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Losthoward, 14. Juni 2010
Am vergangenen Montag, dem 12. Juni fand man die junge Tiphaine M. gegen 03:00 nachts in einem Wald auf. Sie leidete unter Unterkühlung und zahlreichen schweren Verletzungen am ganzen Körper. Unter Schock brachte man sie ins Krankenhaus. Diverse Untersuchungen ergaben, dass das Mädchen höchst wahrscheinlich vergewaltigt worden war. Genaueres ist noch nicht bekannt. Vom Täter fehlt jede Spur. Die Polizei ermittelt.


1. Kapitel (Finn)

Ich saß wie jede Woche in dem großen, gemütlichen Stuhl bei Dr. Kingsley und wie immer verstrichen die ersten Minuten ohne das jemand etwas sagte. Es tat gut mal eine kleine Auszeit zu nehmen. Ich wusste, dass ihre beste und einzige Freundin auf Tiphaine aufpassen würde. „Mr. Parker?“ Wie oft ich diese Frage nun schon gehört hatte. Mal habe ich gelacht als Dr. Kingsley mich das gefragt hat, mal habe ich geweint. Und manchmal konnte ich ihn nicht hören als er das fragte, weil ich mit meinen Gedanken wo anders war. „Mr. Parker?“ Er wiederholte sich. „Haben sie verstanden, was ich gesagt habe?“ Ich schaute auf. „Nein, tut mir Leid. Ich war in Gedanken wo anders.“ Er schrieb etwas auf seinen kleinen Notizblock, was mich nervös machte. „Ich habe gefragt wie es Ihnen geht.“ „So wie immer. Es hat sich nichts verändert. Sie ist immernoch so wie vor 2 Monaten.“ Er nickte. „Mr. Parker? Ich meine nicht ihre Freundin. Wie geht es Ihnen? Haben sie immernoch die Zitteranfälle? Wutausbrüche?“ Ich nickte und er schrieb wieder etwas auf. Mein Hals brannte und die Kopfschmerzen sind wie immer fast unerträglich. „Mr. Parker wir werden jetzt einen Schritt weiter gehen. Erzählen sie mir etwas von ihrer Freundin. Wie sie früher war. Was sich verändert hat.“ „Aber das hatten wir doch schon so oft.“, antwortete ich. Er sagte nichts. Ich seufzte und begann. „Als ich sie kennen gelernt habe.“ Ich schluckte. „War sie ein wunderbarer Mensch. Das ist sie auch jetzt noch natürlich. Aber sie war anders. Sie war so aufgeschlossen und freundlich. So süß und unwiederstehlich. Sie hat immer gelacht.“ Ich lächelte. „Sie war auf eine Weise wie alle anderen aber auf der anderen Seite war sie anders. Sie war besser. Sie war so frei.“ Er nickte wieder. „Und jetzt? Wie hat sie sich verändert seit dem Vorfall?“ Ich schluchzte. „Sie hat Schreianfälle. Sie hat noch keine Nacht durchgeschlafen. Schlafen tut sie nur wenn sie Medikamente genommen hat. Sie... isst nichts mehr. Ich weiss nicht, sie stoßt mich ab. Ich komm nicht mehr an sie ran, verstehen Sie? Es tut so weh, zu sehen wie sie kaputt geht. Ich will ihr so gerne helfen, wissen Sie? Aber ich weiß einfach nicht mehr weiter. Ich möchte am liebsten denjenigen umbringen, der ihr das angetan hat. Sie... es ist schlimmer als ermordet zu werden. Weil... wissen Sie wenn man stirbt, dann dauert es eine Zeit. Es können Stunden sein, oder Sekunden. Aber irgendwann ist es vorbei. Aber bei ihr... es ist so als ob ihre Seele tot ist, aber sie leidet trotzdem. Sie leidet immer.“ Ich weinte. Ich habe früher nie geweint. Jetzt weine ich jeden Tag. „Ich will stark für sie sein, denn wenn ich es nicht bin, dann gehe ich kaputt und sie auch, verstehen Sie? Ich muss einfach stark sein, ich muss funktionieren. Ich muss sie in den Arm nehmen auch wenn sie schreit und schreit und mich schlägt weil sie eine Panikattacke hat. Ich muss funktionieren. Ich muss.“ Ich sackte zusammen. Diese Gefühlsausbrüche machten mich immer schwächer. Es gab eine lange Pause in dem ich leise weinte und auf seine Antwort wartete. Aber er sagte nichts. „Wissen Sie... Ich versuche seit zwei Monaten sie zu zwingen, etwas zu unternehmen. Ich will das sie auf andere Gedanken kommt. Zum Psychater geht, dass vielleicht Sie ihr helfen können. Aber sie geht nicht darauf ein, verstehen Sie? Ich kann nicht mehr. Ich muss immer stark sein. Aber ich kann nirgends Kraft tanken. Ich kann mich nirgendwo ausheulen. Ich liebe sie. So sehr, dass es weh tut. Ich möchte mich umbringen, wissen Sie? Weil ich schon dran sterbe wenn ich sehe wie sie kaputt geht. Aber wenn ich mich umbringe, dann schafft sie gar nichts mehr. Sie ist von mir abhängig. Und manchmal gibt es Momente, in dem sie mir zeigt, dass sie mich liebt. Diese Momente sind wundervoll. Aber ich kann nicht mehr.“ Ich schloss die Augen. „Mr. Parker, genau das gleiche haben sie vor einem Monat schon mal zu mir gesagt. Ich werde Ihnen jetzt mal eine Geschichte erzählen. Es waren einmal ein Mädchen und ein Junge, die lebten für Handball. Es gab immer nur Handball für sie. Eines Tages verlor eines der Geschwister beide Arme bei einem schweren Autounfall. Das Mädchen musste von dort an Handball aufgeben – denn es musste dem Jungen bei allem helfen. Denn ohne Arme konnte der Junge nichts machen. Kurze Zeit später bekam der Junge die Chance auf neue Arme. Das Mädchen freute sich für ihn, doch der Junge... tja der Junge weigerte sich die Arme anzunehmen. Das Mädchen wollte es unbedingt, redete lange auf den Jungen ein, doch der Junge fühlte sich bedrängt und lehnte alles immer mehr ab. So blieb es dabei, dass das Mädchen Handball nur noch im Hinterkopf hatte, sauer war, weil der Bruder sich nicht helfen lassen wollte und ihrem Bruder bei allem im Leben helfen musste. Irgendwann hatte sich das eingespielt, dass die Schwester rund um die Uhr für den Jungen da war. Und sie lebten weiter. Aber es blieb immer dabei. Es wurde niemals besser. Mr. Parker? Ihre Freundin möchte sich nicht helfen lassen. Vielleicht ist es zu früh. Aber wenn sie selbst ihre Hilfe ablehnt, heißt das nichts Gutes. Es wird sich etwas ändern. Ihre Freundin wird sich entweder schlecht entwickeln oder aufgeschlossener werden. Aber sie wird niemals, niemals normal sein. Denn sie erlitt einen schweren Schock. Sie war lange Zeit traumatisiert. Genau wie Sie, Mr. Parker. Sie stecken in einem Teufelskreis. Ich weiß, wie sehr sie sich eine Beziehung wünschen. Aber dieser Traum wird niemals klappen. - Das heißt, wenn es klappen wird, dann erst in Jahren. Sie müssen verstehen, dass sie nicht immer bei ihrer Freundin sein können, wenn sie Hilfe braucht.“ Er schaute mich mit einem Blick an, den ich nicht erklären konnte. Ich stand auf, und ging zur Tür. Ich drehte mich um und schrie ihn an: „Ach ja?! Sie haben doch überhaupt keine Ahnung. Ich war die letzten zwei Monate immer für sie da. Und es ist verdammt schwer. Aber ich werde immer für die da sein. Irgendwann wird sie es schaffen! Irgendwann werden wir das schaffen! Zusammen! Ich liebe sie mehr als alles andere.“ Ich schlug die Tür hinter mir zu. Meine gläsernen Augen brannten, weil ich die letzten zwei Nächte nicht geschlafen hatte. Ich stieg ins Auto und machte mich auf den Weg, meine Freundin abzuholen.


2.Kapitel (Tiphaine)
Es klingelte und ich schreckte zusammen. Ich war auf einem Sofa. Im Fernseh lief etwas. Dann war da Finn. Ich liebe ihn. Er sagte wir fahren jetzt heim. Er zog mich vom Sofa. Als er mich berührte fing ich an zu schreien. Er nahm mich in den Arm. Ich weiß, dass er mir helfen will. Aber mein Leben ist bereits vorbei. Ich will nicht das er denkt, er könne mir helfen. Wir saßen im Auto. Finn lächelt und fragt was wir bei meiner Freundin gemacht haben. Fernseh, denke ich. Er fragt nochmal. Er fragt mich ob ich ihm zuhöre. FERNSEH schreie ich ihm laut zu. Irgendwas ist anders. Finn schreit ich soll es lassen. Was lassen, Finn? Dann war da Blut. Ich kriegte keine Luft mehr.


3.Kapitel (Finn)
Seit zwei Wochen war Tiphaine im Krankenhaus. Wir fuhren gerade heim, da nahm sie das Taschenmesser aus der Ablage im Auto und schnitt sich die Pulsader auf. Ich weiss nicht mehr weiter. Warum macht sie das? Sie redete nicht mehr. Gar nicht mehr. Die Ärzte meinten, sie wäre noch traumatisiert. Ich wusste es, doch ich hatte gehofft, dass es sich bessert. Ich saß neben ihr auf einem Stuhl und schaute sie an. Sie war wunderschön. Wenn ich sie ansah gab es mir Kraft, obwohl ich jedes mal einen Stich ins Herz bekam, wenn ich in ihre leblosen Augen sah. Zum Millionsten mal fragte ich mich was sie denkt. Mein Psychater sagte mal, sie lebt in einer anderen Welt. Sie war so traumatisiert, dass sie nicht mehr klar denken kann. Ich glaubte das nicht. Dr. Kingsley meinte, sie würde niemehr normal werden. Ich begriff das nicht. Warum war sie so? Sie wurde vergewaltigt. Aber viele, die das wurden, haben es geschafft, normal weiter zu leben. Sie war so ein starker Mensch. Wieso verhält sie sich so, dachte ich und legte mein Kopf in meine Hände. Ich liebe sie. Es tut alles so weh. Ich schloss die Augen und wünschte mir so sehr, dass das alles nicht geschehen wäre. Ich fing an zu weinen. Ich wünschte mir so sehr das alles wieder normal wäre. Ich weinte immer weiter. Ich saß da, wie ein Haufen Elend und dachte nichts. Ich war so leer. So wahnsinnig leer.


4. Kapitel (immernoch Finn)
Ich verstand nichts mehr. Wieso kann ein Mensch so leblos sein? Sie nimmt nichts mehr war. Warum? Sie tut sich selbst weh. Warum? Ich sprach mit vielen Ärzten darüber doch niemand konnte mir es erklären.
Trotzdem stand für mich fest, dass ich nie aufgeben würde. Ich würde kämpfen, von mir aus mein Leben lang. Es sind drei Wochen vergangen und sie liegt immer noch im Krankenhaus, weil sie unterernährt ist. Sie verweigerte das Essen, und niemand kann sie zwingen zu essen. Selbst ich nicht. Sie redete wieder. Aber keine richtigen Sätze. Es war so, als ob sie keine Kraft zum Reden hätte. Ich hatte auch keine Kraft mehr. Ich wusste, dass ich ohne sie niemals leben konnte.

5. Kapitel (Tiphaine)
Ich versuchte die Buchstaben richtig hintereinander zu setzen. Ich war fertig und lies den Stift fallen. Ich war fertig. Ich schaute auf das geöffnete Fenster. Ich sprang.

6. Kapitel (Finn)
Ich hatte mir nur einen Kaffee geholt und als ich zurück kam, hörte ich Schreie. Ich rannte zum Fenster und meine Welt brach zusammen.

Nach zwei Tagen holte ich ihre Sachen ab, da sie sonst niemanden hatte, der das tun könnte. Ich fand einen Zettel auf dem Finn stand und bekam keine Luft mehr.


Finn
Du hast immer versucht, mir zu helfen.
Aber ich wollte keine Hilfe.
Denn ein Teil von mir wäre immer zerbrochen,
mein ganzes Leben lang.
Ich habe versucht für dich zu leben
und nur durch dich habe ich überlebt.
Aber jetzt bin ich kaputt und du auch
trauer um mich, Schreie! Weine! Schlage!
Du weißt, dass meine entscheidung die beste
für uns ist. Ich Liebe dich Finn. Ich werde es flüstern
wenn ich springe, und dann bin ich glücklich.
Dann bin ich frei.


Das Ende (2 Jahre später)

Ich saß nicht bei Dr. Kingsley im Zimmer, wie ich es heute
vorgehabt hätte. Ich brauche seine Hilfe noch ich weiß.
Aber ich bin zum See gefahren, Tiphaine und meine Lieblingsstelle.
Ich weiß nicht, wie sie den Brief damals noch schreiben konnte.
Ich habe keine Antworten bekommen. So viel wusste ich nicht, über so
viel hatte ich mir den Kopf zerbrochen. Aber ich habe sie verstanden.
Und das ist das Wichtigste.

Die Sonne glitzerte über mir und ich lächelte.
Ich Liebe dich, flüsterte ich.

Impressum

Texte: *
Tag der Veröffentlichung: 08.07.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch allen, die eine ähnliche Situation erlebt haben. Das Leben kann so verdammt weh tun! Und manchmal gibt es auch keine Erklärung für etwas. Aber das ist das Leben.

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