mit ihm trotzdem befreundet bleiben, ob du das nun willst, oder nicht." Stur verschränkte ich die Arme vor der Brust, ehe ich nach meinem Tee griff.
Jason sah mich beinahe verzweifelt an, seufzte kurz darauf aber schwer und ergeben. "Also gut, ich werde dir sowieso nicht rein reden können, was?" Sanft wuschelte er mir durch die Haare. Eine Geste die ich an ihm schon immer sehr zu schätzen gewusst hatte und die mir sehr viel bedeutete. Jason lächelte und seine funkelnden Augen blitzten mich richtig an. "Ich würde dich trotzdem am liebsten mal zum Arzt bringen. Es kann doch nicht sein, dass du immer wieder ohnmächtig wirst. Das ist jetzt schon das zweite Mal innerhalb von zwei Tagen... gesund sein kann das nicht. Und dann noch dein ständiges Nasenbluten. Ich mache mir Sorgen um dich."
Das merkte ich sehr deutlich. "Lass uns erst einmal etwas essen, ja? Und dann können wir immer noch überlegen, ob ich zum Arzt gehe, oder nicht." Ich brauchte keinen Arzt, dass stand für mich gar nicht zur Debatte. Der würde doch gar nichts finden und wenn ich durch diese Ohnmacht Kiosuke wieder sehen konnte, war mir das Recht. Verlor ich mich nun schon komplett im Wahnsinn? War das nicht irgendwie auch verrückt, wenn ich das alles wollte und wenn ich mich nach ihm sehnte. Ja, es war verrückt, aber ich konnte auch nicht anders, dafür bedeutete er mir einfach schon zu viel. Ich hätte einfach gehen können. Keinen Gedanken mehr an das alles hier verschwenden müssen und ich hätte keinerlei Probleme mehr gehabt... aber irgendetwas hielt mich hier.

 

Die Nacht legte sich über das Anwesen und prompt wurde es wieder kalt. Zitternd wickelte ich mich in eine alte Decke ein, setzte mich auf die Veranda und sah mich auf dem Anwesen um. Die Bäume wirkten, als hätten sie riesige Arme, die nach einem greifen wollten. Erschauernd wickelte ich mich enger in die Decke und sah auf, als sich Jason zu mir setzte.

Einen Moment schwieg er, ehe er sie dann meinem Blick folgte. "Fühlst du dich hier wohl? Ich meine, du siehst nicht gerade glücklich aus, wenn du so raus siehst, weißt du das? Wollen wir nicht wieder nach Amerika zurück fahren? So tun, als hätte es die Zeit hier niemals gegeben?" Ich konnte seine Sorgen ja verstehen, aber ich wollte hier nicht weg.
Ob ich mit ihm über das alles reden konnte, was ich in den Ohnmachten erlebt hatte. Langsam fing ich an ihm von allem zu berichten, auch wenn es mir nicht leicht fiel, das alles in Worte zu fassen. Bestimmt hielt er mich am Ende für total bescheuert, oder er lieferte mich gleich im Krankenhaus ein. Trotzdem kamen die Worte ganz von alleine und ich war froh, endlich mit jemandem reden zu können. Das alles wuchs mir immer mehr über den Kopf und ich bemerkte die Tränen die mir über die Wangen liefen, erst als mir Jason ein paar Tränen weg wischte. "Die Geschichte ist ganz schön verrückt, weißt du das? Wenn ich mir das so anhöre, habe ich mehr das Gefühl als würdest du dir in deinen Ohnmachten etwas ausdenken um das alles hier zu erklären. Es ist natürlich schwer, gerade wenn ich daran denke, wie krank du offenbar bist. Du musst sehr darunter leiden..." Ich schüttelte den Kopf. "Du verstehst das nicht... das ist real", flüsterte ich leise. "Gott, wie soll ich dir das nur klar machen? Das ist kein Traum und auch keine Einbildung. Ich kann ihn berühren, so wie ich dich hier berühren kann. Wenn ich seine Hand nehme, dann fühlt es sich an, als würde ich deine nehmen. Das ist kein Traum... sowas kann doch kein Traum sein, wenn man jemanden so berührt, oder nicht?"

Jason sah mich erstaunt an und räusperte sich leise. "Ihr haltet also Händchen, kann das sein? Ich meine... also ich will dir ja nicht zu nahe treten und das du auf Männer stehst, ist mir auch nicht erst seit heute klar, aber kann es sein, dass du das alles nur machst, weil du dir einen Traummann erstellt hast?" Hielt der mich denn nun langsam wirklich für verrückt? Also das war doch gemein. "Du glaubst mir nicht, was?"

Warum hätte er mir auch glauben sollen? Dafür gab es keinen Grund, obwohl ich die Wahrheit sagte. Jason sah mich seufzend an. "Wie soll ich dir denn da glauben?", flüsterte er leise. "Nun, wenn du mir einen Beweis liefern kannst, dann werde ich dir glauben und auch nichts mehr von dem in Frage stellen, was du mir sagst." Jetzt musste ich überlegen, deutete dann aber auf die riesige Trauerweide, die im Garten stand und deren lange Äste über den Boden schleiften. "Hast du dort in der Weide ein altes Windspiel gefunden? Es muss dort hängen..." Erstaunt sah mich Jason an, ehe er lächelte. "Das kannst du dir ja auch gemerkt haben, du hast hier immerhin schon mal gewohnt." Also wollte er das nicht durch gehen lassen?
Brummelnd sah ich ihn an. "Nachdem ich nicht einmal mehr wusste, dass wir einen Teich im Garten hatten, soll ich mir so ein doofes Windspiel gemerkt haben? Ich wusste das nur, weil mir Kiosuke davon erzählt hat", brummelte ich leise. "Ich würde dich doch in der Hinsicht nicht anlügen und wenn wir Glück haben, steht sogar noch sein Name da drauf. Ich weiß nicht, ob er seinen Namen rauf geschrieben hat, aber ich kann ihn fragen ob er das macht, dann sollte sich sein Name später darauf schreiben, oder nicht?" Mich verwirrte das doch selbst alles mit der Zeit, aber es musste hinkommen. Wenn ich Kiosuke in einer Ohnmacht darum bat, seinen  Namen auf das Windspiel zu schreiben, sollte der erst dann drauf stehen, wenn ich mit ihm gesprochen hatte.
Skeptisch sah mich Jason an, man merkte deutlich, dass er mir immer noch kein Wort glaubte. Aber ich flunkerte ihn doch nicht an! Ich musste einen Weg finden, damit Jason mir glaubte. Warum ich das wollte, konnte ich nicht so genau sagen. Vermutlich, weil ich mir selbst damit beweisen wollte, dass ich noch nicht wahnsinnig war und mir das eben alles nicht nur einbildete, sondern das es real war. Jason musste mir glauben, damit ich mir selbst auch glauben konnte. Seufzend sah Jason mich einen Moment lang an, dann legte er seine Arme um mich herum und drückte mich einfach nur fest an sich. Es war merkwürdig so an seine Brust gepresst zu werden, aber wenn ich ehrlich war, fühlte es sich schon schön an. Müde kuschelte ich mich an ihn, schloss meine Augen und atmete seinen leicht herben Duft ein. Morgen  musste ich ihm unbedingt sagen, dass sein Rasierwasser verdammt gut roch. Wenn ich es bis dahin nicht wieder vergessen hatte.

 

Mitten in der Nacht wurde ich wieder wach. Keine Ahnung warum, aber es schien als würde mich etwas wecken wollen. Müde rieb ich mir über die Augen und sah mich in dem Zimmer um. Nichts hatte sich verändert. Jason  lag auf dem Boden und bis eben hatte ich noch auf seiner Brust gelegen, was mir etwas unangenehm war. Normalerweise machte ich sowas nicht, schon gar nicht bei Jason. Das dem sofort aufgefallen war, dass ich auf Männer stand, ging mir auch nicht aus dem Kopf. Wie peinlich war denn sowas?

Auf der anderen Seite war ich froh, dass sowas nicht zwischen uns stand. Der Grund warum ich ihm noch nichts davon erzählt hatte, war die Tatsache, dass ich Angst hatte ihn zu verlieren, nur weil ich auf Männer stand. Wie oft hatte ich schon Freundschaften an sowas zerbrechen sehen, obwohl ich nie verstehen würde, warum die Leute dachten man würde sich als Schwuler auf jeden Mann stürzen der vor ihnen stand. Ein Hetero nahm doch auch nicht jedes Mädchen... gut manche schon, aber die gehörten wohl eher der Minderheit an, wie ich hoffte.

Müde rieb ich mir wieder über die Augen. Mein Blick war verschwommen und ich brauchte ein paar Minuten, um mich an die Dunkelheit zu gewöhnen, die nur von der dünnen Mondsichel erleichtet wurde. "Warum um alles in der Welt, bin ich denn überhaupt wach geworden?", nuschelte ich leise vor mich hin. Damit weckte ich wohl Jason, der sich streckte und mich verwirrt ansah. "Was ist denn los mit dir?", murmelte er verschlafen, wischte sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht, ehe er noch einmal herzhaft gähnte. "Es ist mitten in der Nacht. Hattest du einen Alptraum? War doch nicht so schlimm, oder hast du wieder von diesem Kiosuke geträumt?"

Der hielt ihn immer noch für einen Traum. "Ich werde dir schon noch beweisen, dass ich es ernst meine und das es Kiosuke tatsächlich gibt! Morgen werde ich mich ins Archiv der Stadt setzen und alles an Dokumenten suchen, die es über meine Familie gibt. Wenn du willst kannst du ja mit mir kommen, aber wenn du mir nicht glaubst... naja, dann kannst du eben auch hier bleiben." Ich schmollte noch immer mit ihm, obwohl ich wusste das jeder normal denkende Verstand auf diese Art und Weise reagiert hätte. Wenn Jason mir so eine Geschichte erzählt hätte, vermutlich wäre es mir auch schwer gefallen sie zu glauben.
Beruhigend hob Jason seine Hände. "Reg dich doch nicht so auf", murmelte er leise. "Ich weiß ja, wie ernst du das alles nimmst. Also gut, ich werde mit dir kommen, in der Hoffnung das du dann Recht hast und mir beweisen kannst, dass es diesen Mann gibt. Können wir dann weiter schlafen? Darüber können wir doch morgen früh auch noch reden. Ich bin müde und würde wirklich gerne weiter vor mich hin träumen. Also leg dich wieder dahin wo du wach geworden bist, mach deine Augen zu und lass uns weiter schlafen", murmelte er, ehe er wieder gähnte und seine Augen schloss. Wollte der Kerl ehrlich, dass ich auf seiner Brust schlief? Perplex sah ich ihn an, musste dann jedoch schmunzeln als sich auf die Brust klopfte und schmunzelte. "Na komm schon her, oder schämst du dich auf einmal vor deinem besten Freund. Du bist so schön in meinen Armen eingeschlafen, daran könnte ich mich wirklich gewöhnen."

Schnaubend sah ich ihn an, musste dann aber doch lächeln. Gerade wollte ich meinen Kopf auf seine Brust legen und weiter schlafen, als ich wieder etwas hörte. Vermutlich das Geräusch, welches mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Ein leises Schlurfen... Benommen hob ich meinen Blick wieder an und sah mich um. "Jason? Hörst du das auch?", flüsterte ich leise, rüttelte dabei an ihm, der ein paar Sekunden brauchte um wieder wach zu werden.

Verschlafen sah er mich an. "Was ist denn nun los? Hörst du etwa Stimmen?", nuschelte er, ehe er mit einem Schlag hellwach war. "Aoki? Was ist das?", fragte mich mein bester Freund. Seufzend zuckte ich mit den Schultern. "Ich weiß auch nicht... wenn ich das wüsste, könnte ich es dir sagen, aber davon bin ich wach geworden! Ich habe dieses Geräusch gehört und davon bin ich hier wach geworden. Was ist das?"

Jason zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung, komm suchen wir das, was immer es ist. Bestimmt ist es einfach nur irgendeine Maschine die wir noch nicht gefunden haben, oder sonst irgendwas. Wir werden schon einen Grund finden..." Hoffentlich hatte er Recht und es war wirklich nur eine Maschine, auch wenn mir das Geräusch bekannt vorkam.

 

Leise wie Mäuse huschten Jason und ich durch das Anwesen, immer auf der Suche nach dem Geräusch, welches mich wach gehalten hatte. Ich krallte mich an das Hemd von meinem besten Freund und drückte mich eng an seinen Rücken. Amüsiert drehte er sich zu mir um. "Sag mal, du glaubst nicht wirklich, dass der Geist deiner Großmutter hier rum läuft, oder? Wovor hast du denn solche Angst, sag mal?"

Schnaubend sah ich ihn an und krallte mich weiterhin in seinen Rücken. "Was soll ich denn machen? Das Geräusch erinnert mich an etwas und ich kann einfach nicht sagen an was. Da ist es doch kein Wunder, wenn ich mich nicht wohl fühle, oder? Außerdem... ach ich weiß auch nicht. Ich möchte hier nicht in der Nacht rum laufen. Sieh dich doch mal um, es sieht hier doch eh schon aus, als würde gleich ein Geist um die Ecke kommen, findest du nicht auch?" Dabei suchte ich mit dem Blick die Gegend ab. Was sollte ich denn tun? Hier sah im Dunkeln alles so gruselig aus, besonders die Äste und Bäume die im Garten vom Wind leicht hin und her gewiegt wurden. "Wie kann man sich hier denn in der Nacht nicht gruseln?", murmelte ich, immer dicht am Rücken meines Freundes, der mit einem so heftigen Ruck stehen blieb, dass ich mir die Nase an seinem Rücken stieß.
Brummelnd sah ich zu ihm hoch. "Was ist denn jetzt los? Deswegen musst du doch nicht einfach stehen bleiben", beschwerte ich mich leise, doch Jason war so erstarrt, er schien nicht mehr mit mir reden zu wollen. Skeptisch sah ich zu ihm hoch und linste an seinen breiten Schultern vorbei. Erst jetzt bemerkte ich den Schatten, der wohl für Jasons Verhalten zuständig war. Ein Schatten, nicht mehr und nicht weniger.
Keine feste, greifbare Form, sondern einfach nur ein Schatten. Endlich begriff ich an wen er mich so sehr erinnerte. An den Mann, der bei Kiosuke durch das Haus gelaufen war. Mein Vorfahre, der in der Nacht nach seiner schwangeren Frau sah, wohl in der Hoffnung wenigstens so etwas Kontakt zu ihr aufnehmen zu können. War es die Sorge, die den Mann umtrieb und ihn trotz seiner schweren Krankheit aus dem Bett kommen ließ?

Selbst sein Schatten wirkte wie ein halb zerfressenes, abgemagertes Skelett. Die Füße schienen ihm so schwer zu sein, dass er sie nicht einmal mehr anheben konnte, darum schlurfte er über den Boden und seine Schritte lösten diese grusligen Geräusche aus. Jason räusperte sich leise, um sich zu fangen was ihm aber sichtlich schwer fiel. "Siehst du das, was ich da sehe?", flüsterte er leise, den Blick fest auf den Mann gerichtet, der gerade an uns vorbei schlich. Er nahm uns nicht einmal wahr, sondern ging seinen Weg so weiter, als wären wir gar nicht da. Wenn ich aber Recht hatte und das einer meiner Vorfahren, dieser Wataru war, dann konnte er uns vermutlich nicht einmal wahr nehmen.
Sanft griff ich nach der Hand meines besten Freundes und beobachtete, wie der Schatten nach ein paar Minuten verweilen, wieder im Haus verschwand.
Damit verloschen auch die seltsamen Geräusche. Jason räusperte sich leise. "Okay, ich glaube du hast mit dem was du erzählt hast, vielleicht doch ein bisschen Recht. Fest steht jedenfalls, dass in diesem Anwesen manche Dinge nicht stimmen", brummelte er und drehte sich zu mir. "Kannst du mir mal verraten, was es damit auf sich hat? Du denkst, deine Familie wurde verflucht, oder? Dieser Fluch muss also gelöst werden, kann das sein?"
Endlich hatte ich meinen besten Freund auf meiner Seite und er glaubte mir. Dankbar dafür, nahm ich ihn einfach in den Arm. "Ich bin so froh, dass du mir endlich glaubst, weißt du das?", flüsterte ich mit zitternder Stimme. "Dabei hatte ich selbst schon das Gefühl wahnsinnig zu werden, aber der Typ eben, der war wirklich da und du hast ihn auch gesehen. Und ich werde dir auch beweisen, dass es Kiosuke gibt! Ich werde ihm sagen, dass er dieses Windspiel unterschreiben soll, dann weißt du das ich ihn mir nicht erträumt habe." Beruhigend schlang mein Freund seine Arme um mich herum und drückte mich an seine Brust. "Ist doch gut... es tut mir leid, dass ich dir nicht geglaubt habe. Das war ein Fehler das sehe ich doch jetzt auch ein. Kannst du mir verzeihen, dass ich dich nicht ernst nehmen wollte?"

Als wenn das jetzt noch wichtig war. Seufzend lehnte ich mich an seine Brust. "Ist doch alles gut", flüsterte ich leise. "Wir können uns wieder hinlegen, denke ich. Er scheint weg zu sein, auch wenn ich nicht verstehe, was er hier wollte." Ob mich mein Ahne warnen wollte? Tat er das nur, weil er mich vor diesem Fluch beschützen wollte?

Seufzend streichelte Jason durch meine Haare, ehe er lächelte. "Also gut, dann komm, gehen wir mal wieder und legen uns hin. Wenn der Kerl wieder kommt, werde ich dem was erzählen! Der soll mich in Ruhe schlafen lassen. Schönheit braucht ihren Schlaf, hat dem das denn noch keiner gesagt?" Jetzt nahm er das alles wieder auf die leichte Schulter und genau das mochte ich so sehr an Jason. Wenn er bei mir war, konnte ich vergessen wie schlimm die Situation manchmal war. Er hatte Humor mit dem er mich ständig anstecken konnte. Selbst in Momenten wie diesem, blieben ihm seine doofen Sprüche nicht im Hals stecken. Ich war mehr als dankbar, dass er mit mir nach Japan gekommen war. Ansonsten wäre ich wohl spätestens jetzt nach Hause gefahren.

Kapitel 6

 

Die restliche Nacht wurde ruhiger, als ich es erwartet hätte. Keine Geräusche mehr, die mich weckten, und Jason hielt mich so fest in seinen Armen, dass ich mich geborgen fühlte, wie ein kleines Baby. Das schaffte wirklich nur er. Nach dem Frühstück stellte ich mich auf die Veranda. "Wollen wir ins Archiv? Ich denke, dort sollten wir Unterlagen über meine Familie finden. Die ist jetzt schon so alt, da sollte man etwas finden. Hm ... eigentlich würde ich mich auch gerne mal in den Räumen umsehen, die wir noch nicht untersucht haben. Immerhin haben wir so viele Räume hier, die wir noch nicht genauer untersucht haben."
Jason räumte die Reste vom Frühstück weg und lächelte. "Stimmt ... wir haben hier so viele Räume, in denen noch keiner von uns drin war. Besonders der Dachboden interessiert mich. Meistens haben Flüche doch ihre Entstehung an den Orten, an die man nicht ran kommt, oder? Deswegen sollten wir auf den Dachboden." Allein bei dem Gedanken lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. "Meinst du das ernst? Wir sitzen hier nicht in einem Film von Hitchcock, ich hoffe das ist dir klar." Auch ich fühlte mich, wie in einem schlechten Roman.
Aber war die Lösung so einfach? Aufs Dach gehen und da lag irgendwas rum, dass dann alles was hier geschah, erklären würde? Schmunzelnd sah Jason mich an. "Weiß ich nicht, aber wir könnten es doch wenigstens mal versuchen, oder nicht? Wenn auf dem Dachboden nichts ist, dann ist doch auch alles gut. Vielleicht haben wir aber ja Glück und wir können wirklich den Fluch ganz einfach beenden. Und wenn das alles klappt, können wir wieder nach Hause fahren, als wäre nie etwas gewesen."
Der Idiot stellte sich das unglaublich einfach vor. Wenn es so einfach war, dann wären doch andere auch schon längst auf die Idee gekommen. "Weißt du was ich mich manchmal frage?", murmelte ich leise. "Wenn es stimmt und wir diesem Fluch schon seit Jahrhunderten erlegen sind, und dem ist ja offenbar so, sonst würde ja niemand aus der Edo-Zeit schon darunter leiden ... Bin ich dann wirklich der Erste, der auf die Idee gekommen ist, irgendwas gegen diesen Fluch zu tun? Das kann doch nicht sein, oder? Es müssen doch auch schon andere vor mir versucht haben, das alles zu lösen und herauszufinden, was mit diesem Fluch ist und wie man ihn brechen kann."
Erstaunt musterte mich Jason. "Auf den Gedanken bin ich noch gar nicht gekommen, aber du hast schon recht. Du wirst ja mit Sicherheit nicht der Erste aus eurer Familie sein, der auf die Idee kommt, irgendwas dagegen zu tun. Meinst du, darüber gibt es Aufzeichnungen? Es wird hier wohl nicht irgendwo ein Tagebuch rum liegen, obwohl das am Einfachsten wäre, denke ich mal." Schmunzelnd sah er mich an. "Du bist so blöd", brummelte ich leise. "Du nimmst mich immer noch nicht ernst, oder? Selbst, nach dem was du gestern gesehen hast, nimmst du mich immer noch nicht ernst! Ich weiß echt nicht, was ich mit dir noch machen soll."
Schnaubend drehte ich mich um, doch Jason hielt mich am Arm fest. "Jetzt komm schon, du weißt, dass ich das alles nicht so gemeint habe. Ich wollte dich nur auf andere Gedanken bringen. Bestimmt warst du nicht der Einzige, der diese Eingebungen hatte und nach Hilfe gesucht hat, nur wie sollen wir darüber etwas finden? Ein Buch wird man nicht darüber geschrieben haben, also wird uns das nicht viel weiter helfen. Am Ende kommst du nur auf die Idee das es sinnlos ist weiter zu machen, weil in der ganzen Zeit noch kein Anderer es geschafft hat, diesen Fluch zu brechen."
Wollte er mich damit nur aufmuntern? Nun, richtig geglückt war ihm das leider nicht. "Ich denke wir sollten zuerst ins Archiv, danach können wir uns den Dachboden immer noch ansehen", beendete ich das doofe Thema. "Was auch immer dort oben ist, wird wohl nicht weglaufen, meinst du nicht? Das wartet wohl schon seit Jahren in der Dunkelheit, ich glaube nicht, dass es da auf ein paar Stunden mehr oder weniger noch ankommt." Zustimmend nickte Jason, ehe er mir durch die Haare wuschelte. "Nun sei nicht mehr böse auf mich und schmoll nicht rum. Ich helfe dir doch so gut ich kann." Dafür war ich ihm auch dankbar, nur manchmal wäre ich noch dankbarer gewesen, wenn er einfach seinen Mund gehalten hätte.

Das Archiv war nicht so groß, wie ich gedacht, oder gehofft hatte. Die Dame am Eingang erklärte uns eingehend, dass die meisten Unterlagen bei einem Brand verloren gegangen waren und nur weniges noch in Papier erhalten war. Nur das, was man vorher schon auf externen Festplatten hatte speichern können, war noch zu retten gewesen. Das erleichterte uns die Suche natürlich ungemein, trotzdem wollte ich nicht aufgeben und ließ mir einen Computer zuweisen. Jason bot sich an, die letzten Papierstücke durchzusehen, die man zu der Zeit wohl in einem anderen Teil des Archivs gelagert hatte.
Viele Hoffnungen hatte ich leider nicht, denn wenn alles verbrannt war, was erwartete ich dann, noch zu finden? Seufzend saß ich vor dem Computer und tippte die Namen ein, die ich kannte. Ich wusste nur den Namen von meinem Ahnen, denn ich kannte nur Kiosukes Vornamen, von dem es bestimmt sehr viele gab. Die Hoffnung wirklich etwas zu finden, war ziemlich gering. Was sollte es hier schon geben? Was sollte ich hier finden? Wütend und irgendwie langsam verzweifelt ratterte ich die Daten durch, die mir der Computer ausspuckte.
Tolle Hilfe war das. Es gab Hunderte Namen, die alle gleich waren, und mir kein Stück weiter halfen. Es war reine Verzweiflung, mit der ich dann den Fluch eingab, den Namen meiner Familie und einfach darauf hoffte, dass irgendwas dabei herauskam. Als mir das technische Wunderwerk wirklich etwas in der Richtung ausspuckte, konnte ich mein Glück gar nicht fassen. Neugierig huschte ich mit dem Blick über die Worte, die dort standen, begriff aber kaum etwas davon, weswegen ich lieber beschloss, alles ausdrucken zu lassen.
Ob mich das weiter bringen würde? Als mit einem Mal Jason an meiner Schulter rüttelte, sah ich ihn verwirrt an. "Was ist denn nun los? Hast du was gefunden?", murmelte ich leise, von meiner mickrigen Ausbeute doch ein wenig frustriert. Wenn der jetzt mehr als ich heraus bekommen hatte, war mein Frust wohl nur noch größer. Neugierig hielt er mir ein Bild unter die Nase. "Hier, ich habe mich mal mit den Bildern auseinandergesetzt. Gemälde, die damals angefertigt wurden. Der Typ, den du mir beschrieben hast, der sieht dem hier doch ähnlich, oder nicht? Man kennt seinen Namen nicht, aber vom Jahrgang her sollte das hinkommen. Die Fotografien der Gemälde wurden bei den Akten gelagert und ... vielleicht haben wir ja Glück und er ist es."
Benommen sah ich das Foto an, ehe ich es Jason mit zitternden Fingern aus den Händen nahm. Ja, das war eindeutig Kiosuke! Aber das war doch schon zu viel des Zufalls. Warum sollte hier ein Gemälde von ihm herumliegen? Konnte man so viel Glück auf einmal haben? Oder war das einfach nur ein Scherz des Schicksals? Unsicher sah Jason mich an. "Also, wenn ich deinen Blick so sehe, scheine ich mit dem Gemälde voll ins Schwarze getroffen zu haben, was? Das ist doch gut, oder nicht? Wenn wir ein Foto von ihm haben, dann können wir jetzt sicher sein, dass der Kerl wirklich mal gelebt hat und in welchem Jahr. Also können wir auch besser nach Daten suchen, da wir wissen, in welchem Jahr wir suchen müssen, oder nicht?"
Seine Begeisterung war fast schon gruselig, aber irgendwie steckte es auch an. Trotzdem stimmte mich das Gemälde traurig. Kiosuke war real, nicht nur eine Ausgeburt meiner perversen Fantasie. Ich sollte glücklich und dankbar sein, weil ich nun wusste, dass ich ihn mir nicht nur eingebildet hatte. Trotzdem ergriff mich eine seltsame Traurigkeit, die so schlimm war, dass mir Tränen in den Augen standen. Verzweifelt wischte ich sie mir weg, in der Hoffnung so wieder klar denken zu können, nur half das nicht viel. Erstaunt sah mich Jason an. "Hey ... ich dachte du freust dich, wenn ich ein Bild von ihm finde", flüsterte er leise, ehe er seine Arme um mich herumschlang. "Damit, das du jetzt weinen würdest, hätte ich nicht gerechnet. Dann bringe ich das Bild lieber wieder weg, wenn du sonst nur anfängst zu heulen."
Schüchtern schüttelte ich den Kopf. "N-Nein schon gut", flüsterte ich mit zitternder Stimme. Was war denn nur los mit mir? Warum war ich so traurig? Ich begriff das alles selbst nicht mehr und konnte wohl nur hoffen, dass ich bald wieder zur Besinnung kam. "Lass uns nach Hause gehen. Ich habe mir etwas ausdrucken lassen. Bisher konnte ich noch nicht viel damit anfangen, aber ich habe es auch noch nicht richtig durchgelesen. Das sollte ich zu Hause wohl dringend noch mal nachholen, was?"
Versuchte ich gerade, mein seltsames Verhalten mit etwas Humor zu überspielen? Ein sehr verzweifelter Versuch, wie ich selbst merkte. Jason streichelte durch meine Haare und musterte mich besorgt. "Du bist schon wieder so blass", murmelte er. "Ich mache mir wirklich Sorgen um dich. Mir wäre es lieber, wenn du zum Arzt gehen würdest. Du kannst doch nicht einfach so tun, als wäre das alles nicht wichtig. Was, wenn du doch krank bist und das mit einer sehr realen Krankheit? Seit du hier bist, wirst du immer bleicher."
Lächelnd winkte ich ab. "Mach dir nicht immer so viele Gedanken. Ich bin mir sicher, dass es nur mit diesem Fluch zusammenhängt. Wenn ich den los bin, geht es mir bestimmt wieder bestens." Ich hoffte es jedenfalls, denn ein Besuch beim Arzt würde mir nur Zeit rauben und davon hatte ich eh nicht sehr viel. Warum ich mich wie ein gehetztes Tier fühlte, konnte ich nicht genau sagen. Aber es fühlte sich so an, als würde mir die Zeit wie Sand durch die Finger rinnen. Ich konnte es nicht aufhalten und musste darum so schnell wie möglich handeln. Wenn ich schon blass wurde, wer konnte da schon sagen, wie viel Zeit ich wirklich noch hatte?

Wieder zu Hause ließ ich mich auf die Veranda fallen und atmete erst einmal durch. Noch immer konnte ich nicht glauben, dass es dieses Gemälde wirklich gab. Man hatte Kiosuke gemalt, was mich natürlich freute, aber bedeutete das nun, dass ich ihn tatsächlich vor mir sah, oder hieß das nur, dass ich ihn irgendwann mal auf einem Bild gesehen hatte und ihn mir deswegen einbildete, weil ich ihn unglaublich sexy fand?
Diese Situation war doch bald schon nicht mehr auszuhalten. Seufzend sah ich zu meinem besten Freund, der mit einer Cola und ein paar Hamburgern um die Ecke kam. "Hier, mir knurrt der Magen und dann liest du bitte mal vor, was du da gefunden hast. Wenn es schon einen Artikel darüber gab, will ich den auch kennen." Offenbar war er von der ganzen Sache angesteckt worden. Schmunzelnd nahm ich die Cola und nippte daran. "Du erinnerst mich gerade ziemlich an einen Schatzjäger, weißt du das?", witzelte ich.
Erstaunt musterte mich Jason, ehe er grinste. "Nun, was soll ich sagen? Es geht ein bisschen um dein Leben und ich fühle mich tatsächlich, als wäre ich in einem japanischen Rollenspiel gefangen. Das macht ein bisschen Spaß, auch wenn ich natürlich weiß, wie ernst das für dich ist. Aber ich kann dir dabei helfen und das ist doch cool, oder nicht?" Sein Optimismus war wie immer unschlagbar. Ich fühlte mich, als hätte man mich drei Stunden lang durchgeprügelt und er freute sich auch noch über die Situation. "Gestern Nacht hast du aber alles andere als glücklich ausgesehen. Wenn ich mich so daran erinnere, was du für ein Gesicht gemacht hast, als du meinen Ahnen gesehen hast ... ich hätte ein Foto davon machen sollen."
Wenn ich mich so mit Jason über das alles unterhalten konnte, fühlte es sich auch für mich an, als wäre ich in einem Spiel und nicht in der Realität. Es machte Spaß, fast so als hätte es keine wahren Konsequenzen, wenn ich eben nicht herausfand, was es mit dem Fluch auf sich hatte. Wie ein Spiel von Kindern, die auf einem Geburtstag losgeschickt wurden, um sich die Zeit zu vertreiben. "Wehe, und dann hättest du es am besten auch noch bei Facebook hochgeladen und mein guter Ruf an der Schule wäre für immer zerstört gewesen.
Auf der Veranda, in der Sonne, fühlte ich mich wohl und konnte mit meinem Freund herum scherzen, als wäre das alles nicht wichtig. Doch wenn ich das Haus betrat, umklammerte mich ein kalter Griff, der sich um mein Herz zu legen schien. Als wollte mich schon das Haus an sich vernichten. "Ich kann nur hoffen, dass bald alles vorbei ist und wir wieder zur Schule gehen können, so wie früher auch."
Was hatte ich mir mit meinem Erbe nur aufgehalst? Jason reichte mir einen Cheeseburger und ich biss herzhaft hinein. Es kehrte eine seltsame Routine ein, eine Normalität, die mir sehr gut gefiel. Für ein paar Minuten waren wir einfach nur normale Teenager, die herumalberten. Jason neckte mich, weil mir Käse am Mundwinkel klebte. Einen kurzen Moment wurde er komisch, dann wischte er mit dem Daumen den Käse weg. "Typisch Aoki, nicht einmal essen kannst du, kann das sein? Ständig muss ich auf dich aufpassen. Wo wärst du denn nur ohne mich?"
Manchmal benahm er sich merkwürdig. Skeptisch musterte ich meinen Freund. "Geht es dir gut? Du bist total rot", nuschelte ich leise. Blinzelnd sah Jason in meine Augen, ehe er sich verlegen durch die Haare fuhr. "Ach was, du sahst eben nur total niedlich aus und du weißt, dass ich so was ja nun beim besten Willen nicht denken sollte. Jedenfalls wärst du ohne mich gar nichts, klar? Das möchte ich noch einmal festhalten, hörst du?"
Damit wollte er nur ablenken, was mir klar war ... aber im Grunde hatte er schon recht. Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf. Vermutlich war ich mittlerweile viel zu empfindlich und bildete mir Sachen ein, die gar nicht da waren. Genüsslich biss ich wieder in meinen Burger, lehnte mich zurück und genoss die warmen Strahlen der Sonne auf der Haut. "Hach ... das fühlt sich wirklich gut an. Die Sonne und das leckere Essen, da fühlt man sich gleich besser." Irgendwie tat dieses kleine Stück Normalität sich einfach gut an. Ich wollte es gar nicht los lassen und doch wusste ich, dass ich sie irgendwann wieder hergeben musste ... schon sehr bald.

Seufzend nahm ich mir das Stück Papier und überflog noch einmal die Zeilen. "Im Grunde ist es nur ein Zeitungsartikel, den ich gefunden habe", murmelte ich leise und sah zu Jason, der mich neugierig ansah. "Und? Wenn sich sogar schon Zeitungen damit befasst haben, dann muss da doch eine Menge hinter stecken, oder nicht? Ich meine ... Ist ja nicht alltäglich, dass sich schon Zeitungen damit befassen." Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf. "Ich glaube zu der damaligen Zeit war das schon normal. Die Leute hatten früher nicht sonderlich viel, was sie berichten konnten, was in der Politik oder sonst so geschah, war eher selten und hat nicht sehr viele Leute interessiert. Solche alten Gruselgeschichten haben die Menschen schon eher interessiert, darum wimmeln die alten Zeitungen nur so davon. Kann schon fast gruselig sein ... wenn man mal bedenkt, was es damals an alten Märchen so gegeben hat und man hat sie fast alle geglaubt. Die Gebrüder Grimm sind das beste Beispiel."
Schon früh hatte ich mich für solche alten Geschichten interessiert, dass ich selbst einmal Teil einer solchen Geschichte werden würde, hätte ich im Leben nicht erwartet. Jason griff nach meiner Hand und sah mir in die Augen. "Alles ist gut", flüstert er leise. "Ich kann mir denken, dass du Angst hast. Bestimmt ist das für dich mehr als merkwürdig, wenn du das alles über deine Familie liest, aber wir müssen herausfinden, was mit deiner Mutter und deinem Großeltern passiert ist. Warum die drei sich so sehr in der Wolle hatten."
Ich wollte es auch wissen, wollte begreifen, was in meiner Familie geschehen war, und warum wir so schnell aus Japan verschwunden sind. Mein ganzes Leben wurde innerhalb von einer Woche in ein paar Kartons gestopft, die Schule abgebrochen, und ich bekam keinerlei Erklärungen, warum. Ob ich jetzt Antworten finden konnte? Meine Blicke huschten über den Artikel, doch es war ziemlich wirr und unbefriedigend, was ich dort las. "Im Grunde nichts anderes, als mir Kiosuke auch schon erzählt hat. Das Haus soll verflucht sein und die männlichen Bewohner scheinen von dem Haus ausgesaugt zu werden, weswegen man ihnen riet das Haus zu verlassen. Aus irgendeinem Grund scheint aber keiner meiner Ahnen bereit gewesen zu sein, von hier zu verschwinden."
Erstaunt sah mich Jason an. "Aber deine Mutter ist doch auch von hier abgehauen, vermutlich um dich vor diesem Fluch zu beschützen. Gehen wir mal davon aus, dass sie wusste, was in diesem Haus vor sich geht, spätestens nach dem Tod ihres Vaters ... da wäre es doch nur natürlich, wenn sie dich retten will und mit dir das Anwesen verlässt, in der Hoffnung, dass dann alles besser wird. Und du bist nun doch wieder hier, weil du von alleine hergekommen bist ... komisch was?"
Schmunzelnd nickte ich. "Als würde das Haus mich doch anziehen, ob ich will oder nicht, und selbst wenn ich am anderen Ende der Welt bin. So was muss man sich mal durch den Kopf gehen lassen. Da wäre es jedenfalls kein Wunder, warum meine Mum so ausgeflippt ist, als ich ihr sagte, dass ich hierher fahren will, und das Erbe meiner Großeltern annehmen will. Nur frage ich mich dann wieder, wie meine Großeltern gerade mir das Haus vermachen konnten. Das stand extra im Testament, sollten sie meine Mutter nicht verstehen und ebenfalls versuchen mich von hier fernzuhalten, damit ich von diesem Fluch verschont bleibe?"
Was bezweckten meine Großeltern damit, dass sie mich hergeholt haben? Jason zuckte mit den Schultern. "Vielleicht gingen sie nicht davon aus, dass du wirklich herkommst, auch gegen den Willen deiner Eltern. Oder sie dachten, dass du den Fluch brechen kannst. Ist auf jeden Fall echt merkwürdig. Ich lasse doch meinen Enkel nicht in den Tod rennen und bürde ihm ein Erbe auf, das ihm nach dem Leben trachtet. Wäre ja so, als würde ich meinem Cousin meinen Tiger vermachen, der nur auf mich hört und jeden anderen frisst."
Der Vergleich hinkte etwas. "Nur das dieses Haus niemandem gehorcht", murmelte ich leise. Jason sah mich an und seufzte leise. "Sorry ... ich wollte dich nur zum Lachen bringen. Aber ich habe mir da etwas überlegt. Wie wäre es, wenn wir zusammen mal in das Pflegeheim fahren, in dem deine Großeltern zuletzt gelebt haben. Vielleicht haben die Pfleger dort etwas mitbekommen, oder sie haben noch persönliche Sachen da. Manche Frauen schreiben doch Tagebuch, deine Oma ja mit Glück auch. Dann müssen wir es nur lesen und wissen von allem ..." Wenn es so einfach wäre, würde ich es tun. "Die Idee mit dem Pflegeheim ist gut. Hoffen wir nur, dass meine Oma es uns wirklich so leicht gemacht hat."

Doch meine Großmutter machte es mir alles andere als einfach. Der Pfleger bekundete mir sein Beileid und erklärte mir dann, dass die privaten Dinge im Keller liegen würden. Ich fragte, ob ich die Akten einsehen könnte, da ich meine Großeltern lange nicht mehr gesehen hätte und gerne etwas mehr über den Krankheitsverlauf wissen würde. Er war damit einverstanden, reichte mir drei kleine Akten und ließ mich dann im Keller mit ihnen alleine.
Das Pflegeheim, in das man meine Großeltern gebracht hatte, schien eines der teureren zu sein und ich fragte mich, ob meine Mutter wohl die Rechnungen übernommen hatte. Die Wände waren in hellen, freundlichen Farben gestrichen, es roch angenehm und nicht nach Krankenhaus. Die Bewohner wirkten freundlich und glücklich, es war sauber und die Pfleger gingen gut mit den alten Leuten um, jedenfalls soweit wie ich das mitbekommen hatte. Keine wilden Schreie, oder sonst etwas in der Art ... es war beinahe gruselig, wie hier alle vor sich hin lächelten und freundlich waren, dabei war es in Japan eher selten, dass alte Menschen in ein Heim gebracht wurden. Die Familie gab sich Mühe sich selbst um ihre Angehörigen zu kümmern, holten sie oft selbst in ihre Wohnungen, um sich um sie kümmern zu können. Doch es gab auch Menschen, die keine Angehörigen mehr hatten und um die sich trotzdem jemand sorgen, musste, so wie es bei meinen Großeltern der Fall war. Das hier alle, wie im Drogenrausch wirkten, kam vermutlich nur so rüber.
Jason hatte beschlossen sich lieber mit dem Haus zu beschäftigen und zu versuchen auf den Dachboden zu kommen. Ich konnte nur hoffen, dass er sich nicht verletzte, oder ohnmächtig wurde, so wie ich. Irgendwie konnte ich den Gedanken nicht ertragen, dass er Kiosuke kennenlernen konnte. Es gefiel mir nicht ...
benommen schüttelte ich den Kopf. Für Eifersüchteleien hatte ich doch nun beim besten Willen keine Zeit, auch wenn mich der Gedanken schier wahnsinnig machte. Am liebsten hätte ich die ganzen Sachen mitgenommen, nur um sicherzugehen, dass die beiden sich nie trafen. Kiosuke gehörte mir ... irgendwie.
Darüber durfte ich mir jetzt einfach keine Gedanken machen. Es wäre falsch! Ich musste mich auf die Akten konzentrieren, und nachdem ich die ersten Zeilen gelesen hatte, vergaß ich die Gedanken an Jason und Kiosuke.
Offenbar verlor meine Großmutter immer mehr den Verstand, je länger sie in diesem Heim war. Ob das wirklich mit Drogen zu tun hatte? Nein ... so was würde an einem Ort wie diesem bestimmt nicht passieren. Seufzend fuhr ich mir durch die Haare und versuchte mich zu konzentrieren, so schwer es mir auch fiel. Was war denn nur los mit mir?
Immer wieder musste ich mir über die Augen reiben, die Buchstaben schienen vor meinen Augen zu tanzen. "Jetzt reiß dich zusammen", murmelte ich leise zu mir selbst, um endlich wieder zu Verstand zu kommen. Meine Großmutter schien zum Schluss hin ständig seltsames Zeug vor sich hin erzählt zu haben. Worte über ihr Anwesen und ihren Mann, über mich und das ich ... wohl sterben würde, wenn ich nicht nach Hause kommen würde. Wenn das Haus Schuld am Fluch war, warum sollte ich dann in Amerika auch noch in Gefahr sein?
Bestimmt war sie einfach schon total umnachtet, oder es steckte doch etwas dahinter, von dem ich noch nichts ahnte. Mein Großvater schien sich nicht verändert zu haben. Er wurde nur immer ruhiger, sprach zum Schluss wohl gar nicht mehr, was bei ihm vielleicht nicht seltsam war. Der Mann war schon immer sehr ruhig, entspannt und ausgeglichen. Ich genoss seine Nähe, da er eine sehr warme Ruhe ausstrahlte. Eine gewisse Überlegenheit, die mir Sicherheit gab und bei dem ich mich immer wohlgefühlt hatte. Jetzt war er tot und ich konnte keine Zeit finden, endlich um die beiden zu trauern. Einen Moment lang saß ich einfach nur da und nahm eines der Fotos in die Hand, die auf dem Nachtschrank meiner Großmutter gefunden wurden.
Ein sehr altes Bild, auf dem meine Mutter noch jung war. Sie hielt einen Säugling in den Armen, aber das war nicht ich. Dieses Bild war mir total fremd. Benommen öffnete ich den Rahmen und nahm das Bild heraus. Es war auf drei Jahre vor meiner Geburt datiert. Was bedeutete das? Hatte es ein Kind gegeben, noch bevor ich zur Welt gekommen war?
In einer kleinen Schatulle fand ich Briefe, an einen Mann adressiert, den ich nicht kannte. Ruhig steckte ich sie ein und seufzte leise. Wenigstens hatte ich Briefe gefunden, aber was sollte nun wohl werden? Ich musste langsam nach Hause. Bestimmt streunte Jason schon auf dem Dachboden herum und ich bekam das Spannendste wieder nicht mit. Ich packte die Schatulle mit den Briefen zusammen mit den Bildern in eine Tasche, verabschiedete mich von dem Pfleger und verließ das Heim. Weit war ich nicht gekommen, aber wenn meine Mutter vor mir schon ein Kind zur Welt brachte, warum hatte nie jemand etwas davon gesagt? Man hatte mich immer im Glauben gelassen, der erste Sohn der Familie zu sein, doch offenbar war ich das nicht. Was hatte das zu bedeuten?

Zu Hause angekommen kam die Angst wieder in mir hoch, Jason irgendwo ohnmächtig zu finden. Ich wollte nicht, dass er Kiosuke traf. Dieses widerliche Gefühl kroch in mir hoch, griff nach meinem Herz und wollte es nicht mehr loslassen. Verdammt, ich musste diese Eifersucht einfach loswerden, sonst würde sie mich noch genauso wahnsinnig machen, wie meine Großmutter es wohl am Ende geworden war.
War es das, was mit den Leuten passierte? Sie wurden zerfressen von einem miesen Gefühl, das sich Eifersucht nannte? "Jason? Wo bist du?"
Wo war er denn? Er musste hier doch irgendwo sein? Ich hörte aus einem der hinteren Räume ein leises Rumpeln und ging seufzend in den Raum, in dem Jason auf einem Stuhl stand und verzweifelt versuchte, ein Schloss zu lösen. "Du bist schon hier? Mist, ich dachte ich kann dich damit aus den Socken hauen, dass ich endlich weiß, was dort oben ist. Aber wenn ich ehrlich bin, dann komme ich da immer noch nicht hoch. Das Schloss scheint aus einem besonders widerspenstigen Metall zu sein. Ich kann machen was ich will, ich komme einfach nicht dagegen an. Brecheisen ... alles Mögliche, ich komme da nicht gegen an."
Irgendwie war ich erleichtert, ob ich wollte oder nicht. Was auch immer dort oben war, es schien als wäre es die Lösung zu allem und ich wollte nicht, dass er sie fand. Das gehörte mir alleine und keinem anderen. Meine eigenen Gedanken verstörten mich, weswegen ich versuchte das alles so gut wie möglich zu umgehen. So etwas durfte ich nicht fühlen. Er war mein bester Freund, da konnte ich mich doch nicht so gehen lassen. Seufzend senkte ich meinen Blick, um meine Gefühle zu kontrollieren und wieder zu klarem Verstand zu kommen. "Schon gut, vielleicht sollen wir da oben auch einfach nicht rein", flüsterte ich leise. "Ist schon gut ... irgendwann kommen wir da schon hoch und dann ist alles gut ...Wir finden eine Lösung, aber vielleicht müssen wir die auch gar nicht finden."
Wollte ich noch herausfinden, warum meine Großeltern sich so komisch verhalten hatten? Im Grunde wollte ich Kiosuke wieder sehen, er fehlte mir so sehr ... da brauchte ich keine Antworten mehr, sondern nur ihn. 
Skeptisch sah Jason mich an. "Was ist denn los mit dir? Du stehst total neben dir und ich dachte, du würdest dich ein bisschen freuen, wenn ich da hochkomme. Und du bist schon wieder total blass. Ich mach dir erst einmal einen Tee, ja? Irgendwann kommen wir da schon hoch. Hast du denn was rausbekommen?"
Langsam beruhige ich mich und schließe für einen kurzen Moment meine Augen, ehe ich mich zu einem Lächeln durchringe. "Schon gut", flüstere ich leise und nickte dann. "Ich bin ein wenig verwirrt, wenn ich ehrlich bin. Meine Großmutter hatte ein Bild von meiner Mutter mit einem Kind auf ihrem Nachttisch stehen, aber das Bild wurde drei Jahre vor meiner Geburt aufgenommen. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist ... irgendwie verwirrt mich das alles", flüsterte ich leise. Ob ich mein Verhalten auch mir gegenüber so erklären konnte? Das musste aufhören, immerhin war er mein bester Freund. Lächelnd folgte ich Jason in die Küche, der Wasser auf den Herd setzte und mich erstaunt ansah. "Und das heißt, dass du einen älteren Bruder hast? Aber davon hätte man doch etwas wissen müssen, oder nicht? Irgendwas muss man dir doch davon erzählt haben." Ich schüttelte den Kopf. "Nein ... ich wusste nichts davon", murmelte ich leise. "Das bringt mich ja so durcheinander. Wenn ich einen Bruder habe, oder hatte ... warum hat ihn dann nie jemand erwähnt? Es gibt keine Bilder, es gibt nichts von ihm. Keiner hat ihn jemals erwähnt ... ich weiß nicht einmal, ob es ein Grab gibt. Warum belügt mich meine Familie ständig? Sie halten Dinge vor mir geheim, die doch eigentlich sehr wichtig sind, oder nicht?"
Zustimmend nickte Jason. "Stimmt, so was ist schon wichtig. Ich weiß auch nicht ... vielleicht war es für die drei auch einfach zu schmerzhaft. Wäre doch gut möglich. Wenn man ein Kind verliert, aus welchen Gründen auch immer, dann ist das doch bestimmt eine Wunde, die sich nicht so leicht zu verarbeiten ist, aber deine Großmutter scheint sehr an deinem Bruder zu hängen, wenn sie sogar ein Foto von ihm bei sich hatte." Mehr als an mir? Bedrückt senkte ich den Blick und hielt mir den Kopf. Mein Schädel hämmerte wie wild. "I-Ich werde mich einen Moment lang hinlegen", flüsterte ich leise. Mir wurde schwindelig, alleine von den Schmerzen, die hinter meiner Stirn pochten und mich nicht mehr losließen.
Jason musterte mich besorgt und nickte. "Gut, dann leg dich hin. Ich werde dir den Tee dann ans Bett bringen", flüsterte er leise, doch ich bekam kaum noch etwas davon mit. Taumelnd ging ich in das Zimmer, in dem wir es uns gemütlich gemacht hatten, legte mich hin und schloss meine Augen. Ich war so schnell weg, dass ich nicht einmal merkte, dass ich einschlief. Wenigstens für einen Moment war ich in der Lage abzuschalten.

Kapitel 7

 

Ein mir bekannter Geruch zog mich aus der Dunkelheit zurück ins Licht. In ein Licht, nach dem ich mich so sehr sehnte. Kaum hatte ich den Duft wahrgenommen, zwang ich mich dazu die Augen zu öffnen. Ich wollte ihn sehen, ihm in die Augen sehen und schon sahen mich mandelfarbenen Augen an. Erleichtert atmete ich auf. "Du hast mir gefehlt", gestand ich leise.
Es war nicht unangenehm, nicht bei ihm. Auf Kiosukes Lippen lag ein warmes Lächeln und er strich mir über die Wange. "Was machst du nur mit mir? Die ganze Zeit über musste ich an dich denken und daran, wie es dir wohl gerade geht. Du siehst blass aus, hast du Sorgen?" Nun fing er auch damit an. Ich musste wirklich grausam aussehen und bei ihm schämte ich mich auch noch dafür. "Mir geht es auch nicht so gut, wenn ich ehrlich sein soll", gestand ich leise. "Ich bekomme ständig Nasenbluten und dann finde ich auch noch raus, dass ich vermutlich einen großen Bruder habe, von dem ich gar nichts weiß. Oder hatte, denn da niemand jemals seinen Namen erwähnt hat, gehe ich davon aus, dass er nicht mehr am Leben ist."
Traurig sah mich Kiosuke an. "Das tut mir leid, aber offenbar hat das Haus auch schon von dir Besitz ergriffen. Das Nasenbluten war auch das erste Anzeichen bei meinem Schwager, ehe er sich total veränderte." Mühselig setzte ich mich auf, nachdem ich kaum noch klar denken konnte. Es tat mir nicht gut zu liegen, ich fuhr mir durch die Haare und musste erst einmal durch atmen. "Was meinst du damit? Wie hat er sich verändert?", flüsterte ich leise. Stand mir das auch bevor? Alleine der Gedanke, wie ich mich benommen hatte, wie aggressiv ich Jason gegenüber war ... ich wollte nicht so sein, und wenn das wirklich die Schuld des Hauses war, musste ich Jason bald vor mir in Sicherheit bringen.
Sanft sah Kiosuke mich an, ehe er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht streichelte. Seine warme Hand ließ mein Herz aussetzen. Es war so ein schönes Gefühl und schüchtern senkte ich den Blick. "Ich habe Angst", flüsterte ich leise, als würde ich es nicht wagen diese Worte über die Lippen zu bringen. Es fühlte sich beschämend an, jetzt wo ich mitten in diesem Fall drin war und den Fluch wohl selbst zu spüren bekam. Kiosuke sah mir tief in die Augen und strich mit dem Daumen über meine Wange. "Weißt du eigentlich, wie ähnlich du ihm bist?"
Perplex sah ich ihn an. "Ähnlich? Wem denn?"
Schmunzelnd schüttelte Kiosuke den Kopf. "Meinem Schwager. Du siehst aus als wärst du direkt von ihm gezeugt worden. Die gleichen Augen, nur ein wenig schwächlicher gebaut ... es ist erstaunlich, aber kein Wunder, immerhin seid ihr verwandt, da sieht man sich ähnlich, oder?" Schüchtern nickte ich und genoss die sanfte Berührung. Er beruhigte mich mit seiner bloßen Anwesenheit.
Lächelnd nahm Kiosuke seine Hand von meiner Wange und erhob sich. Seine Eleganz war kaum zu übertreffen, als er zur Veranda ging und in den Garten sah. "Ich habe veranlasst, einen Teich im Garten bauen zu lassen ... du hast mir doch davon erzählt und ich fand die Vorstellung so schön, dass ich meine Schwester sofort um die Erlaubnis gebeten habe."
Wie ferngesteuert ging ich zu ihm und stellte mich neben ihn. "Das ist eine schöne Idee ... schon sehr seltsam, oder? Wenn ich nie mit dir darüber gesprochen hätte, dann würde es wohl keinen Teich in meinem Garten geben. Dabei ist er so schön, bestimmt schwammen früher auch mal Kois darin. Ich würde selbst wieder welche in den Teich setzen, wenn ich mich dazu entscheiden würde hier im Haus zu bleiben." Skeptisch sah Kiosuke mich an. "Und du willst wirklich wieder zurück? Nach Amerika meine ich? Bist du dir sicher, dass du das willst? Du bist doch hier zu Hause und es ist ein wundervolles Grundstück und ... du würdest dich immer an mich erinnern. Ich kann für so viele Dinge hier im Haus sorgen, damit du mich niemals vergisst. Ich bin egoistisch, was? Wie kann ich von dir nur verlangen, in einem Haus zu bleiben, das dich töten will? Dabei sollte ich dich wegschicken und doch ist es die einzige Möglichkeit, die ich habe, um mit dir in Kontakt zu bleiben. Was soll ich sonst nur tun?"

Ich bemerkte nicht, dass Kiosuke meiner Frage nach der Veränderung seines Schwagers, komplett aus dem Weg ging. Oder wollte ich es nicht bemerken? Ich wollte doch einfach nur mit ihm zusammen sein und seine Worte klangen so schön, dass ich einfach nicht in Frage stellen wollte, was er sagte. Lächelnd lehnte ich mich an ihn und genoss seine Nähe in vollen Zügen. Solange ich bei ihm sein konnte, war mir alles andere egal. "Das ist nicht egoistisch. Im Gegenteil, ich finde den Gedanken sehr schön. Wenn ich hier leben würde, dann könnte ich mich immer an dich erinnern ... ich will dich nicht verlieren, darum will ich auch nicht von hier fortgehen."
Das Haus hier gehörte doch irgendwie auch ihm. Wenn ich in meiner Zeit durch die Räume schritt, war er bei mir. Es fühlte sich an, als würde er meine Hand dabei halten, was mir jedes Mal Schauer über den Rücken laufen ließ. Sanft sah er mich an und streichelte etwas durch meine Haare. "Was ist nur falsch mit mir? Du bist ein Junge und doch empfinde ich so für dich, wie andere Männer nur für eine Frau empfinden würden. Mein Herz schlägt schneller, wenn du bei mir bist und es schmerzt, wenn ich nur daran denke, dass du mich eines Tages verlassen könntest. Ich will dir helfen, um dein Leben zu retten, nur weiß ich auch, dass ich dich dann für immer verlieren würde. Und genau der Gedanke gefällt mir nicht."
Er wollte mich nicht verlieren? Das waren genau die Worte, die ich mir immer so sehr von ihm ersehnt hatte. Konnte er in meinen Kopf sehen und meine Gedanken lesen? Wie sehr ich mich nach ihm sehnte und das ich vor Eifersucht wahnsinnig wurde, wenn ich nur daran dachte, dass er sich mit Jason treffen könnte? "Kiosuke? I-Ich bin doch der Einzige, der dich hier treffen kann, oder?", wollte ich von ihm wissen. Der Gedanke ließ mich einfach nicht mehr los und beeinflusste mich mehr als alles andere momentan. Woher kam diese Eifersucht? Und warum konnte ich mich nicht dagegen wehren? Dabei war Jason mein bester Freund und ich sollte ihm gegenüber nicht dermaßen streng sein. Erstaunt musterte mich Kiosuke, ehe ein Lächeln über seine Lippen huschte. "Du machst dir wirklich Gedanken darüber, dass ich auch von einem anderen Mann besucht werden könnte? Ich denke du sprichst von deinem Freund aus Amerika, der mit dir hierher gekommen ist, oder? Wenn ich ehrlich bin, vermute ich, dass du der Einzige bist, der hierher kommen kann. Immerhin gehört er nicht der Familie an, sondern nur du."
Erleichtert atmete ich auf. Dieser Gedanke hatte mich zerfressen und ich war froh, dass mir Kiosuke die Ängste nahm. Sanft legte er auf einmal seine Arme um mich herum und drückte mich an sich. Er wirkte im Gegensatz zu Jason so zerbrechlich und regelrecht schmächtig. Trotzdem fühlte ich mich wohl und sein Geruch nebelte mich so dermaßen ein, dass ich alles andere um mich herum komplett vergaß.
Mit einem Mal ließ mich Kiosuke wieder los und starrte in den Garten. Dort stand mein Vorfahre und ich wusste nicht genau, was ich von seiner Reaktion halten sollte. Sein Blick war fest auf den jungen Mann gerichtet, der durch den Garten schlurfte und in den Mond starrte, als wäre er davon besessen. "Ich mache mir solche Sorgen um ihn. Meine Schwester verfällt langsam dem Wahn und ich glaube, er merkt das. Wenn er in der Nacht nach ihr sieht, wirkt er so traurig. Wenn er im Bett liegt, sieht er geradewegs aus, als würde er nichts mehr mitbekommen. Es ist so tragisch ihn so zu sehen, und wenn ich daran denke, dass du genauso enden könntest, bricht es mir das Herz. Wenn ich dir doch nur irgendwie helfen könnte. Wenn ich nur irgendwas tun könnte ... Ich fühle mich so hilflos, gerade wenn ich ihn jeden Abend hier durch den Garten laufen sehe. Manchmal verlässt er das Haus, eher selten aber ich denke der Mond gefällt ihm."
Schmunzelnd beobachtete ich meinen Ahnen, der nur da stand und in den Mond sah. "Ja, ich kann ihn schon verstehen", gestand ich leise. "Der Mond hat eine gewisse Anziehungskraft. Oh, da fällt mir ein ... ich habe ihn neulich in meinem Haus gesehen. Nur seinen Schatten, aber er ist durch das Haus gelaufen und ich konnte ihn in meiner Welt deutlich erkennen, merkwürdig, oder?" Vielleicht weiß er eine Antwort darauf, doch mit seiner Reaktion hätte ich nicht gerechnet. Schnaubend sieht er mich an und schüttelt den Kopf. "Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, warum er das tun sollte. Du bist hier, das gebe ich zu ... aber das ist ja wohl alles, meinst du nicht auch? Warum sollte er so was tun?"
War er wütend, nur weil ein Schatten durch meine Zeit wanderte? Benommen sah ich ihn an und griff nach seiner Hand. "Was hast du denn? Ich kann doch auch nichts dafür", flüsterte ich leise, in der Hoffnung das er mir nicht länger böse war. Genau das wollte ich nicht. Er sollte nicht böse auf mich sein ... das würde ich einfach nicht ertragen. Sofort wurde sein Blick wieder warm und sanft, so als wäre nie etwas gewesen. "Entschuldige meine heftige Reaktion, aber für mich ist das auch etwas viel. Du bist hier, ich sehe dich und spüre deine Wärme, aber dann bin ich wieder alleine und frage mich, ob ich nicht selbst langsam den Verstand verliere. Mit meiner Schwester kann ich nicht darüber reden, sie würde sich nur noch mehr Sorgen machen, was wirklich nicht gut wäre. Es geht ihr bereits schlecht genug ... Ich will ihr nicht noch mehr wehtun, weißt du?"

Ich konnte Kiosuke verstehen, offenbar sorgte er sich wirklich sehr um seine Schwester und sanft sah ich ihn an. "Es ist schön, wie sehr du dich um deine Schwester kümmerst und das du dir solche Sorgen um sie machst. Ich kann dich verstehen, immerhin habe ich auch eine kleine Schwester und ich würde es nicht ertragen, wenn ihr etwas passieren würde." Zwar verstanden wir uns nicht immer, aber wenn es drauf ankam, hielten wir zusammen.
Wir konnten als Team zusammenhalten und uns genauso sehr gegenseitig zerfleischen, wenn wir nicht einer Meinung waren. Schweigend sah Kiosuke mich an, ehe er den Blick senkte und seufzte. Offenbar ein Thema über, das er nicht gerne sprach. Energisch schüttelte er den Kopf. "Ich muss sie eben beschützen. Sie ist die Einzige, die immer an mich und mein Talent geglaubt hat, da kann ich nicht zulassen, dass so was wie dieser dämliche Fluch ihr Leben zerstört. Man nimmt ihr schon den Mann ... das ist merkwürdig muss ich zugeben", flüsterte er leise. "Ich will nur meine Schwester vor der Welt beschützen und dann kommst du und ich muss begreifen, dass ich auch dich vor der Welt beschützen muss und bei beidem rinnt es mir durch die Finger. Ich kann weder dich noch sie vor all dem beschützen ..."
Traurig senkte er den Blick, der zarte Körper neben mir bebte und auch wenn er mich eben noch losgelassen hatte, schlang ich meine Arme wieder um ihn und drückte mich an ihn. "Wir schaffen das, da bin ich mir sicher", flüsterte ich leise. Wie schlimm musste das für ihn sein und doch schlug mein Herz schneller, wenn ich seine Worte hörte. War ich ihm so wichtig, dass er sich solche Sorgen um mich machte? Liebevoll sah er mich an und streichelte über meinen Kopf. "Danke ... wenn ich dich nicht hätte, ich würde hier verrückt werden und wohl noch vor meinem Schwager ins Grab steigen. Der Gedanken besorgt mich, weißt du das?"
Ich fühle mich so schlecht, nur weil ich ihn in solche Schwierigkeiten bringe. Sanft sehe ich ihn an und muss dann etwas lächeln. "Schon gut ... ich hoffe, dass wir bald einen Weg finden. Ich gebe mir alle Mühe um es herauszufinden", flüsterte ich leise. Irgendwie musste ich ihm helfen. Jetzt musste ich das Rätsel erst recht lösen und nicht nur, weil ich mich selbst retten musste. Wenn ich erst einmal herausfinden konnte, woher der Fluch kam, konnte ich vielleicht auch seinen Schwager retten und dann wurde alles wieder gut. "Lass mich das nur alles machen und dann werden wir einen Weg finden ..." Ich wollte ihn nicht leiden sehen. Es tat zu sehr weh ihn so zu sehen und zu begreifen, wie sehr er litt, nur weil sein Schwager solche Schwierigkeiten hatte. Sanft lehnte ich mich an seine Schulter. "Vertrau mir, ich schaffe das ..."
Dankbar legte er seine Arme um mich herum und sah wieder zu Wataru, der langsam wieder ins Haus zurückging und uns keines Blickes würdigte. "Ich vertraue dir, Aoki ... wenn ich dich hier nicht getroffen hätte, wüsste ich nicht, was ich tun sollte. Du gibst mir Zuversicht und ich genieße die wenigen Stunden, die wir miteinander haben. Ich wünschte mir, du könntest für immer bei mir sein. Warum kannst du nicht hierbleiben? Hier bei mir, in meiner Zeit?"
Wie sehr würde ich es mir wünschen bei ihm bleiben zu können. Hier mit ihm zu leben und mit ihm zusammen sein zu können. Es gab kaum etwas, das ich mir mehr wünschte. Traurig sah ich ihn an und krallte mich in seinen Yukata. "Ich will doch bei dir bleiben. Weißt du, wie sehr ich mich danach sehne, hier bei dir zu sein? In meiner Zeit kann ich an nichts anderes mehr denken, und wenn ich mir vorstelle, dass ein anderer Mann zu dir kommen könnte, dann zerfrisst es mich vor Eifersucht. Ich weiß, so darf ich nicht fühlen, besonders weil wir zwei Männer sind und du nun mal in einer Welt lebst, in der so etwas nicht erlaubt ist. Ich will dich nicht in Schwierigkeiten bringen, das musst du mir glauben." Aber ich hielt es ohne ihn doch kaum noch aus. Meine Sehnsucht zerfraß mich ebenso sehr, wie meine Eifersucht in den letzten Stunden und diese Gefühle wurden immer schlimmer, nicht besser. Besonders wenn er so mit mir sprach und mir signalisierte, dass er doch auch mehr für mich zu fühlen schien, als ihm selbst lieb war.
Ob er sich wohl dafür schämte? Dafür etwas für mich zu empfinden? Mehr als vielleicht in seiner Zeit erlaubt war? Sanft sah er mich an und streichelte dann wieder über meine Wange. "Du findest eben doch immer wieder die richtigen Worte, selbst wenn sie mir verloren gehen. Manchmal wünschte ich, dass ich mit meinen Gefühlen genauso gut umgehen könnte wie du. Es ist bewundernswert, wie wenig es dich stört, dass ich so für dich fühle und ... wenn du auch so für mich fühlst ..." Das tat ich. Wie gerne hätte ich ihm genau das jetzt entgegen geschrien, so sehr schien mein Herz zu platzen vor Gefühlen für ihn.
Als würde es überlaufen und meine gesamten Gefühle nicht mehr beherbergen können. Es trieb mir die Tränen in die Augen, verzweifelt krallte ich mich an ihn, um gegen den Drang zu weinen zu kämpfen. "In meiner Zeit ist das nichts Verbotenes mehr. Manchmal sehen die Menschen einen noch schief an, weil man eben ein Junge ist und als solcher nicht mit einem anderen Mann zusammen sein sollte, doch die meisten akzeptieren es. Wie gerne würde ich dich mitnehmen und dir zeigen, wie viele so fühlen wie wir und das wir uns deswegen nicht zu schämen brauchen."
Erstaunt sah Kiosuke mich an. "Das heißt ... es wird eine Zeit geben, in der sich keiner an unseren Gefühlen stören würde? Was würde ich dafür geben so eine Welt kennenlernen zu dürfen, doch das wird mir wohl verwehrt bleiben. Wir wissen beide, dass es nur ein Traum ist und wir nicht zusammenbleiben können. Wenn wir diesen Fluch brechen, wirst du für immer aus meinem Leben verschwinden. Es wird sein, als hätte es dich nie gegeben und das macht mir schon jetzt große Sorgen. Es wird mir das Herz zerreißen, wenn du nicht mehr bei mir sein kannst und wir uns nicht mehr sehen können. Ich weiß, daran sollte ich nicht denken, doch ich kann mich einfach nicht dagegen wehren. Manchmal wünsche ich mir sogar, du würdest den Fluch nicht lösen ... doch dann stirbst du. Es wäre meine Schuld, wenn du sterben würdest ... den Gedanken kann ich noch viel weniger ertragen."

Von seinen süßen Worten wie beseelt sah ich ihm in die Augen. Manches Mal fühlte ich mich doch genauso zerrissen wie er. Ich wollte diesen Fluch brechen, besonders weil ich nicht wollte, dass noch mehr meiner Ahnen auf diese Art den Tod fanden. Doch wenn mir bewusst wurde, was ich für einen Preis zahlen musste, brach es mir das Herz. "Ich kann dich so gut verstehen und ich bin froh, dass du genauso denkst wie ich. Was würde ich nur tun, wenn ich dich nicht hätte? Wenn ich ohne dich in dieser Welt wäre?"
Etwas in mir schien etwas zu rufen. Eine Stimme, weit weg wie aus einer anderen Welt, längst nicht stark genug um mich zu erreichen. Kiosuke legte seine Arme um mich und presste mich eng an seine Brust. "Schon gut, ich bin doch hier und gebe dir alle Kraft, die ich habe. Zusammen finden wir einen Weg, hast du das nicht selbst eben gesagt? Wir werden eine Lösung finden, mit der wir beide glücklich werden können."
Wie sehr ich hoffte, dass er mit seinen Worten recht hatte. Ihn zu verlieren schien genau das zu sein, was ich nie ertragen würde. Ich spürte, dass ich schon viel zu lange bei ihm war und vermutlich bald wieder in meine Welt zurückkehren musste. Mir wurde kalt, obwohl er mich in den Armen hielt und mich an seine warme Brust drückte. "Tust du mir einen Gefallen? Es mag albern klingen, aber wenn du das Windspiel dort in der Weide mit deinem Namen beschreiben würdest, dann könnte ich endlich beweisen, dass du existierst. Jason glaubt mir kein Wort, was ich ihm nicht einmal verübeln kann. Trotzdem will ich mit aller Macht, dass er mir endlich glaubt und begreift, dass ich nicht einfach nur träume, sondern dich wirklich sehen kann. Das du bei mir bist ..."
Wieder schien Kiosuke im ersten Moment nicht sehr begeistert von der Idee zu sein, doch dann sah er mich an und lächelte. "Wenn es dir so ein dringlicher Wunsch ist, werde ich das natürlich tun. Ich kann auch ein Gemälde von mir anfertigen lassen, vielleicht findest du es dann in deinem Haus? Das würde beweisen, dass ich am Leben bin und existiere." Ob er nicht wollte, dass jemand sonst von ihm erfuhr? Oder gefiel es ihm nicht, dass ich mich mit einem anderen Mann über ihn unterhielt. War er etwa auch eifersüchtig?
Alleine der Gedanke es könnte so sein, ließ mich erröten. "Danke ... ich fürchte unsere Zeit ist auch schon wieder vorbei", murmelte ich leise und krallte mich nur noch enger an seine Brust. Der Gedanke ihn zu verlieren, gefiel mir gar nicht. Sanft streichelte er durch meine Haare, während ich spürte, wie meine Beine nachgaben. "Wir werden uns wiedersehen", hörte ich seine Stimme dicht an meinem Ohr, was mir Schauer über den Rücken laufen ließ. Ich wollte nicht weg, wollte nicht gehen, aber ich sah keine andere Möglichkeit. Die Macht, die mich zurückrief, war stärker als alles andere.

Kapitel 8

 

Als ich wach wurde, tat mir der Rücken furchtbar weh. Was war denn los? Ob ich irgendwo hingefallen war? Nein ... nicht, dass ich mich daran erinnern konnte. Eine warme Hand legte sich auf meine Stirn, was dazu führte, dass ich meine Augen schloss. Ob ich wieder bei Kiosuke war? Nein, die Hand war größer und fühlte sich anders an ... Jason.
Erschrocken riss ich meine Augen auf, was meinen besten Freund etwas blinzeln ließ. "Was ist mit dir los? Sonst erschreckst du dich auch nicht so sehr, wenn ich neben dir sitze. Oder liegt das daran, dass du einen Ständer hast. Denkst du so was hätte ich noch nie gesehen? Ich will lieber nicht wissen, was der Kerl in deinen Träumen mit dir gemacht hat." Irgendwie klang er ... wütend? Aber warum? Es war doch meine Sache und er wusste doch auch, dass ich auch auf Männer stand. Erst jetzt begriff ich, was Jason mir da eben gesagt hatte, und sah erschrocken zu meinem Schritt. Mist, er hatte auch noch Recht.
Peinlich berührt verdeckte ich meine Erektion mit meinen Händen. "Wir haben uns nur unterhalten! Er würde niemals etwas mit mir tun, was sich für seine Zeit nicht gehört", nuschelte ich leise und blickte mit hochroten Wangen zur Seite.
Ich musste hier weg, spürte jedoch das meine Beine kaum in der Lage waren sich zu bewegen. Wenn ich jetzt aufstand und im Bad verschwand, dann brach ich nur zusammen. "Kannst du da bitte nicht auch noch so hinsehen? Du hast doch selbst gesagt, dass du weißt, wie so was aussieht. Und du hattest selbst garantiert auch schon einen Ständer", beschwerte ich mich. Woher kam das denn? Immerhin hatte Kiosuke nichts mit mir gemacht, oder war es seine Stimme und sein Atem an meinem Ohr, als er mir die letzten Worte zugeflüstert hatte? Möglich wäre es jedenfalls, denn am Hals und am Ohr war ich schon sehr empfindlich.
Zitternd wollte ich aufstehen, weil ich es nicht mehr aushielt, so vor meinem besten Freund zu sitzen, nur passiert genau das, womit ich gerechnet hatte. Ich kam ins Stolpern und landete direkt in den Armen von Jason, der mich sicher auffing. "Hey ... was machst du denn? Ich hab doch gesagt, dass du dich nicht schämen musst", beschwerte er sich leise, ehe er mich einfach auf seinen Schoss zog und seine Hand auf meinen Schritt legte. "Oder soll ich mich ein wenig um dich kümmern?", hörte ich seine Stimme an meinem Ohr, kurz bevor er über meinen Hals leckte. Schauer liefen mir über den Körper, während noch mehr Blut zwischen meine Beine gepumpt wurde. "Bist du verrückt? Wir sind beste Freunde, da fummelt man doch nicht dermaßen aneinander rum", wimmerte ich leise. War das sein Ernst? Schmunzelnd biss mich Jason in den Hals. "Und warum nicht? Ich bin jemand der dich schon seit Jahren kennt, oder nicht? Warum solltest du dich vor mir schämen? Immerhin habe ich selbst so ein gutes Stück und weiß, wie ich damit umgehen muss."
Ob er wohl noch Jungfrau war? Bestimmt nicht, so selbstsicher, wie er meine Jeans öffnete und mir in die Hose griff. Erschrocken keuchte ich auf, versuchte mich von ihm weg zu schieben und wimmerte immer wieder leise. "Lass das doch", flüsterte ich mit zitternder Stimme, in der Hoffnung, dass er mich doch noch losließ. "So was geht doch nicht ..." Ich fühlte mich, als würde ich Kiosuke betrügen, wo wir uns doch gerade näher kamen.
Doch Jasons Hand war so geschickt und ich hielt es kaum aus, als sie sich um meine harte Erregung legte und diese erkundete. "Nun stell dich doch nicht so an", meinte Jason amüsiert. Ich konnte sein Lächeln geradewegs auf seinen Lippen sehen, auch wenn ich ihm den Rücken zudrehte. Hochrot starrte ich auf den Boden, aus Scheu meinen Freund jetzt auch noch anzusehen. Stöhnend schloss ich meine Augen, wollte mich dagegen wehren und war doch viel zu schwach und zu ergeben, um ihn wegzustoßen. Vielleicht wollte ich auch gar nicht, dass er damit aufhörte. Mein Atem ging immer schneller, mein Herz raste wie wild in meiner Brust, was mir fast den Verstand raubte. Die starken Finger, die über meine Erregung glitten und offenbar jeden Zentimeter erkundeten, schienen etwas tief in mir auszuschalten.
Seine Finger waren warm, streichelten über meine Spitze, ehe sich seine ganze Hand um meine Erektion schloss. Einen Moment schien er einfach nur zu warten, was mir unruhige Hüftbewegungen entlockte. Schnurrend knabberte Jason an meinem Ohrläppchen. "Wenn du so weiter machst, kannst du mir auch gleich einen runter holen, weißt du das? Wenn sich dein knackiger Hintern so an meinen Schritt drückt ... du ahnst nicht einmal, was du damit in mir auslöst, kann das sein?" Sofort wurde ich hochrot, denn woher sollte ich das wissen? Bisher hatte Jason in der Hinsicht nie ein Wort verloren und er war mir auch nie auf diese Art und Weise nahe gekommen.
Woher sollte ich denn wissen, was er im Bezug auf mich fühlte? Für mich war es immer noch sehr verwirrend, dass seine Hand mit einem Mal zwischen meinen Beinen lag und mich geschickt massierte. Offenbar wusste er genau was er tat, denn er entlockte mir Gefühle, die ich selbst nie erreichen konnte. Verzweifelt stützte ich mich auf seinen Oberschenkeln ab, weil ich irgendwo mit meinen Händen hin musste. Die weichen Lippen an meinem Hals raubten mir ebenso den Verstand, wie die massierende Hand die gekonnt ihren Druck immer wieder veränderte, damit ich mich auch gar nicht erst daran gewöhnen konnte.
Ohne es selbst zu merken, stöhnte ich immer wieder auf, ließ meinen Kopf auf seine Schulter sinken, versuchte meinen Herzschlag zu beruhigen, was vollkommen unmöglich war. Ich bemerkte nicht einmal, dass ich anfing, in seine Hand zu stoßen, hätte er sich nicht wieder beschwert, dass ich meine Hüfte ruhig halten solle. "Wenn du so weiter machst, dann kannst du dich hier gleich noch hinknien, kapiert?", hauchte er mit einem erregten Unterton. Wohin lief das alles nur hier? Ich wollte das nicht und war doch nicht in der Lage mich zu wehren, dafür war es zu schön. Fiebernd sah ich meinen besten Freund an, der seine Hand fest um meine Erregung geschlossen hatte, in die ich mittlerweile gierig stieß, in der Hoffnung diese schönen Gefühle noch ein wenig mehr genießen zu können.
Doch dann hielt ich es nicht mehr aus und mit einem lauten Stöhnen kam ich in seinen Händen zum Höhepunkt. Erschöpft ließ ich mich an die Brust von Jason sinken, ehe die Scham mich übermannte und ich mit hochrotem Gesicht zur Seite sah. Nur aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Jason sich die Finger ableckte und schmunzelte. "Das muss dir nicht peinlich sein, so was würdest du doch auch für mich tun, oder?"
Eine sehr provozierende Frage, die meine Situation nicht gerade verbesserte. Unsicher zuckte ich mit den Schultern. "Weiß ich doch nicht", nuschelte ich leise. "Ich würde bestimmt nicht in erster Instanz auf diese Idee gekommen, dir einen runter zu holen, wenn ich dich mit einem Ständer erwischen würde", murmelte ich, in der Hoffnung seinen peinlichen Fragen nun etwas aus dem Weg gehen zu können. Ich krabbelte von seinem Schoss, schloss meine Hose und traute mich noch immer nicht, ihm wieder in die Augen zu sehen. Sanft legte Jason eine Hand unter mein Kinn und zwang mich mit leichtem Druck dazu ihm in die Augen zu sehen. "Nun weich mir doch nicht immer aus. Du musst dich deswegen nicht schämen. Für mich ist das vollkommen normal. Wir hatten das Thema zwar noch nie, aber bist du noch Jungfrau?" Meine Gesichtsfarbe muss mittlerweile dunkelrot sein, was ihm doch Antwort genug sein sollte. Jason nickt etwas und schmunzelt. "Habe ich mir beinahe gedacht." Er hat bestimmt mehr Erfahrungen als ich, so sicher, wie er mit mir umgegangen ist, fast als hätte er das schon bei anderen Männern gemacht. Irgendwie gefiel mir der Gedanke nicht, darum wollte ich die Wahrheit auch gar nicht wissen. Warum nahm mich das überhaupt so sehr mit? Mir sollte es doch egal sein, immerhin war Kiosuke in meinem Herzen und kein anderer Mann. Als sich Jason erhob, sah ich ihn verwirrt an. "Wo willst du hin?", flüsterte ich leise, ängstlich, weil er mich allein lassen wollte.
Beruhigend sah er mich an. "Ich bin doch gleich wieder da, ich habe nur Durst. Willst du auch was trinken?" Konnte er jetzt wirklich einfach so zur Tagesordnung übergehen? Schüchtern nickte ich, mein Hals war total trocken und etwas zu trinken war wirklich nötig. Hoffentlich konnte ich bald wieder normal mit ihm umgehen ... er wollte es doch, also musste ich mir keine Gedanken darum machen, oder? Wir waren nur Freunde, sehr enge Freunde, da konnte so was schon mal passieren, auch wenn wir nicht betrunken waren. Seltsam war die Situation für mich trotzdem ...

Auch Stunden später traute ich mich einfach nicht, meinem besten Freund in die Augen zu sehen. Ob ich aus dem Grund zu Yuta ging, wusste ich selbst nicht, aber ich wollte ihn sehen und mich einfach mit ihm treffen. Mir ging nicht aus dem Kopf, dass ich gerade als ich bei ihm meinen Tee getrunken habe, diesen Zusammenbruch erleiden musste.
Ich konnte und wollte nicht glauben, dass mein ehemaliger, bester Freund so was tun würde. Müde und wohl noch immer hochrot stand ich vor seiner Tür und klopfte an. Als mir sein kleiner Bruder die Tür öffnete, lächelte ich. "Hey, Makoto, ist dein Bruder da?" Erstaunt sah er mich an, als hätte Yuta mit keinem Wort erwähnt, dass ich wieder zurück war. Ob er gar nicht über mich gesprochen hatte? Gut, ich bildete mir nicht ein, dass seine Geschwister sich dafür interessieren würden, doch ich war schon so egoistisch gewesen zu glauben, dass ich Yuta wenigstens eine Erwähnung wert gewesen wäre. So konnte man sich offenbar täuschen.
Makoto ließ mich vor der Tür stehen, als wäre ich für ihn ein Fremder, um Yuta zu holen. Schnell war dieser an der Tür und lächelte. "Entschuldige bitte das Verhalten von meinem kleinen Bruder. Es ist in letzter Zeit sehr skeptisch und lässt nicht mehr jeden rein, obwohl ich ihm das auch erzählt habe. Da kann ja jeder kommen ... sorry." Offenbar tat es ihm wirklich leid und ich konnte den Kleinen auch ein wenig verstehen. Bestimmt hatte ich mich äußerlich so sehr verändert, dass er mich gar nicht mehr wiedererkannt hatte, darum musste er mich doch vor der Tür stehen lassen, ich hätte ja sonst wer sein können. "Schon gut, er hat es ja nicht böse gemeint und ich denke das ist auch in Ordnung so. Ich wollte einfach nur noch mal mit dir reden und mich für das Verhalten von Jason entschuldigen. Was auch immer in den Kerl gefahren ist, er hat es nicht so gemeint. Bestimmt hat er es einfach nur gut mit mir gemeint, er kennt dich immerhin nicht."
War ich denn viel besser als Yuta? Von ihm hatte ich Jason auch nichts erzählt. Mit keinem Wort hatte ich meinen besten Freund erwähnt, bestimmt war er deswegen immer noch sehr enttäuscht von mir. Beruhigend winkte Yuta ab. "Wäre ich in seiner Situation gewesen, hätte ich vermutlich das Gleiche gedacht und ihn verdächtigt, dir etwas angetan zu haben. Komm rein, setzen wir uns ins Wohnzimmer. Einen Tee biete ich dir lieber nicht an, damit ich nicht schuld bin, wenn du wieder hier zusammenbrichst." Zwinkernd schob mich Yuta in die ärmliche Wohnung.
Jedes Mal wenn ich herkam, fühlte ich mich schrecklich. Weil der Unterschied zwischen uns so groß war? Finanziell hatte meine Familie es nie schwer gehabt. Mein Vater hatte einen guten Job und verdiente sehr gut, meine Mutter ebenfalls. Beide waren voll berufstätig und ständig unterwegs. Meine Schwester und ich mussten uns die meiste Zeit mit uns selbst beschäftigen, dafür konnten wir uns aber auch jeden Luxus leisten, den wir haben wollten. Das Anwesen nebenan bewies doch nur, wie gut gestellt wir waren und das meine Familie finanziell noch nie Probleme hatte. Wenn ich Yuta hier besuchte, fühlte ich mich unwohl. Ich selbst hatte für das ganze Geld noch nie etwas tun müssen und er schuftete sich ab, um seinen Geschwistern wenigstens das Nötigste leisten zu können.
Ich fühlte mich richtig schäbig, weil ich mich noch nie so anstrengen musste. Und egal wie oft ich ihm auch Hilfe anbot, er wollte sie nicht annehmen ... dafür war er auch zu stolz. Trotz allem hatte er mich nie spüren lassen, was für Unterschiede zwischen uns lagen und Neid war von seiner Seite auch nie aufgekommen. Für mich fast schon ein kleines Wunder, andere wären bestimmt vor Neid zerfressen gewesen. Das gerade zwischen uns so unterschiedlichen Menschen eine so tiefe Freundschaft entstehen würde, damit hätte wohl keiner gerechnet. Yuta schob mich ins Wohnzimmer und lächelte dabei. "Aber einen Keks kann ich dir wohl noch anbieten, oder? Yukari hat gestern gebacken und sie ist sehr stolz darauf ... dummerweise sind die Kekse etwas hart, aber lass sie das bloß nicht merken, ja?", erklärte er amüsiert und verschwand kurz, um wenige Minuten später mit einem Teller und den Keksen wiederzukommen. "Hier ... Yukari ist nicht da. Du wirst dir nicht die Zähne ausbeißen, aber du musst schon gut zubeißen."

Amüsiert nahm ich mir einen Keks und biss hinein. "Du bist manchmal ganz schön gemein zu deiner Schwester, weißt du das? Die Kekse sind doch lecker!" Nun gut, sie waren wirklich etwas hart, aber darüber konnte man doch hinweg sehen, besonders wenn man bedachte das Yukari erst 12 war. Es fielen eben keine Meister vom Himmel und sie gab sich Mühe, was wollte man denn mehr?
Neugierig sah Yuta mich an. "Sag mal ... wir kennen uns doch nun schon ein paar Jahre, oder? Und ich wusste schon früh, dass du mit Mädchen nie warm wirst. Du hast dich immer verhalten, als wären das Wesen von einem anderen Stern und wenn mal eine mit dir geflirtet hat, dann hast du das nicht einmal bemerkt. Anders kenne ich dich nicht, daher brauchst du vor mir kein Geheimnis daraus machen, dass du auf Männer stehst." Erstaunt musterte ich meinen Freund, ehe ich scheu den Blick senkte. Dass es für Menschen die mich kannten, so offensichtlich war, machte mir deutlich, wie wenig ich offenbar meine eigenen Gefühle verbergen konnte. 
Seufzend zuckte ich mit den Schultern. "Bisher habe ich auch kein sonderlich großes Geheimnis aus der Sache gemacht, oder? Ich bin eben schwul, in Amerika ist das kein Problem und meine Mum nimmt das auch nicht so ernst. Sie denkt wohl es wäre nur eine Phase ... mein Vater war ganz schön sauer, als ich mich geoutet habe." Lächelnd musste ich an den Tag zurückdenken. So wütend hatte ich meinen Vater vorher noch nie erlebt. Er war kurz davor mich einfach aus dem Haus zu werfen, sprach immer wieder davon, dass ich meiner Familie nur Schande machen würde.
Meine Mutter versuchte immer wieder ihm zu erklären, dass so etwas heute normal wäre und er sich nicht so dafür schämen solle. Doch kurz darauf veränderte sie sich. Bis heute begriff ich nicht, aus welchen Gründen sie so anders wurde und sich vor mir verschloss. Irgendwas schien sie total aus der Bahn geworfen zu haben, wenige Monate später starb mein Großvater. Es ist erst ein Jahr her, seit ich mir selbst eingestehen musste, dass ich nun mal auf Männer stand und nicht auf Frauen.
Die Veränderung meiner Mutter hatte ich irgendwann ausgeblendet, nur jetzt kam sie mir wieder in den Kopf. Warum, konnte ich auch nicht genau sagen.
Beruhigend sah mich Yuta an. "Ich hab kein Problem damit, ich habe mehrere Freunde, die schwul sind. Zwar fand ich dich von Anfang an total süß, aber mach dir auf mich keine Hoffnungen. Bisher habe ich weiche Brüste immer vorgezogen, obwohl ich durchaus bereit bin, neue Erfahrungen zu machen." Zwinkernd sah er mich an und ich verzog ein wenig das Gesicht. "Vergiss es, ich kenne dich schon so lange, da stehe ich nicht mit einem Mal auf dich. Außerdem gibt es jemanden in meinem Leben, den ich bestimmt nicht so schnell aufgeben werde."
Das Gesicht von Yuta verzog sich für den Bruchteil einer Sekunde. Wäre die Fratze nicht so grotesk gewesen, vermutlich wäre es mir nicht einmal aufgefallen, denn der Ausdruck war so schnell von den weichen Gesichtszügen verschwunden, wie er erschienen war. "Und da sind wir auch schon bei der Frage, die ich generell an dich hatte, läuft da was zwischen diesem Jason und dir? Ich meine, es ist ja kaum zu übersehen, wie sehr er auf dich steht, so wie er mich zur Sau gemacht hat und dich dann mit so sanften Blicken ansieht. Läuft da was zwischen euch? Ich meine, seid ihr mehr als nur gute Freunde?" Bei seinen Worten wurde ich hochrot. Nie im Leben hätte ich auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass jemand wie Jason, bei dem die Frauen Schlange standen, sich gerade in einen vollkommen durchschnittlichen Jungen wie mich verlieben würde. "I-Ich denke nicht, dass er auf mich steht", nuschelte ich leise.
Nicht einmal mit dem Gedanken hatte ich gespielt, alleine schon aus dem Grund, weil mir nie in den Sinn gekommen wäre, einen Mann wie ihn erobern zu wollen. Dafür war er viel zu hübsch, viel zu schön und für eine Frau doch viel zu geschaffen. Jemand wie er konnte sich doch nicht in einen Mann wie mich verlieben ... jedenfalls redete ich mir das nun schon seit Jahren sehr erfolgreich ein. Wir waren Freunde, mehr würde doch nie im Leben daraus werden. Amüsiert musterte mich Yuta, der offenbar in meiner Miene deutlich lesen konnte. "So warst du schon immer", flüsterte er leise. "Du denkst nie daran, dass gerade die Menschen mehr für dich empfinden könnten, die direkt vor dir sind. Aber heißt das dann, dass du gar nicht in Jason verliebt bist, sondern in einen anderen Mann?"
Stimmt, jetzt fiel mir auch wieder ein, wie wir überhaupt auf das Thema gekommen waren. Seufzend sah ich ihn an und zuckte mit den Schultern. "Ja, ich liebe einen anderen Mann. Immerhin habe ich nicht einmal in Betracht gezogen, dass da etwas mit meinem besten Freund laufen würde. Du weißt, wie ich in der Hinsicht bin, oder? Jedenfalls ... gibt es da jemanden, aber wir können nicht richtig zusammen sein."
Wieder verzog sich das Gesicht von Yuta für ein paar Sekunden zu einer mir fremden und komischen Fratze. Was war denn nur los mit mir? Warum sah ich in jedem etwas Böses, dabei waren wir doch schon so lange Freunde. Ich musste das vergessen, bestimmt bildete ich mir das alles eh nur ein, weil ich in letzter Zeit nur merkwürdige Dinge sah und komische Sachen geschahen. Seit ich hier war, hatte ich keine ruhige Minute mehr gehabt, da wurde man doch mal übersensibel und empfindlich. Aber bei Yuta musste ich das nicht sein, denn als ich ihm wieder in die Augen sah, waren sie sanft und warm wie immer. "Das hört sich nicht so gut an ... aber das wird sich schon alles klären. Wenn ihr euch liebt, sollte es immer einen Weg geben."
Ich konnte nur hoffen, dass er damit recht hatte. Sehnsüchtig musste ich an Kiosuke denken, der weit weg ist ... sehr weit weg. "Schon gut ... ich denke ich kriege das schon irgendwie hin, auch wenn ich noch nicht weiß wie. Aber irgendwie werden wir dann schon einen Weg finden, denke ich. Und du? Hast du eine Freundin? Wenn du mehr auf Brüste stehst, dann sollte das doch darauf hinweisen, dass du eine feste Partnerin hast, oder?" Neugierig musterte ich meinen besten Freund, der abwinkte und mit den Schultern zuckte. "Nein ... ich will auch gar keine haben, wenn ich ehrlich bin. Ich meine, was soll ich mir denn ein Weib nach Hause holen? Wenn ich mir eine für Sex suche, dann reicht das doch."
Irgendwie verletzten mich seine Worte, auch wenn ich nicht genau sagen konnte, warum. Es war seine Sache mit wem er schlief und mit wem nicht, was er davon hielt und wie viel ihm das wert war. Einen kurzen Moment lang sah Yuta mich einfach nur an, ehe er sich erhob und schmunzelte. "Willst du sonst noch irgendwas von mir? Ich muss nachher noch zur Arbeit, weißt du? Da wollte ich noch unter die Dusche." Eigentlich wollte ich noch so viel von ihm, doch jetzt, wo er vor mir stand, vergaß ich alles. War ich nicht einfach nur vor Jason geflüchtet? Ich wusste es nicht mehr und lächelte aus dem Grund. "Schon gut, ich werde nach Hause gehen ... und wenn was ist, dann kannst du immer zu mir kommen, verstanden?" Irgendwie fühlte ich mich, als hätte Yuta Sorgen über, die er nicht mit mir sprach. Hatten wir uns in den letzten Jahren so sehr entfernt?

Offensichtlich wartete Jason auf mich, denn er war sofort an der Tür, als ich diese öffnete. "Hier, ich denke jetzt muss ich dir auch glauben. Ich bin mir sicher, das hier war gestern noch nicht da! Und der Kerl, den du kennengelernt hast, der hieß doch Kiosuke, oder?" Benommen sah ich meinen Freund an, dem ich vielleicht im ersten Moment noch aus dem Weg gehen wollte, jetzt aber froh war, dass er hier war. "Siehst du? Ich habe dir doch die ganze Zeit über gesagt, dass es ihn wirklich gibt, oder? Jetzt musst du mir endlich glauben", flüsterte ich leise, nahm das Windspiel entgegen und sah auf den Namen, den Kiosuke auf die hölzerne Halterung der Glocken geschrieben hatte. "Sehr schön, ich wusste er würde das tun", flüsterte ich mit zitternder Stimme und fühlte mich dabei erschöpft und müde.
Skeptisch sah mich Jason an. "Ich finde es merkwürdig. Immer wenn du von Yuta wieder kommst, siehst du aus als wärst du dem Tod begegnet. Du bist blass und kaum noch zu gebrauchen, beim letzten Mal warst du sogar ohnmächtig." Seufzend holte er ein Taschentuch aus der Tasche und hielt mir dieses an die Nase. "Hier ... du hast schon wieder Nasenbluten." Wie lange sollte das denn noch so weiter gehen? Seufzend hielt ich mir das weiße Tuch an die Nase und senkte meinen Blick. "Bist du böse, wenn ich schlafen gehe? Irgendwie fühle ich mich ganz und gar nicht gut." Mir war schwindelig und das Nasenbluten tat sein übriges.
Sanft sah mich Jason an. "Leg dich hin, ich mach dir einen Kakao, okay?" Er war so sanft zu mir und ich konnte nur hoffen, dass er jetzt nicht der Meinung war, wir wären ein Paar. Das von heute Morgen ... Nein das war doch einfach nur ein bisschen Spaß, mehr hatte es nicht zu bedeuten. "Wir müssen wohl eh noch einmal reden, meinst du nicht?", nuschelte ich leise. Erstaunt sah mich Jason an. "Müssen wir? Über was denn? Ach du ... du meinst, weil ich dir einen runter geholt habe? Darüber müssen wir doch nicht reden. Wir hatten einfach nur ein bisschen Spaß, das solltest du nicht so eng sehen, meinst du das nicht? Ob du das nun machst, oder ich lege Hand an ... ist doch vollkommen egal", murmelte er und sah mich an, als würde er tatsächlich genau so denken.
Blinzelnd legte ich den Kopf schief. "Meinst du das Ernst? Ist für dich denn überhaupt nichts dabei? Ich ... also ich weiß auch nicht. So was machen doch gute Freunde normalerweise nicht, oder? Und trotzdem ... warum hast du das getan? Mir geht das nicht aus dem Kopf." Schmunzelnd zuckte mein bester Freund mit den Schultern. "Weil ich Lust dazu hatte. Wir kennen uns jetzt so lange, ich wusste ja nicht, dass du so ein Drama aus der Sache machen würdest, nur weil ich ein bisschen an dir rumfummeln würde."
Herrje, der Kerl sah das wirklich so locker. Ob er das auch schon mit anderen Jungs gemacht hatte und mir war das nur noch nicht aufgefallen? Der Gedanke für ihn würde das alles nichts bedeuten, versetzte mir schon wieder einen Stich. Was war denn heute los mit mir? Ich war in Kiosuke verliebt und wollte doch gar nicht, dass Jason auf irgendwelche komischen Ideen kam und sich vielleicht in mich verliebte. Wer wollte schon seinem besten Freund das Herz brechen?
Darum lächelte ich erleichtert und kratzte mich an der Wange. "Dann ist ja gut, ich hatte schon Angst zwischen uns würde sich jetzt etwas ändern. Dabei will ich das gar nicht. Ich möchte, dass zwischen uns alles so bleibt, wie es ist und das wir für immer beste Freunde bleiben, ja?" Beinahe flehend sah ich ihm in die Augen, was auch Jason nicht verborgen blieb. Sanft wuschelte er durch mein Haar. "Du machst dir manchmal viel zu viele Gedanken, weißt du das? Was hast du nur? Ich meine ... ich sehe das alles für andere vielleicht zu locker, aber wenn man zu ernst wird dabei, dann hilft das doch auch niemandem, oder? Ich habe dir einen runter geholt und Punkt, das ist doch alles."
Und ohne ein weiteres Wort verschwand er in der Küche. Ich flehte zu Gott und allen anderen Göttern, die ich kannte, dass er auch alles ernst meinte, was er eben gesagt hatte. Wenigstens musste ich das alles jetzt nicht mehr runterschlucken, sondern konnte offen und ehrlich mit ihm über meine Sorgen reden. Endlich konnte alles wieder so zwischen uns werden, wie es nun Mal vorher auch schon gewesen war. Freunde, mehr sollte aus uns nicht werden. Müde kuschelte ich mich auf den Boden und gähnte müde, mittlerweile war wenigstens die Blutung gestillt und ich konnte das Taschentuch wieder weglegen. Immer wieder fielen mir die Augen zu, auch wenn ich noch auf den Kakao von Jason warten wollte, doch die Müdigkeit überfiel mich wie ein Monster aus dem Hinterhalt. Zwar kämpfte ich gegen sie, doch sie war mächtiger als ich, und noch bevor Jason aus der Küche kam, war ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen.

Kapitel 8

 

Als ich wach wurde, tat mir der Rücken furchtbar weh. Was war denn los? Ob ich irgendwo hingefallen war? Nein ... nicht, dass ich mich daran erinnern konnte. Eine warme Hand legte sich auf meine Stirn, was dazu führte, dass ich meine Augen schloss. Ob ich wieder bei Kiosuke war? Nein, die Hand war größer und fühlte sich anders an ... Jason.
Erschrocken riss ich meine Augen auf, was meinen besten Freund etwas blinzeln ließ. "Was ist mit dir los? Sonst erschreckst du dich auch nicht so sehr, wenn ich neben dir sitze. Oder liegt das daran, dass du einen Ständer hast. Denkst du so was hätte ich noch nie gesehen? Ich will lieber nicht wissen, was der Kerl in deinen Träumen mit dir gemacht hat." Irgendwie klang er ... wütend? Aber warum? Es war doch meine Sache und er wusste doch auch, dass ich auch auf Männer stand. Erst jetzt begriff ich, was Jason mir da eben gesagt hatte, und sah erschrocken zu meinem Schritt. Mist, er hatte auch noch Recht.
Peinlich berührt verdeckte ich meine Erektion mit meinen Händen. "Wir haben uns nur unterhalten! Er würde niemals etwas mit mir tun, was sich für seine Zeit nicht gehört", nuschelte ich leise und blickte mit hochroten Wangen zur Seite.
Ich musste hier weg, spürte jedoch das meine Beine kaum in der Lage waren sich zu bewegen. Wenn ich jetzt aufstand und im Bad verschwand, dann brach ich nur zusammen. "Kannst du da bitte nicht auch noch so hinsehen? Du hast doch selbst gesagt, dass du weißt, wie so was aussieht. Und du hattest selbst garantiert auch schon einen Ständer", beschwerte ich mich. Woher kam das denn? Immerhin hatte Kiosuke nichts mit mir gemacht, oder war es seine Stimme und sein Atem an meinem Ohr, als er mir die letzten Worte zugeflüstert hatte? Möglich wäre es jedenfalls, denn am Hals und am Ohr war ich schon sehr empfindlich.
Zitternd wollte ich aufstehen, weil ich es nicht mehr aushielt, so vor meinem besten Freund zu sitzen, nur passiert genau das, womit ich gerechnet hatte. Ich kam ins Stolpern und landete direkt in den Armen von Jason, der mich sicher auffing. "Hey ... was machst du denn? Ich hab doch gesagt, dass du dich nicht schämen musst", beschwerte er sich leise, ehe er mich einfach auf seinen Schoss zog und seine Hand auf meinen Schritt legte. "Oder soll ich mich ein wenig um dich kümmern?", hörte ich seine Stimme an meinem Ohr, kurz bevor er über meinen Hals leckte. Schauer liefen mir über den Körper, während noch mehr Blut zwischen meine Beine gepumpt wurde. "Bist du verrückt? Wir sind beste Freunde, da fummelt man doch nicht dermaßen aneinander rum", wimmerte ich leise. War das sein Ernst? Schmunzelnd biss mich Jason in den Hals. "Und warum nicht? Ich bin jemand der dich schon seit Jahren kennt, oder nicht? Warum solltest du dich vor mir schämen? Immerhin habe ich selbst so ein gutes Stück und weiß, wie ich damit umgehen muss."
Ob er wohl noch Jungfrau war? Bestimmt nicht, so selbstsicher, wie er meine Jeans öffnete und mir in die Hose griff. Erschrocken keuchte ich auf, versuchte mich von ihm weg zu schieben und wimmerte immer wieder leise. "Lass das doch", flüsterte ich mit zitternder Stimme, in der Hoffnung, dass er mich doch noch losließ. "So was geht doch nicht ..." Ich fühlte mich, als würde ich Kiosuke betrügen, wo wir uns doch gerade näher kamen.
Doch Jasons Hand war so geschickt und ich hielt es kaum aus, als sie sich um meine harte Erregung legte und diese erkundete. "Nun stell dich doch nicht so an", meinte Jason amüsiert. Ich konnte sein Lächeln geradewegs auf seinen Lippen sehen, auch wenn ich ihm den Rücken zudrehte. Hochrot starrte ich auf den Boden, aus Scheu meinen Freund jetzt auch noch anzusehen. Stöhnend schloss ich meine Augen, wollte mich dagegen wehren und war doch viel zu schwach und zu ergeben, um ihn wegzustoßen. Vielleicht wollte ich auch gar nicht, dass er damit aufhörte. Mein Atem ging immer schneller, mein Herz raste wie wild in meiner Brust, was mir fast den Verstand raubte. Die starken Finger, die über meine Erregung glitten und offenbar jeden Zentimeter erkundeten, schienen etwas tief in mir auszuschalten.
Seine Finger waren warm, streichelten über meine Spitze, ehe sich seine ganze Hand um meine Erektion schloss. Einen Moment schien er einfach nur zu warten, was mir unruhige Hüftbewegungen entlockte. Schnurrend knabberte Jason an meinem Ohrläppchen. "Wenn du so weiter machst, kannst du mir auch gleich einen runter holen, weißt du das? Wenn sich dein knackiger Hintern so an meinen Schritt drückt ... du ahnst nicht einmal, was du damit in mir auslöst, kann das sein?" Sofort wurde ich hochrot, denn woher sollte ich das wissen? Bisher hatte Jason in der Hinsicht nie ein Wort verloren und er war mir auch nie auf diese Art und Weise nahe gekommen.
Woher sollte ich denn wissen, was er im Bezug auf mich fühlte? Für mich war es immer noch sehr verwirrend, dass seine Hand mit einem Mal zwischen meinen Beinen lag und mich geschickt massierte. Offenbar wusste er genau was er tat, denn er entlockte mir Gefühle, die ich selbst nie erreichen konnte. Verzweifelt stützte ich mich auf seinen Oberschenkeln ab, weil ich irgendwo mit meinen Händen hin musste. Die weichen Lippen an meinem Hals raubten mir ebenso den Verstand, wie die massierende Hand die gekonnt ihren Druck immer wieder veränderte, damit ich mich auch gar nicht erst daran gewöhnen konnte.
Ohne es selbst zu merken, stöhnte ich immer wieder auf, ließ meinen Kopf auf seine Schulter sinken, versuchte meinen Herzschlag zu beruhigen, was vollkommen unmöglich war. Ich bemerkte nicht einmal, dass ich anfing, in seine Hand zu stoßen, hätte er sich nicht wieder beschwert, dass ich meine Hüfte ruhig halten solle. "Wenn du so weiter machst, dann kannst du dich hier gleich noch hinknien, kapiert?", hauchte er mit einem erregten Unterton. Wohin lief das alles nur hier? Ich wollte das nicht und war doch nicht in der Lage mich zu wehren, dafür war es zu schön. Fiebernd sah ich meinen besten Freund an, der seine Hand fest um meine Erregung geschlossen hatte, in die ich mittlerweile gierig stieß, in der Hoffnung diese schönen Gefühle noch ein wenig mehr genießen zu können.
Doch dann hielt ich es nicht mehr aus und mit einem lauten Stöhnen kam ich in seinen Händen zum Höhepunkt. Erschöpft ließ ich mich an die Brust von Jason sinken, ehe die Scham mich übermannte und ich mit hochrotem Gesicht zur Seite sah. Nur aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Jason sich die Finger ableckte und schmunzelte. "Das muss dir nicht peinlich sein, so was würdest du doch auch für mich tun, oder?"
Eine sehr provozierende Frage, die meine Situation nicht gerade verbesserte. Unsicher zuckte ich mit den Schultern. "Weiß ich doch nicht", nuschelte ich leise. "Ich würde bestimmt nicht in erster Instanz auf diese Idee gekommen, dir einen runter zu holen, wenn ich dich mit einem Ständer erwischen würde", murmelte ich, in der Hoffnung seinen peinlichen Fragen nun etwas aus dem Weg gehen zu können. Ich krabbelte von seinem Schoss, schloss meine Hose und traute mich noch immer nicht, ihm wieder in die Augen zu sehen. Sanft legte Jason eine Hand unter mein Kinn und zwang mich mit leichtem Druck dazu ihm in die Augen zu sehen. "Nun weich mir doch nicht immer aus. Du musst dich deswegen nicht schämen. Für mich ist das vollkommen normal. Wir hatten das Thema zwar noch nie, aber bist du noch Jungfrau?" Meine Gesichtsfarbe muss mittlerweile dunkelrot sein, was ihm doch Antwort genug sein sollte. Jason nickt etwas und schmunzelt. "Habe ich mir beinahe gedacht." Er hat bestimmt mehr Erfahrungen als ich, so sicher, wie er mit mir umgegangen ist, fast als hätte er das schon bei anderen Männern gemacht. Irgendwie gefiel mir der Gedanke nicht, darum wollte ich die Wahrheit auch gar nicht wissen. Warum nahm mich das überhaupt so sehr mit? Mir sollte es doch egal sein, immerhin war Kiosuke in meinem Herzen und kein anderer Mann. Als sich Jason erhob, sah ich ihn verwirrt an. "Wo willst du hin?", flüsterte ich leise, ängstlich, weil er mich allein lassen wollte.
Beruhigend sah er mich an. "Ich bin doch gleich wieder da, ich habe nur Durst. Willst du auch was trinken?" Konnte er jetzt wirklich einfach so zur Tagesordnung übergehen? Schüchtern nickte ich, mein Hals war total trocken und etwas zu trinken war wirklich nötig. Hoffentlich konnte ich bald wieder normal mit ihm umgehen ... er wollte es doch, also musste ich mir keine Gedanken darum machen, oder? Wir waren nur Freunde, sehr enge Freunde, da konnte so was schon mal passieren, auch wenn wir nicht betrunken waren. Seltsam war die Situation für mich trotzdem ...

Auch Stunden später traute ich mich einfach nicht, meinem besten Freund in die Augen zu sehen. Ob ich aus dem Grund zu Yuta ging, wusste ich selbst nicht, aber ich wollte ihn sehen und mich einfach mit ihm treffen. Mir ging nicht aus dem Kopf, dass ich gerade als ich bei ihm meinen Tee getrunken habe, diesen Zusammenbruch erleiden musste.
Ich konnte und wollte nicht glauben, dass mein ehemaliger, bester Freund so was tun würde. Müde und wohl noch immer hochrot stand ich vor seiner Tür und klopfte an. Als mir sein kleiner Bruder die Tür öffnete, lächelte ich. "Hey, Makoto, ist dein Bruder da?" Erstaunt sah er mich an, als hätte Yuta mit keinem Wort erwähnt, dass ich wieder zurück war. Ob er gar nicht über mich gesprochen hatte? Gut, ich bildete mir nicht ein, dass seine Geschwister sich dafür interessieren würden, doch ich war schon so egoistisch gewesen zu glauben, dass ich Yuta wenigstens eine Erwähnung wert gewesen wäre. So konnte man sich offenbar täuschen.
Makoto ließ mich vor der Tür stehen, als wäre ich für ihn ein Fremder, um Yuta zu holen. Schnell war dieser an der Tür und lächelte. "Entschuldige bitte das Verhalten von meinem kleinen Bruder. Es ist in letzter Zeit sehr skeptisch und lässt nicht mehr jeden rein, obwohl ich ihm das auch erzählt habe. Da kann ja jeder kommen ... sorry." Offenbar tat es ihm wirklich leid und ich konnte den Kleinen auch ein wenig verstehen. Bestimmt hatte ich mich äußerlich so sehr verändert, dass er mich gar nicht mehr wiedererkannt hatte, darum musste er mich doch vor der Tür stehen lassen, ich hätte ja sonst wer sein können. "Schon gut, er hat es ja nicht böse gemeint und ich denke das ist auch in Ordnung so. Ich wollte einfach nur noch mal mit dir reden und mich für das Verhalten von Jason entschuldigen. Was auch immer in den Kerl gefahren ist, er hat es nicht so gemeint. Bestimmt hat er es einfach nur gut mit mir gemeint, er kennt dich immerhin nicht."
War ich denn viel besser als Yuta? Von ihm hatte ich Jason auch nichts erzählt. Mit keinem Wort hatte ich meinen besten Freund erwähnt, bestimmt war er deswegen immer noch sehr enttäuscht von mir. Beruhigend winkte Yuta ab. "Wäre ich in seiner Situation gewesen, hätte ich vermutlich das Gleiche gedacht und ihn verdächtigt, dir etwas angetan zu haben. Komm rein, setzen wir uns ins Wohnzimmer. Einen Tee biete ich dir lieber nicht an, damit ich nicht schuld bin, wenn du wieder hier zusammenbrichst." Zwinkernd schob mich Yuta in die ärmliche Wohnung.
Jedes Mal wenn ich herkam, fühlte ich mich schrecklich. Weil der Unterschied zwischen uns so groß war? Finanziell hatte meine Familie es nie schwer gehabt. Mein Vater hatte einen guten Job und verdiente sehr gut, meine Mutter ebenfalls. Beide waren voll berufstätig und ständig unterwegs. Meine Schwester und ich mussten uns die meiste Zeit mit uns selbst beschäftigen, dafür konnten wir uns aber auch jeden Luxus leisten, den wir haben wollten. Das Anwesen nebenan bewies doch nur, wie gut gestellt wir waren und das meine Familie finanziell noch nie Probleme hatte. Wenn ich Yuta hier besuchte, fühlte ich mich unwohl. Ich selbst hatte für das ganze Geld noch nie etwas tun müssen und er schuftete sich ab, um seinen Geschwistern wenigstens das Nötigste leisten zu können.
Ich fühlte mich richtig schäbig, weil ich mich noch nie so anstrengen musste. Und egal wie oft ich ihm auch Hilfe anbot, er wollte sie nicht annehmen ... dafür war er auch zu stolz. Trotz allem hatte er mich nie spüren lassen, was für Unterschiede zwischen uns lagen und Neid war von seiner Seite auch nie aufgekommen. Für mich fast schon ein kleines Wunder, andere wären bestimmt vor Neid zerfressen gewesen. Das gerade zwischen uns so unterschiedlichen Menschen eine so tiefe Freundschaft entstehen würde, damit hätte wohl keiner gerechnet. Yuta schob mich ins Wohnzimmer und lächelte dabei. "Aber einen Keks kann ich dir wohl noch anbieten, oder? Yukari hat gestern gebacken und sie ist sehr stolz darauf ... dummerweise sind die Kekse etwas hart, aber lass sie das bloß nicht merken, ja?", erklärte er amüsiert und verschwand kurz, um wenige Minuten später mit einem Teller und den Keksen wiederzukommen. "Hier ... Yukari ist nicht da. Du wirst dir nicht die Zähne ausbeißen, aber du musst schon gut zubeißen."

Amüsiert nahm ich mir einen Keks und biss hinein. "Du bist manchmal ganz schön gemein zu deiner Schwester, weißt du das? Die Kekse sind doch lecker!" Nun gut, sie waren wirklich etwas hart, aber darüber konnte man doch hinweg sehen, besonders wenn man bedachte das Yukari erst 12 war. Es fielen eben keine Meister vom Himmel und sie gab sich Mühe, was wollte man denn mehr?
Neugierig sah Yuta mich an. "Sag mal ... wir kennen uns doch nun schon ein paar Jahre, oder? Und ich wusste schon früh, dass du mit Mädchen nie warm wirst. Du hast dich immer verhalten, als wären das Wesen von einem anderen Stern und wenn mal eine mit dir geflirtet hat, dann hast du das nicht einmal bemerkt. Anders kenne ich dich nicht, daher brauchst du vor mir kein Geheimnis daraus machen, dass du auf Männer stehst." Erstaunt musterte ich meinen Freund, ehe ich scheu den Blick senkte. Dass es für Menschen die mich kannten, so offensichtlich war, machte mir deutlich, wie wenig ich offenbar meine eigenen Gefühle verbergen konnte. 
Seufzend zuckte ich mit den Schultern. "Bisher habe ich auch kein sonderlich großes Geheimnis aus der Sache gemacht, oder? Ich bin eben schwul, in Amerika ist das kein Problem und meine Mum nimmt das auch nicht so ernst. Sie denkt wohl es wäre nur eine Phase ... mein Vater war ganz schön sauer, als ich mich geoutet habe." Lächelnd musste ich an den Tag zurückdenken. So wütend hatte ich meinen Vater vorher noch nie erlebt. Er war kurz davor mich einfach aus dem Haus zu werfen, sprach immer wieder davon, dass ich meiner Familie nur Schande machen würde.
Meine Mutter versuchte immer wieder ihm zu erklären, dass so etwas heute normal wäre und er sich nicht so dafür schämen solle. Doch kurz darauf veränderte sie sich. Bis heute begriff ich nicht, aus welchen Gründen sie so anders wurde und sich vor mir verschloss. Irgendwas schien sie total aus der Bahn geworfen zu haben, wenige Monate später starb mein Großvater. Es ist erst ein Jahr her, seit ich mir selbst eingestehen musste, dass ich nun mal auf Männer stand und nicht auf Frauen.
Die Veränderung meiner Mutter hatte ich irgendwann ausgeblendet, nur jetzt kam sie mir wieder in den Kopf. Warum, konnte ich auch nicht genau sagen.
Beruhigend sah mich Yuta an. "Ich hab kein Problem damit, ich habe mehrere Freunde, die schwul sind. Zwar fand ich dich von Anfang an total süß, aber mach dir auf mich keine Hoffnungen. Bisher habe ich weiche Brüste immer vorgezogen, obwohl ich durchaus bereit bin, neue Erfahrungen zu machen." Zwinkernd sah er mich an und ich verzog ein wenig das Gesicht. "Vergiss es, ich kenne dich schon so lange, da stehe ich nicht mit einem Mal auf dich. Außerdem gibt es jemanden in meinem Leben, den ich bestimmt nicht so schnell aufgeben werde."
Das Gesicht von Yuta verzog sich für den Bruchteil einer Sekunde. Wäre die Fratze nicht so grotesk gewesen, vermutlich wäre es mir nicht einmal aufgefallen, denn der Ausdruck war so schnell von den weichen Gesichtszügen verschwunden, wie er erschienen war. "Und da sind wir auch schon bei der Frage, die ich generell an dich hatte, läuft da was zwischen diesem Jason und dir? Ich meine, es ist ja kaum zu übersehen, wie sehr er auf dich steht, so wie er mich zur Sau gemacht hat und dich dann mit so sanften Blicken ansieht. Läuft da was zwischen euch? Ich meine, seid ihr mehr als nur gute Freunde?" Bei seinen Worten wurde ich hochrot. Nie im Leben hätte ich auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass jemand wie Jason, bei dem die Frauen Schlange standen, sich gerade in einen vollkommen durchschnittlichen Jungen wie mich verlieben würde. "I-Ich denke nicht, dass er auf mich steht", nuschelte ich leise.
Nicht einmal mit dem Gedanken hatte ich gespielt, alleine schon aus dem Grund, weil mir nie in den Sinn gekommen wäre, einen Mann wie ihn erobern zu wollen. Dafür war er viel zu hübsch, viel zu schön und für eine Frau doch viel zu geschaffen. Jemand wie er konnte sich doch nicht in einen Mann wie mich verlieben ... jedenfalls redete ich mir das nun schon seit Jahren sehr erfolgreich ein. Wir waren Freunde, mehr würde doch nie im Leben daraus werden. Amüsiert musterte mich Yuta, der offenbar in meiner Miene deutlich lesen konnte. "So warst du schon immer", flüsterte er leise. "Du denkst nie daran, dass gerade die Menschen mehr für dich empfinden könnten, die direkt vor dir sind. Aber heißt das dann, dass du gar nicht in Jason verliebt bist, sondern in einen anderen Mann?"
Stimmt, jetzt fiel mir auch wieder ein, wie wir überhaupt auf das Thema gekommen waren. Seufzend sah ich ihn an und zuckte mit den Schultern. "Ja, ich liebe einen anderen Mann. Immerhin habe ich nicht einmal in Betracht gezogen, dass da etwas mit meinem besten Freund laufen würde. Du weißt, wie ich in der Hinsicht bin, oder? Jedenfalls ... gibt es da jemanden, aber wir können nicht richtig zusammen sein."
Wieder verzog sich das Gesicht von Yuta für ein paar Sekunden zu einer mir fremden und komischen Fratze. Was war denn nur los mit mir? Warum sah ich in jedem etwas Böses, dabei waren wir doch schon so lange Freunde. Ich musste das vergessen, bestimmt bildete ich mir das alles eh nur ein, weil ich in letzter Zeit nur merkwürdige Dinge sah und komische Sachen geschahen. Seit ich hier war, hatte ich keine ruhige Minute mehr gehabt, da wurde man doch mal übersensibel und empfindlich. Aber bei Yuta musste ich das nicht sein, denn als ich ihm wieder in die Augen sah, waren sie sanft und warm wie immer. "Das hört sich nicht so gut an ... aber das wird sich schon alles klären. Wenn ihr euch liebt, sollte es immer einen Weg geben."
Ich konnte nur hoffen, dass er damit recht hatte. Sehnsüchtig musste ich an Kiosuke denken, der weit weg ist ... sehr weit weg. "Schon gut ... ich denke ich kriege das schon irgendwie hin, auch wenn ich noch nicht weiß wie. Aber irgendwie werden wir dann schon einen Weg finden, denke ich. Und du? Hast du eine Freundin? Wenn du mehr auf Brüste stehst, dann sollte das doch darauf hinweisen, dass du eine feste Partnerin hast, oder?" Neugierig musterte ich meinen besten Freund, der abwinkte und mit den Schultern zuckte. "Nein ... ich will auch gar keine haben, wenn ich ehrlich bin. Ich meine, was soll ich mir denn ein Weib nach Hause holen? Wenn ich mir eine für Sex suche, dann reicht das doch."
Irgendwie verletzten mich seine Worte, auch wenn ich nicht genau sagen konnte, warum. Es war seine Sache mit wem er schlief und mit wem nicht, was er davon hielt und wie viel ihm das wert war. Einen kurzen Moment lang sah Yuta mich einfach nur an, ehe er sich erhob und schmunzelte. "Willst du sonst noch irgendwas von mir? Ich muss nachher noch zur Arbeit, weißt du? Da wollte ich noch unter die Dusche." Eigentlich wollte ich noch so viel von ihm, doch jetzt, wo er vor mir stand, vergaß ich alles. War ich nicht einfach nur vor Jason geflüchtet? Ich wusste es nicht mehr und lächelte aus dem Grund. "Schon gut, ich werde nach Hause gehen ... und wenn was ist, dann kannst du immer zu mir kommen, verstanden?" Irgendwie fühlte ich mich, als hätte Yuta Sorgen über, die er nicht mit mir sprach. Hatten wir uns in den letzten Jahren so sehr entfernt?

Offensichtlich wartete Jason auf mich, denn er war sofort an der Tür, als ich diese öffnete. "Hier, ich denke jetzt muss ich dir auch glauben. Ich bin mir sicher, das hier war gestern noch nicht da! Und der Kerl, den du kennengelernt hast, der hieß doch Kiosuke, oder?" Benommen sah ich meinen Freund an, dem ich vielleicht im ersten Moment noch aus dem Weg gehen wollte, jetzt aber froh war, dass er hier war. "Siehst du? Ich habe dir doch die ganze Zeit über gesagt, dass es ihn wirklich gibt, oder? Jetzt musst du mir endlich glauben", flüsterte ich leise, nahm das Windspiel entgegen und sah auf den Namen, den Kiosuke auf die hölzerne Halterung der Glocken geschrieben hatte. "Sehr schön, ich wusste er würde das tun", flüsterte ich mit zitternder Stimme und fühlte mich dabei erschöpft und müde.
Skeptisch sah mich Jason an. "Ich finde es merkwürdig. Immer wenn du von Yuta wieder kommst, siehst du aus als wärst du dem Tod begegnet. Du bist blass und kaum noch zu gebrauchen, beim letzten Mal warst du sogar ohnmächtig." Seufzend holte er ein Taschentuch aus der Tasche und hielt mir dieses an die Nase. "Hier ... du hast schon wieder Nasenbluten." Wie lange sollte das denn noch so weiter gehen? Seufzend hielt ich mir das weiße Tuch an die Nase und senkte meinen Blick. "Bist du böse, wenn ich schlafen gehe? Irgendwie fühle ich mich ganz und gar nicht gut." Mir war schwindelig und das Nasenbluten tat sein übriges.
Sanft sah mich Jason an. "Leg dich hin, ich mach dir einen Kakao, okay?" Er war so sanft zu mir und ich konnte nur hoffen, dass er jetzt nicht der Meinung war, wir wären ein Paar. Das von heute Morgen ... Nein das war doch einfach nur ein bisschen Spaß, mehr hatte es nicht zu bedeuten. "Wir müssen wohl eh noch einmal reden, meinst du nicht?", nuschelte ich leise. Erstaunt sah mich Jason an. "Müssen wir? Über was denn? Ach du ... du meinst, weil ich dir einen runter geholt habe? Darüber müssen wir doch nicht reden. Wir hatten einfach nur ein bisschen Spaß, das solltest du nicht so eng sehen, meinst du das nicht? Ob du das nun machst, oder ich lege Hand an ... ist doch vollkommen egal", murmelte er und sah mich an, als würde er tatsächlich genau so denken.
Blinzelnd legte ich den Kopf schief. "Meinst du das Ernst? Ist für dich denn überhaupt nichts dabei? Ich ... also ich weiß auch nicht. So was machen doch gute Freunde normalerweise nicht, oder? Und trotzdem ... warum hast du das getan? Mir geht das nicht aus dem Kopf." Schmunzelnd zuckte mein bester Freund mit den Schultern. "Weil ich Lust dazu hatte. Wir kennen uns jetzt so lange, ich wusste ja nicht, dass du so ein Drama aus der Sache machen würdest, nur weil ich ein bisschen an dir rumfummeln würde."
Herrje, der Kerl sah das wirklich so locker. Ob er das auch schon mit anderen Jungs gemacht hatte und mir war das nur noch nicht aufgefallen? Der Gedanke für ihn würde das alles nichts bedeuten, versetzte mir schon wieder einen Stich. Was war denn heute los mit mir? Ich war in Kiosuke verliebt und wollte doch gar nicht, dass Jason auf irgendwelche komischen Ideen kam und sich vielleicht in mich verliebte. Wer wollte schon seinem besten Freund das Herz brechen?
Darum lächelte ich erleichtert und kratzte mich an der Wange. "Dann ist ja gut, ich hatte schon Angst zwischen uns würde sich jetzt etwas ändern. Dabei will ich das gar nicht. Ich möchte, dass zwischen uns alles so bleibt, wie es ist und das wir für immer beste Freunde bleiben, ja?" Beinahe flehend sah ich ihm in die Augen, was auch Jason nicht verborgen blieb. Sanft wuschelte er durch mein Haar. "Du machst dir manchmal viel zu viele Gedanken, weißt du das? Was hast du nur? Ich meine ... ich sehe das alles für andere vielleicht zu locker, aber wenn man zu ernst wird dabei, dann hilft das doch auch niemandem, oder? Ich habe dir einen runter geholt und Punkt, das ist doch alles."
Und ohne ein weiteres Wort verschwand er in der Küche. Ich flehte zu Gott und allen anderen Göttern, die ich kannte, dass er auch alles ernst meinte, was er eben gesagt hatte. Wenigstens musste ich das alles jetzt nicht mehr runterschlucken, sondern konnte offen und ehrlich mit ihm über meine Sorgen reden. Endlich konnte alles wieder so zwischen uns werden, wie es nun Mal vorher auch schon gewesen war. Freunde, mehr sollte aus uns nicht werden. Müde kuschelte ich mich auf den Boden und gähnte müde, mittlerweile war wenigstens die Blutung gestillt und ich konnte das Taschentuch wieder weglegen. Immer wieder fielen mir die Augen zu, auch wenn ich noch auf den Kakao von Jason warten wollte, doch die Müdigkeit überfiel mich wie ein Monster aus dem Hinterhalt. Zwar kämpfte ich gegen sie, doch sie war mächtiger als ich, und noch bevor Jason aus der Küche kam, war ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen.

 

Kapitel 9

 

Als ich am nächsten Morgen wach wurde, kitzelte mich die Sonne schon an der Nase, doch was mich weckte war der Krawall, den ich noch gar nicht richtig lokalisieren konnte. Benommen rieb ich mir über die Augen und sah mich verschlafen um. "Was ist denn jetzt los?", murmelte ich leise, bemerkte kurz darauf das Jason nicht mehr neben mir lag, obwohl er da gewesen war... oder? Er musste doch da gelegen haben, aber sein Bett wirkte unberührt.
Dabei stand die Sonne hell am Himmel und Jason war niemand, der sein Bett machte. Was um alles in der Welt war denn mit ihm los? Brummelnd erhob ich mich, gähnte noch einmal und tapste auf nackten Füßen los, um nach Jason zu suchen. Ich vermutete ihn dort, wo es eben den Lärm gegeben hatte, wo anders konnte er doch auch gar nicht mehr sein.

Sonst war ja niemand im Haus und wäre Yuta hier, vermutlich hätten die beiden sich sowieso nur wieder gestritten. Schnaubend tapste ich in den Raum aus dem der Lärm kam und sah zu Jason, der auf einem Stuhl stand und an der Klappe zum Dachboden rum rüttelte. "Muss das denn am frühen Morgen sein? Man... ich habe noch geschlafen und du weckst mich so dermaßen sensibel, dass ich dachte hier wäre jemand vom Dach gefallen!"

Erstaunt sah Jason mich an, ehe er leise lachen musste. "Ach nun ist aber mal gut", kicherte er leise und deutete auf die Luke zum Dachboden. "Ich komme einfach nicht damit klar, dass ich die nicht öffnen kann, deswegen habe ich zu härteren Mitteln gegriffen. Was heißt hier überhaupt am frühen Morgen? Wir haben ein Uhr Mittag! Ich weiß auch nicht, was du geträumt hast, dass du so lange im Bett gelegen hast und es geht mich auch nichts an, aber du kannst nicht davon reden, dass ich dich geweckt hätte."

Peinlich berührt errötete ich, denn das erklärte mein Magenknurren und die Sonne, die schon sehr hoch am Himmel stand und mich deswegen so penetrant geweckt hatte. "Mensch, wenn du da nicht hoch kommst, dann nimm das doch einfach hin", murmelte ich und lehnte mich an den Türrahmen. Zwar war ich genauso neugierig wie mein bester Freund, doch wenn man eben nicht hoch kam, dann konnte man nichts machen. "Wir können wohl kaum mit einem... Schneidbrenner oder was weiß ich da ran gehen. So kommen wir da nie ran. Was hast du denn da gemacht, dass es so laut war? Bist du mit dem Stuhl umgefallen?" Skeptisch sah ich meinen Freund an, der von dem Hocker krabbelte, der eh schon wirkte als würde er mit einem Kilo mehr stöhnend zusammenbrechen. "Nein, mir ist in dem Zimmer da hinten was runter gefallen. Keine Ahnung was das war, aber es ist von dem Schrank runter gefallen und das hat so einen Lärm gemacht. Hat aber einen Moment gedauert, bis du dann hier im Zimmer gestanden hast."

Moment.... ich bin doch sofort wach geworden nachdem ich diesen Lärm gehört habe, aus dem Schlaf geschreckt und her gekommen. Verwirrt schüttelte ich den Kopf und ging zu Jason, der auf dem maroden Hocker langsam ins Schwanken kam. "Jetzt komm da runter, ja? Das kann man sich nicht mit ansehen, wie du da rum wackelst. Wenn du dich auf die Nase legst, dann kann ich dich im Krankenhaus besuchen." Mit den Händen griff ich nach seinen um ihn von dem Stuhl runter zu holen. Schnaubend krabbelte Jason endlich von dem wackeligen Ding und musterte mich. "Du siehst echt nicht gut aus, wenn man  jemanden im Krankenhaus besuchen sollte, dann wohl dich. Willst du dir mal ansehen, was da runter gefallen ist? Das ist eine ganz komische Schatulle... keine Ahnung was ihr Japaner alles herstellt... da kommt doch kein Mensch mehr ran."

Nun offensichtlich hatte sich jemand die Mühe gemacht, eine Schatulle wie diese zu schaffen damit eben nicht jeder an die Geheimnisse herankommen konnte, die sie beherbergte. "Ich bin sehr neugierig, was du da für ein Ding gefunden haben willst", murmelte ich leise und ließ mich von Jason mit zerren, der total begeistert war und offenbar in allem was er in diesem Haus fand, ein kleines oder sogar großes Geheimnis vermutete.

Er kam mir vor wie dieser Schatzjäger, der den ganzen Tag über nichts anderes zu tun hatte als in alten Ruinen herum zu laufen und alte Schätze zu finden. Dummerweise war das Leben nicht so, und in diesem Anwesen gab es bestimmt keine seltenen Geheimnisse oder Schätze die es sich zu finden lohnte. Mit strahlenden Augen drückte mir Jason die kleine, hölzerne Schatulle in die Hände und ich begriff seine Schwierigkeit mit dem guten Stück sofort. Die unterschiedlich farbigen Holzteile waren ineinander verschachtelt, offenbar musste man sie wie ein Puzzel auseinander und wieder zusammen bauen, um das zu finden was es verbarg. Mit Sicherheit hatte die kleine Schachtel noch ein Innenleben, welches durch ein besonders tüftliges Schloss verborgen war. Ich konnte ja schon verstehen, dass Jason wissen wollte was sich hinter diesem merkwürdigen Schmuckstück verbarg, doch bestimmt nutzte meine Großmutter sie früher nur als Schmuckkästchen.

Jason nahm mir die Schatulle wieder aus der Hand und deutete auf die Luke. "Vielleicht haben wir Glück und jemand wollte den Schlüssel verstecken. Weißt du wie man das Ding aufmacht?", wollte er mit großen Augen wissen. Er kam mir vor wie ein kleines Kind kurz vor Weihnachten. "Du bist echt ein komischer Kauz", meinte ich schmunzelnd und schüttelte die Schatulle, in der es wirklich ein wenig klapperte. "Du könntest Recht haben... ich weiß nicht was sonst drin sein sollte, außer der Schmuck meiner Oma vielleicht. Die Schatulle scheint ziemlich alt zu sein und ist mit einem sehr alten Schloss versehen. Siehst du das unterschiedliche Holz? Man muss es ordentlich anordnen, damit man die Öffnung für das Innenleben bekommt. Sowas ist nicht einfach..." Man musste ein Stück Holz raus ziehen und an einer anderen Stelle wieder einsetzen. Mehr als zwei Holzstücke ließen sich jedoch nicht aus ihren Verankerungen ziehen.

Neugierig nahm mir Jason die Schachtel wieder ab und schmunzelte. "Erstaunlich wie viele kleine Geheimnisse doch in diesem Haus stecken. Wir haben eine merkwürdige Schatulle, eine Luke zum Dachboden, die sich einfach nicht öffnen lässt und einen jungen Mann, der offenbar in der Zeit springen kann, wenn er bei mir ohnmächtig rum liegt. Und einen anderen Mann in einer ganz anderen Zeit, der mit dir in Kontakt getreten ist. Ach, den großen Fluch der über dem Ganzen liegt, will ich mal nicht vergessen... Ich dachte wir landen in einem alten Haus in dem nur Staub ist. Und jetzt? Ich bin mitten in einem verdammt spannenden Spiel gelandet, habe ich das dumme Gefühl."
Ist das für ihn wirklich nur ein Spiel? Für mich ist es Realität und ich muss etwas Lächeln. "Schon gut, auf der einen Seite bist du total niedlich wie du hier herum läufst und tust als wärst du auf einem Abenteuerspielplatz. Für mich ist das aber kein Spaß... ich meine, wenn ich diesen Fluch nicht lösen kann, was soll denn dann aus mir werden?"

Bedrückt senkte ich den Blick, was Jason zusammen zucken ließ. Sanft legte er seine Arme um mich herum und drückte mich an seine starke Brust. "Es tut mir leid. Manchmal vergesse ich wie viel für dich daran hängt. Aber wir sind Freunde und keine Angst, ich werde immer auf dich aufpassen und dich beschützen. Solange ich hier bin, wird dir kein Fluch der Welt etwas antun, verstanden?"

Wenn er sowas zu mir sagte, fühlte ich mich gleich wohler. Ich konnte ihm vertrauen, da bestand kein Zweifel für mich dran.

Und wenn er mich so an seine Brust drückte, durchströmte mich eine Zuversicht, die ich sonst nicht von mir kannte. Jason war nicht umsonst mein bester Freund, auch wenn er manchmal noch so komisch sein konnte...

 

Selbst beim Essen legte Jason die doofe Schatulle nicht aus den Händen, während ich noch einmal die Akten aus dem Pflegeheim durchlas. Schmunzelnd sah ich immer wieder zu ihm. "Du gibst nicht eher auf, bis du die doofe Schachtel auf hast und auf dem Dachboden rum toben kannst, oder?" Sah ich auf den Wangen von Jason eine leichte Röte? Erstaunt musterte ich ihn, denn sowas kannte ich von ihm gar nicht.

Peinlich berührt legte er die Schatulle zur Seite und widmete sich den Nudeln die ich mit Hähnchen gebraten hatte. "Ich weiß auch nicht, aber ich komme mir eben vor, als wäre da oben was. Ist doof, aber irgendwas zieht mich nach da oben."

Ich zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht was wir da oben außer Müll finden sollten. Bestimmt hat meine Oma das nur abgeschlossen, weil sie keine Lust hatte das man da oben den ganzen alten Schrott findet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man etwas das einem wirklich etwas bedeutet, auf den Dachboden verbannen würde. Da stellt man doch nur Sachen hin, die keiner mehr haben will, oder?" Unsicher zuckte Jason mit den Schultern. "Manche stellen da oben auch Sachen hin, die sie vor den Blicken anderer Leute beschützen wollen. Es kann ja auch sein, dass da oben eine Leiche liegt oder sonst was."

Alleine als er die Leiche erwähnte, liefen mir kalte Schauer über den Rücken. "Kannst du bitte jetzt aufhören von Toten zu reden? Ich will kein Skelett bei mir auf dem Dachboden liegen haben, dass wir am Ende noch beerdigen müssen. Außerdem wäre das jawohl ein bisschen viel des Klischees meinst du nicht auch? Ein Fluch der auf dem Haus liegt und offenbar nur männliche Bewohner befällt und da oben auf dem verschlossenen Dachboden liegt eine Leiche, die man verscharren muss, da sie keinen Frieden findet und bestimmt eine heimliche Geliebte meines Vorfahren war."

Amüsiert sah mich Jason an. "Kann es sein, dass du Angst vor Geistern hast? Vor ein paar Tagen war hier noch ein komischer Schatten und du hast nicht mal mit der Wimper gezuckt, aber jetzt sitzt du da und erzählst mir, dass keine Leiche auf dem Dachboden liegen sollte?" Das war jawohl auch was ganz anderes. "Also... das hat nichts miteinander zu tun, ja? Immerhin... den Schatten kannte ich und mir war sofort klar, dass der nicht Böse ist. Aber so ein Geist von einer heimlichen Geliebten kann echt gefährlich werden. Und wenn hier ein Poltergeist wäre, neben dir natürlich, dann wäre uns das doch schon aufgefallen."

Schmollend musterte mich mein bester Freund. "Du bist gemein, ich bin doch kein Poltergeist und ich bin hier nur rum gelaufen, weil mir langweilig war." Seufzend lehnte er sich zurück und leckte sich über die Lippen. "Gut, also doch keine Leiche. Wäre wohl wirklich etwas sehr Klischee, auch wenn man schon damit rechnen könnte. Wer weiß wie viele Liebesgeschichten dieses Haus so zu bieten hat. Und wenn ich daran denke, dass du ständig einen Mann siehst, der wohl nicht mehr am Leben ist, muss ihn doch etwas mit diesem Haus verbinden... oder gar mit dir."

Was ihn mit mir verbinden könnte, ahne ich... aber warum begegne ich ihm immer? Auf der einen Seite ist es natürlich mein Glück, sonst hätte ich mich nie so verliebt hätte. Aber ich wusste worauf Jason hinaus wollte. Es musste einen Grund geben, warum ich gerade zu ihm in die Zeit reiste, wenn ich hier das Bewusstsein verlor. "Ich denke, um heraus zu finden, worauf du hinaus möchtest... aber ich weiß nicht einmal, ob ich es wissen will. Auf der einen Seite finde ich es wirklich schön ihn treffen zu können, er ist mir sehr ans Herz gewachsen und bedeutet mir sehr viel."

Ob er merkte was für Gefühle ich für ihn hatte? Ich wollte nicht laut werden lassen was für Gefühle ich für Kiosuke hatte, darum traute ich mich auch nicht, seinen Namen in den Mund zu nehmen, oder ihn zu beschreiben. Es war beinahe so, als müsste ich ihn sonst teilen und das war etwas, was ich mit aller Macht verhindern wollte. Kiosuke sollte mir gehören, egal ob es ich mit ihm zusammen sein konnte, oder nicht. Wenn man jemanden erst einmal so sehr ins Herz geschlossen hatte, wollte man nicht einmal das Bild von ihm teilen.

Und eines stand sowieso mal fest: Selbst wenn dort oben auf dem Dachboden eine Leiche lag, es war nicht die von Kiosuke! Das würde ich einfach nicht ertragen... "Wenn ich das nächste Mal zu ihm gehe, werde ich ihn fragen", murmelte ich leise und war mir natürlich bewusst darüber, dass ich mich anhörte als würde ich einfach einen guten Freund im anderen Ortsteil besuchen. So einfach war es  nicht, so weh es auch tat. Aber ich wusste, Kiosuke und ich würden uns wiedersehen, dann würde ich ihn fragen, das nahm ich mir fest vor.

Jason musterte mich eingehend und in seinen Augen lag etwas, das ich noch nie bei ihm gesehen hatte. Einen Moment schwieg er, ehe er seufzend aufstand. "Ich denke ich geh ein bisschen in den Garten. Du kannst ja machen was du willst... irgendwas wird dir schon einfallen, meinst du nicht?" Wollte er mich auf einmal nicht mehr sehen? Hatte ich was Falsches gesagt? Als Jason aus dem Raum war, seufzte ich schwer auf. Er war mein bester Freund und doch musste ich zugeben, dass wir uns echt verkrampft benahmen, seit er mir einen runter geholt hatte. Würde das jetzt immer so bleiben? Oder stellte ich mich nur an und er spürte wie seltsam ich mich benahm? Als er mich weckte, weil er rum randalierte... da war doch auch alles normal. Doch kaum kam das Thema auf Kiosuke, selbst wenn ich seinen Namen nicht einmal in den Mund nahm, schien sich zwischen uns alles zu verändern und das war etwas, was mir sehr weh tat.
Ich wollte doch nur, dass zwischen uns endlich wieder normal wurde.

 

War es aus Verzweiflung, oder weil ich nicht wusste an wen ich mich wenden sollte? Genau sagen konnte ich es nicht, warum ich nun durch den Garten wanderte. Natürlich hätte ich auch zu Yuta gehen können, doch ich wagte es nicht. Wie er mich das letzte Mal angesehen hatte, wie er auf meine Worte reagierte... Ich bekam das alles nicht mehr aus dem Kopf.
Die Sehnsucht nach Kiosuke wurde immer schlimmer, sie schien mich beinahe zu zerreißen. Ich wollte doch nicht viel vom Leben, oder? Müde fuhr ich mir über die Augen und lehnte mich an die Weide, in der man das Windspiel von Kiosuke gefunden hatte. Ich lauschte dem Klang, hatte ich doch Jason gebeten es wieder aufzuhängen, nachdem er den Beweis gefunden hatte. Immer wieder fielen mir die Augen zu, auch wenn ich nicht wusste warum. Seit ich hier war, fühlte ich mich ständig müde und erschöpft. Kamen daher die Zusammenbrüche?

Weil ich einfach nur müde war? Seufzend lehnte ich mich an den Baum und bekam gar nicht mehr mit, wie ich einschlief...

 

"Wie kannst du mir das nur antun? Du gehörst doch zur Familie! Ich habe alles für dich getan und du fällst mir so in den Rücken? Dabei habe ich ihn geliebt! Ich habe ihn wirklich geliebt und du machst alles kaputt!" Wimmernd krümmte sich eine Person auf dem Boden zusammen.

Immer wieder schlug der junge Mann mit den Fäusten auf die Erde, er zitterte am ganzen Körper, Tränen rannen über seine Wangen die leicht im Mondlicht schimmerten. "Warum? Wie kannst du mir das nur antun? Ich verstehe dich einfach nicht... Wie konntest ausgerechnet du es tun? Dabei wusstest du es doch, oder nicht? Du wusstest wie sehr du mich verletzen würdest und dann holst du mich auch noch hier her? Wie grausam du doch bist..."

Der Schmerz seiner Worte schien beinahe greifbar zu sein, während der zitternde Körper auf dem Boden zusammen sackte. "Aber du wirst dafür bezahlen! Ihr alle werdet dafür bezahlen, dafür werde ich schon sorgen. Nicht nur du wirst leiden, alle anderen die deiner Familie angehören ebenfalls. Ich werde jeden einzelnen von euch leiden lassen. Deinen Sohn, deren Sohn und jeden anderen Mann der in diese Familie geboren wird. Jeder von euch wird sich noch wünschen, dass es niemals zu dieser Verbindung gekommen wäre! Ich werde euch auslaugen und leiden lassen, jeden einzelnen werde ich in den Tod führen und ihr könnt nichts dagegen tun... nichts..."

Die Trauer seiner Stimme war Wut gewichen. Noch immer zitterte sein Körper, als er sich erhob und in den Mond blickte. "Ich werde deine Familie zerstören und keiner wird mich aufhalten können." Ein kaltes Lächeln lag auf seinen Lippen, ehe er den Blick auf das alte Anwesen wendete und schmunzelte. Offenbar hatte er in diesem Moment einen Entschluss gefasst, einen tödlichen Entschluss.

 

Mein Herz hämmerte wie wild, als ich die Augen aufriss. Schnell krabbelte ich vom Boden, denn die Stelle an der ich jetzt saß, war genau die Stelle an der dieser Mann gesessen hatte. Obwohl er noch sehr jung war, vielleicht kurz davor 20 zu werden. Mein Herz überschlug sich beinahe, während ich nach Luft schnappte, in der Hoffnung endlich wieder klar denken zu können.

Mit der Hand wischte ich mir den Schweiß von der Stirn, der sich mit meinen Tränen vermischte. Aus welchem Grund weinte ich denn? Ich kannte den Typen doch gar nicht. Was um alles in der Welt war das für ein Traum? War es nur ein Traum, oder war es mehr? Ich konnte meinen eigenen Träumen und Vorstellungen mittlerweile nicht mehr trauen. Aber ich war nicht bei Kiosuke gewesen, also musste es doch ein Traum sein, oder nicht? Es musste einfach ein Traum sein, die Visionen von Kiosuke waren anders.

Langsam wurde mein Herz ruhiger, was nur solange anhielt, bis Jason zu mir kam und mir eine Hand auf die Schulter legte. Da er von hinten kam, zuckte ich beinahe panisch zusammen. "Mach das NIE wieder", keifte ich ihn an, bemerkte aber auch sofort wie überzogen meine Reaktion war. Seufzend senkte ich meinen Blick. "Tut mir leid, ich wollte dich nicht so anfahren. Ich hatte nur eben einen echt merkwürdigen Traum und... ach am besten reden wir nicht mehr drüber." Man hätte mir doch eh nur wieder unterstellt, dass ich zu viel merkwürdiges Zeug träumte, oder nicht?

Jason würde mir wieder nicht glauben, da war ich mir sehr sicher. Jason legte den Kopf schief und sah mich beunruhigt an. "Was ist denn los mit dir? Du bist so gereizt... langsam mache ich mir ehrlich Sorgen um dich. Du wirst krank und wenn das so weiter geht, muss ich dich am Ende noch in Amerika in die Irrenanstalt stecken, weil du nicht mehr du selbst bist." Meinte er das ernst? Er konnte doch nicht mit dem Gedanken spielen mich in eine Anstalt zu bringen, nur weil ich nicht mehr ich selbst war. Gut, vielleicht... wenn man es von außen betrachtete, schien er Recht zu haben.
Seufzend senkte ich meinen Blick und zuckte mit den Schultern. "Ich weiß auch nicht was mit mir los ist, aber du musst dir keine Gedanken machen. Verrückt werde ich bestimmt nicht." Jedenfalls wollte ich mir alle Mühe geben. Bestimmt würde Jason mich wirklich wegschließen, wenn er von dem Traum den ich eben hatte, erfahren würde.

War das die Entstehung von diesem Fluch? "Jason? Wenn du jemanden lieben würdest und derjenige dem du am meisten vertraust, der macht dir das alles kaputt... wie weit würdest du gehen um dich an dieser Person zu retten?", wollte ich leise von ihm wissen. War das wirklich der Fluch? Das jemand den Menschen den er liebte, an einen anderen abtreten musste und er sich so sehr um seine Liebe betrogen fühlte, dass er jeden aus der Familie verfluchte? Fragend sah Jason mich an, ehe er sich durch die Haare fuhr. "Ich weiß nicht wie weit ich gehen würde", murmelte er leise. "Aber ich weiß das Menschen aus Liebe durchaus bereit sind sehr weit zu gehen, besonders aus verletzter Liebe. Jeder geht damit anders um, aber ich denke wenn die Verzweiflung groß genug ist, dann ist man in der Lage sehr weit zu gehen und viel zu zerstören."

Verletzte Liebe und verletzte Eitelkeit... der Grund für einen Fluch der offenbar schon vielen aus meiner Familie das Leben gekostet hatte? "Wie kann man nur so grausam sein?", murmelte ich leise. Immerhin würde ich Kiosuke auch nicht haben können, obwohl mein Herz mich fast zerriss vor Liebe zu ihm und trotzdem verfluchte ich weder Zeit noch Raum dafür, dass man mich zu ihm ließ für ein paar wenige Minuten, nur um ihn dann wieder zu verlieren und hergeben zu müssen. Jedes Mal brach es mir das Herz und ich wünschte mir nichts mehr als bei ihm bleiben zu können, oder ihn zu mir holen zu können.

Aber das waren nur Wünsche, denn er würde nie bei mir und ich nicht bei ihm leben können. Wie ich wieder zurück gerufen wurde, oder warum... ich konnte es selbst nicht so genau sagen. Im Grunde ist es doch auch vollkommen egal, oder nicht? Es passierte, alles andere schien mich mittlerweile nicht mehr zu kümmern. Wozu denn auch, wenn ich es nicht ändern konnte. Jason legte mir eine Hand auf die Wange un er zwang mich dazu ihm in die Augen zu sehen. Zu meiner Verwunderung konnte ich Angst in ihnen erkennen. Wovor hatte er denn Angst? "Aoki... so kann das nicht weiter gehen mit dir, hörst du? Das muss aufhören! Ich gebe dir jetzt noch bis zum Ende der Woche, denn du diesen Fluch bis dahin nicht gelöst hast, ist es mir egal. Wir packen unsere Sachen und verschwinden von hier, hörst du?"

Warum? Ich verstand nicht, warum er das wollte! Hier war Kiosuke, hier konnte ich mich mit ihm treffen, da wollte ich nicht wieder nach Amerika zurück. Das hier war doch alles was mich noch an ihn erinnerte. Panisch schüttelte ich den Kopf, spürte wie etwas nach meinem Herzen griff und fest zudrückte. "Das kannst du mir nicht antun... Ich kann hier nicht weg", flüsterte ich leise. "Ich kann nicht hier weg, hörst du? Nicht bevor ich nicht diesen verdammten Fluch gelöst habe." Und nicht, bevor ich mich nicht noch ein paar Mal mit Kiosuke getroffen hatte. Warum konnte ich nicht zu ihm? Warum traf ich mich nicht mehr mit ihm? Wollte er mich nicht mehr sehen? Diese ganzen Gedanken brachten mich noch um den Verstand wenn das so weiter ging.

Beruhigend streichelte Jason über meinen Kopf. "Alles ist gut... du hast ja noch ein bisschen Zeit, ja? Die solltest du nutzen, aber wenn es sein muss, packe ich dich auch gegen deinen Willen ein." Er wollte mich doch nur von Kiosuke trennen! Auch wenn ich nicht verstand, warum er das wollte. Wir waren doch einfach nur ineinander verliebt, konnte das denn keiner nachvollziehen? Wütend schubste ich Jason weg und rannte ins Haus. Ich wollte ihn nicht sehen... er wollte mich doch nur von Kiosuke trennen, mehr nicht. Wollte er mir überhaupt noch helfen?

Kapitel 10

 

Wann ich eingeschlafen war, konnte ich selbst nicht mehr so genau sagen. Irgendwann musste ich doch müde geworden sein, nachdem ich mich im Haus vor meinem besten Freund versteckt hatte. Peinlich genug, doch ich fühle mich sehr von ihm verraten.
Kiosuke stand an der Veranda und drehte sich mit einem warmen Lächeln um, als er bemerkte, dass ich wach war. "Hey ... da bist du ja wieder. Weißt du, wie sehr ich dich vermisst habe? Du kannst mich doch nicht so lange alleine lassen", flüsterte er leise, ehe er zu mir ging und sich auf den Boden setzte. Seine warme Hand griff nach meiner, ehe er mich einfach an sich zog, und fest in seine Arme schloss. So eng, wie er mich an sich drückte, fühlte ich mich als wolle er mir die Luft zum Atmen nehmen, doch ich fühlte mich beschützt von ihm. Ein Gefühl, wie ich es nicht von mir kannte, ergriff mich. Es war beinahe so, als hätte ich mich am liebsten von ihm töten lassen. Selbst wenn er mir die Luft abgrub, selbst wenn er mich so eng an sich drückte, als wolle er mir damit das Leben nehmen, es war mir egal ... es war mir alles egal.
Ein wehmütiges Gefühl machte sich in mir breit. "Kiosuke? Ich wünschte mich ich würde nie wieder von dir getrennt werden", flüsterte ich leise. Seufzend ließ er mich los und wischte mir eine Strähne aus dem Gesicht. "Wie oft habe ich mir das schon gewünscht? Bei dir mag nicht viel Zeit vergehen, bis du wieder zu mir kommst, aber für mich dauert es Ewigkeiten. Tage, manchmal sogar Wochen. Ich weiß nicht, wie ich es aushalten soll, wenn du erst einmal diesen Fluch gelöst hast und mich nicht mehr besuchen kommen kannst. Wir würden uns nie wiedersehen, der Gedanke verletzt mich sehr, muss ich gestehen. Ich weiß, es ist verboten so für dich zu empfinden, aber ich kann mich auch nicht dagegen wehren."
Wie sehr er mir damit aus dem Herzen sprach. Sanft lächelte ich ihn an, fühlte mich so verstanden und geliebt von ihm. Er sagte nicht viel, tat nichts ... berührte mich in keiner Weise, so wie Jason es getan hatte, doch es reichte mir schon, wenn er meine Hand hielt und mich anlächelte. Diese lieben Worte erreichten mein Herz mehr, als jede sexuelle Handlung es je getan hätte. Es von ihm zu hören fühlte sich einfach gut an und bestätigte mich immer mehr darin, dass ich vielleicht gar nicht wieder nach Hause gehen sollte. In Japan war es doch schön, selbst wenn es mich töten würde ... dieses Anwesen verband mich mit ihm.
Wegen ihm kam mir immer mehr der Gedanke, diesen Fluch nicht zu lösen. Offenbar war er doch auch daran schuld, dass ich mich immer mit Kiosuke treffen konnte. "Und ... wenn ich diesen Fluch nicht lösen würde?", flüsterte ich leise. "Wenn ich einfach die Chance nutze und mich immer wieder mit dir treffe? Die Zeit ist für mich doch genauso grausam, wie für dich auch."
Entsetzt sah mich Kiosuke an, ehe er lächelnd über meine Wange streichelte. "Aber wenn du immer wieder hierher kommst, was willst du dann machen? Du wirst sterben und das nur wegen mir? Du willst dein Leben für mich wegwerfen?" Ungläubig sah er mich an, offenbar war es schwer für ihn zu verstehen, wie weit ich gehen würde. Ich zuckte mit den Schultern und krallte mich an seine Hand. Wenn das die einzige Möglichkeit war, die ich hatte, um bei ihm sein zu können, dann würde ich sie ergreifen, vollkommen egal, was aus meinem Leben wurde.
Fasziniert sah mich Kiosuke an, ehe er ein wenig den Kopf schüttelte. "Wie kannst du nur so sein? Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der so um seine Gefühle kämpft", flüsterte er leise. Er sah verletzt aus, beinahe enttäuscht. Lag das an mir? Dabei wünschte ich mir so sehr, dass ich ihn ebenso glücklich machen konnte wie er mich. "Ich bin eben so. Wenn ich jemandem mein Herz schenke, ist das etwas, was sich nicht so schnell ändern lässt."
Leise musste Kiosuke auflachen. "In meiner Welt ist das vollkommen anders. Hier kann man die Menschen, die man liebt, verlassen und verletzen, wie auch immer man möchte. Ich weiß, du hältst das bestimmt für total albern, aber es ist leider so." Er klang so verletzt. Sanft sah ich ihn an und hielt seine Hand so fest ich konnte. Bei mir brauchte er doch keine Angst haben. Ich würde ihn niemals so sehr verletzen, wie er offenbar schon verletzt worden war.
Für mich kam so etwas überhaupt nicht infrage, ich konnte nur hoffen, dass Kiosuke das auch spürte, wie sehr ich mich in ihn verliebt hatte.

Ein paar Sekunden sah er mich noch sanft an, doch dann ließ er meine Hand los, und erhob sich vom Boden. Mit langsamen Schritten ging er zur Veranda und sah in den Garten, in dem mein Ahne mal wieder schlafwandelte. Kiosuke beobachtete den jungen Mann sehr genau, ehe er lächelte. "Ich habe mir immer gewünscht, einmal so sehr von jemandem geliebt zu werden, weißt du? Irgendwie war ich immer neidisch auf meine Schwester, weil sie jemanden hatte, der sie so sehr liebte und den sie ebenso sehr liebte. Aber ich? Ich war immer alleine und saß hier fest. Mein Leben bestand aus dem, was ich um mich herum hatte, und was ich schreiben konnte. Niemals hätte ich damit gerechnet, jemanden wie dich zu treffen."
Benommen sah ich ihn an und erhob mich. Wie einsam musste Kiosuke hier fühlen? Seine Schwester war mit ihrem Mann beschäftigt, und der kümmerte sich doch auch nicht um ihn. Seufzend lehnte ich mich an seine Schulter und schloss meine Augen. "Dafür bin ich doch jetzt da und ich liebe dich ... ich weiß, vermutlich darfst du diese Worte nicht einmal in den Mund nehmen, aber meine Gefühle kann ich nicht mehr beherrschen. Ich sehne mich so sehr nach dir, jede Minute, in der ich nicht bei dir sein kann. Irgendwann werde ich dabei noch wahnsinnig ..."
Lächelnd streichelte mir Kiosuke über den Kopf, als wäre ich ein kleiner Junge. "Hör auf ... du machst mich noch ganz verlegen, wenn du weiter so mit mir sprichst. Dabei weiß ich nicht einmal, ob ich deine Hingabe verdient habe. Du bist ein guter Junge, ich hätte nie erwartet, jemanden wie dich kennenzulernen." Sein Blick hatte etwas sehr Trauriges, was ich noch nie bei ihm gesehen habe.
Was sollte ich nur tun? Glaubte er mir und meinen Worten überhaupt? Hilflos stand ich neben ihm und folgte seinem Blick.
Mein Ahne stand nur da und sah in den Mond. "Weißt du was ich mich manches Mal schon gefragt habe? Wenn er so da steht, und in den Mond sieht, was er dann wohl sieht? Was denkt er in diesem Moment? Immer wenn ich in den Mond sehe, dann erkenne ich nicht das, was er sieht. Ich sehe nur den Mond, aber wenn ich Wataru ansehe, habe ich immer das Gefühl, als würde er etwas für ihn sehr wichtiges darin sehen. Siehst du? Das ist der wohl einzige Moment, den ich kenne, an dem er jetzt noch lächeln kann. Selbst meine Schwester sieht er nicht so an."
Warum interessierte ihn das alles überhaupt so sehr? Ich wurde wehmütig, denn in mir kam eine Angst hoch, die ich bisher noch nicht zu bedenken gewagt hatte. "Ich weiß nicht, was er sieht", flüsterte ich mit zitternder Stimme. "Aber man sagt doch, dass man im Mond den Menschen sieht, den man liebt. Vielleicht geht es ihm genauso und er sieht dort denjenigen, der ihn am meisten bedeutet." Ich dachte das würde Kiosukes Schwester sein, oder nicht? Der junge Mann an meiner Seite lächelte. "Du hast wirklich so viel mit ihm gemeinsam, weißt du das? Ich denke er ist genauso verträumt, wie du. Ständig mit dem Kopf in den Wolken."
Warum verglich er mich immer mit ihm? Diese Erkenntnis war verletzend und ich drehte mich weg. Was wenn Kiosuke gar nicht so sehr in mich verliebt war, wie ich in ihn? Allein der Gedanke es könnte so sein, brach mir das Herz. Dabei wollte ich doch nur ihn alleine und niemanden sonst auf der Welt.

Schweigend wandte ich mich von ihm ab, die Welt, die ich mir mit ihm hier geschaffen hatte, bekam einen Riss. Es schien sich von draußen jemand einmischen zu wollen, den ich vertreiben musste. Es sollte keinen anderen Menschen im Herzen von Kiosuke geben, schon gar nicht jemanden, der doch mit seiner Schwester verheiratet war.
Er schien meinen Stimmungswechsel zu bemerken und legte seine Hand auf meine Schulter. "Aoki? Was ist denn los mit dir? Ist es denn nicht logisch, dass ich mir Sorgen um meinen Schwager mache? Meine Schwester liebt ihn, und wenn ich mir vorstelle, es könnte jemand anderen in seinem Leben geben, dann verletzt mich das natürlich auch. Ich weiß wie wichtig ihr Wataru ist. Bist du etwa eifersüchtig?" Ein warmes Lächeln erschien auf seinen Lippen und sorgte dafür, dass ich mich gleich wie ein Kind fühlte.
Wir hatten es doch sowieso schon schwer genug, musste ich es dann mit meiner kindischen Eifersucht noch so viel schlimmer machen? "Es tut mir leid, aber wenn du so über ihn redest, dann mache ich mir schon Gedanken, ob dir dein Schwager nicht mehr bedeutet. Natürlich weiß ich, dass es albern ist und kindisch ..." Seufzend senkte ich meinen Blick. "Verzeih mir, ich wollte doch die Stimmung nicht noch mehr drücken. Für dich ist das alles schon schwer genug, deine Schwester so leiden zu sehen muss grausam genug für dich sein, da muss ich nicht alles noch schlimmer machen. Ich schäme mich wirklich dafür."
Schmunzelnd schüttelte Kiosuke den Kopf. "Ist doch schon gut, irgendwie kann ich dich sogar ganz gut verstehen, und ein bisschen Eifersucht steht dir ganz gut zu Gesicht. Nur übertreib es nicht, denn ich verspreche dir, dass dir nichts passieren wird. Für mich gibt es nur dich und niemanden sonst, da musst du keine Angst haben." Lächelnd lehnte ich mich an seine Brust. "Es tut mir so leid, wie konnte ich so was nur denken? Das war wirklich dumm von mir."
Die ganze Geschichte war so kindisch, dabei sollte ich nicht so denken. Kiosuke litt ohne mich doch genauso sehr, wie ich ohne ihn. Sanft streichelte er durch meine Haare und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. So viel Nähe hatte ich von ihm noch nie bekommen, und mein Herz schlug so wild in meiner Brust, dass ich Angst hatte, man würde es hören. Schüchtern sah ich zu ihm auf. Wie gerne hätte ich ihn geküsst, einfach nur um einmal seine weichen Lippen auf meinen zu spüren. Wie viel Sehnsucht konnte ein einziger Mensch ertragen?
Leise räusperte sich Kiosuke, ehe er mich neugierig ansah. "Nun lass uns nicht mehr über so viele, traurige Dinge reden. Du bist hier bei mir und das ist alles, was momentan wichtig für mich ist. Wir sollten uns das nicht mit zu vielen schlechten Gedanken zerstören, meinst du nicht auch? Ich würde viel lieber wissen, wie weit du damit gekommen bist, etwas über den Fluch zu erfahren. Leider bekomme ich nicht sonderlich viel heraus, so leid es mir auch tut. Wie gerne wäre ich dir eine viel größere Hilfe, auch wenn das wohl momentan alles ist, was ich für dich tun kann ... hier auf dich zu warten und zu hoffen, dass du einen Weg findest."
Das war doch schon mehr, als ich von ihm erwartet hätte. Sanft sah ich in seine Augen, von denen ich mich kaum lösen konnte. "Du hilfst mir mehr, als du dir vorstellen kannst. Wenn ich dich nicht hätte, wäre ich vermutlich schon längst verzweifelt, wenn ich nicht immer wieder herkommen könnte, um Frieden und Ruhe zu finden." Es lenkte mich zwar sehr von dem ab, was ich eigentlich zu tun hatte, aber ich freute mich auch über die Ablenkung.
Skeptisch zog Kiosuke die Augenbrauen zusammen. "Das ist vielleicht nicht gut, oder? Wir müssen dein Leben retten, da sollte ich dir mehr eine Hilfe sein, als das, was ich momentan tue. Und sonst? Gibt es in deiner Zeit denn überhaupt keine Aufzeichnungen über das, was hier vorgefallen ist? Es muss doch etwas geben ... irgendwo muss doch jemand mal etwas notiert haben." Seufzend zuckte ich mit den Schultern. "Ich habe schon alles abgesucht, aber das ist nicht so einfach, wie man es sich vorstellt. Es gibt kaum Schriftstücke, über meine Familie, und egal wie sehr ich auch danach suche, ich finde kaum etwas. Alles, was ich etwas merkwürdig finde, ist die Tatsache, das weder Jason, noch ich auf den Dachboden kommen. Weißt du etwas? Wir haben nur eine alte Schatulle gefunden, die verschlossen ist und ein sehr altes Schloss hat. Ich kriege die nicht auf, und bin auch nicht sehr geschickt mit so alten Rätseln."
Benommen sah mich Kiosuke an, ehe er ins Grübeln kam. "Eine alte Schatulle? Das könnte die von meiner Schwester sein. Sie hat ein hölzernes Schloss. Sie hat das gute Stück von meiner Mutter geerbt und schützt diese wie ein Heiligtum. Darin bewahrt sie ihre wichtigsten Dinge auf, aber ... warum sollte jemand den Dachboden versperren? Da oben ist doch nichts ..."

Dessen war ich mir selbst bewusst und ich konnte nicht mehr tun, als hilflos mit den Schultern zu zucken. "Ich weiß es nicht, aber irgendwas muss da oben sein. Wie ist es denn in deiner Zeit? Ist der Dachboden jetzt auch schon abgesperrt? Sonst könnte ich mich da doch einfach mal umsehen und vielleicht finde ich einen Hinweis darauf, warum ich jetzt nicht mehr hochkann."
Es war ja definitiv abgesperrt. Das Schloss war nicht kaputt und die Tür klemmte auch nicht. Kiosuke sah mich verwirrt an, zuckte dann aber mit den Schultern. "Wenn du willst, kannst du dich dort oben gerne umsehen. Aber ich warne dich, mehr als Staub wirst du da nicht finden", murmelte er leise, von der Idee aber wohl nicht sonderlich begeistert. Was sollte ich davon halten? Auf der einen Seite fühlte ich mich sehr wohl bei Kiosuke, aber je mehr Zeit ich bei ihm verbrachte, umso merkwürdiger schien er sich in meinen Augen zu verhalten. Ob das daran lag, dass er langsam ebenfalls verrückt wurde? Immerhin gehörte er ja nun auch irgendwie zur Familie, auch wenn man ihn nur angeheiratet hatte. "Mach dir keine Gedanken, wenn dort oben nichts ist, dann müssen wir doch auch keine Angst haben, oder?"
Ich wusste nicht, warum er so sehr dagegen war, doch begeistert war er nicht. Lächelnd zuckte Kiosuke mit den Schultern und verließ den Raum. Zum ersten Mal konnte ich mich in dem Anwesen umsehen und folgte ihm leise, immer in der Angst, dass mich jemand entdecken konnte. Kiosuke schien meine Angst zu spüren und lächelte beruhigend. "Was ist denn los mit dir? Du zitterst am ganzen Körper. Hast du wirklich solche Angst? Hier ist niemand. Mein Schwager steht entweder noch im Garten, oder er sieht gerade nach meiner Schwester. Und die liegt im Bett, wird also bestimmt nicht hier auftauchen, geschweige denn, dass sie mit jemandem, wie dir hier rechnet."
Irgendwie hatte er ja recht, aber die Art, wie er es sagte, gefiel mir nicht. Skeptisch sah ich ihn an, ehe ich lächelte. "Stimmt schon, trotzdem muss ich zugeben, dass ich mich hier nicht sonderlich wohl fühle. In dieser Zeit in dieser Welt herumzulaufen, fühlt sich für mich immer noch falsch und fremd an. Ich gehöre nicht hierher, das weißt du ebenso gut wie ich, oder?"
Warum kamen meine Worte so streng? Ich wollte so nicht sein und erinnerte mich daran, dass ich auch schon bei Jason so komisch reagiert hatte. Ob das an dem Haus lag? Bestimmt wurde ich langsam immer wahnsinniger und merkte es nicht einmal. Kiosuke lächelte etwas und musterte mich. Sein Blick glitt über meinen Körper, anders als zuvor und kalte Schauer überliefen mich.
Nicht einmal seinem Blick standhalten konnte ich, weswegen ich lieber auf den Boden starrte. "Wo hast du den Schlüssel denn?", versuchte ich mich selbst von diesen merkwürdigen Gefühlen abzulenken. Für Sekunden sah er mich noch an, ehe er wieder sanft lächelte und die Art annahm, in die ich mich so sehr verliebt hatte. "Bei uns ist die Tür noch gar nicht abgeschlossen. Wie gesagt, da ist nichts weiter als Staub, deswegen weiß ich auch nicht, was du da finden willst."
Ich wusste es doch selbst nicht so genau, aber ich wollte mit aller Macht dorthin. Vielleicht konnte ich eine Art Hintertür einbauen, das Schloss kaputtmachen, oder so was in der Art, damit diese Tür auch Jason und mir nicht mehr verschlossen blieb.
Darüber wollte ich aber lieber nicht mit Kiosuke reden. Warum nicht? Sonst sprach ich doch über alles mit ihm, aber in diesem Fall ging es nicht. Irgendetwas in mir sperrte sich, und ich konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es daran lag, dass er mich so komisch ansah, oder daran, dass ich mich in diesen Gängen, in denen jede zweite Diele knarrte, noch unwohler fühlte. "Im Grunde ist es kein Wunder, dass es hier einen Fluch oder eine Art Geist gibt", murmelte ich leise, mehr zu mir als zu Kiosuke, der gerade nach der Tür über mir angelte.
Blinzelnd sah er mich an. "Wie meinst du das denn jetzt? Das hier ist doch ein vollkommen normales Anwesen, oder nicht? Und einen Geist habe ich hier auch noch nie gesehen." Benommen sah ich den jungen Mann an und lächelte gequält. "Entschuldige, ich glaube das ist ein wenig falsch rübergekommen. In unserer Zeit gibt es viele alte Legenden und Gruselgeschichten, weißt du? Solche Anwesen wie dieses hier, werden gerne als Mittelpunkt dieser alten Legenden benutzt, weil sie so düster wirken." Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf. "Aber so was glaube ich natürlich nicht."
Gut, ich glaubte es nicht, solange wie ich nicht selbst davon betroffen war. Jetzt musste ich schon lernen daran zu glauben, egal wie schwer es mir auch fiel.

Man musste eine alte Leiter hochklettern, deren Stufen gefährlich knarrten, wenn man sie betrat. Es war ein merkwürdiges Gefühl, als ich den Dachboden betrat, beinahe so, als würde man von einer vollkommen anderen Welt verschluckt werden. Die Luft war muffig und zum Schneiden dick, fast, als würde der Staub sich in die Lungen setzen, und das Atmen unmöglich machen wollen.
Hustend sah ich mich um, konnte, aber außer Dunkelheit, nicht sonderlich viel erkennen. "Hast du eine Kerze für mich? Ich sehe die Hand vor Augen nicht", fragte ich Kiosuke, der unten die Leiter festhielt, damit ich nicht umfallen konnte. Seufzend nickte er, sah sich kurz um und kam mit einer kleinen Kerze wieder. "Hier, mehr habe ich gerade nicht. Was willst du da oben eigentlich finden? Das ist ein Dachboden ..."
Ich zuckte mit den Schultern. "Weiß ich selbst nicht so genau, wenn ich ehrlich bin", gab ich leise zu. Das Gefühl hier oben reichte mir im Grunde schon. Erst einmal musste ich noch tief durchatmen, ehe ich mich traute endlich die letzten Stufen nach oben zu gehen, und den Dachboden zu betreten. Alles knarrte unter meinen Schritten und mir saß die Angst im Nacken, dass der Boden gleich unter mir nachgeben würde.
Die Luft war schlecht und vermutlich hielt es hier wirklich niemand lange aus. Neugierig sah ich mich um, konnte aber nicht einmal ein Fenster entdecken. Es war eng, leer und muffig. "Und?", hörte ich die Stimme von Kiosuke von unten. "Siehst du etwas?" Langsam trat ich wieder an das Loch heran, aus dem Licht hereinschien. "Nein, bis auf Staub, ist hier nichts zu sehen. Ich frage mich wirklich, was hier versteckt wurde. Denkst du deine Schwester hat Geheimnisse? Wenn die Schatulle von ihr ist, dann wird sie doch bestimmt alles hier oben abgeschlossen haben ... falls in der Schatulle wirklich der Schlüssel zum Dachboden ist, was ich ja auch noch nicht genau sagen kann."
Vorsichtig ging ich die Treppe wieder herunter und sah mir das Schloss an. Eigentlich ein sehr leichtes und altes Schloss, welches in der heutigen Zeit keinerlei Probleme mehr darstellen sollte. Warum bekamen wir es also nicht auf? Die Treppe sollte wohl mittlerweile zu Staub zerfallen sein, wir mussten eine Leiter organisieren, aber bestimmt hatte Yuta eine zu Hause herumliegen. In Gedanken versunken trat ich die letzten Stufen herunter und bemerkte nicht mehr schnell genug, wie das Holz unter meinem Gewicht splitterte.
Auch wenn ich noch versuchte mich zu retten, konnte ich mich nicht mehr halten und schloss die Augen, da ich auf den Schmerz wartete. Stattdessen landete ich in warmen, weichen Armen und an einer starken Brust, welche mein Herz sofort höher schlagen ließ. Schüchtern sah ich zu Kiosuke, der seine Arme um mich herumgeschlungen hatte und lächelte. "Du solltest ein bisschen mehr aufpassen, wohin du trittst, oder bist du immer so ein kleines Schusselchen?"
Herrje, war mir das jetzt peinlich. Leise räuspernd rappelte ich mich wieder auf und kratzte mich an der Wange. "Schon gut, mach dir keine Gedanken", flüsterte ich leise. "Manchmal bin ich wohl wirklich ein Schussel, aber ich passe schon auf mich auf. Die Leiter hier ist aber für niemanden mehr zumutbar. Da kann keiner mehr hoch."
Kiosuke nickte ein wenig und musterte die alte Leiter. "Die sollten wir wohl dringend mal erneuern. Da kann ja keiner mehr hoch", murmelte er leise und lächelte. "Aber ich bin froh, dass es dir gut geht und du dich nicht verletzt hast."
Lächelnd fuhr ich mir durch die Haare. "Manchmal falle ich aus dummen Zufällen auf die Nase und will das gar nicht. Ich meine, wer will das schon, aber ich kann wirklich über meine eigenen Füße fallen. Geschickt bin ich wohl nicht gerade." Peinlich berührt klopfte ich mir den Staub aus dem Zeug, in der Hoffnung damit auch meine Nervosität zu überspielen. Kiosuke musste lachen, was mich ein wenig erstaunt aufsehen ließ. "Warum lachst du denn jetzt so? Habe ich etwas so lustiges gesagt?"
Sein Lachen war schön und ich musste selbst schmunzeln, weil er einfach niedlich aussah, wenn er dermaßen locker und gelöst wirkte. Errötend senkte ich meinen Blick und knuffte ihn etwas in die Seite. "Kannst du bitte aufhören, über mich zu lachen? Keine Ahnung, was ich gemacht habe, aber es hat dich wohl zum Lachen gebracht, kann das sein?"
Sanft sah mich Kiosuke an, während er sich die letzten Lachtränen aus dem Augenwinkel wischte. "Es tut mir leid, ich wollte dich auf keinen Fall beleidigen, oder etwas in der Richtung. Aber du hast so niedlich ausgesehen, als du dir den Staub abgeklopft hast und dann staubst du auch noch selbst so sehr ... das sieht verdammt lustig aus, als hätte man dich gerade von dem Dachboden gerettet und du hättest selbst dort oben monatelang gesessen und wärst eingestaubt."
Blinzelnd sah ich den jungen Mann an, ehe ich ein wenig brummelte. "Irgendwie fühle ich mich wie ein Stuhl, wenn du so von mir redest", nuschelte ich leise. Gerade wollte Kiosuke etwas sagen, doch er kam nicht mehr dazu. Von einer Sekunde auf die andere wurde mir schwarz vor Augen und ich spürte noch, wie mein Körper in mir zusammensackte. Nur den schmerzhaften Aufprall verpasste ich, diesmal allerdings nicht wegen Kiosukes Armen.

Kapitel 11

 

Ich spürte eine warme, starke Hand auf meiner Stirn, als ich wach wurde. Benommen sah ich mich um, als ich einen kalten Lappen auf die Stirn gelegt bekam, und jemand unter meiner Nase entlang wischte. Es dauerte ein paar Minuten, bis ich wieder zu Bewusstsein kam und Jason erkannte, der mich besorgt ansah und mich musterte. "Geht es wieder?", flüsterte er leise.
Fragend sah ich meinen besten Freund an, auf den ich vor wenigen Minuten noch total wütend war, doch jetzt fühlte ich mich als wäre das schon Tage her. "Was ist denn passiert?", murmelte ich leise und schloss meine Augen wieder einen Moment, da mir dermaßen der Kopf wehtat, dass es mich wunderte, dass er nicht explodierte. Seufzend raufte sich Jason die Haare. "Du bist wieder zusammengebrochen und lagst hier auf dem Boden. Als ich dich dann gefunden habe, hast du stark aus der Nase geblutet und hast gefiebert."
Müde gähnte ich und musste lächeln. "Nicht so schlimm ... Keine Ahnung, was mit einem Mal mit mir los war", nuschelte ich leise. Jason zog seine Augenbrauen zusammen. "Nicht so schlimm? Hast du mitbekommen, dass du geblutet hast wie verrückt? Ich kriegte die Blutung gar nicht mehr gestoppt", brummelte er leise. "Was ist denn nur los mit dir? Du kannst das alles nicht einfach abtun, finde ich. Ich weiß, du willst nicht zu einem Arzt, aber mir wäre es wirklich lieber, wenn du dich endlich mal untersuchen lassen würdest. Sei doch nicht so stur!"
Seufzend schloss ich meine Augen wieder und atmete ein wenig durch. "Ich brauche nicht zum Arzt, da musst du dir keine Gedanken machen. Aber vielleicht kann ich dir ja jetzt auch endlich mal was zu dem Dachboden erzählen ... da oben ist nichts. Jedenfalls zu der Zeit in der Kiosuke lebt nicht, und wenn das mit dem Fluch zusammenhängen soll, wäre da doch schon etwas, da mein Ahne in seiner Zeit auch schon darunter leidet. Er meinte aber, die Schatulle, die ich ihm beschrieben habe, gehört seiner Schwester. Keine Ahnung, was sie im Dachboden versteckt hat, aber es wird keine Leiche sein, und wird für den Fluch auch nicht weiter wichtig sein."
Beinahe enttäuscht sah mich Jason an, was ich gut verstehen konnte. Wir hatten uns beide mehr von dem verschlossenen Raum erwartet, aber man konnte nun mal auch nichts herzaubern, was nicht da war. "Also müssen wir da nicht hoch?", murmelte er leise. Stöhnend setzte ich mich auf und hielt mir die Stirn. "Hast du eine Kopfschmerztablette?", fragte ich kurz dazwischen, da ich die Schmerzen bald nicht mehr aushalten konnte.
Blinzelnd erhob sich Jason, kam nach ein paar Minuten mit einer Packung Schmerztabletten und einer kleinen Flasche Wasser wieder. "Hier ... Während du weg warst, habe ich mich das erste Mal zum Einkaufen getraut, wir haben nämlich nicht mehr viel zu trinken gehabt, darum bin ich einfach mal los gelaufen, und habe mich etwas mit deinem alten Freund unterhalten. Wusstest du, dass seine Familie schon seit Jahren hier lebt? Ungefähr genauso lange wie deine Familie? Ist das nicht irgendwie merkwürdig?"
Bevor ich mich dem Thema widmen konnte, schluckte ich die Tablette, und lehnte mich mit dem Rücken an die Wand. "Was soll daran merkwürdig sein? In Japan ist es normal, dass die Menschen solche alten Familienanwesen pflegen und nicht verlassen. Hier wird selten etwas an fremde Hände gegeben, wenn es noch jemanden in der Familie gibt, der sich darum kümmern könnte, weißt du? Deswegen finde ich es alles andere als merkwürdig." Für mich war das vollkommen normal, doch Jason zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht, er tut so als wüsste er überhaupt nichts von dem Fluch, aber wenn er wirklich schon so lange hier lebt, muss seine Familie doch etwas davon mitbekommen haben. Und er kann sich das Haus kaum noch leisten und muss seine Geschwister auch noch durch füttern, würde ich mir nicht einfach ein kleineres Haus suchen?" Gut, das war vielleicht ein Gedanke, der durchaus nahe lag, aber ich konnte auch verstehen, wenn man ein Haus, in dem die Familie nun schon seit Jahren lebte, nicht hergeben wollte. "Ich könnte mir das Anwesen hier auch nicht leisten, aber ich könnte mir auch nicht vorstellen, es zu verkaufen. Man hängt eben doch daran, du interpretierst da viel zu viel hinein, weißt du das?"
Vermutlich war das für jemanden, dessen Eltern regelmäßig umzogen, nicht ganz nachzuvollziehen. Mir dagegen fiel es schwer mir vorzustellen, ständig in eine neue Wohnung zu ziehen und mich dort neu einrichten zu müssen. Da fühlte man sich gerade in dem Zimmer wohl und musste dann wieder weg, weil die Eltern der Meinung waren eine größere, oder kleinere Wohnung bevorzugen zu müssen. Es kam eben doch sehr darauf an, wie die Eltern einen prägten, ob man wollte oder nicht.

Jason zuckte mit den Schultern. "Na ja, ich will eh nicht mehr über diesen Kerl reden. Du weißt, dass ich ihn nicht leiden kann", brummelte er leise, was mich amüsiert schmunzeln ließ. Ja, ich wusste, dass die beiden sich nicht leiden konnten, auch wenn ich nicht verstand, warum dem so war. "Gut, dann reden wir eben nicht mehr darüber, kann ich auch sehr gut mit leben. Wie machen wir jetzt weiter? Ich weiß nicht, wie wir weiter machen wollen, immerhin haben wir einen ganz schön langen Weg vor uns, meinst du nicht auch? Da ist ein Foto mit meiner Mutter und einem Kind, noch bevor ich zur Welt gekommen bin, dann haben wir da diesen Fluch und ... ach ich weiß auch nicht. Das alles ist doch nur noch verwirrend."
Offenbar erinnerte ich Jason mit meinen Worten an etwas. "Stimmt, das Foto ... ich habe da was im Garten gefunden, über das ich sowieso noch mit dir reden wollte. In letzter Zeit laufe ich ja viel durch deinen Garten und da sind mir so ein paar Sachen aufgefallen ... Ich bin im Grunde darüber gestolpert, und hab mir dabei auch noch ziemlich weh getan, da müssen wir echt nochmal drüber reden."
Erst jetzt bemerkte ich die blutende Wunde an seiner Stirn, die er sich mit einem Pflaster zwar abgeklebt hatte, die aber immer noch etwas blutete. "Was hast du denn gemacht?", flüsterte ich leise und streckte meine Hand aus. Jason ließ sich von mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht streicheln und lächelte etwas. "Ich habe nähere Bekanntschaft mit eurer Trauerweide gemacht, dabei wollte ich mir nur noch mal das Windspiel angucken. Mehr wollte ich nicht, und dann ist da plötzlich dieser komische Stein, über den ich mal ganz locker stolpere, nach vorne falle und mir den Kopf an diesem dämlichen Baum anhaue."
Irgendwie hätte ich wohl gelacht, wen ich mir um Jason nicht solche Sorgen machen würde. Er war mein bester Freund, und das würde er auch immer bleiben, so viel war mal sicher. Besorgt glitten meine Fingerspitzen wie von allein über den Rand des Pflasters. "Ich glaube, wenn hier jemand zum Arzt sollte, dann doch wohl du. Diese Wunde sieht doch echt nicht gut aus ... du blutest immer noch, dabei ist das doch bestimmt schon ein paar Stunden her, oder?"
Seufzend schüttelte Jason den Kopf. "Ich gehe doch wegen so was nicht zum Arzt, was denkst du denn nur? Das ist eine kleine Wunde, und daran sterbe ich nicht. Sollte ich es doch tun, kannst du gerne auf meinen Grabstein schreiben, was für ein unvernünftiger Junge ich im Leben war, und das ich mit dem Kopf immer durch die Wand wollte, genau wie du." Meinte der Kerl das ernst? Brummelnd sah ich ihn an und wollte schon etwas sagen, bemerkte dann jedoch, dass ich bei ihm damit genauso weit kommen würde, wie er bei mir gekommen war.
Reden würde nichts bringen, einen Arzt würde keiner von uns deswegen aufsuchen. "Über was bist du denn gestolpert?", murmelte ich leise. "Wenn du dir schon den Kopf anhaust, muss das ja was ganz Besonderes sein." Plötzlich fing Jason an zu grinsen. "Ich denke, dass, was ich da gefunden habe, sollte uns wirklich ein bisschen weiter bringen, besonders im Bezug auf deine Mutter und das Foto, welches wir gefunden haben. Da im Garten unter dieser Trauerweide liegt nämlich ein Grabstein. Und so wie die Dinge momentan liegen, gehe ich davon aus, dass ich deinen Bruder dort gefunden habe, auch wenn du das bestimmt nicht gerne hörst." 
Das Grab von meinem Bruder? Als er das sagte, blieb mir beinahe das Herz stehen. "Nur gut, dass ich nicht mit Mum darüber gesprochen habe", murmelte ich leise. Vermutlich hätte ich ihr damit das Herz gebrochen. Jason nickte zustimmend und musterte mich. "Denkst du, dass du stark genug bist, um dir den Grabstein anzusehen? Ich kann mich ja auch täuschen, aber ich denke beinahe es ist dein Bruder. Jedenfalls kommt es von den Daten, die darauf stehen, ziemlich gut hin."
Da lag eine Kinderleiche in unserem Garten? Begraben? Mir liefen Schauer über den Rücken, denn die Vorstellung, wie oft ich dort gespielt hatte, und wie viel Zeit ich an dieser Weide verbracht hatte, ohne zu ahnen ... Moment ... Warum war mir der Grabstein denn nicht schon viel früher aufgefallen? Ich war doch nicht zum ersten Mal hier! "Also irgendwie ist das alles komisch. Von einem Grab habe ich nichts gewusst, weißt du, wie viel Zeit ich hier verbracht habe? Das hätte mir doch auffallen müssen, oder nicht?"
Erstaunt sah Jason mich an, ehe er die Stirn in Falten legte. "Stimmt ... eigentlich hätte dir das längst auffallen müssen. Als Kind achtet man auf so was, aber vielleicht auch nicht unbedingt und du hast es gesehen und nur nicht wahrgenommen. Kann doch sein, oder?" Vielleicht hatte er ja recht, aber ich konnte mich in keiner Hinsicht daran erinnern, dass unter diesem Baum ein Grab war. Vielleicht hatten meine Großeltern den Stein aber auch erst später dorthin gelegt, nachdem meine Eltern mit meiner Schwester und mir das Land verlassen hatten. Es konnte gut sein, dass sie die beiden nicht noch mehr verletzen wollten und das Grab erst nach unserem Umzug anlegten.
Mühsam rappelte ich mich auf. "Also gut, dann gehen wir in den Garten und ich gucke mir den Stein mal an", murmelte ich leise. Jason kam sofort zu mir und legte seinen Arm um meine Hüfte. "Hey ... du siehst ehrlich nicht gut aus, weißt du das? Also ich sage es ja nur ungern, aber du bist bleich wie eine Wand."
Darauf konnte ich beim besten Willen keine Rücksicht nehmen. Sanft lehnte ich mich an ihn und lächelte etwas. "Komm schon, mach mich nicht schlimmer, als ich bin. Verstanden?", flüsterte ich leise. Dabei fühlte ich mich wirklich leer und erschöpft, aber das musste ich wirklich wissen. Sollte mein Bruder in unserem Garten begraben sein ... ich konnte mich doch nicht einmal an den Gedanken gewöhnen, einen Bruder zu haben.

Die frische Luft im Garten fühlte sich gut an. Ein leichter Wind umspielte mich, auch wenn es wirklich drückend warm war. Erst einmal musste ich tief Luft holen, denn es tat gut hier draußen zu sein, und ich fühlte mich auch gleich viel besser. Sanft sah mich Jason an, dessen starker Arm immer noch um meine Hüfte lag. "Es tut dir gut, draußen zu sein", flüsterte er leise.
Lächelnd nickte ich und streckte mich erst einmal. "Ja, der Wind tut gut und die Luft ist auch deutlich besser, als da drinnen. Aber ich fürchte wir werden heute Nacht einen Sturm bekommen, wenn ich diese Hitze so spüre. So etwas passiert ja öfter mal, ich hoffe das stört dich nicht." Benommen sah mich Jason an, ehe er leise lachen musste. "Als wenn ich Angst vor einem Sturm hätte, was denkst du dir denn dabei? So was halte ich schon aus, keine Panik."
Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf und ließ mich von ihm an die Weide führen. Vor dem kleinen, runden Stein kniete ich mich hin und legte dabei etwas den Kopf schief. "Offenbar ist der wirklich neu", flüsterte ich leise. "Jedenfalls ... ich kann mich ja nicht daran erinnern und habe mir dann mal überlegt, ob meine Großeltern den erst aufgestellt haben, nachdem wir schon in Amerika waren. Das kann doch auch sein, oder?"
Zustimmend nickte Jason, der sich zu mir kniete und das Efeu von dem Stein zupfte. "Stimmt, auch wenn man das Gefühl haben könnte, dass der Stein schon seit Jahren hier liegt. Kann aber schon sein, dass ich mir das nur einbilde. Und guck mal, von den Jahreszahlen kommt es hin, oder?" Zustimmend nickte ich, den Blick auf den verwitterten Stein gerichtet. Seufzend lehnte ich mich an die starke Schulter an meiner Seite, was Jason dazu veranlasste, seinen Arm sofort wieder um mich herum zu legen. "Geht es? Offenbar ist dein Bruder schnell gestorben, auch wenn wohl keiner weiß, woran. Willst du immer noch nicht mit deiner Mutter reden? Gibt es denn wirklich niemanden mehr, der mehr wissen könnte? Einen Nachbarn oder so was?"
Darüber zerbrach ich mir auch schon den Kopf, doch außer zu Yutas Familie, hatten wir nie sehr viel Kontakt zu anderen Familien gehabt. Meine Großeltern zogen sich aus der Gemeinschaft sehr zurück, lebten lieber für sich selbst, was meine Mutter und ich übernommen hatten. "Mir würde keiner mehr einfallen. Außer Yuta und seiner Familie kenne ich niemanden und sein Vater sitzt im Knast. Wo seine Mutter ist, weiß ich nicht ... bestimmt muss sie viel arbeiten, damit sie die Familie überhaupt ernähren kann, immerhin kann Yuta das mit seinem kleinen Job nicht alleine." Alleine der Name schien Jason schon zu nerven, der ein wenig mit den Augen rollte und schnaubte. "Gut, aber musst du deswegen gleich mit ihm reden? Also ich weiß auch nicht ... der Kerl mischt sich echt viel in dein Leben ein, kann das sein?"
Lächelnd zuckte ich mit den Schultern. "Ich weiß auch nicht ... seine Familie ist die Einzige, die ab und an mal Kontakt zu uns gesucht hat. Wir hatten keine Bekannten oder so was, sondern haben uns nur mit seiner Familie angefreundet. Meine Großeltern waren immer sehr missmutig, wenn ich mal aus der Schule einen Bekannten mitbringen wollte, oder so was. Meistens wollten sie das nicht einmal, aus dem Grund habe ich es dann auch irgendwann gelassen. Ich wollte mich nicht ständig mit beiden streiten."
Jason schüttelte den Kopf. "Also ehrlich ... deine Familie ist ein wenig komisch, was mir vorher gar nicht so bewusst gewesen ist. Seit ich hier bin, frage ich mich immer mehr, was mit euch los ist. Schon komisch, oder?" Schmunzelnd lehnte ich mich an seine starke Schulter und genoss es einfach an seiner Seite zu sein. Ich fühlte mich, als würde mich jemand auffangen, und für mich da sein. Alleine wäre ich schon längst verrückt geworden, oder hätte mich nur noch bei Kiosuke aufgehalten, um diese Zeit hier zu überstehen. Traurig sah ich auf den kleinen Stein. Nicht einmal ein Name stand darauf, nur die Jahreszahlen.
Das hier musste das Grab des Jungen sein, den meine Mutter auf dem Arm hatte ... er war tot und ich fragte mich schon, ob das etwas mit diesem Fluch zu tun hatte. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie viele Opfer der Fluch schon auf sich gezogen haben musste. Wie viele Männer in meiner Familie waren schon gestorben, wegen diesem Unsinn? Und warum war ich nicht auch schon im Kindesalter gestorben? "Das ist doch ...", murrte Jason auf einmal und drückte mich an sich. "Ich will mir nicht einmal im Ansatz vorstellen, dich zu verlieren! Nur weil irgendwer der Meinung war, man müsse deine Familie verfluchen. Das ist doch nicht fair! Du hast niemandem etwas getan ..."
Fest schlangen sich seine Arme um mich herum und ich blinzelte etwas. So fest und eng hatte er mich noch nie in den Arm genommen, aber ich konnte nicht leugnen, dass ich es schön fand. Eine Gänsehaut lief über meinen Körper, während ich schwach lächelte. "Du machst dir viel zu viele Sorgen. Ich bin immerhin hergekommen, um diesen Fluch zu lösen und nicht, um ihm zu erliegen, wie mein Bruder. Er war ein Kind und konnte sich nicht wehren ... allein schon ihm bin ich es schuldig das alles zu lösen." Irgendwie ... jetzt, wo ich vor diesem Grabstein stand, hätte ich gerne einen älteren Bruder gehabt.
Sanft wuschelte mir Jason durch die Haare. "Ich denke du solltest doch noch einmal mit diesem Yuta reden. Vielleicht kann er dir helfen, wo ich dir gerade gar nicht helfen kann. Es tut weh das zu sagen, aber er kennt dich auch schon ein paar Jahre und ist vielleicht der Einzige, der dir wirklich helfen kann." Unsicher musterte ich meinen Freund und richtete mir die Haare ein wenig, die er zerzaust hatte. Es war mehr als deutlich, dass er davon nicht sonderlich begeistert war und das er nicht wollte, dass ich zu Yuta ging. "Ich rede einfach noch mal mit ihm." Und diesmal wollte ich mich auch nicht von ihm durcheinanderbringen lassen. Yuta war gut darin, mich von dem abzulenken, was ich eigentlich wissen wollte. Und wenn ich ehrlich war, fiel mir da noch jemand ein, aber daran wollte ich nicht mal denken.

Eine Stunde später saß ich bei Yuta im Wohnzimmer und ließ mir von seiner Schwester einen Eistee geben. "Yuta kommt gleich", flüsterte das blasse Mädchen mit den langen, schwarzen Haaren. Ihr Lächeln war eingeschüchtert, dabei kannten Naomi und ich uns nun auch schon so viele Jahre. Ich war doch kein Fremder mehr für sie, jedenfalls bildete ich mir das ein. "Schon gut, wenn er gerade erst von der Arbeit nach Hause gekommen ist, dann muss er duschen. Besonders bei der Hitze wäre das besser. Wie geht es dir? Kommst du in der Schule gut klar?"
Erschrocken, beinahe zitternd sah mich Naomi an, strich sich die Haare aus dem Gesicht und quälte sich ein Lächeln ab, dass sie mir beinahe schon leidtat. Da zwang ich sie in eine Unterhaltung, die sie offenbar überhaupt nicht wollte. "Ich komme schon gut klar", flüsterte sie leise. "Ist ja jetzt auch mein letztes Jahr und dann kann ich meinem Bruder und meiner Mutter auch ein wenig unter die Arme greifen." Nervös sah sie sich um, traute sich offenbar nicht einmal mir in die Augen zu sehen. Ihre schmächtige Brust hob und senkte sich nervös, was ich fasziniert beobachtete. Als sich die Tür öffnete, sah ich mich blinzelnd um und bekam von Yuta ein feuchtes Handtuch an den Kopf. "Hörst du auf meiner Schwester auf den Busen zu glotzen? Du bist echt ein Perverser, weißt du das? Nicht nur, dass du dich als Schüler auf Hentai-Seiten rumgetrieben hast, jetzt starrst du meiner Schwester noch auf den Busen!"
Sofort zuckte ich zusammen und starrte Yuta an. "Hab ich doch gar nicht", murmelte ich leise. "Nicht aus dem Grund, den du mir gerade unterstellst. Tut mir ja leid ..." Naomi verschwand lieber schnell aus dem Zimmer, was mir jetzt doch etwas unangenehm war. "Toll, jetzt hält deine kleine Schwester mich wirklich für einen totalen Vollidioten! Sie hat sich sowieso schon verhalten als wäre ich ein Monster oder so was. Nur weil ich ein paar Jahre nicht hier war?"
Das ergab in meinen Augen überhaupt keinen Sinn. Selbst Yuta schien sich manchmal merkwürdig zu verhalten, auch wenn ich versuchte, das alles darauf zu schieben, dass wir uns lange nicht mehr gesehen hatten. Beruhigend hob Yuta seine Hände und kicherte dabei leise. "Ich habe eh noch nie gesehen, dass du einer Frau auf die Brüste starrst. Meine Schwester ist hübsch geworden, was? Ich denke aber nicht, dass sie einen Schwulen wie dich umpolen könnte."
Darum ging es doch auch gar nicht. Und wieder vergaß ich den Grund, aus dem ich hier war, total aus dem Blick. "Ich will nicht auf Frauen stehen, auch wenn deine Schwester hübsch geworden ist, aber mich macht das nicht im Geringsten an, okay? Also brauchst du dich auch nicht so aufregen, wenn ich ihr Mal auf die Brüste gucke. Mir ist das so schon peinlich genug, musst du mich dann auch noch direkt darauf ansprechen?"
Was war denn los mit mir? Ich war wegen etwas vollkommen anderem hier. "Und jetzt hörst du auf mir aus dem Weg zu gehen", keifte ich Yuta auf einmal an. Der zuckte zusammen und setzte sich zu mir. "Was ist denn jetzt los?", murmelte er leise. "Ich hab das doch nicht böse gemeint, woher hätte ich wissen sollen, dass du so ausrasten würdest? Du kennst mich doch, das war nur ein Scherz."
In diesem Moment war mir das aber egal und ich fing an, ihm von allem zu berichten, was in den letzten Stunden passiert war. Dabei nahm ich jede noch so kleine Reaktion von ihm wahr, versuchte in seinen Reaktionen zu lesen und irgendwas zu erkennen, besonders, weil er sich total merkwürdig benahm. Immer wieder entgleisten ihm die Gesichtszüge, am meisten, als ich ihn darauf ansprach, wie sehr er sich in meinen Augen verändert hatte und das er mir aus dem Weg ging.
Die Sache mit dem Tee hatte ich auch noch nicht vergessen, was ich ihm noch einmal unter die Nase reiben musste. Ich konnte deutlich in seinem Gesicht erkennen, wie er immer wieder mit sich selbst rang, und versuchte meinen Blicken aus dem Weg zu gehen. Als Yuta auch noch aufstand und gehen wollte, griff ich nach seiner Hand. "Nein, du wirst mir nicht so einfach aus dem Weg gehen, hast du mich verstanden? Ich werde dich nicht mehr davon kommen lassen. Rede endlich mit mir! Du verhältst dich total merkwürdig und ich will wissen, was mit dir los ist!"
Traurig sah Yuta mir in die Augen, ehe er sich wieder setzte, und für einen Moment die Augen schloss. Offenbar fiel es ihm nicht leicht, mit mir über alles zu sprechen, was er wusste. "Weißt du ... deine Großeltern wurden zum Schluss hin immer merkwürdiger. Sie sprachen immer mehr über Sachen, die ich kaum verstand. Über einen Enkel, den sie im Garten beerdigen mussten, weil er eine Art Opfer sein sollte. Ich glaube die beiden wollten damit diesen Fluch besänftigen, in der Hoffnung, dass sie den Erstgeborenen gleich weggaben. Sie bekamen sich mit deiner Mutter in die Wolle, als sie merkten, dass es nicht geholfen hatte. Ich glaube deine Mutter hat den beiden nie verziehen, dass sie ihr den ersten Sohn genommen haben. Verständlich, oder? Deine Großmutter war am Boden zerstört und sprach immer wieder davon, dass es ihr leid tun würde ... und das niemand seinen Zorn beruhigen könne. Er würde auf jemanden warten ... auf ihn, um mit ihm endlich das auszuleben, was man ihnen wohl in ihrer Zeit verwehrt hat."
Benommen schüttelte ich den Kopf, weil ich keine Ahnung hatte, was mir Yuta damit sagen wollte. Bedrückt sah er mich an. "Aoki? Sie gingen davon aus, dass du der Junge bist, den er sucht. Du sollst jemandem sehr ähnlich sehen und damit der Junge sein, auf den sie gewartet hätten. Deine Mutter wollte davon nichts hören, nachdem man ihr schon den ersten Sohn genommen hatte, wollte sie das bei dir nicht auch noch riskieren. Aus dem Grund ist sie von einem Tag auf den anderen mit dir von hier verschwunden ... erinnerst du dich daran, dass du so eine Art Rückreise schon einmal hattest? Kurz bevor ihr nach Amerika gegangen seid?"
Benommen schüttelte ich den Kopf, daran konnte ich mich kaum noch erinnern, oder? Mir tat der Kopf weh, von den ganzen Gedanken, die ich mir machen musste. Da war etwas ... aber weit weg, wie aus einer anderen Zeit. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern ...

"Ihr wusstet es, oder? Ihr wusstet, was meinem Jungen passieren würde, und ihr lasst es einfach zu? Und das, nachdem ihr mir schon meinen ersten Sohn aus den Armen gerissen habt, nur weil euch jemand erzählt hat, dass er derjenige wäre, der den Fluch lösen könne!" Die hysterische Stimme meiner Mutter riss mich aus dem Schlaf.
Müde erhob ich mich aus dem Bett und tapste leise an die Tür. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dieses Gespräch würde interessant werden. So sehr hatten sich meine Mutter und meine Großmutter schon lange nicht mehr gestritten. Schnaubend baute sich die alte, zierliche Frau mit den grau melierten Haaren und den freundlichen Falten um Mund und Augen, vor meiner Mutter auf. So wütend hatte ich sie noch nie gesehen, ihr Gesicht war verzerrt und die kleinen Hände zu Fäusten geballt, so fest, dass die Knöchel weiß unter der dünnen, ledrigen Haut hervor stachen.
Ihre sonst so sanften, grünen Augen funkelten wütend, was ich bei ihr noch nie erlebt hatte. Dieser Zustand war für meine Großmutter alles andere als normal, doch meine Mutter konnte locker mit ihr mithalten. Verzweiflung war ihr ins Gesicht geschrieben, Tränen schimmerten in den rötlichen Augen, was mir deutlich machte, wie viel sie wohl schon geweint hatte an diesem Abend. Neugierig linste ich aus der Tür, die ich ein wenig vorgeschoben hatte, um mehr mitbekommen zu können.
"Ich habe meinen Mann und meinen Sohn an diesen Fluch verloren! Denkst du ich würde nicht ebenso leiden wie du? Ich habe meinen ersten Enkel töten müssen! Ich habe zusehen müssen, wie er starb, nur weil wir die Hoffnung hatten, endlich alles beenden zu können! Mir macht das auch keinen Spaß, aber Aoki ist unsere letzte Rettung! Er ist derjenige, auf den er wartet, da bin ich mir sehr sicher!", schrie sie meine Mutter an, die benommen den Kopf schüttelte. "Nein ... ich will das nicht glauben. Nicht nachdem ich meinen ersten Sohn schon verlieren musste. Noch einmal ertrage ich das nicht. Ich will Aoki nicht sterben lassen und ich werde ihn auch nicht hier opfern! Selbst wenn er die Träume hat, auf die ihr alle immer gewartet habt, er ist krank! Wenn ich ihn noch lange im Einfluss dieses Hauses lasse, wird er ebenso sterben, wie es mein geliebtes Baby schon tat und das werde ich nicht zulassen!"
Träume? Ich verstand das alles nicht, konnte es aber auch kaum ertragen, wie sehr die beiden sich stritten. Die beiden stritten sich noch einige Zeit weiter, doch es ging immer um das gleiche Thema.
Zwei Tage später packte meine Mutter unsere Sachen und zog mit uns nach Amerika.


"Es fühlt sich an, als hätte jemand die gesamten Erinnerungen in mir gelöscht", flüsterte ich leise, während Yuta mir eine Hand auf die Schulter legte. Bedrückt sah er mich an. "Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Im Grunde war ich froh, dass du in Amerika warst und damit in Sicherheit. Nachdem deine Großmutter mir das alles erzählte, verstand ich endlich, warum deine Mutter so schnell mit dir hier weg wollte. Als du dann wiederkamst, fühlte ich mich schrecklich. Ich wusste von allem und ... irgendwie hatte ich das Gefühl, als hätte das Haus dich zurückgerufen. Und du hattest keine Ahnung! Was hätte ich denn sagen sollen, du hättest mich doch für verrückt gehalten. Darum habe ich versucht mich zurückzuhalten, und das alles für ein Märchen zu halten. Und dann ... sah ich dich die erste Nacht im Garten stehen, wie du in den Himmel gestarrt hast, vollkommen abwesend. Ja, ich habe dir was in den Tee gegeben, weil ich wissen wollte, ob das alles stimmt, was deine Großmutter mir da erzählt hat."
Seine Worte brachten mich total durcheinander und ich musste für einen Moment durchatmen. "Ich weiß nicht, was du damit meinst", murmelte ich leise. "Wann habe ich denn im Garten gestanden und in den Himmel gestarrt? So was mache ich doch nicht, oder?" Offenbar schon. Zum ersten Mal, seit ich hier war, hatte ich das Gefühl, das Yuta mich nicht anlog, sondern ehrlich war.
Seufzend nickte Yuta. "Doch, so was machst du ... Jedenfalls hast du es in der Nacht gemacht und meine Schwester hat dich auch gesehen, darum hat sie sich wohl auch so komisch verhalten, als du hergekommen bist", gestand er leise. "Auf der einen Seite war ich so unglaublich neugierig, so etwas konnte doch nicht real sein. Als ich dann begriff, dass es doch real ist und du dich so merkwürdig verhältst, da hat mir das Angst gemacht." 
Irgendwie konnte ich ihn ja verstehen, dennoch hätte ich mir ein bisschen mehr Hilfe von ihm erhofft. Es musste ihm doch aufgefallen sein, wie sehr ich unter der ganzen Sache litt. "Und jetzt? Hast du immer noch Angst vor mir?", flüsterte ich leise.
Ich brauchte seine Hilfe, aber wenn er Angst vor mir hatte, was für einen Sinn hatte das alles dann noch? "Nein ... nur manchmal. Wenn du wieder alleine im Garten stehst und den Mond ansiehst, als würde er dir helfen können. Ich frage mich immer, was du darin siehst ..." Traurig sah er mich an und ich blinzelte, als ich Kiosuke direkt vor Augen hatte.
Ich frage mich, was er sieht, wenn er in den Mond starrt ..."
Sofort schüttelte ich den Kopf und atmete durch. "Schon gut, ich glaube das wäre eine lange Geschichte", flüsterte ich leise. War meine Sehnsucht nach Kiosuke jetzt schon so groß, dass ich schlafwandelte? Oder war ich schon so weit wie mein Ahne?
Mir wurde schwindelig bei dem Gedanken. Was war denn nur los mit mir? Warum hatten meine Großeltern auf mich gewartet? Wie sollte ich diesen Fluch lösen? "Du bist ihm unglaublich ähnlich, was kein Wunder ist, da er mit dir verwandt ist ... Es ist fast als hätte er dich gezeugt ..." --- Geprüft mit Duden Technologie
Warum gingen mir seine Worte nicht mehr aus dem Kopf? Mein Herz raste wie wild, obwohl ich nicht verstand, was mit mir los war. In meinem Kopf setzten sich Puzzleteile zusammen, die ein Bild ergeben wollten, auch wenn ich es vielleicht nicht erkennen konnte. Dieses Bild ergab in meinem Kopf einfach noch keinen Sinn, egal wie viel Mühe es sich auch gab. Eine Stimme war in mir, die schien mich anzuschreien, ich solle endlich alles verstehen.
War ich so langsam, oder wollte ich einfach nur nicht sehen, was im Grunde offensichtlich war? Yuta legte eine Hand auf meine Schulter. Er sollte sich keine Vorwürfe machen, denn ich konnte schon verstehen, dass die ganze Situation ihn überforderte. "Du wusstest mehr als ich und ... ich denke du hast es nicht böse gemeint", flüsterte ich leise und nahm ihn in den Arm. "Aber versprich mir eins, ja? Wenn das hier vorbei ist, dann sind wir doch wieder ganz normale Freunde, oder? So wie früher auch. Ich will dich nicht wegen diesem ganzen Mist verlieren."
Lächelnd wuschelte Yuta durch meine Haare. "Dass du immer noch mit mir befreundet sein willst und dass, wo ich wirklich ein verdammt mieser Freund war. Ich wusste das alles und habe dich einfach im Stich gelassen, nur weil ich selbst damit nicht klargekommen bin. Wenn du wirklich mit mir weiter befreundet sein willst, dann würde ich mich darüber sehr freuen, aber ich könnte auch verstehen, falls du das nicht willst. Ich habe mich wirklich nicht gut verhalten und das, wo du mich gebraucht hast." Seine Stimme war genauso bedrückt wie der junge Mann vor mir, der aussah wie ein geprügelter Hund.
Aber wer konnte schon sagen, wie ich mich verhalten hätte an seiner Stelle? Wäre ich von der Sache nicht betroffen, vielleicht hätte ich auch versucht mich da rauszuhalten. "Schon gut, reden wir nicht mehr darüber und das mit dem Mittel vergesse ich auch mal. Was war das denn?", flüsterte ich leise. Wenn es ein Treffen mit Kiosuke erzwingen konnte, war es wichtig, sehr wichtig sogar. Es gab da so viele Dinge, die ich jetzt mit ihm klären musste.
Diesmal konnte ich mich nicht wieder von seinen süßen Worten einwickeln lassen. Wollte er mich nur ablenken? Was wenn er gar nicht in mich verliebt war? Mein Herz fühlte sich an, als würde eine kalte Hand danach greifen und Tränen brannten in meinen Augen. Was, wenn er derjenige war, der meine Familie verflucht hatte? Zitternd kauerte ich mich zusammen, was Yuta sofort Sorgen machte. Besorgt schlang er seine Arme um mich herum und drückte mich an sich. "Was hast du denn auf einmal?", murmelte er leise und streichelte über meine Stirn.
Entsetzt sah er mich an und nahm mich auf den Arm. "Du glühst ja! Mein Gott, du hast hohes Fieber, ich bringe dich sofort ins Krankenhaus, klar?" Ich schüttelte den Kopf, und versuchte zu lächeln. "Nein ich will nicht", murmelte ich leise. "Bring mich nach Hause. Und nimm dieses Mittel mit, dass du mir gegeben hast. Ich habe da jemanden, mit dem ich jetzt endlich mal was klären muss." Meine Beine zitterten, als ich versuchte selbst zu gehen und nach den ersten zwei Schritten bereute ich diesen Versuch sofort.
Mir war heiß, mein ganzer Körper schien zu brennen. Yuta legte seinen Arm um meine Hüfte und drückte mich an sich. "Also gut, ich bringe dich nach Hause und dann hole ich das Mittel", murrte Yuta und ließ dabei keinen Zweifel daran zu, dass er meine Idee total bescheuert fand. Als wir das Haus verließen, kam uns starker Wind entgegen. Der Himmel hatte sich zugezogen und zwischen den grauen Wolken zuckten immer wieder grelle Blitze hervor. Die Bäume bogen sich in dem starken Wind, der aufgekommen war und Regen prasselte zu Boden. Irgendwie ein passendes Szenario für das, was mir bevorstand.
Ich hatte Angst ... wenn mein Verdacht richtig war, dann hatte Kiosuke wirklich auf mich gewartet. Das alles wollte mir nicht in den Kopf und es tat so weh! Verzweifelt hielt ich mich an Yuta fest, der seinen Arm eng um mich gelegt hatte, um mich so in mein altes Anwesen zu schleifen. Dort kam uns Jason sofort entgegen, der seinen anderen Arm um mich herum legte und mich besorgt ansah. "Ich fasse das nicht, da kommt er schon wieder von dir und mal wieder ist er total am Ende! Dabei war es auch noch meine Idee ... ich sollte dich von ihm fernhalten", knurrte er Yuta an, der schnaubend zu Jason sah. "Komm mal runter, ja? Ich bin hetero, also keine Gefahr für dich! Hilf mir lieber, er hat hohes Fieber, er verglüht gleich. Wir brauchen einen kalten Lappen, verstanden?"
Jason suchte meinen Blick und beruhigend lächelte ich ihn an, brachte aber kein Wort mehr über die trockenen Lippen. Seufzend schloss er seine Augen und brachte mich in das Zimmer, in dem wir immer schliefen. "Also gut, ich hole einen Tee und einen kühlen Lappen", murmelte er leise, offenbar ergab er sich in die Situation. Sanft lächelte mich Yuta an. "Ihr beide seid eigentlich ganz süß", meinte er mit einem frechen Grinsen und erntete von Jason und mir einen Blick, der ihn sofort zum Lachen brachte. "Schon gut, ich mische mich da nicht ein, macht euch mal keine Sorgen."
Was meinte er denn damit nun wieder?
Im Grunde konnte es mir auch egal sein. Ich war so erschöpft und bemerkte nur noch am Rande, wie mir Yuta einen Lappen an die Nase hielt und vor sich hin schimpfte. Schon wieder Nasenbluten? Das konnte doch nicht so weiter gehen und ... es passierte immer dann, wenn ich zu ihm wollte. Lächelnd schloss ich die Augen, auch wenn es mir das Herz zerriss, aber konnte ich jetzt diesen Fluch endlich lösen?

Kapitel 12

 

Ich hatte Angst, vor dem, was mir bevorstand. Als ich bei Kiosuke wach wurde, nahm ich seinen Duft wahr, traute mich aber trotzdem nicht, die Augen zu öffnen. Der Moment war zu schön, um zerstört zu werden. Einfach nur hier liegen, mehr wollte ich doch nicht.
Mein Herz verkrampfte sich etwas, bei dem Gedanken vielleicht niemals wieder hierher kommen zu können. Was, wenn ich ihn jetzt für immer verlor? Sanft glitten seine Finger über meine Wange, und ob ich es wollte oder nicht, ich schmiegte mich ein wenig an ihn. Wie sehr hatte ich mich in diesen Idioten verliebt? Aber war er überhaupt ein Idiot? Oder wollte ich ihn nur so nennen, weil es für mich leichter zu ertragen war?
Seine Fingerspitzen glitten über meine Haut, er zeichnete sanft meine Konturen nach, was mir eine Gänsehaut verpasste. Als ich seinen Atem auf mir spürte, verkrampfte sich mein ganzer Körper, was Kiosuke leise lachen ließ. "Ich wusste doch, dass du wach bist", wisperte er leise und glitt mit den Spitzen seiner Finger über meine Lippen. "Warum machst du die Augen nicht auf? Oder traust du dich nicht mehr, mir in die Augen zu sehen?"
Immerhin musste er immer damit rechnen, dass ich hinter sein Spiel kam und herausfand, was mit ihm los war. Musste er nicht wissen, was er damit in mir auslöste, und wie viel er in mir damit kaputtmachte? Was, wenn er mich gar nicht liebte? Wenn er nicht mich sah, sondern nur meinen Ahnen, mit dem er auch noch unter einem Dach leben musste?
Ich wagte einfach nicht in ihm in die Augen zu sehen, alleine schon aus Angst, dass ich genau das darin sehen konnte. Die Liebe zu einem Anderen und das, wo ich ihn doch so sehr liebte, dass es mein Herz zerriss. "Was hast du denn? Magst du mich nicht mehr?", flüsterte er leise und ließ seine Finger dabei nicht von meinem Gesicht. Seufzend schmiegte ich mich an seine Hand und musste lächeln. "Es ist einfach viel zu schön", gestand ich leise. "Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass irgendwas kaputt geht, wenn ich jetzt die Augen wieder öffne. Was, wenn auf einmal alles vorbei ist? Wenn wir uns nicht mehr sehen können?"
Mit einem Mal hielt sich die Hand auf meiner Wange ruhig. "Wie kommst du denn darauf? Oder hast du den Fluch gelöst? Dann könnte ich deine Gedanken natürlich verstehen, aber wenn du noch nicht dahinter gekommen bist, brauchst du doch auch keine Angst haben, dass wir uns nicht wiedersehen, oder?" Seine Stimme nahm etwas Ruhiges an, was mir einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Wie konnte er nur so sein?
Unsicher ließ ich meine Augen geschlossen, den Anblick seiner Augen konnte, und wollte ich in diesem Moment nicht ertragen. "Natürlich ... aber ich habe eine Theorie und ich glaube, über die nachzudenken hat mir schon genug Angst gemacht. Ich traue mich nicht einmal dir in die Augen zu sehen", gestand ich leise. Amüsiert kicherte Kiosuke, ehe er mir durch die Haare wuschelte. "Schon schade, dabei sehe ich dir so gerne in die Augen."

Eigentlich hatte er ja recht, ich konnte nicht die ganze Zeit hier herumliegen, und meine Augen mit aller Macht geschlossen halten. Irgendwann wurde das albern. Seufzend öffnete ich meinen Blick und sah zu dem jungen Mann, der sich erhoben hatte und langsam zur Veranda ging. "Du musst dir keine Gedanken machen, so schnell wirst du mich nicht verlieren. Du weißt, dass ich dich gerne hab. Also nenne mir einen Grund, warum ich dich gehen lassen sollte?"
Mein Herz hämmerte schneller als er das sagte. Er wollte mich nicht gehen lassen? Mit zitternden Knien erhob ich mich vom Boden und versuchte zu ihm zu gehen. Kiosuke wirkte so weit weg von mir, als wäre er nicht mehr er selbst. Was war denn nur mit ihm los? Schüchtern ging ich zu ihm und stellte mich zu Kiosuke. Sein Blick hing auf seinem Schwager, der wieder im Garten stand und den Mond anstarrte. Im Grunde brauchte er nicht einmal etwas sagen, ich wusste auch so, dass er eben ihn liebte und nicht mich.
Seine Blicke waren eindeutig und so verträumt, dass es meinem Herzen einen Stich versetzte. Wie sollte ich mit ihm umgehen? Wie sollte ich mit ihm reden, jetzt wo das mehr als offensichtlich wahr? Oder hatte ich es vorher nur einfach nicht gesehen? War ich zu dumm um es zu bemerken, was für jeden anderen offensichtlich war?
Tränen brannten in meinen Augen. Ich wollte nicht mit ihm reden, ich konnte nicht mit ihm über das alles reden. Es ging nicht ... mir fehlten doch jetzt schon die Worte, wenn ich ehrlich war. Vermutlich wollte ich die Wahrheit nicht einmal hören. Kiosuke sah mich an und streichelte über meinen Kopf. Ob er wohl merkte, wie es mir ging? "Siehst du? Er ist mal wieder nur damit beschäftigt, in den Mond zu sehen." Benommen sah ich Kiosuke an und senkte meinen Blick. "Du bist wirklich nur mit ihm beschäftigt, kann das sein?"
Blinzelnd sah mich Kiosuke an, ehe er seine Hand wieder auf meine Wange legte und mich dazu zwang, ihm in die Augen zu sehen. "Was ist denn los? Du bist heute total abwesend und gar nicht richtig ansprechbar. Ist irgendwas passiert? Ich mache mir Sorgen, weißt du das?" War seine Sorge überhaupt real? Seufzend zuckte ich mit den Schultern. "Weißt du, ich frage mich nur schon die ganze Zeit ... ob du mich überhaupt wirklich magst. Oder ob du nicht eigentlich meinen Ahnen in mir siehst und ihn viel mehr magst."
Ich wollte und konnte in seiner Nähe nicht von Liebe reden, auch wenn ich total in ihn verliebt war. Mein Herz schlug höher, ich liebte ihn ... ich liebte ihn so sehr und es zerbrach mir das Herz, wenn ich daran dachte, er könnte einen anderen Mann lieben.
Kiosuke blinzelte, streichelte mit dem Daumen über meine Wange und löste sich dann von mir. "Ich weiß auch nicht ... ich kann noch nicht darüber reden", murmelte er leise. Also sagte das doch mehr als mir lieb war. Tränen rollten über meine Wangen, die ich nicht mehr verbergen konnte und die von sich aus einfach machten, was sie wollten. Schluckend versuchte ich, mich zusammenzureißen. "Ich denke ... das ist schon gut, sollte ich jetzt sagen, oder? Aber für mich ist das nicht gut! Ich liebe dich, aber du nimmst mich nicht einmal richtig wahr. Du siehst doch nicht einmal mich in mir, sondern nur diesen verdammten Typen dahinten! Wie kannst du mir das nur antun? Wie kannst du ..."
Blinzelnd zuckte ich zusammen und hielt mir den Mund zu. Irgendwie erinnerte ich mich daran, was der Mann in meinem Traum gesagt hatte.
Nachher war ich schuld daran, dass es diesen Fluch gab. Was, wenn ich aus Eifersucht Kiosuke und jeden Anderen verflucht hatte?
Kiosuke seufzte leise und musterte mich dann wieder. "Hast du wirklich Angst, dass ich ihn mehr lieben würde als dich?", flüsterte er leise. Eifersüchtig und wütend sah ich zur Seite. Ich fühlte so eine Wut in mir, so einen Hass, den ich vorher noch nicht gespürt hatte. In den letzten Tagen wurde dieses Gefühl immer schlimmer. Ein Gefühl, welches ich noch nie so in mir gespürt habe. Kiosuke streichelte mit dem Daumen weiter über meine Wange, schlang seine Arme um mich herum und drückte mich an seine Brust. "Bist du so eifersüchtig? Ich kenne Wataru doch viel länger als dich, nur aus dem Grund mache ich mir Sorgen um dich ... nicht, weil ich in ihn verliebt bin, sondern weil meine Schwester ihn liebt. Denkst du denn ich würde noch hier leben, wenn ich ihn lieben würde und ich nicht von ihm loskommen würde? So was würde doch niemand ertragen, meinst du nicht auch?"
Gut, damit musste ich mich dummerweise geschlagen geben.

Ich genoss das Gefühl wie seine Finger durch meine Haare glitten. Es war ein wunderschönes Gefühl und ich wollte nicht, dass er jemals damit aufhörte. Wie konnte ich nur auf den Gedanken kommen, dass er jemand anderen liebte und nicht mich. "Was ist dir denn für eine Idee gekommen, dass du so eine Angst hast?", flüsterte er leise. "Dachtest du wirklich, dass ich jemand anderen mehr liebe als einen Jungen, auf den ich schon seit so vielen Jahren gewartet habe?"
Benommen drückte ich mich an ihn. "Es tut mir leid", flüsterte ich leise. Wie konnte ich mich nur so sehr in ihm täuschen? "Ich ... ich dachte nur ... Ich weiß jetzt, dass ich schon einmal hier war, als ich noch in Japan gelebt habe. Du musst mich doch gesehen haben, warst du deswegen nicht erstaunt, als ich das erste Mal herkam?" Seufzend spielte Kiosuke mit einer meiner Haarsträhnen. "Ja, du bist schon einmal zu mir gekommen und ... ich verliebte mich auf den ersten Blick in dich. Du warst so süß, hattest so ein warmes Lächeln. Ich war sofort hin und weg von dir und konnte gar nicht mehr an jemand anderen denken. Du warst Wataru so ähnlich ... du gingst und ich dachte wir könnten uns öfter sehen, aber du kamst nicht wieder. Immer wenn ich Wataru sah, konnte ich dein Gesicht in ihm erkennen, was mir beinahe das Herz gebrochen hat. Wir standen uns von der ersten Minute an so nahe, wie sollte ich nur ohne dich klarkommen? Wenn ich ihm in die Augen sah, konnte ich dich in seinen Augen sehen ... aber ich hatte keine andere Wahl als hier auf dich zu warten, egal wie lange es auch dauern mochte. Und dann warst du endlich wieder da ... du warst endlich wieder bei mir und konntest dich nicht einmal an unser erstes Treffen erinnern. Das tat weh, aber im Grunde war ich nur froh, dass du wieder bei mir warst. Darum glaubte ich dir auch von Anfang an jedes Wort, weil ich dich so gut kannte, weil ich deine Geschichte kannte und weil du schon einmal bei mir gewesen bist. Du zweifeltest noch an etwas, was ich schon längst hingenommen hatte, nur wagte ich nicht, dir von diesem einem Abend zu erzählen. Ich dachte, wenn ich dir von dem Abend erzähle und davon wie sehr ich dir zu nahe getreten bin ... du würdest mich hassen."
Die ganze Theorie, die ich mir zurechtgelegt hatte, in der Kiosuke derjenige war, der den Fluch auf meine Familie gezogen hatte, weil Wataru seine Liebe nicht erwiderte, sondern lieber seine Schwester heiratete ... verpuffte von einer Sekunde auf die andere. Wie konnte ich nur so von dem Mann denken, den ich so sehr liebte? Verzweifelt krallte ich mich an seine Brust und ließ meinen Tränen freien Lauf. Schluchzend drückte ich mich an seinen warmen Körper, Halt suchend und in der Angst, allein zu sein.
Er durfte mich nicht verlassen. Sanft streichelte er durch meine Haare, auf seinen weichen Lippen lag ein warmes Lächeln, obwohl er doch böse auf mich sein sollte. "Dachtest du wirklich, ich würde dir oder jemandem aus deiner Familie etwas böse wollen? Selbst wenn ich meinen Schwager lieben oder begehren würde ... nie wäre ich auf die Idee gekommen, ihm etwas anzutun. Ihn so leiden zu sehen ist schlimmer als alles andere, so was würde ich niemandem antun und schon gar nicht dir, Liebster. Ich glaubte du wolltest mich nicht mehr sehen, weil ich so weit gegangen bin ... ich wollte dir nicht wehtun, darum gab ich auch mir die Schuld daran, dass du nicht mehr zu mir zurückgekehrt bist. Als ich dann erfuhr, dass du im Grunde nicht mehr zu mir zurückkommen konntest, weil du mit deiner Familie das Land verlassen hattest ... du ahnst nicht, was für eine Last von meinen Schultern gefallen ist."
Was war denn damals nur vorgefallen? Und warum konnte ich mich nicht an die Nacht erinnern, in der ich schon bei ihm war? "Du kannst mir gar nichts antun", murmelte ich leise. "Jedenfalls wüsste ich keinen Grund, wegen dem ich nicht wieder zu dir kommen sollte. Wenn ich mich doch nur an das alles erinnern könnte, ich wäre doch schon viel früher zu dir zurückgekommen ..." Meine Gefühle für ihn würden sich doch nicht einfach so ändern, nur weil er irgendwas mit mir gemacht hatte, was auch immer. Schlimmstenfalls hatte er mit mir geschlafen und selbst dann wäre das bestimmt nicht gegen meinen Willen gewesen. "Ich will mich erinnern können", murmelte ich leise. "Ich will mich so unbedingt erinnern können. Woher soll ich denn wissen was du mit mir gemacht hast, wenn ich nichts von der Nacht mehr weiß?"
Sanft drückte Kiosuke mich an seine Brust und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. "Wenn du es willst, dann erzähle ich dir alles was ich darüber weiß und glaub mir, ich erinnere mich an die Nacht, als wäre sie erst gestern gewesen. Doch nur deswegen wollte ich dich mit aller Macht wiedersehen. Ich habe so lange auf dich gewartet ..." Das alles war so verwirrend. Meine Großeltern hatten doch auch behauptet, ich wäre der, auf den er gewartet hat, aber was meinten sie damit? Und warum war mein kleinerer Bruder gestorben? Das alles musste einen Grund haben, aber gerade vertraute ich Kiosuke einfach nur und liebte ihn über alles. Und irgendwie war ich mir so sicher, dass er mich auch liebte und alles, was ich mir bisher an Geschichte zurechtgelegt hatte, was mir so klar und deutlich erschien, war nur noch ein Märchen, was sich aus dem ganzen Kram erstellt hatte, obwohl mir noch immer Informationen fehlten.
Seine warmen Arme schienen mich in Watte zu packen und ich fühlte mich einfach nur unglaublich wohl. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte mich Kiosuke niemals wieder los lassen müssen. Seine weiche Stimme hüllte mich regelrecht ein und schon bald versank ich in dem, was er mir erzählte. Vor meinen geschlossenen Augen konnte ich Szenen erkennen, waren sie Erinnerungen oder nur ein Traum, den mir seine Stimme einbrachte? Genau sagen konnte ich es nicht, aber das war doch auch egal ... es war einfach nur schön.

Verwirrt sah ich den fremden Jungen an, der mit einem Mal in meinem Zimmer aufgetaucht war, auf dem Boden lag und bewusstlos war. Meine Güte, er wirkte wie das jüngere Ebenbild von Wataru, den meine Schwester bald heiraten sollte. Und damit nicht genug, er war unglaublich niedlich und süß. Sein weiches Gesicht, gerade wenn er schlief und dabei total entspannt aussah. Langsam streckte ich die Hand aus und legte sie auf seine Wange, was ihm ein leises Brummeln entlockte.
Schmunzelnd musterte ich die zarten Gesichtszüge und ließ meinen Blick über den zierlichen Körper gleiten. Schon früh war mir aufgefallen, dass ich an Frauen nichts finden konnte, was wohl damit zusammenhing, dass ich unter drei Schwestern groß geworden war, von der eine leider sehr früh einer Krankheit erlegen war. Ich hatte nichts gegen Frauen, sie waren wundervolle, fürsorgliche Wesen die Wärme ausstrahlten und einem das Gefühl von Heimat gaben, trotzdem sehnte ich mich eher nach dem zarten, weichen Körper eines Mannes, und zwar einem wie demjenigen, der hier vor mir lag und von meinen Gelüsten überhaupt nichts ahnte.
Wie konnte ich nur so fühlen? Wie konnte ich zulassen, dass jemand den ich überhaupt nicht kannte, in mir solche Gefühle auslöste? Bisher hatte ich meine Gefühle immer in Griff gehabt, konnte mich von den Männern die mich anzogen sehr gut fernhalten, aber bei ihm? Seufzend sah ich ihn an und glitt mit meinen Fingern über seine Lippen, die so weich und zart waren. Wie konnte ein Mann nur so zart sein? Liebevoll glitt ich mit den Fingern über seine Wangen und lächelte dabei glücklich. Ein Typ, der so niedlich war ... das war unglaublich süß, aber wer war er? Wo kam er her und warum war er auf einmal in meinem Bett?
Ich konnte nicht sagen, was mit ihm los war, woher er kam oder was hier nicht stimmte, aber bei dem Anblick war es mir im Grunde auch egal. Sanft glitt ich mit den Fingern über seinen Hals und musste bei dem leisen Seufzen lächeln, welches über seine zarten Lippen kam. Ob ich die mal berühren durfte? Was war denn nur los mit mir? Am liebsten hätte ich mich zu ihm gebeugt und ihn geküsst, aber ich wagte es nicht.
Mein Herz hämmerte wie wild in meiner Brust und das nur, weil er hier vor mir lag. Nicht einmal den Namen kannte ich, also was war mit mir los? Warum stellte ich mir keine Fragen darüber, wie er hier hergekommen war, oder wer er überhaupt war? Das alles schien für mich kein Stück zu zählen. Ich beugte mich zu ihm und spürte seinen Atem auf meiner Haut. Bei diesem Gefühl war es einfach um mich geschehen. Mit einem leisen Seufzen stellte ich meinen Kopf aus und beugte mich zu dem süßen Kerl, der vor mir lag, legte meine Lippen auf seine und schloss dabei meine Augen.
Einen Moment lang hielt ich den Kuss, bis ich spürte, wie der Junge unter mir sich rührte. Er war noch nicht alt, 13 oder 14 wenn überhaupt. Vielleicht war er noch jünger, aber ich war von ihm wie verzaubert. Unsicher sah ich ihn an, bestimmt war er wegen dem Kuss total durch den Wind, doch über seine Lippen huschte nur ein Lächeln. Einen Moment lang sah er mich an, dann legte er seine Hand in meinen Nacken und küsste mich erneut. Seufzend ließ ich mich auf den zarten Körper sinken und naschte immer wieder von den weichen Lippen. "Wie heißt du?", flüsterte ich zwischen zwei Küssen, die mir beinahe den Atem raubten. Schmunzelnd sah er mich an. "Aoki", wisperte er leise. Ich konnte mich kaum von den schönen Augen los reißen, spürte aber sehr schnell seine Lippen wieder auf meinen, was mir Schauer über den Rücken laufen ließ. Immer wieder kostete ich von diesen sündig zarten Lippen, die mich gefangen nahmen.
Wir vergaßen alles um uns herum, sogar die Zeit. Als er seine Augen schloss und kurz darauf einfach verschwunden war, fühlte ich mich einsamer als je zuvor. Ob er wiederkommen würde? Ich musste nur auf ihn warten ... jedenfalls würde ich jeden Tag hoffen, dass er bald wieder bei mir war und wir uns wieder küssen konnten. Vielleicht erfuhr ich dann auch endlich mehr von ihm, als nur seinen Namen, selbst wenn ich diesen niemals vergessen würde ... Aoki.


Benommen sah ich Kiosuke an und konnte kaum glauben, was er mir da erzählte. "Siehst du? Hätte ich dir von Anfang an gesagt, wie wir uns schon einmal trafen und das wir uns da ... geküsst haben, du wärst doch davon gelaufen." Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf und kuschelte mich an seine warme und starke Brust. "Nein ... du bist wirklich verrückt", flüsterte ich leise. "Wie sollte ich denn da böse auf dich sein können? Weißt du, wie sehr ich mich schon immer danach gesehnt habe, dich zu küssen? Ich kann mich an das alles nicht erinnern, umso mehr freue ich mich, dass du mir endlich davon erzählt hast. So kann ich wenigstens davon zehren, dass wir uns einmal geküsst haben und das beruhigt mich sehr." Innerlich fühlte ich eine unglaubliche Ruhe, einfach weil ich wusste, dass ich schon einmal von seinen Lippen kosten durfte. Es erfüllte mich mit Freude und Glück, was besonders bei mir eher selten war.
Erstaunt sah Kiosuke mich an. "Bist du denn gar nicht böse auf mich? Immerhin habe ich dich einfach so geküsst, oder mich von dir küssen lassen. Es tut mir leid, dabei kannte ich nicht einmal deinen Namen, so was gehört sich doch nicht", nuschelte ich leise. Ich merkte, wie sehr ihn das doch störte und in was für einer strengen Welt er groß geworden war. Sanft kuschelte ich mich an seine Seite und sah ihm in die Augen. "Du musst keine Angst haben, ich bin nicht böse auf dich", flüsterte ich mit leiser Stimme. "Ich bin froh, dass wir ... endlich darüber gesprochen haben. Damit lösen sich so viele Zweifel in mir auf, nur verstehe ich so vieles nicht. Was meinte meine Großmutter mit ihren Worten? Warum haben sie meinen Bruder geopfert? Ich begreife das nicht", murmelte ich leise, griff nach der zarten Hand und verschränkte meine Finger mit seinen. Es fühlte sich gut an ihn zu haben, nur alles, was ich mir bisher aufgebaut hatte, zerbrach in tausend Scherben.
Auch wenn es mir das Herz gebrochen hätte, es wäre endlich eine Erklärung gewesen. Nur die verlor ich auf einmal wieder. Auch wenn er in der Geschichte der Böse gewesen wäre, es hätte endlich ein Ende gefunden. Seufzend lehnte ich mich an seine Brust und genoss die Wärme, die von ihm ausging. Es war so schön ihn endlich bei mir zu haben und ihn spüren zu können, ohne einen Hintergedanken haben zu müssen. "Kiosuke? Wir müssen das alles noch einmal vollkommen neu aufrollen. Ich habe in einem Traum einen Mann gesehen, der im Garten kniete und unsere Familie verfluchte ... als ich noch dachte, du würdest Wataru lieben, da dachte ich du wärst das gewesen und würdest nur ihn in mir sehen, weil ich ihm so ähnlich bin."
Das einzugestehen war für mich nicht einfach, weil ich ihn bestimmt sehr damit verletzte. Sanft sah mich Kiosuke an und streichelte durch meine Haare. "Vermutlich wären mir die Gedanken auch gekommen", flüsterte er leise. "Wenn ich mir so anhöre, was du mitgemacht hast und was du für kleine Informationen bekommen hast ... mein Verhalten noch dazu, du musstest doch so ein Gefühl bekommen." Wie konnte ein Mensch nur so viel Verständnis haben und das, wo ich mich doch total daneben benommen hatte.
Erschöpft schloss ich meine Augen und atmete den zarten Geruch ein. "Aber wer war es dann? Wer war es, der meine Familie verflucht hat und soviel Böses für uns wollte? Er muss einen Hass auf die Männer der Familie gehabt haben", flüsterte ich leise. Seine Streicheleinheiten wurden immer mehr zu einem entfernten Gefühl. Einer Berührung, die ich nur noch wie durch Watte wahrnehmen konnte. "Ich weiß es auch nicht", hörte ich seine Stimme, als würde sie aus einer anderen Welt zu mir durchdringen. "Aber wir müssen endlich eine Antwort finden ... so kann es nicht weiter gehen, das musst du doch auch einsehen."
Das wusste ich doch. Ich wusste genau, wie viel für mich davon abhing ... auch wenn ich ihn dann wohl verlieren würde, ich spürte, wie dieses Haus mir immer mehr Kraft kostete, wie ich immer schwächer wurde und das ich es nicht mehr lange aushalten würde. Müde sackte ich in seinen Armen weg, um von einer warmen Dunkelheit in die Arme geschlossen zu werden.

 

Kapitel 13

 

Mein Körper fühlte sich an wie ein Stein, als ich wach wurde. So schwer, dass ich nicht einmal die Augen öffnen konnte. Aus dem Zimmer nebenan hörte ich Stimmen, auch wenn ich etwas brauchte, um sie zuordnen zu können. "Warum sagst du es ihm denn nicht endlich? Sieht doch ein Blinder, wie sehr du auf ihn stehst", hörte ich die warme Stimme von Yuta, der sich offenbar mit Jason im Raum nebenan unterhielt.
Meine Augen ließen sich noch immer nicht öffnen, was aber wohl auch nicht schlecht war. Wenn man den Eindruck erweckte, man würde noch schlafen, erfuhr man sehr viel mehr. Schwer seufzte Jason auf. "Was meinst du, wie oft ich schon mit dem Gedanken gespielt habe, Aoki endlich mal die Wahrheit zu sagen, aber das ist nicht so einfach. Du kennst ihn doch selbst, weißt du, wie schwer es ist, dem Kerl mal meine Gefühle zu beichten?" Gefühle? Für mich?
Mein Herz hämmerte schneller und ich leckte mir etwas über die trockenen Lippen. Das konnte doch nicht wahr sein. War er wirklich in mich verliebt und ich hatte es einfach nur nicht mitbekommen? So was sollte man doch merken, oder nicht? Yuta nickte ein wenig. "Wenn es darum geht, dass einer in ihn verliebt ist, dann ist Aoki ehrlich blind und das auf beiden Augen. Dabei ist es mehr als offensichtlich, dass du in ihn verliebt bist. Vielleicht passt das auch nicht zu dem, was er von dir kennt. Wenn ich dich so sehe ... du siehst eher wie der coole Amerikaner aus, der eben viel Sport macht und massenweise Mädchen abschleppt. Da würde wohl keiner auf die Idee kommen, dass du auf Männer stehst. Ist das denn schon länger so?" Warum war mir das nie aufgefallen? Ich schämte mich auf einmal sehr dafür, dass ich meinen besten Freund offenbar überhaupt nicht kannte. Dabei waren wir schon so lange Freunde, hätte mir das nicht mal ins Auge springen müssen? Mir war nicht einmal in den Kopf gekommen, dass er auf Männer stehen könnte.
Ich konnte Jason lachen hören und fand es beinahe bewundernswert, dass er noch immer so viel Kraft hatte, das alles auf die leichte Schulter nehmen zu können. "Ich stehe schon so lange auf Typen, ich kenne mich gar nicht anders als schwul. Meinen ersten Freund hatte ich, da war ich 13 ... aber das hielt nicht lange und bald darauf lernte ich dann auch Aoki kennen. Am Anfang waren wir wirklich nur Freunde, aber dann wurden meine Gefühle für ihn immer schlimmer, und ich konnte meine Sehnsucht kaum kontrollieren. Ich bin froh, dass ich das alles mittlerweile im Griff habe. Du hast ihn doch gehört, was auch immer das ist, was in den letzten Tagen mit ihm passiert, er hat sich total in diesen Kerl verliebt. So habe ich ihn noch nie erlebt ... es tut weh, aber auf der anderen Seite freue ich mich auch für ihn, weil er doch noch nie so verliebt war."
Langsam rappelte ich mich auf und hatte Tränen in den Augen. Wie lange schwärmte ich für diesen Idioten? Und jetzt wollte er mir sagen, er sei in mich verliebt und ich war einfach nur zu dumm, um das zu bemerken? Meine Knie waren weich, ich konnte nicht einmal sagen woher. Unsicher tapste ich in den Nebenraum und musterte die beiden jungen Männer etwas. Als mich Jason bemerkte, wurde er hochrot um die Nase. "Du bist wach? Wie viel hast du denn mitbekommen, von dem was ich eben erzählt habe?", murmelte er leise.
Schmunzelnd sah ich ihn an. "Mehr als dir lieb sein sollte. Warum hast du denn nie etwas gesagt? Ich meine ... du hättest doch einfach mal sagen können, dass du auf mich stehst, oder nicht?" Beschwerte ich mich nun auch noch? Dabei hatte es Jason mit mir doch schon schwer genug. Seufzend fuhr der sich durch die Haare. "Du liebes bisschen ... du weißt ehrlich mehr als mir lieb ist, damit hast du wohl recht", beschwerte er sich leise. "Was kann ich denn dafür, wenn ich mich in dich verliebe? Und du? So was wäre dir doch nie in den Kopf gekommen, oder? Was sollte ich da sagen? Du hast mich doch nie mit den Augen gesehen, wie du andere Männer ansiehst."
Warum musste das denn gerade jetzt kommen? Gerade, wo ich mich doch endlich an Kiosuke mehr herantraute und wir uns näherkamen? Seufzend senkte ich meinen Blick. "Ich habe wirklich lange für dich geschwärmt, was denkst du denn, warum ich zu jedem deiner Spiele gekommen bin? Nur aus Spaß? Ich habe dich durchaus mit diesen Augen gesehen und habe mir vorgespielt, wie es sein könnte, mit dir zusammen zu sein ... aber wenn ich ehrlich bin, dann waren das für mich immer nur ein Traum. Ich habe mir das immer nur vorgestellt, aber nie mit dem Gedanken gespielt, dass es Realität werden könnte. Und ich habe nicht mal was bemerkt", murmelte ich leise.

Yuta räusperte sich leise. "Ich denke das solltet ihr lieber mal alleine klären. Außerdem muss ich eh zur Arbeit", meinte er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, legte mir eine Hand auf die Schulter und sah mich mir für ein paar Sekunden tief in die Augen. Ich ahnte, was er mit damit sagen wollte. "Gut, dann viel Spaß auf der Arbeit", murmelte ich noch leise und ließ meinen Freund dann gehen. Offenbar wollte er schon, dass ich Jason eine Chance gab, nur warum kam das alles gerade jetzt auf, wo ich doch meine Gefühle für Kiosuke entdeckt hatte, die mich selbst total überrannt hatten.
Jason fuhr sich durch die blonden Haare und lächelte etwas. "Tja, jetzt ist das alles raus. Dabei wollte ich nie mit dir darüber reden", murmelte er leise. Seufzend setzte ich mich auf einen Stuhl und sah ihn an. "Warum wolltest du mir das denn nie sagen? Du weißt doch gar nicht, wie ich darauf reagiere, wenn du mir das sagst. Besonders weil du doch immer wusstest, dass ich auf Männer stehe", meinte ich leise. Das alles war verwirrend, aber irgendwie war ich auch froh, dass Jason ehrlich mit mir über das Thema sprach.
Der lächelte schüchtern und zuckte mit den Schultern. So hatte ich ihn wirklich noch nie gesehen, was mich schmunzeln ließ. Wann war er das letzte Mal so schüchtern? Das hatte ich noch nie so erlebt. Nervös fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen und ich konnte sogar sehen, wie seine Hände zitterten. Jetzt ergab das alles auch Sinn, als er mir einen runtergeholt hatte ... was jetzt in meinen Augen einen ganz anderen Stellenwert bekam. "Und? Ich stehe nun mal schon lange auf dich, aber wir sind auch Freunde und ich wusste, dass du in mir nie mehr als einen Freund gesehen hast. Ich wollte dich nicht verlieren, nur weil meine Hormone Achterbahn fuhren. Ich liebte dich und wollte dich als guten Freund nicht auch noch hergeben müssen. Weißt du, was für eine Angst ich hatte? Wenn ich dich komplett verloren hätte ... ich wäre wahnsinnig geworden."
Irgendwie konnte ich ihn ja verstehen und es tat mir leid, dass ich ihm solche Sorgen machte. Und dann war da ja auch noch die Sache mit Kiosuke, was es ihm bestimmt nicht einfacher machte. Ich erzählte ihm von meinen Gefühlen für einen anderen Mann, gegen den er nicht einmal richtig kämpfen konnte. Eine warme Welle an Zuneigung für meinen besten Freund überkam mich und ich nahm ihn einfach fest in den Arm, drückte ihn an mich und streichelte durch seine Haare. Was musste ich ihm nur zugemutet haben?
Sanft legten sich seine Arme um mich herum, ehe er anfing leise zu lachen. "So weit ist es also jetzt mit mir gekommen, dass du schon Mitleid mit mir hast? Nur weil ich in dich verliebt bin und du in diesen Kiosuke? So was kann man eben nicht ändern", murmelte er leise, während er sich mit der Stirn an meine Schulter lehnte. Ruhig streichelte ich durch seine Haare, ehe ein schweres Seufzen über meine Lippen kam. "Das ist kein Mitleid ... ich fühle mich einfach nur schrecklich, weil ich dir so viel angetan habe und es nicht einmal bemerkt habe. Ich weiß, wie es ist, wenn man jemanden liebt und diesen nicht erreicht. Kiosuke und ich ... egal was wir füreinander fühlen, wir haben doch keine Chance miteinander", flüsterte ich leise.
Bestimmt verletzte es ihn, wenn ich so offen darüber sprach, aber es war doch nun mal so. Wir zwei würden niemals ein Paar werden, egal wie sehr ich dann auch unter Liebeskummer leiden würde. Ich konnte nur hoffen, dass Jason mich jetzt nicht im Stich ließ, auch wenn ich von seinen Gefühlen wusste. "Lass mich bitte nicht alleine", flüsterte ich leise. "Ich weiß, in meiner Nähe zu sein muss sehr schwer für dich sein, aber ich habe furchtbare Angst dich jetzt zu verlieren, weil du es mit mir nicht mehr aushältst ... ich muss doch zur Last werden für dich, oder nicht?"
Beruhigend schüttelte er den Kopf. "Ich komme schon damit klar, ich will dich nur nicht als Freund verlieren", murmelte er leise. Davor hatte ich auch Angst, sehr sogar. "Wir schaffen das zusammen schon irgendwie", flüsterte ich und kuschelte mich an ihn. Das alles war zu viel für mich. Auf der einen Seite mein bester Freund, den ich nicht enttäuschen wollte und den ich doch irgendwie auch mochte ... aber Kiosuke?
Sanft drückte mich Jason von sich und lächelte mich an. "Reden wir einfach nicht mehr darüber. Ich komme damit schon klar, du solltest dir mehr Gedanken über dich machen und ich will dir ja auch helfen", flüsterte er leise. Ich bewunderte ihn für seine Stärke und konnte nur hoffen, dass ich ihn mit meinen Gefühlen, nicht in Schwierigkeiten brachte. Ein wenig nickte ich ... konnte aber nur hoffen, dass auch alles gut ging und wir wirklich Freunde bleiben konnten.

Leise räusperte sich Jason wieder, offenbar brauchte er ein wenig um Haltung zu bewahren und sie auch wiederzufinden. "Jedenfalls ... du warst ja nun ein paar Stunden weggetreten, übrigens blutest du schon wieder ..." Er kramte nach einem Taschentuch und hielt mir dies an die Nase. "Bist du ein wenig schlauer geworden?"
Wollte er das wirklich wissen? Ich scheute mich etwas davor, mit ihm offen über alles zu reden und ihm von den Gefühlen zu erzählen, die sich zwischen Kiosuke und mir entwickelten. Wir standen uns so nahe, wie sollte er damit umgehen? Schüchtern erzählte ich ihm dann doch von allem. Von den Gefühlen die ich für Kiosuke hatte, von unserem ersten Treffen an das ich mich nicht mehr erinnern konnte, aber auch von der Tatsache, dass ich offenbar nachts durch das Haus wanderte und dann in den Mond starrte. Von dem Verdacht, er wäre derjenige gewesen, der uns verflucht hat und von dem, was meine Großmutter erzählt hatte.
Schweigend hörte Jason mir die ganze Zeit über zu, während er offenbar darüber nachdachte, was das alles zu bedeuten hatte. Ich selbst konnte das alles nicht mehr zusammensetzen, weil es mir über den Kopf wuchs. Selbst wenn ich mir jetzt sicher war, dass Kiosuke nichts damit zu tun hatte, das seine Gefühle für mich echt waren und er wirklich auf mich gewartet hatte ... irgendwer musste dahinter stecken, ich verstand nur nicht wer.
Jason fing an zu grübeln und sah mich dann neugierig an. "Bist du dir sicher, dass du im Garten einen Mann gesehen hast?", wollte er von mir wissen. Blinzelnd sah ich ihm in die Augen und musste noch einmal über die Szene nachdenken, die ich dort gesehen hatte. "Ich bin mir schon sehr sicher ... Also es war Nacht und es war nur der Mond am Himmel ... viel sehen konnte man da natürlich nicht. Was geht dir gerade im Kopf herum?"
Unsicher zuckte Jason mit den Schultern. "Nun, vielleicht steckt gar kein betrogener Mann dahinter. Sehen sich dein Kiosuke und seine Schwester denn sehr ähnlich? Vielleicht ist es gar kein Fluch, der auf deiner Familie liegt." So viele Menschen wie daran gestorben waren und er wollte es nicht Fluch nennen? Benommen musterte ich meinen besten Freund, der beruhigend seine Hände hob. "Also, ich habe mich vorhin mit Yuta unterhalten, nicht nur über dich, sondern auch über dein Verhalten und wie du dich in der Nacht so benimmst. Dummerweise habe ich einen ganz schön festen Schlaf, darum habe ich nie mitbekommen, wenn du draußen herumgewandelt bist, aber er scheint das nun schon ein paar Nächte lang beobachtet zu haben. Du schlafwandelst ... und zwar so wie dieser Schatten, den wir einmal im Haus gesehen haben."
Nervös kratzte ich mir an der Wange und musste lächeln. "Ich habe das ja selbst nicht mitbekommen. Als Yuta mir das erzählt hat, bin ich aus allen Wolken gefallen", nuschelte ich leise. Jason musste grinsen und ich war immer noch erstaunt, dass er so gut mit der Situation umging und offenbar noch immer mir helfen wollte. Schmunzelnd wuschelte er mir durch die Haare, ehe er mit seiner Theorie weiter machte. "Gut, wir wissen ja nun, dass du schlafwandelst und ich gehe davon aus, dass du von deinem Ahnen besessen bist. Gehen wir doch mal von der Theorie aus, dass du damit nicht der Einzige bist! Was, wenn die Schwester von Kiosuke dahinter steckt? Wenn sie vielleicht dahinter steckt. Ich weiß nicht wie, oder in welcher Form, aber möglich wäre es doch, meinst du nicht? Was da oben auf dem Dachboden ist, weiß ich auch nicht, wir sollten trotzdem mal dort hochgehen. Wenn seine Schwester den Schlüssel versteckt hat, dann muss dort oben irgendwas sein, was damit zu tun hat."
Benommen sah ich ihn an, denn darüber, dass Kiosukes Schwester damit etwas zu tun haben könnte, habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. "Ich müsste noch einmal mit Kiosuke reden", flüsterte ich leise. "Aber ... ich weiß auch nicht, irgendwie kommt das doch doof, wenn ich ihn frage, ob seine Schwester, die ihm wirklich sehr viel bedeutet, unsere Familie verflucht hat. Vor allem verstehe ich gar nicht, warum sie so etwas tun sollte! Das macht doch keinen Sinn ..." Was sollte Akane damit zu tun haben? "Am liebsten würde ich sofort zu ihm gehen und mit ihm darüber reden", murmelte ich leise, doch dann kam mir etwas in den Kopf, was Kiosuke und ich gleich am ersten Abend abgemacht hatten, wo ich aber noch nie nachgesehen habe.

Mit zitternden Knie erhob ich mich und tapste zu der losen Diele die Kiosuke gefunden hatte. Jetzt musste ich diese nur noch öffnen, vielleicht hatte er in den ganzen Jahren Dinge entdeckt, über die Kiosuke selbst noch nichts wusste. Schweigend beobachtete Jason mich, griff mir dann aber doch unter die Arme, weil ich keinerlei Kräfte mehr hatte.
Mein Körper fühlte sich leer an und ich spürte, die Reisen zu Kiosuke würden nicht mehr lange zu machen sein. Ich würde es einfach nicht aushalten, weil mein Körper immer schwächer wurde und meine Gesundheit immer mehr angegriffen wurde. Immer wenn ich von Kiosuke zurückkam, hatte ich Nasenbluten, so was musste doch zusammenhängen. Neugierig griff mein bester Freund unter diese Diele und holte ein paar Zettel hervor. "Was ist das denn?", murmelte er leise. "Ich meine, was hast du denn da mit dem Kerl abgemacht?"
Mit roten Wangen griff ich die Zettel und räusperte mich leise. "Kiosuke wollte aufschreiben, wenn er in seiner Zeit etwas entdeckt, von dem ich nichts weiß. Allerdings habe ich das nach den ganzen Reisen zu ihm, einfach wieder vergessen und habe nicht mehr daran gedacht. Da steht alles drin, was er weiß und wenn das jetzt die Lösung von allem ist, hasse ich mich dafür." Zitternd überflog ich die Briefe die mir Kiosuke geschrieben hatte und konnte kaum glauben, was ich da las. Unsicher legte mir Jason eine Hand auf die Schulter. "Was ist denn los mit dir? Du bist auf einmal total bleich ... Hey? Ich mache mir Sorgen um dich!" 
Ich konnte gar nicht so reagieren, wie ich wollte. Mein Körper fühlte sich auf einmal sehr langsam an, meine Gehirnwindungen schienen nicht mehr arbeiten zu wollen, und das, obwohl eben noch alles klar war. Benommen griff ich nach Jasons Hand, mir fielen die Briefe aus der Hand und ich spürte, wie ich von irgendwas ergriffen wurde. Ein Gefühl, wie ich es noch nie zuvor gehabt hatte, aber es ließ mich nicht mehr los. Flehend sah ich Jason an, der an mir rüttelte und auf mich einzureden schien, nur verstand ich keines seiner Worte.
Ich sah, wie sein Mund sich bewegte, konnte aber nichts davon zusammensetzen. So schwer, wie mein Körper sich gerade anfühlte, konnte ich mich nicht einmal mehr auf den Beinen halten und sackte erschöpft in mir zusammen. Eine warme Hand legte sich auf meine Wange, und als ich den Blick anhob, sah ich direkt in die Augen meines Ahnen, der mich verzweifelt und flehend ansah. War es das, was mit mir passierte, wenn er die Kontrolle über mich hatte? Unsicher sah ich ihm in die Augen, doch er lächelte etwas, wenn auch müde und erschöpft. Es war das Letzte, was ich sah, ehe ich in mir zusammensackte.

Kapitel 14

 

Es fiel mir schwer überhaupt Luft zu bekommen, als ich meine Augen öffnete. Eine schwere Last lag auf meiner Brust, die ich gar nicht wegbekam und die mich offenbar lähmte. Mein Körper schien sich von alleine zu bewegen und gehörte wohl gar nicht richtig zu mir, was in mir ein sehr seltsames Gefühl auslöste. "Kiosuke? Schön dich wiederzusehen, in den letzten Wochen habe ich nur selten Zeit für dich", hörte ich eine fremde Stimme, die ich noch nie gehört hatte und die meiner doch sehr ähnlich war. Mein Blick fiel auf den jungen Mann, der deutlich jünger war, als ich ihn kennengelernt hatte. Unsicher stand er da, ehe er sich durch die Haare fuhr. "I-Ich wollte noch einmal mit dir reden, Wataru. Ich weiß, du hast um die Hand meiner Schwester angehalten, aber bist du dir sicher, dass du sie heiraten willst?"
Ich konnte den erstaunten Blick meines Körpers richtig vor mir sehen. Wie kam ich hier raus? Wollte ich das alles überhaupt sehen? "Was meinst du denn jetzt damit? Akane ist eine wundervolle Frau, sie ist liebevoll und deine Familie hat einen guten Ruf in der Gegend. Warum sollte ich sie denn da nicht heiraten?" Unsicher zuckte Kiosuke mit den Schultern. "Es ist nur komisch ... du weißt, dass ich diesen Jungen hier getroffen habe und er war dir so ähnlich. Und jetzt willst du heiraten", murmelte er leise. Wir hatten uns schon gesehen?
Sofort hämmerte mein Herz schneller, während ich spürte, wie ein tiefes Seufzen über meine Lippen kam. "Kommst du schon wieder mit diesem Thema? Kiosuke, du hast geträumt. Es hat diesen Jungen nie gegeben und du solltest auch lieber für dich behalten, dass du dich für junge Männer interessierst und nicht für Frauen. So was ist nicht salonfähig und keiner sollte davon erfahren, nicht einmal deine Schwester." Langsam ging der Körper, in dem ich steckte, auf Kiosuke zu, der betreten da stand und sich offensichtlich schrecklich fühlte. "Es war aber so", murmelte er leise. Was für Kämpfe hatte er in der ganzen Zeit austragen müssen?
Dagegen fiel es mir beinahe leicht, mit Jason darüber zu sprechen. "Selbst wenn du das glaubst und ich nun mal eher davon ausgehe, dass du einen schlechten Traum hattest ... du solltest mit keinem darüber reden", meinte die Stimme ruhig und Wataru, in dessen Körper ich offenbar gerade steckte, legte eine Hand auf seine Schulter. "Kiosuke, ich mag dich wirklich sehr, darum unterstütze ich dich bei deiner Arbeit als Autor und wo ich kann. Aber es gibt nun mal Dinge über die du mit niemandem sprechen kannst, hörst du? Nicht einmal mit Akane ... ich will nicht, dass du ihr diese Flausen in den Kopf setzt. Du weißt, wie zerbrechlich sie ist."
Betreten nickte Kiosuke. "Ich mache mir doch auch große Sorgen um sie, deswegen bin ich doch zu dir gekommen ... In letzter Zeit mache ich mir Gedanken um ihren Zustand. Die zu erwartende Ehe mit dir tut ihr gut, sie lebt auf und wirkt trotzdem manchmal sehr in sich gekehrt", murmelte er mit zitternder Stimme. Schon immer hatte er sich große Sorgen um seine Schwester gemacht. Wataru lächelte, das konnte ich spüren. "Hab keine Angst, ich werde Akane auf Händen tragen, da musst du dir keine Sorgen machen. Es ehrt dich, wie viele Gedanken du dir um sie machst, aber sie ist bei mir in Sicherheit, genau wie du. Ansonsten hättest du mir doch nicht erlaubt, dass ich sie heirate, oder?"
Lächelnd nickte Kiosuke. "Ich weiß ... ich wollte nur noch einmal mit dir darüber reden und dir sagen, dass du wirklich auf sie aufpassen musst."
Beruhigend nickte der Körper, von dem ich gerade besessen war und ich spürte, wie ich mich von ihm löste. Langsam schien ich wieder Kontrolle über meinen eigenen Körper zu bekommen, der zwar noch immer nicht mir gehörte, aber das war wohl auch nicht weiter wichtig. Ich fühlte mich als wäre ich nur noch ein Schatten, der in dem Raum schwebte und einen kurzen Moment nur damit beschäftigt war, die beiden zu beobachten, ehe das Bild vor meinen Augen verschwamm und ich in mir zusammensackte.

Warme Arme fingen mich auf, als ich spürte, wie der Boden unter mir nachgab. Erstaunt sah ich in die Augen von Kiosuke, der mich blinzelnd ansah. "Also auf diese Art und Weise bist du hier auch noch nie aufgetaucht", murmelte er leise. Gott sei Dank, endlich war ich bei ihm und konnte mit ihm über alles sprechen, was ich erfahren hatte. "I-Ich glaube ich weiß jetzt, was hinter alldem steckt und was dieser Fluch überhaupt beinhaltet."
Verwirrt sah mich Kiosuke an, ehe er den Kopf schief legte. "Also gut, wenn du es weißt, dann kannst du ja jetzt mit mir darüber reden", meinte er mit einem warmen Lächeln, während er mich weiter an seine Brust presste. "Kiosuke? Deine Schwester ...", fing ich leise an. "Ist sie dir sehr ähnlich?" Etwas verwirrt mustert mich der junge Mann, ehe ein Lächeln über seine Lippen huschte. "Nun, man sagt wohl schon, dass wir uns sehr ähnlich sind. Manche dachten sogar wir wären Zwillinge, aber das liegt wohl eher daran, dass ich sehr weibliche und feminine Züge habe und nicht daran, dass meine Schwester nicht wie eine Frau wirkt. Aber warum fragst du?"
Seufzend senkte ich meinen Blick. "Ich habe dir doch von dem Traum erzählt, oder? Davon, dass ich jemanden im Garten gesehen habe ... jemanden, der meine Familie verflucht hat, aus welchen Gründen auch immer." Kiosuke nickte. "Daran erinnere ich mich, aber ... du willst mir doch jetzt nicht sagen, das wäre meine Schwester gewesen! Warum sollte sie so etwas tun? Sie liebt Wataru und leidet sehr darunter ihn so krank zu sehen, besonders seit sie sein Kind unter ihrem Herzen trägt."
Entsetzt und ungläubig schüttelte er den Kopf. "Nein, meine Schwester, hat damit nichts zu tun. Sie würde niemals jemandem ein Leid zufügen und schon gar nicht dem Mann, den sie so sehr liebt." Menschen waren in der Lage genau den Menschen am meisten wehzutun, die sie eigentlich so sehr liebten. "Du weißt, ich sehe deinem Schwager sehr ähnlich ... er sucht Hilfe bei mir, weil er ständig in meiner Zeit auftaucht, von mir Besitz ergreift und offenbar meinen Körper nutzt, um durch meine Zeit zu laufen. Eben wollte er mir irgendwas zeigen ... Du hast davon gesprochen, ob er sich sicher sei Akane zu heiraten und das sie zerbrechlich sei."

Erstaunt blinzelte Kiosuke. "Ja, so eine Unterhaltung gab es. Kurz danach hat er Akane vor den Altar geführt ... ich hing noch immer sehr an dir und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, weil ich ja nicht sagen konnte, ob du zu mir zurückkehren würdest." Offenbar verstand er nicht, worauf ich hinaus wollte. Vermutlich hätte ich es selbst nicht verstanden, wenn mir das alles nicht auf einmal so klar vor Augen liegen würde. "Bist du dir sicher, dass bei unserem ersten Treffen keiner dabei war? Dass keiner uns gesehen hat?"
Kiosuke war vollkommen verwirrt, was man ihm deutlich ansah, doch dann wurde er blass. "Du ... du meinst Akane hat das alles gemacht, weil sie dachte, ich hätte Wataru geküsst? Sie dachte ich wäre verrückt, als ich ihr von dir erzählte, den Kuss habe ich natürlich mit keinem Wort erwähnt, warum sollte ich auch ... es gab keinen Grund dazu. Sie hat mir immer wieder gesagt, es wäre albern und es hätte niemals jemanden gegeben, der aus einer anderen Zeit zu uns gekommen ist ... Aber wenn sie gesehen hat, was wir in der Nacht getan haben und sie hat dich für Wataru gehalten ..."
Seufzend nickte ich. "Und wenn ihr euch wirklich so ähnlich seid, würde das auch erklären, warum ich sie mit dir verwechselt habe und am Anfang dachte, du hättest den Fluch über unsere Familie gelegt. Es kann doch gut sein, dass sie mich mit Wataru verwechselt hat und jetzt denkt, du hättest mit ihm eine Affäre. Wenn sie dich und ihn in der Nacht beobachtet und gar nicht schläft, so wie man jetzt denkt, dann könnte sie besonders in letzter Zeit denken, du hättest wieder was mit ihm. Du hast ja sogar auf mich den Eindruck gemacht, als hättest du dich in Wataru verliebt."
Ein Thema, über das ich noch immer nicht gerne sprach, aber es war so. Ich war davon ausgegangen das Kiosuke auf Wataru stand, alleine, weil er mich ständig mit dem Kerl verglich. Beruhigend schüttelte er den Kopf. "Nein, ich habe keinerlei Gefühle für meinen Schwager, was Akane aber wohl nicht ahnen kann. Wie sollte sie auch? Ich muss mit ihr reden", murmelte er leise und war total durch den Wind.
Ein Gefühl wie eine eisige Hand griff nach meinem Herzen. Scheu streckte ich meine Hand nach ihm aus und hielt ihn fest. "M-Muss das denn sein? Was, wenn du nicht mit ihr sprichst? Ich meine, wir sind uns nicht sicher, ob sie diesen Fluch wirklich freigesetzt hat." Tränen brannten in meinen Augen, denn das war gelogen. Ich wusste es ... Akane hatte alles zugegeben und Kiosuke hatte mir einen Brief geschrieben, in dem er sich für das Verhalten seiner Schwester entschuldigte.
Tatsächlich hatte sie mich und Kiosuke bei meinem ersten Besuch in seiner Zeit beobachtet und mich für ihren zukünftigen Ehemann gehalten. Aus Eifersucht und in dem festen Glauben ihr Bruder und ihr Mann hätten eine heimliche Affäre, verfluchte sie in schwangerem Zustand meine Familie. Jeden Mann in meiner Familie belegte sie mit diesem Fluch, in der Hoffnung das keiner von uns einer Frau jemals wieder wehtun könnte. Vielleicht übernahm sie manchmal sogar die Körper meiner Ahnen, um ihre Männer mit eigener Hand zu töten, wer konnte das schon so genau sagen.
Beruhigend streichelte Kiosuke mir über den Rücken. "Wenn Akane wirklich etwas damit zu tun hat, muss ich sie aufhalten", flüsterte er leise. "Ich muss ihr sagen, wie es tatsächlich war, auch wenn sie mir wohl nicht glauben wird." Tränen brannten in meinen Augen und verzweifelt krallte ich mich an ihn.
Was war denn nur los mit mir? Ich wollte Kiosuke nicht hergeben und doch spürte ich eine Macht, die mich wieder in meine Welt ziehen wollte. "Ich liebe dich", flüsterte ich mit zitternder Stimme. Sanft legte er seine Hand unter mein Kinn und zwang mich dazu ihm in die Augen zu sehen. "Wir haben die Lösung gefunden, oder?", flüsterte er leise. "Sie war es wirklich und du weißt es. Meine Schwester war schon immer sehr labil, wenn es um ihre Gefühle ging ... ich fürchte schon, dass du mit deiner Theorie recht hast ... und das wiederum bedeutet, dass wir uns nicht wiedersehen werden, oder?" Benommen und am ganzen Körper zitternd, nickte ich.
Es brach mir das Herz und ich wollte ihn auf keinen Fall verlieren. Durften wir denn nicht zusammen sein? Mein Herz krampfte sich mit jedem Schlag mehr zusammen. "Ich liebe dich auch", hörte ich die warme Stimme von Kiosuke direkt an meinem Ohr. Er beugte sich zu mir und ich spürte seine Lippen auf meinen. Mit großen Augen starrte ich ihn an, verlor mich dann aber in dem zarten Kuss und lehnte mich an seine Brust. Beruhigend streichelte er über meinen Rücken, naschte von meinen Lippen und ich spürte, wie ich mich immer mehr in seinen Kuss ergab. Das konnte doch alles nur ein Traum sein, so schön hatte sich noch nie ein Kuss angefühlt.

Kapitel 15

 Sanft wurde ich in starken Armen gehalten, an die ich mich krallte. Wie lange ich nun schon weinte, ich konnte es selbst nicht genau sagen. Wimmernd hielt ich mich an Jason fest, der mich die ganze Zeit über nur in seinen Armen hielt und sanft über meinen Rücken streichelte. "Alles ist gut, ich bin doch bei dir", flüsterte er leise, ehe er immer wieder zu dem Brief linste.
Zitternd griff ich danach und schluckte etwas. "I-Ich kann ihn dir vorlesen", flüsterte ich leise und Jason nickte etwas. Immerhin wollte er auch wissen, was hier nun los war, und was es mit der Sache hier auf sich hatte. Solange wie er mich nun schon begleitete, war ich ihm das einfach schuldig.

Mein lieber Aoki!

Ich wollte dir im ersten Moment nicht glauben. Jemand wie meine Schwester konnte doch so einen Fluch nicht verschulden! Sie war eine so sanfte und zarte Person, ich wollte nicht glauben, dass sie hinter der ganzen Sache stecken sollte. Aus dem Grund suchte ich das Gespräch mit ihr, auch wenn ich wusste, wie sehr du dagegen warst.
Wir werden uns wohl nicht wiedersehen, dabei habe ich jede Minute mit dir genossen, auch wenn sie viel zu wenig und viel zu selten waren. Akane sprach mit mir darüber, dass sie uns in unserer ersten gemeinsamen Nacht gesehen habe. Tatsächlich ist sie vollkommen davon überzeugt, ich hätte ihren zukünftigen Mann geküsst, warum sollte sie mir auch glauben, dass ich mit dir zusammen war und nicht mit Wataru? Sie war außer sich und ich machte mir große Sorgen um sie und ihr Kind.
Ich weiß jetzt, was ich nie für möglich gehalten habe. Es war meine Schwester, die diesen Fluch über deine Familie aussprach und damit auf Nummer sicher gehen wollte, dass niemals ein Mann seiner Frau wieder so weh tun könnte. Dafür war sie sogar bereit Kinder zu töten. Wie oft ich ihr erzählt habe, dass ich nun mal nicht mit Wataru zusammen war, sondern mit dir, sie wollte mir nichts von alldem glauben. Ich erzählte ihr sogar davon, dass ich mich ja noch mit dir traf, nachdem ihr Mann schon krank im Bett lag und keinerlei Chancen oder Möglichkeiten mehr hatte das Bett zu verlassen.
Ob sie mir am Ende glaubte, weiß ich nicht. Ich war nicht sehr nett zu ihr und warf ihr viele Dinge an den Kopf. Sie habe den Tod von vielen unschuldigen Menschen verschuldet, ob ich Akane damit erreicht habe oder nicht, kann ich nicht genau sagen.
Es tut mir leid.
Ich bereue nicht eine Sekunde, die ich mit dir verbracht habe, doch wenn wir uns nicht so sehr lieben würden, vermutlich wäre das alles niemals passiert. Ich hoffe, dass wir uns noch einmal sehen, doch ich weiß, es wird nur ein Traum bleiben. Diesmal bist du für immer gegangen ...


Tränen liefen über meine Wangen, ich musste nach jedem zweiten Satz eine Pause machen, da mir mein Schluchzen den Atem raubte. Was war denn nur los mit mir? Jason nahm mir den Brief aus der Hand und überflog die Zeilen, ehe er blass wurde. "I-Ist dir schon mal aufgefallen, dass auf dem Papier Blutflecken sind?"
Panisch griff ich nach dem Zettel und überflog die Zeilen noch einmal, bemerkte aber erst jetzt die winzigen Spritzer. "W-Was hat das zu bedeuten?", flüsterte ich leise. Jason zuckte mit den Schultern, hatte aber ebenfalls eine Theorie, was es mit dem Brief und dem Verhalten meiner Großmutter auf sich hatte. "Wenn schon jemand vor dir diese Briefe gefunden hat, dann weiß man das Kiosuke hier auf jemanden gewartet hat. Vermutlich wollte man deswegen, dass du nicht zu ihm kommst. Sie alle wussten, was hier los ist und konnten es trotzdem nicht aufhalten, weil er dich treffen musste!"
War das alles Schicksal? "Nein, sie können davon nichts gewusst haben", murmelte ich leise. "Dieses Versteck war unberührt, das musst du doch auch bemerkt haben. Hier war noch keiner außer uns, also müssen sie anders erfahren haben, dass ich etwas mit Kiosuke zu tun habe, und dass er auf mich wartet."
Aber wie? Meine Großmutter wusste davon, also musste es doch eine Verbindung geben, oder nicht? Mir wuchs das alles über den Kopf und ich spürte, dass da noch etwas war, was wir übersehen hatten. Eine Art ... Verbindung zu meinen Großeltern, von der ich bisher noch nichts wusste. Durch Akane und ihre Eifersucht war jeder Mann gestorben, vermutlich in der Angst, dass Kiosuke und ich uns treffen würden. Ich sah ihm zum Verwechseln ähnlich, vielleicht war ich seine Wiedergeburt und sie wollte mit aller Macht verhindern, dass Kiosuke und ich uns treffen.
Wie konnte man nur so grausam sein und nicht einmal einer wiedergeborenen Seele den Kontakt zu jemandem erlauben? Wir liebten uns, aber ich war doch nicht mehr ihr Mann ... wenn ich denn seine Wiedergeburt war. Jason streichelte über meine Wange, erhob sich dann aber wütend und stapfte aus dem Zimmer. Als es im Nebenraum laut knallte, zuckte ich zusammen. "W-Was machst du denn da?"
Langsam erhob ich mich und folgte ihm, fühlte mich dabei noch immer schwach, aber ich musste doch sehen, was er gemacht hatte.
Als ich das erkannte, hob ich eine Augenbraue an. "Meinst du das ernst? Du hast die Schatulle an die Wand geworfen?" Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Schmunzelnd zuckte Jason mit den Schultern. "Die braucht ja wohl keiner mehr, oder? Da ist der Schlüssel zum Dachboden drin, und ich will endlich wissen, was hier los ist!"
Ich konnte ihn doch verstehen, trotzdem fand ich das alles etwas brutal. Seufzend hob ich auf, was aus der Schatulle gefallen war. Ein kleiner, silberner Schlüssel, der offenbar das Schloss oben am Dachboden verschloss. "Also gut, dann gehen wir eben mal auf den Dachboden", murmelte ich leise.
Mir war schlecht, weil ich nicht wusste, was mich dort oben erwarten würde. Unsicher hielt ich mich an Jason fest, der mich sanft ansah. "Willst du wirklich dort hoch, oder soll ich lieber gehen? Wenn du dich nicht traust, dann ..." Doch ich schüttelte sofort den Kopf. Ich musste das jetzt zu Ende bringen, so weit, wie ich gekommen war.
Diese Briefe ... hätte ich es nicht vergessen, wären wir vermutlich viel früher hinter alles gekommen, aber vielleicht musste ich die Zeit mit Kiosuke verbringen, um überhaupt alles zusammensetzen zu können. Jede Sekunde mit ihm hatte ich genossen und ich fühlte mich, als würde man mir einen Teil aus der Brust reißen, nur weil wir uns jetzt nicht mehr sehen konnten. Ich musste den letzten Schritt auch noch tun, irgendwie war ich es ihm schuldig.
Auch wenn ich zitterte, fühlte ich mich, als hätte ich keine andere Wahl. Ich musste es hinter mich bringen und beobachtete, wie Jason das Schloss öffnete und die Leiter herunter ließ. Ruhig sah er mich noch einmal an. "Bist du dir sicher, dass du das willst? Am Ende liegt dort oben wirklich eine Leiche ..." Ein Lächeln huschte über meine Lippen. "Selbst wenn ... schlimmer kann es jetzt doch eh nicht mehr werden, meinst du nicht auch?"

Muffiger, fauliger Geruch schlug mir vom Dachboden entgegen und raubte mir erst einmal für ein paar Sekunden den Atem. Verzweifelt versuchte ich durch den Mund zu atmen, um diesen Geruch nicht zu sehr einzuatmen. Was war das? Es roch wie ...
Nein, mir fiel nicht einmal ein passender Vergleich zu diesem muffigen, süßlichen Duft ein, der aus abgestandener Luft und etwas anderem zu bestehen schien. Jason sah von unten zu mir hoch und musterte mich etwas. "Und? Siehst du irgendwas?" Unsicher sah ich nach unten. "Ich muss erst einmal gegen diesen Geruch ankämpfen! Weißt du, wie widerlich das ist? Hier war seit Jahren keiner mehr und so riecht es hier auch."
Meine Knie zitterten noch immer, als ich die letzten Stufen überwand und den Dachboden betrat. Es war stockdunkel, doch ich hatte zum Glück an eine Taschenlampe gedacht, mit der ich den Dachboden absuchte. Was ich dort fand, raubte mir schon wieder den Atem ... in einer Ecke, auf einer dünnen Reismatte, lag ein Skelett. Neben der Matte stand eine alte Öllampe und einige Papiere lagen auf dem Boden. Mein Herz hämmerte laut in meiner Brust, ich bekam kaum noch etwas mit. Der Yukata in den das Skelett gehüllt war, kam mir sehr bekannt vor. In den letzten Tagen hatte ich mich oft Schutz suchend an ihn gekrallt. "Nein ...", flüsterte ich leise, ehe ich mich auf die Knie sinken ließ.
Das durfte nicht wahr sein!
Auf allen Vieren robbte ich an den toten Körper heran, streckte meine Hand aus, doch wagte es nicht, ihn zu berühren. Am Ende verwandelte er sich zu Staub, wenn ich es wagte, seinen Körper auf diese Art und Weise zu entweihen. Ein Zettel lag neben dem Skelett auf dem Boden und die klare Handschrift machte mir schnell deutlich, dass ich wirklich Kiosuke vor mir hatte. Schauer liefen mir über den Rücken, während Tränen über meine Wangen kullerten. Das konnte doch nicht wahr sein!
Unsicher griff ich nach dem Brief und wischte mir die Tränen weg ... ich musste es lesen ... es war für mich, oder nicht?

Mein Liebster ...

Wie sehr habe ich die Krankheit meiner Schwester unterschätzt? Ich habe nie daran geglaubt, dass sie mir wehtun würde, oder generell jemanden verletzen kann. In den letzten Tagen wurden ihre Blicke immer wahnsinniger. Ich erkenne sie nicht mehr wieder und bin erschreckt, was aus Akane wurde. Dass sie mich hier oben auf dem Dachboden einsperren würde ... woher hätte ich das wissen sollen? Ich weiß noch genau, wie wir das erste Mal hier oben waren und du der Meinung warst, du würdest hier etwas finden. Damals war ich wütend auf dich, weil du meine Schwester in das alles mit rein ziehen wolltest, obwohl sie für mich die wohl unschuldigste Person der Welt war.
Es tut mir leid ...
Ich war dumm und naiv, wusste ich doch noch nicht, was sie alles gesehen hatte. Jetzt sitze ich seit einer gefühlten Ewigkeit hier oben. Mein Zeitgefühl habe ich vollkommen verloren. Ich werde dich wohl erst im Jenseits wiedersehen dürfen, auch wenn du mir furchtbar fehlst. Mein geliebter Aoki, wie gerne wäre ich ein letztes Mal bei dir, um dich ein letztes Mal zu küssen, aber ich weiß, dass es nicht möglich ist. Auch wenn ich mir wünschen würde, dass du diese Zeilen eines Tages lesen wirst, will ich nicht, dass du mich tot siehst.
Es gibt aber noch etwas, was ich dir sagen wollte. Ich habe beobachtet, wie meine Schwester Gift in den Tee meines Schwagers mischte. So weit ist sie also gegangen. Das erklärt seine Krankheit, die ihn immer mehr dahin rafft. Ob er wohl vor mir stirbt? Ich weiß es nicht, aber ich denke nicht das Akane mich jemals hier oben rauslassen wird. Meine Kräfte schwinden mit jeder Stunde, in der ich hier bin und weder Wasser noch Nahrung bekomme.

Ich werde immer schwächer, sehe dich schon vor mir.
Mein liebster Aoki ... denkst du wir sehen uns wieder, wenn ich erst einmal tot bin? Meine Finger zittern, ich hoffe du kannst meine Zeilen überhaupt noch lesen. Ich wollte dir nur noch einmal sagen, wie sehr ich dich liebe! Wenn du hier bist, vor mir stehst und mich aus der Ecke des Dachbodens aus ansiehst, dann frage ich mich, ob nicht doch ich diesen Fluch auf deine Familie gelegt habe. Was ist, wenn ich dich unbedingt und mit aller Macht wiedersehen wollte? Wenn du durch diese Liebe die uns verbunden hat, überhaupt erst in der Lage warst zu mir zu kommen?

Mein liebster Aoki ... warte auf mich ... egal, wo ich jetzt hinkommen werde, warte auf mich ... ich liebe dich ...


Die letzten Worte des Briefes waren kaum noch zu entziffern, offenbar waren seine Kräfte immer mehr geschwunden. Mir wurde schlecht und müde rieb ich mir über die Augen. "Aoki? Was ist los?", rief Jason von unten. Mühsam krabbelte ich wieder zur Treppe, warf dem toten Körper noch einen letzten Blick zu, ehe ich den Dachboden wieder verließ.
Unten nahm mich Jason in Empfang und ich drückte ihm schweigend die Briefe in die Hand. Er las sie, wurde bei jedem Satz trauriger und nahm mich am Ende einfach in den Arm. "Es tut mir so leid", murmelte er leise. Erschöpft und müde lehnte ich mich an Jason. Wir hatten alle Antworten, die wir brauchten. Kiosuke war dort oben auf dem Dachboden verhungert, oder verdurstet, wie auch immer man das sehen wollte. Er war tot ...
Das alles hätte mir schon viel früher klar werden müssen, aber dadurch, dass wir uns ständig sehen und treffen konnten, war es für mich eigentlich keine Frage gewesen, dass er irgendwo noch am Leben war. Und jetzt? Beruhigend drückte mich Jason an sich und streichelte über meinen Rücken. Er machte sich Sorgen um mich, was ihn sehr ehrte. Seufzend kuschelte ich mich an seine Brust und ich fühlte mich so hilflos, wie schon lange nicht mehr.
Jetzt war alles vorbei ... ich konnte Kiosuke nicht wiedersehen, wir wussten, woher der Fluch kam, nur wie sollten wir die Wut von Akane stillen? Vielleicht war das auch gar nicht möglich? Meine Familie litt nun schon so lange darunter, aber auch ich wusste nicht, wie ich das Gemüt einer Frau beruhigen sollte. Und dann bestand immer noch die Möglichkeit, dass Kiosuke recht hatte. "Was, wenn es den Fluch nie gab?", flüsterte ich leise. "Wenn Kiosuke nur auf mich gewartet hat ... und die Tode ... nun was soll ich sagen? Es ist doch gut möglich, dass Akane die Frauen des Hauses besessen hat, so wie ich von Wataru besessen war."
Sanft streichelte Jason über meinen Rücken. "Das kann durchaus sein ... das eine Verbindung aus den beiden Gefühlen, der Liebe von Kiosuke zu dir, und Akanes Hass auf die Männer der Familie, diese Zeitreisen möglich gemacht haben. Das Kiosuke so sehr auf dich gewartet hat, und Akane die Chance einfach genutzt hat, um die dünne Verbindung zu nutzen und ihrer Wut freien Lauf zu lassen."
Seine Worte ergaben irgendwie Sinn, aber was sollten wir nun tun?
Jason sah mich an und streichelte über meine Wange. "Lass uns nach Hause gehen", flüsterte er sanft und lächelte dabei. Ich würde Kiosuke nicht wiedersehen. Alles, was mich vom ersten Moment an, an diesem Anwesen faszinierte, war verschwunden. Alles, was mich noch an diesem Haus hielt, war nicht mehr da. Meine Besessenheit hatte sich in Luft aufgelöst, in dem Moment, in dem ich diese Leiche gesehen hatte. "Gut, aber vorher muss ich noch etwas tun", flüsterte ich leise. "Bring die Sachen in den Wagen ... ich muss etwas vorbereiten ..."
Fragend sah Jason mich an, doch er stellte keine Fragen, wofür ich ihm sehr dankbar war.

Eine Stunde später lagen unsere Sachen im Wagen, und ich stand schweigend vor dem alten Anwesen. Glühende Flammen loderten in den Himmel, Jason stand neben mir und musterte mich etwas. "Denkst du, das wird helfen?", flüsterte er leise. Schweigend sah ich dabei zu, wie das Haus meiner Familie von den Flammen gierig verschlungen wurde. Zentimeter für Zentimeter fraß sich das Feuer durch das alte Haus und ließ auf seinem Weg der Zerstörung nichts zurück.
Es dauerte einen Moment, ehe ich ein Wort über die Lippen bekam. "Ich weiß es nicht ... aber wir können Kiosuke auch nicht anders beerdigen ... man würde uns total doof angucken und viel zu viele Fragen stellen, warum wir eine Leiche auf dem Dachboden finden. Und ich will diese Fragen wirklich nicht beantworten ... trotzdem hat er es verdient seinen Frieden zu finden, meinst du nicht auch? Er soll nicht mehr dort oben herumliegen, und dieses Haus ..."
Unsicher brach ich ab. Akane schien nur in diesem Haus, in dem Kiosuke auf mich gewartet hatte, die Macht zu haben, meine Familie zu beeinflussen. Es musste weg. Jason schlang seine Arme um mich und starrte ins Feuer. "Vermutlich hast du recht", flüsterte er leise. Yuta kam aus dem Garten, verwirrt und wohl auch verängstigt, doch er stellte keine Fragen. So war er schon immer, er stellte in den richtigen Momenten, keine Fragen mehr ...
Auch, als ich in den Wagen stieg, von meinem Zuhause nicht mehr als eine verkohlte Ruine zurückblieb, stellte er immer noch keine Fragen. Ich wusste nicht einmal, ob ich jemals wieder nach Japan zurückkehren würde, doch das war in diesem Moment auch nicht weiter wichtig für mich. Ich wollte nur noch hier weg, nach Hause. Zusammen mit Jason.

Epilog

 

Zwei Jahre später:

Müde reibe ich mir über die Augen und schließe den Laptop. Gähnend richtet sich Jason neben mir auf und mustert mich. "Und? Du weißt, ich habe nichts dagegen, wenn du schreibst. Autor zu werden war vermutlich die beste Idee deines Lebens, aber diese Geschichte zu schreiben? Ist das nicht ein bisschen gefährlich?"
Schmunzelnd sehe ich ihn an. "Warum? Es wird keiner glauben, also was ist daran gefährlich? Das Haus meiner Großeltern ist bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Am Ende konnte ich das Grundstück sogar für einen ganz guten Preis verkaufen. Wir beide haben unseren Abschluss an der Uni gemacht und ... ich finde mein Leben läuft ganz gut. Keiner wird auch nur auf die Idee kommen, dass irgendwas von dem was hier steht, real sein könnte."
Leise gähnend nickt Jason, ehe er seine Arme um meine Hüfte schlingt. "Damit hast du auch wieder recht", murmelt er leise. "Aber kommst du jetzt bitte endlich wieder ins Bett? Ich bin müde ... ich werde mich nie daran gewöhnen, dass du immer nur nachts schreiben kannst. Mir wäre es lieber, du würdest das mal am Tag machen." Wieder gähnt er auf und zieht mich in seinen starken Armen ins Bett zurück.
Ich werde Kiosuke immer lieben, aber ich weiß er hätte nicht gewollt, dass ich einsam bleibe. Mit Jason ist es nicht das Gleiche, wie mit ihm, nicht so verzehrend und verschlingend, wie die Gefühle waren, die ich für Kiosuke hatte. Aber ich kann Jason die Liebe geben, die er verdient hat und er gibt mir ein warmes Zuhause. Egal was auch war, er hat mich nicht im Stich gelassen. Alleine dafür bin ich ihm schrecklich dankbar. Er hat mir Zeit gegeben, um mich von Kiosuke zu lösen und er weiß, dass ich ihn immer lieben werde, trotzdem überschüttet er mich mit seiner bedingungslosen Liebe, die mich irgendwann einfach komplett eingenommen hat.
Jason hat seinen Kampf um mein Herz nicht aufgegeben, und er hat sich seinen eigenen Platz gesucht, in meinem Leben und in meinem Herzen. Seufzend drehe ich mich zu ihm und kuschle mich an seine Seite. "Ich liebe dich", flüstere ich leise.
Sanft sieht Jason mich an und ich muss zugeben, meine Geschichte aufzuschreiben hat schon sehr gut getan. Es hat mir ein bisschen geholfen, mich von Kiosuke zu verabschieden. Irgendwann werden wir uns wiedersehen, da bin ich mir sicher ... und bis dahin werde ich mein Leben an Jasons Seite genießen.

~ Ende ~

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 21.11.2015

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