Cover

Vergangenheit:
Die kleine Mila rannte zurück in die Sporthalle, nicht verärgert darüber, dass sie ihre Turnschuhe in der Umkleide vergessen hatte. Denn heute war ihr 9. Geburtstag, und was gab es schöneres als Kerzenausblasen, Geschenke auspacken, lachen, und singen? Mila öffnete die große Tür, und rannte den Gang entlang. Sie war stolz darauf, dass sie von ganz alleine wusste, zu welcher der vielen Türen sie zu gehen hatte. An jeder Tür, an der sie vorbei ging, flüsterte sie den Namen des Raumes. Vorbei an der Jungsumkleide, bog sie rechts ab, lief weiter und blieb mit angehaltenem Atem an. Waren das Schreie? Vorsichtig drehte sie sich um. Fluche, Beschimpfungen, Schreie, Stille. Sie schlich leise zur Ende der Wand und lugte um die Ecke. Erschreckt hielt sie sich ihre Hand vor den Mund. Auf dem Boden lag ein Junge, vielleicht ein bisschen älter als sie. Vor ihm zwei Jungs, viele Jahre älter, und traten auf ihn ein. Der Junge weinte, krümmte sich vor Schmerzen. Erst jetzt bemerkte Mila das viele Blut und obwohl sie so große Angst hatte, ging sie auf die großen, unheimlichen Jungs zu. Der Junge auf dem Boden wand sich vor Schmerzen, drehte sich um und erblickte Mila. Mit ängstlichen Augen schaute sie ihn an. Der Junge hörte auf zu schreien, weinte nicht, blieb einfach starr liegen und schaute das fremde Mädchen an. Nun drehte sich einer der großen Jungs um, und bevor er etwas sagen konnte atmete Mila ein und trat ihm mit voller Kraft zwischen die Beine. Der große Junge schrie auf, sank zu Boden. Doch da erfassten sie zwei Arme, sie wurde hochgewirbelt, gegen eine Wand geschleudert. Es gab einen Schlag und Minas Kopf brannte. Der große Junge sagte nichts, er schlug immerwieder auf sie ein. In den Bauch, ins Gesicht, auf ihre Wange, es tat fürchterlich weh. Leise schrie sie auf, ließ es geschehen. Doch da ertönten Stimmen, und Mila wurde losgelassen. Erschrocken öffnete sie die Augen und sah den beiden Jungs nach die fluchend wegrannten. Sie blickte zu dem Jungen am Boden, der sie die ganze Zeit über angeguckt hatte. Er lächelte sie an. Sie lächelte zurück. „Wie heißt du?“, fragte Mila. „Lucian.“ flüsterte er. Mila schloss die Augen. „Das ist aber ein komischer Name.“



Kapitel 1. (Gegenwart)
Mila löste den Zopf, und ihre langen, dunklen Haare fielen ihr über die Schultern. Sie beeilte sich im Bad, Wimperntusche und ein bisschen Lipgloss auf die blassrosanen vollen Lippen mussten reichen. Mila konnte stolz auf ihr Gesicht sein. Ihre blasse Haut war ohne Makel, die Wangenknochen hoch und die großen eisblauen Augen – sie war eine Schönheit, auf ihre eigene Weise. Die Collage-girls unterschieden sich von ihr. Wie oft wurde sie nur das „Mauerblümchen“ genannt? Doch das war sie nicht. Sie hatte viele Freunde, doch sie stand nie im Mittelpunkt. Sie war im Abseits des Spielfelds, doch das machte nichts. Sie schnappte sich den Autoschlüssel und fuhr zur Schule. Wie immer würde sie zu spät kommen. Stolpernd öffnete sie die Klassenzimmertür und ihr Herz blieb stehen. Nicht wegen den müden Gesichtern, die sie zum ersten mal sah. Nicht, weil es der erste Schultag war, und sie nun in einer völlig anderen Klasse war. Nicht wegen der Zicken, die sie abschätzend betrachteten. Es ging auch nicht um den einzig freien Platz. Es ging um den Jungen, der daneben saß. Sie blickte in das Gesicht von Lucian. Lucian Parker.
Sollte sie sich umdrehen und gehen? Nein, das war Kindergarten. Sie murmelte ein „Sorry, Mein Auto ist nicht angesprungen.“, und setzte sich auf den einzig freien Platz – ans äußerste Ende des Stuhls um ihn auf keinen Fall zu berühren.
Sie konnte ihn nicht ansehen. Es ging nicht. „Du bist also wieder da.“, sagte sie kalt. Noch immer blickte sie starr an die Tafel, damit wenigstens der Lehrer denkt, sie würde ihm zuhören. Aus den Augenwinkeln sah sie wie Lucian aus dem Fenster sah. „Meine Mum wollte wieder zurück, sie hat es nicht mehr ausgehalten. Weg von allen Freunden und der Familie, weißt du?“ Seine Stimmte tat Mila weh. Obwohl sie sich so weit weg anhörte, war es, als redete er direkt in sie hinein. Er schaute sie nicht an. Die ganze Stunde nicht. Den ganzen Tag nicht. Mila sah es durch ihre Augenwinkel. Anders ging es nicht, denn sie hätte ihn niemals angesehen. Ihre Tränen wischte sie schnell weg. Denn sie war ein stolzes Mädchen: Niemand sollte sehen, dass sie weint.

Vergangenheit:
Lucian war mit zu uns nach Hause gekommen. Mama hat ihm das Blut abgewischt und ich habe ihn ganz schnell zu mir nach oben gezogen. Ich wollte nicht, dass er Papa sieht. Besonders nicht jetzt, weil jetzt war Papa wieder böse. Mama hat gesagt, dass Papa böse ist weil er keine Arbeit mehr hat. Manchmal tut Papa mir weh, wenn er böse ist. Dann nimmt Mama mich in den Arm und weint. Ich will nicht, dass Mama traurig ist, also sage ich es nicht, wenn Papa böse war. Im Zimmer sage ich, dass ich meinen Papa nicht lieb habe. Lucian hat mich komisch angeguckt. „Aber jeder mag seine Eltern.“ Darüber habe ich lange nachgedacht. Einen Kuchen habe ich nicht mehr bekommen und ein Geschenk gab es auch nicht. Niemand hat mir Alles Gute gewünscht und als Lucian nach Hause gegangen ist, und ich Mama fragen wollte, ob sie meinen Geburtstag vergessen hat, saß sie in der Küche und hat geweint. Da wollte ich zum ersten mal nicht, dass sie aufhört zu weinen, denn ich hatte mir so gerne gewünscht, Kerzen auszublasen und mir etwas zu wünschen. Ich ging nach oben in mein Zimmer und dachte an Lucian. Leise wiederholte ich den Namen immer wieder und irgendwann gefiel mir der Name so gut, dass ich beschloss, meinen Lieblingsstein nach ihm zu benennen. Damit ich mich auch immer an den wunderschönsten Jungen erinnere, dachte ich und lächelte übermütig.



Kapitel 2. (Gegenwart)
Die nächsten zwei Tage blieb ich zu Hause. Ich konnte ihn nicht mehr sehen. Wie gerne hätte ich jetzt eine Mutter, die mich in den Arm nimmt und mir sagt, dass alles wieder gut wird? Einen Vater der mich tröstet. Doch mein Vater war im Gefängnis, meine Mutter im Heim. Altenheim mit 58 Jahren. Sonderfall. Alkoholikerin. Ich hustete, nur um die Stille im Haus und in mir drin zu verscheuchen. Es klingelte. Ich blieb liegen. „Mila, mach auf ich weis, dass du da bist!“ Elli. Ich lächelte. Unverbesserlich, dieses Mädchen. Ich öffnete die Tür und blickte in die strahlenden Augen meiner besten Freundin. „Man Mila! Warum meldest du dich denn nicht mehr bei mir? Ich wollte am Montag noch ein bisschen mit dir über die neuen Klassen quatschen aber du warst sofort weg! Naja, egal, kann ich reinkommen? Oder wollen wir was unternehmen? Kaffee trinken gehen? Kino? Feiern?“ Ich lachte. „Komm rein, Elli.“
Doch der Tag wurde nicht wie sonst. Nicht mal Elli konnte mich aufmuntern.

Vergangenheit:
Lucian war jetzt schon vier mal da gewesen. Ich war auch schon mal bei ihm, ich weiß den Weg jetzt schon alleine. Ich freue mich wenn ich zu ihm darf, und wenn ich mich beeile muss ich nur bis 50 zählen und bin schon bei ihm. Gestern ist etwas komisches passiert. Lucian hat mich abends heim gebracht. Zu Hause stand Papa und hat mich gehauen weil ich zu spät war. Da hat Lucian ihn angeschrien. Er ist richtig rot geworden und war total wütend. Ich bin ganz schnell in mein Zimmer gerannt und als Lucian in mein Zimmer kam hat er mich ganz fest in den Arm genommen. Er hat gar nichts gesagt. Ich glaube, dass war das erste mal seid 1000000 Jahren, dass mich jemand in den Arm genommen hat. Dann habe ich angefangen zu weinen. Obwohl ich gar nicht traurig war.



Kapitel 3. (Gegenwart)
Natürlich kam ich wieder zu spät. Ich hatte mir fest vorgenommen, einfach normal weiter zu machen. Er hatte mich schon einmal zu sehr verletzt. 'Wenn du keine Erwartungen hast, nichts fühlst, eine Wand aufbaust – dann kann dich nichts verletzen, dann bringt dich nichts aus der Fassung.' Ich atmete durch und öffnete die Tür. Mit gleichgültigem Gesicht warf ich mich auf meinen Stuhl, versuchte alle Gefühle die mich überströhmten zu ignorieren, murmelte ein scharfes 'Wagen ist nicht angesprungen', packte meine Bücher aus und schob die Haare vors Gesicht. Stolz über mich selbst konnte ich mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Klappt doch! Doch als Mr. Kringles uns zu Partnerarbeit verordnete, war meine gute Laune im Keller. Komm schon, Mila! Du schaffst das! Ich strich meine Haare vom Gesicht und schluckte. „Du machst die A, ich die B.“ Meine Stimme war viel zu unfreundlich und ich wusste selbst, dass mein Verhalten Kindergarten war, aber mit Lucian würde ich bestimmt nicht zusammenarbeiten! Lucian guckte zur Tafel. „Wir sollen es aber zusammen machen.“ antwortete er abweisend. Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Ach, JETZT willst du was mit mir zusammen machen, ja? Tut mir Leid, kein Bedarf.“ Ich knallte meinen Kulli auf den Tisch. Lucians Handknöchel traten weiß hervor. Er presste die Hände zusammen und ließ ebenfalls seinen Kulli fallen. Das erste mal drehte er seinen Kopf direkt zu mir – es war zu spät, jetzt noch wegzugucken. Er öffnete seinen Mund und machte ihn wieder zu. Er guckte mich einfach nur an. Ich erinnerte mich an das erste mal, als ich ihn angeguckt hatte, verletzt von den vielen Schlägen. Ich konnte nicht sagen, welcher Schmerz mehr wehtat. Der von damals? Oder der Blick in sein Gesicht? In seine dunklen Augen, in die dunklen Haare, die wunderschöne Narbe, die hohen Wangenknochen? Egal, was ich ihm in dieser Stunde noch an den Kopf hätte werfen wollen, ich hätte es nicht getan. Der unglaubliche Schmerz in seinen Augen verhinderte jedes Wort, jeder kalter Ausdruck. Lucian drehte sich weg, hob seinen Kuli auf, nahm ein Blatt heraus und fing an zu schreiben. „Deutsch, seite 22 nummer 4b“.

Vergangenheit:
Vor drei Tagen habe ich Lucian meine Steinesammlung gezeigt. Ich habe mich nicht getraut, ihm zu sagen, dass einer der Steine seinen Namen trägt. Das bleibt mein Geheimnis. Lucian ist jetzt jeden Tag bei mir oder ich bei ihm. Schon 2 Jahre sind nun seid meinem Geburtstag vergangen, und Lucian hat gesagt, dass er mir zum nächsten Geburtstag viele Kerzen zum ausblasen schenkt, damit ich mir etwas wünschen kann. Ich habe gelächelt und ihn auf die Backe geküsst.
Als ich gefragt habe ob er auch das Kribbeln im Bauch kennt, ist er ganz komisch geworden. Er hat gesagt, na klar kennt er es, er ist ja schon 13 und kein Baby mehr. Ich habe gefragt ob er denkt ich wäre ein Baby. Da hat er nur mit den Schultern gezuckt. Doch am Abend, als mein Papa mir eine Backpfeife gegeben hat, da war er wieder der Alte, hat mich beschützt, getröstet und im Arm gehalten. „Wenn du nicht da wärst, Lucian, dann würde ich das schon längst nicht mehr aushalten.“ Lucian hat nur genickt und geflüstert: „Ich weiß.“



Kapitel 4. (Gegenwart)
Am Samstag fuhr ich zu „Eat well“ - ein bisschen Nachschub kaufen, denn Sonntag war Ellis großer Tag – sie wurde 17. Vollgepackt mit tausend Tüten kam ich aus dem Laden und stieß mit einem Typ zusammen. Die Tüten fielen zu Boden. Ich stöhnte auf. „Tut mir Leid...“ entschuldigte ich mich und guckte hoch – in Lucians Gesicht. „Du?“, rief ich erschocken auf. Ich sammelte schnell meine Tüten auf und drehte mich weg. „Soll das jetzt immer so weiter gehen, Mia?“ rief er mich hinterher. Ich legte die letzte Tüte ins Auto und drehte mich um. „Was meinst du?“ „Mila, hör zu, es tut mir Leid.“ Ich schluckte. „Das kommt ein bisschen spät.“ Er nickte. „Ich weis, dass ich dich verloren habe. Ich bin damals aufgewacht, und ich.. ich hatte einen Plan. Und jetzt stehe ich hier und habe keinen Plan. Ich kann nicht „Es tut mir Leid“ sagen, weil das nichts entschuldigen würde. Aber, glaub mir Mila, ich würde alles, wirklich ALLES dafür geben, dass du mir verzeihst. Bitte... ich... ich weis einfach nicht mehr was ich machen soll. Du musst es mir sagen. Bitte, ich weiss nicht... bitte sag mir was ich tun soll. Kannst du nicht einfach...Kannst du mir nicht einfach sagen was ich tun soll?“ Zum ersten mal fing er vor mir an zu weinen. Ich sah mich in ihm. Geschlagen, Verletzt steht er da. Die Schultern zusammengezogen, verzweifelnd die Tränen wegwischen. Wie gerne ich ihn jetzt umarmen würde, so wie früher. Doch es ging nicht. Zu groß war meine Angst, mich wieder in ihn zu verlieben und am Ende so sehr verletzt zu werden. Doch inzwischen fragte ich mich nicht mehr ob ich mich wieder in ihn verliebt hatte – ich fragte mich, ob ich je aufgehört hatte, ihn zu lieben.


Vergangenheit:
Heute ist mein 14. Geburtstag. Lucian hatte mir versprochen zu kommen, doch er kam nicht. Er hatte sich schon vor einer Weile verändert. Wollte unbedingt erwachsen werden. Ich verstand nicht warum. Wir waren doch noch Kinder. Am Abend bin ich zu ihm gegangen. „Warum bist du nicht gekommen, Lucian?“, Ich war wütend. Hatte er meinen Geburtstag vergessen? „Komm rein, ich muss mit dir reden.“ Er guckte komisch. Mein Herz klopfte. Wollte er mir sagen, dass er sich auch in mich verliebt hat? Meine Wut war verschwunden. In seinem Zimmer saß ich mich aufs Bett und wartete. Lucian setzte sich. „Mila, wir ziehen morgen weg.“ Ich erschrack. „Was? Aber... wieso?“ Lucian zuckte mit den Schultern, so als ob es ihn gar nicht richtig interessierte. „Meine Eltern trennen sich. Dad hat ne Andere. Und... meine Mutter will weg hier, ihr wird das alles zu viel.“ Ungläubig starrte ich ihn an. „Und was wird dann aus uns?“ flüsterte ich. „Aus uns?“ fragte er, betonte das 'uns' mit Spott in der Stimme. Ich schaute auf meine Hände. „Wer nimmt mich in den Arm, wenn mein Vater ausrastet? Wer schenkt mir zum Geburtstag Kerzen, bei denen ich mir etwas wünschen kann, wenn ich sie ausblase? Wem zeige ich meine Steine? Schau, ich hab dir einen mitgebracht. Meinen Lieblingst...“ Lucian wurde lauter. „Ich habe keine Zeit für so ne Scheiße, okay? Kerzen zum Geburtstag? Du spinnst doch! Ist doch peinlich! Deine blöden Wünsche gehen doch sowiso nicht in Erfüllung! Und deine Scheißsteine?! Denkst du die haben mich je interessiert?“ Er riss mir den Stein aus der Hand, der seinen wunderschönen Namen trug. „Und der ist dein Lieblingsstein? Der sieht mindestens genauso bescheuert aus wie die anderen 100 die du sammelst.“ Er nahm den Stein und warf ihn gegen die Wand. Ein dumpfer Schlag und der Stein viel zu Boden. „Werd' Erwachsen Mila! Denkst du ich kann dich immer trösten? Dein Vater ist n' alter Sack! Aber ich bin dafür nicht verantwortlich. So jung und naiv wie du bist, mit sowas komm ich überhaupt nicht klar! Die Zeit mit dir war schön, okay?! Aber jetzt ist aus. Jetzt beginnt was neues für mich. Sorry.“ Ich stand auf und ging zur Tür hinaus. Ich drehte mich noch ein letzes mal zu ihm um. „Du hast Recht, Lucian. Der Wunsch, den ich mir jedes Jahr immer und immer wieder gewünscht habe, ist nie in Erfüllung gegangen.“ Ich blickte auf den Stein, der einmal den Namen „Lucian“ getragen hatte. Aber das war Vergangenheit.

Das war der letze Tag, an dem ich Lucian Parker gesehen hatte. Am nächsten Tag guckte ich abends aus dem Fenster, konnte Lucians Haus sehen, welches ohne die Gardine, die ich geliebt hatte, so schrecklich leer wirkte. Fast so leer, wie das Gefühl in mir, fast so leer, wie die Monate und die Jahre, die ich allein verbrachte. Ohne den Jungen, den ich so sehr geliebt hatte. Ohne Lucian.



Kapitel 5. (Gegenwart)
Lucian blickte mich verzweifelt an. Ich sollte mich umdrehen und fahren. Ihn alleine stehen lassen, so wie er es getan hatte. Ich war all die Jahre alleine gewesen, und er hat nichts anderes verdient, als genau das auch zu durchleben. Ich schluckte. „Warum hast du das damals gesagt, Lucian? Das mit den Steinen. Das mit den Kerzen. Das mit meinem Vater. Mochtest du mich nicht mehr? Habe ich dir irgendwas getan?“ Ich hörte mich an wie ein weinendes Kind. All die Verletzungen von damals, als 14 jähriges Mädchen. All die Fragen, es fühlte sich plötzlich genau so an wie damals. Lucian kam ein Schritt auf mich zu. Er schaute mich lange an. „Weißt du wie schwer es war, dir zu sagen, dass ich deine Steine, deine Kerzen, dein ganzes Leben hasse? Ich habe dich so bewundert, für alles was du tust, von Anfang an. Als ich erfahren habe, dass meine Mutter sich von meinem Vater trennt, ich... ich bin durchgedreht. Du warst dreizehn Jahre alt, mein Gott dein Vater hat dich geschlagen! Du hattest genug Probleme. Klar, ich hätte dir davon erzählen können. Von dem Umzug, von meinen Eltern... aber das hätte doch alles nur noch schwerer gemacht. Ich musste dich einfach verletzen. Ich dachte, so würdest du leichter über mich hinwegkommen. Es ist mir so schwer gefallen, dich so anzuschreien. Dir alles, was dir wichtig war, nieder zu machen. Dein Gesichtsausdruck zu ertragen. Aber das schlimmste war, dass du mir alles was ich gesagt habe, geglaubt hast. Als du gegangen bist... ich bin fast wahnsinnig geworden, Mila. Ich konnte dich nicht gehen lassen. Ich bin zur Tür gerannt... und da hast du gesessen... mitten... auf dem Bürgersteig...und du hast...mein Gott du hast einen Stein in der Hand gehalten und gebetet...du hast gebetet, dass du hoffst mir gefällt es dort, wo ich hinziehe.“ Seine Unterlippe zitterte so sehr, dass er eine Pause machen musste. Er machte sich gar nicht erst die Mühe, die Tränen wegzuwischen. „Als ich dich gesehen habe dort... bin ich in mich zusammengesunken. Ich habe mich so sehr gehasst. Ich musste mich an all das erinnern, was wir erlebt haben. Unsere erste Begegnung, einfach alles. Ich weiß nicht wie ich es geschafft habe, wegzuziehen. Aber glaub mir, es war das schwerste, was ich je machen musste. Mila ich wusste mit 10 Jahren dass du das Mädchen bist, was ich nie verlieren will. Du warst nie meine große Liebe – du warst viel mehr als das. Viel mehr, als man es mit Worten beschreiben kann.“
Ich wusste nicht was ich sagen soll. Aber das war gut so, denn in diesem Moment brauchte ich keine Worte. Ich zog die Nase hoch, wie ich es als kleines Kind immer getan hatte und nahm ihn in den Arm. Ich weiß nicht wie lange wir weinend Arm in Arm standen, und ich wusste auch nicht ob das der richtige Weg war. Ich wusste nicht was in der Zukunft passieren würde. Ich wusste nur, dass ich nie aufgehört hatte, diesen Jungen zu lieben. Und ich wusste, dass ich mich für ihn entschieden hatte. Mein Herz konnte nicht anders. Ich konnte nicht anders. „Lucian.“, flüsterte ich. Der wunderschönste Name der Welt.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.09.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /