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Prolog

Gelangweilt ging er durch die Straßen der Stadt. Früher hatte sein Leben noch irgendeinen Sinn gemacht. Damals, als die Leute noch gläubig waren. Eine Verdammung hier, eine Verfluchung da und alles war wunderbar. Doch wer glaubte heute noch an diesen Kram? Niemand. Das machte das Leben als Teufel überaus reizlos. Und da er schon zum fünfundneunzigsten mal etwas gemeistert hatte, wurden ihm auch langsam die menschlichen Tätigkeiten langweilig. Er war fünf-Sterne-Koch, beherrschte jede Sprache, jede Kampfkunst und alle möglichen Techniken, von Origami bis zu Joga. Er hatte jedes Unterrichtsfach studiert, in jedem Job Karriere gemacht und sich sogar dazu herab gerungen den Armen etwas gutes zu tun. Das erweckte selbst jetzt noch Übelkeit in ihm.

Plötzlich überkam ihm dieses Gefühl. Es prickelte, stach überall. Wenn er Glück hatte passierte das einmal im Monat. Jetzt war es sogar das zweite mal in einer Woche. Man, er war echt ein Glückspilz.

Gelangweilt materialisierte er sich im Wohnzimmer eines sich streitenden Paares und sah sich desinteressiert um.

„Verflucht, scher du dich doch zum Teufel, du verdammter Mistkerl!“, schrie die Frau gerade wutentbrannt.

„Wie reizend.“, bemerkte er und zog somit die Aufmerksam der beiden auf sich. „Gleich zwei Seelen an einem Abend. Warum hab ich nicht öfter einen Tag wie diesen?“

„Was suchen Sie in meinem Haus?!“, donnerte der Mann, „Wie sind Sie überhaupt hier rein gekommen?!“

„Ja ja. Die Frage stellt man mir immer. Ich bin es leid jedes mal das selbe zu antworten. Können wir das also lassen und direkt zum Geschäft kommen?“ Seufzend ließ er sich in den nächsten Sessel sinken. „Sehr ungemütlich. Sie sollten sich einen neuen kaufen. Aber das brauchen sie ja jetzt nicht mehr. Für gewöhnlich fange ich mit der Person an, die es zuerst ausgesprochen hat. Aber heute habe ich einen Guten Tag, also darf die Dame zuerst.“

„Wovon sprechen Sie?“, fragte diese verwirrt, „Und wer sind Sie?“

„Ah, ja. Natürlich. Die moderne Zeit, ich vergaß.“, murmelte er zerknirscht, „Nicht mal Kinder würden den Teufel höchst persönlich erkennen, wenn er vor ihnen steht. Nennt mich wie ihr wollt. Teufel, Satan, König der Unterwelt, Luzifer und so weiter. Setzen Sie sich doch, verehrte Dame. Ich hab in einer halben Stunde ein Date und da möchte ich nicht zu spät kommen. Schade, dass sie sich ausgerechnet diesen Abend dafür ausgesucht haben jemanden zu verdammen.“ Er sah auf seine Armbanduhr, klopfte kurz daran und hielt sie sich ans Ohr, bevor er gereizt mit der Zunge schnalzte. „Schon wieder stehen geblieben. Diese Uhren taugen zu gar nichts. Halten nicht einmal einer Dematerialisierung stand. Oder es liegt wie immer an mir? Technologie war noch nie mein Freund. Nun setzen Sie sich doch.“

Zögerlich setzte sich die Frau ihm gegenüber. „Was wollen Sie von mir?“

„Was ich von Ihnen will? Oh nein, Sie missverstehen mich. Sie haben mich gerufen. Nun, eigentlich Ihr Ehemann, aber jetzt geht es vorerst um Sie.“ Er klopfte kurz seine Tasche ab und seufzte leise. „Schon wieder nicht dabei. Na gut, dann eben die alten Formulare.“ Mit einem Schnipsen tauchte eine alte Schriftrolle und ein antik aussehender Füller auf dem Tisch vor ihm auf. „Dann sehen wir mal nach.“ Er griff nach der Schriftrolle und rollte sie auf. „Es ist etwas ganz einfaches. Eine einfache Verdammung, nichts weiter. Mal sehen... Ich drücke es einfach modern aus. Sie haben soeben Ihren Mann verdammt, indem sie sagten, ich zitiere: 'Verflucht, scher du dich doch zum Teufel, du verdammter Mistkerl'. Ich hab's gehört, also ist das korrekt.“, fügte er kurz hinzu und hob eine Braue. „Gleich drei mal in einem Satz. Eine Meisterleistung. Dann fahren wir mal fort. Kurz und knapp... Mit diesem Dokument bestätigen Sie die sofortige Verdammung Ihres Ehemannes. Sollten Sie sich jedoch anders entscheiden und nicht einwilligen, so müssen sie Entschädigung für mein Kommen zahlen. In der Regel sind das nur ein paar Jahre Ihres Lebens, Ihre Seele, Ihre Schönheit, Stimme bla bla bla... Menschliches Geld oder andere Wertsachen der Menschenwelt gelten nicht als mögliches Zahlungsmittel. Eine Weigerung der Zahlung zieht die sofortige Verdammung seiner selbst nach sich. Wir verstehen uns?“

Misstrauisch sah sie auf die Rolle in seiner Hand, dachte hektisch nach. Dieser Mann konnte unmöglich der Teufel sein. Aber woher kam dann dieses Stück Papier?

„Also, wollen Sie verdammen, oder wollen Sie nicht?“, fragte er sie.

Die Frau sah zu ihrem Mann auf, der mit blassem Gesicht neben ihr stand. Er konnte sehen, dass sie ihren Mann noch liebte. Er wusste zwar nicht was Liebe war, doch er wusste mittlerweile, dass Menschen alles für die Person taten, die sie liebten.

„Ich verdamme nicht.“, entschied sie nach einer Weile.

„Auch gut. Dann sprechen wir jetzt über die Entschädigung. Was sind Sie bereit zu geben? Ich bin ja für ein Paar Jahre Ihres Lebens. Davon merken Sie nichts. Ich nehme nur zehn oder fünfzehn.“

„Jahre meines Lebens?“, hauchte sie erschrocken.

„Nicht? Na gut. Wie wäre es dann mit Ihrer Jugend? Sicher, sie bekommen dann ein paar Fältchen, aber so schlimm ist das doch nicht, oder?“

„Nicht meine Jugend.“, murmelte sie.

„Auch nicht? Hmmm... na gut, ich habe heute gute Laune. Ich mache Ihnen ein letztes Angebot. Geben Sie mir Ihre Tränen als Entschädigung. Im Gegenzug werde ich Ihren Ehemann nicht zu mir in die Hölle holen.“

„Meine Tränen?“

„Ja. Das muss doch ein guter Deal sein. Nie wieder weinen. Na, wie hört sich das an?“

„Ja. Das klingt gut. Nehmen Sie meine Tränen.“

„Gut. Dann... unterschreiben Sie jetzt einfach hier. Sie können sich den Vertrag natürlich auch noch in Ruhe durchlesen. In der Zwischenzeit kümmere ich mich einfach um Ihre Verdammung.“ Er sah zu den Ehemann auf. „Sie haben es ja gehört.“ Mit einem Schnipsen tauchte der nächste Vertrag auf. „Dann wollen wir mal sehen. Sie haben soeben Ihre Ehefrau verdammt, indem Sie sagten...“ Er räusperte sich kurz. „Ich zitiere: 'Du verfluchtes Weibsstück, pack deine sieben Sachen und scher dich zum Teufel, missratene kleine Hure'.“ Er hielt inne und sah zu der Frau. „Wollen Sie ihn wirklich nicht verdammen?“

Sie schien ernsthaft zu schwanken. „Ich habe mich noch nicht entschieden.“, murmelte sie dann.

Er las weiter vor. „Mit diesem Dokument bestätigen sie bla bla Ihrer Ehefrau bla bla Sollten sich sich anders entscheiden, so müssen sie Entschädigung bla bla bla zahlen bla... Ich hasse diese Formulierungen. Warum hab ich mich damals nicht kürzer gefasst? Also... wollen Sie verdammen oder nicht?“ Fragend sah er den Ehemann an.

Dieser schluckte angestrengt und sah zu seiner Frau, konnte sich offensichtlich nicht entscheiden. Schließlich schüttelte er den Kopf. „Nein, möchte ich nicht.“

Er seufzte enttäuscht. „Auch gut. Was zahlen Sie im Gegenzug? Wollen Sie mir vielleicht ein paar Jahre Lebenszeit geben?“

„Niemals.“

„Na gut. Damit kann ich eigentlich sowieso am wenigsten anfangen. Wie wäre es mit Ihrem Charme?“

„Mein Charme?“

„Natürlich. Obwohl... nein, davon besitzen sie nicht genug, um mich wirklich damit bereichern zu wollen.“

Einen Moment dachte er nach. Früher war es viel leichter. Die Männern hatten Mut und Tapferkeit. Natürlich gaben sie die nie her, also nahm man sich einfach die Angst... und so starben sie auch. Warum er also nicht auch jetzt die Angst nahm? Ganz einfach... ohne Angst konnte man heutzutage sogar ziemlich gut überleben. Was nahm man also?

„Wie wäre es mit... Gier?“

„Mit meiner Gier?“

„Natürlich. Sie werden dann zu einer dieser abscheulichen Menschen, die alles für andere tun wollen. Diese selbstlosen Männer.“

„Nun... dann nehmen Sie sich meine Gier.“

„Gut... Sie müssen nur noch hier unterschreiben? Natürlich können Sie sich alles in aller Ruhe durchlesen. Unterschreiben Sie einfach, sobald Sie sich entschieden haben. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden. Ich habe noch ein Date.“

Mit diesen Worten verpuffte er wieder, so wie er aufgetaucht war. Die Frau sah zu ihrem Mann auf.

„Das muss wirklich der Teufel gewesen sein.“, bemerkte sie.

„Offenbar schon.“ Mit einem Schlucken sah er zu ihr herab. „Hättest du mich verdammt?“

„Natürlich nicht. Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch. Es tut mir so leid, was ich zu dir gesagt habe. Jetzt lass und die Verträge unterschreiben.“

„Erst möchte ich es durchlesen.“

„Aber warum?“

„Er ist der Teufel. Man kann ihm nicht trauen.“

„Na gut. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst.“

 

Zwei Stunden später spürte er, wie die Gaben auf ihn übergingen. Er begann zu lächeln und vergrub sein Gesicht an dem Hals der Frau unter ihm.

„Sag mir ehrlich, dass du mich liebst, mein Liebster.“, bat sie.

„Das weißt du doch, meine Schöne. Ich liebe nur dich. Jetzt schweig und genieße den Moment.“

 

Ein Jahr später fand man die Frau, die ihre Tränen gegeben hat, mit aufgeschnittenen Adern in ihrem Badezimmer. Auf dem Küchentisch lag ein Abschiedsbrief, in dem sie schrieb, dass sie nun einen Weg gefunden hat zu weinen. Sie ließ ihr Blut fließen.

Am selben Tag fand man ihren Mann ausgeraubt und erschossen in einer Seitengasse. Weil er keine Wertsachen bei sich trug, haben die Diebe ihn aus Frust erschossen.

So kam er doch noch zu seinen Seelen.

Kapitel 1

Mit von Tränen verschmiertem Gesicht schloss ich meine Wohnung auf, trat ein und warf die Tür achtlos hinter mir zu. Das war die dritte Beziehung, in der ich Schluss machte, weil ich ihn mit einer anderen erwischte. Drei Beziehungen von... nun ja... drei. Ich war einfach nicht für sowas gemacht. Was hatten andere Frauen? Schönheit? Ein wunderschönes Lachen? Ein hübsches Lächeln? Schöne Augen? Was war es?

Mit einem Seufzen ließ ich mich auf mein Bett sinken, blieb ein paar Sekunden so sitzen und ließ mich dann auf den Rücken fallen. Vielleicht zog ich ja solche Männer an. Sowas sollte es doch geben. Frauen, die Fremdgeher anzogen, wie Magneten. Es gab doch auch Frauen, die Schläger anzogen. Vielleicht war ich ja wirklich eine Frau, die Fremdgeher anzogen.

Ich schüttelte den Kopf. So ein Quatsch. Wahrscheinlich war ich einfach noch nicht bereit für eine Beziehung. Ja, das musste es sein. Ich war noch nicht bereit. Und dennoch schmerzte es so sehr, dass ich mich auf den Bauch rollte und weinte.

„Verflucht sollen sie sein.“, jammerte ich, „Gleich alle zusammen.“

Eine Stunde später waren alle Tränen versiegt. Ich stieg unter die Dusche, wusch mich ausgiebig und stand dann nachdenklich vor meinem Kleiderschrank. Ich würde ausgehen. Ich würde mich richtig hübsch machen und dann in eine Disco gehen.

Ich brauchte nur eine halbe Stunde, um mich fertig zu machen. Dann machte ich mich auf den Weg, hielt aber wenige Meter vor der Haustür inne. Ich wollte nicht allein gehen. Meine beste Freundin war mit ihrem Mann auf den Philippinen. Flitterwochen. Mit ihm hatte sie einen einmaligen Mann gefunden. Vielleicht sollte ich ja Nadia anrufen? Immerhin war ich auch noch nie in einer Disco und wusste nicht einmal wo eine war.

Ist ja mal wieder typisch Kari. Machst dich fertig, willst losgehen und erst dann fällt dir ein, dass du nicht einmal weißt wohin du gehen sollst.

Über mich selbst ärgernd holte ich mein Handy aus meiner Handtasche und wählte Nadias Nummer. Es tuteten zwei mal. Dann hob sie ab.

„Hey Kari, wie geht’s?“

„Hast du Lust feiern zu gehen?“, fragte ich direkt.

Sie schwieg beängstigend lange. „Wo bist du gerade?“

„Vor meiner Wohnung.“

„Gut. Beweg dich nicht vom Fleck. Ich komme zu dir und dann wirst du mir ausführlich erzählen, was passiert ist.“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren legte sie auf. War ich so leicht zu durchschauen? Zehn Minuten später stand sie bereits vor mir. Bereit um auszugehen. Sie musste schon fertig gewesen sein, als ich sie angerufen habe.

„Okay, Süße. Jetzt erzähl mir alles.“, bat sie, während sie sich bei mir einhakte und die Straße hinab ging.

„Ich habe Schluss gemacht.“, begann ich ohne Umschweife, „Er hat mich betrogen. Es war wieder Zoey.“

„Junge, Junge, die spannt dir wirklich jeden Typen aus, was? Das ist ja beinahe teuflisch. Aber jetzt bin ich ja da. Wir werden uns heute Abend so richtig gut amüsieren. Und ich weiß schon ganz genau wohin es geht. Ich kenn da jemanden, ein richtig heißer Typ.“

„Ich habe kein Interesse an einen vierten Versuch.“

„Für wen hältst du mich? Ich will dich doch nicht verkuppeln. Der Typ ist einer dieser finsteren Gestalten. Nein, mit dem nicht. Er ist aber Clubbesitzer und hat zufällig ganz hier in der Nähe ein Lokal. Glaub mir, das wird die beste Nacht deines Lebens.“

„Du meinst doch nicht etwa dieses... Tropic oder?“

„Genau das.“

„Ich hab schon die einen oder anderen Typen gesehen die da rein gehen. Alles reiche Schnösel.“

„Lass dich nicht einschüchtern. Der Typ, also der Besitzer, den ich kenne, sagte mir, dass heute eine kleine Veranstaltung läuft. Nur Leute ein unserem Alter. Also zwischen 25 und 30 werden dort sein. Jetzt guck doch nicht so grimmig. Du brauchst einfach mal Abwechslung. Wir werden dir keinen Typen suchen, mit dem du eine Beziehung haben wirst. Wir suchen einen, der dich mal so richtig gründlich flach legt.“

„Was?! Spinnst du?!“

„Ist ja schon gut. Das war nur ein Scherz. Wenn dich heute einer flach legt, werde ich nicht verantwortlich dafür sein. Ah, da sind wir schon.“

Der Türsteher sah uns einen Moment gründlich an.

„Hey, Monty! Erkennst du mich noch?“, begrüßte sie ihn, „Ist Ralph auch da?“

Der Mann brummte verstimmt. „Heute mischt er sich unter die Kundschaft.“

„Super, danke.“

Seine Antwort bestand ebenfalls auf einen Brummen, während wir das Gebäude betraten. Ich war noch nie in einem Club, doch das hier sah wirklich spannend aus. Eine riesige, verglaste Tanzfläche unter der Lichter angebracht wurden, deren Farbe sich ständig veränderten. Rechts führte eine Treppe hinauf in den VIP-Bereich, in dem es, den Lichtern nach zu urteilen, ebenfalls eine Tanzfläche gab. Darunter war die Bar und einige Tische. Es gab sogar eine Bühne, auf der im Moment nur der DJ-Pult mit einem DJ waren.

„Komm, gehen wir erst einmal etwas trinken.“, rief Nadia mir über die Musik hinweg zu, „Vielleicht sehen wir Ralph ja!“

Skeptisch ließ ich mich von ihr mit ziehen. Dort angekommen begann sie aufgeregt zu quietschen.

„Ramon! Was machst du denn hier?!“

Der Mann neben ihr sah gelangweilt von seinem Getränk auf und zuckte mit den Schultern. „Ich hab mal wieder nichts zu tun und da dachte ich, ich vertreib mir ein bisschen die Zeit.“

„Wie läuft deine Karriere?“

„Im Moment mache ich so viel Gewinn, dass ich nicht einmal einen Finger krumm machen muss.“, antwortete er abwesend und betrachtete die Eiswürfel in seinem Glas. „Morgen hab ich ein Vorstellungsgespräch an der Junior High. Mal sehen, ob das Leben als Lehrer mehr Spaß macht.“

Abschätzend hob ich eine Braue und besah mir den Mann. Er konnte nicht älter sein als 25 und war bereits so erfolgreich?

„Welches Fach möchtest du unterrichten?“

„Ich weiß nicht. Irgendein Fach, das sie brauchen. Ist ja nicht so, dass ich nicht das nötige Wissen hätte.“ Mit diesen Worten hob er das Glas und holte sich einen Eiswürfel in den Mund, den er gelangweilt zerkaute.

„Warst du bei unserem letzten Treffen nicht noch Koch?“, fragte Nadia nachdenklich.

„Hab das Restaurant gekauft. Ich bin nur da, wenn es einen Notfall gibt, um den Rest kümmert sich mein Stellvertreter.“ Desinteressiert stützte er sich mit dem Ellenbogen an der Theke ab und stützte seinen Kopf in der Hand ab. „Das ist schon gut ein Jahr her.“

„Was hast du in der Zwischenzeit gemacht?“

„Hab eine Art Crashkurs als Verkäufer gemacht und besitze jetzt eine Boutique in der Stadt. Außerdem war ich für vier Monate in Australien und zwei Monate in Afrika.“

„Dein Konto platzt sicher aus allen Nähten.“

„Ich hab mehrere Konten. Das Geld wird regelmäßig in Gold und Edelsteine eingetauscht. Ab und zu kauf ich mir hier und da ein Haus und lass es von einer Freundin einrichten, die in dem jeweiligen Ort lebt.“

„Wie viele Häuser hast du schon?“

„Ich weiß nicht. Vierzig... fünfzig. Ein paar hier, ein paar da. Die Frauen wohnen da, also spare ich das Geld für eine Haushälterin. Ich muss nicht mal Strom oder Wasser bezahlen. Irgendwann verdächtigt man mich noch irgendwelchen illegalen Tätigkeiten nachzugehen.“ Sein Mundwinkel zuckte amüsiert, wobei er etwas vor sich hin murmelte. Dann holte er sich den zweiten Eiswürfel und zerkaute ihn gelangweilt. „Noch einen Whiskey auf Eis.“

„Du schluckst das Zeug wie Wasser.“, bemerkte der Barkeeper, als er ihm nachfüllte.

„Ein paar Jahre in Russland härten ab.“, entgegnete Ramon trocken, „Was machst du hier?“, fragte er dann an Nadia, „Hast du wieder vor arme schutzlose Männer in irgendwelche Gassen zu schleppen, um über sie herzufallen?“

Meine Freundin kicherte amüsiert. „Nein. Ich hab vor mit einer Freundin einen drauf zu machen. Wir wollten einen tollen Abend haben.“ Als sie auf mich zeigte, sah er zu mir und nickte mir zu, bevor er wieder zu Nadia sah.

„Für ein bisschen Spaß bist du etwas knapp bekleidet.“, bemerkte er dann, „Du willst also doch jemanden abschleppen.“

„Manchmal denke ich, du liest meine Gedanken.“

„Kann ich nicht.“, entgegnete er nur und kippte den Whiskey weg. „Nun... ich will euch von eurem Spaß nicht abhalten.“

„Tust du nicht.“ Sie zog mich neben sich. „Du hast sicher einen guten Einfluss auf sie. Ihr Name ist Kari und sie hat ziemlich schlechte Erfahrung in Sache Beziehung gemacht.“

Spöttisch hob er eine Braue. „Und an ausgerechnet mich wendest du dich? In meinem verdammten Leben, und glaub mir es ist ziemlich lang, hatte ich nicht eine einzige Beziehung.“

„Du bist doch keine Jungfrau mehr, oder?“

„Sehe ich etwa so aus?“ Er nahm einen weiteren Eiswürfel in den Mund und zerkaute ihn gemächlich. „Außerdem hab ich heute keine Lust. Vielleicht schmeiß ich mich später auf die Couch und teste das neue Spiel, das heute auf den Markt gekommen ist. Vielleicht nehme ich noch ein Lied auf. Weiß nicht. Irgendwas.“

„Lern sie doch trotzdem mal kennen.“

Er warf erneut einen Blick auf mich, musterte mich eingehend. „Ich bin mir nicht sicher, ob das eine so gute Idee ist.“

„Nun sei doch nicht so ein Langweiler.“

„Was bleibt einem noch übrig, wenn es nichts mehr gibt, was einem Spaß macht?“

„Ach komm schon. Ich bin mir sicher, dass du sie mögen wirst.“

„Ja, sicher.“ Er wand sich wieder ab und nahm den zweiten Eiswürfel in den Mund.

„Klasse. Ich geh dann mal Ralph suchen. Viel Spaß euch zwei.“

Mit großen Augen sah ich ihr hinterher, als sie einfach in der Menge verschwand. „Tolle Freundin.“, murmelte ich und seufzte leise, bevor ich etwas nervös zu diesem Ramon sah.

„Setzen Sie sich ruhig.“, meinte dieser gelassen.

Etwas zögerlich setzte ich mich auf einen der Barhocker.

„Kira richtig?“ Fragend sah er zu mir.

„Ähm... Kari.“

„Ich bin Ramon.“

Ich ergriff die Hand, die er mir reichte. „Freut mich.“

„Hmm... Was machen Sie beruflich?“

„Beruflich? Nun... Ab heute bin ich arbeitslos.“

„Ab heute?“

„Ja. Mein Ex war mein Chef. Ich hab gekündigt und gleichzeitig mit ihm Schluss gemacht.“

„Warum?“

„Weil er mich betrogen hat.“

„Ah, das übliche. Männer tun das oft, nehmen Sie sich das nicht zu Herzen. Eigentlich haben Sie dafür keine Schuld. Die Fremdgeher ist entweder herzlos oder Idioten.“

„Und was sind Sie?“

„Nun... zumindest kein Fremdgeher. Wenn ich mit einer Frau ins Bett gehe, sage ich ihr vorher, dass es eine rein sexuelle Sache ist. Ohne Gefühle. Und ich sage ihr vorher, dass ich den Kontakt abbrechen werde, sollte sie sich in mich verlieben. Das passiert öfter, als mir lieb ist.“

„Haben Sie es denn noch nie mit einer Beziehung versucht?“

Überrascht hob er eine Braue. „Warum sollte ich? Frauen möchten doch geliebt werden, richtig? Ich liebe nicht. Das ist eine Tatsache. Ich kann gar nicht lieben. Ich kenne das Gefühl nicht einmal.“

„Haben Ihre Eltern Sie denn nicht geliebt?“

„Oh ja, ganz bestimmt.“, entgegnete er sarkastisch, „Wenn ich welche gehabt hätte. Ich hatte nicht einmal eine Kindheit, also befasse ich mich nicht damit.“

„Keine Kindheit?“

„Nein. Ich war schon immer erwachsen.“

Damit musste er meinen, dass er seine Kindheit nicht ausleben konnte und schon früh Verantwortung tragen musste. Ein schreckliches Leben. „Wer hat Sie denn aufgezogen? Wer hat Ihnen alles beigebracht?“

„Ich selbst. Ich hab ja niemanden. Worauf wollen Sie hinaus? Ich hab keine Familie und auch niemanden, dem ich vertraue. Und mir traut auch niemand. Warum auch?“

Verwundert sah ich zu ihm auf. Er musste ziemlich groß sein, wenn er selbst im Sitzen größer war als ich. „Warum nicht?“

„Ich bin eigentlich kein Mann, dem man vertrauen kann.“

„Und warum?“

„Willst du das wirklich wissen?“

„Was hab ich schon zu verlieren?“

Amüsiert lächelte er auf mich herab. „Im Grunde hat eine junge Frau wie du ziemlich viel zu verlieren.“

Da ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte, schwieg ich einfach und schwelgte wenig später in Gedanken. Ich fragte mich, warum mein Ex mich betrogen hatte, wie die anderen beiden. Und warum alle mit Zoey? War sie so interessant? Sicher, sie sah schön aus. Sie war eine Schönheit. Sie war einfach... ja. Sie sah eben besser aus als ich. War das der Grund? Wahrscheinlich war sie sogar im Bett besser als ich... ja, ganz bestimmt. Ich war noch Jungfrau. Ich wollte keinen Sex vor der Ehe. War das der Grund für die Untreue? Wollten sie alle so unbedingt Sex?

„Es wird schon ziemlich spät, meinst du nicht?“, bemerkte Ramon plötzlich.

„Hm?“ Blinzelnd sah ich zu ihm auf. „Wie bitte?“

Er tippte sich auf die Armbanduhr. „Ich sagte, es wird schon ziemlich spät. Soll ich dich nach hause bringen? Um diese Uhrzeit ist es gefährlich.“

Verwirrt sah ich auf meine eigene Uhr und stellte fest, dass die Zeit wohl schneller verging, als ich dachte. Es war tatsächlich spät. Viel zu spät, wenn ich darüber nachdachte.

„Ich... ich kann auch allein gehen. Ich wohne hier ganz in der Nähe.“

„Bist du sicher?“

Mit einem Nicken stand ich auf und wurde von ihm begleitet, als ich Richtung Ausgang ging. „Ja, das ist kein Problem. Es sind nur zwei, drei Straßen.“

„Du bist dir ganz sicher?“

„Ja. Ich bin ein großes Mädchen.“

„Nun... dann gute Nacht. Komm gut nach hause.“

„Danke.“

Ohne ein weiteres Wort wand er sich ab und ging in die entgegengesetzte Richtung als ich. Da es kalt war, zog ich an den viel zu kurzen Ärmeln meines Oberteils und verfluchte mich selbst für meine Dummheit. Warum hatte ich nicht gemerkt, wie spät es bereits war? Und wo war überhaupt Nadia?

Nachdenklich holte ich mein Handy hervor und stellte fest, dass ich zwei entgangene Anrufe und vier SMS hatte. Alle von Nadia. In der ersten schrieb sie mir, dass sie mit einem Typen, den sie in der Disco kennen gelernt hatte, nach hause gehen würde. Beim zweiten Mal riet sie mir langsam auch nach hause zu gehen. Die dritte war reine Schwärmerei bezüglich des Typen und seinen Fähigkeiten im Bett. Erst in der vierten fragte sie besorgt, warum ich denn nicht antwortete. Mit einem Seufzen tippte ich kurz eine SMS, in der ich ihr schrieb, dass ich nach hause gegangen bin und ein langes Bad genommen hatte. In dem Moment, in dem ich das Handy einsteckte, legte man mir plötzlich eine Hand auf den Mund und zog mich in eine Seitengasse.

„Sieh mal einer an. Zierlich, brünett, große Brüste und einen richtigen Arsch.“, hörte ich eine fremde Stimme schwärmen, „Man, die ist ein richtiger Fang. Komm, lass es gleich hier machen.“

„Spinnst du? Hier kann uns jederzeit jemand erwischen.“, antwortete eine andere Stimme. Beide männlich.

Ich zerrte an der Hand auf meinem Mund und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, doch bevor ich auch nur den kleinsten Fortschritt machen konnte, drehte man mich bereits um und drückte mich an eine Wand.

„Das ist mir scheißegal. Ich hatte seit drei Monaten keinen Sex und die hier ist wirklich heiß.“ Ein Mann, nicht viel älter als ich, grinste mich schmierig an und ging mir an die Brüste.

„Nein!“, schrie ich, „Aufhören, lass mich los!“

„Ach, schrei nicht so laut, sonst muss ich dich knebeln. Gut, dass sie einen Rock an hat. Das erspart mir dieses nervenaufreibende Ausziehen einer Hose.“

Als ich spürte, wie er mir den Rock hochzog, versuchte ich ihn weg zu schubsen, doch er bewegte sich keinen Millimeter. „Nein! Aufhören! Bitte, hör auf!“

„Jetzt sei mal nicht so zimperlich.“ Tränen rannen über meine Wangen, als er meinen Slip zerriss und meine Beine auseinander drängte. „Ich beeil mich auch. Du kannst ja mitmachen, dann hast du auch was davon.“

„Nein! Nein! Aufhören, nein!“

Gerade als ich hörte, wie er den Reißverschluss öffnete, ertönten von weit her Polizeisirenen.

„Klasse, das haben wir jetzt davon!“, rief der andere verärgert aus, „Lass sie los und dann machen wir, dass wir hier abhauen.“

Ohne ein weiteres Wort wurde ich losgelassen. Die beiden rannte davon, während ich mich geschockt an die Wand lehnte und langsam daran herab rutschte. Dann kam mir der Gedanke, dass sie jederzeit zurück kommen konnten. Sofort stand ich auf und lief so schnell ich konnte nach hause. Dort angekommen schloss ich die Tür hinter mir zwei mal ab, lehnte mich an die Tür und rutschte weinend daran herab. Das war der schlimmste Tag meines Lebens.

Als ich mich eine Stunde später beruhigt hatte, schleppte ich mich erschöpft ins Bad und stieg unter die Dusche. Doch ständig tauchten diese Bilder vor meinen Augen auf. So kam es, dass ich keine zwanzig Minuten später in Jogginghose und weitem Pullover in der Küche stand und mir eine heiße Schokolade machte. Eigentlich war ich noch nie sehr gläubig, aber...

„Im Moment fällt mir nichts bessere ein, als sie alle beide in die Hölle zu verdammen. Ist wahrscheinlich eine ziemlich berechtigte Strafe.“, murmelte ich vor mich her, „Soll sie doch einfach der Teufel holen. Das würde alles viel einfacher machen.“

In dem Moment, in dem die Mikrowelle mit meiner Schokolade Ping machte, spürte ich ein seltsames Kribbeln in meinem Nacken. Kurz darauf ertönte hinter mir ein verärgerter Ausruf.

„Das kann doch nicht wahr sein!“, rief eine mir seltsam bekannte Stimme aus, „Jeden Tag ist man gelangweilt. Dann hat man endlich eine Beschäftigung und Peng! Eine Verdammung nach der anderen. Und warum um diese Uhrzeit? Ist es so viel verlangt, wenn man einfach mal ganz in Ruhe ein verdammtes Spiel ausprobieren will?“

Erschrocken drehte ich mich langsam um und entdeckte ihn beinahe nackt auf meiner Couch liegend. Eine PSP in der Hand und ganz offensichtlich verärgert.

„Wieder sind ein paar Dollar für die Katz. Die moderne Technologie ist einfach zum Kotzen. Nichts hält auch nur eine ganz einfache Dematerialisierung stand. Ein Glück, dass ich mein Handy nicht dabei hab. Das wäre ja ein schöner Salat.“ Ohne dem Gerät noch eines Blickes zu würdigen, warf er es hinter sich auf den Boden und drehte sich auf den Bauch. „Wer auch immer mich jetzt gerufen hat. Wag es ja nicht, mich anzusprechen. Ich schlafe jetzt.“

„Wie kommst du in meine Wohnung?!“, rief ich entsetzt aus und sah mit großen Augen zu dem Mann, den ich erst heute kennen gelernt hatte. „Und was tust du... nackt auf meiner Couch?!“

„Ich schlafe.“, entgegnete er gereizt, „Jetzt sei still.“

„Aber... du bist... Heilige Scheiße! Wie bist du hier rein gekommen?!“

Genervt hob er den Kopf und öffnete bereits den Mund um zu antworten, hielt dann aber überrascht inne. „Hey, bist du nicht die Frau aus der Disco? Kira... Kari... irgendwie so war doch dein Name.“

Wie kommst du in meine Wohnung?!“, fragte ich ihn laut und erschrocken.

„Nun beruhig dich erst mal und schrei nicht so. Du hast mich herbestellt, da bin ich. Jetzt lass mich schlafen. Wir können morgen über den Vertrag sprechen.“

„Was für ein Vertrag? Was redest du da?“

„Die Verdammung, was sonst? Meine Güte, warum sind Menschen nur so schwer von Begriff?“

„Verdammung?“, hakte ich verwirrt nach.

„Das sagte ich doch gerade, oder nicht? Deine Schokolade ist fertig.“

„Ich weiß, dass meine Schokolade fertig ist.“

„Willst du sie nicht mehr?“

„Doch, aber... Warum fragst du, hör auf mir Fragen zu stellen.“

„Okaayy...“

„Sei still.“

Er hob eine Braue und sah irgendwie so aus, als würde er an meinem Verstand zweifeln.

„Gut... also... Wie kommst du in meine Wohnung?“

Die Augen verdrehend setzte er sich auf und öffnete bereits den Mund, um zu antworten.

„Nein!“

Verwirrt hielt er inne. „Was nein?“

„Bleib da liegen. Schön da bleiben. Beantworte meine Frage.“

„Ich hab sie schon beantwortet. Du hast mich gerufen, ich bin erschienen.“

„Ich habe dich nicht gerufen.“

„Hast du.“

„Hab ich nicht.“

„Hast du.“

„Hab ich nicht.“

„Hast- Verflucht, widersprich mir nicht. Du hast mich gerufen, sonst wäre ich nicht hier. Oder glaubst du etwa, ich sei in einer Boxershorts hier eingebrochen, um mich hier hinzulegen, meine PSP zu schrotten und dann zu schlafen?“

Ich schluckte. Okay, ganz ruhig Kari. Als erstes... freunde dich mit dem Gedanken an, dass er auf deiner Couch liegt... fast nackt, verdammt!

„Warum trägst du nur eine Shorts?“

„Weil ich im Bett war. Eigentlich trage ich dabei für gewöhnlich weniger, aber es war etwas kalt.“

Mein Gesicht brannte. Er schlief für gewöhnlich nackt.

„Was ist? Hast du noch nie einen halbnackten Mann gesehen?“

„Nein.“, antwortete ich automatisch.

Ungläubig sah er mich an. „Nie? Waren sie alle immer angezogen?“

„Naja... meistens. Manchmal oben ohne.“ Mein Blick fiel auf seine Brust. Ich wand mich schnell ab und holte meine Schokolade aus der Mikrowelle.

„Also das... ist echt... interessant. Du bist die erste Jungfrau, die ich seit... Jahrhunderten sehe.“

Erschrocken hielt ich inne und ließ die Hände sinken, rührte abwesend in meiner Schokolade herum. Um ein Haar wäre ich jetzt keine Jungfrau mehr. Nur eine Minute später und...

Zu spät bemerkte ich, dass ich schluchzte und mein Körper zitterte. Zu spät bemerkte ich die Tränen, die mir begannen über die Wangen zu laufen.

„Ich glaubs nicht. Jetzt fängt sie noch an zu heulen. Was mach ich jetzt?“, hörte ich ihn leise sagen. „Hey... Kira. Was ist los?“

„Mein Name ist Kari.“, berichtigte ich ihn und wischte mir schnell die Tränen weg. „Und es ist alles in Ordnung.“

„Ach... wirklich.“, entgegnete er ironisch, „Ich wusste gar nicht, das Frauen zu spontanen Heulkrämpfen neigen.“

„Halt den Mund.“

„Und dann wundern sie sich, wenn die Männer versuchen sie zu dominieren.“

„Halt den Mund!“

„Demnächst kommt noch meine Schwester bei mir an und-“

„Sei endlich still!“

Er verstummte. Jedoch nicht sehr lange. „Dann setz dich und erzähl was passiert ist. Ich darf mit niemandem einen Vertrag abschließen, der nicht klar denken kann. Was natürlich ziemlich schade ist.“

Ich stand noch eine Weile da, nahm dann aber meine Schokolade und setzte mich spontan neben ihn. Überrascht erstarrte er neben mir, entspannte sich aber kurz darauf wieder.

„Dann schieß mal los.“

„Man hätte mich heute fast vergewaltigt.“

„Ehrlich? Man, ich kann solche Typen nicht leiden. Sicher, ich bin der Teufel und muss jedem was schlechtes Wünschen, aber die reinen Seelen sind nun mal die besten und Vergewaltigungen verunreinigt sie.“ Er ächzte. „Denkt denn niemand mehr an meine Geschäfte?“

„Der Teufel?“, hakte ich abgelenkt nach und sah ihn skeptisch an.

„Na, wer denn sonst? Gott bin ich sicher nicht. Den scheinheiligen Idioten kann ich nicht leiden.“

„Es gibt einen Gott?“, hakte ich verwirrt nach, schüttelte dann aber den Kopf. „Es gibt ihn natürlich nicht.“

„Wie immer du willst. Aber leider gibt es ihn. Es gibt ja auch mich.“

„Ich bin nicht gläubig.“

„Musst du auch nicht. Der Vertrag funktioniert auch so. Magst du Süßkram?“

„Ja.“, antwortete ich automatisch.

„Ich auch.“ Nachdenklich sah er auf meine Schokolade. „Willst du die noch?“

Mit finsterem Blick umfasste ich die Tasse mit beiden Händen. „Ja, will ich.“

„Schade. Weißt du... Ich mag Jungfrauen.“ Meine Augen wurden groß. Er schnalzte mit der Zunge. „Weil sie so rein sind.“, fügte er dann hinzu, „Ich spreche hier von der Seele.“

„Bekommst du nicht. Weder das eine, noch das andere.“

„Irgendwann bestimmt. Naja, da ich ja jetzt schon wach bin... wie wäre es, wenn wir das mit dem Vertrag erledigen?“

„Vertrag?“

Wortlos schnipste er mit den Fingern, woraufhin auf dem Tisch eine antik aussehende Schriftrolle und ein dazugehöriger Füller erschien. Er nahm die Schriftrolle und rollte sie aus.

„Dann sehen wir mal.“, meinte er mit einem Seufzen, „Sie haben soeben Ihre Fastvergewaltiger verdammt, indem sie sagten, ich zitiere: 'Soll sie doch einfach der Teufel holen'.“ Er hielt inne und sah mich fragend an. „Korrekt?“

Verwirrt nickte ich nur.

„Gut. Dann fahren wir mal fort. Mit diesem Dokument bestätigen Sie die sofortige Verdammung Ihrer Fastvergewaltiger. Sollten Sie sich jedoch anders entscheiden und nicht einwilligen, so müssen Sie Entschädigung für mein Kommen zahlen. In der Regel sind das nur ein paar Jahre Ihres Lebens, Ihre Seele, Ihre Schönheit, Stimme und so weiter und so fort... Menschliches Geld oder andere Wertsachen der Menschenwelt gelten nicht als mögliches Zahlungsmittel. Eine Weigerung der Zahlung zieht die sofortige Verdammung seiner selbst nach sich.“ Er sah zu mir auf. „Alles verstanden?“

„Funktioniert das wirklich?“, fragte ich vorsichtig.

Beleidigt hob er eine Braue. „Natürlich funktioniert das. Ich bin schon seit über siebentausend Jahren im Geschäft.“

„Du bist ja steinalt!“

„Sicher bin ich alt.“, entgegnete er verstimmt, „Aber ich mag es nicht, wenn man es mir sagt. Ich sehe jung aus, fühle mich jung, bin so energiegeladen wie ein junger Mensch und bin auch noch so fit. Wo ist also das Problem? Ich sehe doch auch gut aus, oder nicht?“

Unwillkürlich glitt mein Blick auf seine Brust, dann etwas tiefer auf seinen Bauch. Er war ziemlich trainiert. Oder gehörte das zu seiner Gestalt?

„Wenn du mit mir ins Bett willst sag es einfach.“

„Nein!“, rief ich sofort aus.

„Klingt bei dir so, als sei es etwas schreckliches.“

„Ich-ich habe keinen S-S-Sex vor der Hochzeit.“

„Verstehe.“ Einen Moment schwieg er. „Willst du mich also heiraten?“

„Nein!“

„Warum nicht? Ich bin reich, sehe gut aus-“

„Und nicht einmal ansatzweise in mich verliebt, denke ich.“

„Stimmt. Na gut, zurück zum Vertrag. Willst du verdammen, oder willst du nicht?“

„Warum sollte ich wollen?“

„Woher soll ich das wissen? Du sagtest, ich solle sie beide holen. Der Grund ist mir total egal. Ich bekomme so oder so etwas. Ob es nun die Seelen sind oder die Entschädigung.“

„Ich werde natürlich nicht verdammen.“

Enttäuscht seufzte er. „Bist du sicher? Du wärst beinahe vergewaltigt worden. Und ich bin mir sicher, sie hätten mehr getan, wenn der Dummkopf nicht so notgeil gewesen wäre und sie dich mitgenommen hätten.“

„Woher weißt du davon?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin der Teufel in Person. Wenn ich denke, es ist von Nützen, dann eigne ich mir das Wissen an. Das funktioniert natürlich nur mit Geschehnissen, an denen ich nicht beteiligt war. Sprich, Erinnerungen anderer Personen. Und es geht nur, wenn es sich auf den Vertrag bezieht. Du wolltest die zwei verdammen, weil sie dich beinahe vergewaltigt hätten. Also kann ich auf diese Erinnerung zugreifen und mir aneignen. Ganz einfach.“

„Hmpf...“

„Du willst sicher nicht verdammen? Soweit ich weiß haben die zwei schon öfter Frauen vergewaltigt.“

„Dann gehören sie hinter Gitter, nicht in die Hölle.“

„Da landen sie sowieso. Ihre Seele ist schon so beschmutzt, dass der Scheinheilige sie nicht mehr haben will. Ihre Namen stehen schon auf meiner Liste und ich glaube kaum, dass sie plötzlich ihren Charakter ändern.“

„Warum soll ich sie also verdammen, wenn sie sowieso schon eine Einladung mit VIP Ausweis haben?“

Er lachte leise. „VIP.“, kicherte er, „Also keine Verdammung. Dann bekomme ich Entschädigung. Wie wäre es mit deiner Unschuld?“

„Nein.“

„Nicht? Hmm... Deine Tränen?“

Ich zögerte einen Moment. „Nein.“

Nachdenklich fuhr er sich kurz durchs Haar. „Deine Unsicherheit?“

„Darf ich dir auch etwas anbieten?“

Er hielt sofort inne, wobei ich eine kleine Veränderung bemerkte. Seine Haare schienen dunkler zu werden, was bei dem Schwarzton bemerkenswert war, die Augen ein wenig rötlich und seine Pupillen wurden schmal, wie die einer Katze. „Ein Angebot?“, hakte er mit tieferer Stimme nach, „Ich bin ganz Ohr.“

„Ich scheine eine Eigenschaft zu haben, immer nur die Männer zu bekommen, die fremd gehen. Ich scheine sie geradezu anzuziehen.“

Ein Blinzeln. Ein zweites. Dann legte er den Kopf schräg. „Das willst du mir geben? Deine Anziehung auf fremd gehende Männer?“

„Nein. Ich möchte, dass die Männer, die ich anziehe, definitiv nicht fremd gehen. Manchmal passiert das ja spontan. Ich möchte, dass sie mir nicht fremd gehen können.“

„Verstehe.“ Er rieb sich gemächlich das Kinn und dachte eine Weile darüber nach. „Das, was du dir wünschst, ist eine Gabe, die ich dir geben muss. Da kann ich dir nichts nehmen. Ich gebe also etwas, statt meine Entschädigung zu bekommen.“

„Aber es wäre möglich?“

„Natürlich wäre es möglich. Ich flöße dir einfach die Gabe ein und Viola, kein Mann der Welt wird die je wieder fremd gehen. Vorausgesetzt natürlich, ihr führt offiziell eine Beziehung. Macht einer von euch Schluss, kann er mit jeder Frau ins Bett gehen, mit der er will.“

„Du flößt mir die Gabe ein?“, hakte ich nach.

„Sicher. Ein Kuss hier, ein bisschen Zunge da. Sieh mich nicht so an, ich bin ein guter Küsser.“

„Das bezweifle ich nicht.“, entgegnete ich schnell, „Also... was muss ich tun?“

„Als erstes hätte ich gerne meine Entschädigung und danach eine Mütze voll Schlaf.“, antwortete er verärgert, „Wenn du die Entschädigung verweigerst, bist du es, die verdammt wird.“

„Ich verweigere hier gar nichts. Aber ich kann doch nichts dafür, wenn keine gute Idee kommt, was ich als Entschädigung geben könnte.“

„Keine gute Idee? Also, ich finde, deine Unschuld ist eine ziemlich gute Entschädigung. Damit könntest du sogar die Entschädigung und die Gabe bezahlen.“

„Sie ist wahrscheinlich noch viel mehr wert, oder?“

„Sicher. Aber mehr willst du nicht.“

„Und deshalb bekommst du sie auch nicht.“

Er seufzte tief. „Wie wäre es mit ein paar Jahren deiner Lebenszeit?“

„Damit ich früher sterbe? Nein. Du könntest mir den Rest nehmen, den ich noch habe.“

„Das mache ich nur, wenn mein Geschäftspartner nicht sagt, wie viele er gibt. Deine Jugend?“

„Vergiss es.“

„Trauer?“

„Keine Gefühle.“

Er sah mich erneut verärgert an. „Wurdest du mal geküsst?“, fragte er dann neugierig.

„Sicher.“

„Mit Zunge?“

Ich zögerte. „Ja.“

Er schürzte die Lippen. „Aber dich hat nie ein Mann nackt gesehen.“

„Nein. Und den Anblick bekommst du erst Recht nicht.“

Ein tiefes Seufzen seinerseits. „Das wird ein langer Abend. Und mir wird kalt.“

Sofort sah ich mich um, stand auf und ging ins Schlafzimmer. Kurz darauf kam ich mit einer Decke zurück und reichte sie ihm, woraufhin er mich überrascht ansah und sie dann verwirrt entgegen nahm, um sich darin einzuwickeln.

„Wie wäre es mit einer Erinnerung?“, schlug er dann vor, „An deinen ersten Kuss. Oder dein erster Erfolg.“

„Mein erster Kuss war anonym.“

„So eine bist du?“

„Nein. Es war in der Highschool und der Typ hat mir die Augen zugehalten, bevor er mich geküsst und mir seine Zunge in den Hals gesteckt hat. Ich hab ihn nicht gesehen.“

„Aber es hat dir wahrscheinlich gefallen.“

„Nein. Ich hab ihm eine geklatscht und ihm gesagt, wenn er das noch einmal tun sollte, würde ich ihn kastrieren. So war ich damals drauf.“

„Wenn du damals immer das getan hast, was du sagtest, wärst du eine richtig gute Dämonin gewesen.“

Ich verzog das Gesicht. „Gibt es eigentlich diesen Luzifer?“

„Sicher gibt es ihn.“

„Stimmt es, dass er mal ein Engel war?“

„Ach... du sprichst von der Theorie, dass er zu eitel wurde?“

„Ich weiß nicht warum er gefallen ist. Ich weiß nur, dass er ein Engel gewesen sein soll. Der Schönste von allen.“

Ramon zögerte eine Weile. „Schönheit ist relativ, meinst du nicht?“

„Sicher. Aber es gibt gewisse Arten von Schönheit, bei denen nie jemand sagen würde, dass diese Person hässlich sei.“

„Ja. Aber wenn man eine Umfrage stellt, wird es nie einstimmig enden.“

„Ich weiß. Trotzdem. Stimmt es, dass er ein Engel war?“

Erneut zögerte er. Dann schnaubte er. „Warum willst du das wissen? Wir sprechen hier gerade über meine Entschädigung und du quetscht weiter Dinge aus mir heraus.“

„Sicher. Man hat nicht alle Tage die Gelegenheit mit dem Teufel höchst persönlich zu sprechen.“

Mit einem tiefen Seufzen lehnte er sich zurück und schloss die Augen. „Du zögerst es mit Absicht hinaus, oder? Ich kann dich nicht verlassen, bis wir diese Entschädigung ausgehandelt haben.“

„So? Gut. Ich bin müde. Es ist gut zu wissen, dass du morgen noch hier sein wirst, wenn ich aufstehe.“

Entgeistert sah er zu mir auf.

„Weißt du... dafür, dass du der Teufel bist... reagierst du ziemlich menschlich.“

„Natürlich. Ich lebe schon seit ein paar tausend Jahren unter Menschen. In der Unterwelt wurde es langweilig und die Menschenwelt ändert sich ständig.“

„Und die Unterwelt ändert sich nie?“

„Doch. Allerdings muss ich mir selbst ausdenken, wie ich sie verändern möchte. Wenn ich so darüber nachdenke... bekomme ich jetzt schon Kopfschmerzen.“

„Kannst du denn welche bekommen?“

„Sicher. Ich bin aus Fleisch und Blut, habe Bedürfnisse und bin gerade hundemüde. Wo ist dein Schlafzimmer? Ich möchte mich hinlegen.“

„Aber nicht in mein Bett.“, warf ich ein und folgte ihm hektisch, als er aufstand, um das Zimmer zu verlassen.

„Wo denn sonst? Auf der Couch?“

„Sicher auf der Couch.“

„Vergiss es. Wegen dir kann ich nicht in meinem eigenen Bett schlafen... obwohl... wenn ich so darüber nachdenke.“ Mit unergründlichem Blick sah er zu mir.

Da mir der Blick so überhaupt nicht gefiel, hob ich abwehrend die Hände und trat einige Schritte zurück. „Okay... was denkst du gerade?“

„Warum sollte ich auf die Bequemlichkeit meines Heimes verzichten... wenn ich dich doch... mitnehmen kann?“

Im nächsten Moment stand er bereits vor mir und umschlang mit fest.

„Hey, lass mich los!“, rief ich aus, „Lass mich sofort- Uhh...“

Mir wurde plötzlich schwindelig, alles verzog sich und verschwamm, bis es schwarz war. Meine Haut prickelte und es zwickte überall. Einen Moment hatte ich das Gefühl frei in der Luft zu hängen und war froh, dass Ramon mich festhielt. Dann war der Moment plötzlich wieder vorbei und ich fand mich an einem fremden Ort wieder... im Dunkeln.

„Ich... kann nichts sehen.“, bemerkte ich, „Und mir ist schlecht.“

„Das lässt nach. Die ersten paar Male sind etwas schwierig. Danach hört das wieder auf.“, erklärte Ramon darauf und ließ mich los, um mich hochzuheben. „Du kannst dir morgen das gesamte Haus ansehen. Ich werde das Vorstellungsgespräch absagen. Mit dir habe ich im Moment genug zu tun.“

„Wo bringst du mich hin?“, fragte ich ihn verwirrt und bekam die Antwort wenig später, als er mich auf etwas weiches fallen ließ. Etwas wirklich weiches.

„Ich bin müde.“, entgegnete er, „Wohin geht man, wenn man müde ist?“

Seine Stimme bewegte sich von meiner Linken, an meinem Füßen vorbei zu meiner Rechten. „Aber ich kann doch nicht in diesen Sachen schlafen.“

Es wurde still. Dann hörte ich Schritte, klappernde Türen und wenig später kamen die Schritte zurück. „Hier ist ein Nachthemd. Unbenutzt, keine Sorge.“

Ich spürte, wie mein Gesicht brannte, als ich blind in seine Richtung griff und etwas seidiges berührte. Zaghaft nahm ich es entgegen und tastete es ab, um herauszufinden, wo die Träger waren. Dann hielt ich abrupt inne.

„Du siehst mir doch nicht etwa zu, oder?“

„Schon verstanden. Ich gehe ins Bad.“

Mit diesen Worten entfernten sich die Schritte wieder, eine Tür wurde geöffnet, weitere Schritte erklangen und wurden von dem Schließen der Tür schließlich unterbrochen. Da ich mir nun sicher war, dass ich allein war, tastete ich neben mir nach einem Nachttisch und dann nach einer Lampe. Ich fand auch eine. Doch es dauerte ziemlich lange, bis ich einen Lichtschalter fand. Als ich das spärliche Licht einschaltete, war ich einen Moment geblendet, riss dann aber die Augen auf, als ich sah, wie kunstvoll gestaltet allein die Lampe war. Und der Tisch. Er war aus einem dunklen Holz gearbeitet und die Konturen so anmutig geschwungen, dass er sicher von Hand gearbeitet war. Mein Blick glitt von dem Nachttisch auf die Bettdecke. Der Bezug sah aus, als sei er aus feiner Seide. Tiefschwarz, durchzogen mit dunkelroten Mustern. Die Kissen sahen genauso aus. Als nächstes glitt mein Blick über das Bettgestell. Es war aus dem gleichen dunklen Holz und nach dem selben Muster angefertigt worden, wie der Nachttisch, von dem ein Gegenstück auf der anderen Seite des Bettes stand. Es war ein Himmelbett. Wenn ich hinauf sah, blickte ich auf einen improvisierten Sternenhimmel. Nachtschwarzer Stoff mit weißen Punkten. Es war wunderschön. Als ich mir die Vorhänge besah, stellte ich fest, dass sie einfach nur tiefschwarz waren. Doch der Stoff schien so schwer zu sein, dass nicht einmal der Hauch eines Lichtstrahls hindurch kommen würde.

Ein Geräusch aus dem Bad, in dem Ramon... der Teufel... wer auch immer er war, offensichtlich war, ließ mich daran erinnern, dass ich mich umziehen sollte, bevor er wieder kam. Zumindest sollte ich mir die Oberteile ausziehen und das Nachthemd anziehen. Und das schaffte ich auch. Ich stand gerade neben dem Bett und hatte mir die Hose ausgezogen, als er wieder herein kam. Wortlos ließ ich die Hose fallen, riss die Decke hoch und ließ meine Beine darunter verschwinden, doch er hatte mich schon gesehen.

„Du hast ziemlich hübsche Beine.“, bemerkte er und schmunzelte ein wenig. „Und das Licht hast du wohl auch gefunden.“ Während er das sagte, kam er ans Bett und zog die Vorhänge am Fußende des Bettes zusammen. „Du solltest vielleicht besser auch schlafen, statt dir alles anzusehen. Du kannst dir morgen alles ansehen. Johann wird dir alles zeigen.“

„Wer ist Johann?“, fragte ich erschrocken. Hatte er vielleicht einen Bruder?

„Ich werde versuchten morgen etwas früher aufzustehen, um ihm zu sagen, dass ich einen Gast habe. Dann wird er das Bett nicht anrühren.“ Er trat neben mich und zog auch hier die Vorhänge zu.

„Aber... wer ist er?“, fragte ich erneut, während ich das leise Klicken des Lichtschalters hörte, was mir sagte, dass er das Licht ausgeschaltet hatte. Wie ich es mir dachte, hatte der Stoff keinen einzigen Schein durchkommen lassen.

„Mach dir keine Sorgen um ihn.“ Seine Schritte umrundeten das Bett. Als er an der Ecke zu seiner Seite war, hörte ich erneut das Rascheln der Vorhänge. „Er ist nur mein Butler.“

Die Matratze bewegte sich ein wenig. Erneut raschelte Stoff.

„Bist du wirklich so reich?“

„Natürlich.“

„Wie bist du daran gekommen? In dem Vertrag steht, dass menschliche Gegenstände nicht als Entschädigung akzeptiert werden.“

„Ich dachte, du hättest zugehört, als Nadia sich mit mir unterhalten hat.“

Ich versuchte mich zu erinnern, doch ich bekam nichts brauchbares zustande. „Ich erinnere mich nicht mehr.“

„Ich lebe schon sehr lange, Kira.“

„Kari.“, verbesserte ich ihn.

„Wie auch immer. Wenn man so lange lebt wie ich, wird einem langweilig. Ich kann nicht einmal an der Aufgabe meines Daseins Freude haben. Heutzutage passiert es nicht sehr oft, dass jemand verdammt wird.“

„Es passiert doch täglich. Ich habe schon oft gehört, wie jemand sagte, jemand solle doch verdammt oder verflucht sein.“

Er murrte. „Meine Wenigkeit wird nur selten im selben Atemzug genannt. Es gibt viele Wesen, die jemanden verdammen, verfluchen oder ähnliches tun können. Man muss schon sagen, wen man meint. Sonst ist es, als würde man Luft in einen Ballon pusten, das ein Loch hat. Es hat keinerlei Wirkung.“ Ohne ein Wort der Bitte drückte er mich ins Kissen. „Du solltest schlafen, statt mir irgendwelche Fragen zu stellen.“

„Wie ist dein Name?“

„Such dir was aus.“

„Wie nennt man dich denn?“

„Ich kann mich nicht an alle Namen erinnern.“

Ich zog die Brauen zusammen. „Und wie ruft dich dein Butler?“

„Mein Herr oder mein Meister.“

„Und Freunde?“

„Was für Freunde?“

„Hast du denn keine?“

Einen Moment war es still. Dann hörte ich wieder ein Rascheln und die Matratze bewegte sich kaum merklich. Sie war wirklich unglaublich weich.

„Hast du mir überhaupt einen Moment zugehört?“, fragte er gereizt, „Man vertraut mir nicht und ich vertraue niemandem. Warum sollte ich Freunde haben?“

„Du vertraust wirklich niemandem?“, hakte ich überrascht nach.

„Nein.“

„Und deinem Butler?“

„Ach Johann. Er ist kein richtiger Mensch mehr.“

Unwillkürlich kam mir das Bild eines entstellten Geschöpfes in den Sinn, dass ich mal in einem Buch gesehen hatte. Ein Dämon. „Wie meinst du das?“, fragte ich vorsichtig.

„Er hat mir seine Seele verkauft, um ewig zu leben. Er kann nicht anders, als mir zu dienen und zu gehorchen. Es scheint ihm zu gefallen den Butler zu spielen.“

„Hast du da keine Gewissensbisse?“

Er brach lauthals in Gelächter aus. Verwirrt sah ich in seine Richtung, wissend dass ich nichts erkennen würde, und fragte mich, was so lustig daran sei.

„Zur Hölle nein!“, rief er amüsiert aus, „Ich bin der Teufel, Kira.“

„Kari.“, berichtete ich ihn erneut.

Er überging es einfach. „Ich habe nie Gewissensbisse. Ich habe keine Schuldgefühle, empfinde keine Reue gegenüber schlechten Taten und hole mir ohne mit der Wimper zu zucken eine Seele nach der anderen in die Hölle. Du sprichst hier mit dem finstersten Wesen das existiert und fragst, ob ich Gewissensbisse habe, weil ich jemanden als Butler habe, der seine Seele gegen ewiges Leben eingetauscht hat?“ Erneut lachte er auf. „Du bist köstlich.“

„Ich verstehe nicht, wie du so etwas tun kannst.“

„Kira, ich habe kein Gewissen.“

„Ich heiße Kari.“, verbesserte ich ihn abermals, „K-A-R-I.“

„Wie auch immer. Ich bin müde. Lass mich jetzt schlafen.“

„Aber ich weiß nicht, wie ich dich nennen soll.“

„Such dir etwas aus. Teufel, König der Unterwelt. Was auch immer.“

„Aber das ist eine Bezeichnungen deiner Art und ein Titel.“

„Kira, ich bin müde.“

„Ich glaube, du hast eine geistige Blockade.“

„Man nennt es Müdigkeit.“

„Ich nenne es psychische Desorientierung.“

„Nenn es wie du willst. Jetzt sei still, sonst muss ich dich dazu bringen.“

„Was willst du machen? Mich knebeln?“

„Zum Beispiel.“

„Das würdest du nicht wagen.“

„Wenn du nicht endlich still bist, dann werde ich so einiges wagen. Nichts davon würde dir gefallen.“

Statt eine Antwort kam mir ein Gähnen über die Lippen. Ich machte es mir ein wenig gemütlich und kuschelte mich ins Kissen. „Mir gefällt es nicht einmal das ich hier bin.“, bemerkte ich.

„Such dir eine Entschädigung aus und ich bringe dich nach hause.“

„Ich muss erst gründlich darüber nachdenken. Ich kann dir ja nicht einfach irgendwas geben.“

Er schwieg so lange, dass ich bereits dachte, er sei eingeschlafen. „Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals jemanden kennen gelernt zu haben, der sich genug Zeit verschafft hat um in Ruhe darüber nachzudenken. Und du hast es auch nur geschafft, weil du mir sagtest, du würdest es nicht verweigern.“

„Ich verstehe nicht.“

„Hättest du es nicht gesagt, hätte ich es ganz von selbst als Verweigerung aufgefasst. Einfach, weil es dann schneller geht und praktisch ist. Aber weil du sagtest, dass du es nicht verweigerst, sondern nur eine gute Entschädigung aussuchst, bin ich gezwungen zu warten. Du zwingst mich quasi an deiner Seite zu bleiben, bis du dich entschieden hast.“

„Oh. Jetzt weiß ich, was du meinst.“

Er murrte ein wenig. „Jetzt sei bitte so gütig und lass mich schlafen.“

Ich sagte nichts weiter und wenig später schlief ich auch selbst ein.

Kapitel 2

Ich wurde davon wach, dass mir plötzlich Licht ins Gesicht schien. Müde murrend drehte ich den Kopf zur Seite und zog mir die Decke über den Kopf.

„Ich wünsche Euch einen wunderschönen guten Morgen, mein Herr.“, ertönte eine fremde Stimme, „Das Frühstück ist bereits aufgedeckt.“

„Danke, Johann.“, ertönte neben mir eine verschlafene Stimme, „Noch eine Stunde.“

„Ich habe für Euren Besuch gleich mit gedeckt. Ich dachte Ihr würdet Euch freuen, wenn ich Euch heute ein französisches Frühstück zubereite. Croissants, Marmelade, Saft und anderes Gebäck. Vieles noch frisch und warm.“

„Danke, Johann.“, wiederholte die Stimme neben mir.

Müde blinzelte ich ein paar mal und hob den Kopf.

„Das Vorstellungsgespräch in drei Stunden wurde abgesagt. Ihr seid mit Mademoiselle Depardieu zum Lunch verabredet, um mit ihr über das Marketingangebot zu sprechen. Drei Stunden später habt Ihr einen Termin bei Mr. Gerald, um die Entwürfe für Euer neues Bürogebäude anzusehen. Um fünf Uhr am Nachmittag habt Ihr eine Verabredung mit Evelyn Franks.“

„Streich das.“, murmelte die Stimme neben mir.

„Wird gemacht. Außerdem habt Ihr Euch mit den Tanners zum Dinner verabredet, um über eine Kooperation ihrer beider Firmen zu sprechen.“

„Welche Firma?“

„Medical Industries.“

„Weiter.“

„Man erwartet Euch danach im Delatice.“

Das Rascheln von Stoff war zu hören. „Das in Italien?“

„Sydney.“

„Wie sind die Temperaturen da?“

„Bis zu 41°C, mein Herr.“

„Gib den Angestellten frei. Die Eröffnung soll verschoben werden, bis die Temperaturen ein bisschen leichter zu ertragen sind. Wurde angerufen?“

„Drei Mal, mein Herr. Eure ehemalige Geliebte Cecilie, Lilith und Eure... nun... Tochter.“

„Was hast du ihr gesagt?“

„Ihr Seid verhindert.“

„Und was wollte Sie?“

„Mit Euch sprechen.“

„Worüber?“

„Das sagte sie nicht, mein Herr.“

Er murren hinter mir. „Die Kleine ist schwierig. Ich habe ihr schon damals gesagt, dass ich keine Zeit für sie habe. Wann versteht sie das endlich?“

„Wenn Ihr erlaubt, mein Herr...“

„Ja?“

„Nun... Ihr seid ihr Vater. Und sie hat Euch nicht ein einziges Mal gesehen. Seit... Seit fünfhundertneunzig Jahren. Ich denke, sie möchte nur ein wenig Aufmerksamkeit.“

Zaghaft drehte ich den Kopf und sah zu dem Mann, der mit mir in dem Bett lag. Insgeheim hatte ich gehofft, all das sei nur ein Traum gewesen. Doch er lag wirklich dort. Und er sah mich an.

„Wir kommen gleich zum Frühstück.“, meinte er, ohne den Blick von mir abzuwenden.

Der Fremde verließ ohne ein weiteres Wort den Raum und ließ uns allein.

„Ich wusste gar nicht, dass du eine Tochter hast.“, bemerkte ich überrascht.

Er murrte ein wenig. „Es war keine Absicht. Tatsächlich passierte es gegen meinen Willen. Ihre Mutter hat mich reingelegt.“

„Der Teufel wurde also ausgetrickst.“

„Im Grunde bin ich auch nur ein Mensch. Sie hat mir Drogen gegeben und mit mir geschlafen. Oft genug, um sich selbst zu schwängern. Erst hab ich nicht geglaubt, dass sie meine Tochter ist. Allerdings kommt sie ganz nach mir. Schwarze Haare, graue Augen, groß, schlanke Statur...“ Er drehte das Gesicht ins Kissen und atmete durch. Dann stemmte er sich langsam hoch, stieg aus dem Bett und ging durch eine Tür, von der ich ausging, dass sie ins Badezimmer führte.

Ich blieb einfach zurück. Unsicher, was ich nun tun sollte, wartete ich einfach bis er zurück kam. „Ich brauche etwas frisches zum Anziehen.“, merkte ich sofort an.

Er dagegen war frisch geduscht, trug nur ein Handtuch um die Hüfte und öffnete gerade die Tür zu einem begehbaren Kleiderschrank.

„Such dir irgendwas aus.“, meinte er nur und ließ mich erneut allein. Kurz darauf kam er wieder heraus und sah mich mit gehobener Braue an. „Na los, mach dich fertig. Das Frühstück wird noch kalt.“

Ich zögerte kurz, stand dann aber mit der Decke in den Armen auf, wickelte mich darin ein und ging dann ins Bad.

„Und da nimmt sie auch noch die Decke mit.“, hörte ich ihn vor sich hin murmeln, „Vielleicht sollte ich die Klimaanlage ausschalten.“

Ich ignorierte ihn einfach, schloss hinter mir die Tür ab und ließ die Decke fallen, um mich auszuziehen und zu duschen. Eine halbe Stunde später stand ich in einem Handtuch gewickelt im begehbaren Kleiderschrank und sah mich um. Ehrlich gesagt wunderte es mich, dass er Kleidung für Frauen besaß. Kopfschüttelnd griff ich nach einem Shirt, einer Boxershorts und einer Jogginghose mit Schnur am Bund. Zehn Minuten später verließ ich den Kleiderschrank wieder und ging ins Bad, um mir die Haare zu bürsten. Ramon, oder wie auch immer er hieß, lag auf dem Bett und wartete geduldig, während er mir zusah. Er lag genau so, dass er mich sogar im Bad beobachten konnte. Dann folgte mir sein Blick wieder in den Kleiderschrank, wo ich ein Paar Socken suchte, dass passabel aussah und einigermaßen passte. Mit einem zögern ergriff ich dann zwei verschiedene, einfach um herauszufinden wie er reagieren würde, und zog sie mir an, bevor ich wieder ins Bad ging, um mir die Haare zu föhnen. Dabei hörte ich Ramon etwas von 'seltsamen Menschen' vor sich hinmurmeln. Ich ignorierte es einfach und ließ mir ein wenig Zeit. Kurz darauf stand ich dann vor ihm.

„Fertig.“, verkündete ich.

„Nach...“ Er sah auf die Uhr. „Einer halben Stunde. Ich habe sogar mit anderthalb gerechnet.“

Ohne ein weiteres Wort stand er auf und führte mich aus dem Zimmer. Wir traten in einen Flur, in dem problemlos drei Männer nebeneinander her gehen konnten. Ich sah einmal nach links und dann wieder nach rechts, wobei ich bemerkte, dass der Flur mindestens vierzig Meter lang war.

„Wie groß ist das Haus?“, fragte ich zaghaft.

„Groß.“, entgegnete er, „Hier besitze ich mehrere Hektar Land.“ Er warf mir einen Blick zu. „Ich habe noch mehr solcher Häuser auf der ganzen Welt. Dieses hier hat einen großen Garten, der von drei Gärtnern gepflegt wird. Im Haus gibt es vier Putzfrauen, die dem Kommando von Johann unterstehen.“

„Putzfrauen.“, wiederholte ich, „Ich nehme an, du warst mit ihnen im Bett.“

„Natürlich nicht.“, entgegnete er trocken, „Ich schlafe nicht mit Angestellten. Das würde sie noch von der Arbeit ablenken. Sie könnten sich in etwas hineinsteigern und vielleicht sogar noch meine Sachen durchwühlen. Das kann ich nicht gebrauchen.“

Er ging mit mir eine geschwungene breite Treppe hinunter, die in einen... Empfangssaal führte. Ich konnte die Echos meiner Schritte hören.

„Gruselig.“, murmelte ich leise vor mich her.

Ohne mich zu beachten betrat Ramon mit mir einen anderen Raum, in dem ein langer, für zwei gedeckter Tisch stand. Wie Johann bereits verkündet hatte, war es ein französisches Frühstück. Ich stöhnte unwillkürlich auf, als ich den Geruch von warmen Croissants in mir aufnahm. Dann sah ich den Orangensaft und setzte mich sofort an einem der Plätze.

Ramon, den ich dabei nicht beachtet hatte, stand einen Moment einfach nur da, murrte dann kurz und setzte sich dann an den anderen gedeckten Platz. „Eigentlich ist das mein Platz.“, bemerkte er und schnappte mir ein Croissant direkt vor der Nase weg.

Ich nahm mir einfach ein anderes. „Steht hier dein Name drauf?“, entgegnete ich darauf nur und wollte gerade nach dem Orangensaft greifen, als Johann ihn bereits ergriff und sowohl mir, als auch Ramon das Glas füllte.

„Natürlich.“, antwortete dieser auf meine Frage, „Auf jedem meiner Besitztümer steht mein Name.“

Verwundert zog ich die Brauen zusammen. Dann fielen mir eine Initiale auf dem Griff des Messers auf. Ein wunderschön geschwungenes L.

„Welchen hast du dafür genommen?“, fragte ich nachdenklich und betrachtete die Initiale.

„Einen passablen.“ Er bestrich sein Croissant mit Erdbeermarmelade und biss ab.

„Wirst du mir je ordentlich auf eine Frage antworten?“

„Mal sehen.“

Irgendwo klingelte ein Telefon.

„Iss. Du sollst ja nicht verhungern.“

Mit einem Seufzen begann ich zu essen und beobachtete ihn ein wenig. Wenig später kam Johann wieder herein.

„Mein Herr.“

„Ja?“

„Eure Tochter ist am Telefon.“

„Ich habe keine Zeit.“

„Aber, mein Herr, sie-“

„Was sagte ich gerade?“

„Verstanden.“ Der Butler wand sich ab und verschwand wieder.

„Warum redest du nicht wenigstens mir ihr?“, fragte ich verwundert.

„Warum sollte ich?“

„Weil sie deine Tochter ist?“

„Und?“

„Fragst du dich denn nicht wie sie ist?“

Er hob eine Braue. „Wieso sollte ich? Sie ist lästig.“

„Vielleicht sehnt sie sich nach dem Kontakt zu ihrem Vater.“

„Und wenn schon. Dann sehnt sie sich eben danach. Das ist nicht mein Problem.“

„Du bist schrecklich.“

„Teufel, schon vergessen?“

„Klingt für mich nach einer faulen Ausrede.“, entgegnete ich, „In Wahrheit hast du wahrscheinlich nur kalte Füße und Angst mit ihr zu reden.“

Er lachte. „Denk von mir aus was du willst. Und du kannst von mir aus auch sagen was du willst.“

„Und wenn ich dir dafür anbiete mir ernsthaft Gedanken darüber zu machen was ich als Entschädigung haben möchte?“

Verärgert sah er mich an. „Soll das heißen, du denkst darüber gar nicht nach?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Würdest du es nicht auch hinausschieben, wenn jemand von dir verlangt etwas abzugeben? Etwas, das ein Teil von dir ist.“

„Nein. Ich wüsste was ich geben würde.“

„Das da wäre?“

Er wollte gerade in sein Croissant beißen, hielt dann aber inne und sah mir direkt in die Augen. „Was interessiert dich das?“

„Hast du schlecht geschlafen?“

Es kam nur ein verstimmtes Brummen, bevor er seine Mahlzeit in Rekordzeit verspeiste.

„Du bist heute unausstehlich.“

Er rollte mit den Augen. „Hör mal, wenn du mir am laufenden Bande Komplimente machst, werde ich den Vertrag nicht einfach auflösen, also hör einfach auf damit.“

Wieder kam Johann herein. „Mein Herr.“

„Was ist denn jetzt schon wieder?“

Man, der war ja wirklich schlecht gelaunt. Selbst Johann wurde blass.

„Eure Tochter.“ Der Butler zögerte nervös. „Nun, sie sagte, sie sei auf den Weg hierher und möchte für eine Weile bleiben.“

„Wenn sie auch nur in die Nähe meines Grundstücks kommt“, donnerte Ramon und sah dabei tatsächlich aus wie der Teufel. „werde ich persönlich dafür sorgen, dass du in eines der tiefsten Gefängnisse des Abbadons landest, hast du verstanden?“

„J-j-ja, mein Herr.“ Eilig ging Johann davon.

Der Teufel dagegen hielt die Tischkante krampfhaft fest, sodass seine Knöchel ganz weiß wurden. Er blickte angestrengt auf den Tisch und sah sehr... sehr... wütend aus. Allerdings war da dieser... gequälte Ausdruck in seinen Augen.

„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte ich vorsichtig.

„Was soll schon sein?“, fuhr er mich an.

Als er dann noch diesen finsteren Blick auf mich richtete, zuckte ich zusammen und machte mich automatisch etwas kleiner. Tatsächlich hatte ich gerade... Angst. Vor ihm.

Ich begann mein Croissant eher zu zerpflücken, als es zu essen, während sich diese drückende Stille über uns ausbreitete. Allein das Ticken einer Uhr durchbrach sie, doch auch sie war sehr leise, als hätte sie Angst Opfer von Ramons Launen zu werden.

Ramon... Das ist wahrscheinlich nicht einmal sein Name.

„Iss.“, forderte er.

„Ich habe keinen Appetit.“, entgegnete ich wahrheitsgemäß.

Tief atmete er kurz durch. „Kein Wunder, dass du so dünn bist.“, murmelte er dann, „Iss einfach noch etwas.“

„Ich habe keinen Appetit.“, wiederholte ich und legte die Hände in meinen Schoß.

Ich konnte regelrecht hören, wie er mit den Zähnen knirschte. Irgendwann stand er schließlich auf.

„Sieh dich ruhig hier um, aber bring nichts durcheinander.“, wies er mich an, „Ich werde jetzt arbeiten. Wenn du Fragen hast... Richte dich an Johann.“

Mit diesen Worten verließ er die Küche. Erleichtert ließ ich die Schultern sinken und merkte, wie eine gewisse Anspannung von mir abfiel. Dann trank ich ein wenig von dem Saft und stand auf, um mich wirklich umzusehen.

Im Erdgeschoss befand sich ein großes Wohnzimmer, das mit allen möglichen Geräten ausgestattet war. Spielkonsolen, eine Stereoanlage mit endlos vielen Boxen, die im ganzen Raum verteilt waren, ein riesiger Flachbildfernseher, daneben ein großes Regal voller Spiele, Filme und Alben. Im Raum daneben befand sich eine riesige Bibliothek, in der ich alle möglichen Bücher sah. Von Shakespeare, über moderne Literatur bis hin zu religiösen Büchern, wie ein Fachbuch über Satanismus und sogar eine Bibel. In einem verglasten Kasten lag sogar ein ziemlich alt aussehendes Buch, das in einer Schrift geschrieben war, die ich noch nie gesehen hatte.

„Kann ich Ihnen behilflich sein, Milady?“

Ich zuckte abrupt zusammen, als Johanns Stimme hinter mir ertönte und stieß gegen den Glaskasten, der tatsächlich ein Stück verrückte. Gleichzeitig holte ich mir dabei wahrscheinlich einen üblen Bluterguss.

„Entschuldigen Sie.“, entschuldigte der Butler sich sofort, „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“ Während er das sagte, trat er zu mir herüber und schob den Kasten wieder zurecht.

„Nicht der Rede wert.“, entgegnete ich, „Sagen Sie... gehört alles hier... Eurem Herren?“

„Ja. Jedes Buch ist eine Erstausgabe.“

„Dann sind einige Bücher doch bestimmt kurz vor dem Zerfallen.“

„Sie werden mit größter Sorgfalt gepflegt.“, entgegnete der Butler, „Sie sind alle in sehr gutem Zustand.“

„Verstehe. Danke.“

„Zu Ihrem Dienste, Milady.“

Ich nickte darauf nur und sah mich dann weiter um. Der nächste Raum, der sich neben dem Speisezimmer befand – was eher ein Speisesaal war – war eine andere Art von Wohnzimmer. Der erste Raum schien eher der Unterhaltung zu dienen. Dieser hier diente wahrscheinlich der Entspannung. Die Fenster waren verdunkelt und auf einer Seite befand sich ein großer Kamin. Davon stand eine breite Couch, ein ziemlich gemütlich aussehender Sessel und zwei Beistelltische. Zwischen Couch und Kamin lag ein flauschiger Teppich, der aus echtem Fell gemacht zu sein schien. Der Rest des Raumes war mit Gemälden, ein paar Statuen und drei Regalen gefüllt. In den Regalen befanden sich kleinere Bilder, die man nicht aufhängen konnte, kleinere Skulpturen, Pokale, Gläser, Wein und ein paar Gegenstände, die nicht in eine Kategorie eingeordnet werden konnten. In einem Fach lag ein sehr alter Fotoapparat. In einem anderen Fach lag ein uraltes Amulett. Es war einfach wunderschön und schien aus purem Gold zu sein. In der Mitte prangte ein wunderschöner klarer Rubin in Form einer Träne oder eines Tropfens. Rund herum waren kleine Smaragde eingefasst und in dem Gold waren viele Ornamente und Muster eingearbeitet. Vielleicht war es von den Azteken. Oder von den Maya.

Ich seufzte leise über die Schönheit und berührte es sachte.

„Gefällt es dir?“

Wieder einmal zuckte ich zusammen, zog abrupt die Hand zurück und drehte mich zu dem Teufel alias Ramon um, der gerade herein gekommen war und etwas zu suchen schien.

„Woher ist es?“, fragte ich neugierig.

„Heute ist es das Amazonasbecken.“

„Es ist... wahrscheinlich ziemlich alt.“

„Mehrere tausend Jahre.“

Mein Mund wurde trocken, als ich das Schmuckstück erneut betrachtete. „So alt?“

„Ja.“ Er trat neben mich und nahm das Amulett in die Hand. „Es ist ein Talisman, der seinen Träger vor Unheil bewahren soll. Der mächtigste Krieger des Stammes bekam es als eine Art Medaille. War jemand mächtiger als er, dann musste er es dem anderen Krieger in einer sehr prächtigen Zeremonie übergeben. Bei der Übergabe wird Blut des neuen Trägers auf den Rubin gegeben, damit der Talisman den neuen Träger akzeptiert.“

„Das heißt... es klebt Blut daran?“

„Viel Blut. Aber im guten Sinne.“

„Wie ist es in deine Hände gelangt?“

„Was denkst du denn?“

Ich blickte vom dem Schmuckstück zu ihm auf, betrachtete ihn einen Moment und sah dann wieder auf das Amulett, den Talisman. „Entweder, du hast den Krieger getötet und es dir genommen oder du warst dieser Krieger.“

„Interessant, dass du das nicht ausschließt.“

„Warum nicht? Also?“

„Es tendiert zum zweiten. Ich war auf der Durchreise und bin sozusagen in einem Krieg zwischen die Fronten eines Krieges geraten.“ Er richtete den Blick auf irgendwas hinter mir, sah ziellos in die Ferne. „Es waren zwei Stämme, die sich um Land bekriegten. Ich sah es mir einen Moment an und entschied mich dafür, dem schwächeren Stamm zu helfen. Einfach, um ein bisschen Chaos in das zu bringen, was hätten sein sollen.“ Er hielt einen Moment inne. „Heotekna, die stärkste und mächtigste Kriegerin dieses Stammes hatte mich beobachtet und mich eingeladen mit in ihr Lager zu kommen. Sie war wirklich sehr reizend. Später habe ich mich sogar entschieden sie zu einem Wesen zu machen, dass unsterblich ist.“

„Sie lebt also noch?“

„Ja. In einem meiner Häuser, beinahe direkt am Amazonas. In ihrer Heimat, also.“

„Und wie ging es weiter?“

„Ich wurde gepriesen und einigen Proben unterzogen, wie es deren Tradition war. Sie wollten mich in den Stamm aufnehmen.“

Ich blinzelte überrascht.

„Nachdem ich alle Proben bestanden hatte, sagte ich jedoch, dass ich nicht bleiben würde. Heotekna wollte jedoch noch wissen wie gut ich wirklich sei und forderte mich zum Kampf heraus.“ Sein Mundwinkel zuckte amüsiert. „Binnen weniger Minuten lag sie auf dem Boden, die Spitze meiner Waffe an ihrem Hals. Der Talisman war ein Geschenk, damit ich in Ruhe und ohne Hindernisse meine Reise fortsetzen konnte.“

„Und wann hast du sie... naja... verwandelt?“

„Noch in derselben Nacht.“ Er blinzelte, als er sich daran erinnerte. „Sie war ziemlich begabt im Bett.“

Ich hob eine Braue. „Deshalb wolltest du sie... unsterblich machen?“

„Nein. So wollüstig bin ich nicht. Sie war mutig und fähig. Deshalb habe ich sie unsterblich gemacht. Sie ist eine meiner Befehlshaber. Die dritte, um genau zu sein.“

„Und... du hast mit ihr geschlafen?“

„Ja.“ Er sah auf den Talisman herab. „Der Talisman ist ein bisschen mehr als ein Schmuckstück, das vor Unheil bewahren soll.“

Ich folgte seinem Blick. „Und zwar?“

„Es ist eines von sieben Schlüsseln einer längst vergessenen Göttin. Ich hab es mir zum Hobby gemacht sie zu suchen und habe schon fünf gefunden. Ein weiteres ist in zwei Teile zerbrochen. Ich habe nur eine Hälfte.“

„Also ist es noch älter, als man denkt?“

„Es ist göttlichen Ursprungs, Kira.“

„Kari.“, verbesserte ich genervt, „Kannst du dir den Namen nicht merken? Soll ich ihn dir auf einen Zettel schreiben?“

Sein Mundwinkel zuckte. „Ich glaube, es wäre effizienter, wenn du ihn auf deine Stirn tätowieren würdest.“

„Klingt fast so, als hättest du dich wieder abgeregt.“

Er rollte mit den Augen und legte den Talisman zurück. Plötzlich hielt er inne und schnupperte in der Luft, bevor er das Gesicht verzog. „Ach, komm schon.“, beschwerte er sich und drehte sich um.

Ich tat es ihm gleich und beobachtete, wie plötzlich mitten im Raum Rauch erschien und sich verdichtete, bis sich ein Körper formte.

„Du ziehst Schwefelschwaden hinter dir her.“, tadelte der Teufel neben mir den Mann, der gerade aufgetaucht war.

Dieser öffnete bereits den Mund, um etwas zu sagen, als ihm offenbar etwas auffiel. Neben dem unangenehmen Geruch von Schwefel, der sich nur langsam verflüchtigte, fiel auch der Geruch nach brennendem Stoff auf. Verwundert sah der Mann hinter sich, verzog verärgert das Gesicht und klopfte sich offenbar die Rückseite seines Oberschenkels ab.

„Höllenfeuer.“, fauchte er, „Da denkt man, man hat es nicht in der Nähe und im nächsten Moment setzt es einen in Brand.“

Der Teufel seufzte. „Was willst du?“

Der Mann sah zu ihm auf. „Lilith schickt mich. Genauer gesagt, ihr Sohn. Er liegt ihr seit Jahren in den Ohren, er wolle raus, aber du hast es ihm verboten.“

Ramon dachte eine Weile nach, bis es offenbar Klick machte. „Ach, du meinst Arman. Ich hab ihn schon ganz vergessen.“ Er sah auf seine Armbanduhr, zog die Brauen zusammen und hielt sie sich ans Ohr. Verärgert schnalzte er mit der Zunge, zog sich die Uhr vom Handgelenk und warf sie dem Mann entgegen. „Hier, die schenk ich dir. Ist mal wieder stehen geblieben.“

Der Mann verzog missbilligend das Gesicht. „Du bist der einzige, den ich kenne, bei dem jede Art von Technik bei einer Materialisierung versagt.“

„Ich würde ja gerne vorher alles ablegen, aber eine Verdammung kommt genauso unerwartet wie der Tot eines bösen Menschen. Sag Lilith, sie kann ihren Sohn im Abaddon spielen lassen. Aber er soll sich von der Vorhölle fernhalten.“

„Wie ihr befiehlt, Meister.“ Mit diesen Worten verbeugte sich der Mann und löste sich wieder in Rauch auf, wobei er erneut den Geruch von Schwefel verbreitete.

Ramon murrte missgelaunt, stand einen Moment unschlüssig da und drehte sich dann wieder zu mir. „Also, wo waren wir?“

„Was war das gerade?“

„Ein Begleiter meiner Tätigkeit als Teufel. Lilith ist meine Schwester, deshalb gibt es Dinge, die ich ihr einfach nicht abschlagen kann. Dazu gehört ihrem kleinen Quälgeist ein bisschen Freiraum zu geben.“

„Ist er ein Kind?“

„Er sieht aus wie einer, ja. Arman wurde mit 9 Jahren in einen Vampir verwandelt. Lilith hat sich einen Sohn gewünscht und wollte ihren Körper nicht mit einer Schwangerschaft verunstalten. Der Nachteil ist, dass Arman nicht älter wird. Ein geborener Vampir dagegen altert, bis er ein ideales Alter erreicht hat und erstarrt dann.“

„Vampire werden geboren?“

„Ja.“

„Und... wie kam dann die Geschichte von Bram Stoker zustande?“

„Er war leicht zu beeinflussen. Er hat Wind von Lilith' Gefolge bekommen und wollte alles aufschreiben was er wusste. Das war tatsächlich die Wahrheit. Dann hat eine ihrer Freundinnen ihm einen Besuch abgestattet und ließ sich von ihm ausfragen. Das hat sich natürlich über mehrere Monate erstreckt. Näheres willst du nicht wissen.“

„Verstehe. Was ist mit dem Gerücht, dass der Teufel rot sein soll? Mit Hörnern, einem Schwanz und all diese Dinge.“

„Irreführungen. Wenn die Menschen im Mittelalter gewusst hätten, wie ich aussehe, dann hätten sie mich nicht nur schnell gefunden, sondern auch noch jeden Mann getötet, der auf meine Beschreibung passt. Adieu, attraktive Männer.“

„Du scheinst ja ziemlich von dir überzeugt zu sein.“

„Wie auch immer.“ Er klopfte seine Taschen ab, förderte ein Handy zutage und seufzte tief. „Wieder kaputt.“, bemerkte er und warf es auf einen der Beistelltische. „Ich sollte wieder eine Analoguhr mit mir herumtragen. Die waren noch zuverlässiger. Eine schöne Taschenuhr... Eine für jede Zeitzone.“

Mit diesen Worten ging er hinaus. Ich blinzelte überrascht und folgte ihm einfach. Ich musste ein bisschen laufen, um ihn nicht zu verlieren. Er ging die Treppe hinauf, bog in einen Flur ein und betrat dann ein Zimmer. In der Tür blieb ich mit offenem Mund stehen und riss die Augen auf. Uhren. Nichts als Uhren. Große, kleine, eckige, runde. Standuhren, Kuckucksuhren, Digitaluhren, Armbanduhren, hier war einfach alles. An jeder Uhr ging ein Zettel, auf dem der Name einer Stadt stand. Fasziniert trat ich an eine heran und las den Namen der Stadt.

„Edinburgh.“, las ich vor und sah auf den Zettel der Uhr daneben. „Moskau. Irkutsk. Bangkok. Tokio. Wofür die Namen?“

„Um die Zeit zuzuordnen. Wie spät ist es auf der Moskau-Uhr?“

Ich sah auf die besagte Uhr. „0:30 Uhr.“

„Dann ist es in Moskau so spät. Die haben schon morgen.“

„Die Uhren sind also nach den Zeiten der Städte gestellt?“

„Ja. Ah, hier haben wir sie ja.“ Wenig später tauchte er mit einer alten Taschenuhr auf. „Und sie tickt noch. Wir haben 11:30 Uhr, ja?“

„Ja.“

„Gut. In einer halben Stunde werde ich Besuch bekommen. Es wäre schön, wenn du mir Gesellschaft leisten könntest. Diese Frau ist aufdringlicher als Casanova.“

„Wie meinst du?“

„Sie versucht seit Monaten mich um ihren Finger zu wickeln. Tu einfach so, als wärst du meine Freundin. Oder besser, meine Verlobte.“

Ich hob eine Braue. „Ich soll deine Verlobte spielen?“

„Ja. Nur, bis Miss Depardieu weg ist.“

„Aber-“

„Du musst nicht viel tun. Sitz einfach nur daneben und spiel mit. Mehr ist nicht nötig.“

Mit diesen Worten verschwand er einfach. Nun, er verschwand nicht einfach. Wie der fremde Mann vorhin löste er sich in Rauch auf, war dabei jedoch deutlich schneller und verbreitete keinen unangenehmen Geruch. Da war lediglich ein kleiner Hauch von... seinem Aftershave.

Ich seufzte leise und verließ den Uhrenraum, um hinunter ins Spielzimmer zu gehen. Auf halbem Weg hielt ich jedoch inne. Ich sollte seine Verlobte spielen. In einer halben Stunde. Ein Blick an mir herab sagte mir, dass ich alles andere als einen reizenden Anblick bot. Also machte ich mich seufzend auf den Weg in sein Zimmer und durchstöberte seinen Kleiderschrank. Er hatte etwa zwei dutzend wunderschöne Frauenkleider. Etwa die Hälfte passte mir. Und die Hälfte davon war akzeptabel, was den Schnitt betraf. Nach einiger Überlegung entschied ich mich für ein schlichtes schwarzes Kleid, das verspielt meine Waden umspielte. Es hatte ein rundes Dekolletee, das gerade tief genug war, um den Ansatz meiner Brüste freizugeben. Ich fand noch passende Schuhe, die glücklicherweise nicht allzu hoch waren. Nicht auszumalen, wie sehr ich mich blamieren würde, wenn ich Schuhe mit hohen Absätzen tragen würde.

Zuallerletzt fand ich sogar Schmuck und wählte einen hübschen Silberring mit einem wunderschönen Saphir. Immerhin sollte das ganze auch authentisch wirken. Ich fand sogar eine passende Halskette.

Die Suche und das Umziehen hatte mich etwa 20 Minuten gekostet. Ich war so darin vertieft etwas passendes zu finden, dass ich vor Schreck beinahe aufschrie, als ich Ramon auf seinem Bett sitzen sah.

„Bist du fertig?“, fragte er höflich.

„Ich... Ich... Ist es in Ordnung, dass ich... Ich meine, ich kann es auch zurücklegen, wenn du-“

„Du siehst wunderhübsch aus.“ Elegant erhob er sich vom Bett, kam herüber und hob meine Hand an seine Lippen, über die er sich dabei ein wenig beugte. „Ich wusste, dass es richtig war dich zu fragen.“

Unsicher trat ich von einem Fuß auf den anderen. „Danke sehr.“

Er lächelte leicht und ich glaubte einen Moment einen roten Schimmer in seinen grauen Augen zu sehen. Als er sich wieder aufrichtete, legte er den anderen Arm um meine Taille und zog mich zu sich heran.

„Was-?“

Noch bevor ich die Frage überhaupt vollständig aussprechen konnte, begann die Umgebung wieder sich zu verzerren. Meine Haut prickelte, schmerzte fast und mir wurde schwindelig. Dann folgte dieses Gefühl frei in der Luft zu hängen. Einen Bruchteil einer Sekunde später hatte ich bereits wieder festen Boden unter den Füßen und blinzelte angestrengt, um den Schwindel loszuwerden. Wir befanden uns in einem mir unbekannten Raum.

„Wo... sind wir?“, fragte ich und fasste mir an die Stirn.

Er hielt mich weiterhin fest und beobachtete mich verwundert. „Wir sind im Büro eines meiner Restaurants. In Paris.“

„Paris.“, wiederholte ich langsam und schloss die Augen. „Dann habe ich wahrscheinlich einen Jetlag.“

Er lachte leise. „Nein. Es ist die Portation, die dir so zusetzt. Oder genauer, die Dematerialisierung. Und die Materialisierung. Es ist anfangs immer etwas unangenehm, besonders, wenn man weite Strecken hinter sich bringt.“

Ich stöhnte leise und hielt mich an seinem Biezeps fest, als ich einen Moment mein Gleichgewicht verlor. „Ich fühle mich furchtbar.“

Langsam verschwand sein Lächeln. „Fühlst du dich orientierungslos?“

„Ich wünschte es wäre so. Damit käme ich irgendwie zurecht.“

„Es ist wichtig, dass du dich nicht dagegen wehrst.“

„Vielleicht solltest du mich nächstes Mal vorwarnen.“

Als ich die Augen wieder aufschlug, lag ich plötzlich auf einer Couch. Eine Hand lag an meinem Hals, schien nach etwas zu tasten.

„Ah, da bist du ja wieder.“, bemerkte Ramon und drehte mein Gesicht zu sich.

„Was... wie komme ich...“

„Du bist ohnmächtig geworden. Ich glaube, du hast zu wenig getrunken, Darling.“

Verwundert sah ich zu ihm auf und bemerkte dann die Frauenhand, die auf seiner Schulter lag. Ohne es wirklich zu merken glitt meine Braue skeptisch in die Höhe. Als Ramon es bemerkte, folgte er meinem Blick und lächelte dann sanft auf mich herab.

„Darling, darf ich dir Mademoiselle Geneviève Depardieu vorstellen?“ Er nahm liebevoll meine Hand und half mir auf die Beine, bevor er auf die Frau deutete, deren Hand immer noch auf seiner Schulter lag.

Freundlich lächelte ich sie an. „Bonjour. Entschuldigen Sie bitte mein Benehmen. Mir ist nicht wohl.“

„Mademoiselle Depardieu, das ist meine liebreizende Verlobte. Kira Mal-.“ Er unterbrach sich selbst, als ich ihn finster ansah. „Was ist?“

„Wie war noch gleich mein Name?“, fragte ich ihn ruhig.

Er hob eine Braue. „Hast du dir den Kopf gestoßen? Das würde mich wundern. Ich habe dich aufgefangen, also bist du nicht auf dem Boden gelandet. Und ich habe aufgepasst, als ich dich zur Couch getragen habe. Lass mich mal sehen.“ Er hob die Hand, um sie an meinen Hinterkopf zu legen, doch ich schlug sie beiseite.

„Du bist nicht einmal in der Lage dir meinen Vornamen zu merken?“, fragte ich ihn frustriert.

„Darling, was macht es für einen Unterschied, ob ich dich nun Kira oder Kari nenne?“

„Oh, es ist eine Unterschied.“, fuhr Geneviève dazwischen und kokettierte mit ihrem Akzent, während sie ihm anzügliche Blicke zuwarf. „Ist mon homme noir das etwa nicht bewusst?“ Ihre Hand glitt von seiner Schulter über sein Bizeps zu seiner Brust.

Schnell griff er nach ihrer Hand und schob sie fort. „Geneviève, ich gebe zu, dass ich dachte, du würdest deine Verführungsversuche einstellen, wenn ich endlich eine Frau an meiner Seite habe.“

„Ich sehe hier keine Frau an deine Seite. Ich sehe eine junge Mädchen, das sich bemüht diese Platz zu bekommen und offenbar etwas fleißiger war als ich. Ich werde das natürlich sofort in Ordnung bringen und dir beweisen, dass ich mindestens genauso gute Vorzüge vorzuweisen habe wie deine junge Mädchen.“

Mein Magen verknotete sich. Junges Mädchen. War es das, was die Männer in mir sahen? Ein junges Mädchen?

Ramon seufzte leise, ließ ihre Hand los und trat an meine Seite, wobei er mir einen Arm um die Taille und seine Hand auf meine Hüfte legte. „Wir sind hier um geschäftliche Dinge zu regeln. Ich habe einen Tisch reserviert. Ich möchte nicht, dass das Essen kalt wird.“

Nachdenklich spielte ich an dem Ring an meinem Finger und fragte mich, warum ich mir all das überhaupt antat. Warum machte ich mir stattdessen nicht einfach Gedanken darüber was ich Ramon geben sollte? Dann wäre ich ihn los und konnte nach hause.

„Darling?“ Warme Lippen glitten über meine Wange. „Alles in Ordnung?“

Ich atmete langsam aus und musste mich anstrengen, um mich nicht sofort an ihn zu schmiegen. „Natürlich. Alles okay.“

„Bist du noch sauer?“

So wie er zuvor hob ich eine Braue und sah zu ihm auf. „Ob ich sauer bin? Wie kommst du darauf? Es ist ja nicht so, als wäre irgendwas nennenswertes passiert, nicht wahr?“

Ärger blitzte in seinen Augen auf, doch nicht ein einziger Muskel regte sich. „Dann lass uns essen gehen. Es ist ein vier-Gänge-Menü. Es beginnt mit einem Salat. Gefolgt von einer leckeren Quiche Lorraine. Die Hauptspeise besteht aus einer saftigen Entenbrust. Zum Dessert gibt es Mousse au Chocolat.“

Ich seufzte leise und ließ es zu, dass er mich aus dem Büro führte.

„Gefällt es dir nicht?“

„Doch. Es klingt... fabelhaft.“

„Wunderbar.“

Mit einem Nicken sah er wieder nach vorn und beobachtete, wie Mademoiselle Depardieu auf einen Tisch zusteuerte. Anders als bei anderen Tischen für drei befanden sich hier zwei Stühle auf einer Seite und waren einem einzelnen gegenüber. Sie nahm natürlich auf einem der zwei Platz. Ich hörte, wie Ramon leise knurrte.

„Hast du gerade-“

„Hm?“ Überrascht sah er auf mich herab. „Wie bitte?“

„Ach nichts. Ich habe mich wahrscheinlich verhört.“

„Verstehe.“

Ohne, dass er auch nur ein einziges Wort sagen musste kam ein Kellner herbei, der den noch unbesetzten Stuhl neben Mademoiselle Depardieu nahm und ihn auf die andere Seite stellte. Diese sah nicht sonderlich glücklich aus, als Ramon mir einen der zwei Stühle zurecht schob und dann neben mir Platz nahm. Einen Moment atmete ich leise auf, erstarrte dann aber abrupt, als er mir eine Hand auf den Oberschenkel legte, die Finger lagen warm an der Innenseite.

Der Kellner, der bereits den Stuhl umgestellt hatte, zündete eine Kerze an und informierte uns davon, dass der Salat gleich kommen würde.

„Du sagtest, du möchtest mit mir etwas geschäftliches besprechen.“, hob Geneviève an und sah Ramon fragend an, bevor sie dem Kellner dankend zunickte, da er ihr Wasser eingegossen hatte.

Während die beiden sich über irgendwelche Marketingprodukte unterhielten, sah ich mich ein wenig um und stellte fest, dass es ein sehr feines Restaurant war. Die Gäste waren sehr edel gekleidet und machten einen vornehmen Eindruck. Zu wissen, dass das Restaurant Ramon gehörte, machte mich ein wenig nervös. Wie viel Geld er wohl besaß?

Als der Salat serviert wurde, unterbrachen die zwei ihre Unterhaltung und widmeten sich der Mahlzeit. Einen Moment stocherte ich lustlos darin herum, besann mich dann aber eines Besseren und begann zu essen.

„Sag mir, mon homme noir, warum lässt du dich auf eine junge Mädchen ein?“, fragte Geneviéve und lächelte ihn anzüglich an. „Ich dachte immer du setzt auf Klasse, statt auf Jugend.“

Ramon seufzte leise und schob den leeren Teller von sich, bevor er sich etwas zurück lehnte und seinen Arm auf meine Rückenlehne legte, um mit meinem Haar zu spielen. „Bei der Suche nach einer Frau, die an meiner Seite bleiben soll, achte ich nicht darauf was sie im Bett kann.“, antwortete er und betrachtete mich ein wenig.

„Dir geht es also um jemanden, der dich gut präsentieren kann? Nun, da ist eine junge Mädchen wirklich eine gute Wahl. Wenn sie genug im Kopf hätte.“

Hatte sie mich gerade beleidigt?

„Es geht mir auch nicht um eine Schönheit an meiner Seite.“, entgegnete Ramon, „Es geht um eine Frau, die zu mir passt. Schönheit und Können ist nicht alles.“

Als ich meinen Salat aufgegessen hatte, trank ich einen Schluck Wasser und sah zwischen Ramon und Geneviéve hin und her. In ihrer Anwesenheit fühlte ich mich ein wenig wie das kleines Mädchen als das sie mich hinstellte.

„Bereitet sie dir Freuden im Bett?“, fragte Geneviéve plötzlich.

Ich sah sie entgeistert an. „Wie bitte?“

Sie lehnte sich ein wenig zurück und betrachtete ihre Fingernägel. „Sie machen eine erstaunlich frigide Eindruck. Ich weiß wahrlich nicht was mon homme noir an Ihnen findet. Da frage ich mich doch, ob Sie ihm überhaupt Freude bereiten.“

„Was bilden Sie sich ein?“, brach es daraufhin aus mir heraus, „Unser Sexualleben hat Sie nun wirklich nicht zu interessieren.“

Ramon zupfte an einer meiner Strähnen, woraufhin ich zu ihm aufsah. Seine Augen sahen mich belustigt an. „So temperamentvoll.“, bemerkte er leise.

Geneviéve lachte auf. „Oh, mon homme noir. Deine Mädchen ist ja frigider als ich dachte.“

Ramon sah sie skeptisch an. „Sie hat Ehrgefühl und Stolz. Und sie hat Schamgefühl, nicht so wie du. Das ist es, was die Frau haben sollte, die ich suche.“

Sprachlos sah ich zu ihm auf, erinnerte mich dann jedoch daran, dass er sie sich nur vom Hals halten wollte. „Was man von dir ja nun nicht behaupten kann.“, bemerkte ich dann. Als mir dann auffiel, was ich da gesagt hatte, wand ich hastig den Blick von ihm ab.

Er dagegen lachte leise auf. „Wie Recht du hast, Darling. Du musst wissen, Geneviéve, dass sie mir bisher sehr viele Freuden bereitet hat. Sie ist seit langem der erste Mensch, der mich wirklich überrascht hat.“

Innerlich fragte ich mich ob er das nur sagte, um sie loszuwerden oder wirklich meinte was er sagte. Gerade als ich nicht weiter darüber nachdenken wollte, spürte ich, wie seine Hand an meinem Rücken hinab wanderte und erst halt machte, als sie mein Gesäß erreichte. Ich zuckte kurz zusammen, regte mich allerdings nicht weiter, als Geneviéve mir einen prüfenden Blick zu warf.

„Um nochmal auf das Geschäft zurück zu kommen...“, hob Ramon dann an und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich.

Als ich mich daraufhin zurück lehnte, zog er seine Hand zurück und verschränkte seine Finger vor seinem Mund, während er sie aufmerksam ansah. Geneviéve schien jedoch herzlich wenig Interesse an dem eigentlichen Gespräch zu haben. Wenige Minuten später kam der zweite Gang, weshalb sie erneut die Unterhaltung unterbrachen und wieder begannen zu essen. Diesmal war es deutlich schwieriger mich zum Essen zu überwinden.

„Ist alles in Ordnung, Darling?“, fragte Ramon mit besorgter Stimme, als ihm auffiel, dass ich nur kleine Bissen zu mir nahm.

„Ich habe keinen großen Appetit.“, entgegnete ich daraufhin wahrheitsgemäß und schob meinen Stuhl zurück. „Entschuldigt mich bitte kurz.“

Ich spürte seinen Blick in meinem Rücken, als ich mich auf die Suche nach der Toilette begab. Als ich kurz darauf meine Hände wusch fragte ich mich ein weiteres Mal, warum ich noch hier war. Warum ging ich nicht einfach?

Weil du in Paris bist, du dumme Frau.

Ich seufzte leise. Dennoch... vielleicht könnte ich trotzdem verschwinden. Ich könnte jemanden nach einem Handy fragen und Nadia anrufen. Sie würde mir bestimmt helfen.

Gute Idee, Kari. Endlich hast du mal deinen Verstand benutzt.

Die Toilettentür und der Ausgang, der nur wenige Meter davon entfernt war, waren von unserem Tisch aus nicht zu sehen. Es dürfte also kein Problem sein das Restaurant zu verlassen, statt an den Tisch zurückzukehren.

Nachdenklich besah ich mich im Spiegel und trocknete meine Hände. Ein guter Plan, dachte ich mir, zögerte jedoch. Herrgott nochmal, Kari. Sei nicht so dumm. Verschwinde und mach, dass du nach hause kommst.

Einen Moment stand ich noch da, verließ dann aber den Raum und hielt auf den Ausgang zu.

„Mademoiselle.“

Überrascht sah ich auf, als mich ein Angestellter an der Schulter berührte. „Ja?“

Monsieur Ramon fragte sich bereits, warum es so lange dauert.“

Ich schluckte kurz. „Ich möchte nur ein wenig frische Luft schnappen. Es ist sehr warm hier.“ Um meine Worte zu unterstreichen fächerte ich mir ein wenig Luft zu. „Richten Sie ihm bitte aus, dass ich in 10 Minuten zurück bin.“

„Wie Sie wünschen.“

Ohne ein weiteres Wort machte er sich auf den Weg zum Tisch, woraufhin ich hastig weiter zum Ausgang ging. Kühle Nachtluft umfing mich, was mich daran erinnerte, dass es hier nun um die 20 Uhr sein müsste. Ich seufzte leise, blieb einen Moment stehen und ging dann die Straße hinab. Ich konnte den Eiffelturm sehen, der beleuchtet aus der Stadt herausragte. Einen Moment genoss ich den Anblick, wand dann jedoch den Blick ab und bog in eine Straße ein, damit man mich nicht so schnell fand, sollte man nach mir suchen.

Einige Minuten später, als ich der Meinung war weit genug entfernt zu sein, sah ich mich nach jemandem um, der vielleicht ein Handy bei sich trug.

„Entschuldigen Sie.“, versuchte ich es kurz darauf bei einem jungen Mann, der mir mit seiner Freundin entgegen kam.

Überrascht sah er zu mir auf. „Oui?“

„Könnten Sie mir vielleicht Ihr Handy leihen? Nur ganz kurz.“

Einen Moment blinzelte er verwundert. „Oh. Natürlich.“, antwortete er dann mit starkem Akzent und holte sein Handy hervor.

„Vielen Dank.“, entgegnete ich und tippte hastig Nadias Nummer ein. „Es dauert nur zwei Minuten.“

„Machen Sie nur.“, entgegnete er und lächelte freundlich.

Bereits beim zweiten Freizeichen hob meine Freundin ab. „Hallo?“

„Nadia?“

„Kari? Bist du das? Von wo rufst du an? Was ist das für eine Nummer?“

„Das erkläre ich dir später. Du musst mir helfen.“

„Was ist los?“

„Ich glaube, ich wurde entführt.“

Einen Moment schwieg sie überrascht.

„Ich hab nicht viel Zeit, du musst mir einen Flug buchen, geht das? Ich habe kein Geld und stecke in Paris fest.“

„Warte, was? Du bist in Paris?“

„Ja.“

„Wie- Was- Warum-“

„Ich kann es jetzt nicht erklären.“

„Okay, nun... Ein Flug... Hast du denn deinen Reisepass dabei?“

Ich schwieg überrascht. „Nein.“

„Was- Wie willst du dann in den Flieger kommen?“

Ich fluchte leise. „Ich... weiß es nicht. Ich muss hier irgendwie weg.“

„Okay, lass mich überlegen.“ Sie atmete kurz tief durch. „Ich... Ich kenne jemanden in Paris. Sie ist eine gute Freundin. Ich rufe sie an und bitte sie dich für ein paar Tage aufzunehmen. Ich schicke dann per Post deinen Reisepass und Geld für ein Flugticket.“

Ich atmete erleichtert auf. „Du bist wunderbar.“

„Gerne doch. Also...“

Sie nannte mir die Adresse ihrer Freundin und erklärte mir noch was ich ihr sagen sollte, bevor ich mich nochmals bei ihr bedankte, auflegte und mit einer Entschuldigung und einem großen Dank dem Fremden das Handy zurück gab. Dann machte ich mich auf den Weg zu der Adresse, wobei ich fast jeden Franzosen nach dem Weg fragen musste, der mir über den Weg lief.

Eine Stunde später saß ich in einer Decke eingewickelt in einem warmen Wohnzimmer und trank einen Tee, während ich Nadia in groben Zügen und ein wenig Geflunker erklärte was passiert war. Ich kuschelte mich noch etwas enger in die Decke, doch es schien nicht zu helfen. Mir wurde immer kälter.

„Ich hätte nicht gedacht, dass Ramon so ein Schweinehund ist.“, bemerkte sie wenig später, „Und er hat dich einfach so betäubt, sagst du?“

„Ja.“, entgegnete ich frustriert und seufzte, weil ich sie belog. „Ich weiß nicht was es war. Ich bin erst hier in Paris wieder aufgewacht. Ich denke, er hat mir regelmäßig etwas gegeben.“

„Ich verstehe. Dabei hat er einen so freundlichen Eindruck gemacht. Und er ist so verdammt charmant.“

Innerlich biss ich mir auf die Zunge und schloss die Augen. Ich hatte Gewissensbisse, weil ich ihn so schlecht darstellte. Dabei hatte er mich tatsächlich entführt. Allerdings war er auch der Teufel, also...

Ich seufzte leise auf und hörte, wie es an der Tür klingelte. Amelié, die Freundin, bei der ich war, stand auf um an die Tür zu gehen.

„Ich kann es kaum erwarten nach hause zu kommen.“, verkündete ich müde und blinzelte einige Male, als meine Sicht kurz verschwamm.

Dabei war ich eigentlich erst seit ein paar Stunden wach. Ich fühlte mich seltsam schwach, als hätte mir irgendwas die Energie geraubt.

„Was sagtest du? Ich habe dich nicht verstanden. Geht es dir gut?“

„Ja, ich bin nur... so müde.“ Erschöpft rieb ich mir über die Stelle zwischen meinen Brauen und stöhnte auf, als mein Kopf plötzlich begann zu schmerzen. „Ich werde jetzt auflegen. Ich rufe dich an, sobald dein Paket angekommen ist.“

„In Ordnung. Bis dann.“

„Bye.“

Ich schaffte es gerade noch das Telefon vor mir auf den Tisch zu legen, bevor ein heftiger Schmerz meinen Kopf erfasste. Stöhnend legte ich mich hin und bettete meinen Kopf auf der Couchlehne, wobei ich mich mehr in die Decke kuschelte, da mir immer kälter wurde. Amelié diskutierte mit irgendjemandem an der Tür.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte ihr Ehemann, als er mit einem Snack herein kam und hockte sich neben mich, um meine Stirn zu befühlen. „Sie sehen etwas kränklich aus.“

„Piérre!“, rief Amelié plötzlich und sagte ihm etwas auf Französisch, was leider nie meine Spezialität war.

Verwundert stand er auf und ging zu seiner Frau. Ich blieb zitternd zurück. Kurz darauf hörte ich sie protestieren, woraufhin zwei Paar Schritte herein kamen.

„Ach, verflucht, Weib.“, ertönte Ramons Stimme, „Was tust du hier?“

Ich hatte nicht einmal Zeit mich über seine Anwesenheit zu wundern. Ehe ich auch nur mit einer Wimper zucken, geschweige denn die Augen öffnen konnte, hockte er bereits bei mir und betastete meine Stirn.

Er schien nicht sonderlich begeistert zu sein. „Warum bist du weggelaufen?“, fragte er tadelnd und hob mich von der Couch.

„Wie... Wie hast du mich gefunden?“

„Du bist vertraglich an mich gebunden, du dumme Frau.“ Ohne Amelié und Piérre zu beachten trug er mich hinaus und ging mit mir die Straße hinab. „Der Vertrag ermöglicht es mir dich zu finden, solange du deinen Part nicht erfüllt hast.“

Erneut pochte mein Kopf heftig, weshalb ich mich schwach an ihn lehnte.

„Das hast du nun davon.“, grummelte er unzufrieden, „Du kannst nicht davon laufen, sonst wirst du krank. Je länger und je weiter du dich absichtlich von mir entfernst, umso kranker und schwächer wirst du. Wir nennen das Fluchtfieber.“

Plötzlich bog er mit mir in eine Gasse ein und kurz darauf begann meine Haut wieder zu prickeln. Diesmal kam mir die Portation deutlich länger vor, doch als es endlich vorbei war, legte er mich vorsichtig in ein weiches Bett.

„Johann!“, rief er laut, „Ich brauche kaltes Wasser und Petersilie!“

„Was?“, fragte ich verwirrt, „Kaltes Wasser und Petersilie? Klingt nach kalter Suppe.“

„Rede nicht.“, entgegnete er und packte mich warm in den Decken ein. „Das raubt dir noch mehr Kraft.“

„Aber was-“

„Sch sch.“ Er legte mir einen Finger auf den Mund, um mich zum Schweigen zu bringen. Kurz darauf erschien dann sein Butler und brachte ihm die Dinge. Ramon eilte kurz ins Bad und kam mit einem Waschlappen zurück. Ich beobachtete, wie er einen Teil der Petersilie tatsächlich in das Wasser zupfte, bevor er den Waschlappen anfeuchtete, auswrang und mir dann die Stirn abtupfte.

„Es klingt verrückt, aber Petersilie besitzt Stoffe, mit denen sich das Fluchtfieber heilen lässt.“

Ich murrte, war nicht in der Lage irgendwas zu sagen.

„Du musst es kauen und schlucken.“, meinte er kurz darauf und hielt mir ein wenig an die Lippen.

Ich schaffte es gerade mal die Lippen zu öffnen, stöhnte dann jedoch auf, als mein Kopf unsagbar schmerzte. Ramon murrte unzufrieden, zupfte ein paar Blätter ab, die er mir vorsichtig auf die Lippen legte.

„Du musst sie essen.“, bemerkte er halblaut.

Ich leckte sie zwar ab, tat mich jedoch schwer damit zu kauen. Es war als wären meine Kiefermuskel wie betäubt.

„Kann nicht.“, nuschelte ich.

Ein leiser Fluch war von ihm zu hören. Dann lagen plötzlich seine Lippen auf meinen. Einen Moment erstarrte ich, versuchte dann aber ihn schwach von mir zu schieben. Beinahe grob schob er meinen Mund auf und schob mit seiner Zunge irgendwas in meinen Mund, bevor er sich von mir löste.

„Schlucken.“, hörte ich ihn sagen, was sich jedoch reflexartig von selbst erledigte.

Dann bemerkte ich den Geschmack nach Petersilie und zog die Brauen zusammen. Doch ehe ich genauer darüber nachdenken konnte, wiederholte er bereits diese Prozedur. Nach drei weiteren Wiederholungen lag ich einfach nur sprachlos da und beobachtete ihn dabei, wie er die Petersilie kaute und mich dann küsste, um sie mir einzuflößen.

Eine Stunde später ging es mir bereits erheblich besser. Mein Kopf hörte auf weh zu tun und mein Zittern war nur noch ein kleines Frieren. Ramon hatte sich zu mir unter die Decke gelegt und hielt mich in den Armen, um mich aufzuwärmen.

„Warum machst du das?“, fragte ich ihn leise.

Er schwieg eine Weile. „Du wärst sonst gestorben.“

„Würde dich das nicht erleichtern? Ich meine, dann hättest du mich nicht mehr am Hals.“

„Vielleicht. Aber deine Seele wäre dann auch weg. Du bist kein schlechter Mensch, also wäre sie im Himmel gelandet.“

Ich zog die Brauen zusammen. „Also hast du mich lieber lebendig als meine Seele im Himmel zu wissen.“

„Wenn ich die Chance habe irgendwie an eine Seele zu kommen... ja. Außerdem schuldest du mir noch etwas.“

„Hmmm...“ Nachdenklich berührte ich meine Lippen, während er hinter mir liegend die Decke neu ordnete.

„Johann, streich doch bitte die weiteren Termine für heute. Sag, es handelt sich um einen Notfall.“

„Selbstverständlich.“, kam die Antwort.

„Geh nur.“, entgegnete ich.

„Niemals.“, widersprach er, „Wenn ich jetzt gehe könnte es schlimmer werden. Du bist noch nicht ganz auskuriert. Außerdem fällt mir gerade auf wie gut du bestückt bist.“

Abrupt riss ich die Augen auf. „Lass mich los!“, rief ich dann aus und versuchte mich aus seiner Umarmung zu kämpfen. „Wie kannst du in so einem Moment nur an Sex denken?“

Er seufzte leise und drückte mich enger an sich. „Ich habe nicht an Sex gedacht.“, entgegnete er trocken, „Ich dachte eher daran, dass es ein... schönes Gefühl ist mit einer hübschen Frau im Bett zu liegen und zu faulenzen.“

Verwundert hielt ich inne und zog die Brauen zusammen. Er klang beinahe so, als würde er sich danach sehnen. Aber er war der Teufel, also... „Oh, das war ein Witz, richtig?“, ging es mir auf, „Einen Moment habe ich gedacht, du meinst das ernst. Aber du bist der Teufel und hast daher sicher genug Möglichkeiten gehabt so etwas zu genießen und ich bin mir sicher, dass ein Teufel das Wort schön nie ernst nehmen würde, also... Das war doch ein Witz, richtig?“

Er schwieg einen Moment. „Klar.“, entgegnete er dann und löste sich ein wenig von mir. „Wenn ich die Wahl habe, die ich glücklicherweise ja habe, dann ziehe ich gut bestückte Frauen mit Kurven vor. Und Faulenzen ist so gar nicht mein Ding. Schön sind nur nutzlose Dinge, ich bin eher praktisch veranlagt. Hast du Hunger?“

Etwas durcheinander von dem plötzlichen Themenwechsel schwieg ich einen Moment. „Äh, nein danke.“

Dann wurde es still. Obwohl er mich nun lockerer im Griff hielt, was ich der Tatsache zuschrieb, dass ich aufgehört hatte mich zu wehren, lag er immer noch ziemlich dicht bei mir, sodass ich seinen Atem in meinem Nacken spüren konnte.

„Wie spät ist es?“, fragte ich irgendwann.

„Etwa 14 Uhr.“, kam die Antwort.

Ich seufzte leise, da ich mich daran erinnerte, dass mein Bruder mich hatte besuchen wollen und- „Oh nein.“, stöhnte ich auf und versuchte von ihm abzurücken.

„Hör auf dich zu bewegen.“, murrte er verstimmt, „Und bleib liegen.“

„Ich kann nicht. Ich muss telefonieren.“

„Vergiss es. Du bist noch nicht ganz gesund, also bleibst du im Bett.“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, zog er mich zurück und hielt mich fest.

„Es ist verdammt wichtig.“, gab ich zu Bedenken und versuchte mich aus seinem Griff zu winden.

„Egal wie wichtig es ist, es muss warten.“

„Keine Zeit zum warten. Ich hab es vergessen und länger zu warten macht es nur schlimmer.“

„Dann wirst du eben damit fertig werden müssen, wenn es furchtbar schlimm ist.“

„Aber ich will dann nicht damit umgehen müssen, wenn ich es auch jetzt aus der Welt schaffen kann.“

Als ich es schaffte einen seiner Arme wegzuschieben, drehte er mich auf den Rücken und beugte sich über mich, wobei er mich an den Schultern in die Matratze drückte.

„Du. Bleibst. Hier.“, befahlt er mir verärgert, „Verstanden?“

„Lass mich los.“ Erneut versuchte ich ihn wegzuschieben.

Er drückte mich bestimmend wieder hinunter. „Liegen bleiben.“

„Lass mich gefälligst los!“

„Erst, wenn du liegen bleibst.“

„Verdammter Mistkerl.“

„Für eine Verdammung bist du Jahrtausende zu spät.“, zischte er zurück.

„Dafür ist es nie zu spät. Jetzt lass mich los.“

„Dann bleib liegen.“

„Fahr zur Hölle!“

Sein Blick verfinsterte sich. „Gut, wie du meinst. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Und komm hinterher nicht bei mir angelaufen.“ Mit diesen Worten stieß er sich von mir ab, stand aus dem Bett auf und verließ gereizt den Raum.

Einen Moment lag ich noch verblüfft da, schüttelte dann aber den Kopf und stieg ebenso gereizt wie er aus dem Bett, um ebenfalls das Zimmer zu verlassen. Ich schaffte es bis zur Treppe, ehe ich merkte, dass ich mich immer schwächer fühlte.

„Johann?“, rief ich halblaut, während ich die Treppe hinunter ging.

Der Butler erschien am Ende der Treppe. „Ja, Milady?“

„Ich brauche ein Telefon. Und zwar dringend.“

„Natürlich. Folgen Sie mir.“

Ich verschnaufte einen Moment und folgte ihm dann hastig den Flur hinunter, bis zu einem Raum, den ich bisher noch nicht erkundet hatte. Ich fragte mich einen Moment wo Ramon wohl war, schob den Gedanken dann jedoch beiseite.

Johann hatte mich in ein Arbeitszimmer geführt und war neben einem Schreibtisch stehen geblieben. Atemlos stützte ich mich einen Moment am Türrahmen ab, stieß mich dann jedoch ab und ging herüber zum Schreibtisch, auf dem ein Telefon stand.

„Ist Ihen nicht gut, Milady?“, fragte Johann aufmerksam.

„Alles gut. Vielen Dank, Johann.“

„Natürlich.“

Er verbeugte sich würdevoll und verließ dann das Zimmer, woraufhin ich nach dem Telefon griff und die Handynummer meines Bruders wählte. Dabei musste ich mich auf den Stuhl setzen, der zum Schreibtisch gehörte, da mir zunehmend schwindeliger wurde.

„Hallo?“, meldete sich mein Bruder.

„Hallo, Wave.“, entgegnete ich angestrengt.

„Oh, Gott sei Dank. Kari. Wo bist du? Ich stehe hier seit einer geschlagenen Stunde mit Mika vor deiner Tür.“

„Es tut mir furchtbar leid.“, entgegnete ich, „Wegen einem... Notfall... bin ich für eine Weile nicht zuhause. Unter dem Blumentopf ist ein Ersatzschlüssel. Ihr könnt solange in meiner Wohnung bleiben.“

„Was ist denn passiert?“

„Ich kann es dir nicht sagen.“ Du würdest mir nie glauben. „Es ist... kompliziert. Wartet bitte einfach in meiner Wohnung. Fühlt euch wie zuhause.“

„Geht es dir gut? Du hörst dich etwas krank an.“

„Mir geht es gut, keine Sorge.“

„Ganz sicher? Du klingst so wie damals, als du Fieber hattest und kaum gehen konntest.“

„Ja, ich bin in Ordnung. Mach dir keine Sorgen.“ Tatsächlich fühlte ich mich etwas fiebrig. „Ich versuche die Tage nochmal anzurufen, okay?“

„Du hast mir noch nicht gesagt wo du bist.“, warf er ein.

„Gib Mika einen dicken Kuss von mir. Ich hab euch lieb.“

„Kari...“

Ich schluckte schwer. „Bis die Tage, Wave.“

Ich schaffte es gerade noch aufzulegen, ehe mir schwarz vor Augen wurde.

Kapitel 3

Unruhig ging er auf und ab, horchte nur mit halbem Ohr den Angeboten der Tanners. Nachdem er sich den halben Tag mit Terminen zugebaut hatte, um Kari aus dem Kopf zu kriegen, hatte er den Tanners gesagt, er würde doch zum Dinner kommen. Allerdings hatte er seine Mahlzeit kaum angerührt.

„Deshalb sind wir nur umso sicherer, dass eine Kooperation unserer Firmen für beide Seiten nur von Vorteil wäre.“, verkündete Mr. Tanner.

„Da bin ich mir ebenfalls sicher.“, stimmte er zu ohne inne zu halten, „Ich bin jedoch nicht bereit mehr als 5% des Gewinns an sie abzutreten.“

Dem Rest horchte er wieder nur mit halbem Ohr, während er unwillkürlich darüber nachdachte, ob Kari in Ordnung war.

Diese dumme Frau...

Als zwei Stunden später das Gespräch beendet war, war er müde und ausgelaugt und wollte nur zurück in sein Bett. Doch als er sich eine Viertelstunde später hinlegen wollte, war es so leer. Kari war nicht da. Innerlich fluchend verließ er das Schlafzimmer und rief nach Johann.

Dieser erschien fast sofort an seiner Seite. „Ja, mein Herr?“

„Wo ist Kari?“, wollte er sofort wissen.

„Sie wollte telefonieren.“

Ohne ein weiteres Wort machte er sich auf den Weg hinunter in sein Arbeitszimmer. Er hatte sie gewarnt, war sogar bereit seinen Tag dafür zu opfern die Zeit bei ihr zu verbringen, damit sie nicht allein war und sie schoss ihn einfach in den Wind für ein... Gespräch. Ein Telefonat! Was konnte so wichtig sein, dass sie ihre Gesundheit vernachlässigte?

Als er sie bewusstlos an seinem Schreibtisch sah, seufzte er tief und ging zu ihr herüber, um ihren Puls zu suchen. Er war zwar vorhanden, doch war er nicht sehr kräftig und ihr Atem ging schwach.

„Diese dumme Frau.“, murmelte er verärgert und hob sie auf seine Arme, um sie ins Schlafzimmer zu bringen. „Sei so gut und mach ihr eine gesunde Mahlzeit. Was essen Menschen, wenn sie krank sind? Fleisch?“

„Suppe, mein Herr. Hühnersuppe ist sehr beliebt.“

„Dann... mach ihr eine Hühnersuppe. Sie hat zwar kein Fluchtfieber mehr, aber sie war nicht ganz gesund und hat ihre letzten Energiereserven aufgebraucht. Warum ist sie nicht einfach im Bett geblieben?“

„Mit Verlaub, mein Herr...“

„Ja?“

„Sie hat mit einem gewissen Wave telefoniert. Es klang als wäre er bei ihr zuhause und hätte einen gewissen Mika bei sich. Sie sind wohl zu Besucht und sollen sich da wie zuhause fühlen, bis Miss Kari zurück ist.“

Wave... Ob das wohl ein Verehrer ist...?

„Wurde zurückgerufen?“

„Fünf Mal.“

„Hast du geantwortet?“

„Nein.“

„Gut. Schalte das Telefon bitte ab. Ich will nicht, dass sie irgendwem hiervon erzählt.“

„Sie sagte diesem Wave etwas von einem Notfall, erwähnte aber mit keinem Wort Euch, den Vertrag oder ihre Entführung.“

„Entführung?“, wiederholte er verdutzt.

„Für einen einfachen Menschen wie sie gleicht Eure Aufmerksamkeit, sie in Euer Haus zu holen, einer Entführung, mein Herr.“

„Sie sollte froh sein so viel Luxus erleben zu dürfen.“, murmelte er verstimmt und legte sie in sein Bett, als er das Schlafzimmer erreichte. „Also... Mach ihr eine Hühnersuppe, einen Tee und all diese Dinge, die Menschen bekommen, wenn sie krank sind. Ich will, dass sie morgen früh wieder gesund ist.“

„Mein Herr, ich bezweifle, dass sie bis morgen genesen kann. Sie ist ein Mensch und als solcher dauert es einige Tage, bis sie gesund ist.“

„Dann... morgen Abend.“

Johann seufzte leise. „Es dauert lange, mein Herr. Mit ein oder zwei Tagen ist es nicht getan.“

„Dann tu was getan werden muss, damit zwei Tage reichen!“, entfuhr es ihm gereizt.

Der Butler seufzte erneut. „Ich werde mein Bestes geben, mein Herr.“ Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

Er dagegen wand sich wieder an Kari, die immer noch das Kleid vom Dinner mit der aufdringlichen Französin trug. In ihrer Gegenwart hatte sie nicht sehr glücklich ausgesehen...

Ich werde das Kleid verbrennen.

So leise wie möglich, um ihren Schlaf nicht zu stören, zog er Kari um und steckte sie in ein übergroßes T-Shirt und eine Shorts. Dabei fiel ihm auf, dass sie in seinen Sachen irgendwie niedlich aussah.

Niedlich... Morgen finde ich Johann noch attraktiv...

Nein, sie war nicht niedlich. Sie sah nur so winzig klein aus in seinem riesigen Shirt.

Ich werde alle Kleider verbrennen...

Nach kurzem Zögern legte er sich schließlich ebenfalls ins Bett und erlag letztendlich seiner Erschöpfung.

 

Als ich irgendwann aufwachte, war ich umgeben von Wärme und fühlte mich deutlich besser als nach dem Telefonat. Dennoch etwas angeschlagen drehte ich mich auf die andere Seite und kuschelte mich an die Quelle der Wärme, als wäre ich kurz davor zu erfrieren. Diese Quelle legte sich enger um meinen Körper, drückte mich leicht an sich.

Während ich reglos so dalag, dachte ich über die letzten Tage nach. Ich hatte meinen Freund verloren, dazu noch meinen Job gekündigt und war beinahe vergewaltigt worden. Ich war dem Teufel begegnet, lebte in seinem Haus und bin innerhalb weniger Augenblicke von ihm nach Paris gebracht worden, wo wir ein Dinner mit einer unausstehlichen Frau hatten, ehe ich zwar flüchten konnte, er mich jedoch wieder einsammelte und zurück in sein Zuhause brachte. Ich war gefühlte Tage lang krank, wurde von ihm gesund gepflegt und hatte ein kurzes Telefonat mit Wave führen können, ehe ich an diesem Schreibtisch zusammen gebrochen war.

Am Schreibtisch... Nachdenklich zog ich die Brauen zusammen. Ich war nicht mehr am Schreibtisch...

Verdutzt öffnete ich die Augen und sah, wider Erwartens, weil die Vorhänge kein Licht durchließen, eine wohlgeformte Männerbrust im Schein einer Nachttischlampe. Die Haut war blass und glatt, sein Körper fühlbar trainiert, falls er dafür überhaupt trainieren musste. Als ich in sein Gesicht blickte, stellte ich fest, dass er noch schlief. Tief und fest, wie es schien. Der finstere Ton in seinem Blick war verschwunden und sein Gesicht erschien eher friedlich und sorglos, glich beinahe kindlicher Unschuld. Fasziniert von diesem Wandel seiner Gesichtszüge berührte ich vorsichtig seine Schläfe und fuhr die Linie seiner Augenbraue nach.

Die Berührung schien seinen Schlaf einen Moment zu stören, denn er zog kurz die Brauen zusammen und drehte leicht das Gesicht weg. Dann beruhigte er sich jedoch wieder und schlief genauso tief weiter wie vorher.

Leise seufzend betrachtete ich ihn ein wenig und merkte, wie mein Herz begann zu rasen, weil ich merkte, wie nahe er mir war. Sein Gesicht war sehr maskulin und sein schwarzes Haar fiel ihm zerzaust in die Stirn. Ich wusste, dass seine Augen grau waren. Sie erinnerten mich an Gewitterwolken. Doch so unruhig wie seine Augen wirkten, so klar war sein Denken. Zumindest machte er auf mich diesen Eindruck. Er war tausende von Jahren alt – ein echtes lebendiges Fossil, wenn man es genauer betrachtete – und hatte Dinge gesehen, von denen Menschen nur träumen können.

Trotz allem sah ich keine einzige Narbe an seinem Körper. Keine Falten in seinem Gesicht. Er wirkte unglaublich jung und vital.

Grübelnd berührte ich die Stelle zwischen seinen Augenbrauen, an der sich eine tiefe Falte bildete, sobald er die Brauen verärgert zusammen zog. Dabei zog er auch die Mundwinkel herab, als würde er jeden Moment die Zähne fletschen wollen.

Wie sah er wohl aus, wenn er lächelte?

Wie klang wohl sein Lachen?

Bei seiner Stimme, tief, etwas rau und aufregend, musste sein Lachen atemberaubend sein. Er wäre auch ein guter Sänger gewesen, wenn er nicht jedem Menschen die Seele nehmen wollen würde.

Warum macht er das überhaupt?

Ich setzte die Frage auf meine imaginäre Liste von Dingen, die ich von ihm wissen wollte und ließ meine Aufmerksamkeit zu seinem Hals gleiten. Er war nicht sehr spektakulär. Schlank, etwas sehnig und doch kräftig. Allein seine Schultern machten einen einschüchternden Eindruck. Der Gedanke, dass ich mich momentan in seinen Armen befand, sollte eigentlich nicht sehr beruhigend sein, doch aus mir unbekannten Gründen störte es mich keineswegs. Stattdessen fühlte ich mich sicher und irgendwie... geborgen.

Das muss daran liegen, dass er noch schläft.

Ja, das klang einleuchtend.

Etwas mutiger fiel mein Blick auf seinen Mund. Ich erinnerte mich an seinen Kuss, als er mir die Petersilie eingeflößt hatte und bemerkte, wie ich einen Moment von Kichern geschüttelt wurde, als ich daran dachte, dass tatsächlich Petersilie mein Leben gerettet hatte. Petersilie und dieser Mann.

Als ich merkte, dass mein Bauch begann zu kribbeln, zog ich die Brauen zusammen. Ich musste mir irgendwo den Kopf angeschlagen haben, wenn ich auch noch begann mich von ihm angezogen zu fühlen.

Ein klarer Fall von Idiotie oder Wahnsinn. Das müssen Nebenwirkungen von dem Wissen sein, dass er ein Teufel ist.

Der Teufel. Ich konnte es immer noch nicht so recht glauben. Er wirkte wie ein normaler Mann, wenn man mal davon absah, dass er sich in Rauch auflösen konnte und irgendwie böser wurde, wenn man ihm einen Handel vorschlug.

Außerdem hatte er scheinbar einen normalen Drang zur Sexualität, was ihn noch menschlicher erscheinen ließ, wenn ich daran dachte, wie Hormongesteuert die meisten Männer heutzutage waren.

Erneut betrachtete ich seinen Mund und gab dem Verlangen nach seine Lippen vorsichtig zu berühren. Sie waren weicher, als ich sie in Erinnerung hatte.

Als dieser Mund plötzlich nach meinem Finger schnappte und ihn zart zwischen die Zähne nahm, zuckte ich überrascht zusammen, schrie kurz leise auf und sah ihn mit großen Augen an.

Verschlafenes Grau sah erschöpft zurück.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken.“, brachte ich nervös hervor und sah zwischen seinem Mund und seinen Augen hin und her.

Er übte gerade genug Druck auf meinen Finger aus, um mir zu sagen, dass ich ihn nicht bewegen sollte, während er mich eine Weile einfach nur ansah. Irgendwann entließ er meinen Finger, schloss die Augen und zog mich enger an sich.

„Was tust du da?“, fragte ich ihn perplex.

„Sei still.“, gab er halblaut zurück und vergrub das Gesicht an meinem Hals. „Und beweg dich nicht.“

Verwirrt regte ich mich keinen Millimeter.

Was ist denn mit ihm? Ist er krank?

„Bist du in Ordnung?“, fragte ich leise.

„Ich bin bloß erschöpft.“

Zögerlich hob ich eine Hand und begann zaghaft über seinen Schopf zu streicheln. „Warum?“

„Termine. Geschäftliches. Meine Tochter. Meine Schwester.“

„Klingt, als hättest du wenig Dinge im Leben, die dich entlasten.“

Skeptisch sah er mich an, sagte aber nichts zu der Hand, die auf seinem Schopf liegen geblieben war. „Ich bin der Teufel, Kira.“

„Kari.“, murmelte ich wie von selbst.

Er schüttelte den Kopf. „Niemand hat Interesse daran den Teufel zu entlasten.“

„Aber im Prinzip bist du auch nur ein Mensch.“, murmelte ich abwesend und seufzte leise. „Gibt es niemanden, der dir etwas Gutes will?“

Er sah mich an, als wäre ich ein fliegendes Einhorn. Mit zwei Hörnern. Und pinkem Schweif.

„Sieh mich nicht so an.“

„Hast du dir irgendwo den Kopf gestoßen?“

„Vermutlich.“, entgegnete ich sarkastisch und rollte mit den Augen. „Trotzdem erwarte ich eine Antwort.“

„Mir ist keine Person bekannt, die mir Gutes tun wollen würde. Außer Johann vielleicht. Und das auch nur, weil er an mich gebunden ist.“ Er zuckte mit den Schultern und schien plötzlich viel müder als vorher.

Mitgefühl regte sich in mir. Es musste schwer sein so lange all diesen Druck und die Einsamkeit zu überstehen.

Als er nun meinen Blick bemerkte, verhärteten sich seine Züge. „Was?“

„Ist es anstrengend? So allein, meine ich?“

Argwöhnisch verengten sich seine Augen. „Ich bin mehr mehrere tausend Jahre alt. Was spielt es für eine Rolle, ob etwas schwer ist oder nicht?“

„Es spielt eine Rolle, ob man mehrere tausend Jahre in Einsamkeit verbringt oder jemanden an seiner Seite hat, der einen unterstützt. Du hast nicht einmal Freunde, denen du vertrauen kannst. Klingt nicht so, als könntest du auch nur einen Moment entspannen.“

„Bietest du dich etwa an?“ Schläfrig sah er auf mich herab, wirkte dennoch wie ein Raubtier auf der Jagd.

Hitze stieg mir in die Wangen. „W-w-was?“

„Das klang fast nach einem Angebot.“, schnurrte er und senkte den Kopf ein wenig herab.

„Ich... Ich...“

Als er so nahe war, dass sich unsere Nasenspitzen berührten und ich seinen Atem spürte, kam mir kein einziger Ton mehr über die Lippen.

„Du hast eine so reine Seele.“, murmelte er, „Ich kann mir nicht mal vorstellen, dass du je gelogen hast.“

„Ich-ich hab als Kind mal einen Keks aus der Dose genommen und behauptet ich wäre es nicht gewesen.“

Sein Mundwinkel zuckte, hob sich ganz leicht. Mein Herz setzte einen Schlag aus, raste dann wie ein Hochgeschwindigkeitszug.

„Ein kleines Süßmäulchen.“, bemerkte er, „Es würde mich wundern, wenn du nicht genauso schmeckst.“

Unwillkürlich hielt ich den Atem an, ehe er schließlich die letzten Zentimeter überbrückte und seinen Mund auf meinen legte. Völlig überwältigt ließ ich es geschehen und hielt mich an ihm fest, bis der erste Moment der Überraschung vorüber gegangen war. Dann stieß ich ihn von mir, wobei ich mich eher selbst von ihm wegschob, als ihn von mir. Hätte ich gewusst, wie nahe ich an der Kante lag, hätte ich nur den Kopf weggedreht. Nun rutschte ich gnadenlos über die Kante, versuchte mich noch an der Decke festzuhalten und fiel letztendlich zu Boden.

Ich hörte, wie Ramon, der Teufel oder werauchimmerverdammt mit der Zunge schnalzte und etwas vor sich hin murmelte, das klang wie seltsame Menschen.

„Warum tust du ständig Dinge, die nicht gut für deine Gesundheit sind?“, fragte er mich dann ernsthaft neugierig und sah mich über die Bettkante hinweg an.

„Hast du kein Gästezimmer oder so?“, kam es statt einer Antwort von mir, wobei ich finster zurück sah. „Ich habe ja so einiges mit mir machen lassen, aber wenn du nun auch noch anfängst mich zu begrapschen und abzuschlecken, dann sperre ich mich in einem anderen Zimmer ein, bis du weg bist.“

Als er begriff, dass ich mit abschlecken den Kuss meinte, sah er mich perplex an und hob eine Braue. „Ich glaube, du hast dir wirklich den Kopf gestoßen.“

„Ja. Und zwar an deinem arroganten Verstand.“

Darauf antwortete er nicht, woraufhin ich den Blick abwendete, mich aufsetzte und die Stirn in die Hände lehnte.

„Hast du Stimmungsschwankungen?“, fragte er plötzlich.

„Vielleicht hat deine schlechte Laune mich angesteckt.“, entgegnete ich trocken.

Immer noch etwas müde stand ich auf und machte mich auf in Richtung Bad... wohin er mir rücksichtslos folgte. Als ich es merkte, blieb ich abrupt stehen, drehte mich zu ihm um und starrte ihn lange an.

„Stimmt irgendwas nicht mit dir?“, fragte ich ihn verwirrt.

„Mit mir ist alles in Ordnung. Ich hab eher das Gefühl mit dir würde etwas nicht stimmen.“

„Wovon sprichst du?“

„Du hast eben das erste Mal eine wirklich freche Antwort gegeben.“

Frech?

Als er merkte, dass ich nicht genau verstand, was er meinte, hob er skeptisch eine Braue. „Du musst dir wirklich den Kopf angeschlagen haben. Lass mich nachsehen.“

Er machte einen Schritt auf mich zu und hob bereits die Arme, woraufhin ich sofort abwehrend die Hände hob und vor ihm zurück wich.

„Eeeeinen Moment, Casanova. Das wird warten müssen, denn ich muss gerade äh... ganz... dringend.“

„Was?“

„Ich... Ich muss mal.“

Verwirrt starrte er mich an. „Du musst mal... was?“

Peinlich berührt trat ich von einem Bein auf das andere. „Du hast doch eine Toilette. Benutzt du die nie?“

„Als Teufel verarbeitet mein Körper alles, was ich ihm zu führe. Auch die Dinge, die ein menschlicher Körper als Abfall betrachtet.“

„So, nun... sieh mal... ich muss ein bisschen Abfall los werden.“

Langsame Erkenntnis zeigte sich in seinem Gesicht.

„Jetzt. Sofort.“

Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um, verließ das Bad und zog die Tür hinter sich zu. Zehn Minuten später wollte ich die Tür bereits wieder öffnen, zögerte jedoch und dachte über das nach, was vor wenigen Minuten passiert war.

Er hatte mich geküsst.

Und ich hatte ihm unschöne Dinge an den Kopf geworfen.

„Oh, Gott Kari... du bist lebensmüde.“, murmelte ich und schloss frustriert die Augen. Ich hatte den Teufel höchst persönlich beleidigt. Ich musste mehrere Male tief durchatmen, ehe ich mich traute die Tür zu öffnen und- „Oh, um Gottes Willen!“, rief ich vor Schreck abrupt aus und fiel dabei auf meinen Hintern.

Da stand er direkt vor der Tür, die Faust zum Klopfen erhoben, und machte abrupt ein finsteres Gesicht. „Der wird dir hier schlecht helfen können. Sogar er wird einsehen müssen, dass es etwas schlechtes ist jemanden in die Hölle zu verdammen.“

„Du hast mir nur einen Mordsschrecken eingejagt.“, erklärte ich daraufhin und hievte mich wieder auf die Beine. „Warum stehst du vor der Badezimmertür? Bist du ein Spanner oder sowas?“ Während ich das fragte, klopfte ich mir die Hände an der Hose ab.

„Ein was?“

„Ein Spanner.“, wiederholte ich und sah zu ihm auf. „Jemand, der andere Menschen unauffällig bei intimen oder privaten Dingen beobachtet. Beim knutschen oder beim Sex oder beim duschen oder... sowas halt.“

Verwirrt sah er mich an. „Warum sollte ich so etwas tun? Das wäre doch Zeitverschwendung.“

„Nun gut, vergiss es.“ Leise seufzend rieb ich mir übers Auge und gähnte einen Moment. „Wie spät ist es?“

„Hier ist es zehn Uhr abends.“

Überrascht sah ich ihn an. „Wie lange hab ich geschlafen?“

„Etwa drei Tage.“, murrte er grimmig.

„Drei... Tage.“ Stöhnend fasste ich mir an die Stirn. „Ich muss telefonieren.“ Ich wollte bereits an ihm vorbei gehen, wurde jedoch sofort von ihm aufgehalten.

„Du wirst nicht telefonieren. Das Risiko ist zu groß, dass du jemandem von all dem hier erzählen könntest.“

„Aber es ist dringend.“

Erschöpft schloss er die Augen und seufzte. „Es ist mir egal wie dringend es ist. Ich warte bereits seit Tagen darauf, dass du dich entscheidest und ich weiß, dass du noch nicht einmal darüber nachgedacht hast. Wärst du jemand anderes würde ich deine Worte einfach als Lüge betrachten und deine Seele als Entschädigung nehmen.“

Meine Augen weiteten sich. Es war mir gar nicht in den Sinn gekommen, dass so etwas funktionierte.

„Ich habe viele Dinge um die Ohren, also hör auf zu jammern und-“

„Mein Herr.“

Gereizt fuhr Ramon herum. „Was?

Johann schluckte einen Moment. „Eure... Tochter ist soeben eingetroffen.“

Ich hörte noch, wie er ein paar sehr derbe Flüche hervorbrachte, ehe Ramon ohne jede Spur einfach verschwand. Im nächsten Moment ertönte seine Stimme Laut aus dem Erdgeschoss.

„Was wird er tun?“, fragte ich seinen Butler neugierig.

„Nun... ich denke, er wird sie raus werfen. Wie es scheint ist sie das letzte Wesen, dass er in seinem Leben haben will. Er versucht alles, um sie aus seinem Leben raus zu halten.“

„Aber warum?“

„Das weiß ich nicht. Das war vor meiner Zeit.“

„Sie ist doch aber seine Tochter, er kann doch nicht...“

„Der Herr hat keine Bindung zu ihr.“

„Das ist doch alles nur Ausrede.“, widersprach ich, „Er ist doch nur feige.“ Mit diesen Worten ging ich an ihm vorbei, betrat den Flur und eilte hinunter. Des Teufels donnernde Stimme wurde mit jedem Schritt lauter, bis ich in der Lage war die Worte zu verstehen.

„-habe dir nie erlaubt mein Grundstück zu betreten! Wie kannst du es wagen hier einzudringen?!“

Ich erreichte gerade die Treppe, als seine Stimme verklang. Er stand mitten im Foyer, vor ihm eine Frau, die etwa einen Kopf kleiner war als er. Ihr Haar war schwarz wie die Nacht, die Haut perlweiß. Die äußerliche Ähnlichkeit war unverkennbar. Als ich jedoch näher kam, wurde schnell klar, dass sie außer dem Aussehen weniger mit ihm gemein hatte. Ihre Augen waren vor Angst geweitet, von Tränen gerötet, wie ihre feuchten Wangen. Ihre Stimme war so leise, dass ich sie erst verstand, als ich nur noch weniger Meter entfernt war, obwohl Bruchstücke in der ganzen Halle widerhallten.

„Nur weil deine Mutter mich für deine Zeugung benutzt hat, bin ich noch lange nicht dein Vater.“, fauchte Ramon feindselig.

„Du bist nicht gerade ein Frauenversteher.“, bemerkte ich halblaut, als ich ganz in seiner Nähe stehen blieb.

Finster sah er mich über seine Schulter hinweg an. „Geh wieder hoch, Weib.“

Ich verschränkte die Arme unter der Brust. „Und tatenlos zuhören wie du die arme Frau anbrüllst? Selbst wenn sie in deinen Augen nicht deine Tochter ist, so hat sie doch ganz offensichtlich trotzdem Gefühle. Vielleicht sogar gerade weil sie weniger von dir hat.“ Ich vermutete, dass sein Blick mir eigentlich Angst machen sollte. Doch aus irgendeinem Grund tat er das nicht. Weshalb war mir selbst nicht sonderlich klar. Ich fühlte mich irgendwie... mutiger, vielleicht sogar etwas selbstsicher.

„Du solltest dich nicht in Dinge einmischen, die dich nichts angehen.“

„Aber mich als deine Verlobte ausgeben darf ich? Mich von dir entführen lassen?“

Ein Muskel zuckte an seinem Kiefer. „Ich habe dich nicht entführt.“

„Oh doch. Genau genommen sogar zwei mal.“

„Beim zweiten Mal habe ich dich gerettet!“, warf er ein und baute sich nun vor mir auf. „Du solltet mir dankbar sein.“

„Nachdem oder bevor ich gezwungen bin dir irgendwas von mir zu überlassen?“

Du bist den Vertrag eingegangen.“

„Es war nicht einmal meine Absicht irgendeinen Vertrag einzugehen!“

„Dann solltest du mehr darauf achten was du sagst.“

„Wenn man außer sich ist vor Wut ist es eben schwer sein Mundwerk zu kontrollieren. Wie du eben selbst bewiesen hast.“ Als er es tatsächlich schaffte mich noch finsterer anzusehen, fragte ich mich, ob er als Teufel in der Lage war mit Blicken zu töten. Wenn ja, dann sollte ich langsam wirklich anfangen Angst vor ihm zu haben, aber bei mir passierte einfach nichts. Keine krampfhafte Unbeweglichkeit, kein Adrenalinschub, nicht einmal die Unfähigkeit ein Geräusch von mir zu geben. Letzteres würde meine Überlebenschancen wahrscheinlich um einiges erhöhen.

Als er offenbar ebenfalls bemerkte, dass er mir keine Angst machte, beruhigte er sich ein wenig und betrachtete mich verwirrt. „Du zitterst nicht einmal.“, murmelte er.

Tatsächlich fühlte ich mich so energiegeladen, dass ich ihn am liebsten geschlagen hätte. Einfach so. Ich würde mir höchstwahrscheinlich die Hand brechen, aber vielleicht war es das wert. „Vielleicht hab ich eine Immunität gegen dich entwickelt.“

Das wiederum schien ihn tatsächlich zu amüsieren. Dann wurde sein Blick langsam wieder finster und er drehte sich zu seiner Tochter um.

„Bevor du wieder anfängst zu brüllen, bis das Haus droht zusammen zu brechen...“, hob ich an, als er bereits zum Sprechen ansetzte, und schob mich halb vor ihn, wobei ich mich weiterhin an ihn wand. „Ich nehme an, du hast nie Zeit mit ihr verbracht. Johann hat da etwas... angedeutet. Also, vielleicht solltest du dich mal mit ihr unterhalten.“

Schweigend sah er auf mich herab, als würde mich das verschwinden lassen.

„Sie ist deine Tochter.“, fuhr ich ihn schließlich an und deutete auf die Frau, die mich mittlerweile mit Entsetzen beobachtete. „Stell dich wenigstens deinen Problemen, statt sie auf die Straße zu werfen, wie Abfall. Beschäftige dich mit ihr. Mach irgendwas, aber sei nicht so ein Weichei.“

Da war er wieder. Der Todesblick. Nur etwas böser als vorhin. Seine Augen schimmerten rot und ich musste sagen, dass mir das nun doch etwas Angst machte.

„Es ist ein verdammt guter und gut gemeinter Ratschlag.“, versuchte ich es nun, „Ich meine, du versuchst es nun schon seit fünfhundert Jahren auf diese Art und Weise. Und wie du sehen kannst bringt es nichts. Sie steht ja hier.“

Ich konnte beinahe hören, wie seine Zähne knirschten, während er mich weiterhin stumm und sehr böse ansah. Letzten Endes atmete er mehrere Male tief und kontrolliert durch, ehe er sich wieder an die Frau wand.

„Du brüllst aber nicht wieder, wie ein Gorilla, oder?“

„Verdammt, Weib!“ Etwas grob, aber doch überraschend vorsichtig, packte er mich an den Schultern und drehte mich um. „Sei still.“

„Ich habe einen Namen. Ich weiß, du kannst ihn dir nur schwer merken, aber ich heiße Kari. K. A. R. I.“ Ich drehte mich bereits wieder um und wollte der Frau meine Hand reichen, als Ramon plötzlich von hinten um meinen Kopf herum griff und seine Hand auf meinen Mund presste.

„Eine Woche.“, presste er schließlich unter Anstrengung hervor. „Du wirst nichts anfassen. Wenn du was bestimmtes willst, wende dich an Johann. Vielleicht können wir uns später irgendwann zusammen setzen, wenn ich in großzügiger Laune bin.“

Aufmerksam beobachtete ich die Veränderungen im Gesicht der Frau, die von Angst zu Erleichterung und tiefer Dankbarkeit wechselte.

„Danke.“, hauchte sie und weinte bereits wieder, scheinbar vor Glück, „Oh Danke.“

Gereizt wand Ramon den Blick ab und lockerte seinen Griff, was ich sofort nutzte, um seine Hand runter zu schieben.

„Ich bin Kari.“, stellte ich mich dann sofort vor und reichte ihr die Hand.

Sie zögerte etwas, lächelte dann aber und ergriff sie mit etwas schwächlichem Griff. „Freut mich sehr. Ich bin Leticia.“

Ich war mir fast sicher, dass jede Sängerin morden würde, um so eine schöne Stimme zu bekommen. Aus der Ferne hatte ich es nicht so genau erkennen können, aber sie hatte auch schöne graue Augen.

„Freut mich ebenfalls sehr dich kennen zu lernen.“, entgegnete ich und setzte bereits zu einem neuen Satz an, als Ramon mir wieder seine Hand auf den Mund drückte. Resigniert seufzte ich und fragte mich, ob es wohl langfristige Schäden bei mir hinterlassen würde, wenn ich ihm in die Hand biss.

Im nächsten Moment wurde mir jedoch wieder schwindelig. Hastig schloss ich die Augen, bis ich spürte, dass es vorbei war. Als ich vorsichtig die Augen öffnete, befanden wir uns wieder im Schlafzimmer.

So langsam kann ich diesen Raum nicht mehr sehen...

„Wo waren wir stehen geblieben?“, setzte der Teufel an und drehte mich wieder zu sich um. Er seufzte.

„Du wolltest mich gerade telefonieren lassen.“, entgegnete ich.

Sein Kiefer knackte. „Übertreib es nicht.“

„Und wenn ich dich dafür küsse?“

Einen Moment war alles still. Dann wurde mir klar, was ich gesagt hatte und wäre am liebsten im Erdboden versunken.

Warum zum Teufel- Ich meine, warum zur Hölle- Nein, warum zum... Ach, wie auch immer, WARUM HABE ICH DAS GESAGT?

Ramon sah genauso überrascht aus wie ich mich fühlte. „Was sagtest du gerade?“ Mit einem Mal waren seine Pupillen ganz groß und seine Lider senkten sich ein wenig. Er sah so verdammt... verführerisch aus.

„Ich- ich- Also, ich- … Ich hab nichts gesagt. Gar nichts.“ Abwehrend hob ich die Hände, doch das war nicht sonderlich hilfreich, als er sich langsam zu mir herunter beugte.

„Ich glaube, ein Kuss wäre in der Tat eine angemessene Bezahlung.“, bemerkte er und schob mir eine Hand ins Kreuz.

Au weia, oh mein Gott, du liebe Güte, was auch immer...

Er war mir bereits so nahe, dass seine Nasenspitze die meine streifte. Es war so ganz anders als die Male, als er mir die Petersilie eingeflößt hatte. Und es war nochmals anders als der Kuss vorhin im Bett.

Verdammt...

Er war zu nahe... viel zu nahe... viel viel viel zu nahe...

Ich fühlte mich wie damals, als in der 7. Klasse mein Schwarm vor mir stand und sagte, er fände mich hübsch. Und dann war er näher gekommen, wie Ramon es gerade tat.

Naja, nicht genauso. Björn war bei weitem nicht so attraktiv und erotisch wie Ramon.

Moment... erotisch?

Ehe ich den Gedanken verfolgen konnte, legte der Teufel höchst persönlich seine Lippen auf meine und fegte damit alles aus meinem Kopf, was mich zu einem denkenden Menschen machte. Ich fühlte mich wie betäubt, irgendwie benebelt. Seine anderen Küsse waren eher fest. Doch dieser hier war überraschend weich und verlockend, wie eine Venusfliegenfalle, die ihre Opfer mit ihrem süßlichen Duft anlockte, ehe sie sie verschlang.

In diesem Falle hatte sie bereits zugeschnappt. Es dauerte nicht allzu lang, bis ich wie Butter in seinen Händen geschmolzen war und den Kuss zaghaft erwiderte. Das brachte mir ein kleines Stöhnen seinerseits ein, ehe er mich fester an sich zog und regelrecht über mich herfiel.

Ich fing gerade an den Kuss richtig zu genießen, als er plötzlich starr wurde und begann zu fluchen. Im gleichen Moment bemerkte ich das seltsam unangenehme Prickeln der Dematerialisieung, das Schwindelgefühl und kurz danach die Desorientierung der Materialisierung.

Mich fest an sich drückend hob er den Kopf und sah sich ein wenig um, ehe er unglücklich stöhnte.

„Lilith.“

Kapitel 4

Angesichts der seltsamen Schmerzen, die sich auf meiner Haut ausbreiteten, begann ich leise zu stöhnen und drückte, weiterhin desorientiert, mein Gesicht an sein Schlüsselbein.

„Was siehst du mich so wütend an, Bruder?“, ertönte hinter mir eine wunderschöne glockenklare Stimme.

Der Schmerz, der daraufhin durch meinen Kopf zog, brachte mich erneut zum Stöhnen.

„Hör auf damit.“, knurrte der Teufel, „Sie ist ein Mensch.“

Ein helles amüsiertes Kichern ertönte. „Ein Mensch, sagst du! Ich kann es kaum glauben. Lass mich sie ansehen.“

„Komm ihr nicht zu Nahe!“, bellte er abweisend.

„Warum bist du denn so empfindlich?“

„Sag mir was du willst und hör auf sie zu quälen.“

„Aber Lu.“, jammerte sie, „Lass mir doch meinen Spaß.“

„Du hast genug Sklaven, mit denen du dir deine Zeit verreiben kannst.“

„Aber das ist lange nicht so interessant wie dein Mensch. Ich hab schon einiges über sie gehört. Warum behältst du sie so lange? Gefällt sie dir?“

„Das geht dich nichts an. Jetzt sag, was du willst, oder ich gehe wieder.“

„Was bist du doch wieder in schlechter Laune.“, grummelte sie und seufzte theatralisch.

Ich bewegte mich keinen Zentimeter, da ich Angst davor hatte, dass auch das weh tun würde. Wenn allein ihre Gegenwart und der Klang ihrer Stimme solche Schmerzen verursachten, wollte ich es nicht wagen sie anzusehen.

„Lilith.“, knurrte der Teufel ungeduldig.

„Ich langweile mich. Die Menschenwelt ist nicht mehr so interessant, wie sie es einmal war und das Fegefeuer und die Hölle ist ein freudloser Ort geworden.“

Ich wollte nicht einmal darüber nachdenken, was für sie erst ein freudvoller Ort wäre.

„Willst du mich nicht einen Moment mit deinem Menschen spielen lassen? Nur ein bisschen.“

„Ich sagte, komm ihr nicht zu Nahe.“

„Du bist so ein Spielverderber geworden. Vor ein paar Jahrhunderten hättest du noch Vorschläge gemacht, was man alles mit ihr anstellen könnte.“

Er drückte mich fester an sich. „Hör nicht hin.“, flüsterte er mir dann zu, „Ich bringe uns gleich hier weg.“

„Lu, Lu, Lu. Was sollen bloß unsere Eltern von dir denken?“

„Geht es um Arman?“

„Der Junge ist entzückend, nicht wahr? Heute Morgen hat er mir einen Höllenhund gebracht, den er eigenhändig gejagt hat.“

„Er sollte lernen, wo seine Grenzen sind.“

„Oh bitte. Er ist doch ein Kind. Lass ihn nur spielen.“

„Wenn er es nicht lernt wird er eine Grenze überschreiten und sterben.“

„Mal doch nicht gleich den Teufel an die Wand.“

Bei dem seltsamen Wortspiel begann sie zu lachen, brach wenig später aber wieder ab.

„Willst du wirklich schon gehen?“

„Du tust ihr nicht gut.“

„Wen kümmert schon ein Mensch, Lucifer? Menschen sterben eh irgendwann.“

Seine Muskeln wurden unter meinen Händen hart wie Stein. „Ich weiß, dass Menschen für dich nur Spielzeug sind.“

„Für dich etwa nicht?“

Statt zu antworten, brachte er uns weg von diesem Ort. Nur wenige Momente später spürte ich unter mir den Stoff des Bettes und atmete erleichtert auf, als gleichzeitig die Schmerzen nachließen.

„Was war das?“, fragte ich ihn verwundert.

Er zog die Decke über mich. „Sie hat die Seele der Schmerzen. Deshalb verursacht alles an ihr Qualen. Angefangen bei ihrer Gegenwart, bis hin zu ihrer Berührung. Sie liebt es Qualen zuzufügen, deshalb weigert sie sich die Wirkung zu unterbinden.“

„Bist du immun?“

„Die Seele der Schmerzen ist ein Splitter meiner eigenen Seele. Deshalb kann es mir nichts anhaben.“

„Aber... wie...“

„Das ist eine sehr sehr alte und lange Geschichte.“

„Ich habe im Moment nichts besseres zu tun als herum zu liegen.“, murmelte ich erschöpft.

Der Anruf war bereits wieder in Vergessenheit geraten.

Der Teufel seufzte leise. „Es war etwa zur Zeit der Geburt Christi. All die Bosheit in den Menschen ließ meine Macht wachsen und viele hohe Wesen wollten ebenfalls solche Macht besitzen.“ Einen Moment dachte er nach. „Ich werde dir nicht alles erzählen. Einiges wirst du nicht verstehen.

Eines nachts beobachtete ich den jungen Sohn des Scheinheiligen und dachte darüber nach wie ich die Saat des Bösen in ihm pflanzen konnte. Ich musste nicht lange warten, bis seine Eltern ihn allein ließen und ging hinüber, um sie in ihm einzubetten. Doch ehe ich ihn erreichen konnte erschien Michael aus einer Ecke des Raumes und hinderte mich das kleine Ding auch nur zu berühren. Statt also das Kind zu berühren, durchstieß Michael mich mit einer göttlichen Klinge, die Teile meiner Seele zerbersten ließ. All die Wesen, die sich nach meiner Macht sehnten, auch Lilith, hatten lange auf der Lauer gelegen, in der Hoffnung, etwas derartiges würde passieren. Binnen weniger Sekunden fielen sie über mich her und stahlen sich einen Seelensplitter nach dem anderen, bis kaum etwas übrig war. Als ich wieder zu mir kam, war ich mit dem Kind allein und meine Hand berührte seine. Ich besaß nur noch einen winzigen Teil meiner Seele und ausgerechnet den Teil hat dieser kleine Satansbraten mit einer göttlichen Macht geschützt und versiegelt.“

Ohne darüber nachzudenken griff ich nach seiner Hand und drückte sie sanft. „Das muss eine furchtbare Nacht für dich gewesen sein.“

Wortlos blickte er auf unsere Hände, ehe er den Blick abwendete, die Hand jedoch nicht wegzog.

 

Plötzliche Helligkeit riss mich aus meinem Schlaf, woraufhin ich unwillig aufstöhnte und versuchte der Lichtquelle den Rücken zuzudrehen. Das war nicht so einfach. Tatsächlich schien es so, als würde das Licht von überall kommen.

„Guten Morgen, Miss Kari.“, begrüßte mich Johann und legte mir Kleidung für den Tag zurecht. „Ich hoffe, Sie haben gut genächtigt.“

Blinzelnd registrierte ich, dass der Teufel nicht neben mir lag. Jeder andere Mensch wäre froh über diesen Gedanken. Andererseits, andere Menschen hätten solche Gedanken gar nicht. Also wären sie eher verwirrt.

„In einer Stunde richte ich Ihnen Frühstück an. Es ist Freitag, also gibt es heute ein vorzüglich japanisches Frühstück.“

Seit der Begegnung mit Lilith war nun eine Woche vergangen. In der Zeit hatte ich ihn kaum gesehen. Ich fühlte mich seltsam verlassen und einsam und fragte mich, was er wohl die ganze Zeit machte.

„... und dazu einen sehr delikaten grünen Tee. Ich hoffe, es wird euch schmecken.“

„Johann?“, hob ich träge an.

„Ja, Miss Kari?“

„Wo ist...“ Ich zögerte einen Moment, seufzte dann aber. „Ich habe keinen Appetit.“

„Mögen Sie kein japanisches Essen? Wenn das der Fall ist, kann ich Ihnen auch etwas anderes zubereiten.“

„Nein, das ist es nicht. Ich habe einfach keinen Hunger.“

Einen Moment war es still. „Wie wäre es stattdessen mit etwas Süßem? Ein Stück Kuchen oder ein Trifle. Hätten Sie Appetit auf etwas Gebäck?“

„Nein, danke, Johann. Mir ist nicht nach Essen.“

Erneut schwieg er einen Moment. „Milady, Sie bereiten mir Sorgen. Seit Tagen frühstücken Sie nicht und zu Mittag und zu Abend essen Sie nur winzige kleine Portionen. Ich befürchte, Sie haben auch ein gutes Stück abgenommen, so viel, wie Sie im Garten spazieren gehen. Wenn der Herr Sie so sieht, macht er sich bestimmt ebenfalls Sorgen.“

„Ich glaube kaum, dass er sich Sorgen um die Gesundheit eines Menschen machen würde. Es macht sich doch nur Sorgen, dass er meine Seele nicht bekommen könnte.“

Er seufzte tief. „Ich werde Ihnen gleich ein paar Kekse und ein Glas Milch hinauf bringen. Bitte, Sie sollten-“

Er verstummte augenblicklich, als im Erdgeschoss laute Geräusche ertönten. Verwirrt hob ich den Kopf und sah zur Tür.

„Komm sofort raus, du elender Mistkerl!“, rief eine männliche Stimme, ehe ein paar Pistolenschüsse fielen. „Ich weiß, dass du da bist.“

Johann seufzte resigniert. „Er wird noch das schöne Fresko zerstören. Warten Sie bitte einen Moment, ich bin gleich wieder da.“

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer. Perplex sah ich ihm noch einen Moment hinterher, ehe ich aus dem Bett sprang und ihm hinterher eilte. Als ich das Geländer in der Eingangshalle erreichte, hielt Johann den Eindringling bereits mit der einen Hand am Hals und verdrehte ihm mit der anderen die Hand, sodass er die Waffe los lies.

„Niemand wagt es das Grundstück des Herren ohne Erlaubnis zu betreten.“, sprach er dann mit finsterer Stimme zu ihm, „Ganz zu Schweigen davon, sein persönliches Eigentum zu beschädigen.“

Der Mann lief bereits blau an.

„Johann!“, rief ich aus, „Was tust du da?“ Er bringt ihn noch um!

Überrascht sah er einen Moment zu mir auf, ehe er sich räusperte. „Entschuldigen Sie, Miss Kari.“ Er stellte den Mann wieder auf den Boden, wobei mir erst da auffiel, dass er ihn überhaupt in der Luft gehalten hatte. Dann zog er seinen Anzug zurecht und sah wieder zum Eindringling. „Ich hoffe, Sie haben das Schild an der Auffahrt gelesen. Betreten auf eigene Gefahr. Unerlaubtes Betreten darf mit dem Tode bestraft werden.“

Der Eindringling, der nun am Boden kauerte und sich keuchend den Hals hielt, hielt abrupt den Atem an und sah zu Johann auf.

„Das Land, auf dem Sie sich gerade befinden ist Eigentum meines Herren. Daher gelten hier keine menschlichen Gesetze. Ihr habt zwei Möglichkeiten. Entweder Sie kommen für die Schäden auf und wagen sich nie wieder in die Nähe des Grundstückes oder ich werde Sie hier und jetzt auf der Stelle exekutieren.“

Ein ungläubiges Ächzen brach aus meiner Kehle heraus. Er will ihn wirklich töten?

„Johann! Das kannst du nicht tun.“

Dieser sah wieder zu mir auf. „Keine Sorge, Miss Kari. Ich kann und ich darf. Dieser Herr hat gegen das Gesetz meines Herren verstoßen und es ist mir erlaubt ihn deshalb zur Rechenschaft zu ziehen.“

„Mit dem Tode?“, krächzte ich entsetzt.

„Sie sollten wieder ins Schlafzimmer gehen, Miss Kari. Ich kümmere mich um die Angelegenheit hier.“

Mit diesen Worten sah er den Mann zu seinen Füßen höflich an. „Wie haben Sie sich entschieden?“

Dieser sah sich hektisch und panisch um. „Ich... ich möchte für den Schaden aufkommen.“ Der Mann befand sich offensichtlich in einer Art Schock, denn Tränen rannen bereits über seine Wangen. „Ich will noch nicht sterben.“

Nachdenklich sah Johann sich daraufhin ein wenig um, ehe er sagte: „Der Schaden beruht auf etwa 25 Millionen US-Dollar. Sie können bar bezahlen, es überweisen oder es abarbeiten, wenn Sie wünschen.“

25 Millionen! Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen, als mir etwas schwindelig wurde. Wenn ich es richtig erkannte hatte der Mann tatsächlich das Fresko an der Decke beschädigt. Außerdem eine Kristallvase, den Kronleuchter, mehrere Gemälde und eine Büste aus Marmor.

„Das... kann ich nicht bezahlen.“, stammelte der Mann.

„Dann gibt es leider nur noch eine Möglichkeit.“

Als Johann die Hand in seinen Anzug schob, hastete ich so schnell ich konnte die Treppe runter, um ihn daran zu hindern, den Mann zu töten.

„Bring ihn nicht um!“, rief ich ihm dabei entgegen.

Im selben Moment sah ich den kleinen schwarzen Gegenstand in Johanns Hand. Plötzlich gab der Boden unter dem Eindringling nach und er rutschte mit einem Schrei in die Tiefe, der abgeschnitten wurde, als der Boden sich wieder schloss.

„Das war wohl der falsche.“, bemerkte Johann danach verwirrt und sah auf den Gegenstand in seiner Hand. „Die Falltür öffnete sich in die falsche Richtung.“

Entsetzt starrte ich auf den Punkt, an dem sich der Boden soeben geschlossen hatte. „Was hast du getan?“

Johann seufzte leise. „Ich wollte ihn in einen unterirdischen Raum befördern, wo er auf meinen Herren warten würde, aber ich habe den falschen Knopf gedrückt.“

„Wohin führt diese Falltür?“

Er zögerte und steckte den Gegenstand, der sich bei näherer Betrachtung als kleine Fernbedienung entpuppte, in die Innentasche seines Anzugs.

„Johann?“

„Bitte regen Sie sich nicht auf.“

„Hast du ihn getötet?“

„Natürlich nicht.“ Er seufzte niedergeschlagen. „Er befindet sich in der Kanalisation.“

Einen Moment sah ich ihn schweigend an, ehe ich die Augen schloss und aufstöhnte. „In der Kanalisation.“, wiederholte ich dann und rieb mir über die Stirn.

Mit bedrücktem Gesicht nickte Johann kurz, ehe er die Pistole aufhob, wegsteckte und mich Richtung Treppe bugsierte.

„Bitte, ich bringe Sie wieder ins Zimmer. Sie sollten sich etwas anderes anziehen, wenn Sie es verlassen möchten. Was haben Sie sich für den heutigen Tag vorgenommen?“

„Willst du alles so lassen wie es ist?“, fragte ich ihn verwundert und warf einen Blick auf die Trümmer des Freskos auf dem Boden.

„Der Herr wird sich darum kümmern. Möchten Sie wieder im Garten spazieren? Heute soll der Sommer sich von seiner schönen Seite zeigen. Ich könnte Ihnen Eistee vorbei bringen, wenn es heiß wird.“

 

Vier Stunden später erkundete ich eine Ecke des riesigen Gartens, die ich noch nicht betreten hatte. Johann hatte mir verraten, dass das Grundstück mehrere Hektar groß war. Ich war mir nicht sicher, wie viel das eigentlich war, aber ganz offensichtlich war es riesig.

Ich spazierte gerade über eine kleine hölzerne Brücke, die über einen kleinen Bach führte und betrachtete den See, der den Bach speiste. Dann glitten meine Gedanken, wie recht oft in den letzten Tagen, zu dem Aufenthalt in der Hölle, in der ich widerwillig Lilith Gegenwart ertragen musste.

Sie hat ihn Lucifer genannt.

Mit einem leisen Seufzen stellte ich mich an das Geländer der Brücke und sah schweigend auf den See, während ich über den Namen nachdachte. Sie hatte das c wie ein k ausgesprochen, also handelte es sich wohl um die klassisch lateinische Variante.

Lucifer...

Da ich damals in der Schule einige Jahre Latein belegt hatte, wusste ich, dass er Name an sich der Lichtbringende bedeutete. Allerdings war er der Teufel, also verstand ich nicht, warum er Licht bringen sollte.

Das einzige Licht, das er bringt, ist der Schein des Fegefeuers. Amüsiert von dem Gedanken lächelte ich ein wenig in mich hinein, seufzte dann aber und ging weiter. Jedenfalls erklärt sich damit das L auf seinem Besteck.

Der Weg führte am See entlang, an dessen Rand offenbar sogar zwei Schwäne nisteten. Ich lächelte über die beiden schönen Geschöpfe, ging dann aber eilig weiter, damit sie nicht auf die Idee kamen mich als Bedrohung zu betrachten.

Wie ich wusste, waren Schwäne sehr angriffslustig, wenn man ihnen zu nahe kam. Besonders wenn das Nest in der Nähe war. Vielleicht hatte Lucifer deshalb welche auf seinem Grundstück. Weil sie bösartig waren.

Die Schwäne sind darin irgendwie besser als er.

Nachdenklich beobachtete ich die Schwäne dabei, wie sie im See herum schwammen und hin und wieder den Kopf ins Wasser steckten. Dabei glitten meine Gedanken zu Leticia. Obwohl sie immer noch zu Besuch war, hatte ich sie nicht ein einziges Mal gesehen. Die ersten Tage hatte ich sie sogar gesucht, um Zeit mit ihr zu verbringen, damit sie sich nicht einsam fühlte, doch nicht einmal Johann hatte mir sagen können wo sie war. Irgendwann hatte ich es aufgegeben.

Murrend ging ich weiter, bis ich zu einer Gabelung kam. Der rechte Weg, der wie der vorige aus einem Mosaik aus Naturstein gemacht war, führte offenbar zurück zum Haus, während der linke Weg davon weg führte. Es war ein Kiesweg und es sah so aus, als hätte jeder einzelne Stein exakt dieselbe Farbe, ohne auch nur den Hauch einer Schattierung abzuschweifen. Außerdem schien diese Farbe vollends gleichmäßig zu sein, ohne irgendwelche natürlichen Farbgebungen, als hätte man jeden einzelnen Stein in hellgraue Farbe getunkt.

Wahrscheinlich ist sogar der Kies mehr wert als meine Wohnung.

Ich schauderte bei dem Gedanken, schlug aber dennoch den Weg ein und entspannte mich ein wenig bei dem Geräusch des Kies unter meinen Füßen. Kurz darauf weiteten sich erstaunt meine Augen, als ich feststellte, dass er in einen kleinen Wald führte. Fasziniert folgte ich dem Weg weiter, vernahm das Geräusch von exotischen Vögeln und das schlagen von Flügeln. Dann stand ich plötzlich vor einer gläsernen Tür. Um die Tür herum war das Gewächs so dicht, dass man nur beim genaueren Hinsehen erkannte, dass es sich um eine Art Gewächshaus handelte. Ein verdammt großes Gewächshaus.

Als ich zaghaft nach der Klinke griff, sah ich, dass meine Hand zitterte. Ich ballte sie kurz zur Faust und schluckte einige Male, ehe ich die Klinke ergriff und die Tür öffnete. Als ich eintrat, schlug mir eine tropische Hitze entgegen, was mir nur allzu deutlich machte, dass es sich nicht einfach um ein Gewächshaus, sondern um ein Tropenhaus handelte.

Ich trat weiter ein und bemerkte, dass die Geräusche der Vögel nun deutlich lauter waren. Mit großen Augen sah ich mich um und fühlte mich seltsam benommen bei dem Anblick der riesigen gläsernen Kuppel. Sie war so groß, dass nicht einmal die Kronen der meterhohen tropischen Bäume die Decke berührten.

Sie muss mindestens zwanzig Meter hoch sein,dachte ich mir, erinnerte mich dann jedoch daran, wie verdammt hoch, diese Baumriesen in den Tropen tatsächlich wurden. Zwanzig Meter sind ein Witz. Diese Kuppel ist höher als sechzig Meter.

Ich schluckte schwer. Es musste eine perfekte Konstruktion sein, wenn sie stabil war, ohne dass sie gestützt werden musste.

Das erste Mal in meinem Leben verspürte ich Ehrfurcht.

„Ich hätte nicht erwartet dich hier zu sehen.“

Ich schnappte erschrocken nach Luft, und zuckte so heftig zusammen, dass es tatsächlich ein wenig weh tat. Dann drehte ich mich überrascht um und blinzelte.

Er sah überrascht zurück. „Bist du etwa... sprachlos?“

Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber, weil ich nicht wusste, mit welchem Namen ich ihn ansprechen sollte.

„Gefällt es dir?“, fragte er und trat etwas näher.

Mein Blick glitt wieder hinauf zur Kuppel. „Es ist... Sie ist... Also...“

Er kicherte und zupfte an einer Strähne meines Haars. „Du bist ja wirklich sprachlos.“

„Hier ist alles einfach so... groß. Ich meine... allein die Bäume. Das müssen wirklich Baumriesen sein. Ich habe gelesen, dass sie bis zu sechzig Meter groß werden.“

„Diese hier sind sogar größer. Mit Hilfe der Gärtner haben wir eine perfekte Umgebung für die Pflanzen geschaffen. Sie wachsen noch immer.“

Ich gab erstickte Geräusche von mir. „Noch größer.“, wiederholte ich dann, „Aber wenn sie weiter wachsen... Werden sie nicht irgendwann so groß sein, dass sie die Kuppel erreichen?“

„Nein.“

„Aber... wie?“

Er folgte meinem Blick hinauf, ehe er auf mich herab sah. „Das ist ein Geheimnis.“ Einen Moment betrachtete er mich schweigend. „Du hast abgenommen.“

Meine Brauen glitten in die Höhe und ich sah zu ihm auf. „Das fällt dir auf?“

Nun wirkte er verärgert. „Natürlich fällt das auf. Ich kann den Schwung deines Wangenknochens erkennen. Du musst mehr essen.“

Ich schnaubte. „Wage es nicht mir vorzuschreiben, was ich zu tun habe.“

„Du bist mein Gast, ich achte lediglich auf deine Gesundheit.“

„Für einen Gastgeber warst du in letzter Zeit aber sehr vernachlässigend.“

Er sah mich verwirrt an. „Ich habe viel zu tun. Meine Tochter ist im Haus. Und außerdem habe ich gedacht, du willst Abstand von mir.“

„Abstand?“, wiederholte ich vorsichtig.

„Du wolltest in getrennten Zimmern schlafen.“, erklärte er langsam, als stünde vor ihm ein kleines Mädchen. „Hast du dir etwa wieder den Kopf gestoßen? Ich sollte Johann bitten besser auf dich zu achten.“

„Ich wollte- Hey.“ Entrüstet sah ich zu ihm auf. „Ich habe mir nicht den Kopf gestoßen. Tu nicht so, als wäre ich schwer von Begriff. Es ist gut eine Woche her, dass ich das gesagt habe.“

Er nickte. „Gut, dass du das ansprichst. Ich bin nämlich gekommen, um dich etwas zu fragen.“

Abwehrend hob ich die Hände und trat einen Schritt zurück. „Moment. Du willst etwas fragen? Und du kündigst es an?“ Ich sah mich vorsichtig um. „Wo ist der Notausgang? Ich glaube, mit dir stimmt etwas nicht.“

Sein Blick wurde finster. „Du solltest mich nicht zu sehr reizen, Kira.“

„Kari.“, korrigierte ich genervt und sah ihn säuerlich an. „Warum fällt dir das so schwer? Es sind doch nur vier Buchstaben. Vier verflixte Buchstaben!“

Er rollte mit den Augen und seufzte schwer. „Es ist doch nur ein Name.“

„Ja, ein Name, mit dem du mich ansprichst. Und es gefällt mir nun mal nicht, wenn du mich Kira nennst.“

Leise vor sich hin murmelnd massierte er sich das Nasenbein, ehe er wieder auf mich herab sah. „Das ist doch unwichtig.“

Meine Augen verengten sich zu Schlitzen, ehe ich mit den Schultern zuckte und mich abwendete. „Wenn du das sagst.“

Er schwieg überrascht. „Ja.“ Dann räusperte er sich. „Also, zu meiner Frage.“

„Ich bin ganz Ohr, Luzifen.“

Als ich aus dem Augenwinkel zu ihm herüber sah, stellte ich zufrieden fest, dass ein Muskel unter seinem rechten Auge zuckte. „Es heißt Lucifer.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Sag ich doch.“

„Nein, du sagtest-“ Er stöhnte auf. „Das ist unwichtig.“ Während er das sagte rieb er sich über die Stirn. „Hast du dich schon entschieden?“

„Wofür entschieden?“, entgegnete ich verwundert.

„Hast du dich entschieden, was du mir als Gegenleistung-“

„Ach das.“, unterbrach ich ihn prompt, woraufhin er mich abermals finster ansah. Ich winkte halbherzig ab. „Das sag ich dir schon noch.“

„Kira, die-“

„Kari.“, murmelte ich und ging verärgert weiter.

„Die Dämonen geraten langsam in Unruhe. Es ist noch nie passiert, dass sich ein Mensch so lange davor drücken konnte seinen Teil des Vertrags einzuhalten und das macht sich bemerkbar.“

„Na und? Dann sind sie eben unruhig. Ist doch nicht mein Problem.“

„Ist es schon, wenn sie denken, dass man Spielchen mit mir spielen kann und sie daher anfangen zu tun, was sie wollen. Sie könnten anfangen sich unerlaubt in der Menschenwelt herum zu treiben. Sie könnten Menschen töten.“

Ich sah ihn verwundert an. „Würde dich das nicht freuen?“

„Ganz und gar nicht. Nur weil ein Mensch von einem Dämon getötet wird, heißt das nicht, dass seine Seele mir gehört. Es wäre ein sinnloser Massenmord.“

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann hast du wohl ein Problem. Es ist nicht meine Schuld, wenn du deine Dämonen nicht im Griff hast.“

Etwas blitzte in seinen Augen auf und er kam mir etwas näher. „Du hast dich verändert.“

„Wie du schon bemerkt hast, habe ich abgenommen.“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, du hast dich... verändert. Vor einer Woche hättest du noch angefangen zu stottert und zu stammeln.“

„Ich... habe mich wohl an dich gewöhnt.“, entgegnete ich und hockte mich hin, um eine wunderschöne Blume am Wegesrand zu bewundern.

„Das ist Hibiskus.“, bemerkte der Teufel und kam neben mir zum Stehen. „Und was willst du damit sagen, du hättest dich an mich gewöhnt? Ich bin eine Woche nicht in deiner Nähe gewesen.“

„Mir macht das alles eben keine Angst mehr.“, erklärte ich ungehalten, „Du, deine Dämonen, Johann, Lilith. Na gut, sie macht mir schon noch ziemliche Angst, aber all das im Ganzen, das ängstigt mich nicht mehr.“

„Hmmm.“, machte er daraufhin und schwieg einen Moment. Kurz darauf reichte er mir seine Hand. „Komm.“

„Hä?“, kam es mir daraufhin verwirrt über die Lippen.

Er wackelte mit den Fingern. „Komm her.“

Ein paar Sekunden starrte ich seine Hand an. „Warum?“

Kurz schloss er die Augen und atmete hörbar durch, woraufhin ich leise lachte, aufstand und meine Hand in seine legte.

„Hey, du musst nicht gleich in die Luft gehen, weil ich mir einen Spaß mit dir erlaube.“

Mit weiterhin finsterem Blick sah er auf mich herab, ergriff dann aber meine Hand und machte sich Richtung Ausgang. Dass er dabei meine Hand hielt, lies einen großen Schwarm Schmetterlinge in meinem Bauch herumflattern.

„Also, wohin gehen wir nun?“, fragte ich nebenbei.

„Ins Haus.“

„Warum?“

Er sah zu mir zurück. „Du solltest etwas essen.“

„Aber ich habe keinen Hunger.“, gab ich zu Bedenken und bemerkte, dass wir an der Kreuzung vorbeikamen und den Weg einschlugen, von dem ich vermutet hatte, er führe zurück zum Haus. Offenbar hatte ich Recht.

„Wenn es sein muss werde ich dich dazu zwingen.“ Als er wieder nach vorn sah, drückte er meine Hand fester, als würde er sich Sorgen machen, ich könnte mich wehren.

Da ich jedoch wusste, dass das nur verschwendete Mühe war, folgte ich ihm einfach brav. Ich fühlte mich müde und hatte keine große Lust mich wegen so etwas anzustrengen.

„Warum gehen wir eigentlich zu Fuß? Du könntest uns doch einfach ins Haus puffen.“, bemerkte ich nachdenklich.

„Es heißt nicht puffen. Das sind eine Dematerialisierung und eine Materialisierung.“

Ich wedelte mit der Hand herum. „Das ist mir zu lang. Also, warum puffst du uns nicht einfach ins Haus?“

„Ich glaube, es könnte deinem Kreislauf gut tun.“

„Hm...“

Zehn Minuten später betraten wir das Haus über eine wunderschöne Terrasse. Er machte keine Umwege, sondern ging auf direktem Weg in die Küche, wo Johann offenbar das Abendessen vorbereitete.

„Wie lange braucht das Essen noch?“, fragte der Teufel.

Johann zuckte vor Schreck zusammen und drehte sich zu uns um. „Oh, Herr, Ihr seid zurück. Das Essen ist in einer halben Stunde fertig, allerdings habe ich nicht mit Euch gerechnet, also-“

„Ich habe keinen Hunger. Bring das Essen bitte hoch in mein Zimmer.“

„Jawohl, mein Herr.“

„Hoch, in dein-“ Ich unterbrach mich selbst, als Lucifer mich weiter hinter sich her zur Treppe zog. Also wieder ins Schlafzimmer. Ich seufzte. „Warum essen wir nicht im Esszimmer?“

„Ich möchte, dass du dich hinlegst, bis ich dir erlaube aufzustehen. Du hast abgenommen.“ Er sagte es, als wäre es etwas fürchterliches.

„Nur herumzuliegen ist langweilig. Kann ich wenigstens telefonieren?“

„Nein.“

„Aber-“

„Nein.“

Verärgert schnaubte ich und starrte finster seinen Rücken an. „Nein.“, murmelte ich vor mich her, „Immer nur nein. Man sollte meinen, er würde mir aufgrund guter Führung wenigstens ein paar Privilegien zugestehen, aber nein. Einfach nur nein.“

„Führst du immer Selbstgespräche, wenn du dich über andere ärgerst?“, fragte der Teufel beiläufig und betrat dieses vermaledeite Schlafzimmer dessen Einrichtung ich fast nicht mehr sehen konnte.

Seufzend ging ich wortlos zum Bett und ließ mich hineinfallen. „Nein.“, antwortete ich dann, „Aber ich habe dieses Zimmer langsam satt. Deshalb war ich in deinem gigantischen Park hinter diesem Palast hier wandern.“

Verwirrt kam er näher. „Du warst spazieren.“, korrigierte er dann, „Im Garten hinter diesem Haus.“

„Du hast da einen See.“, protestierte ich, „Einen verdammten See.“

„Er ist nicht verdammt.“, korrigierte er, „Er ist ganz normal. Bist du in Ordnung?“

„Ob ich in-“ Ich unterbrach mich selbst, drehte mich auf den Bauch und atmete durch.

„Du wirkst ein bisschen mehr als nur aufgebracht.“, bemerkte er, „Als ich dich geholt habe warst du nicht mehr als eine junge unschuldige Frau und ich habe dir nichts getan, dir nichts genommen. Und doch spüre ich, dass deine Seele irgendwie... befleckt ist.“

Ich hob den Kopf und sah ihn an. „Befleckt?“, hakte ich nach.

„Hast du mit meiner Tochter gesprochen?“, fragte er aufmerksam, „Warst du in ihrer Nähe?“

„Nein. Ich habe sie gesucht, sie aber nie gefunden.“

Das schien ihn zu verwirren. Dann verengten sich plötzlich seine Augen. „Hast du dich in mich verliebt?“

Voll mit purem Entsetzen sah ich zu ihm auf. „Bist du wahnsinnig?“

Diesmal zuckte ein Muskel in seinem Kiefer, ehe er die Augen schloss. „Ein einfaches Nein hätte gereicht.“

Im nächsten Moment klopfte jemand an der Tür, woraufhin er den Kopf herum riss. Im nächsten Moment befand er sich selbst an der Tür und öffnete sie.

„Was hast du mit ihr gemacht?“, blaffte er seine Tochter an, ohne sie auch nur Luft holen zu lassen.

Diese erblasste sofort und bekam feuchte Augen. „Ich- Ich-“

„Jetzt sei nicht so gemein zu ihr.“, hob ich an und stieg aus dem Bett, um hinüber zu gehen.

Er warf mir daraufhin einen so ernsten und finsteren Blick zu, dass ich unwillkürlich stehen blieb. Aus irgendeinem Grund war er wirklich und wahrhaftig wütend. Dann richtete er diesen Blick auf seine Tochter, die ihre Finger ineinander verknotete. „Rede.“, fuhr er sie an.

Sie zuckte heftig zusammen und machte unsicher einen Schritt zurück. „Ich habe nichts-“

„Lüg mich nicht an!“

Tränen rollten über ihre Wangen. „Ich habe wirklich nichts getan. Ich habe mich von ihr fern gehalten, weil ich nicht wollte, dass meine Aura sie beeinflusst. Wirklich.“

Sie schien zutiefst bestürzt, während ihr Vater begann zu fluchen und sie zu beschimpfen. Ich dagegen verstand gar nichts.

„Ich sollte dich zu Lilith ins Abaddon werfen.“

„Bitte, ich wollte wirklich nichts tun.“, weinte Leticia und fiel sogar auf die Knie, wobei sie die Hände vors Gesicht schlug und schluchzte.

„Jedes noch so geringe dämonische Wesen ist in der Lage seine Aura zu unterdrücken, du Balg.“

Ich seufzte tief und ging erneut näher heran. Diesmal ließ Lucifer es zu und protestierte auch nicht, als ich ihm eine Hand auf die Schulter legte. „Vielleicht weiß sie von all dem nichts.“, sinnierte ich, „Immerhin war ihre Mutter doch ein Mensch und du hast sie ihr Leben lang ignoriert. Wie soll sie da lernen mit sich selbst umzugehen?“

Er biss fest die Zähne aufeinander. „Ich hätte sie erwürgen sollen, als ich sie das erste Mal sah.“

Ich stieß ihm in die Seite. „Nein. Du hättest ihr beibringen sollen ihre Kräfte zu nutzen. Wenn sie es war, die meine Seele befleckt hat, dann ist es deine Schuld, weil du nicht da warst, um ihr zu zeigen wie man die Aura unterdrückt.“

Ich hatte zwar keine Ahnung was all das bedeutete, doch ich wusste, ich hatte Recht. Und dieser seltsame Ausdruck in Lucifers Gesicht bestätigte das. Was ich allerdings nicht erwartet hätte, war die Reue. Er seufzte tief und sah mehrere Minuten auf seine Tochter herab, ehe er resigniert den Blick abwendete.

„Sei morgen Mittag im großen Saal.“, brummte er wenig später, „Dann zeige ich dir nichtsnutziges Häufchen Elend wie du deine nichtsnutzige Aura unterdrücken kannst.“

Sie sah auf und strahlte Pure Erleichterung aus, während sie mich mit einem so dankbaren Blick bedachte, dass mir ganz unbehaglich wurde. Wer braucht schon Dankbarkeit?

Irgendwie verwirrt von diesem Gedanken löste ich mich von dem Teufel, drehte mich weg und kratzte mich ein wenig am Kopf, ehe ich zum Bett herüber ging. Lucifer sah daraufhin zu mir und wollte mir bereits folgen, sah dann aber nochmals auf seine Tochter herab.

„Was willst du noch hier?“, blaffte er sie an.

Sie zuckte zusammen, schien jedoch nicht so viel Angst zu haben wie zuvor, da er nicht mehr so wütend wirkte. „Ich hatte gehofft mit dir reden zu können.“, gab sie zu.

Er schnaubte. „Heute nicht.“

Enttäuscht senkte sie den Kopf und ließ die Schultern hängen, woraufhin ich den Teufel böse ansah.

Da er wieder zu mir gesehen hatte, bemerkte er diesen Blick und verzog das Gesicht. Dann seufzte er tief und schien bereits zu bereuen, was er dann sagte. „Wir haben morgen genug Zeit zum Reden.“

Er sah aus, als hätte er in eine frische Zitrone gebissen, doch Leticia war so glücklich, dass sie begann zu lächeln und nahezu strahlte vor Freude. Dann nickte sie und machte sich davon. Lucifer dagegen schloss angewidert die Tür und schmatzte ein wenig, als hätte er einen unangenehmen Geschmack auf der Zunge. Dann kam er herüber.

„Du übst einen schlechten Einfluss auf mich aus.“, stellte er dann unzufrieden fest und sah mich misstrauisch an.

„Ich sitze doch nur hier.“, gab ich zu bedenken.

Er dagegen presste die Lippen aufeinander, ehe er die Augen schloss und den Kopf schüttelte. „Es gibt wichtigeres.“

Ich legte fragend den Kopf schräg, was er erst sah, als er nach minutenlangem Schweigen die Augen öffnete. „Wichtigeres?“, wiederholte ich.

Er musterte mich wieder. „Du musst zunehmen. Und es muss etwas wegen deiner Seele getan werden.“ Einen Moment war er still. „Unschuldig warst du mir lieber.“, murmelte er dann.

„Ich bin immer noch unschuldig.“, warf ich ein, „Außer du hast mich im Schlaf geschändet.“

Sprachlos starrte er mich an. Dann verpuffte er plötzlich. Mit einem mal erschöpft zog ich mich aus und stattdessen ein Nachthemd an, ehe ich meine Beine unter die Decke schob und sie mir bis unters Kinn zog. Kurz darauf erschien Lucifer direkt neben dem Bett mit einem Tablett.

„Du wirst alles essen.“, befahl er und schien einen Widerspruch nicht zu dulden. Dann zog er einen Beistelltisch heran und legte das Tablett darauf an, ehe er sich zu mir auf die Bettkante setzte. „Du siehst müde aus.“

Ich nickte nur. „Der Tag war bisher anstrengender, als ich dachte.“

Er nahm einen Teller mit Salat und ertränkte ihn nahezu in Dressing, ehe er eine Gabel nahm und...

„Denkst du nicht, dass ich auch allein essen kann?“, fragte ich ihn, als er mir die Gabel mit Salat vor den Mund hielt.

„Schweig und iss.“, entgegnete er nur, „So verbrauchst du weniger Kalorien.“

Als ich den Mund öffnete um erneut zu protestieren, schob er mir die Gabel in den Mund. Resigniert ließ ich daraufhin zu, dass er mich fütterte, bis der Salat leer war. Dann stellte er den Teller beiseite.

„Ich kann wirklich allein essen.“, merkte ich an und sah zu, wie er einen Teller mit einem saftiges Steak heran zog und großzügig Kräuterbutter darauf verteilte.

„Still.“, brummte er und begann das Steak in mundgerechte Häppchen zu schneiden.

„Warum tust du das eigentlich?“, fragte ich nebenbei, „Ich meine, du willst doch nur meine Seele. Warum interessiert dich mein körperliches Wohlbefinden?“

Wieder dieses Zucken an seinem Kiefer. „Wenn du so weiter machst, bringst du dich selbst um.“, erklärte er, „Ich gehe dagegen vor.“ Als er fertig war, legte er das Messer beiseite und nahm den Teller, um ihn näher an mich heran zu halten. „Johann scheint sich nicht gut genug durchzusetzen, also werde ich jetzt bei dir bleiben müssen, um darauf zu achten, dass du dich nicht umbringst.“

Ich verzog unglücklich das Gesicht, doch der Gedanke, dass er nun in der Nähe bleiben würde, bereitete mir... Freude. Verwirrt von dem Gedanken aß ich das Stück Fleisch, dass er mir hinhielt. Nach der Hälfte des Steaks, begann ich jedoch zu jammern.

„Ich bin satt. Ich kann nicht mehr.“

„Iss.“, befahl er daraufhin finster, „Sonst zwinge ich dich.“

„Wenn ich noch mehr essen, muss ich mich nur übergeben und dann ist das schöne Essen vergeudet.“

Einen Moment dachte er darüber nach, stellte den Teller aber dann beiseite. „Dann werde ich etwas warten, ehe du weiter isst.“ Mit diesen Worten legte er sich zurück, ungeachtet der Tatsache, dass meine Beine sich unter seinem Rücken befanden.

„Das ist unbequem.“, bemerkte ich kurz darauf und gähnte etwas. „Und ich würde mich gerne hinlegen.“

Seufzend rollte er mit den Augen, ehe er aufstand. Ich hob gerade die Decke, um tiefer aufs Bett zu rutschen, als er begann sich auszuziehen. Wie erstarrt beobachtete ich ihn dabei und war nicht in der Lage den Blick von seinem Körper loszureißen. Als er Anstalt machte zu mir zu sehen, drehte ich mich abrupt so hastig um dass ich auf dem Bauch auf seiner Seite des Bettes landete und das Gesicht in sein Kissen drückte.

„Was tust du da?“, fragte er verwundert.

Abrupt hob ich den Kopf und starrte das Bettgestell vor mir an. „Ich hab mich gefragt, ob das Zimmer hier drüben genauso eingerichtet ist, also schaue ich mich um.“

Stille.

Kurz darauf senkte sich neben mir die Matratze. „Du liegst auf meiner Seite.“, raunte er mir ins Ohr.

Ich stammelte ein wenig. „Entschuldige.“, brachte ich dann hervor und rollte mich, um auf seiner Seite Platz zu machen, wieder zurück, hatte jedoch nicht daran gedacht, dass er natürlich dort war. Offenbar hatte er sich auf der Seite dort lang gemacht, denn ich spürte nun seine nackte und überaus warme Brust an meinem Rücken. Ich errötete.

„Ich wusste doch, dass du gerne in meiner Nähe bist.“, neckte er mich amüsiert und schlang mir einen Arm um die Taille, ehe er mich an sich drückte und sein Gesicht an meinen Schopf schmiegte.

„W-w-was tust du da?“, fragte ich ihn verwirrt.

Er atmete tief durch. „Ich genieße es, dass du dich wieder so schön unschuldig verhältst.“, entgegnete er, „So bist du viel... erfrischender. Angenehmer.“

„Weil es kaum noch Jungfrauen gibt, die du entjungfern kannst?“, stichelte ich.

Leise lachte er auf und unwillkürlich genoss ich das Gefühl seiner vibrierenden Brust an meinem Rücken. Sein Lachen klang so schön...

„Es geht mir nicht um deine Jungfräulichkeit.“, entgegnete er, „Es geht mir um dein Verhalten.“

Ich zog die Brauen zusammen. „Du magst es, wenn ich ängstlich bin?“

„Ein wenig, aber das meine ich nicht.“ Er schob mir seinen anderen Arm unter den Kopf, sodass dieser auf seinem Bizeps lag. „Du bist schüchtern und zurückhaltend. Und so verdammt süß.“ Seine Lippen glitten über meine Ohrmuschel und eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus.

„Ha-ha-hast du vor mich die ganze Nacht so zu halten?“, fragte ich ihn und krallte meine Finger in die Decke.

„Es gibt Dinge, die ich lieber tun würde, aber das würde dir wohl weniger gefallen. Zumindest im Moment.“

„Was soll das heißen?“

Er lachte erneut auf. „In dem Moment, in dem ich mich tief in dir vergraben würde, würdest du es genießen. Spätestens.“

Ich schauderte. Allerdings nicht vor Ekel oder Abneigung. „Also wirst du mich die ganze Nacht so halten.“, stellte ich trocken fest und seufzte. „Na gut.“, murmelte ich dann ergeben, „Aber ich möchte jetzt schlafen.“

„Ich wecke dich in ein paar Stunden, damit du auch den Rest von deiner Mahlzeit isst.“

„Sklaventreiber.“

Ein sanfter Kuss auf meine Schläfe und ein leises Kichern. „Schlaf.“

Kapitel 5

Ich seufzte leise, als ich wahrnahm, dass mir jemand sanft über die Wange streichelte. Am Rande registrierte ich, dass ich nun auf dem Rücken lag und man mir außerdem über die Seite strich.

„Kari.“, flüsterte jemand sanft in mein Ohr. Dann spürte ich einen warmen Kuss auf meinem Kiefer.

Es benötigte ein weiteres Seufzen meinerseits, damit ich meine Augen ein wenig öffnete und direkt in graue Augen sah. „Mh?“, kam es verschlafen von mir.

„Es ist Zeit aufzuwachen.“

Ich blinzelte schläfrig. „Ich will schlafen.“, murmelte ich dann und schloss bereits wieder müde die Augen.

Sein Kichern war so leise, dass ich es kaum hörte. Dann knabberte er an meinem Kinn, ehe er seine Lippen näher an meinen Mund gleiten ließ.

„Wach auf.“, flüsterte er verführerisch.

Ich murrte. „Bin wach. Du störst.“

Sein Lächeln fühlte sich überraschend schön auf meiner Haut an. Ein Daumen berührte meine Unterlippe, woraufhin ich wieder die Augen öffnete.

„Wirklich, du-“

Er schnitt mir das Wort mit einem Kuss ab. Träge bemerkte ich, wie sich meine Müdigkeit langsam verzog und sich stattdessen ein seltsam flatterhaftes Gefühl in meinem Bauch breit machte. Der Kuss war sanft und neckisch, wieder anders als die Küsse zuvor. Eigentlich ähnelte es eher einer Menge kleinerer, inniger Küsse, die eigens dafür gedacht zu sein schienen, mich zu verwirren. Nach und nach wurden die Küsse allerdings länger und inniger. Als er merkte, dass ich mich nicht dagegen wehrte, seufzte er leise auf und presste sich etwas an mich und ließ die Hand von meiner Seite zu meiner Hüfte gleiten. Gleichzeitig schob er die Hand von meiner Wange in meinen Nacken, um meinen Kopf ein wenig anzuheben, ehe er seine Zunge in meinen Mund gleiten ließ.

Mein Atem stockte einige Male und meine Händen fanden wie von selbst den Weg über seine Brust, zu seinen Schultern, wo ich mich atemlos an ihm festhielt. Er stieß daraufhin ein raues Knurren aus, das mir wahrscheinlich Angst machen müsste, doch das tat es nicht. Mit festem Griff an meiner Hüfte, presste er plötzlich seine Lenden am mich, sodass ich mir seiner Erektion überaus bewusst wurde. Meine Finger gruben sich wie von selbst in seine Schultern, wobei ich ihn jedoch etwas von mir schob.

„N-n-nicht-“

„Sch-sch.“, machte er nur und küsste mich erneut. „Es passiert nichts. Keine Sorge.“, beruhigte er mich dann.

Unbehaglich zögerte ich noch einige Sekunden, bis ich mir sicher war, dass er so verblieb. Erst dann entspannte ich mich langsam wieder und merkte wage, dass ich ihm eine Hand unter den Arm hindurch auf seinen Rücken schob, um sie gemächlich darüber streichen zu lassen. Die andere vergrub ich in seinem Nacken.

Nach einiger Zeit kroch allerdings langsam eine Frage in meinen Kopf. Was tue ich da eigentlich?

Tatsächlich dauerte es nochmals einige Momente, ehe mir wirklich und wahrhaftig klar wurde, dass ich gerade mit dem Teufel höchstpersönlich herum knutschte.

Und ich genoss es sogar.

Dennoch weigerte sich mein Verstand bei dem Gedanken, sodass ich ihn wieder ein wenig von mir schob und die Augen einen Moment zusammen kniff.

„Alles in Ordnung?“, fragte er ein wenig heiser, „Hast du Schmerzen?“

Ich sah zu ihm auf, um zu antworten, wusste dann jedoch nicht mehr was ich sagen wollte. Er sah göttlich aus. Die Lippen feucht und leicht geschwollen vom Kuss, die Haare verdammt sexy zerzaust und diese unglaublichen grauen Augen, die mit einem Schlafzimmerblick auf mich herab sahen.

„Ähm...“, kam es mir geistreich über die Lippen.

Das hob immerhin sein Mundwinkel ein wenig in die Höhe. „Hat es dir die Sprache verschlagen?“, neckte er mich amüsiert und stieß sanft mit seiner Nasenspitze an meine.

Ich blinzelte verdattert. Er benahm sich so verdammt normal. Als wäre er ein normaler Mann, der mit seiner Frau ein wenig Zeit gemeinsam im Bett verbrachte. Ich musste einige Male schlucken, weil ich plötzlich nervös wurde und als ich weiterhin nichts sagte, schwand das schiefe Lächeln und er sah besorgt auf mich herab.

„Was ist los?“

„Ich... ähm...“, versuchte ich es zaghaft und zögerte ein wenig. „Ich muss kurz... nachdenken.“

Nun zog er verwirrt die Brauen zusammen. „Worüber?“

„Naja, du bist der Teufel, aber... du bist irgendwie wie... ein Mann.“

Eine wohlgeformte schwarze Braue hob sich ein wenig, ehe er an sich herab auf seine Lenden sah. „Ist mir gar nicht aufgefallen.“, bemerkte er erstaunt.

Ich schlug abrupt die Hand vor den Mund und unterdrückte vergeblich ein Prusten. Dann sah er wieder zu mir auf.

„Warum musst du dir über meine überraschende Männlichkeit Sorgen machen?“

Ich hob einen Finger und nahm die Hand von meinem Mund, als ich mich beruhigt hatte. „Es geht nicht darum, dass du ein Mann bist.“

„Nicht? Also könnte ich auch eine Frau sein?“

„Es geht- Nein!“, rief ich dann aus und schlug ihm gegen die Schulter. „Könntest du nicht.“

Er wackelte mit den Brauen. „Doch, könnte ich. Wenn ich wollen würde.“

Einen Moment starrte ich ihn nur an, schüttelte dann aber den Kopf. „Es geht eher darum, dass du dich so... normal verhältst.“

„Wie definierst du normal?“, fragte er und stützte ein Ellenbogen neben mir ab, um seinen Kopf in seine Hand zu stützen, während er mit der anderen über meine Schulter strich.

„Das zum Beispiel ist normal.“, bemerkte ich, „Du benimmst dich gar nicht... naja... teuflisch.“

„Woher weißt du wie sich ein Teufel verhält, wenn er eine schöne Frau im Bett hat, der er dort gerne sehr nahe ist?“

Ich blinzelte. „Du bist mir gerne nahe?“

„Im Bett schon.“

„Und außerhalb?“

Er zuckte mit den Schultern. „Außerhalb warst du immer sehr... schwierig. Bisher. Zumindest habe ich den Eindruck, dass du so warst.“

Ich dachte einen Moment darüber nach. „Für dich war ich wahrscheinlich schwierig. Andere Menschen würden es ängstlich und stur und abweisend und-“

„Okay, okay.“, unterbrach er mich, „Menschen haben offenbar eine andere Sicht als ich. Aber das beantwortet nicht meine Frage.“

Ich betrachtete ihn einen Moment. „Normal ist... naja... Durchschnitt. Du benimmst dich gerade eher wie ein... gewöhnlicher Durchschnittsmann.“

„Gefällt dir das nicht?“

„Hä?“

„Soll ich dich lieber nötigen? Oder einfach gehen?“

„Ich bin bloß... Du würdest mich nötigen?“

„Einige Frauen mögen es ein wenig rauer.“ Er seufzte und schloss die Augen. „Aber darum geht es nicht, nicht wahr? Du bist verwirrt, weil ich nicht grob spreche als wärst du ein kleiner Hase und ich der große böse Wolf.“

„Eher ein gigantischer Drache.“, korrigierte ich, woraufhin er stumm auf mich herab sah. „Du kannst wirklich beängstigend sein.“

„Ich bin dämonisch.“, erinnerte er mich trocken, „Das ist mein Job.“

„Also hast du gerade... Urlaub?“, riet ich vorsichtig.

Er rollte mit den Augen. „Nein. Ich entspanne mich bloß.“

„Also wirst du wie ein großer Kater, wenn du dich entspannen willst?“

„Wovon sprichst du, Kari? Hast du den Kuss nur beendet, weil du mich verwirren möchtest?“

„Nein.“, entgegnete ich und dachte einen Moment darüber nach. „Naja, vielleicht ein wenig. Du bist so anders, das ist seltsam.“

„Ungewohnt trifft es eher.“ Er schob seinen Daumen unter den Träger meines Nachthemdes und ließ ihn ein wenig auf und ab gleiten.

„An anderen Tagen hast du mich bedrängt, um mich zu küssen.“, merkte ich an.

„Du bist eben verlockend.“

„Ich hab eher damit gerechnet, dass du ein drängender, fordernder Mann bist, der erst aufhört, wenn man ihm ausdrücklich sagt, dass er aufhören soll. Aber stattdessen bist du so... soft.“

Er zuckte erneut mit den Schultern. „Wie gesagt, ich entspanne mich. Ich bin fordernd und drängend, aber im Moment habe ich nicht das Bedürfnis danach dich zu verführen, bis ich dich in die Laken drücke und-“

„Okay, ich habs verstanden.“, unterbrach ich ihn hastig, „Wolltest du nicht, dass ich etwas esse? Ich glaube, es passt wieder etwas.“

Ich rechnete damit, dass er sich von mir rollen und aufsetzen würde, um mich zu füttern, doch er blieb einfach auf mir liegen und sah auf meine Schulter, die er träge streichelte.

„Lucifer?“

Er atmete kurz durch, erhob sich dann aber vom Bett und nahm das Tablett. „Ich lass es aufwärmen.“

„Ich kann es auch-“

Er verpuffte und ließ einen Hauch von Schwefel zurück.

„Kalt essen.“, beendete ich murmelnd den Satz, ehe ich mich aufsetzte und über die vergangenen Minuten nachdachte, wobei ich versuchte den Geruch wegzufächern.

Dann kam er zurück, schneller als ich erwartet hatte und... angezogen. Überrascht blinzelte ich, während er mich ebenso überrascht ansah.

„Du bist wach.“, bemerkte er.

Ich zog die Brauen zusammen. „Ist das ein Scherz?“

„Ich mache keine Witze.“, entgegnete er und sah zum Beistelltisch. „Hat Johann das Essen geholt?“

Nun noch verwirrter schüttelte ich den Kopf und deutete auf ihn. „Du hast es doch eben herunter gebracht, um es aufwärmen zu lassen.“ Dann fiel mir etwas auf. Er hatte Schwefel zurück gelassen. Und er hatte mich Kari genannt.

„Wovon sprichst du? Hast du dir wieder den Kopf gestoßen?“

Ich schluckte schwer und schwang die Beine aus dem Bett, um mich ein wenig vorn über zu beugen, da mir nun seltsam schlecht wurde.

„Hast du bei mir gelegen, als ich eingeschlafen bin?“, fragte ich ihn.

„Ja und du hast verdammt lange dafür gebraucht. Aber dann musste ich gehen und konnte bis jetzt nicht zurück. Geht es dir nicht gut?“

Von einem leisen Anflug von Panik ergriffen stand ich auf und ging zu ihm herüber, um mich an ihm festzuhalten.

„Was hast du?“

„Als ich aufgewacht bin war da ein Mann im Bett.“

Er erstarrte. „Wie bitte?

„Ich dachte, er wäre du. Er sah aus wie du, roch wie du, er hat sogar geschmeckt wie du und-“

„Geschmeckt?“, unterbrach er mich und sah auf mich herab.

In seinen Augen konnte ich sehen, wie die Wut langsam in ihm anschwoll. „Er hat mich geküsst und-und ich dachte er wäre du, aber er benahm sich so komisch, nicht wie du, und- und-“

Er legte mir eine Hand an die Wange. „Wo ist er?“

„Das sagte ich doch. Er hat das Tablett weggebracht, um das Essen aufwärmen zu lassen.“

Er knurrte und ich konnte spüren, wie sehr er sich anstrengen musste, um die in ihm zum Zerreißen gespannten Nerven ruhig zu halten. In seinen Augen war dieser rote Schimmer. „Und er hat dich geküsst? Und du hast dich nicht gewehrt?“

Unsicher zuckte ich mit den Schultern. Und spürte Tränen in mir aufkommen. „Ich dachte, er wäre du.“

Seine Augen verengten sich ein wenig. „Du versuchst dich sogar gegen einen Kuss von mir zu wehren.“, merkte er an, „Oder hat sich das geändert?“

Ich schluckte und senkte den Kopf. „Ich- Ich weiß nicht.“

Erneut knurrte er und sein Körper zitterte vor unterdrücktem Zorn. Die Hand an meiner Wange glitt in meinen Nacken und hielt mich fast schmerzhaft im Griff, während die andere Hand mich am Rücken an sich drückte. „Nur, damit ich auch ja nichts falsch verstehe.“, raunte er, „Du hast dich von einem Fremden küssen lassen, der aussah wie ich und hast nicht im mindesten versucht dich zu-“ Er unterbrach sich abrupt selbst und... roch an mir. Dann packte er mich fester und ich schrie kurz vor Schmerz auf, ehe er mich wieder losließ und begann zu fluchen. „Hast du von mir geträumt?“, fragte er direkt.

Ich wurde puterrot und begann zu stammeln. „Ich- Ob ich- Was denkst du- Nein!“

„Also ja.“, murrte er und schien irgendwas... zu … wittern.

Ich wusste nicht, wie ich es sonst beschreiben sollte. Er streckte die Nase in die Luft und seine Nasenflügel weiteten sich, als würde er einen Geruch tief in sich aufnehmen. Dann atmete er lange aus.

„Er hat mich Kari genannt.“, bemerkte ich, „Da hätte ich es eigentlich merken sollen. Du nennst mich nie bei meinem Namen.“

Er beachtete es nicht, hielt mich einfach nur fest und schien nachzudenken. „Sollte er je wieder auftauchen, wenn ich nicht da bin, dann ruf nach mir.“

„Ich soll dich einfach rufen?“

„Ja. Denk an mich und sag meinen Namen. Es war wahrscheinlich ein Traumdämon. Was haben wir in deinem Traum getan?“

Erneut wurde ich rot und begann zu stottern, wobei ich versuchte abzustreiten, dass ich von ihm geträumt hatte.

Er sah finster auf mich herab, woraufhin ich abrupt verstummte. „Sag es.“

Einen Moment presste ich meine Lippen aufeinander. „Wir haben einfach im Bett gelegen und uns geküsst.“, brachte ich dann widerwillig hervor.

Er nickte, als hätte er sich das bereits gedacht.

„Warum fragst du das? Was ist ein Traumdämon?“

„Sie kommen, wenn Menschen schlafen und verwirklichen ihre Träume.“

Verwundert zog ich die Brauen zusammen. „Und was ist so schlecht daran?“

„Einige Menschen sterben in ihren Träumen oder erleben andere grausame Dinge, Kira.“

Ich seufzte, als er mich wieder mit dem falschen Namen ansprach, wusste es diesmal aber irgendwie zu schätzen. So war ich mir immerhin sicher, dass er es war. „Also hat er meinen Traum gesehen und sich prompt als dich ausgegeben, um ihn Realität werden zu lassen?“

„Ja. Es wich wahrscheinlich von deinem Traum ab.“

„Aber warum hat er das getan?“

„Ein Traumdämon wird von bestimmten Gefühlen in den Träumen angezogen und manifestiert sie. Wenn er das schafft, lullt er sein Opfer langsam ein und zieht aus dem manifestierten Traum Energie. Du wirst die nächsten Tage wahrscheinlich nicht träumen.“

„Und das ist etwas schlechtes?“ Als ich das fragte, lehnte ich meinen Kopf an seine Brust, weil ich mich so nahe bei ihm sicher fühlte.

„Es ist nur eine Nebenwirkung. Dem Körper fehlt die Energie einen Traum zu gestalten.“

„Aber ich fühle mich nicht energielos.“

„Es ist eine andere Form von Energie.“ Er seufzte tief. „Ich spüre im Haus keine fremde Aura, also ist er wahrscheinlich weg.“

„Aura?“

„Jedes Wesen besitzt eine Aura.“, erklärte er und klang ein wenig genervt, entspannte sich aber langsam wieder. „Sie strahlen Energie aus und diese bilden eine Aura um das Wesen herum.“

„Wie die von deiner Tochter?“

„Ja. Allerdings ist ihre Aura sehr dunkel, deshalb schadet sie dir.“

„Also sind Auren farbig? Kann man sie sehen?“

„Nein, es ist eher ein Gefühl. Schwer zu beschreiben.“

„Hmmm...“

„Wie lange willst du noch so herum stehen?“, fragte er einige Momente später.

„Weiß ich noch nicht.“

„Ist dir bewusst, dass du sehr leicht bekleidet bist?“

Ich zuckte zusammen, hielt mich dann aber etwas enger an ihn gedrückt. „Ich habe Angst, dass er zurück kommt, wenn du zu weit weg gehst.“, gab ich dann zu.

Er seufzte. „Ich müsste schon einige Meilen entfernt sein, um ihn nicht spüren zu können. Also bist du in Sicherheit, solange ich da bin.“

„Was ist, wenn er kommt, wenn du weg bist und mich daran hindert dich zu rufen?“

Schweigend schien er eine Weile darüber nachzudenken, seufzte dann aber tief. „Das wird wahrscheinlich nicht passieren, also hör auf darüber nachzudenken und leg dich zurück ins Bett. Ich habe dir nicht erlaubt es zu verlassen.“

„Versprich mir bitte, dass du nicht gehst, wenn ich im Bett liege.“

„Kira-“

„Bitte.“

Er knurrte. „Kira.“

Ich presste mich enger an ihn. „Bitte.“

Einen Augenblick knurrte er noch weiter, zischte dann aber. „Meinetwegen.“

Zögerlich löste ich mich von ihm und ging wieder hinüber zum Bett, in das ich mich legte. „Warum war ich eigentlich so ruhig bei ihm?“, fragte ich ihn nebenbei, „Lag es an mir oder war er das?“

„Wahrscheinlich war er das.“, entgegnete er und lockerte seine Krawatte. Wann immer er angezogen war, hatte ich ihn in Anzügen gesehen. „Traumdämonen beeinflussen ihre Opfer, damit sie gefügiger und empfänglicher sind.“

Ich schauderte und zog mir die Decke bis unters Kinn. „Das ist abartig.“

„Ich gehe gleich kurz runter, um noch etwas zu Essen für dich zu holen.“

Ich riss die Augen auf. „Du sagtest, du gehst nicht weg. Du hast es versprochen.“

Überrascht hielt er inne. „Ich wusste nicht, dass du damit meinst, dass ich das Zimmer nicht verlasse.“

Da ich Angst hatte, er würde seine eigenen Worten einfach nichtig machen und gehen, senkte ich den Blick und presste die Lippen aufeinander, um die Zeit auszuhalten, in der er weg wäre. Doch stattdessen ging er nur zur Tür und öffnete sie, ehe er nach Johann rief. Dann zog er sich Schuhe und Jackett aus und nahm die Krawatte ganz ab. Ich hatte ihn zwar nur in Anzügen gesehen, doch das war das erste Mal, dass ich an ihm eine Krawatte sah. Und die Art und Weise, wie er sie behandelte, machte mir deutlich warum. Er konnte sie ganz offensichtlich nicht leiden.

„Ihr habt gerufen, mein Herr.“, meldete sich Johann an der Tür.

Lucifer deutete auf mich. „Bitte mach ihr ein Abendessen. Nicht zu viel, aber etwas nahrhaftes. Und bring Wasser mit. Und Saft. Vielleicht noch etwas anderes, was für Menschen gesund ist. Nüsse oder so.“

„Ihr meint sicher Obst, mein Herr. Sie sind voller Vitamine.“

Er wedelte mit der Hand. „Was auch immer. Bring etwas davon. Besitzen wir so etwas überhaupt?“

„Ja, mein Herr. Ich benutze sie für Kuchen und Desserts.“

Der Teufel nickte. „Gut. Jetzt geh.“

„Natürlich, mein Herr“ Damit ging Johann wieder.

Ich unterdrückte unterdessen ein kleines Kichern.

„Was?“, fragte Lucifer leicht gereizt, „Warum lachst du?“

„Ich lache nicht.“, entgegnete ich, kicherte dann aber doch.

„Doch tust du. Warum?“

„Etwas, das für Menschen gesund ist?“, hakte ich nach, „Und da fallen dir Nüsse ein?“

Verwirrt öffnete er sein Hemd. „Sind Nüsse nicht gesund? Nagetiere essen die doch ständig, oder nicht?“

„Oh, sie sind nicht ungesund. Aber sie sind sehr fetthaltig. Obst und Gemüse ist da deutlich besser, auch wenn ein paar Nüsse beileibe nicht falsch sind.“

„Das klingt so kompliziert wie Johanns Menü zu meinem letzten Geburtstag.“, bemerkte er trocken und streifte sich die Hose ab.

„Du feierst deinen Geburtstag? Wird das nicht langweilig?“

„Ich feiere mittlerweile nur noch alle hundert Jahre.“

„Und wie lange ist es noch bis zum nächsten?“, fragte ich neugierig.

„Du hast mir irgendwie besser gefallen, als du noch Angst vor mir hattest.“

„Hab ich nicht. Und jetzt sag schon.“

Er rollte mit den Augen. „Was habe ich mir dabei gedacht dich herzuholen?“ Dann legte er sein Hemd ab und umrundete das Bett, um sich auf seine Seite zu legen. „Wenn ich mich nicht täusche, sind es nur noch ein paar Tage.“

Ich blinzelte und setzte mich dann abrupt auf. „Ein paar Tage und du sagst es, als wäre es ein Tag wie jeder andere?“

„Es ist ein Tag wie jeder andere.“

„Bist du dir sicher?“ Skeptisch sah ich auf ihn herab. „Es gibt keine Naturkatastrophen? Keine Unwetter? Keine Apokalypse?“

„So sehr mir das auch gefallen würde, aber nein. Keine Katastrophen, Unwetter oder Apokalypsen. Und die Welt wird auch nicht untergehen.“

Nachdenklich schürzte ich die Lippen und legte mich dann auf die Seite, um ihn ansehen zu können, während er auf dem Rücken lag und an die Decke sah. „Ich habe kein Geschenk für dich.“

Verwirrt sah er mich an. „Warum solltest du ein Geschenk für mich haben?“

„Wenn jemand Geburtstag hat, dann schenkt man ihm etwas. Zur Feier des Tages.“

Er hob eine Braue. „Willst du wirklich den Tag der Geburt des Teufel in Person feiern?“

„Wenn du das so sagst, klingt es falsch.“, beschwerte ich mich und sah ihn finster an. „Aber so schlecht kannst du ja nicht mehr sein, wenn der Satansbraten bereit war den letzten Splitter deiner Seele- Iiih.“

Ich quietschte überrascht auf, als er mich plötzlich packte. Vor Schreck versuchte ich von ihm abzurücken, doch er griff erneut nach mir, woraufhin ich versuchte ihn von mir zu schieben. Er war jedoch gnadenlos und zog mich zu sich, bis er mich mit beiden Armen umfing und... kitzelte mich. Er kitzelte mich so lange, bis mir Tränen über die Wangen liefen und mein Hals vor Lachen begann weh zu tun, während ich mich wehrte, zappelte, um mich schlug und trat. Mir schmerzten bereits nahezu alle Muskeln im Leib und es fiel mir schwer mich noch irgendwie zu bewegen, doch irgendwann hörte er auf und hielt mich einfach fest.

„Das sollte dir eine Lehre sein.“, stellte er zufrieden fest.

Meine Wenigkeit, die völlig fertig einfach nur dalag murrte einfach nur. „Ich hätte nie gedacht, dass du ein Mensch bist, der andere kitzeln würde.“

„Kitzeln ist eine gute Foltermethode.“, entgegnet er daraufhin, „Im Mittelalter wurden Menschen gern in der Öffentlichkeit so gefoltert.“

„Aber wie soll das eine Folter sein?“

„Dir tun doch sicher die Muskeln weh, nicht?“

Ich verzog ein wenig das Gesicht. „Schon, ja.“

„Nun stell dir vor, ich würde das noch einige Stunden lang machen.“

Einen Moment dachte ich darüber nach, gab ihm dann aber Recht. „Gut, du hast gewonnen. Aber du musst schon zugeben, es ist keine schlechte Art so gefoltert zu werden, dass man vor Glücksgefühlen nur so übersprudelt.“

„Ich kenne denkbar schlimmere.“

Nun drehte ich mich zu ihm um. „Welche? Ich meine, ich weiß, dass die Leute früher auf die Streckbank kamen oder gerädert wurden.“

„Vergiss nicht, dass einige gevierteilt wurden.“

Ich rümpfte die Nase. „Das klingt furchtbar.“

„War es auch. Aber das damalige Volk mochte es blutig und grausam. Sie labten sich an den Leiden anderer und es kümmerte sie nicht, dass sie selbst genauso leiden könnten.“

„Denkst du so? Gefällt es dir, wenn andere leiden?“

„Früher hat es das. Als ich noch wirklich jung war.“

„Und was war damals deine liebste Foltermethode?“

Er hob eine Braue. „Willst du das wirklich wissen?“

Ich zögerte. „Na gut. Aber was ist die schlimmste, die du kennst?“

Nun zögerte er und besah sich mir einen Moment, ehe er sich räusperte. „Sägen.“, antwortete er dann schlicht.

„Sägen? Wurden Gliedmaßen abgesägt?“

Er schüttelte den Kopf. „Man wurde kopfüber aufgehängt. Das hielt die Menschen länger bei Bewusstsein. Dann setzte man eine Säge an den Genitalien an und sägte bis zum Bauch herab.“

Unwillkürlich presste ich meine Oberschenkel zusammen. „Wer denkt sich so etwas aus?“

„Meine Schwester.“, war die trockene Antwort, „Sie liebt Schmerzen, wie du weißt.“

„Ja, aber... Selbst du musst doch zugeben, dass das unmenschlich ist.“

„Ja, aber meine Schwester ist auch kein Mensch. Genauso wenig wie ich.“

Missmutig zog ich eine Grimasse und bettete meinen Kopf auf seiner Schulter. Er beobachtete mich aufmerksam. Ich fragte mich kurz warum, doch dann wurde mir klar, dass ich mich tatsächlich unüblich verhielt. Es ist nicht lange her, dass man versucht hatte mich zu vergewaltigen und nun hing ich an ihm wie ein kleiner Welpe. Ich wollte mich von ihm lösen und abrücken, doch er hielt mich fest. Die Tatsache, dass ich keine Angst vor ihm hatte verwirrte mich nun.

„Ich glaube, dieses einlullende Zeug von dem Dämon wirkt noch nach.“, bemerkte ich.

Skeptisch hob er eine Braue. „Wie kommst du darauf?“

„Ich habe keine Angst vor dir.“

Darauf antwortete er nicht, starrte mich einfach nur an. Und starrte... Und starrte.

„Was?“

„Das hast du mir bereits vor Stunden gesagt.“

Ich hob einen Finger. „Ich sagte, alles in allem hätte ich keine Angst mehr, aber das heißt nicht, dass ich keine Angst davor hatte, dir zu Nahe zu kommen.“

„Weil ich der Teufel bin?“

„Nein. Weil du ein Mann bist.“

Das schien ihn zu verwirren. „Hast du Angst vor Männern?“

„Ich weiß nicht, ob du es vergessen hast, aber da waren zwei Kerle in einer sehr dunklen Gasse, dir mir ans Höschen wollten.“

„Vielleicht will ich dir ja gar nicht ans Höschen.“ Mir war unbekannt, wie er es anstellte, aber er schaffte es tatsächlich unschuldig dreinzuschauen.

„Wie tust du das?“, fragte ich ihn, ehe ich begann zu lachen. „Du kannst tatsächlich so unschuldig schauen, als wärst du ein kleiner Junge.“

Im nächsten Moment sah er wieder so finster aus wie immer, lächelte aber schräg. „Eine Zeit lang war ich Schauspieler.“

„Und du schaffst es wirklich länger als ein paar Sekunden lang nicht so böse zu gucken?“

„Ich gucke gar nicht böse.“, protestierte er, „Ich schaue ernst.“

Ich hob eine Braue und berührte mit einem Zeigefinger die ewige Falte zwischen seinen Brauen. „Und was tut die dann da?“

„Was meinst du mit die?“

„Diese Zornfalte hier.“

Er sah mich noch finsterer an. „Ich habe keine Falten.“

„Nun, ich muss ja zugeben, dafür dass du wahrscheinlich so alt bist wie die Erde selbst, hast du dich verdammt gut gehalten.“

„Nicht wie die Erde, aber so groß ist der Unterschied nicht mehr.“

„Wie bescheiden.“, murmelte ich ironisch und gähnte. „Wie lange braucht das Essen noch? Ich bin wirklich müde.“

Er seufzte, ehe er mich losließ und Anstalt machte aufzustehen. „Ich werde nachsehen und-“

„Warte!“, unterbrach ich ihn und griff nach seinem Arm. „Du hast es versprochen.“

Er wirkte genervt, legte sich aber mit einem Seufzen zurück, drehte sich zu mir und zog mich in seine Arme. „Wie du willst.“

So langen wir eine Weile einfach schweigend herum, ehe ich begann mich zu bewegen. Er war wie ein Hochofen und dann war da noch die Decke und das Zimmer war wahrscheinlich sogar beheizt. Ich begann zu schwitzen.

„Es ist warm.“, beschwerte ich mich.

Er griff hinter sich, machte irgendwas, und kurz darauf ertönte ein leises Rauschen. „Ich hab die Klimaanlage eingeschaltet. Sag, wenn dir zu kalt wird.“

Dann schwiegen wir weiter. Ich spürte, dass er sich nach und nach entspannte und begann tief und regelmäßig zu atmen. Als ich zu ihm herüber sah, waren seine Augen geschlossen. Schien, als würde er schlafen.

„Lucifer.“, flüsterte ich.

Keine Reaktion. Er schlief wirklich. Sogar diese böse Falte zwischen seinen Brauen verschwand. An sich sah er aus wie ein Mann zwischen 25 und 30 Jahren, aber wenn er schlief sah er einfach... jung aus. Nicht wie ein Kind, sondern einfach... als wäre er nicht zufällig mehrere Millionen Jahre alt und der Teufel in Person. Er sah nicht aus, als würde er sich rund um die Uhr ärgern oder ständig andere Menschen mit finsteren Blicken ermorden. Er sah nicht einmal so aus, als würde er etwas schlechtes sagen. Er wirkte tatsächlich auf natürliche Art und Weise unschuldig, als wäre er unberührt von all dem Bösen, das er in seinem Leben erlebt hatte. Und das war ein gewaltiger Kontrast, wenn man bedachte, dass er höchstwahrscheinlich der Vater alles Bösen war.

Das muss ich ihn unbedingt noch fragen.

Doch für den Moment reichte es mir ihn einfach anzusehen. Ich konnte nicht anders, als eine Hand zu heben und seine Wange zu berühren. Sein Haar. Seine Schultern. Leise kam mir ein Seufzen über die Lippen, als ich die Hand über seine Brust gleiten ließ. Ich hatte zwar nicht besonders viele Männer nackt gesehen, aber er hatte durchaus einen sehr attraktiven Körper. Unwillkürlich fragte ich mich, wie sich der Rest von ihm anfühlte und mein Blick glitt an ihm herunter.

Es war nicht allzu viel zu sehen, da er uns zugedeckt hatte, doch ich ließ mich davon nicht stören. Mit einen prüfenden Blick in sein Gesicht ließ ich die Hand langsam über seinen Bauch wandern. Ich kam nicht umhin einen kleinen Laut der Verzückung von mir zu geben, den wahrscheinlich jede Frau von sich gegeben hätte, wenn sie diesen Bauch berühren könnte. Doch das war mir noch nicht genug. Ich ließ meine Hand gerade über seine Hüfte gleiten, als er plötzlich die Augen aufschlug und auf mich herab starrte.

Ich erstarrte, war nicht einmal in der Lage meine Hand wegzuziehen.

Langsam senkte er ein wenig die Lider und begann lüstern zu grinsen. „So so.“, murmelte er mit rauer Stimme und zog mich eng an sich. „Du wartest also bis ich schlafe, ehe du mich begrapscht.“

„I-i-ich habe dich gar nicht begrapscht.“, protestierte ich und spürte, wie ich errötete. „Ich habe bloß- Ich meine, ich habe-“

„Deine ruchlose kleine Hand auf meinen Körper gelegt, während ich schutzlos geschlafen habe.“ Er schnalzte tadelnd mit der Zunge. „Du bist ein wirklich böses ungezogenes kleines Mädchen.“

Meine Augen weiteten sich. „Ich bin k-kein Mädchen.“

„Nein.“, stimmte er zu und glitt mit der Hand über meine Taille, während er das Gesicht an meinem Hals vergrub. „Du bist eine überaus verführerische Frau.“

Mir stockte der Atem. „D-d-du bist echt, oder?“, fragte ich nervös, „Kein Traumdämon oder irgendeine andere Art Dämon.“

Seine Lippen glitten heiß über meine Kehle. „Nein. Ich muss kein Dämon sein um dich zu begehren, Kira.“

Er sagte Kira. Also ist er es. Definitiv.

Das beruhigte mich, auch wenn mein Herz vor Aufregung wie wild raste. Als seine Zunge durch die kleine Kuhle an meinem Schlüsselbein glitt, blieb mir für einige Sekunden der Atem weg.

„Lu-Lu-Lucifer.“

Er drückte mich auf den Rücken und schob eine Hand unter mein Nachthemd. Sie fühlte sich so sengend heiß an, dass es mich wunderte, dass ich keine Verbrennungen davon trug. Sein Mund glitt unterdessen tiefer, näherte sich dem Ansatz meiner Brüste, wo er begann mich liebevoll zu liebkosen. Seine ruhelose Hand glitt unterdessen an meiner Seite hinauf zu meinem Rippenbogen. Die andere legte sich auf meinen Oberschenkel, als er sich zwischen meine Beine legte, und ließ sie zu meiner Kniekehle gleiten, um sich mein Bein um die Hüfte zu legen.

Überwältigt von den vielen Reizen, der Hitze und seiner Nähe, begann ich schwerer zu atmen und konnte nicht anders, als mich an ihm festzuhalten. Die Hand unter dem Nachthemd war kurz davor meine Brust zu erreichen, während sein Mund dem Tal zwischen meinen Brüsten näher kam, als plötzlich an der Tür geklopft wurde und Johann herein kam.

„Mein Herr, ich bringe das Abendessen.“, verkündete er.

Lucifer war über mir wie zu Stein erstarrt, regte sich keinen Millimeter.

„Ich habe ein kleines Schweinemedaillon mit Champignon-Sahne-Soße und Kartoffeln zubereitet. Außerdem habe ich hier einige Stücke frische Ananas und Mango und eine Schale Erdbeeren und Sahne, als Nachtisch.“

Ich hatte mich nicht getraut auch nur einen Atemzug zu machen, spürte wie mein Gesicht vor Scham brannte und presste fest die Lippen aufeinander.

„Ich habe außerdem drei verschiedene Säfte und eine Flasche Wasser mitgebracht.“

Lucifer zog quälend langsam die Hand unter meinem Nachthemd hervor und richtete sich ebenso langsam auf.

„Johann.“, knurrte er mit tiefer Stimme.

Dieser sah erst jetzt zu uns und wurde starr. Hastig zog ich mir Lucifers Kissen vor die Brust und vergrub halb das Gesicht darin. Ich wünschte der Boden würde sich auftun und mich verschlingen.

„Es tut mir leid, mein Herr.“, stammelte Johann, „Ich wollte nicht stören.“

Der Teufel atmete sehr sehr langsam sehr sehr tief ein und ebenso wieder aus. „Du wirst das Schlafzimmer nie wieder ohne Erlaubnis betreten.“, befahl er ihm dann, „Außer es liegt ein absoluter Notfall vor.“

„N-n-natürlich, mein Herr. Entschuldigt.“ Er verbeugte sich tief vor ihm, ehe er rückwärts das Zimmer verließ, ohne sich aufzurichten. Dann schloss er die Tür.

„Atme.“, knurrte der Teufel, woraufhin ich automatisch tief die Luft einsog und von seinem Duft, der am Kissen hing, nahezu berauscht wurde. „Fang schon mal an zu essen.“ Er klang immer noch alles andere als begeistert, als er sich vom Bett erhob und Richtung Bad ging.

„Aber-“

„Iss.“, unterbrach er mich und verschwand hinter der Tür.

Ich schluckte schwer und starrte die Tür einen Moment an, ehe ich mich aufsetzte, mich mit der Decke bedeckte und den Beistelltisch, auf dem Johann das Tablett abgestellt hatte, etwas näher zog. Zögerlich griff ich nach einer Gabel und nahm mir damit ein Stück Ananas. Ich hatte sie gerade in den Mund genommen, als Lucifer das Bad verließ. Nackt.

Unwillkürlich spuckte ich die Ananas sofort wieder aus und begann zu husten. Einen Moment blieb er tatsächlich stehen und starrte mich an, woraufhin ich begann mit der Hand zu wedeln, damit er endlich weiter ging, denn je länger er da stand, umso stärker wurde das Verlangen den Blick ein wenig tiefer gleiten zu lassen. Doch als er sich nicht weiter bewegte, schnappte ich mir schließlich sein Kissen und warf es nach ihm.

„Zieh dir was an, verdammt!“, kreischte ich nahezu.

Er fing das Kissen einfach auf und sah dann an sich herab, ehe er mit gehobener Braue wieder zu mir auf sah. „Ist dir das etwa peinlich?“

Ich warf das zweite Kissen nach ihm, welches er wieder mühelos auffing. „Perverser!“

„Hast du noch nie einen nackten Mann gesehen?“

Ohne zu antworten griff ich nach dem leeren Glas, dass Johann mit auf das Tablett gestellt hatte und hob es hoch, um damit zu werfen, woraufhin er mit den Augen rollte.

„Das ist dann wohl ein ja.“, murrte er, ehe er die Kissen fallen ließ und zu seinem begehbaren Kleiderschrank ging.

Wenige Minuten später kam er in einer lockeren und viel zu tief sitzenden Jogginghose zurück, hob die Kissen auf und kam herüber. Ich hatte das Glas zurück gestellt und aß nun das vierte Stück Ananas, während er die Kissen wieder ins Bett legte, ehe er sich neben mich setzte.

„Du solltest mit dem Fleisch anfangen.“, tadelte er mich sanft, „Es wird noch kalt.“

Mein Kauen wurde langsamer, ehe ich schluckte. „Ich dachte mir, ich fange mit etwas kleinem an.“

Er nahm mir die Gabel aus der Hand, nahm das beiliegende Messer und schnitt das Schweinemedaillon klein. „Du solltest sinnvoller denken. Wenn das Fleisch kalt ist, schmeckt es nicht mehr. Jetzt iss.“ Damit schob er mir den Teller hin und hielt mir die Gabel an den Mund, an dem ein Stück von dem Fleisch hing.

„Du musst mich nicht-“

Er unterbrach mich, in dem er mir das Fleisch einfach in den Mund schob. „Ich sagte, iss.“

Resigniert begann ich zu kauen, ehe ich schluckte und feststellte, dass es ziemlich lecker war. Also ließ ich es schweigend über mich ergehen, dass er mich Stück für Stück fütterte, wobei mir auffiel, dass seine Lider wieder so seltsam tief hingen.

„Warum schaust du mich so an?“, fragte ich ihn, nachdem ich das letzte Stück Fleisch und alle Pilze gegessen hatte und er nach der Schüssel mit den Obststücken griff.

„Was meinst du?“

„Naja, du schaust, als läge ich hier nackt und wie auf dem Präsentierteller.“

Sein Mundwinkel hob sich ein wenig, ehe er mir ein Stück Mango an den Mund hielt. Ich wich jedoch zurück.

„Die sollte ich nicht essen.“, bemerkte ich dann leise und schob seine Hand beiseite.

„Magst du sie nicht?“

„Eigentlich schmeckt sie ziemlich lecker, aber ich reagiere allergisch.“

Das schien ihn zu überraschen. Offenbar hatte er nicht an Allergien gedacht. „Hast du sonst noch irgendwelche Allergien?“

Ich bließ die Wangen auf. „Ja, ein paar.“

Auffordernd hob er eine Braue.

„Erdnüsse, Soja, Bienenstiche, Wespenstiche, so eine komische Art Fisch, Garnelen-“

„Gegen wie viele Dinge bist du allergisch?“, fragte er entsetzt dazwischen.

„Sie sind ja nicht in allen Nahrungsmitteln, also ist das in Ordnung.“

Er zögerte. „Und was noch?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Pferdehaare und Rucola.“

„Das wars?“

Ein Nicken.

„Gut, ich werde es Johann weitergeben.“ Damit sah er auf die Schale herab und suchte ein Stück Ananas heraus. „Ist es in Ordnung, dass daran Mangosaft ist? Oder ist das bereits gefährlich?“

„Tatsächlich ist der Saft in Ordnung. Ich hab das auch nie so wirklich verstanden.“

„Gut.“ Beruhigt hielt er mir die Ananas an den Mund. „Ich möchte nicht, dass du mir kollabierst. Wenn dir noch etwas einfällt, was für dich gefährlich ist, sag es mir sofort.“

Erneut nickte ich brav und schloss die Lippen um die Ananas. Als sie dabei seine Finger berührten, fiel sein Blick sofort auf meinen Mund und er wirkte plötzlich angespannt. Vorsichtig zog ich den Kopf zurück, damit ich essen konnte und beobachtete aufmerksam, wie er meinen Mund anstarrte.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte ich vorsichtig.

Mit seltsam langsamer Bewegung stellte er die Schale beiseite und beugte sich zu mir herab. Beinahe wäre ich vor Schreck zurückgewichen, doch er legte eine Hand in meinen Nacken und zog mich zu sich, um mich zu küssen.

„Einen Moment.“, brachte ich hervor, ehe es soweit war.

Er hielt inne, als hätte ich ihn geschlagen.

„Ich habe immer wieder Angst, dass du es nicht sein könntest.“

Daraufhin entspannte er sich wieder. „Du hast nicht geschlafen oder geträumt und es ist erst eine halbe Stunde her, dass der Dämon hier war. Er kann nur zurück kommen, wenn du träumst, also mach dir keine Sorgen.“

„Bist du sicher?“

„Ja. Außerdem traut sich kein Dämon ohne Erlaubnis in meine Nähe. Und ich war die ganze Zeit in deiner Nähe. Also entspann dich, okay.“

Ich schluckte kurz, nickte dann aber und konnte mich tatsächlich etwas entspannen. Nur wenige Sekunden später lagen seine Lippen auf meinen. Der innere Widerstand, der immerhin einige Tage gegen ihn überstanden hatte, schwand langsam endgültig dahin und an deren Stelle trat ein verräterisches warmes Gefühl, das ich nicht weiter untersuchen wollte. Stattdessen seufzte ich leise auf, als er die Decke beiseite zog, die noch zwischen uns lag, und legte ihm die Hände auf die Brust. Er zog mich daraufhin eng an sich und beugte sich über mich, sodass er zwischen meinen Beinen lag, als ich rücklings auf dem Bett zum Liegen kam. Wie nur wenige Minuten zuvor. Nur konnte ich diesmal seine Erektion spüren.

Plötzlich schüchtern blinzelte ich zu ihm auf und biss mir leicht auf die Unterlippe, woraufhin er seufzte und die Augen schloss.

„Was ist es diesmal?“, fragte er resigniert.

„Du hast- Also, du bist- Naja...“

„Eine Latte, erregt, ja. Darf ich jetzt weiter machen?“

Ich zögerte. „Also...“ Plötzlich hatte ich Angst. Davor, was passieren würde, wenn er weiter machte. Würde er mich dazu drängen mit ihm zu schlafen? Würde er wollen, dass ich Dinge mit... ihm tat? Was würde er tun?

„Kira.“, riss er mich aus den Gedanken, „Du denkst schon wieder nach.“

„Ich weiß nicht, ob ich schon bereit für's weiter machen bin.“, gab ich zu, „Ich meine, bisher haben wir uns nur geküsst und berührt, aber i-i-ich weiß nicht, ob ich weiter gehen kann.“

Er wirkte überrascht.

„W-w-was?“

„Es stört dich nicht einmal, dass ich dich küsse.“, entgegnete er.

Schüchtern senkte ich den Blick und hob eine Schulter. „Du bist ziemlich gut darin. Und ich muss zugeben, dass du sehr... ansprechend bist. Körperlich. Und aufmerksam.“

„Ich lebe immerhin schon sehr lange. Da hatte ich genug Zeit meine Fähigkeiten als Liebhaber zu perfektionieren.“

Erneut nagte ich an meiner Unterlippe und spürte den Stich der Eifersucht in meiner Brust. Wie viele Frauen diese Fähigkeiten wohl schon kennen gelernt haben? Und wie viele Frauen haben ihm geholfen diese Fähigkeiten auszubauen? Ich verzog bei den Gedanken das Gesicht und wendete es ab, woraufhin er aufstöhnte.

„Was muss ich tun, um dich einfach nur in Ruhe küssen und berühren zu können?“, fragte er sich selbst, „Wenn du es nicht willst, muss es nicht mal Sex sein, aber wenn du mit diesem Teil hier“ Er zupfte an meinem Nachthemd, das ja eigentlich ihm gehörte. „herum läufst, ist es nicht einfach die Finger bei mir zu behalten.“

„Du sagtest ja schon, dass du mich recht anziehend findest.“

„Kira, ich finde Frauen im allgemeinen anziehend. Du, kleines Kätzchen, machst mich verrückt. Und so langsam verliere ich den Gefallen daran.“

Ich stöhnte auf. Mehr vor Scham, als Erregung, doch für ihn schien das gerade keinen Unterschied zu machen. Mit einem Knurren, das für meine Ohren ziemlich animalisch klang, packte er meine Handgelenke und drückte sie über meinem Kopf ins Kissen, ehe er mich wieder küsste. Diesmal schien es etwas außer Kontrolle, denn da war nahezu keine Sanftheit in diesem Kuss. Er begann sogar mir in die Lippen zu zwicken, während er seinen schweren Körper an meinen presste.

Kapitel 6

 

Zwei Stunden später presste Lucifer noch immer frustriert die Lippen aufeinander, beendete das Telefonat und reichte Johann das Telefon, wegen dem er an der Tür geklopft und uns gestört hatte. Als der Butler nun das Zimmer verließ, seufzte der Teufel leicht gereizt und massierte sich das Nasenbein.

„Probleme mit deinen Geschäften?“, fragte ich ihn unschuldig, die Decke bis unters Kinn hochgezogen.

Er warf mir glühende Blicke zu. „Mein größtes geschäftliches Problem bist du.“

Ich hob die Brauen, zog sie dann aber beleidigt zusammen. „Ich bin ein Problem für dich?“

Resigniert seufzte er auf und kam, wie so oft an diesem Tag, an das Bett heran. „Die Dämonen werden unruhiger.“, merkte er an, „Wie ich gesagt habe.“

„Es sind doch deine. Bring sie unter Kontrolle.“

Der Blick, den er mir daraufhin zuwarf, war fast so finster wie seine Seele. „Du musst deinen Teil des Vertrages erfüllen, Kira.“

Gelangweilt schloss ich meine Augen. „Kari. Mein Name ist Kari. Und ob du es glaubst, oder nicht, aber ich habe tatsächlich bereits darüber nachgedacht, was ich dir geben könnte, aber alles hat irgendwo einen Nachteil, wie du sicher weißt.“

„Du musst dich trotzdem entscheiden, sonst muss ich Maßnahmen ergreifen, die dir nicht gefallen werden.“

Ich verzog das Gesicht. „Maßnahmen?“

„Es hatte nie jemand so viel Zeit wie du. Ich hätte schon viel früher Maßnahmen ergreifen müssen.“

„Was für Maßnahmen?“

„Für gewöhnlich lasse ich die Entschädigung entfallen und nehme mir die Seele.“

Unwillkürlich erstarrte ich. „Aber-“

Er hob eine Hand. „Für gewöhnlich. Aber du hast mich während deinem Aufenthalt bisher auch gut unterhalten.“ Nachdenklich legte er eine Hand an sein Kinn. „Die Zeit mit dir im Bett-“ Er unterbrach sich selbst und schien zu grübeln, ehe er sich selbst zunickte. „Du könntest es abarbeiten.“

„Ab-Abarbeiten?“, wiederholte ich perplex.

„Als meine Mätresse.“

„Mo- Moment... Ich habe nicht vor mit dir zu schlafen.“, erinnerte ich ihn sofort.

Ungeduldig seufzte er. „Das habe ich auch nicht gesagt.“

„Aber du sagtest-“

„Du könntest meine Mätresse werden.“, wiederholte er, „Das hat in der Hölle eine andere Bedeutung als in deiner ehrlosen Menschenwelt.“

„Und welche?“, fragte ich vorsichtig, war mir aber nicht sicher, ob ich es wissen wollte. „Ist es gefährlich? Mit Schmerzen verbunden? Oder sexuellen Akten?“

„Du wärst an mich gebunden. Aber es wäre eine Bindung, die aufgehoben werden kann. Deine Seite des Vertrages wäre erfüllt, du könntest wieder in deine Wohnung zurück. Außerdem würdest du einige Fähigkeiten dazugewinnen. Mit etwas Übung könntest du dich dematerialisieren, portieren und materialisieren.“

„Portieren?“, wiederholte ich verwundert.

„Das ist der Vorgang zwischen der Dematerialisation und der Materialisierung. Der eigentliche Prozess, der dich von einem Ort zum anderen bringt.“

„Und die anderen beiden Sachen?“

„Im Grunde wird dein Körper in seine Atome zerlegt und wieder zusammen gesetzt.“

Ich schluckte. „Das klingt nicht angenehm.“

„Man spürt es nicht. Dir wird von der Portation schwindelig, nicht von der Demat-“

„Gut, gut.“, unterbrach ich ihn hastig, „Okay, ich kann puffen, und weiter?“

Einen Moment starrte er mich an, schloss dann aber mit einem Seufzen die Augen. „Das Dasein der Mätresse ist eine Art Übergangszeit, bis ich dich entweder entlasse oder dich-“ Abrupt hielt er inne und zog die Brauen zusammen, als wäre ihm etwas eingefallen, das er vergessen hatte.

„Oder mich?“, wiederholte ich langsam.

„Oder dich endgültig an mich binde.“, beendete er halblaut seinen Satz, „Das würde dich zu meiner Partnerin machen.“

„Partnerin.“, wiederholte ich langsam, „Wie... ein Geschäftspartner?“

Langsam schüttelte er den Kopf. „Eher wie... wie ihr Menschen sagen würdet, Ehepartner. Du wärst meine Braut.“

Stille breitete sich aus. Nach einer Weile räusperte ich mich. „Deine Braut.“

„Es muss nicht zwangsläufig darauf hinauslaufen. Die Bindung an eine Mätresse hält sechs Monate, wenn sie nicht vorher stirbt.“

„Das ist also sowas wie eine Verlobung.“, bemerkte ich nachdenklich.

„Man könnte es damit vergleichen, aber als meine Mätresse, hättest du bereits einige Privilegien. Nicht so viele, wie eine Braut, aber schon mehr als jetzt.“

„Ich habe jetzt Privilegien?“, bemerkte ich überrascht.

„In dieser Welt hier ja, aber nicht in der Unterwelt. Als Mätresse hättest du auch dort welche. Als Braut aber wärst du meine ebenbürtige Partnerin und hättest dieselben Fähigkeiten wie ich. Wir würden Macht miteinander teilen, Gedanken und Gefühle. Du wärst genauso mächtig wie ich. In beiden Welten.“

Ich verzog ein wenig den Mund. „Würde das nicht meine Seele... beflecken?“

„Nicht zwangsläufig.“

Nachdenklich knabberte ich an meiner Unterlippe herum. „Ich glaube nicht, dass ich deine Braut werden möchte.“

„Es ging auch darum, ob du meine Mätresse wirst.“, entgegnete er leicht entnervt.

„Oh, ja genau.“ Ich schloss kurz die Augen. „Sechs Monate sind eine lange Zeit.“

„In der Zeit alterst du nicht, also wäre sie für dich nicht verloren. Außerdem kannst du dennoch in dein Leben zurück.“

Abwesend verzog ich ein wenig das Gesicht. „Wie oft würde ich dich dann noch sehen?“

„So selten, wie du es dir wünschst. Ich wäre nicht mehr gezwungen in deiner Nähe zu sein, oder deinen Tod zu verhindern.“ Er zögerte. „Deine Seele würde keinen Schaden nehmen, aber wenn du dem zustimmst, wird deine Seele unweigerlich zu mir kommen, wenn du sterben solltest. Immerhin handelt es sich dabei in gewisser Maßen um einen Pakt mit dem Teufel, wie es der Scheinheilige bezeichnen würde.“

Unsicher malträtierte ich meine Unterlippe noch mehr. So oder so würde er letztendlich meine Seele bekommen, aber abgesehen davon würde ich keinen Schaden davon tragen.

„Ich- Ich brauche etwas Zeit, um darüber nachzudenken.“, murmelte ich schließlich.

Er knirschte mit den Zähnen.

„Ich kann jetzt nicht einfach ja sagen.“, fuhr ich schnell fort, „Ich muss die Informationen erst einmal verarbeiten.“

Tief durchatmend schloss er kurz die Augen, ehe er nickte. „Nun gut. Ich gebe dir noch zwei weitere Tage, aber dann brauche ich wirklich eine Antwort. Bis dahin solltest du auf jeden Fall mehr essen.“

Ich verzog das Gesicht, protestierte aber nicht. „Wenn ich dir verspreche mich dann zu entscheiden, bringst du mich dann wenigstens für zwei Stunden zu mir nach hause?“

Verwirrt sah er mich an. „Warum?“

„Es gibt da etwas wichtiges, das ich erledigen muss.“

Seine Nasenflügel bebten und einen Moment sah er aus, als würde er mir die Bitte abschlagen. „Zwei Stunden sagst du.“, wiederholte er, „In Ordnung. Aber zuerst...“ Sein Blick fiel auf die Erdbeeren und die Sahne, die Johann als Nachtisch mit hinauf gebracht hatte, und schürzte die Lippen. Dann sah er wieder zu mir, betrachtete mich einen Moment.

Ich zog mir die Decke wieder bis unter das Kinn. „Woran denkst du gerade?“

Ein leises Lächeln umspielte seinen Mundwinkel. „Dass die Sahne von deinem Körper bestimmt noch besser schmeckt.“

Hitze schoss mir ins Gesicht. „Solltest du nicht vielleicht runter in die Halle gehen, um Leticia zu lehren?“

„Wer passt dann darauf auf, dass du deine Mahlzeit auch vollständig isst?“

Ich schluckte kurz. „Nun, wenn ich alles esse, hast du keine Gelegenheit die Sahne von meinem Körper zu lecken.“

Plötzlich wurde sein Körper starr und seine Augen begannen zu glühen. „Wie wäre es, wenn du sie stattdessen von meinem Körper leckst?“

Bei diesem Angebot blieb mir der Mund offen stehen. Gleichzeitig überflutete mein Kopf mich mit Erinnerungen daran, wie sein Körper aussah, wie er sich anfühlte. „Wie kommt es, dass du in letzter Zeit so viel Interesse an sexuellen Handlungen hast?“, kam es mir plötzlich über die Lippen.

Diese betrachtete er gerade sehr genau. „Ich hatte keine Frau mehr, seit ich in deinem Wohnzimmer gelandet bin. Eigentlich sogar ein paar Tage länger.“

„Das ist gerade mal … Wie lange ist das her?“

„Rund zwei Wochen.“, murmelte er mit lüsternem Blick.

„Das ist doch nicht lange.“

Er seufzte leise. „Es gibt vieles, was du noch nicht weißt. Dämonen sind sehr primitiv, weißt du?“

„Aber du bist kein Dämon.“

„Aber ich bin auch kein ganzer Mensch. Meine Triebe sind stärker als die eines Menschen. Es gab Zeiten, da hatte ich drei Frauen an einem Tag.“

Ich blinzelte. „Du solltest dir auf keinen Fall eine eifersüchtige Frau anlachen.“

„Bist du ein eifersüchtiger Typ?“, fragte er mit gehobener Braue.

„Ein bisschen, aber ich halte mich nicht an der Vergangenheit fest, wenn sie meine Gegenwart und Zukunft nicht beeinflusst. Warum nimmst du dir nicht eine Frau?“, fragte ich dann nachdenklich, „Oder stört es dich, dass ich hier bin? Schläfst du normalerweise hier mit ihnen?“ Bei der Vorstellung davon, dass er hier vielleicht mit hunderten von Frauen geschlafen hatte und ich bereits seit zwei Wochen in diesem Bett schlief, wurde mir plötzlich schlecht.

„Nein, du bist die erste Frau, die ich hierher gebracht habe.“

Abrupt verschwand jeglicher Hauch von Übelkeit und machte Überraschung Platz. „Die erste?“

„Ja.“

„Wie lange besitzt du dieses Haus schon?“

„Sehr sehr lange.“ Sein Blick glitt langsam etwas tiefer.

„Aber... warum dann ich?“

Schweigend betrachtete er mich eingehend, ehe er schwer seufzte und die Augen schloss. „Ich gehe jetzt hinunter. Iss wirklich alles. Die Lehrstunde wird einige Stunden dauern, aber wenn sie vorbei ist, komme ich wieder und bringe dir noch etwas zu Essen mit. Bleib solange hier.“

Ich seufzte schwer. „Ich bin nur ein wenig unterernährt, nicht todkrank.“, protestierte ich, doch er war bereits verpufft.

Leise vor mich her grummelnd griff ich frustriert nach der Schüssel mit den Erdbeeren.

 

Es war tatsächlich sehr spät, als Lucifer plötzlich mitten im Zimmer erschien. Ich erschreckte mich so heftig, dass mir das Buch, dass Johann mir gnädigerweise gebracht hatte, damit ich mich beschäftigen konnte, ins Schoß fiel.

„Ach du meine Güte!“, rief ich aus und fasste mir an die Brust, woraufhin er mich überrascht ansah. „Du hast mir einen Mordschrecken eingejagt.“

Er seufzte leise und trat mit einem neuen Tablett zu mir, auf dem reichlich Gerichte standen. Als ich einen Blick darauf warf, stellte ich begeistert fest, dass sich nichts darauf befand, wogegen ich auch nur ansatzweise allergisch reagieren könnte. Dann, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ging er hinüber ins Bad, ließ die Tür aber offen, als wäre es die Mühe nicht wert.

Das verwirrte mich dann doch.

Er mochte zwar kein normaler Mensch sein, wenn man ihn denn so bezeichnen konnte, doch hatte ich bisher den Eindruck gehabt, dass ihm seine Privatsphäre wenigstens ein wenig bedeutete. Wenigstens genug, um die Badezimmertür hinter sich zu schließen. Als wenige Augenblicke später das Rauschen von Wasser zu hören war, verwirrte mich das nur umso mehr.

Dann fiel mir auf, dass er noch kein Wort gesagt hatte, seit er wieder da war.

Nun, vielleicht ist er einfach müde. Ich sollte mir nicht zu viele Gedanken machen.

Als er eine halbe Stunde später wieder aus dem Bad kam, war ich bereits wieder ins Buch vertieft und bemerkte kaum, wie er nackt das Bett umrundete. Selbst als die Matratze sich bewegte, weil er sich an den Rand setzte und sich herüber lehnte.

„Was liest du da?“, fragte er direkt neben mir.

Er hatte sich so dicht neben mir abgestützt, um mit ins Buch zu sehen, dass seine Schulter meinen Oberarm berührte. Seine Haare kitzelten meine Schulter.

Diesmal zuckte ich nur ein wenig zusammen, seufzte dann aber über meine Dummheit und zeigte ihm das Cover. Er wirkte nicht im Mindesten überrascht, als er erkannte, dass es sich um einen Liebesroman handelte.

„Ah.“, machte er stattdessen nur, als erinnere er sich an ein längst verstrichenes Ereignis. „Ich erinnere mich an das Buch. Sehr romantisch. Und auch sehr schlüpfrig.“

Röte legte sich auf meine Wangen. „Du hast es gelesen?“

„Sonst stünde es nicht in meiner Bibliothek.“

„Aber... das ist Frauenliteratur.“

Er zuckte mit den Schultern. „Es hilft zu verstehen, was Frauen sich wünschen. Ihr neigt selten dazu eure Gedanken mitzuteilen und in diesen Büchern kann ich sie sogar nachlesen.“

Ich sah auf das Buch herab, ehe ich wieder zu ihm aufsah. „Aber warum interessierst du dich für die Wünsche einer Frau?“

Einen Moment dachte er nach. „Viele Frauen haben irgendwo den Wunsch etwas an sich zu ändern. Ich kenne keine Frau, die zufrieden mit ihrem Körper ist und ich habe schon Model in meinem Bett gehabt.“, merkte er an und warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu.

„Aber was nützt dir dieses Wissen?“

„Ich wollte nur anmerken, das jede Frau etwas an sich auszusetzen hat. Viele mögen auch etwas an ihrer Art nicht. Einige halten sich für zu schüchtern, andere für zu feige. Wieder andere zu faul und dann gibt es noch die, die besonders tollpatschig sind. Mit meinen Verträgen gebe ich den Frauen die Möglichkeit diese in ihren Augen schlechten Charakterzüge abzuwerfen.“

„Also gehen sie den Vertrag eher mit dir ein.“, schlussfolgerte ich.

„Das müssen sie so oder so. Aber es ist weniger nervenaufreibend, wenn sich die Frauen schnell für eine Entschädigung entscheiden.“

„Aber sagtest du nicht, du könntest dir mit diesem Trick auch direkt ihre Seele holen?“

Er seufzte leise. „Ja, das ginge. Allerdings hat es nicht denselben Effekt.“

„Wie meinst du das?“

Die Stille, die daraufhin eintrat, hielt fast zwei Minuten, während ich beobachtete, wie er scheinbar konzentriert nachdachte und mit sich selbst rang.

„Weißt du, warum ich Seelen sammle?“

Einen Moment zögerte ich, ehe ich darüber nachdachte. „Wenn du so fragst, dann tust du es wahrscheinlich nicht aus reiner Boshaftigkeit. Also muss es dafür einen logischen Grund geben.“

Das Lächeln, das sich auf seinem Gesicht ausbreitete, war mir neu. Er schien irgendwie zufrieden. Oder gar... stolz. „Richtig.“

Ich rieb mir mit dem Daumen über die Unterlippe und suchte einen Grund, warum man Seelen sammeln sollte. „Geht es dabei um Macht?“

Er griff nach einer Strähne meines Haares und wickelte sie sich um einen seiner Finger. „Ich bin eines der machtvollsten Wesen, Kari. Es gibt keinen Grund, warum ich noch mehr Macht anstreben sollte.“

Seine Antwort brachte mich so intensiv dazu nachzudenken, dass ich beinahe überhörte, dass er mich Kari genannt hatte. Beinahe. Plötzlich prickelte es so heftig in meiner Bauchgegend, dass ich unwillkürlich eine Hand darauflegte und den Atem anhielt.

„Alles okay?“, fragte er und sah mich besorgt an.

Schnell blinzelte ich und zog die Hand wieder weg. „Ja, ich... bin bloß überrascht. Du hast mich Kari genannt.“

Sein Kiefermuskel zuckte. „Sicher?“

„Ja.“

Langsam atmete er aus. „Fühlst du dich seltsam?“

Verwirrt sah ich ihn an.

„Fühlst du dich irgendwie berauscht oder benommen?“

„Nein.“, entgegnete ich skeptisch, „Warum sollte ich?“

Meine Antwort schien ihn zu beruhigen. „Ich besitze viele Fähigkeiten. Eine davon ist Frauen zu betören, indem ich schlicht ihren Namen ausspreche. Das ist leider eine unbewusste Fähigkeit.“

„Deshalb nennst du mich Kira?“

„Ja.“

Das war irgendwie... rücksichtsvoll. Er hätte mich die ganze Zeit verführen können, doch er hatte es nicht getan. Da dieser Gedanke mich genauso verwirrte, wie all die anderen Dinge, merkte ich, wie mein Gehirn langsam begann sich gegen zukünftige Arbeit zu wehren und seufzte leise.

„Okay, eins nach dem anderen.“, murmelte ich, eher zu mir selbst als zu ihm. „Warum sammelst du nun Seelen?“

Sein Blick hing noch einen Moment an meiner Strähne, ehe er sie losließ und sich eine andere nahm. Eine dickere. „Hast du dich nie gefragt, warum ich so lange lebe?“

Meine Augen weiteten sich. „Sie geben dir Lebenskraft?“

„So wie es Nahrung für dich tut.“, stimmte er zu und zog sich die Strähne an seine Nase um sie... zu beschnuppern. Vielleicht täuschte ich mich nur, aber es schien, als würden seine Augen eine kleine Schattierung dunkler werden. Dann beugte er sich noch etwas näher und vergrub die Nase in meinem Haar, ehe er tief einatmete. „Mir gefällt dein Duft.“, verkündete er dann und ließ es so klingen, als wäre es eine hiesige Ankündigung.

„Äh... danke.“, entgegnete ich daraufhin, „Aber wie funktioniert das mit den Seelen? Sind sie sowas wie deine Ernährung?“

„So ähnlich.“, gab er zu und griff beiläufig nach dem Buch, um es beiseite zu legen. „Als ich noch jünger war, konnte ich meine Gestalt nach Belieben wechseln, bis sie sich schließlich gefestigt hat. Im Laufe der Zeit hat sie sich angepasst. Ich hatte nicht immer einen festen Körper. Eine DNA. Irgendeine Art von Struktur.“

„Also wurdest du nicht geboren?“

„Nicht in dem Sinne, wie du ihn kennst. Es gibt viele Formen von Macht. Einige... Wesen existieren in Form von Energie.“

„Du meinst Geister?“

„Zum Beispiel. Aber es gibt noch andere Wesenheiten, für die die Menschheit keinen Namen hat, weil sie sie nicht kennt. Sie bestehen aus purer Energie, aus purer Macht. Zwei dieser Wesenheiten waren meine Eltern. Sie vereinten sich, als die Erde noch jung war.“ Er seufzte schwer. „Als Wesenheit alterst du nicht, daher gibt es keine Lebenserwartung. Doch hast du dich dafür entschieden eine feste Gestalt anzunehmen, einen Körper, ein Gefäß für deine Macht und Energie zu erschaffen, musst du diesen Körper nähren.“

„Du sagtest mir, das dein Körper alles verwertet, was du aufnimmst.“

„Ja.“

„Also... warum brauchst du die Seelen?“

Sein Blick glitt an meinen Armen entlang, ehe er mit den Fingerspitzen darüber glitt. „Nahrung wandelt er in Energie um. Der Körper benötigt aber Lebenskraft. Als ich noch jünger war, habe ich Menschen getötet um sie zu bekommen. Es hat lange gedauert, bis ich verstand, dass die Lebenskraft, die ich benötige, in den Seelen steckt.“

„Also nähren die Seelen deinen Körper.“

„Korrekt.“

„Und wenn du aufhörst Seelen zu sammeln?“

„Es würde lange dauern, weil ich bereits unzählige Seelen gesammelt habe, aber irgendwann würde mein Körper altern und sterben.“

„Und du? Als Wesenheit?“

„Ich bin... sozusagen mit dem Körper verwachsen. Ich bin zum Teil Mensch geworden. Stirbt mein Körper, so sterbe auch ich.“

„Also brauchst du die Seelen um zu überleben.“

„Ja.“

Ich dachte einen Moment darüber nach, verarbeitete die Informationen. „Also... bist du gar nicht der Ursprung allen Bösen?“

Er lachte leise. „Das würde ich nicht behaupten. Es gibt kein Gut oder Böse. Menschen tragen von Natur aus etwas von dem in sich, was sie als Bosheit bezeichnen. Es ist nur natürlich, dass ich, der nur überleben kann, wenn andere ihre Seele hergeben, als etwas durch und durch bösartiges bezeichnet wird.“

Das machte durchaus Sinn. „Also hast du auch gute Eigenschaften. Du willst nicht zwingend immer schlechtes.“

Er antwortete nicht.

„Das erklärt so einiges.“

Nach einem weiteren Moment des Schweigens stand er auf und umrundete wieder das Bett, wobei ich hochrot anlief. Hat er die ganze Zeit nackt neben mir gelegen?

„Oh, bei aller Güte, zieh dir gefälligst etwas an!“, kreischte ich nahezu und schlug mir die Hände vors Gesicht.

„Genau das habe ich gerade vor, Kätzchen.“, entgegnete er amüsiert, „Du solltest essen.“

Sobald ich mir sicher war, dass er sich in seinem begehbaren Kleiderschrank befand, nahm ich die Hände wieder herunter und rutschte an die Bettkante, um mir die Gerichte anzusehen, ehe ich langsam begann zu essen. Nachdenklich kaute ich und verdaute, was Lucifer gesagt hatte, während er wenige Sekunden später mit einer Pyjamahose bekleidet zurück kam und sich zu mir setzte, um ebenfalls zu essen. Das erklärte die Menge an Gerichten.

„Sag mal...“, hob ich eine ganze Weile später an, nachdem fast alles gegessen war.

Er hob den Blick zu mir. „Ja?“

„Leticia ist deine einzige Tochter, richtig?“

„Ja, warum?“

Fragend sah ich ihn an. „Woher kommen die Dämonen?. Sie werden wohl kaum eine Form von Nachfahren deinerseits sein.“

Sein Mundwinkel hob sich wieder. „Nein, da hast du Recht. Sie sind Nachfahren meiner Eltern. Genauer genommen, meiner Schwester Lilith. Ein paar Jahrhunderte nachdem ich als erste Wesenheit einen Körper erschaffen habe, taten meine Eltern es mir nach und einige Jahrtausende später zeugten sie Lilith. Da sie zu der Zeit eine halbwegs feste Gestalt hatten, war Lilith seit ihrer Geburt an einen Körper gebunden und daher nicht ansatzweise so mächtig wie ich.“ Er hob eine Schulter. „Ihre Kinder sind die Fürsten der Hölle. Und diese zeugten die Dämonen.“

„Also könnte man sagen, Lilith sei der Ursprung allen Bösen.“

Dieser Gedanke schien ihn zu amüsieren. „Wenn man schwarz und weiß denkt... ja.“

Leise seufzend lehnte ich mich an seine Schulter und schob mir eine Stück mit Schokolade überzogene Banane in den Mund. „Für wie lange hast du bereits Seelen gesammelt?“, fragte ich dann neugierig.

Schweigend betrachtete er mich einige Sekunden, ehe er einen Arm um mich legte. „Ich schätze etwa 53 Millionen Jahre. Tendenz steigend.“

Mit großen Augen sah ich zu ihn auf. „Du bist alt.“

Er hob eine Braue. „Meine Eltern waren um ein vielfaches älter.“

Ich schluckte und brauchte einen Moment, das zu verarbeiten, ehe mir dieses eine Wort auffiel. „Waren? Heißt das...“

„Ihre Körper verhungerten. Meine Eltern haben das Leben sehr respektiert und weigerten sich irgendwelchen Lebewesen Schaden zuzufügen. Ehe wir erkannten, dass wir jedoch die Lebenskraft anderer Wesen brauchten, waren sie nicht mehr in der Lage ihre Körper zerfallen zu lassen. Ihre Energien waren zu sehr mit ihnen verwoben.“

„Sie starben also freiwillig.“

„Ja.“

„Das tut mir leid für dich.“ Ich zögerte. „Ich weiß nicht, wie viel du über mich weißt, aber ich habe auch meine Eltern verloren.“

Neugierde flackerte in seinen Augen auf. „Auf solche Informationen kann ich nicht zugreifen. So etwas hat mit deinem Vorfall nichts zu tun.“ Er machte eine kurze Pause. „Was ist passiert?“

Gemütlich bettete ich meine Wange an seiner Schulter, sodass ich nicht den Ausdruck in seinen Augen hätte sehen müssen. „Es war brutaler Mord.“, begann ich dann, „Mein Bruder Wave, meine Eltern und ich waren im Urlaub in den schottischen Highlands, als ich 9 Jahre alt war. Ich habe sie schon geliebt bevor ich sie sah. Die Berge. Die Burgen. Die Landschaften. Und wir nahmen jeden Touristenort mit. Allein am Loch Ness verbrachten wir zwei Tage und dann einen weiteren Tag im Urquhart Castle. Die Nacht vor der Abreise verbrachten wir in einem B&B in der Nähe von Inverness.“ Als ich spürte, dass meine Hände begannen zu zittern, grub ich die eine zwischen uns ins Laken und presste die andere an meine Brust. „Wir nahmen nur das nötigste mit auf das Zimmer und ich machte mich im Bad gerade fertig fürs Bett, als ich die Besitzerin des B&B im Erdgeschoss schreien hörte. Vor Schreck hatte ich mich erst nicht bewegen können, doch dann schrie sie erneut und hörte gar nicht mehr auf, ganz so, als würde man ihr weh tun.“ Ich schluckte schwer. „Ich lief hinaus auf den Flur und wollte hinüber in das Zimmer, das ich mir mit Wave teilte, doch er kam mir bereits entgegen und zog mich den Flur entlang, weg von der Treppe. Am Ende des Flures war dieser riesige Schrank voller alter langer Mäntel und ohne sich umzudrehen riss er ihn auf und schob mich hinein. Er drapierte die Mäntel vor mir, sodass man mich nicht mehr sehen konnte und sagte mir ich solle mich nicht bewegen und keinen Mucks von mir geben, bis er mich holte. Dann schloss er den Schrank wieder und verschwand.“ Einen Moment war alles still und ich musste mich zusammen reißen nicht den Kopf zwischen die Knie zu klemmen und die Arme darum zu legen.

„Jemand war herein gekommen, oder?“, fragte Lucifer leise.

„Ja.“, hauchte ich, „Es war so dunkel in dem Schrank, also habe ich die Mäntel ein wenig herum geschoben, bis ich durch den Spalt zwischen den Türen sehen konnte. Ich hörte schwere Schritte auf der Treppe und die Schreie der Frau wurden immer lauter. Der Mann sprach in einer Sprache mit ihr, die ich nicht verstanden habe und er schleuderte sie vor sich auf den Boden. Sie umklammerte ihren rechten Arm und ich habe erst nicht verstanden, dass ihr die rechte Hand fehlte. Er hielt in seiner eigenen eine sehr scharfe Machete.“ Ich stockte. „Die Frau begann zu flehen, glaube ich. Es hörte sich so an. Da kam mein Vater aus dem Zimmer und stürzte sich auf den Fremden. Ich hörte Mom schreien, als der Fremde Dad einfach an die Wand stieß und ihm den Bauch aufschlitzte.“

„Kari, du musst nicht weiter reden, wenn du nicht willst.“ Er zog mich in seine Arme. „Du zitterst bereits am ganzen Körper.“

„Ich hatte einfach solche Angst.“ Ich vergrub mein Gesicht an seiner Brust. „Ich konnte mich nicht bewegen.“

„Es hätte dich das Leben gekostet, wenn du es getan hättest.“

Tränen quollen aus meinen Augen. „Jedes Mal, wenn ich versuche an meine Eltern zu denken oder Wave wiedersehe, habe ich diese Bilder vor Augen. Dad, der ausgeweidet und kopflos mitten im Flur liegt. Mom lag vergewaltigt, erwürgt und verstümmelt in ihrem Bett.“

„Hat ein Bruder überlebt?“

„Ja. Im Zimmer neben dem Schrank gab es eine Luke auf den Dachboden, die man aber nur schwer erreichte.“

„Warum hat er dich nicht mit dorthin genommen? Da wärst du doch sicherer gewesen.“

„Ich weiß es nicht.“

Er atmete schwer aus und streichelte mir übers Haar, hielt mich fest, bis ich mich langsam wieder beruhigte. „Na komm.“, meinte er schließlich und hob mich ins Bett. „Es ist wirklich sehr spät. Lass uns schlafen.“

Ich wartete geduldig ab, bis er neben mir lag, ehe ich zu ihm heranrückte. Überrascht erstarrte er einen Moment, legte dann aber die Arme um mich und hielt mich an sich gedrückt. Wegen der schweren Vorhänge war Lucifer das einzige, was ich wahrnahm. Sein Atem, das einzige Geräusch, das ich hörte. Sein Körper war warm, beinahe heiß und mir war klar, dass ich in der Nacht schwitzen würde, wenn wir so schliefen, aber im Moment wollte ich nicht, dass wir etwas anderes taten.

„Mach die Augen zu.“, hörte ich ihn murmeln.

Mein Mundwinkel hob sich leicht. „Es macht doch keinen Unterschied, ob sie offen sind oder nicht.“ Dennoch schloss ich die Augen und vergrub mein Gesicht an seiner Brust.

„Für deinen Körper macht es einen Unterschied.“

„Für deinen nicht?“

„Doch. Ich kann aber auch im Dunkeln sehen.“

Überrascht sah ich zu ihm auf. Oder... hoffte, dass ich zu ihm aufsah. „Tatsächlich?“

„Ja.“

„Und... mmmh... Was tue ich jetzt?“

„Du siehst nur- Hey. Werd nicht frech.“

Amüsiert lachte ich leise und schrie vor Überraschung auf, als er mich an der Seite kitzelte. „Lass das!“, rief ich dann aus und begann lachend zu zappeln.

„Das ist die Strafe dafür, dass du dem Teufel die Zunge raus gestreckt hast.“

Mein Gesicht wurde heiß und gerade, als ich dachte, ich würde einen Muskelkater im Bauch bekommen, hörte er auf und zog mich wieder an sich. Diesmal enger.

„Ich entschuldige mich für meine dreiste Tat, oh großer Herr der Unterwelt.“, entschuldigte ich mich gestelzt und kam nicht umhin zu kichern.

„Machst du dich über mich lustig?“

Obwohl es dunkel war, konnte ich das rote Glühen seiner Augen sehen, doch er klang genauso belustigt wie ich, also rieb ich meine Wange an seinem Schlüsselbein und lachte leise. „Oh ja, du großer böser schwarzer Mann. Das tue ich.“

Einen Moment schwieg er. „Eigentlich müsste ich dir jetzt sagen, was für grausame Dinge ich mit Leuten anstelle, die so etwas tun, damit du es nicht mehr tust, aber...“ Er zögerte. „Es gefällt mir nicht, wenn du Angst vor mir hast.“

Mein Lächeln verschwand und ich sah ernst zu den tiefroten Ringen auf. „Das... Du... Heißt das... du magst mich?“

Wieder schwieg er ein wenig und ich konnte sehen, wie seine Iris noch roter wurde, bis es aussah, als würden jeden Moment lodernde Bluttropfen herausfallen. „Ich denke... mögen ist nicht der richtige Ausdruck.“, grollte er mit hörbar tieferer Stimme. Sie wirkte fast verzerrt und jagte mir einen erregenden Schauer über den Körper.

Wer hätte gedacht, dass mein Typ Kerl der Teufel war?

„Wie würdest du es sonst nennen?“

„Kätzchen.“, knurrte er und kam etwas näher. „Ich will dir doch keine Angst machen.“

Ich blinzelte. „Du machst mir schon lange keine Angst mehr.“

Lange blickte er mich an. Dann spürte ich seine Hand an meiner Wange und... Verdutzt griff ich nach seiner Hand und ließ die Finger über seine eigenen gleiten.

„Du hast ja Krallen.“, bemerkte ich überrascht, ehe ich seine Hand wieder an meine Wange legte.

„Nur, wenn ich will. Oder wenn ich... ein bisschen außer Kontrolle gerate.“

„Was hast du noch so?“

Ich konnte Amüsement in seinem Blick aufflackern sehen. „Eine sehr harte Erektion.“

Ich war mir sicher im Moment der Familie der Tomaten anzugehören. Mein Gesicht brannte vor Verlegenheit. Er seufzte zufrieden. Ich musste mich mehrfach räuspern, ehe ich etwas sagen konnte. „Nun... Scheinbar gibt es doch ein paar Dinge, über die du keine Kontrolle hast.“

Ein leises Lachen brach aus ihm heraus. Im Vergleich zum letzten Mal klang es diesmal irgendwie erotisch. Zu gerne hätte ich gesehen, wie er dabei aussah. Im Versuch es zu ertasten, hob ich die Hand an sein Gesicht und er drehte es prompt der Handfläche zu und drückte einen Kuss hinein. Beinahe, als wolle er mir danken.

„Ich mag dein Lachen.“, bemerkte ich, „Das solltest du öfter tun.“

„Du kannst mich ja dazu bringen.“

„Flirtest du etwa mit mir?“

„Mhmm.“, machte er zufrieden, „Schon sehr lange.“

Mit einem Mal spürte ich mein Herz aufgeregt flattern. Einen Moment verschlug es mir den Atem und ich brauchte ganze zehn Sekunden, bis ich verstand, dass ich dabei war... mich in ihn zu verlieben.

Seltsam schockiert von dem neuen Wissen lag ich einfach nur da und starrte vor mich her, während er mich offenbar betrachtete und sachte über meine Wange streichelte.

Wie ironisch. Er erzählte mir, er sei nicht einfach nur ein Teufel, wie er im Buche stand, sondern eine mächtige Wesenheit, die Millionen von Jahren alt war und ich nahm es einfach so hin. Dann stellte ich fest, dass ich Gefühle entwickelte und es schockierte mich bis in die Knochen.

„Was hast du?“, fragte er besorgt, „Tut dir etwas weh?“ Einen Moment schien es, als würde er horchen. „Dein Herz rast ja. Hast du Fieber?“

Mein Atem stockte, als er so nahe kam, dass er seine Stirn an meine legen konnte. So verharrte er einen Moment, während er mich nachdenklich betrachtete. Dann weiteten sich seine Augen und ich wusste, dass er es wusste.

„Kari...“, murmelte er.

„Ich weiß.“, stimmte ich zu, ehe er aussprechen konnte, was er dachte. „Das ist eine schlechte Idee.“

Er hielt den Atem für ein paar Sekunden an, senkte dann aber den Blick und löste sich sanft von mir. „Ja. Ich bin froh, dass du das weißt.“

Langsam nickte ich. „Können wir... Freunde sein?“

„Was kriege ich dafür?“, neckte er mich, klang dabei aber irgendwie seltsam.

„Meine Freundschaft?“

„Und was daran ist der Vorteil?“

„He.“, beschwerte ich mich, „Ich dachte, du magst mich.“

„Und ich dachte, ich hätte gesagt, mögen sei nicht der richtige Ausdruck.“ Ich schmollte, woraufhin er schwer seufzte. „Ja, wir können Freunde sein.“

Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.

„Nachdem du endlich deinen Teil des Vertrags erfüllt hast.“

Das brachte es wieder zum Erlöschen. „Ich werde das wirklich tun. Meinen Teil erfüllen.“

„Bis morgen Abend.“

Ich blinzelte verdutzt. „Ich dachte, ich hätte noch zwei Tage.“

„Ja und das seit gestern Abend. Heute Abend ist der erste der zwei Tage um.“

Erneut begann mein Herz schneller zu klopfen. Diesmal aus Panik. „I-ich weiß nicht, ob ich bis dahin etwas habe.“

„Ich kann dir nicht noch mehr Zeit geben. Aber du hast noch etwas über 24 Stunden Zeit. Schlaf erst einmal und dann kannst du dir nochmal in Ruhe Gedanken machen, in Ordnung?“

„Aber bevor ich mir Gedanken mache, musst du mich für zwei Stunden nach hause bringen.“

Einen Moment schwieg er. „In Ordnung. Du schläfst erst einmal. Sobald du wach und bereit bist, bringe ich dich nach hause. Für genau 120 Minuten. Keine Sekunde länger. Dann bringe ich dich wieder her und du wirst dir Gedanken um deinen Teil machen. Um Mitternacht werde ich dich fragen, was du mir als Entschädigung geben wirst und dann ist das alles erledigt. Einverstanden?“

„Einverstanden.“, entgegnete ich mit einem Nicken.

„Gut.“ Er zögerte. „Versprochen?“

Ein kleines Lachen meinerseits. „Versprochen.“

„Besser. Dann fang an dein Versprechen einzulösen und schlaf jetzt.“

„Tyrann.“, entgegnete ich und drehte mich auf die andere Seite.

„Kleines Kätzchen.“

Ein paar Augenblicke war es still. Dann hob ich an: „Warum kann ich eigentlich-“

„Kari.“, unterbrach er mich mahnend.

„Okay okay. Gute Nacht.“ Und mit einem seligen Lächeln schlief ich ein.

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Texte: © Copyright 2016 – Alle Inhalte, insbesondere Texte sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, einschließlich der Vervielfältigung, Veröffentlichung, Bearbeitung und Übersetzung, bleiben vorbehalten, Lisa Irmer
Tag der Veröffentlichung: 23.12.2016

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