1
Es war kälter geworden und der Alkohol hatte uns allen zugesetzt. Emily klammerte sich an Finn und er küsste sie aufs Haar. Gerade hatte Joker irgendein Witz gemacht, der mit Abstand der schlechteste war, den Emily je gehört hatte. Trotzdem fielen alle in ein lautes Gelächter aus. Es ging noch lang so weiter, und nach einer Weile verabschiedeten sich die Ersten. Sie verzogen sich in ihre Zelte zurück, die nur wenige Meter entfernt des Lagerfeuers standen. Das Klassentreffen war ein voller Erfolg gewesen, freute sich Emily. Schließlich hatte sie es organisiert, zusammen mit Finn, ihrem Freund. Es wurde noch eine sehr lange Nacht in der die alltäglichen Probleme in der Schule und mit den Eltern für kurze Zeit vergessen waren. Doch obwohl es schön war, machte es Emily traurig. Es war das letzte Treffen mit ihren Klassenkameraden. Denn danach war es fertig mit Schule und jeder ging seinen eigenen Weg. Manche gingen auf verschiedene Universitäten, andere zogen weg und machten ein freiwilliges soziales Jahr. Sie schaute in die lachenden Gesichter von Sina und Paul, das unbeschwerte Grinsen von Sven und die Tränen von Melly und Keylin, die wahrscheinlich auch daran dachten, dass dies das letzte Treffen ist.
Tim reichte ihr ein Glas mit etwas das nach Bier und Cola roch. Wiederlich, dachte Emily und kippte das Zeug runter.
2
Das Telefon von Franziska Vogel klingelte schrecklich laut.
Verschlafen hob sie ab. Von ihrem Kollegen Sven Herrlich erfuhr sie, dass eine Leiche, nicht weit von ihrem Wohnort entfernt, gefunden wurde. Frau Vogel versprach, sich zu beeilen und legte auf. Kurze Zeit später erreichte sie das Polizeigebäude. „Ah, die Kollegin von der Mordkommission ist auch schon da.“ Herr Herrlich reichte ihr ein Plastikbecker Kaffee und berichtete. „Um 4 Uhr Nachts ging der Anruf eines gewissen Paul Jansen ein. Er berichtete, dass eine Klassenkameradin namens Sina Brecher die Leiche in den Armen eines schlafenden Freundes gefunden hatte.“ Er stoppte kurz und warf Frau Vogel einen vielsagenden Blick zu. „Die Leiche hat schwere Verletzungen an den Armen und eine Platzwunde an der Stirn. Mehr hätte Sina Brecher nicht erkennen können. Bei der Leiche handelt es sich um Keylin Schuster. Ihr Klassenkamerad, der ebenfalls im Zelt war heißt Finn Parker. Die junge Frau Brecher so wie alle Anwesenden bei dem Klassentreffen, so wie Herr Jansen berichtete, stehen unter Schock. Die Spu-si (Spurensicherung) ist bereits vorort, hat aber noch keinen Bericht abgeliefert. So, was sagen sie?“ Franziska Vogel schüttelte den Kopf. „Das kann doch nicht sein. Was ist mit dem jungen Mann, wie hieß er noch gleich? Phill Parker? Hat er keine Verletzungen? Und er schläft? Diese Sina Brecher schreit laut los als sie die Leiche sieht und Parker schläft weiter oder was?“ Sven Herrlich zog eine Augenbraue hoch. „Finn Parker heißt er und nein, ich denke nicht, dass er immer noch schläft beziehungsweise geschlafen hat. Von Verletzungen ist keine Rede gewesen aber ich denke nicht dass Sina Brecher zu den beiden hingegangen ist und erst mal den Körper von Parker nach Verletzungen abgesucht hat. Denken sie, eine unter Schock stehende Jugendliche, die gerade eine Leiche gesehen hat, ist zurechnungsfähig?“ Frau Vogel überlegte kurz und ging dann zu ihrem Auto. „Wo wollen Sie denn hin?“ „Zum Tatort, Herrlich, zum Tatort! Wohin denn sonst? Kommen sie, ich fahr sonst ohne Sie.“
Die Erste, die Franziska Vogel auffiel, als sie in die betroffenen Gesichter der jungen Erwachsenen blickte, war Emily Afeld. Sie stand nicht, wie alle anderen, in der ersten Reihe vor dem rot-weißen Band, das den Tatort abgrenzte. Sie schaute nicht auf die in weiß gekleideten Männer von der Spu-Si, die nach Fingerabdrücken und sonstigem suchten. Sie hielt sich nicht die Hand vor den Mund, als die Leiche mit einem Papiertuch zugedeckt wurde. Sie stand abseits des Schauplatzes. Mit leeren Augen blickte sie auf Finn Parker, der mit dem Krankenwaagen abtransportiert wurde. Sie schaute dem Krankenwaagen so lange hinter her, bis er nicht mehr zu sehen war. Dann taumelte sie zurück, bis sie gegen einen Baum stoß. Sie guckte kurz verwundert, nahm den Schmerz wahr und sank zu Boden. Franziska Vogel wusste jedoch, dass es nicht der Schmerz war, der durch den Aufprall mit den Baum verursacht wurde.
3
Emily sah auf. Sie war auf dem Polizei-Präsidium, genau wie alle anderen Klassenkameraden von ihr. Sie sah in die vor Schrecken aufgerissenen Augen. Sie hatte die Leiche nicht gesehen. Doch sie hatte gehört, wie man sie gefunden hatte. Tot, ja. Tot in den Armen von Finn Parker. Ihrem Freund den sie so sehr liebte. Eine Frau, bat sie mitzukommen und sie folgte ihr in einen Raum mit einem Tisch und mehreren Stühlen. Jetzt schon ein Verhör? Emily fragte sich ob sie jetzt überhaupt schon Reden konnte. Sie schluckte.
4
Franziska Vogel hielt es nicht für sinnvoll jetzt schon die geschockten Jugendlichen zu vernehmen. Doch was blieb ihr anderes übrig? Zeit ist wertvoll. Sie seufzte, als sie in die leeren Augen von Emily Afeld blickte. Das Mädchen blickte durch sie hindurch. Sie versuchte zu lächeln. Frau Vogel war neu hier, musste noch viel lernen. Doch sie war eine gute Kommissarin. „Sie haben also ihr Abitur in der Tasche.“ Emily nickte. Franziska lächelte erneut. „Und was ist das für ein Gefühl? Befreiend, was?“ Sie zwinkerte ihr zu. Emily zuckte mit den Schultern. „Also jetzt gerade fühle ich mich nicht befreiend.“ Franziska nickte. „Ja, das kann ich sehr gut verstehen. Ich weiß nichts über ihr Verhältnis zu den einzelnen Klassenkameraden und natürlich dem Opfer. Aber wenn sie ehrlich zu mir sind und mir ein paar Fragen beantworten dann würde mir das sehr weiterhelfen.“ Emily willigte nicht ein. Sie sagte gar nichts, verständlich. Das Mädchen tat Franziska leid. Doch sie wusste, dass sie weiter kommen musste und da brachte ihr Mitleid nicht sehr viel. Sie startete das Aufnahmegerät und begann. „Ich habe gesehen, dass sie nicht am Tatort standen. Sie standen eher abseits. Eher weiter hinten. Hatte das einen Grund?“ Emily schaute auf ihre Hände. „Finn ist... er war... der Junge im Zelt er... war mein Freund.“ Franziska schloss für kurze Zeit die Augen. Tränen stiegen ihr in die Augen. Man merkte, dass sie erst kurze Zeit mit dabei war. Sie wartete, bis ihre Augen wieder ein wenig getrocknet waren und fuhr fort. „Wenn sie sagen, er war ihr Freund. Hattet ihr an dem Abend einen Streit? Oder seid ihr schon länger getrennt?“ Emily blickte immer noch auf ihre Hände. „Wie würden Sie das bezeichnen, wenn ihr Freund neben einem Mädchen im Zelt liegt, Sie umarmt. Wenn ich Sie fragen würde ob das ihr Freund ist, was würden Sie sagen?“ Damit war ihre Frage beantwortet. „Hatten sie und Finn Parker ein gemeinsames Zelt?“ Emily nickte. Sie hatte sich ein wenig gefasst. „Der Abend war toll. Finn und ich waren ein Jahr zusammen. Wir saßen alle zusammen am Lagerfeuer. Wir haben alle Alkohol getrunken, ja, aber niemand war betrunken. Angetrunken vielleicht, ja... aber niemand war betrunken. Finn und ich waren einer der letzten die schlafen gegangen sind. Wir... es war so schön. Wir sind ins Zelt gegangen und... die Nacht war so schön. Scheiße...verdammte scheiße!“ Emily fing an zu weinen. „Ihr zwei habt in dieser Nacht miteinander geschlafen?“ Emily sagte nichts und das reichte als Antwort. „Haben Sie denn irgendeinen Streit an dem Abend mitgekriegt? Irgendeine Auseinandersetzung zwischen Keylin und einem ihrer Klassenkameraden?“ Frau Afeld schüttelte den Kopf. „Erzählen sie mir bitte den genauen Ablauf des Abends, und von dem darauffolgenden Morgen.“ Emily schluckte. „Wir haben alle dagesessen, am Lagerfeuer. Lachend oder weinend. Schließlich war das das letzte Treffen. Nacheinander sind wir alle in unsere Zelte gegangen. Heute morgen bin ich von einem Schrei aufgeweckt worden. Finn... war nicht mehr im Zelt. Ich bin raus gegangen und zu allen anderen gelaufen. Und da lagen sie...“ Frau Vogel zog eine Augenbraue hoch. „Mit wem hat sich Keylin denn ein Zelt geteilt?“ „Mit Joker.“ Emily war ebenfalls ein wenig verwirrt. Auch sie schien zu begreifen, dass da etwas nicht stimmen konnte, da außer Finn und Keylin niemand im Zelt war. „Joker ist seine Freundin gewesen. Er stand fassungslos vor dem Zelt, genau wie wir heute Morgen.“ Frau Vogel nickte. „Ich bedanke mich für deine Antworten, Frau Afeld. Falls dir noch irgendwas einfällt, melde dich bitte. Und ich hoffe, dass du für weitere Fragen zur Verfügung stehst.“ Franziska lächelte und Emily Adelf verließ das Zimmer.
Die weiteren Verhöre brachten keine wichtigen Ereignisse. Niemand hatte einen Streit oder eine Auseinandersetzung mitgekriegt, niemand hatte etwas Auffälliges beobachtet. Alle Anwesenden des Klassentreffens waren dort um verhört zu werden – außer einer. Joker.
Franziska Vogel schrieb ihren Bericht fertig und beschloss noch nicht ins Krankenhaus zu Finn Parker zu fahren. Sie wollte ihm noch einen Tag lassen um alles zu verdauen. Sie betrat das Büro ihres Kollegen und las den Bericht vor. „Am 4.6.2011 fand ein Klassenfest der Klasse 13 statt. Die Anwesenden Keylin Schuster, Melly Otter, Sina Brecher, Paul Jansen, Finn Parker, Emily Afeld, Joker Stone und Sven Friedrich trudelten alle gegen 20 Uhr ein. Die Zelte wurden aufgeschlagen und die Zeltverteilung abgemacht: Keylin + Joker, Finn + Emily, Paul + Sina, Sven + Melly. Ein Lagerfeuer wurde gezündet und alle versammelten sich. Um 1:00 nachts verabschiedeten sich Paul, Sina, Keylin und Joker in ihre Zelte. Die anderen gingen um 2:00 in ihre jeweiligen Zelte. Sina Brecher wachte um kurz nach 3 auf und konnte nicht mehr schlafen. Sie sah, dass das Feuer noch an war und ging raus um das Feuer auszumachen. Da ihr das nicht gelang ging sie zu Jokers Zelt, da er die Getränke mitgebracht hatte und sie Wasser über das Feuer kippen wollte. Als sie das Zelt öffnete, sah sie die Leiche. Neben ihr, Finn Parker. Bei der Leiche handelte es sich um Keylin Schuster. Finn Parker lag bewusstlos neben ihr. Beide waren bis auf Unterwäsche nackt. Gründe für Verletzungen sind noch unbekannt. Sina schrie, worauf Paul wach wurde und die Polizei verständigte. Der Anruf ging gegen 4 Uhr in der Polizeizentrale ein. Alle Anwesenden wachten ebenfalls auf und versammelten sich um das Zelt. Auffällig ist, dass Joker Stone nicht in seinem Zelt war, wo er nach dem Lagerfeuer allerdings gemeinsam mit Keylin reinging.“ Sven Herrlich betrachtete seine Kollegin. „Gute Arbeit, Vogel! Ich habe eben mit Joker Stone telefoniert, er wird morgen ins Polizeipräsidium kommen. Ansonsten gibt’s nichts neues von der Spu-Si. Das Leicheninstitut berichtet, dass die Platzwunde an der Stirn von einem Schlag gekommen ist. Ein Stein oder ähnliches ist der Verursacher. Das Komische ist allerdings, dass die Platzwunde viel später verursacht wurde, als die Verletzungen an den Armen und Beinen. Die Leiche muss also noch gelebt haben. Circa zehn Minuten später entstand erst die Platzwunde. Auffällig sind auch die Kratzer am Rücken. Es gibt mehrere Gründe dafür. Entweder wurde die Leiche durch den Dreck gezogen oder es handelt sich... tja – um leidenschaftlichen Sex. Schließlich waren beide fast nackt aufgefunden worden. Das Komische ist, dass die Klamotten wie vom Erdboden verschluckt sind.“ Frau Vogel schloss die Augen. Das machte doch alles keinen Sinn. Irgendwas lief hier schief. Gewaltig schief.
5
Emily schloss die Haustüre auf und schloss die Türe hinter sich.
Wenigstens konnte sie wieder ein bisschen klarer denken. Sie waren beide fast nackt. Hatte er sie umgebracht? Haben sie miteinander geschlafen? Wieso war er bewusstlos? Warum war er in ihrem Zelt? War er ein Mörder? Wie ist sie gestorben? Warum ist sie gestorben? Warum war Joker nicht in ihrem Zelt? Wo war Joker in der Nacht? Sie wurde ermordet. Was hat Finn damit zu tun? Keylin wurde ermordet. Sie wurde ERMORDET!!! Und einer von ihren Freunden, einer von ihren Klassenkameraden war daran Schuld. Finn? Warst du es? Warum? Emily brach zusammen und fing an zu weinen. Sie konnte nicht mehr.
Nach einer Weile hatte sie sich ein wenig beruhigt und sie konnte nicht mehr weinen. Sie hatte einen Entschluss gefasst. Sie würde stark bleiben. Sie musste stark bleiben.
Sie machte sich etwas zu Essen und verbrach den Tag mit Fernsehgucken. Irgendwann schaffte sie es einzuschlafen. Sie wusste nicht warum aber es ging irgendwie.
6
Franziska Vogel hatte sich die ganze Nacht lang den Kopf darüber zerbrochen was in dieser Nacht wohl passiert ist. Sie hatte beschlossen mit ihrem Kollegen ins Krankenhaus zu fahren. Sie hoffte darauf, neues zu erfahren. Finn Parker musste ja etwas wissen. Eine Krankenschwester führte die beiden Kollegen zum richtigen Zimmer. Frau Vogel öffnete die Tür und betrat das Zimmer von Finn Parker.
Er lag verheult auf dem Bett. Als er sie sah, drehte er sich weg. Franziska musste sich ein Grinsen verkneifen. Jungs und Gefühle zeigen. Sie betrachtete ihn genauer. Ein wirklich sehr hübscher Junge. Bestimmt viele Verehrerinnen, der Junge. „Finn Parker? Mein Name ist Franziska Vogel und das ist mein Kollege Sven Herrlich. Wir sind von der Mordkommission.“ Finn wischte sich unauffällig über die Augen. „Wenn sie mich gleich verhaften wollen, geht leider nicht, ich muss noch mindestens zwei Wochen hier bleiben. Doppelter Bruch im linken Bein und ein paar Verstauchungen.“ Jetzt war es Sven Herrlich, der fast Lachen musste. Frau Vogel zog eine Augenbraue hoch. „Wieso sollten wir sie verhaften?“ „Scheiße, ich lag neben einer Leiche und habe sie umarmt! Und wir waren nackt und sie... sie war tot! Ist doch offensichtlich was passiert ist. Und wenn sie mich jetzt nach meiner Version der Nacht fragen wollen, es gibt keine. Weil ich keine Ahnung mehr habe. Scheise, ich weis nichts mehr! Nichts! Wir saßen am Lagerfeuer, und dann sind Emily und ich ins Zelt und das wars. Ich weis nichts mehr.“ Sven Herrlich räusperte sich. „Naja, aber dass sie mit ihrer Ex-Freundin geschlafen haben, dass wissen Sie sicherlich noch, habe ich Recht?“ Finn schluckte. Und schluckte. Und schluckte. Und heulte. Wieder drehte er sich von den Kommissaren weg. „Wieso... wieso Ex-Freundin? Hat sie... Hat sie das gesagt?“ Franziska schaute ihren Kollegen böse an. Gut gemacht, Herrlich! Die nächsten Fragen verliefen erfolglos, Finn blieb bei seiner Version „Ich-weiß-nichts-mehr“. Die Kollegen verabschiedeten sich und wollten gerade gehen da sagte Finn „Könnten sie ihr vielleicht ausrichten...“, er stockte kurz, „Naja, also dass ich, dass sie... also, dass... scheiße ich Liebe sie echt verdammt.“ Seine Unterlippe zitterte und er fing wieder an zu weinen und diesmal drehte er sich nicht weg. Sven Herrlich gab Frau Vogel ein Zeichen, dass sie schon mal rausgehen sollte. Sie schloss leise die Tür hinter sich. „Denken Sie ich habe sie umgebracht? Denken sie ich habe mit ihr geschlafen?“ Parker sah so hilflos aus. Herr Herrlich zuckte mit den Schultern. „Es wird schon irgendeine Erklärung geben, Herr Parker. Und egal was rauskommt, kommt es auf Emily an.“ Finn nickte, drehte sich weg. Wahrscheinlich fing er gerade wieder an zu heulen, dachte Herr Herrlich und verließ den Raum. „Toll gemacht, Herrlich! Ich habe an der Tür gelauscht. Dafür musste ich jetzt rausgehen? Siehst du nicht wie fertig der Kerl ist? Und du... also was sollte das denn jetzt?“ Sven zog beide Augenbrauen hoch. „Wir sind von der Mordkommission und haben hier vielleicht einen Mörder vor uns, Franziska! Hier ermitteln wir in Sache Mord und nicht in Sache Liebeskummer!“ Franziska verdrehte die Augen. Männer.
Auf dem Präsidium gab es Neuigkeiten. Erstens: Keylin hatte in jener Nacht keinen Geschlechtsverkehr. Zweitens: Die Flaschen von Joker standen in unmittelbarer Nähe vom Feuer, Sina hätte sie beim „Feuer-löschen-wollen“ sehen müssen. Außerdem wurden auf den Flaschen Abdrücke von Finn Parker gefunden. Doch am Flaschenansatz waren keinerlei Speichelfasern oder ähnliches. Niemand hatte von den Flaschen getrunken. Wieso hatte Finn sie also in der Hand? Franziska runzelte die Stirn. Sie seufzte und hoffte das Joker ihr ein bisschen helfen könnte.
7
Emily hatte 38 verpasste Anrufe und 11 neue SMS.
Sowohl die Anrufe als auch die SMS waren alle von Finn.
Sie wachte am Morgen bereits um 8 auf obwohl sie sonst bis Mittag schlief.
Ist ja auch kein Wunder, dachte sie sich, und legte sich wieder vor den Fernseher.
Dort lag sie den ganzen Tag, aß nichts, trank nichts. Sie war wie in Trance, konnte
Das alles noch gar nicht fassen. Sie öffnete die erste SMS. Emily... Ich weiß nicht, was passiert ist. Wirklich, ich habe so viel getrunken. Ich kann mich nur noch an die schöne Zeit mit dir im Zelt erinnern. Ich weiß, das entschuldigt gar nichts und ich möchte das du weißt das egal was am ende rauskommt, ich dich über alles liebe. Ich sitze hier im Krankenhaus und frage mich was ich getan habe. Ich kann mir nicht vorstellen das ich sie wirklich... du weißt schon. Ich habe keinen Grund, verstehst du? Ich bin doch kein Mörder. Das weißt du. Das weißt du doch, oder? Emily schluckte. Die SMS war von gestern. Alle 10 SMS waren von heute. Sie öffnete die Nächste. Die Kommissare waren eben da. Der eine... also er meinte dass ich mich bestimmt noch an die Nacht mit meiner Ex-Freundin erinnern könnte. Er hat gesagt Ex-Freundin. Ich verstehe dich, weißt du? Ich verstehe, dass es aus ist. Aber ich kann damit nicht leben. Ich muss es von dir hören. Bitte geh an dein Handy oder schreib mir zurück. Bitte Emily, ich Liebe dich.! Ich ließ die nächsten zwei SMS aus und öffnete eine andere. Emily?! Ich habe verstanden, dass du mir nicht antworten möchtest. Und ich werde dich auch in Ruhe lassen, weil ich akzeptiere das...dass du nicht mit einem Mörder zusammen sein willst. Auch wenn ich, wenn ich keiner bin, weil ich glaube das einfach nicht. Glaubst du das denn? Nein. Ich glaubte es nicht. Ich glaubte gar nichts. Nein, ich werde dich nicht in Ruhe lassen. Ich liebe dich und ich akzeptiere nicht, dass du mich einfach verlässt. Du hast das Recht dazu, aber ich werde erst aufhören zu kämpfen wenn du es mir ins Gesicht sagst. Ich liebe dich. Ich schaltete mein Handy aus und fing an zu weinen. Ich weinte so lange, bis ich nicht mehr konnte. Es war so unreal. Ich zuckte hoch, als es an der Tür klingelte.
8
Joker saß mit Augenringen und roten Augen wie ein kleines Baby auf dem Stuhl. Das verwunderte Franziska nicht. Aber seine Version verwunderte sie ziemlich. Ohne das sie irgendetwas sagen musste fing er an, zu erzählen. Alle hatten ihr erzählt, dass er immer der „cool-tuende“ wäre, aber das konnte Franziska wirklich nicht bestätigen!
„Der Abend war total scheiße! Ich war wirklich nicht gut drauf, weil, naja am Anfang war es noch okay. Keylin und ich waren wie immer gut drauf und alles. Aber dann fing sie auf einmal an zu weinen. Sie meinte, ich werde euch alle so schrecklich vermissen. Sie ist sonst nicht so der Typ, der seine Gefühle zeigt, wissen Sie, und da war ich natürlich verwundert, als sie dann anfing zu weinen. Ich wollte sagen, ja wir werden uns alle schrecklich vermissen, doch da meinte Sina auf einmal: „Ja, dass du ein Jahr weg gehst, ist schon wirklich schrecklich! Aber andererseits: Dann hab ich deinen Freund ja ganz allein. Hihi. War nur Spaß, ich weiß ja, dass er dir gehört.“ Da ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt. Sie, wir, Sie und ich wollten gemeinsam studieren und haben uns unsere Zukunft zusammen ausgemalt. Und dann ändert sie plötzlich ihre Meinung. Das war... Also ich war ziemlich sauer. Aber es war unser Klassentreffen und ich wollte nicht einen auf Sauer machen also habe ich sie einfach nicht beachtet. Das ging natürlich schlecht und dann habe ich mich einfach schon früh verabschiedet und Keylin kam mit mir mit zum Zelt. Ich bin dann wirklich gleich schlafen gegangen. Ich wollte keinen Streit, weil ich den Abend nicht kaputt machen wollte. Ich konnte nicht schlafen und da... Ich hatte ja die Getränke mitgebracht und dann habe ich angefangen zu trinken. Hab mich vors Zelt gehockt und getrunken. Alle waren schon in ihren Zelten... war ja auch schon nach drei. Irgendwann kam Keylin raus und meinte ich soll nicht so viel trinken und wieder reinkommen. Sie hat allen ernstes gesagt, ich soll jetzt reinkommen, damit sie noch ein letztes mal mit mir schlafen kann. Können sie sich das vorstellen?? Da ist bei mir die Sicherung durchgebrannt. Ich war so sauer. Hab gefragt warum sie mich angelogen hat, wir wollte zusammen studieren. Da meinte sie, das mit uns war doch eh nur ein Sommer. Es ging immer wieder so weiter. Hin und her. Und irgendwann hat sie gesagt ich soll jetzt meine Hose ausziehen, es würde sie anmachen, wenn ich sauer war. Ich bin ganz ruhig geworden und habe sie einfach nur angesehen. Sie kam näher und wollte mir meine Hose ausziehen und da... Da habe ich sie gepackt und auf den Boden gehauen. Hab auf sie eingetreten. Ich war so verliebt, verstehen sie? Verliebt, Betrunken und so enttäuscht. Dann lag sie da. Und dann habe ich ein Geräusch gehört. Hab mich umgedreht... da war aber niemand. Dann habe ich Angst bekommen. Und bin weggerannt. Ich bin so lange gerannt und gerannt. Durch den Wald, Kilometer weit. Und dann habe ich den Schrei gehört, als Sinah sie gefunden hat. Wissen sie, als ich sie mit Finn gesehen habe, ich dachte ich sterbe. Verdammt, ich dachte sie hätte sich mit ihm getröstet. Sie waren nackt... und dann war sie tot! Das war zu viel für mich. Dann habe ich auch noch Emily gesehen wie sie auf dem Boden sitzt und fassungslos ins Leere guckt. Ich wollte einfach nur noch weg! Weg! Weg! Weg! Deswegen bin ich auch nicht mehr ins Präsidium gekommen.“ Er zog die Nase hoch, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und schluckte. „Ich wollte erlich sein, von Anfang an! Ich hoffe nur, dass alles wieder gut geht. Sofern das noch möglich ist. Wissen sie... ich habe Keylin geliebt. Sie war anders als alle anderen Mädchen. Sie war lebensfroh. Aber ich musste einsehen, dass sie mich nicht wollte.“ Er lächelte tapfer. Franziska Vogel hatte bis jetzt noch kein einziges Wort gesagt. Dieser Junge imponierte sie. Ziemlich sogar. „Dankeschön Joker. Du hast uns sehr geholfen.“ Er zuckte mit den Schultern und ging zur Tür. „Man tut, was man kann.“
9
Emily wischte sich die Tränen weg und öffnete die Tür. Finn.
Sie guckte ihn an und die Minuten verstrichen. Sie schaute in seinen eisblauen Augen, mit roten, blauen und lilanen Rändern. Wie er da stand, mit seinen dunkelbraunen, verwuschelten, verschwitzten Haaren und sie verheult anschaute. Mit seinem hilflosen Blick.
„Darf ich reinkommen?“, fragte er mit brüchiger, weinerlichen Stimme.
Emily zögerte. Schließlich öffnete sie Tür so weit, dass er mit seinen Krücken und Schienen reinkonnte. Er setzte sich aufs Sofa und zog die Nase hoch wie ein Kleinkind. „Wenn du eine Erklärung willst, dann muss ich dich enttäuschen, weil ich dir keine geben kann. Aber wenn du mich liebst, Emily, wenn du mich wirklich liebst, dann glaubst du auch daran, dass ich das nicht war. Liebst du mich, Emily? Ich liebe dich.“ Ihr Handy klingelte und sie drehte sich von Finn weg. „Hallo?“, fragte sie mit schwacher Stimme. „Ja, wir kommen.“ Kurze Pause. „Finn ist hier. Ja bis gleich.“ Das Gespräch wurde beendet und Emily drehte sich wieder zu Finn. „Ich liebe dich auch, Finn.“
10
Franziska Vogel dachte über das Verhör mit Sina nach, dass sie eben beendet hatte.
Als sie den Raum betrat sah sie in Sinas verunsicherte Augen und merkte gleich: Da stimmt was nicht. Als Sina auch noch fragte, ob Joker sie gesehen hatte, und sie das auch erklären könne, war für Franziska klar, dass sie hier eine Mörderin vor sich hatte. „Wie meinen sie das, ob Joker sie gesehen hatte?“, stellte sich Franziska dumm. „Na, wegen dem Streit zwischen Joker und Keylin.“ „Welcher Streit?“ „Sie wissen, nichts von dem Streit?“ „Mal eine andere Frage. Sie haben gesagt, sie könnten das erklären. Dann erklären sie mir das doch mal.“ „Ich wollte doch das Feuer löschen, und da habe ich die beiden gesehen.“ Franziska runzelte die Stirn. „Als sie das Feuer löschen wollten, brauchten sie Wasser un sind zu Keylins und Jokers Zelt gegangen und haben Keylin tot neben Finn gesehen. Wie können sie kure Zeit zuvor Joker und Keylin am Feuer gesehen haben? Noch dazu wenn sie Joker gesehen haben macht es keinen Sinn zu Jokers Zelt zu gehen, weil sie ihn nach Wasser fragen wollten. Weil er ja gar nicht im Zelt war.“ Sina sagte nichts. Ihre Hände zitterten. „Am Lagerfeuer. Sie haben aus Spaß irgendwas von jetzt gehört er mir wenn du ein jahr weg gehst geredet. Das war kein Spaß, oder Sina? Sie sind in Joker verliebt, habe ich Recht?“
Natürlich hatte sie Recht. Sina fing an zu weinen. „Ich habe gehört, wie er sie angeschrien hat. Und dann meinte sie allen ernstes noch er soll sich die Hose ausziehen, sie findet es heiß wenn er sauer ist. Sowas hat er nicht verdient! Ich bin aus meinem Zelt geschlichen, ein bisschen zu laut, denn Joker hat sich umgedreht. Ich war nicht sicher ob er mich gesehen hat, aber da ist er weggerannt. Ich habe diese Schlampe auf dem Boden liegen sehen. Sie hat ihn behandelt wie das letzte Stück Dreck! Sie hat sich aufgerappelt. Ich war betrunken und ich wollte sie weghaben. Ich habe sie angeschrien doch sie lachte bloß und meinte nur auf jemanden wie mich würde Joker doch sowiso nicht stehen! Und da hab ich sie geschubbst und sie ist mit der Stirn auf den Stein geknallt! Sie hat sich nicht mehr bewegt! Und dann kam auch noch Finn! Er hat mich fassungslos angestarrt und meinte warum ich das getan hätte! Er hat Wasser genommen und ihre Wunde gesäubert. Er wollte die Polizei rufen da habe ich mich auf ihn geworfen. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Da habe ich beide ins Zelt geschleppt. Um meine Fingerabdrücke zu vertuschen habe ich ihre Klamotten ausgezogen. Ich wollte es so aussehen lassen, als hätten die zwei miteinander geschlafen. Ich wusste doch nicht das sie tot war! Ich wollte das nicht.“ Sie hatte ihren Kopf gesenkt und schluchzte.
Franziska hatte Emily angerufen und gebeten herzukommen. Sie und Finn kreuzten auf und als Frau Vogel Ihnen die Geschichte erzählten, brachten beide in Tränen aus.
Sie lies die zwei alleine und ging zu ihrem Kollegen um zu berichten, was wirklich passiert war. Als sie rauskam, um sich und ihrem Kollegen einen Kaffee zu holen blieb sie kurz stehen und schaute zu Finn und Emily, die sich weinend mit so viel Liebe küssten, wie sie es noch nie gesehen hatten. Sie lächelte. Das ist wahre Liebe.
Tag der Veröffentlichung: 19.07.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle, die an die große Liebe glauben.