Es war bereits spät in der Nacht, als Tevin in seinem Bett lag und grübelnd an die Decke starrte. Es war nun mehr als vier Monate her, dass er sein Gedächtnis verloren hatte und bisher konnte er sich lediglich an einzelne unwichtige Fetzen erinnern. Er hatte bereits das ganze Tagebuch gelesen, dass er offenbar selbst geschrieben hatte, und doch kam ihm nichts bekannt vor.
Tief seufzend setzte er sich auf und schwang die Beine aus dem Bett, ehe er nach den Aufzeichnungen seiner Albträume griff und den Eintrag aufschlug, der ihn am meisten beschäftigte.
Ich stand an einem Stand. Mitten in der Nacht. Es war Vollmond. Vilija war im Meer und surfte, wie Keanu es ihr beigebracht hatte, doch plötzlich wurden die Wellen größer. Sie verlor die Kontrolle und wurde von den Wellen verschlungen. Ich rief nach ihr und eilte ins Wasser, um sie zu retten. Ich schwamm, als ginge es um mein Leben, was ja auch so war.
Als ich, umgeben vom Wasser, die Augen öffnete, war ich umhüllt von Dunkelheit und konnte Vilija nirgendwo sehen. Ich brach in Panik aus und versuchte wieder an die Oberfläche zu kommen, doch die Wellen rissen mich immer tiefer. Ich spürte, wie mir die Luft knapp wurde und verlor die Orientierung. Dann sah ich, weit in der Ferne, ein seltsames Leuchten, das ich irgendwann als Vilija erkannte. Ich versuchte zu ihr zu schwimmen, sie irgendwie zu erreichen, sah, wie sie die Hand nach mir ausstreckte. Doch je mehr ich mich bemühte, umso tiefer riss mich das Wasser, umso weiter zerrten die Wellen sie von mir fort.
Dann ging mir die Luft aus und ich ertrank in einer großen wabernden Masse gänzlicher Finsternis.
Verständnislos starrte er auf die Zeilen.
Warum war er, auch wenn es nur ein Traum war, ins Meer gelaufen, obwohl er wusste, dass es für ihn den sicheren Tod bedeutete?
Warum riskierte er sein eigenes Leben, in dem Versuch, Vilija zu retten?
Und warum war Vilija umhüllt von Licht?
Er wusste, es stellte die Hoffnung dar, die Vilija für ihn gewesen ist, doch warum?
Frustrierte, weil er die Antwort nicht wusste, sich aber danach sehnte, es zu verstehen, schlug er die Aufzeichnungen zu und legte sich wieder hin.
Doch er musste zugeben, die Vorstellung davon Vilija in solcher Finsternis zu verlieren, machte ihm Angst.
Pure Angst und Panik ging von ihr aus, als sie besorgt im Wohnzimmer auf und ab ging. Seit Violeta den Brief erhalten hatte, war sie starr vor Angst um ihre Kinder und wünschte sich, sie könnte ihre ganze Familie in diesem Haus einsperren, bis man diesen Psychopathen gefasst hatte, doch das konnte sie nicht tun.
„Gestern haben wir noch einen Brief bekommen.“, erklärte Levantin gerade der Frau eines Kollegen von ihm, die glücklicherweise ein hohes Tier bei der Polizei war. Er schreckte vor nichts zurück, um seine Familie zu schützen. „Wahrscheinlich wird man wieder keine Spuren finden, aber ein Versuch ist es Wert, oder?“
Mrs. Ravenan nickte. „Ich werde ihn an meine Leute weitergeben. Wenn es sich um den Mann handelt, den ihr zwei unter Verdacht habt, dann wäre es wahrscheinlich besser, wenn wir die Sicherheitsvorkehrungen etwas erhöhen.“ Sie zögerte etwas. „Die Vorkehrungen die ich allerdings im Sinn habe, wären nichts, was die Polizei oder irgendetwas anderes vom Staat zur Verfügung gestellt wird. Wir können natürlich ein paar Streifenwagen zur Observation absetzen, die sich um euch und eure Kinder kümmern, aber ich dachte eher an richtige Bodyguards. Ich habe die gesamte Akte gelesen und weiß, dass es sich sicher lohnen würde.“
„Bodyguards?“, wiederholte Violeta, „Aber das wäre ein Eingriff in ihre Privatsphäre. Vilija braucht derzeit viel Zeit für sich und sie wohnt auch nicht allein.“
Als sie herüber kam, griff Levin nach ihrer Hand. „Es geht hier um ihre Sicherheit, Liebling.“
„Sie sollen nicht rund um die Uhr an ihrer Seite kleben, sondern lediglich in ihrer Nähe bleiben.“, erklärte Mrs Ravenan ruhig, „Sie werden sie begleiten, wenn sie unterwegs sind und darauf achten, dass sie sich nicht in Gefahr begeben. So ist für ihre Sicherheit gesorgt und sie können sich voll und ganz auf ihren Alltag konzentrieren. Die einzigen Einschränkungen sind die, dass sie nicht allein unterwegs sein sollten. Sie werden außerhalb ihrer Wohnung nicht allein sein und die wird von außen bewacht. Ich würde auch gerne eine Alarmanlage einbauen und die Fenster sichern lassen.“
Ein kleines Zittern durchfuhr sie. „Wird es sie auch ganz sicher schützen? Können Sie mir das garantieren?“
Mrs. Ravenan lächelte bedauernd. „Garantieren kann ich leider nichts. Es handelt sich um einen sehr intelligenten Schwerverbrecher, der bereits seit... sehr vielen Jahren aktiv Verbrechen begeht und nie gefasst wurde. Wir tun alles was wir können, das kann ich euch versichern.“
„Wird er denn gefasst? Können Sie mir das sagen?“
Diesmal nickte sie. „Davon bin ich überzeugt. Ich bin nicht an meinen Posten gekommen, weil ich Däumchen gedreht habe. Ich bin zwar nur bei der Polizei, aber das liegt allein daran, dass ich das FBI abgelehnt habe. Ich werde nicht zulassen, dass er noch mehr Menschen verletzt.“
Wenige Monaten später
Als mein Wecker mich aus dem ohnehin unruhigen und viel zu kurzen Schlaf riss, stöhnte ich unglücklich auf und schaltete ihn aus, ehe ich tief seufzte und mich auf den Rücken drehte.
„Wochenende.“, murrte ich müde vor mich her, „Warum kann ich nicht mal am Wochenende ausschlafen?“
Einen Moment lag ich regungslos im Bett herum, ehe ich aufstand und zu meinem Schrank ging, um mir frische Kleidung auszusuchen. Eine halbe Stunde später verließ ich mürrisch das Bad und schlurfte in die Küche, um Kaffee aufzusetzen. Ich hasste dieses Zeug, aber es war derzeit das einzige, was mich richtig wecken konnten. Ansonsten hing ich in einem seltsamen Zustand zwischen Schlaf und wach sein.
„Guten Morgen.“, ertönte Teddys Stimme von der Küchentür hinter mir.
Ich warf ihm einen kurzen Blick zu und antwortete mit einem Murren.
Er seufzte. „Ich wünschte, du wärst wieder so lebensfroh wie früher.“
„Früher war mein Leben noch nicht ein Haufen Scherben.“
Mit einem besorgten Ausdruck im Gesicht kam er näher und drehte mich zu ihm um. „Sag sowas nicht. Es ist gerade sehr schwierig, ja, aber es ist doch kein Haufen Scherben.“
„Das einzige, was ich mir von ganzem Herzen gewünscht habe, ist bei dem Unfall gestorben, der von einem Mann verursacht wurde, der meiner Familie nur schaden will. Du und Veit seid derzeit die einzigen, die eine Art Lichtblick für mich sind.“
Tröstend zog er mich in seine Arme. „Du weißt, Tevins Erinnerungen sind nicht endgültig verschwunden. Sie sind da, aber er kann sie einfach nicht nutzen.“
„Das wäre, als würdest du Evelyn in einem Gefängnis tief unter der Erde einsperren und nie heraus lassen.“, entgegnete ich, „Es ist vielleicht irgendwo da, aber du hast nichts davon.“ Ich seufzte und senkte den Blick. „Nur ist der Unterschied, dass Tevin nicht von mir eingesperrt wurde, sondern tief begraben ist.“ Ich atmete kurz durch. „Nun ja, lass uns was zum Frühstück kochen.“
Mit einem zustimmenden Nicken löste er sich von mir und ging zum Kühlschrank, um ein paar Zutaten herauszuholen. „Ich hab gestern Abend mit Keanu gesprochen.“
„Oh. Wie geht’s ihm? Hängt ihm sein Firmenimperium noch mehr zum Hals raus?“
„Bis zu seinen Zehen.“, antwortete er amüsiert.
Ich grinste. „Der Arme.“ Dann rümpfte ich die Nase. „Er hat bestimmt richtig wenig Freizeit.“
„Warum stellt er nicht einen Vertreter ein, der alles für ihn erledigt?“, fragte sich Teddy daraufhin laut, „Ich meine, er mag diese Arbeit nicht, warum also lässt er sie nicht für sich machen?“
„Er möchte es erst selbst beherrschen, ehe er es jemand anderem anvertraut.“, erklärte ich, „Ich meine, es geht um Milliarden, das Lebenswerk seiner Eltern. Das möchte er nicht einfach irgendwem anvertrauen. Er möchte erst wissen was in diesem Job wichtig ist, damit er jemanden finden kann, der weiß was er da tut und auch fähig ist.“
Teddy sah mich überrascht an. „Du kannst dich wohl sehr gut in ihn hinein versetzen. Hattest du Nachhilfe in Empathie bei Veit?“
Ich grinste ihn schräg an. „Weder noch. Keanu hat es mir erzählt.“
„Ah.“ Er nickte verständnisvoll. „Das erklärt alles. Möchtest du eine Pilz- oder eine Fleischfüllung?“, fragte er nebenbei und hielt sowohl ein paar Pilze, als auch ein Stück Schweinefilet hoch.
Ich besah sie mir einen Moment nachdenklich. „Mmmmh... Ich werde eh nicht so viel schaffen. Veit und Travis hätten sicher Lust auf ein paar Pilze.“
Er besah sich die Pilze und zuckte schließlich mit den Schultern. „Dann also Pilzfüllung.“ Daraufhin legte er das Fleisch zurück und begann mit der Vorbereitung. „Jedenfalls überlegt Keanu eine Weile Urlaub zu machen und würde sich ein Hotelzimmer in der Nähe nehmen.“
„Hat er nicht noch seine Wohnung?“ Ich warf ihm einen verwunderten Blick zu und half ihm bei der Vorbereitung. „Warum schläft er nicht da?“
„Er hat sie an Seth übergeben.“
„Und warum schläft er dann nicht bei ihm?“
„Seth hat eine Freundin. Sie ist die meiste Zeit bei ihm.“
„Ah, verstehe. Warte, er hat eine Freundin? Ist sie ein Fußball?“
Teddy prustete los und musste das Messer weglegen, ehe er die Küche verließ, weil es an der Tür klingelte. Wenige Minuten später kam er mit Tevin zurück.
„Guten Morgen.“, begrüßte er mich und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Macht ihr Frühstück?“
„Ja.“, antwortete ich etwas beklommen, „Hast du schon gegessen?“
„Nein. Ich hab keinen Appetit.“
Verwundert sah ich zu ihm auf. „Warum? Ist etwas?“
Er rieb sich übers Gesicht. „Naja, seit einer Weile hab ich immer denselben Albtraum. Nachdem ich ihn das erste Mal hatte, habe ich mir die Aufzeichnungen der Albträume angesehen, die ich wohl vor dem Unfall aufgeschrieben habe, und habe genau diesen Traum dort gefunden.“
„Was ist das für ein Traum?“, fragte ich besorgt.
Er schüttelte langsam den Kopf. „Ist nicht weiter wichtig, denke ich. Was macht ihr zum Frühstück?“
Ich war mir fast sicher, dass dieser Traum sogar sehr wichtig war, sagte jedoch nichts mehr dazu. „Wir machen Koldunai.“
„Mmmmh.“, machte er daraufhin und lächelte leicht. „Ich hoffe, du schaffst mittlerweile größere Mahlzeiten. Du hast wirklich viel abgenommen. Das gefällt mir nicht.“
„Mir genauso wenig.“, hob Teddy an, „Aber wenn sie nicht essen will, dann isst sie auch nicht, da können wir nichts machen.“
„Ich esse, wenn ich essen kann.“, entgegnete ich, „Das hat wenig damit zu tun, ob ich will oder nicht.“
„Was meinst du damit, du isst, wenn du kannst?“, fragte Tevin besorgt.
Ich hob eine Schulter. „Es ist wie mit Schlaf. Ich liege im Bett, bin furchtbar müde, schlafe aber nicht ein.“
„Wie kann man das mit Essen vergleichen?“
Erneut hob ich die Schulter. „Ich sehe es an, kaue auch, aber ich habe Schwierigkeiten es zu schlucken. Es ist als... als würden sich meine Halsmuskel weigern. Verstehst du, was ich meine?“
Er zögerte einen Moment, nickte dann aber. „Es hilft ein bisschen, wenn du gleichzeitig trinkst.“
Ich blinzelte überrascht. „Trinken?“, hakte ich dann nach.
Einen Moment wendete er den Blick ab, als würde er nachdenken. „Ja. Ich meine, trinken kannst du doch, nicht?“
„Ja.“
„Dann trink dabei. Wenn du schlucken willst, meine ich.“
„Und woher weißt du das?“
„Ich hab dasselbe Problem.“, gestand er.
Teddy starrte ihn an. „Du kannst nicht essen?“
„Ich kann es nicht schlucken.“, korrigierte er, „Aber wenn ich dabei trinke, dann rutscht es eben mit runter.“ Er erklärte es, als läge es auf der Hand.
Tatsächlich war es ziemlich simpel und ich könnte mich dafür ohrfeigen, weil ich nicht selbst auf die Idee gekommen war.
„Du kannst ja zwischendurch Smoothies oder Milchshakes trinken.“, schlug Tevin vor, „Du wirst sicher nicht so viel essen können, weil dein Magen ganz klein geworden ist. Also musst du mehrere Mahlzeiten essen, damit er sich langsam wieder weitet.“
„Okay.“, meinte ich darauf und setzte einen Topf mit Wasser auf.
„Warum bist du eigentlich schon in der Küche?“, fragte Teddy verwundert, „Als ich vor einer Stunde nach dir gesehen habe, hast du geschlafen.“
„Du siehst nach mir?“
Er zuckte mit den Schultern. „Naja, wenn ich morgens aufwache, schaue ich nach, ob du schläfst.“
„Das hab ich nie bemerkt.“
„Ich öffne die Tür ganz leise. Aber du hast es doch schon sehr oft bemerkt. Jedes Mal warst du aber schon mit irgendwas beschäftigt. Du dachtest scheinbar immer, ich wolle mit dir reden.“
Nachdenklich zog ich die Brauen zusammen und dachte an die letzten Tage zurück. Tatsächlich war er recht früh immer in mein Zimmer gekommen. Er hatte jedes Mal leise geklopft, ehe er den Kopf herein gestreckt hatte. Dann hatte er mich gefragt, was ich frühstücken möchte und ob er mir einen Kaffee bringen sollte.
„Du hast mit mir gesprochen.“, entgegnete ich schließlich und füllte mit ihm die ersten Koldunai. „Jetzt wo du es sagst, ergibt das irgendwie Sinn.“
„Hat es vorher auch, du willst es nur nicht zugeben.“, neckte er mich.
Ich grinste schräg. „Du darfst gleich Veit und Travis wecken.“
Teddy zuckte zusammen, ehe er das Gesicht verzog. Als er sie das letzte Mal wecken wollte, waren sie bereits wach. Und äußerst aktiv. „Ich werde nicht nochmal dieses Zimmer betreten, wenn ich nicht hundertprozentig sicher bin, dass die beiden... darauf vorbereitet sind, dass jemand herein kommt.“
Mein Mundwinkel zuckte. „Dann klopfst du eben laut an der Tür, bis jemand aufmacht.“
„Vilija-“
„Nein, ich hab sie schon die letzten beiden Wochen immer zum Essen geholt.“
Ein gepeinigtes Aufstöhnen. Zu seinem Glück wurde er von seinem Schicksal erlöst, denn nur wenige Augenblicke später ertönte nebenan Veits Gelächter.
„Ich wusste gar nicht, dass du so gemein zu deiner Schwester bist.“, hörte ich ihn danach sagen.
„Bin ich auch nicht.“, entgegnete Travis, „Aber ich kann ja schlecht zulassen, dass sie ein hochnäsiges Gör wird.“
„Da ist was dran.“
Die beiden erschienen in der Küchentür.
„Guten Morgen.“, begrüßte ich sie, gefolgt von Grüßen der anderen und ihnen selbst. „Travis, ich wusste gar nicht, dass du eine Schwester hast.“
Er lehnte sich an den Türrahmen. „Sie ist jetzt 12 Jahre alt und mein Vater behütet sie wie seinen größten Schatz. Er trägt sie auf Händen.“
Veit, der ihm eine Hand in eine Gesäßtasche schob, hob eine Braue. „Vergiss nicht zu erwähnen, dass er nie wütend auf sie wird, weil er fest davon überzeugt ist, dass nichts, was sie tut, so schlimm sein kann, dass sie ihn wütend machen könnte.“
Travis rollte mit den Augen. „Wenn sie den Fernseher kaputt machen würde, würde er in erster Linie schauen, ob sie auch ja keinen Kratzer hat. Dann vergibt er ihr den Unfall mit dem Fernseher und kauft einen neuen. Wenn mir das passiert faltet er mich zusammen und lässt mich für die Kosten aufkommen.“
Tevin lachte leise. „Na, ob das die richtige Erziehungsmethode ist.“
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Das ist ja schon... verantwortungslos. Wie reagiert die Kleine dabei?“
„Sie ist fest davon überzeugt, ich hätte die Strafe verdient, aber wenn sie was macht, ist sie die Unschuld in Person und verdient ein Eis oder Süßigkeiten, damit sie über ihre schreckliche Erfahrung hinweg kommt.“
Teddy prustete. „Vielleicht sollten wir mal die Geschwister tauschen.“
„Ich werde es meiner Mutter vorschlagen. Sie weiß schon gar nicht mehr, was sie tun soll.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Eltern irgendwas tun könnten.“, bemerkte ich skeptisch.
Teddy hob eine Braue. „Mein Vater ist sehr streng“
„Aber sagtest du nicht, er lebt in Detroit?“
Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht, ehe es sich aufhellte, als Evelyn an Veit und Travis vorbei in die Küche kam.
„Ach, hier seid ihr alle.“, bemerkte sie.
Teddy ging zu ihr herüber. „Hey, Baby. Wie geht’s dir?“
Sie verzog ein wenig das Gesicht. „Ich sterbe vor Hunger. Aber ich schwöre dir, das liegt nicht an diesem... diesem...“ Sie deutete auf ihren Bauch und ich verkniff mir angestrengt ein Grinsen, ehe ich mich abwendete.
„Kind?“, half Teddy.
Erst vor wenigen Monaten, genauer gesagt, kurz nach Tevins Unfall, hatten offenbar Teddy und Evelyn einen kleinen Unfall, oder einige Zeit zuvor und es wurde erst dann klar. Jedenfalls war sie schwanger gewesen und hatte ihr Kind abtreiben lassen, aus Angst und Panik, die Verantwortung für ein Leben zu übernehmen und weil sie fürchtete, Teddy könnte ausrasten, weil er vielleicht selbst noch nicht bereit gewesen sein könnte. Allerdings war ihre Sorge ihm betreffend vollkommen unbegründet. Stattdessen ist er wohl furchtbar bestürzt gewesen, als sie ihm von der Abtreibung erzählt hatte.
Wie der Zufall es jedoch wollte folgte dann ein Unfall dem anderen, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob es wirklich Unfälle gewesen sind. Nun war sie jedenfalls wieder schwanger und hatte sich Teddy diesmal sofort anvertraut. Und dieser hielt sie nun tunlichst davon ab nochmal einen Arzt aufzusuchen, um es abtreiben zu lassen. Nicht nur wegen dem Kind, sondern offenbar auch, weil sie sich Sorgen machten, dass eine Abtreibung, so kurz nach einer anderen, Folgen für Ev haben könnte.
Für Evelyn war das alles aber offensichtlich eine reine Achterbahnfahrt, wenn man bedachte, wie sie mit der Situation umging.
„Es ist gerade ja nicht mal ein Fötus.“, widersprach Evelyn und wirkte leicht gereizt, „Es ist gerade bestenfalls ein kleiner Haufen Zellen.“
Tevin musste sich so fest auf die Unterlippe beißen, dass ich ein wenig Blut sah, woraufhin er sich sofort umdrehte und nach einem Tuch griff, um sich den Mund abzutupfen.
„Dieser kleine Haufen Zellen wird bald einen Herzschlag haben.“, merkte Teddy an, „Wie willst du es dann nennen?“
„Einen pochenden Haufen Zellen.“
Veit prustete leise, woraufhin Evelyn ihn böse ansah und Anstalt machte ihn zu schlagen. Teddy hielt sie jedoch fest und zog sie an ihn.
„Hey, ganz ruhig.“, sprach er auf sie ein, „Vielleicht sollten wir in mein Zimmer gehen, damit wir ungestört darüber reden können, dass es sich nicht bloß um einen Haufen Aminosäuren handelt.“
Sie warf die Hände in die Luft. „Das hab ich nie gesagt!“
„Nun, vor zwei Wochen hast du es gesagt.“, warf Travis ein, schob dann aber Veit zwischen sich und Ev, als sie ihn ebenfalls finster ansah.
Ich gab mir Mühe mich auf die Koldunai zu konzentrieren, damit ich aufhören konnte mich über etwas derartiges zu amüsieren
„Was macht ihr eigentlich, wenn das Kind da ist?“, fragte Tevin, „Sucht ihr euch dann eine eigene Wohnung?“
Teddy schwieg einen Moment und sah auf Evelyn herab. Diese winkte ab. „Darüber denken wir später nach.“
„Aber wenn ihr in eine Wohnung ziehen wollt, wäre es doch besser früh mit dem Sparen und suchen anzufangen, damit es später nicht in aller Hektik und mit finanziellen Schwierigkeiten passieren muss.“
Ich hörte, wie Ev einatmete, um zu antworten, doch dann keuchten sie auf.
„Ich muss mich eben setzen.“, murrte sie dann.
Besorgt drehte ich mich daraufhin um und sah dass sie sich mit verzogenem Gesicht den Bauch hielt. „Ist alles in Ordnung? Hast du Schmerzen?“
Sie lächelte mich schräg an. „Es ist so ein furchtbares Ziehen. Das geht gleich wieder.“
„Soll ich dir eine Wärmflasche fertig machen?“
„Das wäre fantastisch.“
Mit einem Nicken füllte ich daraufhin den Wasserkocher auf und schaltete ihn an. „Tevin, würdest du bitte Drew anrufen und ihm die Symptome schildern?“
„Drew?“, hakte dieser nach und schien nachzudenken. „Wer ist das?“
Ich zögerte und schob die Koldunai von der Herdplatte, da sie nun langsam fertig sein mussten. „Er ist mein Patenonkel und wirklich sehr guter Arzt. Er hat dich nach deinem Unfall behandelt.“
„Kenne ich ihn?“
Ich hob eine Schulter. „Schon, ja. Er hat auch deine Hand behandelt. Eigentlich hat er alles behandelt, was wir je hatten.“
„Ich hab jetzt gedacht, er ist Chirurg.“
„Er ist Chefarzt oder so. Aber er hat auch verdammt viel gelernt, sonst wäre er nicht so gut. Als er a nfing hatte er sogar ein Praktikum bei einem Zahnarzt und bei einem Sportarzt. Er hat sogar eine gynäkologische Ausbildung.“
Evelyn seufzte. „Ich glaub, ich sollte meinen Gynäkologen wechseln.“
Teddy seufzte. „Wusstest du, dass er verheiratet ist, Ev? Und er hat eine Tochter.“
„Oh, sie ist wirklich süß.“, bemerkte ich, „Sie ist jetzt 16 oder so. Amarin, heißt sie, aber Drew ruft sie immer Rin.“ Als das Wasser kochte, machte ich die Wärmflasche fertig und gab sie Ev, die sich daraufhin damit ins Wohnzimmer verzog. Teddy folgte ihr besorgt. Veit sah ihm einen Moment nach, während Travis sich von ihm löste und an den Schrank ging.
„Ich decke dann mal den Tisch.“, erklärte er.
„Okay.“, entgegnete ich und kümmerte mich um die Soße, die Teddy begonnen hatte.
Nachdem Veit ebenfalls einige Dinge zum Decken des Tisches genommen und Travis hinaus gefolgt war, sah Tevin zu mir herab. „Ich wollte dich noch was fragen.“, hob er unsicher an.
„Worum geht’s?“ Fragend sah ich zu ihm auf.
Er rieb sich die Hände an den Oberschenkeln ab und ließ den Blick einen Moment schweifen. „Ich hab heute ein Date und wollte dich um ein paar Tipps bitten.“
Überrascht hielt ich inne. „Du- … Du hast ein Date?“
„Ja. Stört dich das?“
Sehr. „Nein.“ Hastig wendete ich den Blick ab und nahm auch die Soße vom Herd. „Sei einfach du selbst und vertraue auf dein Bauchgefühl. Aber sei nicht zu voreilig.“
Er seufzte leise. „Ich soll ich selbst sein.“, wiederholte er, als wäre es ein großes Hindernis. Schließlich nickte er. „Danke.“
„Kein Ding.“ Das ist nicht Tevin, Vilija, vergiss das nicht. „Viel Spaß. Oder Erfolg?“
Er winkte ab. „Es ist nichts Ernstes.“
„Warum triffst du sie dann?“
Daraufhin zuckte er mit den Schultern. „Ich dachte, ich probiere das einfach mal aus. Vielleicht lerne ich ja eine Frau kennen, die mir gefällt.“
Innerlich zuckte ich zusammen, sagte aber nichts. Stattdessen räusperte ich mich kurz, weil mein Hals sich plötzlich seltsam anfühlte. „Ach so.“
Zögernd schwieg er einen Moment. „Vielleicht solltest du auch mal mit Männern ausgehen. Das könnte dir gut tun.“
Tapfer lächelte ich zu ihm auf. „Es ist ein bisschen schwer mit jemandem auszugehen, wenn man immer nur an einen Mann denken kann. Du solltest mal Keanu fragen, er hatte echte Schwierigkeiten.“
Nun wirkte er nachdenklich. „Kenne ich ihn eigentlich? Ich meine, er hat mir ja vor ein paar Monaten auch etwas geschickt, aber...“
Langsam nickte ich. „Du konntest ihn nicht so gut leiden, weil ich mit ihm zusammen war, als du zurück gekommen bist. Außerdem hat er mir echt weh getan, aber so im Nachhinein verstehe ich ihn. Du hättest ihn dafür allerdings fast verprügelt.“
Überrascht blinzelte er. „Er hat dich verletzt?“
Unbeholfen hob ich eine Schulter. „Er musste zurück nach Hawaii und versuchte sich so von mir zu trennen, dass ich ihm nicht zu lang nachtrauern würde. Er wollte es mir ermöglichen mit dir glücklich zu werden.“
„Also hat er dich verletzt, damit du zu wütend bist, um ihn zu vermissen?“
„Sozusagen. Aber er hat wohl nicht damit gerechnet, dass ich traurig wurde, statt wütend. Er hasst es, wenn ich traurig bin.“ Ich seufzte leise. „Ich freue mich schon darauf ihn wiederzusehen.“
„Er kommt her?“, fragte er vorsichtig.
„Er denkt drüber nach, ja.“
Es schien, als wüsste er nicht, was er davon halten sollte. „Okay.“, murmelte er dann irgendwann, „Also... wollt ihr dann essen?“
Ich nickte langsam und füllte die Koldunai mit der Soße in eine Schüssel, ehe ich diese hinaus zum Esstisch trug. Die anderen saßen bereits am Tisch und unterhielten sich.
Zwei Stunden später ließ ich in der Küche das Putzwasser abfließen und trocknete mir die Hände ab, ehe ich mein Mobi hervorholte und die Kurzwahl für Vaughn wählte. Er war jemand, den Tėtis zu meiner Sicherheit eingestellt hatte. Er arbeitete für eine private Security Firma und war, wie ich wusste, fähig eine Pistole zu benutzen und einen Gegner auf 87 verschiedene Wege im Nahkampf kampfunfähig zu machen. Sein Bruder Miles sorgte für Tevins Sicherheit.
Damit sie sich rund um die Uhr in unserer Nähe aufhalten konnten, hatten sie extra dafür die Wohnung gegenüber von dieser hier gemietet. Außerdem hatten sie ein Zimmer bei meinen Eltern, wenn wir bei ihnen waren. Außerhalb dieser Gebäude waren sie stets an unserer Seite.
„Ja.“, meldete sich Vaughn nun an seinem eigenen Mobi.
„Ich würde heute gerne zum Strand fahren, ehe ich in den Laden gehe.“, erklärte ich ihm.
„Möchtest du wieder surfen gehen?“
„Ja.“
„In Ordnung. Ich bin in fünf Minuten fertig. Ich werde klopfen.“
„Vielen Dank.“
Er lachte leise. „Ich werde dafür bezahlt, Kleines.“
Ich rollte mit den Augen, als er auflegte, und steckte mein Mobi wieder ein, ehe ich mich schnell umzog und mein Surfbrett aus meinem Zimmer mit hinaus nahm. Als ich es verließ, wartete Vaughn bereits neben der Wohnungstür.
„Wir sollten nochmal die Sicherheitsregeln durchgehen.“, hob er mahnend an, als er mich sah.
Ich seufzte nur. „Ich weiß, ich weiß. Ich hätte den anderen Bescheid sagen sollen, damit sie nur öffnen, wenn auch geklopft wird. Denn dann ist das Risiko, dass ein Fremder eindringen könnte, deutlich geringer. Ich weiß.“
„Warum hältst du dich dann nicht daran?“
Ich verzog das Gesicht. „Es ist ja nicht so, als würde alle fünf Minuten irgendein Fremder klingeln. Außerdem haben wir einen Türspion und das weißt du. Du hast ihn anbringen lassen.“
Er nickte. „Na gut. Dann lass uns gehen. Oder hast du noch etwas vergessen?“
„Nein, ich hab alles.“
Damit verließen wir die Wohnung. Glücklicherweise hatte er einen Wagen, sodass wir nicht zu Fuß gehen oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bis zum Strand fahren mussten. Das wäre außerdem ein erhöhtes Sicherheitsrisiko, wie Vaughn es immer nannte. Er fand es schon schlimm genug, dass ich beim Surfen allein war und er im Notfall nicht sehr schnell helfen konnte.
Die Fahrt zum Strand dauerte zum Glück nicht so lange, dass ich zu sehr meinen Gedanken nachhängen konnte, denn in den letzten beiden Stunden hatte ich viel zu oft an Tevin gedacht, der, kurz nachdem wir begonnen hatten zu essen, gegangen war, um diese Frau zu treffen.
Erleichternd aufatmend, weil wir den Stand erreichten, stieg ich aus dem Wagen und griff auf das Dach, um das Surfbrett herunter zu holen, während Vaughn die Umgebung sondierte.
„Scheint alles ruhig zu sein.“, bemerkte er, als ich mir meine Hose und das Shirt auszog. Schuhe hatte ich erst keine angezogen und meinen Bikini trug ich drunter.
„Klingt doch gut.“, bemerkte ich optimistisch und warf meine Kleidung auf den Rücksitz, ehe ich das Handtuch von dort nahm und Vaughn zuwarf. „Du kannst es dir ja mit einem Hot Dog am Strand gemütlich machen.“
„Denkst du wirklich, ich würde meine Zeit mit essen verschwenden, wenn du ganz allein im Wasser bist und ich vielleicht hinterher muss?“
Einen Moment dachte ich drüber nach, ehe ich eine Schulter hob. „Warum nicht?“
Er richtete seinen immerwährenden finsteren Blick auf mich. „Nein.“
„Na gut, dann nicht.“ Damit nahm ich mein Board unter den Arm und ging auf das Wasser zu. „Mach es dir irgendwo gemütlich, ja.“, bat ich Vaughn, „Ich fühl mich noch schlecht, wenn du die ganze Zeit angespannt herumstehst und mich beobachtest.“
„Wenn du meinst.“
„Du solltest dich mal entspannen. Das würde dir sicher gut tun.“
„Ich komme darauf zurück, wenn du ertrinkst.“, entgegnete er trocken.
Ich schnaubte. „Und du solltest lernen bessere Witze zu machen.“
„Vielleicht war das kein Witz.“
Ich rollte mit den Augen. „Ich geh dann mal.“
„Sei vorsichtig.“
„Immer.“, trällerte ich und ging ins Wasser.
Sobald ich weit genug auf dem Wasser war, saß ich eine Weile einfach nur auf dem Brett und sah auf das Meer hinaus. Irgendwo dort war Keanu. Manchmal, wenn mein Herz vor Schmerz weh tat und ich mich einsam fühlte, dachte ich an die Tage, die wir hier am Strand zusammen verbracht hatten und stellte mir vor, wie sie wohl heute aussehen würden.
Aber er war nicht da. Er war Meilenweit entfernt.
Mit einem traurigen Seufzen wendete ich den Blick ab und passte die nächste Welle ab, ehe ich mich ins Vergnügen stürzte.
Eine halbe Stunde später trieb ich etwas weiter draußen auf dem Wasser auf meinem Surfboard, als ein anderer Surfer sich zu mir gesellte.
„Hi.“, begrüßte er mich lächelnd.
Ich nickte ihm kurz zu.
„Ich hab dich hier schon öfter gesehen.“
„Nun, zum Surfen eignet sich ja nur das Meer.“, entgegnete ich trocken.
„Was ich bisher gesehen habe war ziemlich gut.“
„Ich hatte einen fantastischen Lehrer.“
„Das glaube ich dir gerne. Wie wäre ein kleiner Wettkampf?“
„Ich mache keine Wettkämpfe.“
Er hob einen Mundwinkel. „Warum nicht? Es ist doch gut zu sehen, wie gut man im Vergleich zu anderen ist.“
Resigniert sah ich zu ihm herüber. „Ich surfe nicht, um besser zu sein als andere. Ich surfe, weil ich surfen möchte.“ Weil ich mich dabei so frei fühle, wie Keanu es beschrieben hat. Weil ich mich ihm dann näher fühle. „Es interessiert mich nicht wie gut fremde Menschen sind.“
„Nur fremde?“
Ich hob eine Schulter. „Es gibt einen, dem ich sehr gern beim Surfen zusah.“ Mein Blick glitt am Strand entlang. „Es war phänomenal.“
Daraufhin richtete er sich auf und drückte ein wenig die Brust heraus, als wolle er mir imponieren. „Da du ihm nicht mehr zusehen kannst... wie wäre es, wenn du mir ein wenig zusiehst?“
Leise seufzte ich. „Nur, wenn du unterhaltsam bist. Aber was das betrifft bin ich wohl oder übel verwöhnt.“
„Ich bin mir sicher, ein Können wie meins hast du sicher noch nie gesehen.“
Mit diesen Worten machte er sich auf zur herannahenden Welle. Um ihn nicht vor den Kopf zu stoßen, tat ich ihm den Gefallen und sah ihm ein wenig zu. Er war nicht schlecht. Tatsächlich war er sogar richtig gut. Allerdings fehlte ihm diese Anmut und die Eleganz, die Gelassenheit, die Keanu unentwegt ausstrahlte, wenn er sich mit dem Board auf der Welle bewegte.
Als er nun den Strand betrat und mir zuwinkte, seufzte ich leise und nahm mir die nächste Welle. Es war, wie jedes Mal, seit ich es geschafft hatte die Welle zu reiten, ein wunderschönes Gefühl. Ich war mir sicher, dass ich nicht ansatzweise ein so schönes Bild abgab wie Keanu, doch das machte mir recht wenig aus.
Mir fiel ein, wie ich ihn damals kennen gelernt hatte und was er mir übers Surfen erzählt hatte.
So eine Welle ist eine sehr gewaltige Kraft. Solch eine Kraft mit einem Surfbrett zu reiten gibt vielen das Gefühl man würde sie beherrschen, hatte er gesagt und dabei so hinreißend gegrinst. Ich finde das ist purer Blödsinn. Man beherrscht die Welle nicht. Man wird von ihr getragen. Keiner sollte auf die Idee kommen etwas so natürliches wie die Welle eines Meeres, eines Ozeans, beherrschen zu können. So eine Welle wäre in der Lage dich zu ertränken, während du ihr hilflos ausgeliefert bist. Aber beim Surfen nutzt du ihre Kraft, lässt dich von ihr tragen und das gibt mir ein bisschen das Gefühl frei zu sein.
Er ließ sich von ihr tragen. Er versuchte nicht die Welle zu beherrschen. Ich spürte, wie sich ein kleines Lächeln in mein Gesicht stahl, als ich daran dachte, wie göttlich er sich von dem Wasser hatte tragen lassen. Als würde es genau das tun, was er wollte.
Mit einem leisen Seufzen erreichte ich nun auch den Strand und hob mein Board aus dem Wasser. Der Surfer von eben kam sofort zu mir herüber.
„Ich muss sagen, ich habe noch nie eine so schöne Frau auf dem Wasser gesehen.“, merkte er an und lächelte mich charmant an.
Matt lächelte ich zurück. „Danke.“
Tatsächlich war ich die oberflächlichen Komplimente ein wenig überdrüssig. Es waren nur die Menschen, die mir wichtig waren, bei denen es mir etwas bedeutete, wenn sie mir solche Komplimente machten, denn bei ihnen wusste ich, dass sie auch meine schlechten Zustände kannten. Sie waren in der Lage mir ehrliche Komplimente zu machen, wenn ich mich hübsch gemacht hatte. Und sie konnten mir ehrlich sagen, wenn ich schlecht aussah.
Menschen, die mich nicht kannten, sahen in mir immer nur eine schöne Frau, doch sie sahen nie die Gefühle, die mein Äußeres ausstrahlte.
„Hast du Lust mit mir etwas Trinken zu gehen?“, fragte mich der Surfer nun.
Zögerlich wendete ich den Blick ab. „Nimm es mir bitte nicht übel, aber ich hab kein Interesse. Du hast dich nicht einmal vorgestellt.“
Er atmete kurz durch. „Ja, entschuldige. Ich war wohl etwas übereifrig.“ Dann sah er hinaus aufs Meer. „Naja, beim nächsten Mal mache ich es besser.“ Eine Pause trat ein, ehe er wieder auf mich herab sah. „Dieser Lehrer von dem du erzählt hast... wie heißt er?“
Ich wollte gerade antworten, als ich auf einer Welle eine äußerst bekannte Bewegung sah. Ungläubig beobachtete ich ihn und vergaß völlig meinen Mund zu schließen. Wie damals glitt er so mühelos über das Wasser, als würde es sich nur für ihn so bewegen. Er wirkte wie ein Sohn Neptuns.
„Wow...“, hörte ich den Surfer neben mir flüstern, „Ist das nicht...“
Als er nur wenig später auf den Strand zu kam und sein Board anhob, um aus dem Wasser zu kommen, ließ ich mein Board prompt fallen und lief direkt auf ihn zu.
„Keanu!“, rief ich nahezu unmittelbar vor ihm aus und gab ihm nicht die Möglichkeit zu reagieren.
Kaum hatte er mich bemerkt, warf ich mich bereits in seine Arme und warf ihn um, sodass er rückwärts ins Wasser stürzte und wir beide für einige Augenblicke unter Wasser waren, ehe er sich mit mir aufsetzte. Er hustete überrascht und sah mich schockiert an.
„Gott, Vilija. Ich hätte fast einen Herzinfarkt erlitten.“, merkte er an, ehe er mich blinzelnd betrachtete. „Vilija!“, erkannte er dann schließlich, und zog mich in seine Arme, als hätte er erst jetzt realisiert, dass ich es war.
Sein Board trieb hinter ihm bereits auf das Meer hinaus, doch das schien ihn wenig zu stören, als er mich fest an sich drückte und ich mich an ihn klammerte.
„Ich hab dich so vermisst.“, kam es mir über die zitternden Lippen.
„Was ist denn passiert?“ Vorsichtig schob er mich gerde weit genug von sich, um mir ins Gesicht zu sehen. „Warum bist du so traurig? Ist etwas mit Tevin? Nach dem Unfall hast du ihn nicht mehr erwähnt.“
Als ich die Sorge auf seinem Gesicht sah, schlang ich einfach nur die Arme um seinen Hals und hielt mich an ihm fest, während ich mein Gesicht an seinen Hals drückte. „Es ist einfach furchtbar.“
„Okay. Ist gut. Komm, lass uns aus dem Wasser gehen und uns irgendwo hinsetzen. Dann erzählst du mir alles, in Ordnung?“
Ich schniefte leise. „Das geht leider nicht. Ich muss gleich los zur Arbeit.“
„Bist du noch Model?“, fragte er überrascht.
„Nein, damit habe ich aufgehört. Aber ich bin noch immer bei Mitch im Tattooladen.“
„Ach so.“ Einen Moment dachte er nach, nickte dann aber. „Gut, dann sag mir, wann du Feierabend hast und ich hole dich ab. Wir können was Essen gehen, wenn du willst.“
Abrupt brach ein kleines Lachen aus mir heraus. „Wir sehen uns gerade mal seit einer Minute wieder und du lädst mich auf ein Date ein?“
Er antwortete ebenfalls mit einem kleinen Lachen. „Naja, ich muss mir doch Mühe geben dich glücklich zu machen.“, konterte er dann und drückte mir einen liebevollen Kuss auf die Schläfe. „Tevin scheint immer noch etwas falsch zu machen.“
Langsam löste ich mich wieder ein wenig von ihm und lächelte ihn zittrig an. „Du hast ja keine Ahnung.“ Dann fiel mir auf, dass seine Haare erschreckend kurz waren und griff traurig nach eine seiner Strähnen. Während sie ihm vorher charmant in die Stirn gefallen waren, waren sie jetzt allesamt nicht länger als anderthalb Zentimeter. „Deine Frisur sieht furchtbar aus.“
Mit einem frustrierten Seufzen schloss er die Augen. „Tut mir leid. Ich war echt dagegen, aber mein Vater hat nicht locker gelassen.“
„Geht es deinen Eltern gut?“
„Den Umständen entsprechend...“ Er zuckte mit den Schultern. „Lass uns später über sie reden.“ Sanft legte er mir eine Hand an die Wange und fuhr mit dem Daumen über mein Jochbein. „Ich hab dich auch vermisst.“
„Wie lange bleibst du?“
Er verzog den Mund. „Eigentlich hätte ich nicht einmal herkommen können. Seth wohnt mit seiner Freundin in meiner Wohnung. Ich hab nicht mal ein Bett zum Schlafen.“
Leicht lehnte ich meine Stirn an seine. „Schlaf doch bei mir.“, schlug ich dann vor.
Er blinzelte abermals. „Bist du sicher? Ich meine, das zwischen uns...“ Einen Moment zögerte er und sah auf meine Lippen herab.
„Es würde wirklich sehr glücklich machen, wenn du mindestens so lange bleibst, bis deine Haare nachgewachsen sind.“
Ein warmes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Ach Darling. Es wird mir ein sehr großes Vergnügen sein dich glücklich zu machen. Am besten fange ich gleich damit an.“
Damit legte er seine Lippen auf meine und küsste mich so innig, dass mir die Luft wegblieb. Ich erwiderte den Kuss sehnsüchtig und schlang die Arme um ihn, als er mich an sich drückte und eine Hand in meinen Nacken schob. Gerade war ich so weit, dass die Verzweiflung, die mich in letzter Zeit fest im Griff hatte, ihren Griff ein wenig lockerte, als ich Vaughns Stimme hinter mir hörte.
„Vilija, es wird langsam Zeit.“, rief er mir zu, „Auch wenn ich dich ungern von deinem Lover trenne.“
Unglücklich löste ich mich von Keanu und lehnte meine Stirn wieder an seine. „Ich muss wohl los.“
„Wer ist das?“, fragte dieser überrascht, „Du warst in den letzten Briefen echt nicht informativ.“
Ich seufzte schwer und löste mich ganz von ihm und stand auf. „Das ist Vaughn. Mein Bodyguard.“
Er hob überrascht eine Braue. „Ein Bodyguard? Hast du fanatische Fans?“
„Wenn es nur das wäre. Mein Vater hat ihn zu meinem Schutz engagiert.“
„Wow, warte, was? Levin? Zu deinem Schutz? Was ist los?“
„Es gibt echt viel, worüber wir später sprechen werden.“, entgegnete ich daraufhin und deutete zu Vaughn. „Leider hab ich gerade keine Zeit mehr.“
„Gut. Wann hast du Feierabend?“ Sanft griff er nach meinen Kniekehlen und streichelte die empfindlichen Kuhlen.
„18 Uhr.“
„Ich werde dann da sein. Wer weiß, vielleicht lass ich mir ein Tattoo stechen. Wie wäre ein Herz mit deinem Namen?“
Amüsiert lächelte ich auf ihn herab. „Das ist ein bisschen kitschig, oder?“
Seine Antwort war ein charmantes Lächeln und ein warmer Kuss über meinem linken Knie. „Viel Spaß auf der Arbeit.“
„Danke. Bis später.“
„Bis dann.“
Damit wendete ich mich ab und eilte zu Vaughn, der bereits mein Board geholt hatte. „Okay, wir können.“
Stunden später beugte ich mich noch immer über einen Kunden, der ein kompliziertes Tattoo auf seinen Rücken bekam, und hörte wie jemand vorn den Laden betrat. Da ich mich sehr auf die Arbeit konzentrieren musste, wäre ich vor Schreck beinahe zusammen gezuckt, was für den Kunden alles andere als schön gewesen wäre, als Mitch plötzlich herein kam.
„Vilija?“
Vorsichtig setzte ich ab und sah auf. „Ja?“
„Wie lange brauchst du noch? Du hast eigentlich schon seit einer Viertelstunde Feierabend und das ist sogar deinem Freund aufgefallen, der seit einer halben Stunde vor der Tür steht.“
Ich verzog den Mund. „Ich bin so gut wie fertig. Tut mir leid.“
„Ich hoffe, ich bereite Ihnen keine Umstände.“, merkte der Kunde an.
„Aber nein.“, widersprach ich, „Ich möchte Ihnen bloß eine weitere Sitzung ersparen. Es dauert wirklich nicht mehr lange.“ Ich sah zu Mitch. „Vielleicht zehn Minuten. Dann muss ich noch aufräumen und-“
„Das kann ich dann noch erledigen.“, unterbrach er mich, „Ich muss eh noch hier bleiben, weil die Lieferung heute spät kommt.“
„Na gut. Sagst du Keanu Bescheid?“
„Klar.“
„Danke.“
Damit ging er wieder nach vorn und ich beugte mich erneut über den Kunden. „Tut mir leid für die Unterbrechung.“, entschuldigte ich mich nebenbei, „Ich bin wirklich gleich fertig.“
„Ich hätte auch ein weiteres Mal kommen können.“, beschwichtigte er mich daraufhin.
„Aber dann hätte ich Ihnen eine ganze Stunde anrechnen müssen, obwohl ich hier nur etwa eine halbe gebraucht habe. Und die nächste Stunde ist noch nicht einmal ausgeschöpft. Nein, wirklich, es ist besser für Sie, wenn wir das heute noch fertig machen. Außer natürlich, Sie können den Schmerz nicht mehr ertragen.“
„Oh, der ist kein Problem.“
„Gut.“ Aufmerksam fuhr ich mit der Arbeit fort und war schließlich erleichtert, als ich das Tattoo abschließen konnte. Aufatmend legte ich die Tätowiermaschine beiseite und begann die übliche Belehrung herunterzurasseln, während ich mich um das Tattoo kümmerte. Dann verabschiedete ich mich freundlich von dem Kunden, zog mir die Einweghandschuhe von den Händen und ging nach vorn. „Das wars dann.“, verkündete ich abschließend.
„Gut. Dein Freund steht wieder draußen. Ich hab ihm gesagt, er könne drinnen warten, aber er scheint es draußen schöner zu finden.“, bemerkte Mitch und zuckte mit den Schultern. „Wer nicht will, der hat schon.“
Amüsiert zog ich mir meine Jacke an, da ich wusste, dass es abends wieder kühl wurde, und steuerte auf die Tür zu. „Wie auch immer. Wir sehen uns dann nächste Woche.“
„In Ordnung. Sag Theodore bitte noch, dass er übermorgen nicht kommen muss.“
„Mach ich. Bis dann.“
„Bye.“
Aufgeregt verließ ich den Laden und sah Keanu direkt neben dem Eingang stehen. „Hey.“, begrüßte ich ihn und schmiegte mich direkt an ihn.
Er lächelte auf mich herab. „Hey. Hätte ich gewusst, dass du mich so begrüßt, wäre ich viel früher wieder hergekommen.“
„Ich hab dich nun mal vermisst.“, verteidigte ich mich und drückte ihm einen kleinen Kuss auf den Kiefer.
Sein Blick wurde weich. „Ich muss schon sagen, ich bin überrascht, dass du...“ Er unterbrach sich selbst und schloss kurz die Augen. „Verschieben wir das auf später. Ich habe ein Tisch reserviert, auf den du dich schon vor einem halben Jahr gefreut hast.“
Meine Augen weiteten sich. „Du hast ihn wirklich wieder reserviert?“
„Genau denselben Tisch.“
Meine Augen wurden feucht. „Wie hast du das geschafft? Ich bin davon überzeugt, dass das Restaurant Wochen im Voraus ausgebucht ist.“
Er hob nur geheimnisvoll eine Schulter, nahm meine Hand und zog mich voran. „Für dich tue ich auch scheinbar unmögliche Dinge.“ Dann führte er die Hand an seinen Mund und küsste liebevoll meine Finger, den Blick auf meine Augen gerichtet. „Willst du mir jetzt schon erzählen, was dich so traurig macht, oder willst du damit noch warten?“
Ich seufzte schwer und ließ mich von ihm zu seinem Wagen führen, der nicht weit entfernt stand, ehe mir auffiel, dass Vaughn nicht in der Nähe war. „Hey, was hast du mit meinem Bodyguard gemacht?“
Er grinste nur.
„Ich glaube, es könnte besser sein, wenn wir jetzt schon darüber reden.“, antwortete ich schließlich, „Dann habe ich das hinter mir und du kannst dich anstrengen mich wieder glücklich zu machen.“
„Abgemacht. Jetzt erzähl. Es ist Tevin, oder?“
Ich stöhnte verzweifelt auf. „Keanu, es ist- Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll. Ich habe dir von dem Unfall erzählt, als er noch in der Narkose war.“
„Ja. Er wurde zwei Mal angefahren, richtig?“
Ich nickte.
„Aber er ist doch wohl nicht dabei gestorben.“
„Nein, mittlerweile geht es ihm körperlich gut. Aber das ist nicht das Problem.“ Ich rieb mir über die Stirn und strengte mich an nicht sofort wieder in Tränen auszubrechen. „Er hat bei dem Unfall sein Gedächtnis verloren.“
Schockiert blieb er stehen und starrte mich entsetzt an. „Sein Gedächtnis?“
„Als er aufgewacht ist, sah er mich an, als sei ich eine Fremde.“, fuhr ich fort, „Er wusste nicht wer ich war. Er kannte nicht einmal seinen Namen. Er hatte sogar vergessen, dass er einen Unfall gehabt hat. Es war einfach alles weg.“
„Aber so Routinesachen weiß er noch, oder? Motorische Dinge, Sprachen... Solche Sachen?“
„Englisch spricht er noch, aber er versteht kein einziges litauisches Wort.“ Frustriert ging ich weiter, woraufhin er mir folgte und dann die Beifahrertür aufhielt, damit ich einsteigen konnte. „Vieles ist noch wie vor dem Unfall, aber er ist ein ganz anderer Mensch, verstehst du?“, fuhr ich fort, als er sich an das Steuer setzte, „Er isst noch immer die selben Dinge und scheint sogar noch Gefühle für mich zu empfinden, aber er kann sie nicht nachvollziehen und trifft sich derzeit sogar mit anderen Frauen.“
Keanu verzog das Gesicht und fuhr los. „Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mir das nicht gefällt. Aber es tut mir sehr leid für dich.“
„Danke für deine Ehrlichkeit.“
Er griff nach meiner Hand und drückte sie sanft. „Er hat also noch zärtliche Gefühle für dich.“
„Ja, aber es ist nicht so, als würde er mir sagen, dass er mich liebt. Er behandelt mich wie seine Schwester.“
„Und du?“
„Ich?“
„Ja.“ Er warf mir einen kurzen Blick zu. „Was tust du?“
„Ich versuche ihm aus dem Weg zu gehen.“
„Warum?“
„Er ist fremd, Keanu.“, versuchte ich es ihm zu erklären, „Stell dir vor du würdest auf der Straße einer Frau begegnen, die so aussieht wie ich. Sie klingt wie ich, riecht wie ich, sie spricht sogar wie ich. Aber sie ist völlig anders.“
Als ich zu ihm sah, schien er vollkommen perplex. „Es ist schwierig sich das vorzustellen.“
Ich schnaubte. „Es ist bizarr und ich kann damit nicht umgehen. Wenn ich ihn sehe, sehe ich Tev, aber da steht ein völlig Fremder.“
„Versuch doch dir vorzustellen, er wäre sein Zwilling.“, schlug er vor, „Ein Zwilling, der dich nicht kennt. Und den du nicht kennst.“
„Denkst du, das funktioniert?“
„Ich weiß es nicht. Aber du kannst es ja ausprobieren.“
Murrend schloss ich die Augen und lehnte den Kopf an die Kopflehne. „Teddy sagte, ich könne ja Tevin wieder dazu bringen sich in mich zu verlieben.“
„Das schreit nach einem Aber.“
Ich rümpfte die Nase. „Tevin macht nicht gerade den Eindruck, als würde er das zulassen. Ich meine, ja, er sagt, er hätte noch Gefühle für mich, die er noch vor dem Unfall hatte und er würde auch Zuneigung für mich empfinden, die er nach dem Unfall entwickelt hat, aber...“
Keanu schwieg einen Moment. „Aber?“, hakte er dann nach.
„Ich glaube, er will das gar nicht. Er scheint mich wirklich nur als Schwester zu sehen.“
„Naja, ihm fehlen die Schlüsselmomente, die euch näher gebracht haben.“, überlegte er laut, „Ihr habt ihm wahrscheinlich alle davon erzählt, aber es ist etwas anderes eine Geschichte zu hören, als sie selbst zu erleben.“
„Ja, das weiß ich ja.“ Ich sah zu ihm herüber und beobachtete ihn eine Weile beim fahren. „Wie geht es dir?“
Er warf mir einen überraschten Blick zu. „Wie es mir geht? Warum fragst du?“
„Ich habe dich heute Mittag nicht gefragt und ich mache mir ein bisschen Sorgen um dich. Immerhin bist du einfach hier aufgetaucht. Und dann hast du sogar gesagt, dass du es gar nicht hättest tun dürfen und trotzdem führst du mich zum Essen aus.“
Ein tiefes Seufzen kam ihm über die Lippen. „Die Führung einer Firma ist einfach nichts für mich.“
„Also bist du einfach abgehauen?“
„Nein, ich hab es angekündigt. Zumindest meinem Sekretär.“ Er verzog das Gesicht. „Vilija, ich habe einen Sekretär.“
Ich legte meine Hand auf seine. „Das ist für dich eine ziemlich große Veränderung.“
„Es verändert einfach alles. In den letzten Monaten hatte ich nicht einmal Zeit wenigstens ein wenig Schwimmen zu gehen. Um 7 beginnen die Vorbereitungen, um 8 ist die Besprechung. Dann folgen von 9 bis 12 Uhr Meetings, dann gibt es ein knappes Mittagessen und eine halbe Stunde später kommen wieder Meetings bis spät abends. Den ganzen Tag sitze ich in diesen unbequemen Anzügen in diesem stickigen Konferenzraum und höre mir langweilige Vorträge über die Vorteile von Produkten an, die mich nicht einen Deut interessieren. Vorgestern saß ich in der Präsentation über eine neue Idee für Babywindeln.“
Ich lachte überrascht auf. „Windeln?“
„Ich wusste nicht einmal, dass es so viele Dinge gibt, die man bei Windeln beachten muss und jetzt kenne ich jeden Vor- und Nachteil jeder Sorte Babywindeln. Von der Größe der Laschen, über die Aufnahmefähigkeit, bis hin zur Größenvielfalt und Bequemlichkeit.“ Er ächzte. „Vilija, wenn ich noch eine Präsentation ertragen muss, werfe ich mich von der nächsten Klippe.“
Nachdenklich schürzte ich die Lippen. „Sprich doch mal mit deinem Sekretär darüber. Wenn ich deine Briefe richtig verstanden habe lebt deine Firma von der Investition und Förderung von Produkten, richtig?“
„Ja.“ Er atmete kurz durch. „Ich entscheide, ob die Idee sich gut verkaufen lässt, damit es möglichst viel Profit einbringt. Das ist der trockenste Job, den ich je machen musste. Es dreht sich alles nur um Zahlen, sobald alle anderen Konkurrenten möglichst schlecht gemacht wurden. Ob du es glaubst oder nicht,“ Er warf mir einen finsteren Blick zu. „aber einer der Geschäftsmänner hat doch tatsächlich vor gehabt ein Produkt aus der Firma deines Vaters mir gegenüber unter seinem Wert zu präsentieren, damit seine eigene Idee besser abschneidet.“
Amüsiert hob sich mein Mundwinkel. „Du weißt, es ist nicht die Firma meines Vaters. Er ist der Partner des Geschäftsführers.“
„Ja, aber der Mann geht doch eh bald in Rente und dann wird er die Firma deinem Vater überlassen. Ich sollte mir Ratschläge von ihm einholen. Er ist ein wirklich guter Geschäftsmann, wenn er trotz seiner Karriere so viel Zeit für euch hat.“
„Er organisiert sich sehr gut.“
Erneut verzog er das Gesicht. „Ich habe keine Chance dafür. Mein Sekretär... Du weißt schon.“
„Du solltest wirklich mit ihm reden. Deinem Sekretär meine ich.“
Wieder warf er mir einen Blick zu. „Worüber? Du hast das eben schon angesprochen.“
Ich nickte und folgte seinem konzentrierten Blick auf die Straße. „Du kannst doch deinem Sekretär erklären, dass du andere Interessen vertrittst als deine Eltern und ihm darlegen an welche Ideen und Projekte du Interesse hast, welche Ideen du fördern willst. So wie ich die Lage einschätze, wirst du anfangs dann wahrscheinlich weniger Gewinn machen, weil deine ganze Firma sich umorientieren muss, aber ich bin mir sicher, dass du danach wahrscheinlich mehr Gewinn machen wirst.“
„Warum? Ich meine, das sind alles Zahlen und-“
Ich drückte seine Hand, woraufhin er sich unterbrach. „Es werden Dinge sein, für die du dich interessierst. Du wirst sehr gut einschätzen können, ob sich eine Investition lohnt oder nicht. Nehmen wir an, jemand präsentiert dir einen neuen Taucheranzug. Du hast Vorwissen und wahrscheinlich eigene Erfahrungen und weißt, was an so einem Anzug wichtig ist, also wirst du sehr gut einschätzen können, ob er überhaupt etwas taugt.“
„Hmmm.“, machte er daraufhin nachdenklich und zog die Brauen zusammen. „So wie du das sagst, macht das Sinn. Wenn ich mir Präsentationen über Dinge anhöre, die mich interessieren, werden sie sicher auch nicht mehr so langweilig sein.“
Ich nickte zustimmend. „Genau. Außerdem wirst du dadurch nicht in die Falle fallen, in etwas zu investieren, das profitabel klingt, es aber nicht ist, nur weil du nichts über das Produkt wusstest. Wie zum Beispiel die Windeln.“
Er lachte auf. „Warum sollten mich auch jetzt schon Windeln interessieren? Ich habe zwar in einem Kindergarten gearbeitet, aber ich habe noch keine eigenen geplant.“
„Passe deine Firma dir selbst an, nicht dich der Firma.“, riet ich ihm schließlich, „Ich bin mir sicher, so wirst du sie sogar weiter nach oben bringen.“
„Danke. Das ist ein echt guter Rat.“ Erleichtert atmete er auf. „Siehst du, es war gut aus der langweiligen Routine auszubrechen und herzukommen. Hier bekomme ich alles, was ich brauche. Wasser, ein Surfboard und dich.“
Mein Herz wurde ein wenig leichter und ich lächelte ihn sanft an. „Das hast du schön gesagt.“
„Ich würde dich ja jetzt küssen, aber dann würde ich wahrscheinlich einen Unfall bauen.“
„Dann bin ich ausnahmsweise mal froh, dass du auf diesen Kuss verzichtest. Geht es dir denn jetzt besser?“
„Sehr.“ Tatsächlich wirkte er nun etwas ruhiger, aber ich merkte, dass er noch angespannt war. Irgendwas beschäftigte ihn noch.
„Ist sonst alles okay?“, fragte ich ihn besorgt.
„Bei mir schon.“, antwortete er und wirkte auch ehrlich, also lag das Problem wohl woanders.
Vielleicht will er noch nicht drüber reden... „Ich bin froh, dass du da bist.“, murmelte ich wenig später, als er mit mir auf den Parkplatz des Restaurants fuhr.
„Das bin ich auch.“
Gekonnt parkte er ein und stieg kurz darauf mit mir aus. Als er mich neben dem Auto stehen sah, verzog er beleidigt den Mund.
„Jetzt kann ich dir nicht die Tür öffnen.“, beschwerte er sich und kam um den Wagen herum.
„Ich kann mich wieder in das Auto setzen, wenn du willst.“ Ein Grinsen umspielte meine Lippen.
„Nein, das wäre nicht das gleiche.“ Sanft legte er seine Hände an meine Hüften und zog mich ein wenig an sich. „Aber ich bestehe darauf dir jede Tür auf zu halten und deinen Stuhl zurecht zu rücken.“
Ich streichelte ihm über die Wange. „Wie du wünschst, mein Liebster.“
Lächelnd schmiegte er sich kurz an die Hand, ehe er sich zu mir herab beugte, um mich zärtlich zu küssen. „Wollen wir dann?“, fragte er wenige Sekunden später an meinem Mund.
„Ich hab nichts dagegen noch ein wenig zu warten.“, entgegnete ich leise und küsste ihn erneut.
Sein Mund verzog sich amüsiert, doch er erwiderte den Kuss und schlang einen Arm um meine Taille, während er mit der anderen Hand meinen Nacken umfing, um mich tiefer zu küssen. Mit einem Mal wurden meine Knie weich wie Pudding und ich musste mich an ihm festhalten, während sich ein überraschtes Stöhnen aus meiner Kehle rang.
Offensichtlich gefiel ihm der Kuss genauso sehr wie mir, denn er drückte mich vorsichtig an seinen Wagen und vertiefte den Kuss. Einen Moment fühlte ich mich völlig berauscht und könnte schwören, dass sich dich Welt um uns herum drehte. Dann löste Keanu sich keuchend von mir und presste eine Hand an das kühle Metall seines Wagens, während er seinen Körper weiter an mich presste.
„Vielleicht...“, hob er kurz darauf an, „Vielleicht sollten wir das auf später verschieben. Wenn wir allein sind und kein Tisch mehr auf uns wartet.“
„Das klingt nach einer guten Idee.“, stimmte ich zu, gab ihm aber noch einen Kuss.
Diesmal war er es, der aufstöhnte. „Vilija.“, knurrte er.
Unwillkürlich biss ich mir auf die Unterlippe. „Entschuldige.“ Als dann mein Mobi in meiner Hosentasche klingelte, löste er sich etwas mehr von mir und sah wartend auf mich herab, während ich das kleine Gerät hervor zog und abhob, als ich Teddys Namen las. „Ja.“, meldete ich mich.
„Hey, Vilija.“, hob er an und klang erleichtert. „Ich wollte nur fragen wo du bist. Ich hab mit dir vor einer Viertelstunde gerechnet und ehe ich anfange zu kochen, wollte ich fragen, ob du noch zum Essen da bist.“
„Entschuldige. Weil Vaughn immer da ist, bin ich es nicht mehr gewohnt Bescheid zu sagen.“
„Ist er etwa nicht in deiner Nähe?“
Ich verzog ein wenig den Mund. „Nein. Aber das ist wohl in Ordnung. Ich bin auf einem Date und bringe ihn später mit.“
„Moment, nicht so schnell. Erstens: Wo ist Vaughn, wenn er nicht in deiner Nähe ist? Zweitens: Du hast ein Date? Und drittens: Du bringst ihn mit? Kennen wir ihn überhaupt?“
„Ich weiß nicht wo Vaughn ist und was mein Date betrifft, so musst du dir wirklich keinerlei Sorgen machen. Versprochen. Wirklich.“
„Bist du sicher?“
„Hundertprozentig. Wenn ich wieder da bin, wirst du schon sehen warum.“
„Okay. Also bist du nicht zum Essen da?“
„Nein, entschuldige. Ich hätte daran denken sollen Bescheid zu geben.“
„Kein Problem. Ich wünsche dir dann ein schönes Date.“
„Danke. Bis später.“
„Bis dann.“
Nachdem ich mein Mobi wieder weggesteckt hatte, hob Keanu fragend eine Braue. „Theodore?“
„Ja. Er hat sich Sorgen gemacht, weil ich nicht nach hause kam.“
Nun zog er die Brauen zusammen. „Was mich wieder auf die Frage bringt, warum du einen Bodyguard brauchst.“ Während er das sagte, nahm er meine Hand und ging mit mir auf das Restaurant zu.
Ich seufzte tief. „Es ist irgendwie seltsam und ich bin mir nicht sicher, ob ich alles verstanden habe.“
„Was weißt du denn?“
„Nun...“ Nachdenklich starrte ich eine Weile vor mich her, während er mit mir das Restaurant betrat und zu dem reservierten Tisch führte.
„Nun?“, wiederholte er irgendwann.
„Erstmal bin ich wirklich erstaunt, dass du hier noch einen Tisch bekommen hast. Und dann auch noch so einen guten.“ Mit leicht geweiteten Augen sah ich mich in dem Restaurant um und fühlte mich fast underdressed.
Er dagegen lächelte mich an, als wäre ich die einzige Frau auf der Welt. „Ich wollte schon vor Monaten mit dir herkommen. Der Gedanke, das nachholen zu können hat mich sehr motiviert.“ Liebevoll streichelte er meine Hand, ehe er den Kopf hob, weil ein Kellner an unseren Tisch kam, uns die Karten reichte und die Getränkebestellung aufnahm. Sobald er wieder außer Reichweite war, sah Keanu mich ungeduldig an. „Jetzt erzähl schon. Ein Bodyguard? Du?“
Frustriert stöhnte ich auf. „Nicht nur ich. Auch Tevin, Cynthia, Mom und Dad.“
„Deine kleine Schwester?“, hakte er nach, „Ist sie nicht mittlerweile in der 8. Klasse?“
„Ja, aber ein Lehrer bekommt natürlich keine Ausbildung, um Menschen oder gar Kinder vor gewalttätigen Angriffen zu schützen.“
„Wurdest du etwa angegriffen?“
Tatsächlich ja. „Erst vor wenigen Tagen wollte jemand mit dem Messer auf mich losgehen.“, offenbarte ich gedankenverloren, „Aber das war nicht der Auslöser. Kurz nach Tevins Unfall hat Mamytė einen Brief bekommen, der offenbart hat, dass der Unfall kein Unfall gewesen ist. Jemand, von dem sie nur ahnen kann, wer er ist, hat jemanden darauf angesetzt Tevin zu schaden. Der hat offenbar nur auf den richtigen Moment gewartet und hat dann den Unfall verursacht.“
Schockiert saß er einen Moment nur stumm neben mir, ehe er wieder das Wort erhob. „Geht es dir denn gut? Wurdest du verletzt? Wie geht es dem Rest deiner Familie?“
Die Tatsache, dass er zuerst an mich dachte, beruhigte mich seltsamerweise und ließ mir ganz leicht ums Herz werden. Sanft lächelte ich ihn an. „Es geht mir gut und ich bin auch nicht verletzt. Vaughn ist ein sehr fähiger Mann und hat jeden Angriff sehr gut vereiteln können. Auch den anderen geht es gut, wenn man von Tevins Gedächtnisverlust einmal absieht.“
„Das tut mir so leid.“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Das muss schwer für dich sein.“
„Anfangs war es unglaublich seltsam. Ich habe selbst jetzt noch Angst, wenn ich draußen unterwegs bin. Vaughn gibt mir Unterricht in Selbstverteidigung und bringt mir zu meinem Schutz sogar den Umgang mit Messern und Pistolen bei. Tevin bekommt den gleichen Unterricht, soweit ich weiß. Aber wo wir gerade dabei sind.“ Ich hob eine Braue. „Was hast du Vaughn gesagt, dass er gegangen ist?“
„Die Wahrheit.“, antwortete er darauf und sah in seine Karte.
Ich legte den Kopf ein wenig schräg. „Keanu?“
Er verzog den Mund. „Ich hab ihm erklärt, dass ich auch gut in der Lage wäre dich zu schützen, wenn dich jemand bedroht.“
„Wärst du das?“, hakte ich nach.
„Natürlich, sonst hätte ich es ihm nicht gesagt. Ich wusste, dass es einen guten Grund geben muss, wenn du dich nicht gegen den Bodyguard sträubst.“
Überrascht blinzelte ich. „Manchmal habe ich das Gefühl, du kennst Seiten an mir, die ich selbst nicht kenne.“ Ich zögerte und sah ebenfalls in die Karte. „Heißt das, du beherrschst Kampfsportarten?“
„Ein paar, ja. Als ich noch bei meinen Eltern wohnte, damals, ehe ich hergekommen bin, haben sie verschiedene Lehrer kommen lassen, die mich unterrichten. Vorsorglich.“ Er warf mir einen kurzen Blick zu. „Such dir aus, was du möchtest, okay.“
Ich hatte große Mühen nicht die Preise anzustarren. Wenig später kam erneut der Kellner, brachte die Getränke und nahm die Bestellung auf, während Keanu sichtlich amüsiert über meine Reaktion war. Mir kam kaum ein Wort über die Lippen.
„Es gibt da noch etwas, worüber ich gerne mit dir reden möchte.“, hob er an, als der Kellner außer Hörweite war.
„Nur zu.“, forderte ich ihn daraufhin auf.
Einen Moment schwieg er, ehe er unsicher den Blick abwendete. Es war seltsam ihn so zu sehen. So unsicher. „Ich habe dir sehr weh getan. Und es tut mir wirklich furchtbar leid.“
Wortlos griff ich nach seiner Hand und drückte sie leicht. Er war noch nicht fertig.
„Ich habe viel darüber nachgedacht und mir ist aufgegangen, dass es andere Möglichkeiten für uns gegeben hätte. Andere Wege, die eine Trennung nicht beinhaltet hätten.“
„Ich weiß, dass du nicht gehen wolltest. Ich verstehe das und es ist in Ordnung.“
Er verzog ein wenig das Gesicht. „Das ist es nicht.“ Sanft, als würde er um Vergebung bitten, nahm er meine Hand in beide Hände. „Ich hätte einen Weg finden sollen, wie wir trotzdem zusammen sein können, statt mich von dir zu trennen. Ich weiß, dass du die Trennung nicht wolltest.“
Ich hob die andere Hand. „Die Monate haben mir auch die Möglichkeit gegeben nachzudenken, Keanu. Unmittelbar vor Tevins Unfall habe ich entschlossen, dass ich nicht zurück blicken und bereuen wollte, es nie wieder mit ihm versucht zu haben.“
Er erstarrte.
„Mir ist aber auch klar geworden, dass ich in der Lage gewesen bin Gefühle für dich zu entwickeln, obwohl ich diese Gefühle für Tevin hatte. Nun, da Tevin unerreichbar ist, habe ich oft darüber nachgedacht, was besser für mich wäre. So wäre ich wahrscheinlich eher glücklich geworden, wenn ich mich von Anfang an richtig auf dich eingelassen hätte, statt mich weiter nach Tevin zu sehnen und insgeheim auf ihn zu warten.“ Ich zog eine Schulter hoch. „Jedes mal wenn ich versucht habe mit Tevin glücklich zu werden, wurde ich unglücklich. Und du hast es geschafft mir die Freude zurück zu geben, obwohl ich so unglücklich war.“ Da er sich immer noch nicht regte, legte ich nun auch meine zweite Hand zu seinen. „Keanu, was mir klar geworden ist, ist, dass du mich auf eine Art berührt hast, wie es Tevin nur in einer Beziehung geschafft hat. Und das, obwohl ich zu dir noch nicht so tiefe Gefühle hege. Verstehst du, was ich dir sagen will?“
Verwirrt zog er nun die Brauen zusammen. „Ich bin mir nicht sicher.“
Ich atmete kurz durch. „Tevin konnte mich nur glücklich machen, wenn wir in einer Beziehung waren. Du hast es geschafft mich glücklich zu machen, obwohl sich mein innerstes gegen eine Beziehung mit dir gesträubt hat. Ich- Ich habe mich in dich verliebt.“
Seine Augen weiteten sich ein wenig.
„Nicht so sehr wie in Tevin.“, merkte ich trocken an, „Aber ich habe mich in dich verliebt, obwohl Tevin da war. Seit mir klar geworden ist, was das bedeutet, wollte ich dich unbedingt wiedersehen.“
Nun hob sich sein Mundwinkel und ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass er an den Moment dachte, als ich ihn heute am Strand gesehen hatte. Wie ich mich in seine Arme geworfen hatte, ohne ihm die Möglichkeit zu geben früh genug zu reagieren.
„Ich gebe zu, es ist noch immer schwer mit Tevin und der Gedanke an ihn mit einer anderen Frau macht mich krank vor Eifersucht.“, gestand ich offen, „Aber ich will trotzdem mit dir zusammen sein, denn ich weiß, dass ich mit dir wirklich glücklich werden kann.“
Mit einmal Mal schien alle Anspannung aus seinem Körper zu entweichen und er begann zu lächeln wie ein kleiner Junge an Heiligabend. „Du ahnst gar nicht, wie froh ich bin hergekommen zu sein.“
Stunden später ging er mit mir die Treppe zur WG hinauf. Seit wir das Restaurant nach einem fantastischen Essen verlassen hatte, ließ er meine Hand nicht mehr los, hatte sogar unsere Finger miteinander verschränkt, als würde ich verschwinden, wenn er mich losließe.
„Wie geht es eigentlich den anderen? Theodore, Veit, Travis und Evelyn. Im letzten Brief hast du erwähnt, das Ev schwanger ist.“
Ich rollte mit den Augen und stöhnte auf. „Sie macht alle verrückt mit ihren Launen und Teddy ist der einzige, der mit ihr umgehen kann. Aber ich glaube, alles in allem sind die beiden etwas überfordert. Ich bin mir nicht sicher, ob es für die beiden eine gute Idee ist jetzt schon ein Kind zu bekommen. Evelyn ist noch in der Ausbildung und Teddy hängt mitten im Studium, jobbt nebenbei. Sie haben nicht einmal einen Plan, was sie tun, wenn das Kind da ist.“
„Das ist nicht gut.“, bemerkte er besorgt, „Über so etwas hätten sie sich bereits Gedanken machen müssen, ehe sie überhaupt ja zu einem Kind sagen.“
„Das denke ich auch, aber ich will mich nicht zu sehr einmischen, weißt du.“
„Ich verstehe schon. Und was ist mit Veit und Travis?“
„Nun ja... Ich weiß nicht genau. Ich denke, die zwei sind glücklich zusammen. Sie machen zumindest stark den Eindruck.“ Nachdenklich knabberte ich ein wenig an meiner Unterlippe, während ich nach meinem Schlüssel fischte. „Bei Travis läuft es auch super, was seinen Job betrifft. Aber Veit macht mir ein bisschen Sorgen. Seit seine letzte Ankündigung in die Hose ging scheint er so motivationslos. Ich habe ihn seit Wochen nicht mehr malen sehen.“ Vor der Wohnungstür blieb ich mit ihm stehen. „Travis macht sich auch schon Sorgen. Ich hab Angst, dass er sich zu viel Druck macht oder so.“
„Das legt sich bestimmt wieder. Vielleicht braucht er gerade nur eine Pause.“
Einen Moment verzog ich noch den Mund, seufzte dann aber. „Du hast wahrscheinlich Recht.“, stimmte ich dann zu und schloss die Tür auf, woraufhin Evelyns laute Stimme hörbar wurde.
„-keine Lust mir das noch länger anzuhören!“, rief sie gerade, „Entweder er nimmt sofort zurück, was er gesagt hat, oder ich ramme ihm diese Gabel ins Bein!“
Ich ächzte, betrat mit Keanu aber die Wohnung, während Teddy versuchte Evelyn zu beschwichtigen, er habe es ja nicht so gemeint und sie solle doch bitte die Gabel hinlegen. Gewalt führe doch zu nichts und sie müsse an das Kind denken.
Ich hörte ein paar Minuten der lautstarken Unterhalten zu und blies die Wangen auf, ehe ich schließlich prustete. „Ev, wenn du so weiter machst, kommt noch ein Nachbar und beschwert sich.“, merkte ich dann an, „Möchtest du nicht lieber eine heiße Dusche nehmen um dich etwas zu entspannen?“
Sofort verstummten alle und sahen zu mir, ehe Evelyn schnaubte, aufsprang und in Teddys Zimmer eilte. Als sie an uns vorbei ging, hörte ich sie leise Veit beschimpfen, der die ganze Zeit die Augen verdreht und geschnauft hatte.
Nun stand Teddy lächelnd auf und kam herüber. „Okay, jetzt verstehe ich wirklich, was du meintest.“, bemerkte er und reichte Keanu freundschaftlich die Hand, ehe sie sich gegenseitig auf den Rücken schlugen. „Schön dich wiederzusehen.“
Veit stand ebenfalls auf, um ihn zu begrüßen. „Wie ist das Wetter auf Hawaii? Hast du Fotos für uns?“, fragte er danach und sah ihn neugierig an.
„Leider nein.“, entgegnete Keanu bedauernd, „Aber ich kann einen Angestellten bitten welche zu machen und sie dir per Mail zu schicken, wenn du willst.“
„Das wäre echt gut. San Diego kenne ich mittlerweile wie meine Hosentasche. Ein paar andere Anblicke wären sicher eine Erholung.“
„Ist Tevin noch auf einem Date?“, fragte ich Teddy nebenbei.
Dieser schüttelte den Kopf. „Nein, er ist gerade im Bad und dürfte gleich fertig sein.“ Dann wand er sich an Keanu. „Übernachtest du bei Vilija oder hast du ein Zimmer irgendwo?“
„Vilija hat mir angeboten bei ihr zu schlafen, also...“ Keanu lächelte mich anzüglich an, woraufhin Teddys Gesicht sich ein wenig aufhellte.
„Also versucht ihr es nochmal?“, fragte er schier hoffnungsvoll.
„Das ist zumindest mein Plan.“
Ich hob eine Schulter. „Meiner auch.“
Veit hob einen Finger. „Das schreit nach einem Glas Wein.“
Daraufhin hörte ich Travis schnauben. „Du trinkst in letzter Zeit viel zu viel Wein.“
Ich lächelte ihn begeistert an. „Hallo Travis.“, winkte ich ihm dann zu, „Wie war dein Tag?“
„Etwas anstrengend.“, gab er zu, „Und dann kam ich her, um zu entspannen und es wurde noch anstrengender.“
„Das tut mir leid. Du kennst Keanu noch nicht richtig, oder?“ Diesen zog ich nun neben mir mit zum Tisch. „Travis, das ist Keanu. Der göttlichste Surfer, den die Menschheit je gesehen hat.“
Keanu lachte leise und wurde sogar ein wenig rot.
„Keanu, das ist Travis. Der attraktivste angehende Tierarzt, den es je geben wird.“
„Man, du hast ja ganz schön gute Laune.“, bemerkte Travis amüsiert, „Das hab ich schon vermisst.“
Dann reichten sich die beiden Männer die Hände. Im nächsten Moment hörte ich hinter uns die Badezimmertür aufgehen.
„Das Bad ist frei.“, hörte ich Tevin sagen.
Ich nahm sofort wahr, wie sich Keanus Schultern strafften und seine gesamte Haltung etwas an Spannung zunahm.
„Hallo Tevin.“, begrüßte ich daraufhin nur meinen Bruder und versuchte diesmal gelassener zu sein, doch in mir kam die mir vertraute Anspannung wieder hoch, wie ich sie nach dem Unfall immer hatte. Jede Bewegung erschien plötzlich so schwer, als wäre ich ein Roboter, deren Gelenke seit Jahren nicht geölt worden sind. Eigentlich hatte ich gedacht das hinter mir zu haben, aber hin und wieder passierte es immer noch.
„Hi.“, entgegnete Tevin und schien überrascht, als er einen Mann an meiner Seite sah. „Hallo.“, begrüßte er ihn dann, „Kennen wir uns zufällig?“
„Nur flüchtig.“, antwortete Keanu wahrheitsgemäß.
Die anderen schienen plötzlich alle etwas vorzuhaben. Teddy wollte nach Ev sehen, Travis war plötzlich müde und Veit hatte mit einem Mal ein großes Interesse daran den Abwasch zu tätigen.
Tevin schien die Merkwürdigkeit in der Situation nicht zu bemerken. „Verstehe. Ich kann mich leider nicht an dich erinnern.“
„Ja, Vilija sagte, du hättest dein Gedächtnis verloren.“
Daraufhin zuckte Tevin mit den Schultern. „Ich hab mich damit abgefunden. Woher kennen wir uns?“
Als Keanu mir einen prüfenden Blick zuwarf, hielt er inne und zog besorgt die Brauen zusammen. „Alles okay?“
Ich nickte nur ruckartig, ehe ich mir den Nacken rieb.
Zögerlich nahm er den Blick wieder von mir und sah zu Tevin. „Ich bin mit Vilija zusammen.“
Nun schien Tevin verblüfft. „Ach so? Das wusste ich gar nicht. Seit wann?“
„Seit heute erst wieder.“
„Wieder? Ward ihr schon einmal zusammen?“
„Das ist eine längere Geschichte.“, ging ich dazwischen, „Entschuldige, aber... der Tag war lang und ich würde mich jetzt gerne hinlegen.“
„Kein Problem. Ich gehe auch gleich zurück.“
„Okay.“
Einen Moment standen wir noch herum, ehe ich mich räusperte und mit Keanu in mein Zimmer ging. Erst als die Zimmertür hinter mir zu fiel, fiel alle Anspannung von mir ab und ich atmete durch.
„Was war das gerade?“, fragte Keanu verwirrt, „Noch ein bisschen mehr und du wärst ein einziger Stein gewesen.“
„Ich weiß nicht genau.“, antwortete ich ehrlich, „Seine pure Anwesenheit ist plötzlich so... unerträglich. Ich kann ihn kaum ansehen.“
Aufmerksam betrachtete er mich ein wenig, nachdem er sich auf mein Bett gesetzt hatte. Dann streckte er eine Hand nach mir aus.
„Na los, komm her.“, lockte er mich.
Ohne Zögern ging ich herüber und ließ mich von ihm auf seinen Schoß ziehen.
„Wie wäre es, wenn wir etwas über ihn reden? Vielleicht hilft dir das.“
Ich atmete kurz durch. „Okay, also... schieß los.“
Er hob eine Braue. „Ich soll anfangen? Ich kenne ihn doch so gut wie gar nicht. Aber du kannst mir doch sicher sagen, was er derzeit so macht, wenn er nicht hier ist oder Dates hat.“
„Du meinst beruflich?“
„Ja.“
Ich hob eine Schulter. „Er hat erst sein schulisches Wissen prüfen lassen. Er war erstaunlich gut in den Prüfungen.“
„Inwiefern?“
„Naja, er hat sein Gedächtnis verloren, da dachte ich, er würde furchtbar abschneiden. Tatsächlich fielen sie besser aus als seine ersten, hatte kaum Fehler.“
Das schien ihn zu überraschen. „Wow. Dann muss er einen ziemlich guten Schnitt haben.“
„1,3.“, stimmte ich zu, „Zu seinem Abschluss hatte er einen Schnitt von 2,7.“
„Und was macht er nun damit?“
„Wenn ich mich nicht verhört oder etwas falsch verstanden habe... hat er vor wenigen Monaten ein Psychologiestudium begonnen. Der Gedanke ist irgendwie seltsam, da er derzeit noch in Therapie ist.“
„Eine Therapie? Warum?“
„Er ist traumatisiert und hat starke Schlafstörungen. Beides belastet ihn. Ihn belastet noch etwas anderes, aber darüber redet er nicht.“
Er schürzte die Lippen. „Hast du mal darüber nachgedacht selbst eine Therapie zu machen?“
„Ich?“ Verblüfft sah ich ihn an. „Warum?“
„Naja, du leidest selbst unter Schlafstörungen. Und du kannst schlecht abstreiten, dass du zur Depression neigst. Und“, fuhr er fort, als ich empört protestieren wollte, „Und du hast deine eigenen traumatischen Erlebnisse gehabt.“
„Ich bin nicht traumatisiert.“, widersprach ich.
Skeptisch hob er eine Braue. „Du hast den Unfall des Mannes miterlebt, der dir dein Leben bedeutet. Er hat infolge dessen sein Gedächtnis verloren. Du wurdest, laut eigener Aussage, angegriffen und erleidest wahrscheinlich regelmäßig Todesängste. Und das sind nur die aktuellen Geschehnisse. Ich bin mir fast sicher, dass es in deiner Vergangenheit Dinge gibt, die dich sehr mitgenommen haben, über die du aber nichts gesagt hast.“
Sprachlos starrte ich ihn an. Es gab tatsächlich solche Erlebnisse. Eines davon war der Bärenangriff damals auf dem Schulausflug, nach dem ich gefühlt stundenlang im Wald herumgeirrt und einen verletzten Tevin gesucht hatte. Ich hatte nie mit jemandem darüber gesprochen. Nie hatte ich auch nur noch einmal daran gedacht. Und dann war da, nur wenige Wochen später, dieser Moment, als ich nach hause kam und Tevin fort war.
Keanu strich mir zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht. „Wenn ich mich recht erinnere, haben meine Eltern dir einen Psychologen geschenkt.“, bemerkte er trocken, „Es ist sehr grob von ihnen gewesen, aber vielleicht kann er dir helfen.“
Ich schluckte schwer. „Meinst du wirklich, dass es hilft?“
„Ein Versuch ist es wert, oder nicht?“ Liebevoll glitt seine Hand über mein Haar, beruhigte mich auf so einfache Weise. „Wenn du der Meinung bist, dass es nicht hilft, kannst du ja immer noch aufhören. Kosten tut es dich nichts. Nur ein wenig Zeit.“
Ein leises Seufzen kam mir über die Lippen. „Okay, ich versuche es. Aber nur weil du es bist.“
Aufmunternd lächelte er mich an. „Wenn ich falsch liege hole ich dich einfach für ein paar Wochen zu mir.“
„Zu dir? Bist du sicher?“, hakte ich nach.
Er nickte. „Falls dein Bodyguard sich Sorgen machen sollte, kann ich ihn auch beruhigen. Das gesamte Grundstück wird rund um die Uhr bewacht. Da könntest du dich voll und ganz entspannen. Wir haben auch einen Pool und die Aussicht ist fantastisch.“
„Ich werde darüber nachdenken.“ Ich drückte ihm einen Kuss auf den Kiefer. „Danke, dass du hergekommen bist. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchgehalten hätte.“
Als ich das Gesicht an seinen Hals schmiegte, vergrub er seines in meinem Haar und atmete tief ein. „Hätte ich gewusst, wie schwer du es gerade hast, hätte ich schon früher herkommen können.“
„Du bist genau im richtigen Moment hergekommen.“, widersprach ich und küsste ihn diesmal auf den Mund.
Mit einem Seufzen, bei dem gleichzeitig alle Anspannung von ihm fiel, erwiderte er den Kuss und drückte mich an sich. Es dauerte keine fünf Sekunden, bis der Kuss dieselbe Leidenschaft beinhaltete wie die Küsse vor dem Restaurant. Doch diesmal wartete nichts auf uns. Ein leises Stöhnen entrang sich Keanus Kehle, ehe er sich mit mir zusammen herum drehte und mich auf das Bett drückte, die Lippen nicht einen Moment von meinen getrennt. Wie ein ertrinkender küsste er mich weiter, ließ die Hände an meiner Taille herab und unter mein Shirt gleiten, welches er mir prompt auszog und achtlos hinter sich auf den Boden warf.
„Entschuldige.“, murmelte er kurz darauf, die Lippen an meinem Hals. „Ich hab ganz vergessen wie scharf du mich eigentlich machst.“
Unwillkürlich kicherte ich leise, ehe ich unvermittelt aufstöhnte, als er diese hinreißende Stelle unter meinem Ohr liebkoste. „Keanu.“, hauchte ich und zupfte ungeduldig an seinem eigenen Shirt. „Zieh das aus.“
Ein verführerisches Lächeln legte sich auf sein Gesicht, ehe er sich erhob, sich das Shirt über den Kopf zog und es zu meinem warf. Dann hielt er inne und ließ mich gewähren, als ich meine Hände über seine Brust und seinen Bauch wandern ließ.
„Wie schaffst du es trotz all der langweiligen Meetings diesen göttlichen Körper zu trainieren?“
Zärtlich ließ er seine eigenen Hände über meinen Bauch wandern. „Ich frage mich eher, wie du es schaffst so dünn zu werden.“ Dann schlich sich Sorge in mein Gesicht. „Du solltest vielleicht ein bisschen mehr essen.“
Zaghaft knabberte ich an meiner Unterlippe. „Ich habe offenbar eine Essstörung, aber ich arbeite daran.“
Die Luft entwich seinen Lungen. „Oh Baby.“, hauchte er dann, ehe er sich wieder zu mir herab beugte und mich so zärtlich küsste, dass es mir Tränen in die Augen trieb. „Ich bin jetzt da.“, flüsterte er mir dann zu und bedeckte mein Gesicht mit kleinen Küssen. „Von jetzt an will ich immer für dich da sein.“
Ich spürte wie sich, ausgehend von meinem Bauch, eine angenehme Wärme in mir ausbreitete und lächelte ihn warm an. „Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich.“
Keanu
Langsam entzog sich mir mein Schlaf und ließ mich müde zurück, während ich leise vor mich her seufzte. Es dauerte einen Moment, ehe ich den warmen Körper in meinen Armen bemerkte. Und es dauerte noch einen weiteren Moment, ehe ich bemerkte, dass ich nicht in meinem Bett auf Hawaii war. Müde blinzelte ich einige Male und sah direkt auf einen Wecker, der mir bekannt vorkam.
Vilijas Wecker, wie mir einfiel. Und er zeigte 6.30 Uhr. Innerlich verfluchte ich meinen Schlafrhythmus und vergrub das Gesicht in dem Haar der Frau, die ich über alles liebte. Vilija seufzte daraufhin leise und drehte sich im Schlaf zu mir herum, ehe sie sich leise nuschelnd an mich kuschelte. Ganz ungewollt stieg Begierde in mir auf und die Versuchung war verdammt groß. Doch ich wusste, sie hatte weniger geschlafen als ich. Nach dem Geständnis waren wir nicht mehr weit gekommen, denn Veit und Travis hatten sich plötzlich dafür entschieden zu streiten, weshalb Vilija zwei Stunden damit beschäftigt war mit den beiden Männern zu reden.
So sorgenvoll. Sachte strich ich ihr übers Haar, hatte Angst sie zu wecken.
Nach einem weiteren Gespräch zwischen uns, das sich diesmal glücklicherweise um belanglosere Dinge gedreht hatte, begleitet von der Bemerkung, dass Tevin im Wohnzimmer auf der Couch schlief, hatte sie dann um 2 Uhr morgens verkündet sie sei so müde, dass sie glatt eine Woche durchschlafen könne, doch ich wusste, dass sie noch wach gelegen hatte, als ich eine halbe Stunde später eingeschlafen war.
Aus Sorge, dass sie vielleicht wirklich wegen mir aufwachen könnte, löste ich mich so vorsichtig von ihr, wie es mir möglich war und stieg über sie hinweg aus dem Bett.
Nächstes Mal schläft sie besser an der Wand, dachte ich mir und deckte sie sorgfältig zu, ehe ich sie noch einen Moment beobachtete. Sie regte sich noch ein wenig, drehte sich nochmals herum und seufzte verschlafen, schlief aber weiter.
Erleichtert atmete ich auf und sah kurz an mir herab. Die Shorts sollte reichen... Zustimmend nickte ich mir zu und verließ dann leise das Zimmer, zog die Tür still hinter mir zu, nur um vor Schreck zusammen zu zucken, als ich Travis vor mir stehen sah.
„Gott, Travis.“, kam es mir leise über die Lippen, woraufhin er amüsiert lächelte. „Hast du mich erschreckt.“
„Entschuldige.“, entgegnete er genauso leise, „Warum bist du schon wach?“, fragte er dann.
Ich deutete zur Küche, um ihm zu sagen, dass ich dorthin wolle, woraufhin er nickte und mich begleitete. „Mein Wecker würde in ein paar Minuten klingeln.“, erklärte ich dann und warf Tevin auf der Couch einen kurzen Blick zu.
Mein erster Eindruck von ihm blieb bestätigt. Damals kam er gerade aus Rumänien und das erste, woran ich gedacht hatte, als ich ihn gesehen hatte, war, dass er mindestens genauso viel Sport betreiben musste wie ich. Er war nicht so massig wie Bodybuilder und er machte auch nicht den Eindruck, als würde er nur wegen der Muskelmasse trainieren. Er sah eher so aus, als würde er regelmäßig Kampfsport betreiben.
Selbst jetzt, wenn er so unschuldig und hilflos dalag wie ein kleines Kind, wirkte er, als wäre er in der Lage jemanden kampfunfähig zu machen, der doppelt so viel wog als er selbst. Er wirkte... einschüchternd.
Vielleicht bilde ich es mir nur ein. Immerhin weiß ich nun, dass er den größeren Teil von Vilijas Herz besitzt und betrachte ihn deshalb als Bedrohung.
„Er wollte eigentlich gehen, aber Miles hatte sich bereits schlafen gelegt, also hielt er es für besser hier zu bleiben.“, bemerkte Travis, der meinem Blick folgte.
Ich nickte nur. In der Küche blieb ich einen Moment stehen, ehe ich das Gesicht verzog und die Kaffeemaschine anschmiss. Travis zog rücksichtsvoll die Tür zu.
„Wie geht es Vilija?“, fragte er dann, „Machst du mir auch einen?“
„Klar.“, antwortete ich und holte einen zweite Tasse aus dem Schrank. „Und es geht ihr soweit gut, denke ich. Sie schläft noch.“
Er atmete erleichtert auf. „Ich mag sie wirklich gern.“, bemerkte dann, „Und Veit vergöttert sie. Deshalb mache ich mir etwas Sorgen. Aber vielleicht ist das jetzt, wo du da bist, auch überflüssig. Sie hat seit dem Unfall nicht mehr gelächelt, weißt du? Und gelacht hat sie auch nicht. Ich war wirklich erleichtert, als sie mich gestern so fröhlich angelächelt hat.“
Mein Herz verkrampfte sich ein wenig, während es gleichzeitig vor Freude und Liebe anschwoll. Ich war tatsächlich in der Lage sie nach Monaten wieder zum Lächeln und zum Lachen zu bringen. „Ich bin froh hier zu sein.“ Ich sah auf die Tassen herab, die sich langsam mit Kaffee füllten. „Sehr.“
„Aber?“
Ich schluckte schwer, als sich mir die Kehle ein wenig zusammen zog und ich hatte dieses Bild vor Augen, als Vilija sich am Strand von mir abgewendet hatte, um mit Vaughn zu gehen. „Wann hat sie sich das Tattoo stechen lassen?“, fragte ich heiser.
„Ein Tattoo?“, hakte Travis überrascht nach, „Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, dass sie ein Tattoo hat.“
„Auf ihrem Rippenbogen am Rücken“, murmelte ich, „hat sie sich Tevins Namen tätowieren lassen. Umrahmt von litauischen Worten.“
„Oh.“ Er klang beinahe bestürzt. „Davon wusste ich nichts. Wahrscheinlich hat sie es sich irgendwann nach der Arbeit von Mitch stechen lassen. Vielleicht auch in der Pause.“ Einen Moment schwieg er und starrte vor sich hin, ehe er zu mir aufsah. „Aber ich glaube, du berührst sie trotzdem. Ich glaube nicht, dass du dir Gedanken darum machen musst. Besonders wegen seinem Gedächtnisverlust.“
Als die Kaffeemaschine fertig war, reichte ich ihm seine Tasse, und lehnte mich neben ihm an die Küchenzeile. „Ich weiß, dass ich mir eigentlich keine Gedanken darum machen sollte.“, gestand ich dann, „Wir haben viel geredet gestern und sie sagte, dass sie weiß, dass sie mit mir glücklich werden kann.“
Verwirrt zog er die Brauen zusammen, während er vorsichtig an seinem Kaffee nippte, ehe er zischte, da er sich wohl verbrannt hatte. „Kann sie das mit Tevin nicht?“, fragte er dann.
„Naja...“, hob ich an und zuckte mit den Schultern. „Sie scheint immer unglücklich geworden zu sein, wenn sie es mit ihm versucht hat.“
„Oh.“ Das brachte ihn zum Nachdenken. „Dabei dachte ich immer, so etwas wie Bestimmung gäbe es gar nicht.“, witzelte er dann und grinste schief. „Aber lassen wir das. Ich hab gesehen welche Wirkung du auf sie hast und ich bin davon überzeugt, dass es richtig ist, dass ihr zusammen seid. Auch wenn es nicht leicht ist.“
„Hm.“, machte ich daraufhin und nippte selbst an meinem Kaffe, ehe ich das Gesicht verzog und nach dem Zucker griff. „Warum bist du schon wach?“
Er seufzte. „Eher noch. Vilija hat sich zwar mit Veit und mir über das Problem unterhalten, um uns mit einer sachlichen Sicht zu helfen, aber das hat diesmal leider nicht so gut funktioniert. Veit und ich haben noch eine Weile diskutiert, ehe ich spazieren gegangen bin. Als ich zurück kam schlief er schon und ich wollte ihn nicht wecken. Ich komme grad aus der Dusche.“
„Ah.“ Aufgrund der Dunkelheit waren mir seine nassen Haare nicht aufgefallen. „Worüber habt ihr denn gestritten? Vielleicht kann die sachliche Ansicht eines Mannes helfen, der bisher keinen Einblick in eure Beziehung hatte.“
Einen Moment schwieg er, ehe er tief seufzte. „Es geht eigentlich nur darum, dass ich mir Sorgen um Veit mache, weil er unglaublich frustriert ist. Er kann seit Monaten nicht malen, verstehst du?“
„Oh ja, und wie. Ehe ich herkam konnte ich monatelang nicht einmal ans Meer.“
Es dauerte einen Augenblick, ehe er verstand. „Zum Surfen.“, erinnerte er sich dann, „Ich erinnere mich. Der göttlichste Surfer, den die Menschheit je gesehen hat.“
Ich lachte leise. „Ich bin davon überzeugt, dass sie das nur gesagt hat, weil sie mich mag. Sie war noch nie auf einem richtigen Wettbewerb auf Hawaii.“
Travis feixte. „Vielleicht meinte sie ja gar nicht dein Können sondern dein Aussehen.“
Ich hüstelte. „Ich muss zugeben, es ist neu für mich ein Kompliment von einem Mann zu bekommen.“
Er tätschelte mir die Schulter. „Keine Sorge, ich fange nicht an mit dir zu flirten.“
„Danke, das weiß ich sehr zu schätzen.“
Einen Moment blieb es daraufhin still, ehe wir beide leise lachten.
„Also.“, hob ich schließlich an, „Du machst dir Sorgen, weil Veit frustriert ist, da er nicht malen kann. Hat er eine Blockade?“
„Ja. Aber es stört ihn, wenn ich mich um ihn sorge.“
„Aber das ist in einer Beziehung doch unumgänglich.“
Ein Seufzen kam über seine Lippen. „Das denke ich auch, aber ihn stört es einfach.“
Einen Moment dachte ich darüber nach und schürzte die Lippen. „Vielleicht kann er mit seinem eigenen Frust nicht umgehen und fühlt sich jedes Mal daran erinnert, wenn du ihn umsorgst. Wie wäre es, wenn du versuchst ihn abzulenken, statt ihn zu trösten. Ich habe Vilija damals das Surfen beigebracht. Es gibt doch sicher etwas, was er noch nicht gemacht habt, das ihr zusammen versuchen könnt.“
Schweigend sah er auf den Boden vor sich und dachte nach. „Ich würde gerne mal mit ihm klettern gehen. Ich bin mir sicher, es würde ihn auch inspirieren.“
„Das klingt nach einer guten Idee. Du kannst ihm nach heute morgen etwas Zeit für sich geben und ihn dann mit deinem Vorschlag überraschen.“
„Ihm Zeit für sich lassen?“, hakte er nach, „Du meinst, ich soll jetzt einfach gehen und erst übermorgen wiederkommen?“
„Nein. Natürlich nicht.“, entgegnete ich amüsiert. „Du kannst das natürlich mit ihm aussprechen und dann gehen.“
„Das klingt natürlich viel besser.“, murrte er trocken und trank einen weiteren Schluck.
„Es ist nur ein Vorschlag.“
Er seufzte. „Danke.“
Wahrscheinlich wollte er noch etwas hinzufügen, doch ein Schrei, den ich so schnell nicht mehr vergessen würde, schnitt ihm das Wort ab. Vor Schreck ließ ich die Tasse fallen, woraufhin der heiße Kaffee mir schmerzhaft an die nackten Beine spritzte, doch ich bemerkte es kaum, weil ich bereits aus der Küche stürmte.
Tevin schien dieselbe Idee zu haben wie ich, denn er war bereits an Vilijas Tür und stürzte hinein. „Vilija. Hey, ganz ruhig. Es war nur ein Traum.“
Ich hörte sie heftig schluchzen und blieb wie erstarrt an ihrer Tür stehen. Tevin beugte sich besorgt über sie und streichelte ihr tröstlich übers Haar, während sie ein Kissen umklammerte, ihr Gesicht hinein drückte und herzzerreißend weinte. Nebenan öffnete Veit die Tür, ebenso wie Teddy an seinem Zimmer.
„Hat sie wieder geträumt?“, fragte er.
„Geht es ihr gut?“, wollte Veit gleichzeitig wissen.
Ohne die beiden zu beachten ging ich zu ihr herüber und hockte mich vor sie. „Vilija.“
Tevin warf mir einen überraschten Blick zu, als hätte er vergessen, dass ich da war, bewegte sich jedoch keinen Zentimeter beiseite. Stattdessen sah er wieder auf sie herab und flüsterte ihr beruhigende Worte zu, streichelte ihr beruhigend über den Rücken.
Ich biss heftig die Zähne aufeinander, damit ich nichts sagte, das ich hinterher bereuen würde, und griff sanft nach Vilijas Hand. „Hey.“, murmelte ich ruhig, „Ist schon gut. Alles ist gut.“
Es dauerte ein wenig, bis sie sich so weit entspannt hatte, dass ich ihr das Kissen aus den Armen nehmen konnte, damit sie sich hinsetzte. Tevin machte sofort Platz, setzte sich dann aber neben sie, woraufhin ich mich vor ihr kniete.
„Ihr geht es besser.“, hörte ich Teddy sagen und warf einen kurzen Blick über meine Schulter.
Er schob Veit und Travis gerade zur Seite, um die Tür zu schließen, also widmete ich mich wieder Vilija. Sanft wischte ich ihr die Tränen aus dem Gesicht und versuchte ihren Blick aufzufangen.
„Sieh mich an.“, bat ich sie, „Es ist alles in Ordnung.“
Sie schluchzte noch einige Male, ehe sie den Blick hob und mich ansah. „Es war so furchtbar.“, weinte sie und schlug die Hand vor den Mund. „Da war überall Blut.“
„Hast du von dem Unfall geträumt?“, fragte Tevin besorgt, „Oder von einem Angriff?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, von-“ Sie schluchzte heftig auf und presste die Handballen auf ihre Augen. „Von einem kaltblütigen Mord.“
Tevin wurde genauso starr wie ich und warf mir einen besorgten Blick zu, den ich ebenso erwiderte. Ein paar Momente hielt er ihn, machte nicht den Eindruck, als wäre ich ihm unwillkommen, sondern eher als... bitte er mich um Hilfe. Da es ihm um nichts anderes gehen konnte als um seine Schwester, nickte ich ihm zu, woraufhin er mir ebenfalls zunickte. Dann sah er wieder auf sie herab.
„Was ist passiert?“, fragte er direkt.
Ich schluckte schwer, als ich sah, wie sie zu zittern begann.
„Ich weiß nicht genau.“, antwortete sie nach einer gefühlten Ewigkeit, „Da war dieser Mann in unserem Haus und er hat Mom bedroht. Mit einem Messer. In der anderen Hand hielt er eine Pistole und zielte damit auf Dad. Er-er hat ihr irgendwas gesagt, aber ich weiß nicht mehr was. Und dann hat er auf Dad geschossen und geschossen und-“ Ein weiteres Schluchzen unterbrach sie. „Er fiel einfach so zu Boden und Mom hat angefangen zu schreien.“
„Was ist mit dir?“, fragte Tevin, „Wo warst du?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht.“ Als sie ein weiteres Mal schluchzte, brach sie in sich zusammen. „Ich glaube ich stand an der Tür und ich habe versucht ihr zu helfen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich wollte etwas sagen, aber ich habe den Mund nicht aufgekriegt. Und dann hat er ihr die-“
Als ihre Stimme versagte, zog ich sie an mich und umschlang sie tröstend. Sofort klammerte sie sich an mich und weinte hemmungslos weiter. Als ich zu Tevin sah, sah er noch mit zusammengezogenen Brauen nachdenklich dorthin, wo Vilija gesessen hatte. Als würde ihn das an etwas erinnern, an das er sich nicht erinnern konnte. Schließlich rieb er sich mit der Hand über den Mund und sah zu uns herüber.
„Mom und Dad geht es gut.“, meinte er schließlich, „Wenn du möchtest, kann ich sie anrufen, damit du sie hören kannst.“
Als sie daraufhin nichts heraus bekam, seufzte ich leise. „Das ist eine gute Idee.“, antwortete ich ihm schließlich, „Ihr Mobi liegt auf dem Nachttisch.“
Mit einem Nicken griff er danach und wählte eine Nummer, ehe er es an sein Ohr hob. Es wunderte mich nicht, dass es eine Weile dauerte, ehe er sich meldete, immerhin war es früh morgens und Levin und Violeta hatten sicher noch geschlafen.
„Hallo Dad.“, hob er an, „Entschuldige, dass ich euch wecke, aber es ist wichtig. - Vilija hatte einen... sehr schlimmen Albtraum und wir denken, es könnte ihr helfen, wenn ihr mit ihr redet. - Ich denke ein Telefonat reicht, aber das wäre wahrscheinlich noch besser, ja. - In Ordnung. - Ja, machen wir. - Bis gleich.“ Langsam atmete er aus und legte auf, legte das Mobi wieder zurück. „Sie sind auf dem Weg hierher.“, erklärte er dann mit sanfter Stimme, „Und es geht beiden gut.“
Daraufhin umklammerte sie mich nur fester. „Du kannst sie gleich sehen.“, murmelte ich ihr beruhigend zu, „Dann kannst du dich selbst davon überzeugen, dass es ihnen gut geht. Sie sind in 20 Minuten hier.“
Noch immer sagte sie kein Wort, doch sie schluchzte nicht mehr so heftig wie vorhin. Liebevoll küsste ich sie daraufhin auf den Schopf und streichelte ihr übers Haar.
„Okay.“, flüsterte ich ihr dann zu, „Es ist okay.“
„Ich hole ihr etwas zu trinken.“, gab Tevin mir leise zu verstehen, ehe er aufstand und hinaus ging.
„Na komm.“, meinte ich schließlich sanft an Vilija und hob sie hoch, als ich aufstand. „Legen wir uns ins Bett, bis deine Eltern da sind. In Ordnung?“
Ich wartete geduldig, bis sie zitternd nickte, ehe ich die Decke beiseite schlug und mich mit ihr ins Bett legte. Dabei fiel mir auf, dass sie sich im Schlaf wohl das Shirt ausgezogen hatte.
„Ich ziehe dir kurz dein Shirt über“, flüsterte ich ihr zu, ehe ich nach ihrem Shirt fischte und es ihr über zog.
Als ich mich dafür kurz von ihr löste, lag da dieser schockierte Ausdruck in ihrem Gesicht.
„Liebling, es ist alles in Ordnung.“, sprach ich ihr zu und streichelte ihr übers Gesicht. „Das war alles nur ein furchtbarer Traum. Es war nicht real.“
„Ich-ich muss das spüren.“, entgegnete sie verstört, „Ich fühle mich, als hätte man sie vor meinen Augen umgebracht.“
„Das verstehe ich und es ist okay.“ Ich drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und bettete ihren Kopf an meiner Brust. „Sie sind gleich da.“
So wartete ich mit ihr. Die Zeit zog sich wie ein zähes Kaugummi. Um sie ein bisschen abzulenken, brachte ich sie dazu etwas von dem Wasser zu trinken, dass Tevin ihr gebracht hatte. Irgendwann hörte ich die Wohnungstür und ließ Vilija nur los, um hastig nach meinem Shirt zu greifen. Ihr Vater hatte wahrscheinlich immer noch einen schlechten Eindruck von mir, den wollte ich nicht noch bestätigen.
Kurz darauf klopfte es an der Tür, woraufhin ich aufstand und sie öffnete.
„Oh.“, hörte ich Violeta überrascht sagen, ehe sie mich leicht anlächelte. „Ich hab gar nicht gewusst, dass du wieder da bist, Keanu. Freut mich dich wiederzusehen.“
Ich lächelte höflich zurück. „Freut mich ebenfalls.“
Levin nickte mir kurz zu, ehe er an mir vorbei zu Vilija sah. „Was ist passiert?“
Kurz räusperte ich mich, ehe ich beiseite trat. „Sie hatte einen Albtraum, in dem ein Mann... also... Wie soll ich sagen?“
„Vielleicht sollte sie es uns selbst erzählen.“, sinnierte Violeta und trat mit Levin ein, der direkt zu seiner Tochter ans Bett ging.
„Vilija.“, hob er an und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. „Erzähl mir was passiert ist.“
Ohne ein einziges Wort setzte sie sich auf und schlang fest die Arme um ihren Vater, vergrub das Gesicht an seiner Brust, ehe sie ihr Ohr daran presste. Er zögerte nicht einen Moment die Arme ebenfalls um sie zu legen und wartete mit Engelsgeduld darauf, dass sie etwas sagte. Violeta seufzte bei mir und fasste sich ans Herz.
„Es tut mir furchtbar weh, wenn sie traurig ist, aber die zwei in einer Umarmung zu sehen berührt mich immer wieder.“, bemerkte sie und warf mir ein kleines Lächeln zu, ehe sie sich zu den beiden ans Bett setzte. Liebevoll streichelte sie ihrer Tochter übers Haar. „Es muss mit uns zu tun gehabt haben.“, bemerkte sie mit einer Sanftheit in der Stimme, die nur Mütter besaßen. „Und es muss schrecklich gewesen sein.“
Da brach Vilija wieder in Tränen aus und begann erneut von ihrem Traum zu erzählen. Die ganze Zeit blieb Levin ganz ruhig, hielt sie einfach nur fest, während sie seinem Herzschlag horchte. Mein eigener Vater hätte mir wahrscheinlich nur die Wange getätschelt und gesagt, dass alles in Ordnung war. Dann wäre er gegangen. Meine Mutter hätte mich mit Sicherheit sogar missbilligend angesehen, weil ich sie wegen eines Traumes geweckt hätte, doch Violeta weinte leise mit ihrer Tochter und lehnte die Stirn an ihre.
Mit Bedauern wurde mir klar, dass ich mir wünschte selbst solche Eltern zu haben. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern je von meinen Eltern getröstet worden zu sein.
Dann sah Vilija mit diesem seltsamen Blick zu mir und streckte die Hand nach mir aus. „Komm her.“, bat sie.
Mit einem sanften Lächeln ging ich herüber, kniete mich wieder vor das Bett und nahm ihre Hand, um sie zu küssen. „Siehst du?“ Ich legte ihre Hand an meine Wange. „Sie sind beide wohlauf.“
„Danke.“
„Seit wann bist du eigentlich zurück?“, fragte Violeta neugierig, „Und wie lange bleibst du?“
„Ich weiß noch nicht wie lange.“, antwortete ich ehrlich, „Und ich bin erst gestern angekommen. Tatsächlich hatte ich vor Vilija zu fragen, ob wir heute nicht bei euch vorbeikommen können.“
„Sehr gerne! Du bist herzlich willkommen.“
Levantin machte da einen ganz anderen Eindruck, als er mich mit diesem vorwurfsvollen Blick bedachte. „Wie geht es mit euch beiden denn voran?“, fragte er aufmerksam, „Und was tut ihr, wenn du zurück gehst?“
Plötzlich fühlte ich mich, als säße ich im Verhör. „Ich habe mir mehrere Möglichkeiten zurecht gelegt, wie ich trotz der Entfernung mit Vilija zusammen sein könnte, aber das möchte ich erst mit ihr und dann mit meinem Sekretär besprechen.“
„Oh, du hast nun einen Sekretär?“, fragte Violeta begeistert, „Da musst du wohl ziemlich viel Verantwortung mit dir herum tragen.“
„Ja. Es ist nicht einfach, aber meinen Eltern zu Liebe muss ich damit umgehen können. Ich dachte, ich hätte noch wenigstens zehn Jahre für mich, ehe ich mich mit der Firma auseinander setzen muss und dann stürzte alles auf mich ein.“
„Das hat dich wahrscheinlich sehr überfordert.“ Liebevoll tätschelte sie mir die Schulter. „Ich bin mir sicher, Levin kann dir ein paar gute Ratschläge geben.“
„Das werden wir sehen.“, entgegnete dieser brummig, „Nun muss einer von uns leider erst Mal wieder gehen.“ Bei diesen Worten sah er herab zu Vilija. „Cynthia ist mit Enio gerade allein und wir wollen sie nicht zu lange allein lassen.“
„Ich denke, es ist besser, wenn ich mit dem Paar zurück fahre.“, merkte Violeta an, „Du kannst von hier aus dann direkt ins Büro fahren. Dann musst du nicht hin und her fahren.“
Er seufzte und legte eine große Portion Zuneigung in seinen Blick, als er zu ihr aufsah, nachdem sie aufgestanden ist. „Du hast ja Recht.“
Sie beugte sich zu ihm herab und küsste ihn innig. „Überarbeite dich bitte nicht. Und vergiss nicht mir noch dieses Ding mit den Elektroden zu erklären.“
„Das mache ich. Später.“ Dann raunte er ihr leise etwas zu, woraufhin sie ihn nochmals küsste, ehe sie sich von ihm löste, Vilija zärtlich übers Haar streichelte und dann zur Tür ging.
„Ich hoffe, wir sehen uns dann heute Abend, Keanu. Ich werde etwas leckeres kochen.“
Ich lächelte freundlich zurück. „Ich freue mich schon.“
Schließlich verließ sie das Zimmer und ließ mich mit Vilija und ihrem Vater allein. Als mein Blick auf die beiden fiel, registrierte ich innerlich frustriert den finsteren Blick, den er auf mich gerichtet hielt. Vilijas sanfte Bewegungen in seinen Armen wischten diesen Blick jedoch so schnell fort, dass er genauso gut nie so finster hätte schauen können. Stattdessen sah er nun liebevoll und leicht besorgt auf seine Tochter herab.
„Geht es dir schon besser?“, fragte er sie sanft.
Sie zog leise die Nase hoch. „Ja. Danke.“
„Wie wäre ein Frühstück?“, bot er dann an und streichelte ihr übers Haar.
„Können wir nicht noch ein wenig so sitzen bleiben?“, fragte sie zurück und barg ihr Gesicht an seiner Brust.
„Aber natürlich können wir.“ Er küsste sie auf den Scheitel. „Hast du dich gefreut, Keanu wiederzusehen?“
„Sehr.“ Sie machte eine kurze Pause, ehe sie zu ihm auf sah. „Ich hab mich so heftig an ihn geworfen, dass ich sicher bin, ihn beinahe ertränkt zu haben.“
„Nächstes Mal schaffst du es bestimmt.“, entgegnete Levin aufmunternd.
Ich beobachtete die zwei resigniert und sah, wie Vilija das Gesicht verzog. Dann kicherte sie.
„Tėtis. Ich verstehe nicht, warum du ihn nicht magst. Außerdem ist er gerade hier. Du bist unhöflich.“
„Nachdem er dir so weh getan hat, hat er nichts anderes verdient.“
Leise seufzend stand ich auf. „Ich gehe in die Küche und helfe Theodore beim Kochen.“, bemerkte ich dann und verließ das Zimmer.
„Okay.“, hörte ich Vilija noch sagen, ehe ich die Tür hinter mir schloss.
Die Feindseligkeit, die Levin mir entgegen bringt könnte ein Problem sein, wenn ich mit Vilija zusammen sein möchte.
Sie liebte ihre Familie und war höchstwahrscheinlich nicht in der Lage mit jemandem langfristig glücklich zu werden, den einer ihrer Eltern nicht mochte.
Teddy kann mir da sicher helfen.
Vilija
Nachdem ich mich weitestgehend beruhigt hatte und das Frühstück fertig war, verließ ich mit Tėtis mein Zimmer und wir setzten uns zu den anderen an den Tisch.
„Tėti.“, hob ich dabei an und bedachte ihn mit meinem kindlichen Ich-hab-da-eine-Bitte-Blick.
Er sah zögerlich zurück. „Ja, Kleines?“
„Weißt du, für Keanu ist die Situation derzeit sehr neu. Er hat vor das eine oder andere in der Firma zu ändern, vor allem die Interessen, die die Firma vertritt.“
Nachdenklich zog er die Brauen zusammen. „Und?“
„Und... ich hab gehofft, du könntest ihm dabei vielleicht ein wenig unter die Arme greifen. Ihm ein paar Tipps geben und sowas.“
Nun verengte er seine Augen ein wenig.
„Weißt du, wenn er dadurch mehr Zeit hat, kann er mehr Zeit mit mir verbringen, wenn ich ihn besuche.“
„Du willst nach Hawaii?“, hakte er nach und schien nun eher schockiert.
„Nur für ein paar Wochen und auch nicht sofort.“, beruhigte ich ihn sofort und schmiegte mich an seine Schulter. Er schien ein wenig verstört von dem Gedanken mich so weit weg zu wissen. „In ein oder zwei Monaten vielleicht, wenn ich weniger Vorlesungen habe und Mitch mehr Zeit hat oder vielleicht sogar vorübergehend jemanden einstellen möchte.“
„Nach Hawaii?“, wiederholte er.
„Es ist ein perfekter Ort um zu entspannen. Dann komme ich auch mal raus und habe etwas Abwechslung.“
„Ja, aber... Hawaii? Weißt du, wie viel allein auf dem Weg dorthin passieren kann?“
Ich winkte ab. „Keanu hat mir versichert, dass das gesamte Grundstück gesichert ist und überwacht wird. Und er hat einen eigenen Jet, also ist sogar der Flug sicherer als ein Flug an die Westküste.“
Da er unentschlossen schwieg, sah ich zu ihm auf und machte Kulleraugen.
„Bitte, Dad. Du würdest mir einen sehr großen Gefallen tun.“
Letztendlich verzog er das Gesicht und gab nach. „In Ordnung. Heute Abend setze ich mich mit ihm zusammen und helfe ihm dabei einen Plan zu entwerfen.“ Er massierte sich das Nasenbein. „So ein Wechsel geschieht nicht von jetzt auf gleich. Er muss alles gut durchdenken und sein Sekretär muss auch über jedes Detail informiert werden. Das wird auch viel Papierkram.“ Bei den letzten Worten sah er zu Keanu, der aufmerksam zuhörte und tatsächlich einen professionellen Eindruck machte. „Ich hoffe, du bist bereit dafür.“
Keanu zögerte nicht einmal, ehe er nickte, woraufhin ich ihn anlächelte.
Dann drückte ich Tėtis einen Kuss auf die Wange. „Du bist der Beste Dad der Welt.“, verkündete ich dann.
Einen Moment wirkte er gequält, lächelte dann aber leicht. „Ich möchte nur, dass du glücklich bist.“
Als nächstes widmeten wir uns dem Essen, woraufhin Teddy sich ein Lob meines Vaters verdiente, der ihm ein paar Tipps zur Zubereitung gab. Kurz nach dem Essen musste er jedoch wieder gehen, weil er am liebsten eine Stunde früher auf der Arbeit war.
„Es fällt viel Arbeit an.“, hatte er mal erklärt, „Wenn ich pünktlich da bin muss ich abends länger bleiben und das ist die Zeit, in der Violeta mich am ehesten braucht, weil Cynthia morgens in die Schule geht. Dann kann sie abends ausruhen.“
Es kümmerte ihn dabei wenig, dass er selbst wenig Zeit zum Entspannen hatte. Als er nun ging, fühlte sich mein Herz schwer in meiner Brust an. Überreste meines Traumes schwirrten in meinem Kopf herum.
„Dad.“, hob ich an der Tür an, als er bereits den Hausflur hinunter ging, und eilte ihm hinterher.
Überrascht blieb er stehen und drehte sich zu mir um, ehe er mich auffing, als ich ihm in die Arme lief. „Was ist denn?“, fragte er sanft.
„Pass bitte auf dich auf.“
Liebevoll strich er mir übers Haar. „Das werde ich.“
„Ich hab dich so lieb.“
„Ich dich doch auch.“ Er drückte mich etwas an sich und gab mir einen Kuss auf den Schopf. „Ich dich auch.“
Letztendlich löste er sich wieder von mir, da er gehen musste und ich sah ihm noch ein wenig hinterher. Als ich zurück ging, sah ich Keanu, der aufmerksam an der Wohnungstür wartete.
Als er meinen Blick sah, lächelte er mich liebevoll an und streckte die Hand nach mir aus. Ich zögerte nicht eine Sekunde und eilte zu ihm herüber, woraufhin er mich in seine Arme zog.
„Du musst dir keine Sorgen um ihn machen.“, bemerkte er und vergrub sein Gesicht in meinem Haar.
„Ich weiß, aber ich hab solche Angst.“
„Auf ihn und deine Mom wird gut aufgepasst.“ Sanft küsste er mich auf die Stirn. „Na komm, lass uns rein gehen. Ehe Vaughn dir noch die Leviten liest.“
Mit einem leisen Seufzten folgte ich seinem Vorschlag. Die anderen hatten den Tisch bereits abgedeckt und Teddy wischte ihn gerade ab als Evelyn aus seinem Zimmer kam.
„Guten Morgen.“, murmelte sie und schien einen ihrer ruhigeren Morgen zu haben.
„Morgen.“, begrüßte ich sie mit den anderen und lächelte sie nachsichtig an. „Wie geht’s dir?“
Sie rieb sich den Magen. „Ich hab Hunger.“
Teddy kam ihr entgegen und küsste sie liebevoll. Es war einer der seltenen Küsse, die ich zwischen ihnen sah. Da sie äußerlich so unterschiedlich waren, war es jedes mal ein seltsamer Anblick, der mich gleichzeitig aber beruhigte, denn ich wusste, dass Teddy mit ihr glücklich war.
„Ich hole dir etwas.“, sagte er ihr mit einem weiteren Kuss. „Setz du dich schon mal hin, okay.“
„Okay.“
„Bist du müde?“, fragte ich sie und setzte mich mit Keanu zu ihr.
„Nein. Ich habe für meine Verhältnisse erstaunlich gut geschlafen. Teddy testet zur Zeit die unterschiedlichsten Methoden, die mir helfen könnten besser zu schlafen.“
„Warum schläfst du denn schlecht?“, fragte Keanu verwirrt.
Sie zuckte mit den Schultern. „Wenn ich mich hinlege wird mir des öfteren schlecht oder ich habe Schmerzen. Deshalb zögere ich es lange hinaus mich hinzulegen und sitze meist im Bett und lese, bis Teddy mich dazu bringt mich hinzulegen, damit ich schlafe.“ Sie stützte sich mit dem Ellenbogen auf der Tischplatte ab und lehnte ihren Kopf in ihre Hand. „Es sind keine starken Schmerzen. Meistens nur ein leichtes Ziehen, aber seit der Abtreibung damals habe ich einen so leichten Schlaf. Manchmal liege ich abends auch einfach nur im Bett und fühle mich wie unter Strom. Ich bin müde, aber ich habe zu viel Energie, um zu schlafen.“
„Du könntest abends doch ein wenig leichten Sport machen.“, bot ich an.
„Das habe ich auch vorgeschlagen, aber Teddy macht sich Sorgen es könnte dem Kind schaden. Wir haben uns viele Gedanken gemacht und vermuten beide, dass diese Schwangerschaft anders ist, als eine normale.“
„Dann solltet ihr doch besser einen Arzt zur Betreuung dazu ziehen.“
Sie hob die andere Hand. „Das haben wir, aber er will mir nur Medikamente geben und das wollen weder Teddy noch ich. Gestern hat Veit dann angeboten deinen Patenonkel um Rat zu fragen und er kam auf diese fantastische Idee mich ein warmes Bad nehmen zu lassen, während Teddy mich massiert.“
Ich blinzelte. „Wir haben keine Badewanne.“
„Wir nicht, aber die Wohnung gegenüber hat eine und die Jungs hatten nichts dagegen sie uns für ein paar Stunden zu überlassen.“
„Und es hat geholfen?“
Sie lächelte schwach. „Ja. Ich bin noch in der Wanne eingeschlafen und Teddy hat mich wohl rüber getragen.“
Dieser kam nun mit einem vollen Teller herüber und stellte ihn Ev hin. „Hier. Fühl dich nicht gezwungen alles zu essen, aber ich weiß, dass du teilweise Hungerattacken hast, also dachte ich, für den Fall tue ich dir etwas mehr auf.“
„Danke.“
„Fühlst du dich besser?“, fragte er dann und nahm dicht neben ihr Platz.
„Vor einer halben Stunde war mir schlecht, aber das war wahrscheinlich nur die übliche morgendliche Übelkeit. Es ist auch wieder vorbei.“
„Gut. Ich werde später nochmal mit Andrew sprechen. Vielleicht hat er noch mehr Ideen, wie wir dir deine Schwangerschaft angenehmer machen können.“
„Was meinst du mit ich verbringe den Tag zuhause?“, ertönte plötzlich Veits Stimme, als seine Zimmertür geöffnet wurde.
Travis hatte seine Tasche geschultert und ging zur Wohnungstür. „Ich möchte heute einfach den Tag zuhause verbringen. Ich denke, ich brauche einfach ein wenig Ruhe.“
„Ruhe?“, hakte Veit nach und machte einen verletzten Eindruck.
Travis zuckte unbeholfen mit den Schultern. „Ich bin jeden Tag hier. Vielleicht tut es uns beiden gut, wenn wir zur Abwechslung einen Tag getrennt verbringen und uns anderen Dingen widmen.“
Veit schien diese Idee nicht zu gefallen, doch er protestierte nicht.
Mit vor Verblüffung offenem Mund beobachtete ich, wie Travis sich zu ihm hinunter beugte und ihm einen kurzen Kuss gab. Noch ein seltener Anblick, der mich gleichzeitig ein wenig verstörte, weil Veit aussah, als habe er Tränen in den Augen. Travis sah einen kurzen Moment so aus, als würde er seine Tasche fallen lassen und mit Veit zurück in sein Zimmer gehen, doch dann löste er sich von ihm und seufzte leise.
„Ich komme morgen wieder, okay? Dann können wir nochmal in Ruhe über alles reden.“
„Worüber reden?“, fragte Veit halblaut mit belegter Stimme.
Travis seufzte tief und schloss kurz die Augen. „Die Situation. Wir müssen einiges klären, aber die Spannung zwischen uns macht mich wahnsinnig.“ Er machte ein paar Schritte Richtung Tür und Veit folgte ihm.
In meinen Augen wirkte das alles beinahe absurd, da ich Veit noch nie so gesehen hatte. Hatten sie noch einen Streit? Will Travis ihn verlassen? Ich betete, dass er das nicht vor hatte. Veit liebte ihn, auch wenn er es nie sagte und ich mochte Travis wirklich. Aber vielleicht war er nicht glücklich mit Veit.
Unruhig knabberte ich an meiner Unterlippe und überhörte beinahe Veits Frage.
„Was kommt danach?“ Er klang fast, als habe er Angst vor der Antwort.
An der Tür blieb Travis überrascht stehen und sah auf ihn herab. „Danach?“
„Nach dem Gespräch.“
Er dachte einen Moment darüber nach, ehe er eine Schulter hob. „Ich denke, wir werden dann eine gute Lösung gefunden haben.“
Als Veit daraufhin die Lippen fest aufeinander presste, zog Travis verwirrt die Brauen zusammen.
„Du denkst doch hoffentlich nicht, ich würde mich von dir trennen wollen.“
Das schien Veit nun zu überraschen und er sog scharf die Luft ein, ehe er vorsichtig fragte: „Willst du nicht?“
Travis seufzte tief, ehe er sanft lächelte. „Natürlich nicht. Die Situation ist gerade etwas schwer und kompliziert, aber deshalb trenne ich mich doch nicht von dir. Ich bin kein Mann, der Problemen aus dem Weg geht.“
Veit war die Erleichterung anzusehen und Travis umarmte ihn nochmals herzlich, ehe er nach der Tür griff.
„Ich komme morgen gegen Mittag wieder vorbei, okay?“, fragte er dann aufmunternd.
Veit wischte sich über ein Auge. „Okay.“
„Dann bis morgen.“
„Bis morgen.“
Damit verließ Travis die Wohnung und ließ Veit zurück, der noch einen Moment an der Tür stand, ehe er sich mit gesenktem Kopf umdrehte und zurück in sein Zimmer trottete.
„Was war denn das?“, fragte Teddy verwirrt, als sich die Tür hinter Veit schloss.
Keanu seufzte. „Ich bin Travis heute morgen in der Küche begegnet und hab mit ihm geredet.“ Nun sahen wir ihn alle an, woraufhin er sich den Nacken rieb und erklärte worüber sie geredet hatten. Als er endete lächelte ich ihn einfach nur an und lehnte mich an ihn.
Als Teddy das sah, lächelte er ebenfalls sanft. „Ich hoffe, du bleibst noch eine Weile.“, meinte er dann an Keanu, „Und ich hoffe, dass du Vilija nicht nochmal so weh tust.“
Dieser drückte mich sanft an mich. „Die Sache habe ich bereits mit ihr besprochen. Ich habe ihr nicht weh getan, weil ich ihr weh tun wollte, sondern weil ich nicht wollte, dass sie mir hinterher trauert. Ich habe nicht nachgedacht und hätte auch eine bessere Lösung wählen können, hätte ich das getan. Ich war einfach überfordert mit der Situation und ich bin froh, dass Vilija das versteht und mir verzeihen konnte.“
Evelyn, die bereits die Hälfte ihrer Mahlzeit gegessen hatte, hob ihre Gabel und deutete damit auf ihn. „Wie geht es denn weiter, wenn du zurück musst?“
Er hob eine Schulter. „Wir finden einen Weg. Wenn es möglich ist möchte ich natürlich so oft es geht herkommen. Wegen der Firma besitze ich jetzt einen Jet und massenhaft Geld, also sollte der Weg hierher kein Problem sein. Mir wäre es natürlich lieber, Vilija würde mit mir kommen, aber das kann ich nicht von ihr verlangen.“
„Wir werden uns etwas überlegen.“, meinte ich schließlich und ließ meine Hand über seinen Bizeps gleiten. Es erstaunte mich von neuem, dass er seine Körperstatur halten konnte, obwohl er so viele langweilige Meetings hatte.
„Und du hast vor für eine Weile zu ihm zu fliegen?“, wiederholte Teddy kurz darauf dann meine Worte an Dad.
„Warum nicht?“, entgegnete ich daraufhin, „So kann ich auch mal Keanus Eltern kennen lernen und sehen wie er so lebt.“
Keanu verzog leicht das Gesicht. „Du willst meine Eltern kennen lernen?“
„Warum nicht?“
Er seufzte nur.
Einige Stunden später, in denen ich mit Keanu, Ev und Teddy auf der Couch gesessen und geredet hatte, fiel mir dann auf, dass Tevin gar nicht da war.
„Er ist mit deiner Mutter zurück gefahren.“, erklärte Teddy als ich fragte.
Verwirrt, weil mir das nicht aufgefallen war, starrte ich einen Moment auf meine Hände, ehe ich zu Keanu aufsah. „Was wollen wir heute machen, ehe wir zu meinen Eltern fahren?“
Mit dem Arm, den er um mich gelegt hatte, zog er mich etwas enger an sich. „Nun ja.“ Er sah zum Fenster. „Die Sonne scheint und es ist auch angenehm warm.“ Er schürzte die Lippen. „Hast du heute keine Vorlesungen?“
Nachdenklich warf ich einen Blick auf meinen Kalender, den ich mit auf meinem Mobi eingerichtet hatte. „Später hab ich eine, aber sie ist nicht prüfungsrelevant.“
„Um wie viel Uhr?“
„15 Uhr.“
Erneut sah er hinaus. „Wie wäre ein Spaziergang? Wir können bis 15 Uhr wieder da sein, damit du an der Vorlesung teilnehmen kannst.“
Ich schürzte die Lippen. „Ich muss nicht teilnehmen.“
„Das mag sein, aber wäre ich nicht da, würdest du teilnehmen und ich möchte dich diesbezüglich nicht beeinflussen. Du solltest teilnehmen. Vielleicht hilft sie dir ja.“
„Na gut.“ Ich küsste ihn sanft auf den Kiefer. „Ein Spaziergang klingt schön.“
Er lächelte warm. „Im Park?“
„Gerne.“ Dann sah ich zu Teddy und Ev. „Wollt ihr mitkommen?“
Wortlos sahen sich die beiden ein paar Momente an, ehe Ev leise seufzte. „Ich fühle mich heute zwar besser, aber ich möchte nichts überstürzen.“
„Verstehe.“ Ich griff über Keanu hinweg nach ihrer Hand und drückte sie sanft. „Dann ruh dich gut aus.“
Dankbar lächelte sie mich an, ehe sie sich an Teddy lehnte. Daraufhin stand ich auf.
„Dann mach ich mich mal fertig.“, verkündete ich dabei und streckte mich kurz, ehe ich in mein Zimmer ging.
Keanu folgte mir und setzte sich dann auf mein Bett, um mir zuzusehen. „Vilija.“, hob er irgendwann zögerlich an.
Ich war gerade dabei mir das Shirt auszuziehen, das ich mir zum Aufstehen schnell übergezogen hatte, daher hielt ich in der Bewegung inne, um ihn über die Schulter hinweg ansehen zu können. „Ja?“
Sein Blick glitt einen Moment über meinen Rücken. „Wann... Wann hast du dir Tevins Namen tätowieren lassen?“
Einen Moment überrascht ließ ich die Arme sinken, ehe ich über die Frage nachdachte. „Das war kurz vor dem Unfall.“, antwortete ich dann, „Ich weiß nicht mehr genau was für mich der Anlass dafür war, denn zu dem Zeitpunkt war ich davon überzeugt, dass er es eh nie sehen würde.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Aber es hat gestimmt und irgendwie tut es das immer noch.“
„Was bedeuten denn die Sätze?“
Mein Mundwinkel hob sich ein wenig. „Ich sollte anfangen dir ein bisschen Litauisch beizubringen.“, neckte ich ihn und ging auf ihn zu, während ich mir das Shirt auszog.
„Hast du jetzt vor dich auf mich zu stürzen?“, fragte er mit einem gewissen Leuchten in den Augen.
Ich lachte daraufhin leise und küsste ihn kurz, ehe ich ihm den Rücken zuwendete und mich etwas verrenkte, um die Tätowierung zu sehen. Dann erklärte ich ihm die Bedeutungen der einzelnen Worte, ehe ich ihm die Übersetzung der Sätze nannte.
Ich bin ein Teil von dir.
Du bist ein Teil von mir.
Er sah nicht sonderlich glücklich aus, als er das erfuhr, doch ich setzte mich daraufhin einfach auf seinen Schoß, was offensichtlich seine Freude wieder etwas hob.
„Ich habe noch ein Tattoo.“, verriet ich ihm dann.
Unsicher sah er mich einen Moment an. „Was für eins? Und wo?“
Diesmal lächelte ich ihn leicht an. „Das darfst du selbst herausfinden.“
Nachdenklich betrachtete er meinen Körper. „Ich habe schon alles gesehen, als wir gestern am Strand waren.“, bemerkte er dann.
„Dann hast du nicht genau hingeschaut.“ Mit einem kleinen neckischen Kuss auf den Mund erhob ich mich wieder und ging zurück zum Schrank, um mir etwas zum Ausgehen anzuziehen.
Es war 18 Uhr, als ich mit Keanu die Auffahrt zum Haus meiner Eltern hoch ging. Er hielt die ganze Zeit meine Hand, hielt unsere Finger miteinander verschränkt, während Vaughn hinter uns her trottete.
„Ich bin etwas nervös wegen deinem Vater.“, bemerkte Keanu, ehe wir die Tür erreichten.
Ich drückte seine Hand. „Er wird dir schon nichts tun.“ Im nächsten Moment öffnete ich die Tür und trat mit den beiden ein. „Wir sind da!“, rief ich herein.
Sofort kam Cynthia aus dem Wohnzimmer gelaufen, um mir begeistert in die Arme zu fallen. Lachend umarmte ich sie und sah auf sie herab.
„Da ist ja mein kleiner Drops.“, begrüßte ich sie, „Erinnerst du dich noch an Keanu?“
Überrascht folgte sie meinem Blick zu dem Mann an meiner Seite, ehe sie ihn verwirrt ansah. „Ja!“, rief sie dann aus, „Du bist doch der Mann, der Vilija weh getan hat. Papa sagte, du würdest nie wieder kommen.“
Keanu seufzte schwer, während ich den Mund verzog.
„Weißt du, Cynthia.“, hob ich an und zog ihren Blick wieder auf mich, während ich mir Schuhe und Jacke auszog. „Keanu und ich haben darüber geredet. Ich finde zwar nicht toll, was er getan hat, aber er versteht es und hat sich entschuldigt. Und ich verstehe, warum er das getan hat und hab ihm verziehen.“ Ich hockte mich vor sie. „Er wird das nicht nochmal tun.“
„Gut.“, murmelte sie dann, „Du hast so traurig ausgesehen.“
Sanft lächelte ich sie an und tätschelte ihr den Kopf. „Danke, dass du dir Sorgen um mich machst. Wo ist Mom?“
„Sie ist einkaufen. Ich habe mit Tevin und Miles gespielt.“ Sie senkte ihre Stimme. „Tevin ist so schlecht geworden.“
Leise lachend sah ich zu Keanu, der mich warm anlächelte, und folgte dann Cynthia zurück ins Wohnzimmer. Vaughn schien draußen geblieben zu sein. Im Wohnzimmer nickte ich Miles freundlich zu, der die Geste erwiderte, ehe ich mich, etwas steif, an Tevin wendete.
„Hi.“, begrüßte ich ihn.
Er dagegen betrachtete mich, wie so oft, etwas eingehend, ehe er sprach. „Hallo. Wie war euer Tag?“
Keanu legte mir beruhigend eine Hand auf den Rücken, als ich mich ungelenk zur Couch bewegte. Ich zuckte überrascht zusammen und sah ihn über die Schulter hinweg an. Er wirkte entspannt und lächelte mir aufmunternd zu. Mein Herz krampfte sich einen Moment zusammen, ehe ich mich mit ihm setzte und wieder zu Tevin sah.
„Entspannt.“, antwortete ich ihm, „Wenn auch etwas turbulent.“
„Geht es dir denn besser?“
Ich hob eine Schulter. „Ich hab natürlich noch immer Angst.“ Bei den Gedanken an dem Traum zog sich in mir noch immer alles vor Panik zusammen. „Aber ich fühle mich schon besser.“
Liebevoll griff Keanu nach meiner Hand und küsste meinen Handrücken. Dann sah er zu Tevin. „Wie kommst du eigentlich mit deinem Gedächtnisverlust zurecht?“
Nachdenklich verzog mein Bruder daraufhin das Gesicht und rieb sich den Nacken, ehe er die Schultern zuckte. „Schwer zu sagen. Es ist natürlich schwierig Dinge und Personen kennen zu lernen, die einen alltäglich umgeben haben. Dad musste mir erklären wie die Mikrowelle funktioniert. Und Cynthia hat mir gezeigt, wie man den Controller benutzt.“ Er deutete auf die Konsole.
„Vilija sagte, du hättest in der Wiederholung deiner Prüfungen besser abgeschnitten als vorher.“
„Das hat mich auch überrascht. Es war alles so... einfach. Ich wusste nicht woher, aber ich habe das meiste gewusst, verstanden und anwenden können. Mein Psychologe sagte mir, es sei nicht ungewöhnlich, dass Menschen nach so einem Trauma irgendwelche Talente besitzen, die sie vorher nicht hatten. Allerdings halte ich es nicht für ein Talent Prüfungen als Jahrgangsbester zu bestehen.“ Nachdenklich sah er vor sich auf den Tisch. „Er vermutet, ich hätte dafür eine sehr analytische Art zu Denken entwickelt.“
„Eine analytische Art zu Denken?“, hakte Keanu verwirrt nach.
Tevin nickte. „Ich habe den Drang die Dinge vor meinem Unfall zu verstehen und habe alles analysiert. Einige Dinge sind mir jetzt noch ein Rätsel.“
„Zum Beispiel?“, fragte Cynthia neugierig.
Tevins Blick fiel auf mich. „Ehrlich gesagt... Meine Gefühle für Vilija verstehe ich nicht einmal ansatzweise.“
Ich seufzte auf. „Dir fehlen auch Schlüsselmomente.“
Er nickte wissend. „Das weiß ich. Ich bin zumindest davon ausgegangen, dass das der Grund ist, warum ich es nicht verstehe. Allerdings müsste das Fehlen der Erinnerungen auch bedeuten, dass ich keine Gefühle für dich habe, oder nicht?“
Verwirrt sah ich ihn an. „Wie meinst du das?“
Er seufzte schwer und zauste sich das Haar. Unbewusst folgte ich der Bewegung mit meinem Blick und spürte in mir das Bedürfnis ihm durch die Haare zu fahren. „Als ich aufgewacht bin warst du für mich eine völlig Fremde, die an meinem Bett stand und mich ansah, als wäre ich ein Geist.“, fing er an und sah nachdenklich vor sich her. „Und dann hast du angefangen zu weinen. In dem Moment wusste ich nicht warum, immerhin kannte ich dich nicht und ging daher davon aus, du würdest mich auch nicht kennen. Warum sollte jemand weinen, wenn sie einen fremden Mann sieht?“ Kurz warf er mir einen Blick zu, als prüfe er, ob ich noch zuhörte. „Obwohl du also eine wildfremde Frau warst, hat es mir wehgetan dich weinen zu sehen. Es war ein furchtbarer Schmerz tief in meiner Brust und ich verstand nicht warum.“
„Das verstehe ich nicht.“, bemerkte Cynthia, „Aber ich verstehe auch nicht, warum du dich an nichts erinnerst.“ Mit einem Schmollmund sah sie ebenfalls vor sich her.
Keanu atmete neben mir durch. „Also sind deine Gefühle für Vilija noch da.“, schlussfolgerte er.
Tevin hob die Schulter. „Irgendwie ja. Aber es ist, als würde ein Teil fehlen. Als hätte man etwas herausgerissen. Ich verstehe einfach nicht... warum.“
„Wie auch, wenn du dich nicht erinnerst?“
Noch ehe Keanu die Frage beendet hatte, begann Tevin den Kopf zu schütteln. „Man hat mir von jedem wichtigen Moment erzählt. Aber egal wie gründlich ich darüber nachdenke, egal wie genau ich jeden davon analysiere, ich kann nicht nachvollziehen, warum ich mich in Vilija verliebt habe.“
Ich presste meine Lippen fest aufeinander. „Du bist nun ein anderer Mensch.“, presste ich dann hervor, „Natürlich kannst du es nicht verstehen.“ Mit einem bitteren Lächeln sah ich durch ihn hindurch. „Tev und ich waren auf eine Weise verbunden, die besonders war. Diese Verbindung hat sich über Jahrzehnte gefestigt. Mit Sicherheit gab es noch Momente, die nur er allein erlebt hat, die seine Gefühle beeinflusst haben. Momente, die er mit Menschen erlebt hat, die du noch nicht kennen gelernt hast und vielleicht auch nie sehen wirst. Ich denke, Tev war der Einzige, der seine Gefühle verstehen konnte.“
Stille breitete sich aus. Tevin senkte den Blick, schien über meine Worte nachzudenken, als hätte ich ihm etwas wichtiges erzählt. Keanu legte mir einen Arm um den Körper und drückte mich tröstlich an sich. Cynthia schien einfach nichts zu verstehen. Dann erhob Miles das Wort.
„Du sprichst von Tevin, als wäre er nicht hier.“, bemerkte er, „Betrachtest du ihn als zwei Personen?“
Zittrig atmete ich ein und nickte. „In meinen Augen sind sie einfach zu unterschiedlich.“
„Inwiefern?“
Müde schloss ich die Augen und spürte, wie meine schultern herabsanken. „Er hat mich immer angesehen, als wäre ich alles, was er sich wünscht. In seinen Armen war ich immer willkommen, fühlte mich sicher und geborgen, als gäbe es keinen besseren Ort. Er hatte diese Art mich anzulächeln, die mich glücklich gemacht hat, weil ich wusste, dass er ebenfalls glücklich war. Er hielt sich viel im Hintergrund und nahm Schicksalsschläge, wie sie waren, einfach hin und lebte damit. Das einzige, was ihn aus der Ruhe brachte, war der Gedanke, das einem von uns, von seiner Familie, Ev oder Teddy, etwas passieren könnte. Oder wenn ich ihn ignorierte oder wütend auf ihn war.“
Ich seufzte erneut, diesmal erheblich schwerer. „Tev war zu jedem Menschen freundlich und liebevoll zu denen, die ihm wichtig waren. Selbst zu den Menschen, die er nicht mochte, war er rücksichtsvoll, wenn sie ihm nicht direkt schaden wollten. Immer stand er selbst für sich an letzter Stelle. Es war ihm wichtiger, das andere glücklich waren, auch wenn es für ihn bedeutete unglücklich zu sein. Er war ein sehr... sanfter Mensch.“
Amüsiert lachte ich mit Tränen in den Augen auf, als ich mich an einen Moment aus unserer Kindheit erinnerte. „Im Alter von 9 Jahren habe ich mal Moms Lieblingsschokolade gegessen. Dad hatte sie extra für sie gekauft. Weil ich so viel Angst davor hatte von ihm Ärger zu bekommen, hat Tev behauptet er habe sie gegessen, damit ich keinen Ärger bekam.“
Hinter mir hörte ich ein amüsiertes Schnauben. „Dann habe ich ihm damals ja ganz grundlos Hausarrest gegeben.“, ertönte Dads Stimme von der Wohnzimmertür.
Ich zuckte zusammen. Offenbar war ich so in Gedanken versunken, dass ich die Tür nicht gehört hatte. Traurig hob ich den Blick und sah zu ihm herüber. „Tut mir leid, Dad.“
Mit einem liebevollen Lächeln kam er näher und setzte sich neben mir auf die Armlehne der Couch. „Denk nicht zu sehr darüber nach, okay?“ Er beugte sich etwas zu mir herab und senkte die Stimme. „Wir vermissen alle, wie er war, aber wir können nichts daran ändern. Versuch doch ihn so zu mögen wie er ist.“
Tevin murrte. „Wirklich geschmeckt hat dir die Schokolade aber nicht.“, murmelte er, „Darin waren Rosinen. Du hast sie gehasst, weil du fandest, sie sähen aus wie tote Käfer.“
Als ich mit sprachloser Überraschung zu Tevin sah, hatte er dieses altbekannte amüsierte Lächeln im Gesicht, das er immer hatte, wenn er sich an unsere Kindheit erinnerte.
„Als ich dich fand, hast du geweint, weil du dachtest, es wären wirklich Käfer, die du gegessen hast.“ Er schloss die Augen. „Und du hingst wieder im Baumhaus fest.“ Als keiner darauf reagierte, sah er verwundert auf und stellte fest, dass ihn jeder ansah. „Was ist?“
Dad räusperte sich vorsichtig. „Erinnerst du dich an noch mehr?“
Langsam wich das Lächeln einer nachdenklichen Miene. „Ich erinnere mich an Vilijas mit Schokolade verschmiertes Gesicht im Baumhaus. Und das sie weinte, weil sie nicht mehr herunter kam. Sie hatte Angst von der Strickleiter zu fallen.“ Einen Moment schwieg er. „Ich erinnere mich an mehrerer solcher Momente. Und daran...“ Er unterbrach sich selbst und schloss die Augen, als könne er sich dann besser erinnern. Dann öffnete er die Augen und sah zu Cynthia.
„Hä?“, machte sie automatisch.
„Du hast seit deinem 10. Lebensjahr nie wieder Schokolade gegessen.“
Dad seufzte schwer und rollte mit den Augen.
Ich blinzelte überrascht. „Nicht?“ Dann sah ich zu Cynthia und dachte nach, bis ich mich erinnerte und die Hand vor den Mund schlug und Tevin klagend ansah. „Du hast ihr gesagt, sie würde so viel zunehmen, dass sie nicht mehr laufen könne, wenn sie zu viel davon isst.“
Er kratzte sich am Kopf. „Nun... ich konnte ja nicht wissen, dass sie es so ernst nehmen würde.“
„Du hast ihr das Beste im Leben einer Frau zerstört.“
„He.“, machte Keanu daraufhin, „Schokolade ist dir wichtiger als ich?“
„Nein.“, entgegnete ich und hob einen Finger. „Aber wenn ich sauer auf dich bin ist Schokolade in der Lage mich zu trösten. Du nicht.“
Dad brach in Gelächter aus und klopfte mir auf die Schulter. „Du bist eindeutig meine Tochter.“ Dann stand er auf und verließ das Wohnzimmer.
„Was war mit mir?“, fragte Tevin und deutete auf sich.
Ich dachte nach. „Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt je länger als ein paar Minuten wütend auf dich war. Vielleicht enttäuscht, verletzt oder traurig, aber nie wirklich wütend, glaube ich.“
Daraufhin sah er Keanu mit einer Mischung aus Streitlust und Amüsement an. „Versuch das zu toppen, Hawaiianer!“
„Das will ich gar nicht.“, entgegnete dieser, schien aber ebenfalls amüsiert. „Denn im Moment ist sie sauer auf dich. Und das schon seit Monaten. Auch wenn du nichts dafür kannst.“
Tevin lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Das mag sein, aber auf mein voriges Ich ist sie nicht wütend.“ Er legte den Kopf etwas schräg. „Das heißt, er ist im Vorteil. Du musst dich etwas anstrengen.“
Ich bemerkte erst, dass ich Tevin anstarrte, als ich realisierte, dass ich ihn nach dem Unfall nie so gut gelaunt gesehen hatte. Er hatte eher sehr in Gedanken versunken und ernst gewirkt, als gäbe es nichts, was ihm Spaß macht. Aber obwohl ich versuchte den Blick abzuwenden, war mir das doch nicht möglich. Denn nun wirkte er gerade so zufrieden, beinahe glücklich. Es war ein Anblick, der mir seit Monaten gefehlt hatte und ich wollte ihn ganz auskosten, wollte keinen Moment verpassen.
„Nun“, hob Keanu neben mir an, „da sie vor meiner Abreise mit mir zusammen sein wollte, statt mir dir, denke ich, habe ich einen guten Vorteil. Was nicht bedeutet, dass ich mich nicht weniger anstrengen werde. Ich möchte sie glücklicher machen, als du es je getan hast.“
Tevin wirkte daraufhin so amüsiert, das ich einen Moment dachte er, würde sich erinnern. Und als sein Blick auf mich fiel, wirkte sein Blick so warm. Und plötzlich hob er seine Braue. „Was ist?“, fragte er, „Hab ich etwas im Gesicht?“
Röte stieg mir ins Gesicht und ich zwang mich mit aller Kraft den Kopf abzuwenden. „Es ist nichts.“, brachte ich dann hervor und merkte selbst, dass meine Stimme irgendwie schief klang. Da mir das furchtbar peinlich war, stand ich hastig auf und ging in Richtung Tür. „Ich frage Dad, ob ich beim Kochen helfen kann.“
Beinahe fluchtartig verließ ich das Wohnzimmer und blieb im Flur stehen, als ich mir sicher war, dass man mich im Wohnzimmer nicht sehen konnte. Erst dann bemerkte ich, wie schnell mein Herz schlug. Ich legte mir die Hand auf die Brust und wartete einen Moment, bis sich mein Herzschlag wieder beruhigt hatte. Für einen kurzen Augenblick habe ich mich gefühlt wie damals, als wir noch zusammen zur Schule gingen. Als wäre alles in Ordnung und nie wäre etwas passiert.
Ich schluckte schwer und nahm mir nochmal ein paar Momente Zeit, um mich zu fassen, ehe ich in die Küche ging, wo Dad nachdenklich vor dem offenen Kühlschrank stand. Als er mich hörte, sah er zu mir auf und lächelte leicht, ehe er mich besorgt ansah.
„Was ist los?“
Für einen Sekundenbruchteil wollte ich sagen, das alles okay sei, ließ mich dann aber auf eines der Küchenstühle sinken und seufzte schwer. „Er wirkte gerade wie vor ein paar Jahren. Als wäre nie irgendwas passiert. Es hat sich angefühlt, als hätte er sich erinnert.“
„Er hat sich doch an etwas erinnert.“
„Ja, aber ich meine... als hätte er sich an alles erinnert.“
Besorgt betrachtete er mich noch einen Moment, ehe er einige Zutaten aus dem Kühlschrank nahm. „Schneidest du mir bitte drei Zwiebeln?“
Ich rümpfte kurz die Nase, stand aber auf und suchte mir alles zusammen, um seiner Bitte nachzukommen.
„Drew hatte von Anfang angesagt, dass es einfach nur etwas dauert, bis er sich erinnert.“, bemerkte Dad wenig später.
„Ja, aber er sagte auch, dass es möglich ist, dass er sich gar nicht erinnert.“
„Ich weiß, dass du fest davon überzeugt warst, er würde sich nie erinnern. Aber du musst auch darauf vorbereitet sein, dass er es jeden Moment tun könnte.“
Daraufhin schwieg ich eine Weile und konzentrierte mich auf die Zwiebeln. Irgendwann erschien Tevin mit Keanu an der Küchentür.
„Wir gehen hoch in mein Zimmer.“, bemerkte Tevin.
Als ich die zwei daraufhin nur perplex ansah, hoben sich Keanus Mundwinkel.
„Er schreibt gerade eine Hausarbeit für sein Studium. Da ich viel Erfahrung mit Kindern habe, dachte er, ich könne helfen.“, erklärte er, kam herüber und küsste mich, nach einem kurzen Blick zu Dad, auf die Wange.
„Okay. Viel Erfolg.“
„Danke.“, kam es daraufhin von Tevin, der voran ging, als Keanu zu ihm zurück ging.
Sobald ich sicher war, dass die beiden außer Hörweite waren, sah ich zu Dad auf. „Ich glaube nichts könnte mich auf den Moment vorbereiten, in dem Tevin sich wieder erinnert.“ Tränen traten mir in die Augen. „Zumal ich gar nicht wüsste, was ich dann tun soll. Ihn eben so zu sehen, wie er da sitzt und so... glücklich wirkt... Ich habe ihn lange nicht mehr so gesehen und es war... Es war...“
„Wie früher?“, half Dad nach.
Eine Träne rollte mir über die Wange. „Es war so schön.“
Zwei Stunden später ging ich die Treppe hinauf und den Flur entlang zu Tevins Zimmer, wo ich einen Moment wartete, ehe ich klopfte.
„Herein.“, ertönte es von innen.
Ohne Zögern öffnete ich die Tür und trat einen Schritt hinein. „Das Essen ist- Äh...“ Verwundert zog ich die Brauen zusammen und betrachtete die zwei, die Schulter an Schulter vor Tevins Monitor standen, als stünde da ein Rätsel, das gelöst werden müsse. „Was macht ihr da?“
Tevin sah zu mir auf, als er mich hörte. „Oh. Wir- ähm...“ Sein Blick glitt zu Keanu, der nun ebenfalls zu mir sah und ein wenig rot wurde.
Misstrauisch trat ich näher. „Was macht ihr da?“
„Wir haben … recherchiert.“, antwortete Tevin schließlich.
„Recherchiert.“, wiederholte ich und kniff die Augen ein wenig zusammen. „Was denn recherchiert?“
„So... Männerkram.“
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Männerkram also.“ Als ich Keanu einen Blick zuwarf, rötete sich sein Nacken.
Dieser hüstelte und wich meinen Blicken aus, bis er schließlich auf Tevin deutete. „Es war seine Idee!“
„War es nicht!“, widersprach dieser sofort.
„Du hast es angesprochen.“
„Ja, aber du hattest die Idee im Internet nachzusehen.“
„Worum geht es denn?“, fragte ich erneut und trat noch etwas näher.
Sofort versuchten beide mir den Blick zu versperren, woraufhin ich Keanu finster ansah.
„E-es ist nichts weiter. Wirklich.“
„Und warum sagt ihr es mir dann nicht?“
Er warf Tevin einen hilflosen Blick zu, woraufhin ich ihn ebenfalls ansah.
„Warum fühlt es sich so an, als hätte ich euch gerade bei irgendetwas unanständigem erwischt?“
Beide zuckten zusammen, woraufhin ich unwillkürlich fest die Zähne aufeinander biss und spürte wie Eifersucht in mir aufkam. Und Selbstzweifel. Sogar etwas wie Schmerz. Als mein Blick einen kleinen Spalt zwischen den Schultern der beiden fand, entdeckte ich eindeutig nackte Haut.
Steif trat ich einen Schritt zurück und drehte mich um, ehe ich hinaus ging. „Das Essen ist fertig.“, bemerkte ich nebenbei.
Sobald ich Tevins Zimmertür hinter mir zugezogen hatte, blieb ich stehen und ließ mir das, was ich gesehen hatte, einen Moment durch den Kopf gehen. Es war nicht einfach irgendein bisschen Haut gewesen. Es war eine sehr intime weibliche Zone.
Sofort schloss ich die Augen und schüttelte den Kopf, schob den Gedanken von mir. Ich würde noch ein paar Stunden hier sein, also sollte ich nicht darüber nachdenken, dass Keanu sich mit Tevin offensichtlich Bilder von nackten Frauen angesehen hatte.
Wenn es nur Bilder waren.
Mein Magen zog sich zusammen. Da ich nicht vor der Tür stehen wollte, wenn die beiden heraus kamen, machte ich ein paar Schritte zur Seite und ging in mein eigenes altes Zimmer, schloss leise die Tür hinter mir. So wie ich mich selbst kannte, würde ich gleich wieder in ein Loch fallen und es wäre besser, wenn das geschah, wenn ich allein war.
Also wartete ich geduldig, bis die beiden Jungs an meiner Tür vorbei auf der Treppe waren, ehe ich den Schlüssel im Schloss herum drehte und zu meinem Bett herüber ging. Selbstzweifel kamen in mir auf.
Ich wusste, dass ich für Männer attraktiv war. Ich hatte auch nie gesehen, dass Keanu je einer anderen Frau hinterher gesehen hatte. War ich vielleicht naiv? Hatte ich es einfach nie bemerkt? Oder gefiel ich ihm nicht mehr? Vielleicht wünschte er sich etwas, das ich ihm nicht geben konnte.
Unsicherheit überkam mich. Was erwartete er eigentlich, nachdem wir nun theoretisch so lange zusammen waren? Ob er wohl Sex möchte?
Mein Magen fühlte sich an, als wäre in ihm ein sehr dicker Knoten. Vielleicht begann er andere Frauen zu begehren, weil ich nicht mit ihm schlief. Dieser Gedanke löste einen heftigen Schmerz in mir aus.
Schnell atmete ich tief ein und hielt den Atem an, wartete bis der Schmerz vergangen war, ehe ich mehrere Male tief durchatmete. Dann begann ich alle Gedanken von mir zu schieben, bis ich mich erheben und hinunter gehen konnte.
Das Abendessen würde schwerer werden, als ich zu Beginn des Abends gehofft hatte.
Eine Dreiviertelstunde später stand ich neben Tevin in der Küche und wusch ab, während er abtrocknete. Dad ging gerade mit Keanu in sein Arbeitszimmer, um mit ihm, wie er es mir versprochen hatte, einen Plan zu entwickeln und ihm Ratschläge zu geben. Cynthia hatte sich in ihr Zimmer verzogen, um zu spielen und Mom war oben und brachte Enio ins Bett.
Das Essen selbst war ruhig verlaufen. Alle hatten sich unterhalten und Keanu hatte viel über Hawaii erzählt. Über die Firma, das viele Personal und die langweiligen Präsentationen.
„Du bist sehr still.“, bemerkte Tevin.
„Es gibt nichts zu sagen.“, entgegnete ich so gelassen wie möglich, während mein Magen sich langsam wieder verknotete.
„Warum hast du eigentlich nicht mit Keanu geschlafen?“, fragte er plötzlich, als ich gerade ein Messer abwusch.
Diese Frage erschreckte mich so sehr, dass ich zusammen zuckte und mich an dem Messer schnitt, als es mir aus den Händen rutschte. Zischend zog ich die Hände aus dem Wasser und betrachtete den Schnitt in meiner Handfläche.
Plötzlich stand Tevin wie erstarrt neben mir und sah einfach nur auf meine blutende Hand.
„Könntest du mir-“ Abrupt unterbrach ich mich selbst und machte einen Satz zurück, als er mit einem Mal einfach zusammen brach. Mit einem Fluch auf den Lippen schnappte ich mir ein paar Tücher, drückte sie auf meine Wunde und beugte mich über Tevin, um mich zu vergewissern, dass es ihm gut ging.
„Tevin?“, versuchte ich es hilflos und berührte ihn schwerfällig mit einem Finger an der Wange. „Tevin.“
Da ich nirgendwo Blut sah, hatte er sich wohl nicht den Kopf verletzt. Doch warum war er zusammen gebrochen? Besorgt warf ich einen neuen Blick auf meine Wunde, presste frische Tücher darauf und versuchte sie mit derselben Hand festzuhalten, damit ich Tevins Puls fühlen konnte. Er schien normal zu sein. Trotzdem machte ich mir Sorgen.
„Tevin.“, versuchte ich es erneut und legte ihm eine Hand auf die Stirn. Fühlt sich normal an. Also hatte er kein Fieber. Vorsichtig klopfte ich ihm an die Wange. „Tevin, wach auf.“
Er stöhnte leise.
Gott sei Dank! „Tevin?“
Mit einem weiteren Stöhnen öffnete er blinzelnd die Augen und verzog das Gesicht. „Oh... mein Kopf.“, stöhnte er und hob die Hand an seinen Hinterkopf.
„Ich konnte dich nicht auffangen, es war so plötzlich. Warum bist du zusammen gebrochen?“
Als ich mich neben ihn kniete, rollte er sich auf die Seite und bettete seinen Kopf auf meinem Schoß, als hätte ich ihn stumm dazu aufgefordert. „Ich weiß nicht genau.“, antwortete er und betastete seinen Hinterkopf. „Ich hab auf deine Hand gesehen, sah das Blut und dann wurde mir schwarz vor Augen.“
„Kannst du etwa kein Blut sehen?“
„Eigentlich schon.“, widersprach er, „Erst vorletzte Woche habe ich mir in den Finger geschnitten. Cynthia kam auch schon mit aufgeschürftem Knie nach hause.“
„Liegt es an der Wunde?“
„Ich glaube nicht.“ Er zuckte zusammen, als er offensichtlich eine Beule fand, und zischte vor Schmerz auf. „Wie gesagt, ich habe mir in den Finger geschnitten. Es war ein wirklich tiefer Schnitt.“
Das ist seltsam. Warum sollte er dann zusammen brechen? „Wie geht es dir sonst? Neben den Kopfschmerzen, meine ich.“
„Mir ist ein wenig schwindelig, aber es wird langsam besser.“
„Okay, sag Bescheid, wenn es vorbei ist. Noch etwas?“
Er schwieg einen Moment. „Nein.“
„Gut. Ich nehme an, du bist nicht verletzt?“
„Zumindest nicht am Kopf.“
„Tut dir denn etwas anderes weh?“
„Zum Glück nicht.“ Schwer seufzend sah er zu mir auf. „Entschuldige. Es macht dir sicher keinen Spaß hier zu knien, wenn deine Hand blutet.“
Ich verzog das Gesicht. „Nicht wirklich.“
Er tat es mir gleich. „Okay, sobald ich aufstehen kann hole ich Kompressen und ein Verband. Oder denkst du, es muss genäht werden?“
Ich riskierte einen weiteren Blick auf die Wunde, schüttelte dann aber den Kopf. „Ich denke nicht. Aber eine Salbe solltest du noch mitbringen.“
„Okay.“ Ein paar Sekunden lag er noch da, schloss die Augen und atmete einfach nur. Ich dachte bereits, er sei eingeschlafen, da seufzte er schließlich und setzte sich langsam auf.
„Geht’s?“, fragte ich besorgt, als ich sah, dass er ein wenig schwankte.
„Ja. Ich schaff das schon.“ Mühevoll schaffte er es auf die Beine, hielt sich an der Küchenzeile fest und ging dann vorsichtig Richtung Tür. „Setzt dich schon mal an den Tisch. Ich bin gleich wieder da.“
„Okay.“, murmelte ich und sah ihm nach, bis er außer Sichtweite war.
Dann stand ich ebenfalls auf und setzte mich, ehe ich wartete, bis er zurück kam. Es dauerte beunruhigend lange und ich dachte bereits, er wäre erneut zusammen gebrochen, als er wieder hereinkam. Noch immer schwankte er, jedoch nicht mehr so sehr wie eben. Dennoch besorgt beobachtete ich, wie er sich zu mir setzte und die Sachen neben sich auf dem Tisch ablegte.
„Okay.“, murmelte er und hielt mir seine Hände hin. „Dann zeig mal.“
Widerstandslos legte ich ihm meine Hand in seine, woraufhin er vorsichtig die Tücher beiseite nahm. Einige Sekunden starrte er die Wunde an und schwankte bereits wieder bedrohlich. Doch dann schüttelte er den Kopf und schloss kurz die Augen, ehe er nach einer kleinen Schüssel mit Wasser griff, die er unter anderem mitgebracht hatte. Daraus holte er einen kleinen Lappen, wrang ihn aus und wusch mit äußerster Vorsicht meine Hand, ehe er sie mit einem anderen Tuch trocknete. Dann nahm er eine der Kompressen und nutzte sie, um die Salbe aufzutragen, ehe er sie und zwei weitere Kompressen auf die Wunde legte, um sie anschließend zu verbinden.
„Ich wollte dich nicht erschrecken.“, murmelte er irgendwann.
„Ich weiß.“
„Tut mir leid.“
Ich warf ihm einen kurzen Blick zu, ehe ich weiter zusah, wie er meine Hand verband. „Nicht weiter schlimm, wirklich. Es war keine Absicht.“
„Ich weiß, aber... ich hätte die Frage wahrscheinlich auch nicht stellen sollen. Ich wollte dir nicht zu nahe treten.“
„Bist du nicht.“, murmelte ich, „Ich meine, als mein Bruder-“
„Hat mich dein Sexualleben nicht zu interessieren. Nun ja, jedenfalls nicht sehr.“
Mit gehobener Braue sah ich zu ihm auf.
Er verzog das Gesicht und hielt kurz inne. „Wie soll ich sagen?“ Einen Moment dachte er nach. „Mir gefällt der Gedanken nicht. Dass du mit ihm schläfst, meine ich.“
„Das hat dir noch nie gefallen.“, entgegnete ich noch bevor mir überhaupt auffiel, was ich da überhaupt sagte. Innerlich trat ich mir in den Hintern.
„Wahrscheinlich hat es andere Gründe, als bei anderen Brüdern.“, bemerkte er daraufhin und wirkte besorgt. „Vielleicht sollte ich es deshalb ignorieren.“
„Möchtest du es ignorieren?“
Erneut hielt er einen Moment inne und sah diesmal zu mir auf, ehe er wieder herab sah und weiter machte. „Nein. Bei der Vorstellung von euch beiden-“ Er erschauderte. „Da bekomme ich das Bedürfnis ihn zu verprügeln.“
„Und wenn wir uns küssen? Ich meine, das tun wir ja bereits. Und ein bisschen mehr.“
Wieder hielt er inne. Seine Augen weiteten sich, als wäre ihm das vorher gar nicht klar gewesen. Dann schloss er sie und rieb sich mit dem Ballen der gerade freien Hand über die Stirn. „Fuck.“, hörte ich es leise von ihm. „Wie bin ich vorher mit dieser Eifersucht umgegangen?“
Ich blinzelte überrascht. Tatsächlich hatte ich ihn nie außerhalb einer Beziehung mit mir eifersüchtig erlebt. „Eifersucht?“, hakte ich daher ungläubig nach.
Mit einem schweren Seufzen wendete er das Gesicht ab, ehe er zu mir aufsah. „War ich etwa nie eifersüchtig? Ich dachte, ich hätte Veit sogar geschlagen.“
„Oh, das hast du auch. Während unserer Beziehung habe ich dich auch eifersüchtig erlebt. Aber wenn du außerhalb eifersüchtig warst, hast du es gut verborgen, denn ich habe es nie bemerkt.“
Konzentriert sah er wieder auf meine Hand herab und wickelte den letzten Rest Mull darum, ehe er es mit zwei altmodischen Klammern befestigte. „Liebst du mein vergangenes Ich eigentlich immer noch?“
Überrascht und verwirrt sah ich zu ihm auf und dachte einen Moment über meine Antwort nach. „Ich denke schon. Sehr sogar.“
„Aber warum wartest du dann nicht, bis ich mich erinnere?“
„Weil ich davon überzeugt bin, dass du dich nie ganz erinnern wirst.“
Er zögerte. „Aber... als ich in Rumänien war... dachtest du da nicht auch, ich würde nicht zurück kommen?“
„Das ist etwas anderes. Du hast mich mit einer bewussten Entscheidung sehr verletzt.“
„Aber hieran habe ich keine Schuld.“
Eine Weile schwieg ich einfach nur, bis ich irgendwann leise seufzte, wie schon so oft an diesem Tag. „Ich weiß. Und es tut mir sehr weh, dass du dich nicht erinnern kannst. Aber ich wüsste auch nicht, was ich tun würde, wenn du es plötzlich doch tun würdest.“
Mit einem unergründlichen Blick betrachtete er mich. „Verstehe.“, murmelte er dann, ehe sich sein Mundwinkel hob. „Ich hoffe wirklich, dass Keanu sich bei dir Mühe gibt. Denn dank ihm bist du nicht mehr so verspannt, wenn ich in deiner Nähe bin.“
Das war mir gar nicht aufgefallen. Allerdings war ich mir fast sicher, dass das nicht an Keanu lag, sondern an einem ganz bestimmten Lächeln. Doch das konnte ich ihm nicht sagen.
„Lass mich mir deinen Hinterkopf ansehen.“, meinte ich irgendwann und entzog ihm meine verletzte Hand.
Er verzog zwar unwillig das Gesicht blieb aber still sitzen, als ich beide Hände hob und sie in seinem Schopf an seinem Hinterkopf vergrub, um vorsichtig nach einer Verletzung zu tasten. Es verwirrte mich ein wenig, dass sein Haar sich noch immer seidig und weich anfühlte. Aus irgendeinem Grund war ich davon ausgegangen, dass es sich anders anfühlen würde, weil er irgendwie ein anderer Mensch war.
Aber das war natürlich Schwachsinn, denn es waren ja dieselben Haare wie vor einem halben Jahr und er benutzte wahrscheinlich noch das gleiche Schampoo. Daher würde es wahrscheinlich auch noch genauso duften wie vor einem halben Jahr. Ebenso wie seine Haut...
„Du wirst ja ganz rot.“, bemerkte Tevin überrascht, „Ich dachte eigentlich, dass du mich nicht sonderlich gut leiden kannst.“
Ich schnaubte. „Das tue ich auch nicht. Ich habe mich bloß an etwas erinnert.“ Wie viele Haare hat dieser Mann eigentlich? Dann fand ich seine Beule, woraufhin er heftig zusammen zuckte. So vorsichtig wie es mir möglich war tastete ich darum herum und atmete dann erleichtert auf. „Sie ist nicht sehr groß und du weißt ja selbst, dass du nicht blutest. Ich habe auch nichts gefunden.“
„Gut.“, kam es daraufhin von ihm, „Du bist viel schöner, wenn du lächelst.“, bemerkte er dann.
Mein Gesicht brannte. „Äh... danke.“
Seine Mundwinkel hoben sich. „Ich habe es ja schon einige Male auf Bildern gesehen, aber die Realität sieht ja immer etwas anders aus.“
„Ja.“
Ein paar Sekunden betrachtete er mich wieder. „Veit hat mir letztens von einem seltsamen Gespräch erzählt. Damals warst du noch mit ihm zusammen und...“ Er zog die Brauen zusammen. „Er wollte, dass ich dich küsse.“
Meine Augen weiteten sich. „Was?“
Er hob eine Schulter. „Ich erinnere mich nicht daran, aber an dem Tag hat es wohl geregnet und wir sind nass geworden, weil wir mit Cynthia auf dem Spielplatz waren. Er sagt, wir hätten uns in meinem Zimmer über dich unterhalten.“
Ich spürte wie mein Gesicht noch heißer wurde, als mir einfiel, dass ich die beiden belauscht hatte. „Ich erinnere mich an den Tag. Ich stand hier in der Küche und habe heiße Schokolade gemacht, als du runter gekommen bist. Du hast mich tatsächlich geküsst.“
„Hmmm...“, machte er daraufhin nachdenklich, „Warum wollte er das, wenn er doch mit dir zusammen war?“
„Ich bin mir nicht sicher. Wahrscheinlich gehörte das zu seinem Plan?“
Er blinzelte. „Sein Plan?“
Ich stöhnte auf und begann ihn von Veits Plan zu erzählen Tev zu zeigen, dass er in mich verliebt war, damit wir zusammen sein konnten. Als ich endete lachte Tevin leise.
„Jetzt kann ich gut nachvollziehen, dass ich ihn geschlagen habe.“, bemerkte er.
„Eigentlich hast du ihn geschlagen, weil er uns beim knutschen gestört hat.“, korrigierte ich ihn, „Und weil er mich so angestarrt hat, während ich nur Unterwäsche trug.“
„Du hast so etwas gesagt, ja.“
„Ich hoffe, du kommst nicht auf die Idee ihn nochmal schlagen zu wollen.“
„Nein.“, murmelte er daraufhin nur amüsiert und sah mich wieder eine Weile einfach nur an. „Sag mal...“
„Hm?“
„Wie lange willst du meinen Kopf eigentlich noch festhalten?“
Ich erstarrte. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich die Hände noch in seinem Haar vergraben hatte.
„Ich meine, es stört mich nicht. Tatsächlich mag ich es irgendwie und würde es begrüßen, wenn du noch eine Stunde so herum sitzen willst.“ Seine Augen flackerten auf. „Allerdings sollten wir den Abwasch machen und ich bin mir sicher, dass das Wasser nicht ewig warm bleiben wird. Wahrscheinlich ist es schon kalt.“
Ich verzog den Mund. „Mit dem Verband kann ich eh nicht abwaschen.“
„Nein, aber wir können tauschen.“
Wieder blinzelte ich. Egal wie weit ich zurück dachte, ich kann mich nicht daran erinnern beim Abwaschen mit ihm je die Rollen getauscht zu haben. Es fühlte sich seltsam an. Als würde er dasselbe spüren rümpfte er die Nase und erschauderte.
„Nur das eine Mal.“, murmelte er, „Deine Hand ist immerhin verletzt.“
Mit diesen Worten zog er ebendiese Hand aus seinem Haar und drückte einen Kuss auf das Verband über der Verletzung. Überrascht öffnete sich mein Mund ein wenig. Diese Geste war so vertraut und so flüssig, als hätte er es schon tausende Male getan. Was er ja tatsächlich getan hatte, allerdings konnte er sich daran nicht erinnern. Gleichzeitig hatte es ausgesehen, als hätte er es ganz automatisch getan.
„Entschuldige.“, murmelte er, als er meinen Blick bemerkte, „Es hat sich gerade so normal und richtig angefühlt.“ Sanft massierte er meine Finger und betrachtete meine Hand, ehe er seufzte, sie losließ und auch meine andere Hand aus seinem Haar zog. „Na komm. Waschen wir noch den Rest ab.“
„Okay.“, stimmte ich atemlos zu und beobachtete ihn einen Moment wie erstarrt, als er aufstand und zum Waschbecken ging, um das Wasser abzulassen und neues einlaufen zu lassen. Dann stand ich schnell auf und stellte mich neben ihn, um die bereits abgewaschenen Dinge abzutrocknen. „Ist dir noch schwindelig?“, fragte ich nebenbei und sah aus dem Augenwinkel zu ihm herüber.
„Zum Glück nicht. Ich will nicht noch einmal umkippen.“
Mein Mundwinkel zuckte.
Zwei Stunden später saß ich mit ihm wieder im Wohnzimmer und besiegte ihn abermals an der Konsole.
Cynthia hat Recht. Er ist schlecht geworden.
„Furchtbar.“, murmelte ich.
Er verzog das Gesicht. „Cynthia hat behauptet, ich hätte die Rekorde aufgestellt, aber das Spiel ist so schwierig.“
„Es kann nicht so schwierig sein, wenn Cynthia derzeit besser ist als du.“, entgegnete ich und schüttelte den Kopf, ehe ich aufstand und mich vor die Spielesammlung stellte, die nur wegen mir existierte. Dad hatte sie angelegt, als Tevin in Rumänien war, weil er dachte, es würde mich ablenken allein oder mit Cynthia zu spielen. Nachdenklich betrachtete ich die Spiele und erinnerte mich daran mit welchem Spiel Tevin damals angefangen hatte. Zwei Minuten später setzte ich mich neben ihn und erklärte ihm kurz die Steuerung, ehe wir begannen.
Weitere fünf Minuten später verlor er.
„Erbärmlich.“, murmelte ich.
Er seufzte tief. „Warum ist es überhaupt so wichtig wie gut ich in diesen Spielen bin?“
„Enio ist noch nicht alt genug, um zu spielen und Mom und Dad spielen nicht, also musst du mit Cynthia spielen, wenn sie möchte. Und es wird ihr langweilig, wenn du zu schlecht bist.“
„Es ist doch gut, wenn sie wenig spielt. Dann geht sie mehr raus. Sie sollte öfter in den Garten gehen.“
Wortlos stand ich auf und zog eines der Spiele aus dem Regal, das ich ihm hinhielt. „Deshalb ist es mir wichtig, dass sie spielt.“
Verwundert betrachtete er es eine Weile. „Ich kann nicht genau erkennen, was für ein Spiel das ist.“
Ich nickte, da ich das geahnt hatte. „Im Grunde genommen ist es ein Lernspiel.“
Skeptisch sah er mich an.
„Der Entwickler hat Features genutzt, die Spielern Spaß macht und dieses Spiel zu entwickeln. Er hat eine optimale Kombination aus Lernen und Spielen erschaffen.“
„Und? Warum ausgerechnet dieses Spiel?“
Ich atmete tief durch. „Cynthia versucht so gut sie kann meine Talente zu nachzuahmen und ich möchte sie dazu animieren das zu tun, was sie wirklich gut kann.“
Nachdenklich betrachtete er das Spiel. „Und das wäre?“
Ich zögerte ein wenig. „Nun... ehrlich gesagt weiß ich das nicht.“
Resigniert sah er zu mir auf. „Wow. Welch fantastisches Ziel.“
Ich riss ihm das Spiel aus der Hand. „Ich weiß es nicht, weil du nie gesagt hast, welches Talent sie hat. Es war deine Idee. Also, Tev's Idee. Er sagte, dieses Lernspiel würde ihr eigenes Talent fördern.“
Er legte den Kopf etwas schräg. „Okay. Aber warum lässt du sie es nicht spielen?“
„Es ist wirklich verdammt schwer und sie muss darauf vorbereitet werden, sonst ist sie zu schnell demotiviert und will es nicht mehr spielen.“
Er seufzte schwer. „Also willst du mich dazu zwingen besser als Cynthia zu werden, damit sie eine Herausforderung hat, bis sie gut genug ist, um dieses Spiel zu spielen, ja?“
„Korrekt.“
Für einige Sekunden starrte er mich wortlos an und ich dachte schon er würde ablehnen, weil er die Idee für schlecht hielt, doch dann seufzte er nur leise, wendete den Blick ab und stimmte zu. „Na gut. Ich mach's.“
Beruhigt stellte ich das Spiel zurück und setzte mich wieder zu Tevin, um eine nächste Runde zu starten... die ich prompt verlor. Verwundert starrte ich auf die Punkte.
„Okay, da hast du wohl Glück gehabt.“
„Wahrscheinlich.“, murmelte er vor sich hin, ehe ich noch eine Runde startete.
Und die gewann er nicht einfach nur, nein. Er stellte sogar einen neuen Rekord auf. Mit leicht zusammengekniffenen Augen sah ich ihn an.
„Tevin.“, murrte ich warnend, „Sag nicht, du hast absichtlich schlecht gespielt.“
Tief atmete er durch. „Ich weiß nicht, wie ich es früher gemacht habe, aber wenn man das Spiel einmal analysiert ist es wirklich leicht.“
Ich blinzelte. „Du hast es... analysiert? In so kurzer Zeit?“
Aus dem Augenwinkel sah er zu mir herüber, ehe er wieder zum Fernseher sah. „Willst du ein anderes Spiel starten?“
Nachdenklich zog ich die Brauen zusammen und starrte ihn an. „Erklär mir das.“
„Nun, ich dachte, du willst, dass ich eine Herausforderung für Cynthia bin. Also sollte ich vielleicht-“
„Das meine ich nicht.“, unterbrach ich ihn, „Hast du es wirklich in so kurzer Zeit analysiert?“
„Ja.“
„Hast du so auch die Prüfungen geschafft?“
Sein Mundwinkel zuckte. „Ich wünschte, ich könnte ja sagen, aber ich bin kein Genie, Vilija.“
Ich schauderte, als er meinen Namen aussprach und war froh, dass er nicht zu mir sah.
„Es war, wie ich es gesagt habe. Ich habe die Sachen gewusst, verstanden und angewendet. Die meisten Prüfungen kann man ohne Vorwissen nicht einfach so bestehen, egal wie analytisch du denkst. Auch wenn mir das bei Mathematik sehr geholfen hat.“
„Verstehe.“
Er streckte sich ausgiebig, was mir die Möglichkeit bot ihn reichlich zu mustern. Sein Bauch, der unter seinem Shirt hervor lugte, war noch immer flach und seine Muskeln waren definiert. Fast so sehr wie die von Keanu, allerdings war er auch Schwimmer und Surfer. Soweit ich wusste, betrieb Tevin nur einfachen Sport und Kampfsport.
„Hast du bei Keanu nicht genug zu betrachten?“, neckte mich Tevin.
Ich sah ihn finster an. „Vergiss nicht, dass du in dem Körper steckst, der mir zufällig am meisten zusagt.“
Er hob eine Braue. „Ach ja?“
Abrupt wurde ich rot. Warum habe ich das gesagt? „Du steckst in Tev's Körper. Natürlich sagt er mir am meisten zu. Auch wenn ich Keanu beileibe nicht von der Bettkante stoße.“
Abrupt zog sich sein Mundwinkel nach unten. „Natürlich nicht.“
Ich legte den Kopf schräg. „Du bist doch wohl nicht eingeschnappt deshalb.“
Er schnaubte. „Warum sollte ich? Wenn ich wollen würde, könnte ich sicher jederzeit mit meinem Schwesterchen im selben Bett schlafen.“
Ich warf ihm ein Kissen ins Gesicht. „Träum weiter.“
Neckisch lächelte er mich an. „Aber genau das habe ich doch vor. Direkt neben dir.“
Daraufhin wurde mir so heiß, dass ich den Blick abwenden musste. Hatte jemand die Heizung höher gestellt? „Wir sollten vielleicht weiterspielen.“
Er murrte. „Vielleicht ein andern Mal. Ich bin müde.“
Verärgert sah ich zu ihm herüber. „Du hast doch eben vorgeschlagen ich solle ein anderes Spiel anmachen.“
Daraufhin winkte er ab. „Ich wette Keanu und Dad sind auch bald fertig.“
Wie gerufen kamen die beiden herein. Dad hatte überraschend gute Laune, während Keanu...
Tief seufzend sah ich zu Dad. „Was hast du mit ihm gemacht?“
„Ihm geholfen.“, antwortete er nur, „Übernachtet ihr heute hier? Ich bin mir sicher Vaughn ist ziemlich müde. Keanu kann ja bei ihm und Miles schlafen.“
„Dad!“
„Alternativ schläft er bei Tevin.“
Dieser sah ihn mit großen Augen an. „Dad.“, protestierte er dann leidlich.
„Ich dachte, ihr versteht euch besser.“
Tevin verzog den Mund. „Das bedeutet aber nicht, dass ich mit ihm im Bett schlafen werden.“
Dad hob eine Braue. „Du sollst ja auch nicht mit ihm schlafen. Es reicht, wenn ihr nebeneinander schlafen würdet.“
Ich unterdrückte heftig ein Lachen und presste angestrengt meine Lippen aufeinander. Die beiden Männer warfen mir vernichtende Blicke zu.
„Die letzte Alternative wäre, dass Keanu in Tevins Zimmer schläft und Tevin bei Vilija.“
Ich stöhnte auf. „Bitte nicht. Lass Keanu doch einfach bei mir schlafen.“
Bei dieser Bitte wurde Dads Blick so finster, dass ich mir sicher war, dass es noch sehr lange dauern würde, ehe er Keanu verzeihen konnte. Also gab ich mich geschlagen.
„Na gut.“, murmelte ich und sah zu Keanu. „Was wäre dir lieber?“
Dieser starrte Tevin eine Weile an, ehe er wieder zu mir sah. „Lass uns ein Taxi nehmen.“
Amüsiert schüttelte ich den Kopf. „Zu gefährlich.“
Enttäuscht seufzte er tief und murmelte etwas vor sich hin. „Dann ist es mir egal. Ich bin einfach nur müde.“
Dad nickte. „Gut, dann schläft Tevin bei Vilija.“
„Was?“
Im nächsten Moment versuchte ich zu protestieren, doch Dad ließ keine Widerworte zu und ging schließlich hinauf, um ins Bett zu gehen. Er sagte, wenn Tevin bei mir schlief, würde Keanu sich nicht zu mir schleichen können. Und sowohl Tevin als auch ich würden besser schlafen können.
Schlecht gelaunt, weil er Recht hatte, ergab ich mich ein weiteres Mal und ging dann mit den beiden Männern hinauf. Erst, als ich an meiner Zimmertür stand, fiel mir auf, dass Keanu das Zimmer bisher nie betreten hatte. Zögerlich drehte ich mich zu ihm um und erinnerte mich prompt an den Moment in Tevins Zimmer. Schmerz durchzuckte mich.
„Gute Nacht.“, wünschte ich ihm und gab mir Mühe normal zu klingen.
Er lächelte mich an, also schien er nichts zu bemerken. „Gute Nacht, Vilija.“ Saft küsste er mich auf die Stirn. „Schlaf gut.“
Daraufhin schaffte ich es nur zu nicken und wendete mich zur Tür.
„Ich komme gleich nach.“, bemerkte Tevin, „Will nur noch sicher gehen, dass er mein Zeug nicht anfässt.“
„Okay.“
Ohne noch ein weiteres Wort abzuwarten schlüpfte ich in mein Zimmer und trat zu meinem Bett, wo ich einen Moment einfach nur stehen blieb, ehe ich mich auszog und dann zu meinem Schrank ging, um etwas für die Nacht auszusuchen. Ich hatte gerade ein Shirt ausgewählt, als Tevin herein kam.
„Man bin ich müde.“, bemerkte er und gähnte, wobei er sich zu mir umsah und dann erstarrte, als er mich nackt an meinem Schrank stehen sah. Seine Augen weiteten sich.
„Tevin!“, fuhr ich ihn sofort an und versuchte mich mit meinen Händen zu bedecken. „Schau gefälligst weg.“
Hastig wendete er den Blick ab, doch ich sah ihn hin und wieder herüber lugen, woraufhin ich mir schnell etwas über zog. Glücklicherweise war es dunkel, sodass er es nicht sehen würde, wenn ich rot geworden sein sollte – was definitiv der Fall war.
„Entschuldige.“, murmelte er, als ich zum Bett herüber ging, „Du bist einfach so...“
Ich seufzte schwer. „Heiß? Anziehend? Attraktiv?“ Das habe ich alles schon gehört.
„Hinreißend wollte ich sagen. Und wunderschön. Auch wenn du etwas dünn bist. Und blass.“
„Blass?“, wiederholte ich verdattert, denn mir war sehr bewusst, dass ich schöne gebräunte Haut hatte.
Er überging meine Verwirrung einfach und kam näher. „Wie geht es deiner Hand? Tut sie noch weh?“
Überrascht sah ich darauf herab und spürte ein plötzliches Bedauern in mir aufkommen, weil Keanu es nicht einmal bemerkt hatte. Allerdings war es auch spät und er war müde. Es sollte mich wahrscheinlich auch nicht so sehr stören, immerhin war ich eine erwachsene Frau. „Es tut kaum weh.“
„Gut.“ Als er neben mir stehen blieb, sah er mich eine Weile einfach nur an, ehe er sich etwas abwendete und sich sein Shirt auszog. „Du hast ja schon alles gesehen.“, murmelte er eher zu sich selbst, als zu mir.
Seine Worte ignorierend setzte ich mich auf die Bettkante und wartete, bis er fertig war, damit er an der Wand liegen konnte, wie immer.
„Vilija?“, hob er an, als er gerade seine Hose auszog.
„Hm?“, machte ich daraufhin und sah fragend zu ihm auf.
„Warum hast du eben so komisch geschaut, als du Keanu angesehen hast? Ist noch etwas ungeklärt?“
Verwirrt senkte ich den Blick auf den Boden vor mir. Es ist ihm aufgefallen? „Äh... Warum fragst du?“
„Ich mache mir bloß Gedanken.“ Er schwieg einige Augenblicke. „Ist es wegen dem Vorfall in meinem Zimmer?“
Erneut zuckte ich zusammen, woraufhin er seufzte und sich neben mich setzte.
„Raus damit.“
„Ich habe gesehen, was auf deinem Bildschirm war.“, presste ich hervor und spürte, wie meine Hände begannen zu zittern. „Habt ihr euch da Nacktfotos angesehen?“
Ich hörte ihn einige Male durchatmend, während er sich über die Brust rieb und scheinbar nachdachte, was er sagen sollte. „Nun... Ich will dich nicht anlügen.“
„Aber das hast du getan.“
„Für mich war es wirklich nur das. Recherche. Und theoretisch ist es ja Männerkram.“
„Bilder von nackten Frauen sind Männerkram?“
Er zögerte.
„Tevin!“
„Es waren keine Bilder.“, murmelte er vorsichtig, „Eigentlich... war es ein... Naja... ein Video.“
Das Zittern breitete sich langsam aus. „Ein... Video?“
Er rieb sich über den Mund. „Sieh mal... Es hat sich irgendwie ergeben. Ich war neugierig, warum er dich so liebt, weil ich dachte, ich könne meine eigenen Gefühle dann besser verstehen. Also habe ich ihm ein paar Fragen gestellt und... irgendwann sagte er, dass er dich auch sehr attraktiv fände und dann... nun... fragte ich, was genau er an dir attraktiv findet. Verstehe mich nicht falsch.“, fügte er schnell hinzu, „Du bist verdammt attraktiv. Heiß ist kein Wort dafür, auch wenn du etwas zu dünn bist. Aber ich wollte seine Meinung und plötzlich redeten wir allgemein über Frauen und dann schlug er vor, er könne mir ja zeigen was er mochte.“
Mir drehte sich der Magen um.
„Ich wollte nicht, dass es so eskaliert, das schwöre ich dir. Und es tut mir wirklich leid, dass du das mitkriegen musstest. Ich hatte wirklich nicht mehr vor als ihn nach seiner Meinung über dich zu fragen. Andere Frauen interessieren mich nicht.“
Das überraschte mich. „Nicht?“, wiederholte ich, „Aber ich dachte, du triffst dich mit welchen.“
„Ich wollte wissen, ob ich auf andere Frauen auch so reagiere und war mit dreien aus.“ Er zuckte mit den Schultern. „Nicht einmal ansatzweise. Ich weiß wirklich nicht, warum du diese Gefühle in mir auslöst. Ich habe sogar eine Frau getroffen, die dir zum verwechseln ähnlich ist. Sie ließ mich völlig kalt.“ Mit diesen Worten sah er mich an, als sei ich ein Mysterium. „Es muss irgendetwas spezielles sein.“
„Ich habe nicht den blassesten Schimmer.“
Er grübelte noch ein wenig vor sich her, ehe er schließlich aufgab und sich erneut streckte. „Nun gut, lass uns schlafen.“ Damit rückte er an die Wand und zog die Decke zurecht, sodass er zugedeckt war und ich mich nur noch hinlegen musste, damit er mich zudecken konnte.
Einen Moment zögerte ich noch, fand jedoch keinen Grund noch länger zu warten und legte mich schließlich hin. Nachdem er mich zugedeckt hatte, blieben wir etwa fünf Minuten so liegen, ehe wir begannen uns, begleitet von Schnaufen und Murren, abwechselnd hin und her zu drehen. Irgendwann lagen wir auf dem Rücken und starrten an die Decke.
„So wird das nichts.“, bemerkte ich.
Tevin murrte zustimmend. „Soll ich dich halten?“
„Denkst du, das hilft?“
„Ein Versuch ist es wert, oder nicht?“
Ich dachte ein paar Sekunden darüber nach, ehe ich ihm den Rücken zudrehte. „Na gut.“
Ohne zu zögern rückte er an mich heran, legte die Arme um mich und zog meinen Körper dicht an seine Brust. Sofort begann mein Herz zu rasen, woraufhin ich so steif wie ein Brett wurde.
„Du musst dich schon entspannen.“, beschwerte er sich und zwickte mir in ein Stück Haut, das unter meinem Shirt wohl hervor lugte.
Ich quietschte überrascht auf. „Lass das!“
Er lachte daraufhin auf, drückte mich noch etwas enger an sich und schmiegte seine Wange an mein Haar. „Du bist so weich.“, murmelte er wenige Sekunden später.
„Das liegt an meiner Seife.“
„Eine sehr gute Wahl.“
Wieder stieg Hitze in mir auf. „Danke.“
„Hast du es bequem?“
„Ja. Und du?“
„Es ist alles perfekt.“
Wieder breitete sich Stille über uns aus.
„Tevin?“, wisperte ich irgendwann.
„Hm?“
Ich schluckte einige Male. „Die Frauen in dem Video...“, murmelte ich unsicher, „Wie haben sie ausgesehen?“
Er schwieg. Irgendwann stützte er sich auf einem Ellenbogen ab und sah auf mich herab, woraufhin ich zu ihm aufsah. „Warum fragst du das?“
Ich presste die Lippen aufeinander und wich seinem Blick aus, ehe ich antwortete: „Ich frage mich, was für Frauen er attraktiv findet.“
Wage konnte ich erkennen, wie er das Gesicht verzog. „Warum? Vilija, er liebt dich doch.“
„Ja, aber... Das bedeutet nicht, dass er mich auch anziehend findet. Ich meine, du weißt, dass ich noch immer Jungfrau bin. Es muss für ihn doch auch frustrierend sein und da ist es doch normal, wenn er sich irgendwann anderweitig umsieht. Oder nicht?“
Tief durchatmend fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. „Das kommt auf den Charakter an. Aber findest du nicht, dass es besser ist, wenn er sich so etwas ansieht, statt wirklich eine andere Frau zu suchen?“
„Was macht das denn für einen Unterschied, wenn es darauf hinaus läuft, dass er sich letztendlich anderen Frauen zuwendet?“ Tränen stiegen mir in die Augen. „Ist es zu viel verlangt mir die Zeit zu geben, die ich brauche? Es ist der zweite Tag, an dem er zurück ist und gestern hat er so viel mit mir geredet, ich dachte es wäre alles in Ordnung und dann...“
Liebevoll strich er mir über die Wange. „Hey...“, hob er sanft an, „Ich verstehe schon.“ Er beugte sich etwas zu mir herab, sodass ich von seiner Wärmen umfangen wurde. „Ich habe verstanden, es tut dir sehr weh. Und es tut mir sehr leid, weil es irgendwie meine Schuld ist.“
„Ich verstehe ja, dass du einfach nur deine Gefühle verstehen willst.“, widersprach ich, „Du sagtest doch außerdem, dass er das Video vorgeschlagen hat. Und das er anfing über andere Frauen zu reden.“
„Ja, schon...“ Er zögerte, ehe er seufzte. „Nun gut, ich weiß auch nicht, wie ich dagegen argumentieren soll. Aber Tatsache ist, dass es nicht so gekommen wäre, wenn ich ihm nicht diese Fragen gestellt hätte.“
Ich schluchzte leise auf.
„Okay.“, flüsterte er mir zu, legte sich wieder auf die Seite und drehte mich herum, ehe er mich an seine Brust zog. „Ich bin da. Ich halte dich, ja?“
„Ich fühle mich irgendwie betrogen.“, gestand ich weinend, „Kerle, die mich nicht kennen lassen mich nicht in Ruhe und wenn ich jemanden habe, den ich halte möchte, wendet er sich ab.“
Zärtlich streichelte er mir über den Rücken. „Manche Menschen müssen einen sehr schweren Weg gehen, um an ihrem Ziel anzukommen. Es ist wichtig, dass du dir dieses Ziel immer vor Augen hältst, damit du es nicht vergisst und vom Weg abkommst.“
„Wie meinst du das?“
„Jeder vernünftige Mensch hat ein Ziel in seinem Leben. Manche Menschen haben ein einfaches Ziel oder ideale Umstände. Andere dagegen haben ein sehr hoch gestecktes Ziel oder einfach Unglück. Oft geben sie irgendwann auf und schlagen einen anderen Weg ein oder kommen einfach vom Weg ab, weil sie ihr Zeil aus den Augen verlieren.“ Langsam strich seine Hand über mein Haar. „Was ist dein Ziel, Vilija?“
Ich schniefte leise, ehe ich meine Wange an seiner Brust bettete. „Ich möchte einmal eine so glückliche Ehe führen wie Mom und Dad.“
„Also suchst du natürlich einen Mann, der dich liebt.“
„Natürlich. Aber das reicht nicht.“
„Ich weiß. Wahrscheinlich ist genau das im Moment das Problem.“ Er machte eine kurze Pause. „Keanu scheint recht einfach gestrickt zu sein. Ich will dir nichts ausreden, ich denke nur einfach... Wenn du eine einfachere Vergangenheit gehabt hättest, wäre er sicher der ideale Partner für dich. Aber du hast dich in mich verliebt und dann kam ein Problem nach dem anderen und all die Ereignisse müssen dich wohl traumatisiert haben. Ich habe dich nach dem Unfall viel weinen hören.“ Ein Seufzen kam ihm über die Lippen. „Ich wünsche mir für dich nichts sehnlicher, als dass du nie wieder aus Trauer oder Schmerz weinen musst.“
Ein kleiner Heulkrampf schüttelte mich, woraufhin er mich abermals an sich drückte, als könne ich auseinanderfallen.
„Hey, versuch es mal anders zu sehen.“, versuchte er es wenig später, „Ich habe jetzt nicht darauf geachtet, aber vielleicht haben ihn die Frauen einfach kalt gelassen. Du solltest sehen, wie es sich die nächsten Tage entwickelt, ehe du irgendetwas tust. Und dann darfst du auf keinen Fall denken, dass es an dir liegt. Wenn du Zeit brauchst, brauchst du eben Zeit und wenn er dich liebt, dann wartet er. Und er sagte dir doch, dass er dich liebt.“
Unsicher wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht. „Aber die Frauen sehen sicher alle anders aus als ich.“
„Nun... Tatsächlich hatte keine einzige schwarze Haare und sie hatten allesamt mehr auf den Hüften.“, murmelte er zaghaft, „Aber das hat nichts zu bedeuten.“, fuhr er schnell fort, „Ich meine, mich lässt jede Frau kalt, die ich sehe und nun habe ich eine Dauererektion.“
Hitze stieg mir ins Gesicht. „Tevin!“
Leise lachte er auf. „Entschuldige, wenn ich dich in Verlegenheit gebracht habe. Ich dachte mir, das würde am ehesten deine Laune heben.“ Weiterhin vor sich hin lachend vergrub er sein Gesicht in meinem Haar. „Schlaf jetzt.“
„Wie soll ich denn jetzt schlafen?“, protestierte ich.
„Nun, als erstes solltest du die Augen schließen.“
„Aber du- Du hast- Du-“
Er seufzte tief. „Du bist schüchterner, als ich dachte. Denk einfach nicht daran.“
„Wie soll ich denn nicht daran denken?“
„Hilft es dir, wenn ich dich küsse?“
„Tevin!“
„He.“, meinte er darauf, „Ich meine das ernst.“
Ich verwandelte mich in ein stotterndes Häufchen Elend.
„Ist das ein Ja?“
Vor Verlegenheit brachte ich langsam kaum noch ein Ton heraus und fühlte mich wie ein junges Schulmädchen.
„Vilija.“
Abrupt verstummte ich komplett und sah zögerlich zu ihm auf.
„Du kennst mich doch.“
„Ja, aber du bist so... anders.“
Ich konnte wage ein amüsiertes sanftes Lächeln in seinem Gesicht ausmachen, als er mich zu sich hoch zog. „Aber der Körper ist derselbe. Außerdem werde ich wahrscheinlich wahnsinnig schlecht küssen, denn seit dem Unfall habe ich nicht eine einzige Frau geküsst. Wenn, dann sollte ich nervös sein, nicht du.“
Ich schluckte schwer. „Aber Keanu-“
Er legte mir einen Finger auf die Lippen. „Es ist doch nicht so, als hätten wir eine Affäre. Ich möchte dir lediglich dein Unbehagen nehmen. Wir sind beide müde, deshalb fällt mir nichts besseres ein.“
„Aber- Ich meine- Ich will ihm nicht fremd gehen.“
Einen Moment schwieg er. „Ich werde dich jetzt nicht dazu überreden dich von mir küssen zu lassen. Aber bedenke, dass es keinerlei Auswirkungen auf deine Beziehung haben wird.“
Es wäre eine schlechte Idee ihm zu sagen, dass es eben doch Auswirkungen haben würde, denn dann würde ich sie erläutern müssen. Also schwieg ich einfach und hörte ihm zu.
„Du fühlst dich unwohl, weil ich mich von dir angezogen fühle.“ So wie er das sagte, klang es, als wäre ich unvernünftig. „Also baue ich eine Bindung zwischen uns auf, die dir die Möglichkeit gibt besser damit umzugehen.“
Ob ich ihn darauf aufmerksam machen soll, dass das, was er sagte, paradox ist? Besser nicht. Die Müdigkeit sorgte dafür, dass ich weitere Diskussionen meiden wollte.
„Ich schlage das alles ja nicht vor, um dich zu verführen.“
Ich seufzte tief. „Küsst du mich jetzt oder redest du noch eine halbe Stunde so weiter?“
Abrupt verstummte er, ehe er in leises Gelächter ausbrach. „Und ich war schon in Sorge, du wärst prüde.“ Im nächsten Moment wurde er bereits wieder leise und senkte den Kopf, um mich zu küssen.
Und obwohl ich ihn gerade zu dazu aufgefordert hatte, traf es mich doch völlig unvorbereitet. Ich hatte längst vergessen, wie es sich anfühlte von ihm geküsst zu werden. Es nahm mir gänzlich den Atem, vertrieb alles, was sich in meinem Kopf befand, bis ich nicht mehr wahr nahm als Tevin und mich. Dieser hatte zwar behauptet er würde wahrscheinlich wahnsinnig schlecht küssen, doch in Wahrheit fühlte es sich eher an, als hätte er in seinem Leben nichts anderes getan.
Wie eine Ertrinkende hielt ich mich an ihm fest, die Hände in seinem Nacken verschränkt, und zog ihn sogar noch mehr zu mir herab, woraufhin er leise aufstöhnte und den Kuss vertiefte. Irgendwas in meinem Unterbewusstsein versuchte mich an etwas zu erinnern, etwas, das irgendwie dringend war, doch als Tevins Zunge in meinen Mund glitt war jeglicher Hauch eines Gedanken wieder beseitigt.
Als meine Hand aus seinem Nacken hinab zu seiner Brust glitt, spürte ich sein Herz darin rasen. Zart biss ich ihm spielerisch in die Unterlippe und streichelte ihm unbewusst über die Brust, woraufhin er erneut aufstöhnte.
„Liebling, du machst mich verrückt.“, hauchte er.
Es war mir ein Rätsel, wie er auch nur einen einzigen vernünftigen Satz hatte formulieren können.
„Du solltest jetzt schlafen.“, wisperte er mir zu und drückte mir einen Kuss auf die Stirn, ehe er meinen Kopf an seiner Brust bettete.
Wenige Augenblicke später glitt ich in einen tiefen erholsamen Schlaf.
Als ich aufwachte, lag ich auf dem Bauch soweit am Rand des Bettes, dass mein Arm herab hing. Da ich eigentlich wenig motiviert war aufzustehen, murrte ich halblaut vor mich her, drehte mich herum und kuschelte mich verschlafen an den Körper neben mir, der auf dem Rücken lag.
Dieser Stöhnte leise auf.
Überrascht, weil es so gar nicht nach Keanu klang, sondern nach jemandem, den ich seit Jahren nicht mehr so gehört hatte, öffnete ich abrupt die Augen, hob den Kopf und sah hinauf... in Tevins schlafendes Gesicht.
Als er sich nun zu mir auf die Seite drehte, legten sich seine Arme um mich, die mich an ihn zogen. Ein Seufzen kam ihm über die Lippen. Als ich etwas verwirrt zu ihm aufsah, fiel mir wieder ein, dass Dad etwas dagegen hatte, wenn Keanu bei mir schlief.
Dann erinnerte ich mich an meinen Traum und spürte Hitze in meine Wangen steigen. Sofort versuchte ich mich von ihm zu lösen, doch seine Arme waren wie fest geschweißt. Also klopfte ich ihm auf die Brust, in der Hoffnung, es würde ihn wecken. Meine Arme steckten so zwischen uns fest, dass ich nicht zu mehr in der Lage war.
„Tevin.“, murrte ich verärgert, aber er schlief wie ein Stein.
Ich stemmte mich gegen seine Brust, musste dann aber wieder aufgeben und wunderte mich, wie stark er sein musste. Was träumt er, dass er mich so fest hält?
„Tevin!“, versuchte ich es etwas lauter.
Ein Seufzen. Ich hätte gern versucht gegen seine Brust zu trommeln, allerdings konnte ich nicht weit genug ausholen, also musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. Einige Sekunden betrachtete ich ihn schweigend, bis mir eine Idee kam. Ich fühlte mich etwas unbeholfen, als ich versuchte mich höher zu kämpfen, schaffte es aber mein Gesicht nahe genug an seine Schulter zu bringen und biss einfach zu. Fest.
„Aaah!“, rief er daraufhin erschrocken aus, riss die Augen auf und sah auf mich herab, wobei er mich von sich drückte. „Verdammt.“, fluchte er, als er mich sah, „Was zum Teufel sollte das?“
Ich atmete erleichtert durch und streckte die Arme aus. „Man, du hast ein Schlaf wie ein Toter.“, entgegnete ich, „Und Arme wie Stahlträger. Du hast mich festgehalten wie King Kong und bist nicht aufgewacht.“
Er blinzelte perplex. „Was?“
„Du hast mich festgehalten.“, wiederholte ich, „Und du hast dich keinen Millimeter bewegt, als ich dich wegschieben wollte, um aufzustehen. Und du bist nicht aufgewacht.“
Erneut blinzelte er. „Aber warum... Warum hast du mich gebissen?“ Verdattert sah er auf seine Schulter, auf der ein Abdruck zurückgeblieben war.
„Du bist nicht aufgewacht!“
„Aber du hast mich gebissen!“ Er deutete auf seine Schulter, als wäre dort eine klaffende Wunde.
„Ich habe nicht einmal fest zugebissen. Jetzt tu nicht so, es hat sicher nicht mal weh getan.“
„Du hast verflixt spitze Zähne, natürlich tat es weh.“
„Stell dich nicht so an.“
Verärgert rieb er über die Bissmale und sah mich dann finster an. „Es blutet. Und du willst behaupten, du hättest nicht fest zugebissen?“
Ein schlechtes Gewissen regte sich in mir. „Habe ich wirklich nicht.“, murmelte ich, ehe ich mich mit ihm aufsetzte. „Na schön, zeig mal her, du Heulsuse.“
Erneut bedachte er mich mit einem finsteren Blick. „Ich heule nicht, du Jammerlappen.“
„Was heißt hier Jammerlappen? Du quengelst doch wegen einem kleinen Biss.“
„Es tut verdammt weh und ich hab dir nichts getan!“
„Du hast mich nicht losgelassen.“
„Ich habe geschlafen. Was kann ich für das, was ich tue, wenn ich schlafe? Oder entscheidest du im Schlaf, ob du dich nach rechts oder links drehst?“
Der Ärger grummelte noch immer in mir, doch ich presste die Lippen aufeinander und besah mir seine Schulter. Sie blutete tatsächlich. „Ich wollte dir nicht weh tun.“, murmelte ich daraufhin bedrückt, „Aber es scheint nur oberflächlich zu sein.“
Er seufzte leise und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Okay. Aber mach das nicht nochmal.“
„Entschuldige.“
„Ist gut.“
„Wenn du kurz wartest, hole ich ein Pflaster.“
„Tu das.“
Etwas niedergeschlagen stand ich auf und ging hinüber ins Bad. Auf dem Weg zurück begegnete ich Dad im Flur, der überrascht auf meine Hände sah.
„Wofür brauchst du ein so großes Pflaster? Und warum ist deine Hand verbunden? Ist etwas passiert?“
Ich verzog das Gesicht. „Ich hab... Ich hab Tevin gebissen.“ Ich wurde mit jedem Wort leiser, bis Dad mich kaum noch verstehen konnte, doch an seinem Gesichtsausdruck erkannte ich, dass er alles gehört hatte.
„Warum?“
„Ich wollte nicht so fest beißen, wirklich.“ Beschämt verlagerte ich mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. „Er hat geschlafen und- Ich- Es war nicht schlau, ich weiß. Ich mach's nicht nochmal.“
Er blinzelte. „Nun gut. Aber was ist mit deiner Hand?“
Ich sah auf diese herab und drehte sie ein wenig herum. „Das ist beim Abwasch passiert. Ich hab ein Messer abgewaschen und Tevin hat mich aus Versehen erschreckt. Dabei hab ich mich geschnitten und er ist ohnmächtig geworden, also-“
„Moment.“, unterbrach er mich verwirrt, „Lass uns zu Tevin gehen und dann erzähl mir alles ganz langsam nochmal.“
Mit einem leisen Seufzen ging ich mit ihm in mein Zimmer, wo Tevin misstrauisch seine Schulter beäugte. Als er uns hörte, sah er auf und hob die Hand.
„Guten Morgen, Dad.“
„Guten Morgen, Tevin.“, entgegnete dieser und blieb neben dem Bett stehen, während ich mich zu Tevin setzte.
Ich begann damit die Wunde zu desinfizieren, rieb eine Jodsalbe darüber, legte dann eine kleine Kompresse darauf und befestigte alles mit dem Pflaster, während ich Dad alles über den Unfall mit dem Messer und Tevins Ohnmacht erzählte.
„Verstehe.“, endete er schließlich, „Und wie kam es nun dazu?“ Er nickte in Tevins Richtung.
Dieser zuckte mit den Schultern. „Ich glaub, ich hab sie im Schlaf belästigt oder so. Tut mir leid.“, meinte er dann an mich, „Ich hatte einen echt aufregenden Traum und-“
Sofort drehte Dad sich um und verließ das Zimmer.
Ich dagegen sah meinen Bruder verwundert an. „Mich belästigt?“
„Das geht schneller als deine Version und er stellt keine weiteren Fragen. Mittlerweile bin ich mir sehr sicher, das es ihm peinlich ist, wenn ich über sexuelle Dinge spreche.“
„Macht du das etwa öfter, um ihn abzuwimmeln?“
Er zuckte erneut mit den Schultern. „Hin und wieder.“
„Aber- Warum?“, fragte ich ihn empört, „Du kannst auch einfach ehrlich sein.“
Überrascht von meiner Reaktion zuckte er kurz zusammen. „Es ist ja nicht so, als hätte ich ihn betrogen oder so.“
„Nein, aber trotzdem. Du solltest Dad nicht belügen. Das beeinträchtigt sein Vertrauen in dich. Und das Vertrauen anderer.“
„So wie ich das mitbekommen habe, habe ich doch öfter gelogen.“
„Um andere in Schutz zu nehmen, aber doch nicht wegen solcher Banalitäten.“
Verwirrt zog er die Brauen zusammen. „Banalitäten? Du hast mich gebissen. Weil ich geschlafen habe.“
„Ja und ich sehe ein, dass es nicht gut überlegt und ungerechtfertigt war, habe mich entschuldigt und du hast mir verziehen. Er hätte mir deswegen nicht den Kopf gewaschen. Es war einfach... nicht... richtig, dass du gelogen hast.“
Er seufzte schwer und bedachte mich mit einem undefinierbaren Blick. „Wie geht es deiner Hand?“
„Jetzt lenk nicht vom Thema ab!“
Er rollte mit den Augen. „Gut, wenn du meinst. Dann sag ich ihm ab jetzt immer ganz genau die Wahrheit. Angefangen damit, dass du gestern wegen Keanu geweint hast.“
Ich verengte die Augen ein wenig. „Du bist ein Mistkerl.“
„Ich war es nicht, der dich gestern zum Weinen gebracht hat. Oder sonst wann.“
„Das ändert nichts daran, dass du trotzdem einer bist.“, fauchte ich zurück, stand auf und ging zum Schrank, um mir frische Kleidung auszusuchen.
„Weil es mir nicht egal ist, wie Keanu sich benimmt und wie du dich danach fühlst?“, fragte er hinter mir verärgert.
„Weil du meine Gefühle benutzt um mich emotional unter Druck zu setzen.“, entgegnete ich genauso verärgert, „Und gestern Abend hatte nicht einmal etwas mit heute Morgen zu tun.“
„Ich setze dich in keinster Weise unter Druck. Sollte Dad fragen, wie wir geschlafen haben, werde ich dann die Wahrheit sagen. Es werden weitere Fragen aufkommen und eins führt dann zum anderen.“
„Du musst ihn doch nicht dazu reizen Fragen zu stellen, die dorthin führen.“
„Ich reize ihn nicht dazu Fragen zu stellen, nur weil ich die Wahrheit sage.“
„Und ob du das tust, wenn du ihm schier unter die Nase reibst, dass irgendwas passiert ist.“
„Es ist doch kein unter die Nase reiben, wenn ich sage, dass ich Probleme beim Einschlafen hatte.“
Aufgebracht sah ich zu ihm. „Sag ihm einfach nichts davon, verdammt nochmal.“
„Du willst doch, dass ich ehrlich bin.“
„In dem Sinne, dass du ihn nicht belügst. Etwas zu verschweigen ist nicht gleich lügen.“
Er kniff ein wenig die Augen zusammen. „Du kannst nicht einfach Dinge als Lüge oder Ehrlichkeit bezeichnen, wie es dir gerade passt.“
„Das tue ich doch gar nicht!“
„Doch. In dem Moment, in dem du etwas sagst, das nicht der Wahrheit entspricht, lügst du.“
„Man sagt nicht nicht die Wahrheit, wenn man etwas nicht erwähnt.“
„Also ist es für dich vollkommen vertretbar Dinge zu verheimlichen, aber zu lügen ist falsch?“
„Ja.“
Er schüttelte den Kopf und schnaubte. „Und wenn ich dir verheimlichen würde, wenn ich mich erinnere? Was dann?“
Ich zuckte zusammen. „Das ist etwas anderes.“
„Warum? Ich verheimliche dir dann doch nur etwas.“
„Aber es betrifft mich.“
„Nicht im Geringsten.“, widersprach er trocken, „Es ist mein Gedächtnis, Vilija. Es würde Mom und Dad betreffen. Cynthia und Enio, denn mit ihnen lebe ich zusammen. Dich sehe ich nur ein paar Mal in der Woche. Aber selbst wenn es dich betreffen würde.“ Er zuckte mit den Schultern. „Es ist doch deiner Aussage nach nichts falsch daran etwas zu verheimlichen.“
„Du würdest mich hintergehen.“
„Würde ich das? Warum? Wir haben keine Vereinbarung getroffen. Es gibt nur einen Grund, weshalb du willst, dass ich es dir erzähle. Einen einzigen.“
Ich biss die Zähne fest aufeinander. „Der da wäre?“
„Du willst deinen Tevin zurück.“
Ein paar Momente war es still zwischen uns, während wir uns einfach nur anstarrten.
„Du liebst Keanu gar nicht wirklich, nicht wahr?“
„Doch natürlich liebe ich ihn.“, protestierte ich entrüstet.
„Natürlich.“, wiederholte er trocken, „Denn du würdest ja niemals mit jemandem eine Beziehung führen, den du nicht liebst.“
„Das habe ich nie behauptet. Veit weiß, dass ich ihn nicht geliebt habe. Und Keanu weiß auch, dass ich ihn zu Beginn ebenfalls nicht geliebt habe. Aber das hat sich geändert.“
„Dann beantworte mir eine Frage. Warum bist du letzte Nacht dann nicht zu ihm gegangen?“
„Weil- … Weil Dad nicht will, dass wir auch nur im selben Zimmer schlafen.“
„Was dich sonst auch nicht daran hindert ihn in deinem Bett schlafen zu lassen, wenn ihr bei dir seid.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Das hier ist nicht die Wohnung von Teddy, Veit und mir. Es ist das Haus von Mom und Dad und hier gelten ihre Regeln.“
„Und du bist nicht der Meinung, dass du dich nur herausredest? Ich erinnere mich daran, dass Mom erzählte, wir hätten beide im selben Bett geschlafen, obwohl beide es uns verboten haben.“
Ich schnalzte mit der Zunge. „Das ist Jahre her, das war etwas völlig anderes.“
„Weil es da um deinen Tevin ging? Würde ich mich erinnern und Dad würde uns verbieten im selben Bett zu schlafen, würdest du dich dann auch daran halten?“
Statt zu antworten, presste ich meine Lippen aufeinander und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast nicht das Recht über mich und mein Verhalten zu urteilen.“
„Aber du hast das Recht es sofort zu erfahren, wenn ich mich auch nur an eine einzige Sache erinnere? Wenn du Vorteile genießen willst, musst du auch mit den Nachteilen leben. Ich kenne dich außerdem bereits gut genug um mir ein gutes Urteil über dich bilden zu können. Und ich verstehe wirklich nicht, wie ich mich in dich verlieben konnte.“
Das hatte gesessen.
„Ich bin bereits mit einigen Frauen ausgegangen, aber keine war so egoistisch und arrogant wie du. Du denkst immer erst an deine eigenen Probleme und erst ganz zuletzt an die Folgen für deine Mitmenschen.“
Das ist nicht mein Tevin. Das ist ein anderer Mann, Vilija. Ein ganz anderer Mann. Trotzdem taten die Worte weh. So weh, dass ich mich abwenden musste, damit er die Tränen nicht sah.
„Keanu war gerade mal einen Tag wieder da, nachdem er dich einfach so verlassen hat und du wirfst dich ihm in die Arme wie eine läufige Hündin. Es interessiert dich dabei nicht im Mindesten, ob du dabei vielleicht meine Gefühle verletzt, obwohl du die ganze Zeit weißt, dass ich welche für dich habe. Aber es ist ja deine Sache, mit wem du eine Beziehung führst. Statt jedoch offen damit umzugehen, dass er dich verletzt hat, und mit ihm zu reden, willst du es lieber verheimlichen, damit auch ja niemand davon erfährt? Hast du vor ihn irgendwann vor den Kopf zu stoßen, sobald du genug Dinge gesammelt hast, die dir weh getan haben, um sie ihm dann alle auf einmal vorzuwerfen? Nicht gleich zu ihm zu laufen kann ich verstehen. Auch den Rest des Abends, aber wie lange willst du das verschweigen?“ Er machte eine kurze Pause. „Dann willst du mir noch sagen, wie ich mich Dad gegenüber zu verhalten habe, willst es aber nicht hören, wenn ich dir gegenüber ehrlich bin und sage, was ich denke. Weil es dir nicht passt, was ich zu sagen habe.“
Als ich nicht darauf reagierte, seufzte er schwer. Dann hörte ich Schritte, gefolgt von dem Rascheln von Stoff.
„Weißt du, du kannst dir nicht einfach die besten Stücke heraus picken und die schlechten den anderen überlassen, nur weil du ein paar schlechte Erfahrungen gemacht hast. So etwas gehört zum Leben dazu und entweder du lernst damit umzugehen und kommst voran oder du bleibst wie jetzt und trittst auf der Stelle, denn so kommst du deinem Ziel nicht näher.“
Damit verließ er das Zimmer. Ich dagegen blieb wie erstarrt einfach nur stehen, bis ich irgendwann auf den Boden sank, die Arme um die Beine schlang und die Stirn auf den Knien bettete. Die Tränen liefen mir in kleinen Sturzbächen über die Wangen und stumme Schluchzer schüttelten mich von Zeit zu Zeit durch. Ich wusste nicht genau, wie lange ich da eigentlich auf dem Boden hockte, aber irgendwann klopfte es an der Tür, ehe sie geöffnet wurde. Jemand seufzte lange, ehe er herein kam und die Tür schloss.
„Vilija.“, hob Tevin an, „Du musst doch jetzt nicht wirklich weinen, weil ich dir meine Meinung gesagt habe.“
Aber genau das tat ich, denn jedes Wort war wie ein Stich ins Herz. Mir war klar, dass er ein anderer war und seine Worte mich deshalb kalt lassen müssten, doch es hatte sich nun mal angefühlt, als hätte mein Tevin mir all diese Dinge an den Kopf geworden, obwohl er es doch so viel besser wusste.
Leise setzte sich mein Bruder nun neben mich und zog mich einfach an sich. „Man, ich hoffe sehr für dich, dass es dir weniger ausmacht, wenn andere dich kritisieren.“ Mit einem Arm umschlang er meine Taille, mit dem anderen meine Schultern. Dann legte er sein Kinn auf meinen Schopf. „Du vermisst ihn, nicht wahr? Den Tevin mit all den Erinnerungen.“
„Es fühlt sich die ganze Zeit so an, als wärst du er, aber du bist es nicht.“, erklärte ich mit bebender Stimme, „Es fühlte sich so an, als hätte er mir all diese Dinge gesagt, obwohl ich doch weiß, dass er mich anders kennt und ein anderes Bild von mir hat.“ Ich schluchzte. „Ich liebe dich so sehr, Tevin. Und es tut so weh.“
„Ich weiß.“
„Ich liebe dich.“
„Ich weiß. Und es tut mir leid.“ Liebevoll streichelte er mir übers Haar.
„Ich will dir nicht weh tun.“
„Das weiß ich doch.“
„Es soll nur nicht noch mehr weh tun. Es soll aufhören.“
„Das wird es. Das verspreche ich.“
„Aber du wirst dich nie erinnern.“
Sanft drückte er mir einen Kuss auf den Scheitel. „Das werde ich. Ich schwöre dir, ich werde mich erinnern. An alles.“
Dann brach ich hemmungslos in Tränen aus. Es war irgendwie befreiend und das erste Mal seit dem Unfall hatte ich die Hoffnung, dass er sich tatsächlich irgendwann erinnerte.
„Hab Geduld.“, flüsterte er und küsste mich erneut aufs Haar. „Ich gebe mir Mühe.“
Anderthalb Stunden später betrat ich mit Tevin die Küche und ging langsam zum Tisch. Dieser war so nett mir den Stuhl zurecht zu schieben, ehe er sich neben mich setzte. Die anderen waren bereits fertig, saßen aber noch am Tisch und unterhielten sich. Nun stand Dad auf und holte uns unsere Mahlzeiten.
„Geht es dir wieder gut?“, fragte er mich aufmerksam.
Ich nickte zögerlich und sah eine Weile schweigend auf das Essen herab, ehe ich begann zu essen. Dad tätschelte mir unterdessen das Haar und beuge sich herab, um mich auf die Schläfe zu küssen.
„Was hat denn so lange gedauert?“, fragte Keanu und betrachtete mich eine Weile einfach nur.
Nachdenklich zögerte ich einen Moment, wusste nicht genau was ich sagen sollte. Doch ehe ich antworten konnte, tat Tevin das bereits für mich.
„Vilija und ich haben und etwas gestritten und das hat ihr mehr zugesetzt, als wir beide erwartet hatten. Es hat gedauert, bis sie sich soweit beruhigt hat, dass sie duschen konnte.“ Er zuckte mit den Schultern. „Jetzt geht es ihr besser.“
Keanu warf ihm einen finsteren Blick zu. „Warum musstest du mit ihr streiten?“
Mom seufzte leise. „So etwas passiert eben, wenn man unterschiedlicher Meinung ist.“ Liebevoll streichelte sie Enio übers Haar. „Vivi, Liebes, hast du heute Termine?“
Ich hielt gerade lange genug mit dem Essen inne, um nachzudenken und zu antworten. „Nun, es ist Montag... Da ich Samstag arbeiten war, hat Mitch mir heute frei gegeben und der Kurs, der heute stattfinden sollte wurde verschoben, also... nein.“
„Wäre es vielleicht möglich, dass du später nochmal herkommst und auf Enio aufpasst?“
Verwundert blinzelte ich sie ein paar Mal an. „Äh... ja, klar. Aber warum macht Tevin das denn nicht?“
Dieser seufzte schwer, ehe Mom antwortete: „Das tut er ja, aber ich glaube, er ist allein ein wenig überfordert.“ Ihre Augen funkelten amüsiert.
„Ich sage dir, Mom, er ist der Teufel in Person.“, protestierte Tevin, ehe er sich an mich wendete. „Wenn sie da ist, ist er brav wie ein Engel, aber kaum ist sie weg fängt er an zu randalieren wie ein Tasmanischer Teufel.“
Dad lachte leise. Zumindest fing er leise an. Tatsächlich schwoll sein Lachen immer weiter an, als hätte er sich an etwas erinnert, bis er sich schließlich kaum halten konnte.
Mom beobachtete ihn neugierig. „Was ist so witzig, mein Streuner?“
Dad wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Er-Erinnerst du dich noch an unsere Schulzeit? Niko hat mir ein paar Dinge erzählt, die du ihm von deiner vorigen Schule erzählt hast.“
Moms Mundwinkel kräuselten sich. „Ich habe keine Ahnung wovon du sprichst.“ Ihre Heiterkeit widerlegte ihre Worte, doch niemand verfolgte das.
„Wisst ihr, Kinder... Eure Mutter war als Teenager kein Deut besser.“
„Sei still.“, protestierte Mom amüsiert.
„Als sie einmal sauer auf mich war, schlich sie sich in mein Zimmer und verteilte in meinem Bett Juckpulver.“
„Er lügt!“
Dad lachte.
Zwei Stunden später befand ich mich mit Keanu auf dem Weg nach hause und unterhielt mich mit ihm über den vorigen Abend.
„Freut mich, dass Dad dir helfen konnte.“, meinte ich irgendwann und lächelte matt.
„Ja, das war ziemlich gut. Ich meine... er ist verdammt gut in seinem Job. Man sieht ihm gar kein Stress an.“ Es war offensichtlich, dass Keanu ihn bewunderte. „Ich wünschte nur, er würde mich ein bisschen mehr mögen.“
Ich seufzte leise. „Das legt sich, wenn das mit uns gut läuft. Teddy mag er ja auch.“
„Ja, aber Theodore hat dich wahrscheinlich nie verletzt.“
Skeptisch hob ich eine Braue. „Meinst du?“
Nun sah er verwirrt zu mir herab. „Er ist doch dein allerbester Freund, dein Seelenverwandter, deine bessere Hälfte.“
Mein Mundwinkel hob sich. „Auch unsere Freundschaft fing mal klein an.“ Ich betrat mit ihm das Gebäude, in dem unsere WG lag und steuerte auf die Treppen zu, woraufhin Keanu leise aufstöhnte, jedoch nichts dazu sagte.
„Okay, du hast mich.“, meinte er in unserer Etage, „Was hat er gemacht?“
Ich schürzte die Lippen und dachte zurück an einen speziellen Tag, kurz vor meinem 15. Geburtstag und holte mein Schlüssel hervor. „Wir planten meinen nahen Geburtstag. Ich wurde 15.“, hob ich an, als ich die Tür aufschloss und mit ihm in die Wohnung trat. „Ich war etwas frühreif, was vielen Jungs an meiner Schule gefiel, aber Tevin und Teddy haben sie mir alle immer vom Hals gehalten.“
Besagter bester Freund saß gerade auf der Couch und sah auf, als er mich hörte. „Wovon sprichst du?“, wollte er wissen.
Ich warf ihm einen kurzen Blick zu, ehe ich wieder zu Keanu aufsah. „Ein paar Tage vor der Party habe ich bei ihm übernachtet. Das war uns geläufig und keiner von uns hatte Probleme damit. Bis ich vergaß die Badezimmertür abzuschließen.“
Teddy wurde rot bis unter die Spitzen und stöhnte auf, woraufhin Evelyn ihn neugierig ansah. „Was ist passiert?“
Gemächlich ging ich herüber und setzte mich neben Teddy, Keanu zu meiner anderen Seite. „Er kam herein, als ich gerade die Duschkabine verließ, weil er dachte, ich sei bereits in seinem Zimmer. Er ist seiner Mutter im Garten zur Hand gegangen, damit ich meine Ruhe habe.“
„Du warst die erste Frau, die ich nackt gesehen habe.“, krächzte Teddy verlegen.
„Und so hat dein Körper auch reagiert.“ Ich sah zu Keanu. „Er stand währenddessen da wie zur Säule erstarrt und... starrte mich an.“
Teddys Atem beschleunigte sich, als hätte er eine Panikattacke. „Hölle, Vilija. Warum erzählst du überhaupt davon?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Keanu hat gefragt, wie du mich verletzt hast, wo du doch meine bessere Hälfte, mein Seelenverwandter, mein allerbester Freund bist.“
Mit einem Stöhnen vergrub er das Gesicht in seinen Händen. „Ich habe gehofft, du hättest es vergessen.“
„Hast du es etwa vergessen?“
„Nein, aber verdrängt.“
„Schwitzt du etwa?“
Er murrte. „Das hab ich verdient.“
„Was... hast du... getan?“, fragte Ev mit weit aufgerissenen Augen.
Ich räusperte mich. „Nachdem wir ungefähr fünf Minuten einfach nur herum gestanden haben, hab ich nach einem Handtuch gegriffen und mich darin eingewickelt. Und dann sagte er etwas wirklich... wirklich... dummes.“
„Es tut mir so leid.“, ächzte mein bester Freund und ich konnte sehen, wie ihn die Schuldgefühle noch heute auffraßen.
„Was hat er gesagt?“, fragte Keanu vorsichtig.
Nach kurzem Zögern sah ich zu Teddy, der sich daraufhin aufsetzte und gequält das Gesicht verzog, als er meinen Blick sah.
Tief atmete er kurz durch. „Ich hab ihr 50 Dollar angeboten, damit sie das Handtuch weglegt.“ Seine Stimme brach. „Danach hat sie mich einen Monat wie Luft behandelt und auch nicht auf ihre Party gelassen. Sie hat erst wieder mit mir gesprochen, nachdem ich mich in das Büro des Direktors geschlichen und ein selbstverfasstes Gedicht als Wiedergutmachung vorgetragen habe. Was natürlich nicht heißt, dass sie mir verziehen hätte.“
Ev wirkte entsetzt und gleichzeitig gerührt. „Das war eines der verdammt schönsten Gedichte, die ich je gehört habe. Und davon hab ich Ahnung, weil meine Mom jedes noch so winzige Gedicht der ganzen Welt gelesen und mir vorgetragen hat.“
Teddy lachte erstickt.
„Wie ging es weiter?“, fragte Ev dann an mich.
„Naja...“, murmelte ich, „Ich habe ihn zu einer Reihe für ihn demütigende Dinge gebracht, ihn angeschnautzt und dann waren wir Essen. Und im Kino. Und er hat alles bezahlt.“
„Demütigende Dinge?“
Teddy stöhnte erneut auf. „Ich musste Tevin ein Liebesgeständnis machen.“
Daraufhin brach Evelyn in so lautes Gelächter aus, dass Veit den Kopf aus seinem Zimmer steckte.
„Danach sollte ich eine halbe Stunde nackt in seinem Bett liegen. Mit Rosenblüten.“
Neben mir begann Keanu leise zu prusten.
Teddy wurde noch roter, sollte das überhaupt möglich sein. „Ich schwöre euch, all die Dinge waren es wert.“
„Was noch?“, gackerte Ev.
Er ließ die Schultern herab sacken. „Erinnerst du dich daran, wie ich mit pinken Haaren in die Schule kam?“
Ihr liefen vor Lachen Tränen über die Wangen.
„Ich muss sagen, ich war wirklich verblüfft.“, hob ich dann an, „Ursprünglich habe ich eine Liste von 15 Dingen aufgeschrieben, von denen er lediglich 5 tun sollte. Was, konnte er sich aussuchen. Und es war freiwillig. Er hätte jederzeit sagen können, dass wir etwas anderes als Wiedergutmachung tun würden. Aber er hat es getan. Alle 15 Dinge.“
Das brachte ihn verlegen zum Lachen und er schloss die Augen. „Ich war in einer Dessouabteilung und habe mich beraten lassen, was mir am besten stehen würde.“
„Hör auf, sonst bekomme ich vor Aufregung noch eine Fehlgeburt.“, protestierte Ev.
Veit hatte hastig die Tür seines Zimmers zugezogen und ich hörte verräterisches Gekicher.
Ich schlang die Arme um Teddy. „Er hat mich zu jeder seiner Taten mitgeschleift und irgendwann fing ich an zu weinen. Ich wollte das er damit aufhört, aber er hat einfach weiter gemacht.“
„Ich wollte es eben richtig machen. Keine halben Sachen. Du solltest verstehen, dass es mir leid tat und ich alles tun würde, um dir das zu beweisen, damit wir weiter Freunde sein können und ich der einzige war, der hin und wieder deine Brüste anfassen darf.“
Keanu verschluckte sich an seiner eigenen Spucke und Ev fiel von der Couch.
„Teddy!“, rief ich empört aus, lachte aber. „Wie kannst du nur?“
Er seufzte schwer und drückte mich an sich. „Das war die Rache dafür, dass ich gerade all diese Dinge gestehen musste.“
„Sind wir jetzt Quitt?“
„Ja, sind wir. Tut mir leid, dass ich dich damals verletzt habe.“
„Tut mir leid, dass du all diese Dinge tun musstest. Ich glaube übrigens, das Dad hauptsächlich nur deshalb so sauer auf dich war, weil du Tevin verstört hast.“
Teddy begann zu kichern. „Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als ich in seinem Bett lag und er herein kam.“
„Ich habe gehört, wie er reagiert hat, das war lustig genug.“
Ev setzte sich auf. „Vielleicht sollte Teddy das nochmal tun, um Tevin daran zu erinnern, was passiert ist.“ Sie wackelte mit den Brauen. „Ich würde das nur zu gern sehen.“
„Das glaube ich dir.“, entgegnete ich und schürzte die Lippen.
Teddy dagegen schüttelte vehement den Kopf. „Niemals.“
Ich warf ihm einen langen Blick zu.
„Nein.“
„Weißt du, ich gehe später nochmal hin, um ihm beim Babysitten zu helfen.“
„Nein.“
„Es war ein einzigartiges Ereignis und vielleicht hilft es ihm sich zu erinnern.“
Der Blick, den er mir zuwarf war bitterböse und ich erinnerte mich noch drei Stunden später daran, als ich mit Enio in der Küche saß, um ihn zum Essen zu bewegen. Leider konnte ich Teddy nicht dazu überreden es zu versuchen, aber Travis hatte davon Wind bekommen und die Idee zum totlachen gefunden.
Ich strengte mich gerade sehr an nicht in Gelächter auszubrechen, als Tevin mit verstörtem Blick keuchend herein kam.
„Was habe ich dir getan?“, wollte er wissen und sah sich misstrauisch über die Schulter.
„Wovon sprichst du?“, fragte ich so unschuldig wie möglich.
Er sah wieder zu mir. „Wie hast du Travis in mein Zimmer geschmuggelt?“
„Travis?“, wiederholte ich und kämpfte gegen ein Grinsen an. „Was macht er in deinem Zimmer?“
Sein Blick wurde finster. „Das weißt du ganz genau.“
Ich hob eine Braue und war innerlich furchtbar stolz auf mich, weil ich nicht lachte. Wenige Augenblicke später schlang Travis von hinten die Arme um Tevins Taille und leckte ihm über die Ohrmuschel.
Ich habe Tevin noch nie so schnell laufen sehen, als er mich zwischen sich und Veits Freund brachte. Glücklicherweise war dieser wieder angezogen.
„Was zum Teufel.“, keuchte Tevin und seine Stimme geriet etwas in die Schieflage. „Nimm es mir nicht übel, Travis, aber die einzige Person, die mich anmacht, ist Vilija. Kerle turnen mich ab.“
„Hast du es denn schon mal versucht?“, neckte Travis ihn, der offensichtlich seine helle Freude an dem hier hatte.
Ich würde in die Hölle kommen, aber das war es wert. „Ich bin mir sicher, dass er letzte Nacht deinen Namen gesagt hat. Im Schlaf.“
Tevin wurde blass und Travis begann zu grinsen. Leider konnte ich mich dann nicht mehr zurück halten und brach in Gelächter aus, woraufhin Travis noch mehr schmunzelte.
„Jetzt hast du alles zerstört.“, tadelte er mich sanft.
„Ich kann nicht mit ansehen, wie er hier wie ein aufgescheutes Reh herum läuft, als würdest du ihn fressen wollen.“
„Nun ja...“ Er lehnte sich an den Türrahmen. „Wenn ich Veit nicht hätte...“
Tevin brachte ein ersticktes Geräusch von sich, was Travis zum Lachen brachte.
„Keine Sorge.“, versuchte er ihn dann zu beruhigen, „Das war alles nur ein Experiment.“
„Er wird sich in unserer Wohnung jetzt für immer misstrauisch nach dir umsehen.“, prophezeite ich.
Im nächsten Moment umschlang Tevin von hinten meine Schultern. „Ich verlange eine Entschädigung. Du hast mich traumatisiert.“
Ich tätschelte ihm die Wange, als er die andere an meinen Hals drückte. „Travis, was hast du gemacht?“
„Das, Kleines, bleibt ein Geheimnis zwischen Tevin und mir.“, entgegnete Travis mit einem anzüglichen Zwinkern. „Jetzt muss ich aber gehen.“, bemerkte er mit einem Blick auf die Uhr. „Heute wird ein langer Tag in der Klinik.“
„Okay, dann wünsche ich dir einen erfolgreichen Tag.“
„Danke. Viel Spaß noch euch zwei.“ Sein Blick verriet mir, dass er mehr sah, als er sollte.
Einen Moment brach in mir Panik aus, doch dann besann ich mich eines besseren. Travis war ein toller Kerl. Er würde mit mir reden, sollte er sich Sorgen machen und er würde niemandem etwas sagen.
Meine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf Enio, der in wenigen Monaten 4 Jahre alt werden würde und gurrte ihm ein wenig zu, damit er endlich dieses verdammte Toast aß. Als er das letzte Stück jedoch aufmüpfig auf den Boden warf, sah ich ihn gereizt an.
„Enio! Du sollst das essen!“
„Will ich nicht.“, entgegnete er und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich will Schokolade.“
Gereizt griff ich nach einer Schale mit geschnittenem Obst. „Ich sag dir, wenn du das nicht isst, sag ich Mamá wie ungezogen du bist. Dann bekommst du sehr lange keine Schokolade mehr.“
„Das zieht nicht.“, bemerkte Tevin leise an meinem Ohr, „Sobald sie da ist fängt er an zu weinen und sagt ich hätte ihm nichts zu essen gegeben und ihn nur geärgert.“
„Ich will Schokolade!“, rief Enio aus und schob die Schale von sich, sodass sie beinahe vom Tisch fiel.
Ich überlegte mir eine neue Strategie. „Wenn du diese Schale hier leer isst, bekommst du welche von mir.“, flötete ich fröhlich und schob ihm das Obst wieder hin.
Enio sah mich misstrauisch an. „Versprochen?“
„Oh ja.“, entgegnete ich, „Versprochen. Jetzt iss.“ Du kleiner Teufel.
Eine halbe Stunde später weinte er, weil ich ihm nur ein Stück von einer ganzen Tafel gab und den Rest mit Tevin im Wohnzimmer teilte. Er lag auf dem Boden, schrie und strampelte und versuchte immer wieder an die Schokolade zu kommen, doch wir vereitelten jeden seiner Versuche, woraufhin er noch lauter schrie, bis ich dachte, seine Stimmbänder würden reißen.
„Haben wir früher auch so viel geschrien?“, fragte ich ungläubig, als Enio einen unglaublich hohen Schrei ausstieß und auf dem Rücken liegend gegen den Tisch trat.
„Das ist seine Masche. Er nervt, bis er bekommt, was er haben will.“ Tevin bedachte ihn mit einem finsteren Blick. „Enio, wenn du weiter so schreist, häng ich dich an den Füßen auf.“
Da ihm das offenbar Angst machte, lief er weinend in sein Zimmer, wo er noch lauter schrie.
„Oh Gott.“, stöhnte ich, „Ich hoffe meine Kinder werden nicht so.“
Tevin hob eine Braue. „Du willst Kinder?“
„Natürlich. Zwei oder drei.“
Nachdenklich betrachtete er mich eine Weile. „Dafür musst du aber zunehmen.“
„Was soll das denn heißen? Hältst du mich für eines dieser Frauen, die alles dafür geben mager zu sein?“
Sein Mundwinkel zuckte. „Natürlich nicht. Ich wollte damit sagen, dass du erst deine Essstörung unter Kontrolle bringen musst, ehe du schwanger wirst. Das könnte sonst dir und dem Kind schaden.“
Die Tatsache, wie er darüber sprach, überhaupt, dass er sich Sorgen über mich und mein noch noch nicht einmal gezeugtes Kind machte... weckte in mir eine unmessbare Sehnsucht, bei der sich mir mein Innerstes zusammen zog.
Ich schluckte schwer. „Tevin?“
„Hm?“ Er sah von einem Buch über Psychologie zu mir auf.
„Du... Denkst du, ich wäre eine gute Mutter?“
Als er darüber nachdachte, ließ er den Blick ein wenig schweifen. Ich wusste, er dachte sehr gründlich nach, um mir so ehrlich wie möglich zu antworten.
„Wenn ich so daran denke, wie du mit Cynthia umgegangen bist... Ich denke schon, ja. Ich weiß nicht, wie gut du wärst, weil ich mich an so wenig erinnere.“ Er kratzte sich die Wange, was ein raues kratziges Geräusch verursachte, bei dem mir ein Schauer über den Rücken lief.
Bis eben hatte ich nie realisiert, dass ihm mittlerweile auch das Bartwachstum eingesetzt hatte.
„Rein intuitiv würde ich dich aber als eine sehr liebevolle Mutter einschätzen. Es ist aber gut möglich, dass meine Gefühle die Einschätzung beeinträchtigen. Nach dem Unfall habe ich dich noch nicht wirklich... naja... liebevoll erlebt, auch wenn du immer freundlich zu Cynthia bist.“
Ich hörte zwar, was er sagte, begriff auch den Inhalt, doch all meine Aufmerksamkeit lag auf seiner Wange. Ich war wie hypnotisiert, als ich die Hand hob und sie vorsichtig berührte. Immerhin hatte ich ihn bisher nur glattrasiert bewusst gesehen.
Wie fühlten sich die Stoppeln wohl auf meiner Haut an?
„Vilija?“
„Hm?“, machte ich gedankenverloren und ließ die Hand sachte über seine Wange gleiten.
„Was...“ Er unterbrach sich, räusperte sich kurz, weil seine Stimme plötzlich rau war. „Alles okay?“
„Ja.“, murmelte ich und ließ meine Finger in sein Haar gleiten.
„Was tust du da?“
Ich legte den Kopf ein wenig schräg. „Mir ist nicht aufgefallen, dass du Stoppeln hast. Und ich liebe deine Haare.“
Er hob eine Braue. „Ist das nicht mein Text?“
Ich lächelte amüsiert. „Ist es?“
Er zuckte mit den Schultern, zögerte kurz und drehte sich dann zu mir, wobei er das Buch achtlos beiseite legte. „Naja, du hast wirklich schöne Haare.“ Dann suchte er sich eine Strähne aus, zog sie heran und schnupperte. „Ich mag auch ihren Duft. Sie sind fast so weich wie deine Haut.“ Ganz beiläufig legte er den anderen Arm hinter mir über die Lehne.
Meine Mundwinkel hoben sich ein bisschen mehr, woraufhin er nach meinen Knien griff und mich zu sich drehte.
„Wie wäre es mit einem Experiment.“, schlug er vor.
„So wie das mit Travis?“
Er blinzelte kurz, ehe er erschauderte. „Nur, wenn du seine Rolle einnimmst.“
Mein Bauch schlug Purzelbäume.
„Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich dich begehre.“ Er hob die Hand von der Rückenlehne und spielte mit meinem Haar, während er mit der anderen, die noch an meinem Knie lag, über mein Oberschenkel streichelte. „Allerdings dachte ich an etwas anderes.“
„Woran?“
Er brauchte ein bisschen Zeit, um sich die Worte zurecht zu legen. Jedenfalls ging ich davon aus, denn er schwieg einfach nur und betrachtete meine Haare. „Ursprünglich dachte ich an ein harmloses Date. Wir zwei, allein, kein Keanu, kein Theodore, keine Mom, kein Dad, niemand. Nur wir beide. Im Museum oder so.“
Ich schürzte die Lippen. „Ich glaube, Keanu wäre nicht begeistert, wenn ich mit jemand anderem ausgehen würde.“
Seine Augen verdunkelten sich. „Der Kerl macht mich wahnsinnig.“, murmelte er dann, „Ich will nicht, dass er dich anfässt.“
Vor Schreck, Überraschung und Aufregung begann mein Herz wie verrückt zu pochen, als er mich eng an sich zog und über mich beugte, bis ich auf der Couch lag. Meine Kehle war wie zugeschnürt und mein Magen ein einziger Knoten.
Als wäre ich das erste Mal mit einem Mann allein.
„Ich will nicht, dass irgendwer dich anfässt.“, gestand er.
So kannte ich Tevin nicht. Mein Tevin war zurückhaltend, verständnisvoll und nahm Rücksicht auf die Situationen.
Aber das hier war nicht der Tevin, den ich kannte, wie ich mich erinnerte. Dieser Tevin hatte wenig Kontrolle über seine Gefühle, verstand nicht, woher sie kamen und so wie es aussah hegte er zudem noch eine besitzergreifende Ader.
„Hin und wieder frage ich mich, ob das, was ich fühle, noch gesund ist.“, murmelte er und berührte mein Schlüsselbein. „Als ich dich mit Keanu gehen sah, wollte ich dich von ihm fortreißen, dich ihm weg nehmen. Ich wollte ihn schlagen, weil er dich berührt hat, weil er dir weh getan hat. Du hast so zerbrochen ausgesehen, nachdem er damals nach Hawaii geflogen ist.“
Ich spürte das Klopfen meines Herzens bis zum Hals. „Tevin... Kannst du...“
„Nicht an alles.“, murmelte er, „Es fehlt noch viel zu viel.“ Er atmete schwerer und verzog einen Moment das Gesicht. „Aber ich erinnere mich daran wie er dich gehalten hat, als ich bei euch zu Besuch war. Bevor er gegangen war. An die Blicke, die er dir zugeworfen hat.“
„Wann hast du dich daran erinnert?“
„Heute morgen. Seine Anwesenheit war ein Trigger, denke ich. Es reicht aber nur für ein bisschen.“
Mit einem leisen Seufzen fuhr ich mit zwei Fingern nochmals über seine raue Wange. „Kannst du mit allem umgehen?“
„Mit allem?“, wiederholte er langsam.
„Mit deinen Gefühlen und der Tatsache, dass ich mit Keanu zusammen bin.“
Sein ganzer Körper spannte sich an. „Das wirst du nicht mehr lange sein.“
„Was? Wieso?“
Mein Kiefer mahlte. „Ich will das nicht. Du gehörst zu mir.“
„W-was... Tevin!“
„Vilija.“
„Ich werde mich nicht von ihm trennen, nur weil du das willst.“
Sein Blick wurde finsterer. „Doch, das wirst du.“ Erst als seine Nasenspitze meine berührte, wurde mir klar, dass er sich langsam zu mir herunter beugte.
„N-nein! Tevin!“
Ich versuchte ihn von mir zu drücken, merkte aber, dass ich mir dabei nicht sonderlich viel Mühe gab. Mein Herz raste noch immer in meiner Brust und mein Atem ging flach. Als sein Mund über meine Wange glitt, breitete sich Hitze in mir aus. Ich unterdrückte ein Stöhnen, als er mich küsste und seinen Körper an meinen presste.
Es gab noch einige halbherzige Versuche meinerseits den Kuss zu unterbrechen, doch mit jeder Sekunde, die verstrich breitete sich in mir ein unbändiges Verlangen und Sehnsucht aus. Er nutzte das schamlos aus und fiel hungrig über mich her, vernebelte meinen Verstand.
„Tevin.“, keuchte ich zwischen zwei Küssen und stöhnte auf, als er sich zwischen meine Beine dränge und seine Hüften an meine schob.
Es war ein purer Reflex, dass ich seine Hüften zur Seite schob, doch ihn schien das nicht zu stören. Stattdessen schob er die Arme unter meinen Rücken, hob mich mit sich an und zog mich auf seinen Schoß, als er sich aufsetzte. Dabei achtete er peinlichst genau darauf den Kuss nicht zu unterbrechen.
Als er dann seine Hände unter mein Oberteil schob, durchlief mich ein Zittern, während ich meine Zurückhaltung verlor und meine Hände in seinen Nacken schob, um den Kuss so hungrig zu erwidern, wie er ihn begonnen hatte. Ich entlockte ihm damit ein Knurren, das mich erschüttert hätte, wenn ich noch bei klarem Verstand gewesen wäre. Seine Hände waren nicht weit vorgedrungen, lagen einfach nur auf meiner Taille, doch nun bewegte er sie an meinem Rücken hinauf und öffneten den Verschluss meines BHs.
„Fass mich an.“, murmelte er und küsste sich zu meinem Hals herab.
„Das tue ich doch.“, entgegnete ich atemlos.
Ihm entschlüpfte ein leises Lachen, ehe er eine meiner Hände von seinem Nacken nahm und auf seine Brust legte. „Hier. Nein, warte.“
Einen Moment zog sich alles in mir zusammen, als er sich von mir löste. Dann erkannte ich, dass er sich das Shirt auszog und spürte eine weitere Welle der Hitze über mich ergehen. Diesmal musste er mir nicht sagen, wo er meine Hände haben wollte. Sie glitten wie von selbst über seinen Oberkörper, während er mich erneut an sich zog, meinen Mund eroberte und die Hände unter mein Shirt und meinen BH schoben.
Einen Moment hatte ich das Gefühl zu ersticken.
Dann ertönte ein Seufzen von der Wohnzimmertür.
„Vilija.“, hob Mom tadelnd an, „Bist du nicht mit Keanu zusammen?“
Tevin und ich erstarrten, ehe wir uns voneinander lösten und zur Tür sahen.
„Mom.“, bemerkte Tevin überrascht, „Ich dachte, du wärst noch zwei Stunden weg.“
„Ja, das sehe ich.“, entgegnete sie verärgert, „Und ich hoffe, ihr wisst beide, dass das, was ihr da gemacht habt, nicht in Ordnung ist.“
Ich lief rot an, während Tevin die Kiefer aufeinander presste. „Ich-“, versuchte ich es, „Ich-“
„Sie hat keine Schuld.“, unterbrach mich Tevin und breitete schützend einen Arm vor mir aus.
Moms Augen verengten sich ein wenig. „Tevin.“, hob sie dann warnend an, „Vilija hat für ihr Verhalten gerade zu stehen.“
„Aber es ist meine Schuld. Ich hab die Situation ausgenutzt.“
„Das ist deine Seite, ja. Aber Vilija hat sich genauso hinreißen lassen.“ Damit richtete sich ihr Blick auf mich. „Und das hat mich wirklich sehr enttäuscht. Findest du nicht, dass du ein bisschen zu reif bist, um deinem Freund noch fremd zu gehen?“
„Mom-“
„Nein, Tevin. Sie hat sich für Keanu entschieden und muss lernen, dass sie so eine Entscheidung nicht auf die leichte Schulter nehmen darf.“
„Aber ich-“
„Tevin.“
Er biss die Zähne so fest aufeinander, dass ich sie knirschen hörte. „Sie hat aber nichts gemacht. Es ging alles von mir aus.“
„Willst du sagen, du hättest sie gezwungen?“
Er erstarrte und sah zu mir. Dann räusperte er sich und sah wieder zu Mom. „Also, vielleicht nicht gezwungen, aber... Eher... verführt.“
Das schien ihre Laune nicht zu bessern. „Ich habe darauf vertraut, dass ihr beiden euch zusammenreißen könnt, um auf euren Bruder aufzupassen.“
Mit einem leisen Fluch fuhr Tevin sich mit der Hand durchs Haar, während mir auffiel, dass Enio aufgehört hatte zu schreien. Doch während Tevin in der Lage war aufzustehen, sich sein Shirt anzuziehen und das Zimmer zu verlassen, um nach Enio zu schauen, war ich nicht einmal in der Lage mich auch nur einen Millimeter zu bewegen.
„Du weißt, dass das falsch war.“, tadelte mich Mom.
Ich schluckte schwer.
„Ich habe mich nicht ein einziges Mal eingemischt, weil ich finde, dass ihr eure Erfahrungen allein machen müsst. Aber es ist nun das wievielte Mal, dass du entgegen den Moralvorstellungen handelst, die dein Vater und ich dir beigebracht haben?“
Ich wollte den Mund öffnen, um etwas dazu zu sagen, doch mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können.
„Es ist natürlich deine Entscheidung.“, hielt sie nach einigen Momenten des Schweigens dagegen, „Wenn es dich glücklich macht, kannst du tun, was du willst. Aber du solltest immer an die Konsequenzen denken. Und diesmal hat es dazu geführt, dass ihr Enio unbeaufsichtigt gelassen habt. Und das finde ich nicht in Ordnung.“
Ich schluckte schwer. „Es tut mir leid.“
„Das hoffe ich.“ Ein paar Augenblicke schwieg sie noch, ehe sie schwer seufzte. „Du solltest dringend darüber nachdenken, was du willst und deine Beziehungsangelegenheiten klären. Und ich will nicht, dass du nochmal deine Pflichten vernachlässigst.“
„Ja.“, antwortete ich, heiser vor Scham, und senkte den Blick. „Tut mir leid.“
„Gut.“ Wieder stand sie nur ein paar Augenblicke dort, ehe sie schwer seufzte und ging.
Mir war die ganze Situation so unangenehm, dass ich mich nur noch in meinem Zimmer verkriechen wollte, also schloss ich wieder meinen BH und ging nach oben. Als ich mein Zimmer gerade betreten wollte, verließ Tevin Enios Zimmer.
„Vilija.“
Unsicher, wie ich nun mit ihm umgehen sollte, blieb ich schweigend stehen, traute mich aber nicht ihn anzusehen.
„Tut mir leid, ich... wollte nicht, dass du Ärger bekommst.“, murmelte er und strich mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht. „Bist du mir böse?“
„Ich- Ich weiß es nicht.“, entgegnete ich und wendete das Gesicht ab. „Ich weiß gerade generell nicht, wie ich mit dir umgehen soll. Du bist abwechselnd hinreißend und abstoßend und verführerisch.“
„Lass uns in dein Zimmer gehen.“, schlug er vor und schob meine Tür auf, um mich hinein zu drängen. „Dann können wir in Ruhe reden.“
Ich gab nach, weil ich nicht wollte, dass Mom alles hörte und uns noch einmal den Kopf wusch. In meinem Zimmer zog ich mich in die Ecke meines Bettes zurück, nahm mir mein Kissen und schlang die Arme darum, woraufhin Tevin sich vor mich setzte.
„Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich dich geküsst habe.“, hob er an, „Aber es tut mir wirklich leid, wie es geendet hat.“
„Du hättest mich gar nicht erst küssen sollen.“, entgegnete ich, „Mom hat Recht. Ich kann mich nicht für Keanu entscheiden und mich dann auf ein Stelldichein mit dir einlassen. Ich fühle mich damit nur schlecht.“
Einen Moment mahlte er mit dem Kiefer. „Ich werde nicht aufhören.“
„Aufhören?“
Er rutschte näher. „Ich sagte bereits, du gehörst zu mir. Und ich will nicht, dass du mit Keanu gehst.“
„Was zum- Tevin, du kannst mich nicht nach Lust und Laune aus einer Beziehung reißen.“
„Er tut dir weh.“
„Das tust du auch.“
Wieder verfinsterte sich sein Blick. „Ich tue das nicht mit Absicht. Und werde alles tun, was ich kann, damit du mir gehörst.“
Ich starrte ihn einen Moment einfach nur an, ehe ich es begriff. Der Tevin, der er vor dem Unfall war, liebte mich mit dem Herzen eines Jungen, das mit der Geduld eines Engels gesegnet war, der wusste, dass ich zu ihm gehörte, was immer passieren würde. Und er wusste, dass ich irgendwann zu ihm zurück kehren würde.
Dieser Tevin hier vor mir jedoch war anders. Er liebte mich mit der rohen besitzergreifenden Liebe eines Mannes, der wusste, was er wollte und sich meiner nicht sicher war. Dieser Tevin war gefährlich. Er würde Schaden anrichten, wenn er es für nötig hielt.
Also tat ich das einzige, was mir einfiel. „Ich gehöre dir.“, sagte ich so sanft, wie ich es in den Moment konnte.
„Wie kannst du mir gehören, wenn du bei ihm bist? Mit ihm zusammen bist?“
Ich seufzte schwer und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. „Ich liebe ihn.“
Sein Blick wurde mörderisch.
„Versteh das nicht falsch, dich liebe ich mehr als alles andere, aber ich bin noch nicht bereit mit dir zusammen zu sein.“
„Warum, wenn du mich doch liebst?“
„Du bist so anders.“ Ich senkte den Blick. „Es gibt Seiten an dir, die neu sind, die ich nicht kenne. Ich habe dich noch nie so erlebt wie heute.“
Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Aber du willst mit mir zusammen sein.“
„Ja, aber-“
„Warum also nein?“
„Tevin, ich-“
„Warum nein?“
Ich holte tief Luft.
„Keanu ist kein Idiot, er weiß, dass ich dich ihm ausspannen kann, wenn ich will. Wahrscheinlich rechnet er mit so etwas.“ Er zögerte. „Natürlich ist er eigentlich schon ein Idiot, weil er dich nicht richtig behandeln kann.“
„Und du kannst das?“
Er zuckte zusammen, ehe er sich räusperte. „Nun, ich bin vielleicht hin und wieder etwas grob, aber ich säe keine Zweifel in dir.“
Einen Moment fragte ich mich, wann Tevin eigentlich so hartnäckig geworden war, begriff dann aber, dass er das schon immer war. Nur hatte er es immer anders ausgelebt. Und je mehr ich darüber nachdachte, umso klarer wurde mir, dass sich die beiden Versionen meines Traummannes sich gar nicht so drastisch voneinander unterschieden.
Eine Sache gab es jedoch, die ich nicht abstreiten konnte. Egal, wie ich es drehte und wendete, von diesem Tevin fühlte ich mich noch mehr angezogen, als von seinem Original. Ich wusste nicht, woran es lag. Vielleicht war es seine besitzergreifende Art. Vielleicht lag es an seiner Direktheit. Vielleicht lag es auch einfach an meiner Sehnsucht.
„Vilija.“
Ich sah zu ihm auf. „Ja?“
„Ich will dir nahe sein.“
„Nahe?“
„Näher als es je jemand war. Ich will derjenige sein, der dir am nächsten ist.“
„Tevin, du-“ Ich schloss einen Moment die Augen. „Du bist mir am nächsten.“
„Aber du-“
„Das hat damit nichts zu tun.“, unterbrach ich ihn sofort, „Es hat nichts mit unseren Gefühlen zu tun.“
Er zog die Brauen zusammen. „Ich... verstehe nicht.“
Einen Moment sah ich ihn einfach nur an, zögerte, dachte nach. Dann atmete ich tief durch und fand, dass es keinen besseren Zeitpunkt dafür geben könnte ihm sein erstes Geschenk zu geben. Also stand ich auf, ging zu meinem Schrank und öffnete ihn mit zitternden Händen.
„Willst du dich umziehen?“, fragte er verwirrt.
Ich ignorierte die Frage und griff im obersten Fach an meiner Kleidung vorbei nach den Geschenken. „Erinnerst du dich, wie wir dir sagten, dass du an deinem Geburtstag mit deinen Eltern gefahren bist?“
„Ja.“
„Ich habe dir dein Geburtstagsgeschenk nie gegeben. Auch nicht das aus dem Jahr danach.“
Schweigend beobachtete er, wie ich die beiden Geschenke heraus nahm, den Schrank schloss und wieder herüber kam. Als er sah, wie sehr meine Hände zitterten, griff er danach und drückte sie sanft.
„Alles okay?“, fragte er besorgt.
„Ich... bin bloß aufgeregt.“, antwortete ich wahrheitsgemäß, „Das hier ist jedenfalls das erste Geschenk.“
Ich reichte ihm das entsprechende Päckchen und sah, wie sich seine Augen weiteten, ehe er mir einen Blick zuwarf.
„Und es ist okay?“
Ein Nicken meinerseits, woraufhin er sich etwas anders hinsetzte und vorsichtig begann es auszupacken. Je weiter er es öffnete, umso mehr begann mein Herz in meiner Brust zu donnern. Ich erinnerte mich noch sehr genau daran, wie schön ich das Schmuckstück fand, auch wenn ich mich kaum noch daran selbst erinnern konnte.
Als er nun die Schachtel öffnete, in dem die Kette lag, die ich damals bei einem Goldschmied hatte anfertigen lassen, verschlug es mir den Atem. Ein Anhänger aus purem Silber in Form eines Herzens umfasste einen zweiten Anhänger, einen ovalen facettenreichen Azotic Topaz.
Wie hatte ich diesen Stein je für gelb halten können?
Er war orange und einzelne Facetten reflektierten unterschiedliche Farben, je nach Lichteinfall.
Zögerlich sah Tevin zu mir auf. „Ein Herz und...“
„Eine Seele.“, beendete ich seinen Satz.
„Schmuck, wie ihn Partner tragen.“, murmelte er, „Mit tiefgründiger Bedeutung.“ Er nahm die Kette heraus und fand einen Zettel am Boden der Schachtel. Vorsichtig nahm er ihn heraus und faltete ihn auf, ehe er den Atem anhielt. „Scheiße, Vilija.“, ächzte er, „Deine Jungfräulichkeit?“
Ich wollte ihm den Zettel aus der Hand reißen, doch er hielt ihn außerhalb meiner Reichweite, als er mein Vorhaben erkannte.
„Oh nein.“, protestierte er, „Das gehört mir.“
„Das ist Jahre her.“
„Aber du hast es mir geschenkt.“
Ich spürte, wie ich errötete. „Aber es-“
„Es gehört mir.“, unterbrach er mich grob, „Kein anderer darf es haben.“
Ich schluckte schwer und spürte wie mir die Hitze schwer im Magen lag.
„Eigentlich sollte ich den Teil des Geschenks sofort einfordern.“, murmelte er, seufzte dann aber und steckte den Zettel ein, ehe er sich die Anhänger ansah. Vorsichtig nahm er den Stein aus dem Herzen und betrachtete beides eine Weile. „Ich weiß nicht genau, welchen Teil ich dir geben soll.“ Einen Moment schwieg er, ehe er zu mir aufsah. „Stört es dich, wenn ich für eine Weile beide behalte?“
Mir wurde das Herz schwer, doch ich schüttelte den Kopf. „Es sind deine. Was du damit tust ist deine Entscheidung.“
Wieder sah er darauf herab, ehe er sie vorsichtig zurück in die Schachtel legte und neben sich platzierte. Dann griff er nach dem anderen Geschenk. Diesmal spürte ich Nervosität in mir aufkommen und schluckte einige Male. Ich musste mich dazu zwingen, ihm das Geschenk nicht aus den Händen zu reißen und wieder zu verstecken. Letztendlich hielt er einen schlichten silberfarbenen Fotorahmen in der Hand. Das Motivs des Fotos hatte mich einiges an Mühe gekostet, doch letztendlich hatte ich es geschafft und hoffte nun, dass er die Metapher verstand.
Aber er regte sich nicht. Er saß einfach nur da, hielt den Rahmen fest und starrte das Foto an. Irgendwann atmete er kurz durch.
„Vilija?“, hob er vorsichtig an.
„Ja?“
„Ich möchte dir eine Frage stellen und du musst ehrlich darauf antworten.“
Unsicher, was er wohl fragen wollte, knabberte ich auf meiner Unterlippe. „Okay.“
„Hattest du damals Suizidgedanken?“
Das Blut wich mir aus dem Gesicht. Ein einziges Foto. Es war nur ein einziges Foto. Das Motiv hatte ich einfach gehalten. Eine Kerze, Dunkelheit, Hände, die die Kerze hielten, sie vor Wind schützten. Meine Hände. Mehr war nicht zu sehen, darauf hatte ich penibel geachtet. Und dennoch... las er mich darin wie ein Buch.
„Wie...“ Ich spürte Tränen in mir aufkommen. „Wie hast du...“
„Also hattest du?“
Ich schluckte schwer und verschränkte meine zitternden Hände ineinander. „Ja. Woher weißt du das?“ Ich hatte es nie auch nur angedeutet, sie so gut verborgen, wie ich konnte.
Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht genau. Es war irgendwie so ein... Gefühl.“ Sanft legte er das Foto zu den Ketten, ehe er sich zu mir umdrehte und in seine Arme zog. „Das bedeutet mir sehr viel. Die Geschenke.“
Noch immer etwas schockiert davon, dass er mich so einfach lesen konnte, saß ich einen Moment einfach nur da, ehe ich die Arme fest um ihn legte, meinen Kopf an seine Schulter legte und mich an ihm festhielt. Wir blieben eine Weile einfach so sitzen, ehe er leise vor sich her fluchte.
„Tut mir leid, aber ich bin wohl ein ziemlicher Dreckskerl.“
Noch ehe ich begreifen konnte, was er da überhaupt sagte, löste er sich gerade weit genug von mir, um seine Lippen auf meine pressen zu können. Hätte ich sofort reagiert, wäre es mir vielleicht möglich gewesen mich wieder von ihm zu lösen, aber ich war so überrumpelt, dass ich mich nicht bewegen konnte.
Und dann drang er mit seiner Zunge in meinen Mund ein, als fände er dort alles, was er brauchte. Ich war augenblicklich nichts weiter als weiche Butter in seinen Händen.
„Ich will alles.“, knurrte er an meinem Mund, „Ich will jedes Geschenk, das du mir geben kannst.“
„Tevin.“
Mir fehlte die Luft zum Atmen, also kam er mir zur Hilfe und küsste mich, bis ich nichts als ein Nervenbündel war. Dann arbeitete er sich quälend langsam an sein Ziel, angefangen bei meinen Brüsten, denen er so viel Aufmerksamkeit schenkte, das ich einem Moment dachte, sie seien der Grund, weshalb er die Finger nicht von mir lassen konnte. Im nächsten Moment hatte er leise gelacht, was mir sagte, dass ich den Gedanken wohl laut ausgesprochen hatte.
Ich wusste letzten Endes nicht, wie er es schaffte uns auszuziehen ohne auch nur einen Moment von mir abzulassen. Er ließ seinen Mund über jeden Zentimeter meines Körpers gleiten, streichelte, massierte. Ich wusste, all das war für ihn nur Vorspiel, aber allein das schaffte mich so sehr, dass ich irgendwann versuchte ihn von mich zu schieben, weil er mich viel zu sehr reizte.
„Hör auf.“, bat ich ihn keuchend und versuchte seinen Kopf von meiner Mitte zu ziehen.
„Ich bin noch nicht fertig.“, entgegnete er nur, rieb seine kratzige Wange an meinem Oberschenkel und bewies wie akrobatisch seine Finger waren.
„Ich bin zu sensibel. Hör auf.“
„Wenn du mich im Gegenzug berührst, mache ich gerne ein paar Minuten Pause.“
„Tevin, bitte. Ich sterbe, wenn du weiter machst.“
„Tut es weh?“
„Etwas.“
Da kam er zu mir hoch und verteilte kleine Küsse auf meinem Schlüsselbein. „Hast du Kondome?“
„Ko- Was?“
„Kondome. Du weißt schon, zur Verhütung.“
„N-nein.“ Den Vorrat, den man mir geschenkt hatte, sobald ich mit Veit zusammen gekommen war, hatte ich Teddy überlassen. „Und ich weiß auch gar nicht, ob ich bereit für-“
Er fing den Rest des Satzes mit seinem Mund auf. „Keine Ausreden. Nimmst du die Pille?“
Als ich plötzlich einen Schluckauf bekam, sah er überrascht auf mich herab. „Entschuldige.“, murmelte ich und hickste sogleich nochmal. „Ich nehme keine, nein.“ Hicks.
„Bist du nervös?“
Ich nickte bloß.
Er rieb sich nachdenklich über die Wange, löste bei mir einen weiteren Schauder aus und sah auf mich herab. „Dann werde ich dich wohl ablenken müssen. An welchem Tag bist du?“
Ich blinzelte. „Wie bitte?“
„Dein Zyklus.“
Wieder blinzelte ich nur.
„Wie weit ist er fortgeschritten? Und wie lang ist er für gewöhnlich?“
„Ähm...“ Hicks. „Für gewöhnlich gleichmäßige, regelmäßige 34 Tage.“ Hicks. „Und ich bin bei Tag 5.“
Er schürzte einen Moment die Lippen. „Theoretisch eine ungefährliche Zeit.“
Mir kam nur wieder ein Hicks über die Lippen, was ihm ein verzücktes Lächeln ins Gesicht zauberte.
„Ich wusste gar nicht, dass du so süß sein kannst.“
„S-“Hicks. „Süß?“
Er wartete ein weiteres dieser nerviges Geräusche ab, lächelte amüsiert und küsste mich dann.
„Tevin.“, murmelte ich wenige Sekunden später zwischen zwei Küssen.
„Hm?“, machte er nur an meinem Hals und ließ seine Hände wieder zu meinen Brüsten gleiten.
„Findest du es nicht zu gefährlich?“
„Um ganz ehrlich zu sein...“ Er knabberte an meinem Ohrläppchen. „Der Gedanke, dich zu schwängern, macht mich gerade tierisch an.“
Offenbar spürte er die in mir aufkommende Panik, denn er nahm meine Handgelenke, hielt sie neben mir auf die Matratze gedrückt und presste einfach seine Lippen auf meine, bis ich mich wieder beruhigt hatte.
„Nächstes Mal benutze ich ein Kondom, versprochen.“, murmelte er und biss mir zart in die Unterlippe.
„Aber jetzt-“
„Verlassen wir uns auf den Biologieunterricht und die Zuverlässigkeit deines Zyklus'.“
„Tevin.“
„Ja?“
„Wir sollten das nicht tun.“
Daraufhin biss er mir so fest in die Unterlippe, dass es beinahe weh tat und ich zusammen zuckte. „Sag das nicht nochmal.“
„Aber Keanu-“
„Ist mir egal. Mach mit ihm Schluss.“
„Tevin.“
„Das hier.“ Er umfasste meine Brüste. „Das hier.“ Er ließ die Hände zu meiner Taille gleiten. „Das hier.“ Sie glitten zu meinen Hüften. „Das.“ Er umfasste meine Oberschenkel auf eine Art, die deutlich machte, dass er den Rest der Beine mit einbezog. „Und das hier.“ Er streichelte mir der Länge nach über die Arme, bis er schließlich mein Gesicht umfing. „Und natürlich dies hier, gehört alles mir.“
„Ich fange langsam an mir Sorgen um dich zu machen.“
„Ich bin obsessiv, das weiß ich.“, gab er ohne Umschweife vollkommen seriös zu. „Mein Psychologe macht sich deshalb auch Sorgen, aber er sagt, solange ich nicht den Wunsch hege jemanden einzuschränken oder zu verletzen, wäre das Thema vorerst zweitrangig.“
„Findest du es nicht etwas ironisch, dass du Psychologie studierst, während du eine Psychotherapie machst?“
„Etwas.“, gab er zu und küsste mich auf die Wange. „Aber mich wundert, dass du klar denken kannst. Hör auf damit.“
Um den Worten Ausdruck zu verleihen, schob er eine Hand zwischen meine Beine und als würde sich da ein Schalter befinden, der mein Gehirn ausschaltete, schloss ich mit einem Stöhnen die Augen und war ihm völlig ausgeliefert.
Eine Stunde später lag ich eng umschlungen mit Tevin im Bett und knabberte an meiner Unterlippe, weil mich Sorgen, Zweifel und Schuldgefühle plagten.
„Du grübelst.“, murrte Tevin, „Lass das.“
„Ich grüble nicht, ich leide.“
Er drückte mich enger an sich. „Warum? Ich will nicht, dass du leidest.“
„Weil...“ Der Gedanke daran, dass er tatsächlich mit mir geschlafen hatte überwältigte mich noch immer. „Ich wollte nie ein Mensch sein, der andere in einer Beziehung betrügt. Ich fühle mich furchtbar.“
„Ich habe dich mir nur zurückgeholt.“
„Nein, Tevin. Du hast mich verführt.“
„Das auch.“
„Sag das nicht, als wäre das etwas gutes, worauf du stolz sein kannst.“
Er räusperte sich. „Dann entschuldige ich mich in aller Form dafür, dass ich dich verführt habe, während du in einer Beziehung warst. Ich habe einfach den Gedanken nicht mehr ertragen.“
„Du erinnerst dich erst seit einem Tag an Keanu.“
Er schnaubte. „Die Gefühle zu dir sind älter. Und tiefer. Ich hatte das Gefühl so stark unter Druck zu stehen, dass ich einfach explodiere, wenn ich nicht etwas unternehme.“
Verärgert drehte ich mich zu ihm um. „Also nutzt du meine labile Gefühlslage und deine Anziehung auf mich aus, um mich zu etwas zu verführen, mit dem ich moralisch nicht einverstanden bin?“
„Also... so wie du es formulierst, klingt es falsch.“
Ich seufzte schwer und sah ihn böse an. „Es ist falsch, Tevin.“
„Warum? Ich liebe dich, du liebst mich und wir sind verrückt nacheinander.“
„Und ich bin an Keanu gebunden.“
„Bist du nicht.“
„Doch, das bin ich. Es ist eine emotionale Verbindung. Wenn er erfährt, dass ich mit dir geschlafen habe, wird es ihn schwer treffen.“
„Dann sag es ihm nicht.“
Ich sah ihn ungläubig an. „Ich soll- Tevin! Erst heute morgen hast du mir gesagt, ich solle schauen, wie es die Tage mit ihm läuft und dann entscheiden, was ich tue.“
„Eigentlich war es gestern Abend.“
Ich stieß ihm vor die Brust.
„Ja, das habe ich.“, entgegnete er daraufhin und rieb sich über die Stelle, die ich getroffen hatte.
„Du hast mir die Entscheidung einfach abgenommen.“
„Habe ich nicht.“, widersprach er, „Du kannst natürlich trotzdem schauen, wie es sich entwickelt.“
„Aber du willst mich ihm so oder so ausspannen.“
Er schürzte einen Moment die Lippen. „Okay, ja, du hast Recht.“
„Warum bist du derzeit so verwirrend? Du hast mich getröstet und mich aufgemuntert. Mich motiviert es weiter mit ihm zu versuchen und mir zu verstehen gegeben, dass du kein derartiges Interesse wie dieses hier an mir hast!“
„Stimmt.“, murmelte er.
„Und jetzt...“ Ich deutete auf uns beide. „Hast du mich hierzu gebracht.“
„Es war einvernehmlich, also lass es bitte nicht so klingen, als hätte ich dich vergewaltigt.“
Ich stieß ihm erneut gegen die Brust.
„Ich verstehe schon.“, verteidigte er sich, als ich erneut ausholte und fing meine Hände ein, um sie zu küssen. „Mein Verhalten war verwirrend und bringt dich durcheinander. Zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, dass ich erst, als du heute mit Keanu gegangen bist, verstanden habe, was ich will. Also, was genau ich will. Und wie sehr.“
„Tevin.“ Ich fühlte mich hin und hergerissen. „Was soll das?“
„Mir ist einfach nur bewusst geworden, dass ich dich behalten will. Dich mit ihm weggehen zu sehen hat mir das Herz raus gerissen. Ich... Ich musste mich zwingen nicht hinterher zu laufen und dich zu bitten zu bleiben.“
„Du hättest mit mir drüber reden können. Wir hätten eine weniger komplizierte Lösung finden können.“
„Ich für meinen Teil halte diese Lösung für durchaus simpel.“
Ich atmete tief durch, um nicht einfach zu schreien. „Die Situation die du damit geschaffen hast ist aber viel komplizierter. Was denkst du, wie soll ich mich jetzt verhalten?“
„Geh einfach zu ihm und mach Schluss.“
Ich schlug ihn erneut, woraufhin er tief seufzte.
„Na gut, lass mich kurz nachdenken, aber hör auf mich zu schlagen.“, murrte er.
„Er bedeutet mir etwas und du bringst mich in eine Situation, die ihn verletzt. Das wollte ich nie.“
„Ja, aber du sagtest auch, dass du mir nie weh tun wolltest.“ Vorsichtig schlang er die Arme um meine Taille und zog mich an sich, als erwarte er, dass ich wieder von ihm abrückte.
Ergeben ließ ich es zu und schloss verzweifelt die Augen. „Tevin. Ich... Ich muss mit mir selbst zurecht kommen. Wenn du willst, dass ich mit dir zusammen bin ist das eine Sache.“ Ich sah wieder zu ihm auf. „Aber wenn du willst, dass ich mit dir zusammen glücklich bin, dann ist das hier der falsche Weg.“
Sein Kiefer mahlte und sein Griff wurde schwächer. „Was schlägst du vor?“
„Zuallererst ist das, was hier passiert ist, nicht passiert, bis ich dir mein okay gebe. Ich... werde mit Teddy reden oder so, ich muss einen freien Kopf kriegen. Und dann muss ich mit Keanu sprechen, ihm alles erklären und dann werde ich weitersehen.“
„Aber du wirst mit ihm Schluss machen.“
Ich rieb mir die Schläfe. „So, wie ich dich im Moment einschätze würdest du meine Gefühle wahrscheinlich ausnutzen und mich sogar vor seinen Augen verführen, wenn das bedeutet, dass er wieder geht.“
Er hob eine Braue, sagte aber nichts.
„Versprich mir nichts zu tun, was mein Verhältnis zu Keanu beeinflusst.“
Seine Miene erstarrte.
„Versprich es mir.“
„Das ist nicht möglich, Vilija.“
„Tevin, versprich es.“
Er atmete tief durch und ließ den Blick ein wenig gleiten. „Ich meine es ernst, das ist nicht möglich.“
„Ich meine es auch ernst. Wenn du mir alles kaputt machst, werde ich dir das nicht verzeihen. Und ich bin mir sicher, dass schon wegen dem hier irgendwas kaputt gehen wird.“
Mit angespanntem Kiefer sah er alles andere als begeistert aus. „Ich werde heute mitkommen, wenn du nach hause gehst. Du wirst noch heute mit Teddy sprechen. Ich verspreche, ich werde nichts zu Keanu sagen und mich nicht auffällig verhalten. Aber im Gegenzug musst du mir versprechen, dass du das mit ihm beenden wirst.“
„Ich- Ich brauche Zeit. Ich will ihn nicht mehr verletzen als notwendig. Ich meine, du hast ja Recht, er muss nicht erfahren, dass ich- Dass du mich verführt hast. Das nehme ich dir übrigens sehr übel.“
„Ich habe vor das noch öfter zu tun, also gewöhn dich daran.“
Ehe ich mich versah stieg wieder Hitze in mir auf. „Je-je-jedenfalls brauche ich mehr Zeit um das zu klären. Ich möchte mit ihm sprechen, ihm alles erklären und dann Zeit geben darüber hinweg zu kommen, ehe ich etwas mit dir anfange. Ich will mich nicht fühlen wie eine Frau, die sich zwischen zwei Männern nicht entscheiden kann und-“ Ich unterbrach mich selbst und seufzte schwer.
„Du solltest also erst mal mit Teddy reden, ja?“, bemerkte er nach einigen Minuten der Stille und rieb sich über die Wange. Als er bemerkte, wie ich schauderte, sah er mich überrascht an. „Was ist mit dir?“
„Nichts.“, entgegnete ich leise und starrte auf sein Schlüsselbein.
„Sag schon.“
Ich hob eine Schulter. „Ich denke, ich mag einfach das Geräusch.“
Als er fragend eine Braue hob, glitt ich mit einem Finger über seine Stoppeln, seufzte leise und legte ihm dann die ganze Hand an die Wange, woraufhin er seine darauf legte. Seine Stoppeln waren etwas rau und kratzten.
„Ich muss mich rasieren.“, bemerkte er, „Ich bin mir sicher, dass deine Haut an einigen Stellen gereizt ist.“
„Ich mag sie.“, entgegnete ich leise.
Daraufhin hielt er inne und schien etwas nachzudenken. „Nun ja... ich kann sie noch ein bisschen wachsen lassen. Dann kratzen sie zumindest nicht mehr.“ Er gab mir einen kleinen Kuss. „Na komm, machen wir uns fertig, damit du endlich mit Teddy reden kannst.“
Zwei Stunden später ging ich mit Tevin, Miles und Vaughn die Treppe zu unserer Etage hoch. Vaughn lief vor uns, Miles hinter uns.
„Was denkst du eigentlich, wann wird der Mann gefasst, der uns bedroht?“, fragte ich Tevin und sah auf meine Hand herab, die er noch immer im eisernen Griff hielt. „Und wann lässt du meine Hand los?“
„Soweit ich weiß, tappen sie noch im Dunkeln.“, murrte er und ignorierte meine Frage bezüglich seiner Hand.
Ich seufzte und suchte den Wohnungsschlüssel heraus. Vaughn und Miles warteten, bis ich die Tür geöffnet und hinein gesehen hatte. Dann nickten sie uns zu und gingen in die Wohnung gegenüber, woraufhin Tevin und ich die WG betraten.
Es überraschte mich, dass lediglich Veit auf der Couch saß. Wo waren die anderen?
„Hey Vilija.“, begrüßte er mich mit einem kurzen Blick.
„Hey.“, antwortete ich, „Ist Teddy da?“
Er verzog das Gesicht, winkte Tevin zu und deutete dann auf Teddys Zimmertür. „Ja, aber er hat echt miese Laune. Ich glaub, so war er noch nie. Zumindest, seit ich ihn kenne.“
Ich blinzelte verwirrt. „Warum? Ist etwas passiert?“
„Ich glaube, er hat sich mit Evelyn gestritten. Ich hab nicht alles mitbekommen. Ich war kurz einkaufen und als ich wieder kam brüllten sich die beiden an.“
Ich tätschelte Tevins Hand, damit er endlich losließ, was er dann auch tat, und ging zu Teddys Zimmer. Ich klopfte kurz und wartete, doch er reagierte nicht.
„Er sagte, er will mit niemandem reden.“, bemerkte Veit, „Erst Recht nicht mit dir. Seine Worte.“
Mit einem Seufzen klopfte ich erneut und als er wieder nicht reagierte, öffnete ich einfach die Tür. Er lag bäuchlings auf seinem Bett, den Kopf unter seinem Kissen.
„Teddy.“
Sein Oberkörper hob sich sichtbar, als würde er tief einatmen. Dann schob er das Kissen beiseite, setzte sich auf und sah mich an. „Was?“
Als ich die blauen Verfärbungen an seiner rechten Gesichtshälfte bemerkte, schloss ich hastig hinter mir die Tür und kam herüber. „Was ist mit dir passiert?“
Gereizt wendete er den Blick ab und wich meiner Hand aus, als ich sein Gesicht berühren wollte. „Ist nicht der Rede wert. Was willst du von mir?“
Verwirrt zog ich die Brauen zusammen. „Mit dir reden. Veit sagt, Ev und du hätten gestritten.“
„Veit ist ein Vollidiot.“
„Teddy!“
Er rollte mit den Augen. „Evelyn denkt ich würde auf dich stehen. Ich weiß nicht warum, aber sie ist mit einem mal voll davon überzeugt.“
Ich war so perplex, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte.
„Sie ist unglaublich wütend, weil sie denkt, ich würde mit dir schlafen. Sie hat mich mit einem Buch geschlagen.“ Er deutete auf sein Gesicht. „Eine literarische Ohrfeige.“
„Das war wohl ein ziemlich dicker Schinken.“, bemerkte ich leise.
„Da lag eins von Travis Medizinbüchern auf dem Tisch.“
Unwillkürlich verzog ich das Gesicht. Diese Teile waren wirklich dick. „Und dann?“
„Was wohl? Ich hab es natürlich abgestritten, aber sie glaubt mir nicht und behauptet, ich hätte schon immer auf dich gestanden.“ Er raufte sich die Haare. „Dann hat sie ein paar ihrer Sachen gepackt und ist gegangen. Zu ihrer Mutter, denke ich.“
„Wie ging es ihr, als sie gegangen ist?“
Sorge huschte über sein Gesicht. „Ich weiß nicht. Sie war einfach unglaublich wütend. Hielt sich die Hand auf den Bauch.“ Er seufzte schwer. „Ich hab sie angerufen, aber sie geht nicht ran.“
Einen Moment zögerte ich. „Vielleicht kann Tevin mit ihr sprechen.“
Er dachte kurz darüber nach. „Ja, das könnte vielleicht helfen.“ Dann rieb er sich über das Gesicht.
„Ich frag ihn, warte kurz.“ Damit ging ich an die Tür und sprach kurz mit Tevin, der ohne Zögern sein Mobi hervor zog. Veit war wohl wieder in sein Zimmer gegangen. Als ich mich wieder zu Teddy setzte, betrachtete er mich nachdenklich. „Was ist?“, fragte ich ihn.
„Das wollte ich gerade fragen.“ Er deutete auf seine Tür. „Tevin ist da?“
„Ja.“ Erschöpft beugte ich mich vorn über und vergrub das Gesicht in den Händen.
Ein paar Momente schwieg Teddy. „Ich kann nur vermuten, was passiert ist und ich glaube nicht, dass ich das gut finden würde, wenn es stimmt.“
Überrascht sah ich ihn an.
„Was ist passiert?“, fragte er langsam.
Ich zögerte und fühlte mich plötzlich so schlecht mit den Geschehnissen, dass ich nicht mehr in der Lage war ihm in die Augen zu sehen. „Ich- Also... Es ist kompliziert.“
„Vilija.“
„Vielleicht sollte ich wieder kommen, wenn du dich besser fühlst.“, murmelte ich und stand bereits auf, doch er hielt mich am Handgelenk zurück und zog mich wieder hinab auf sein Bett.
„Was hast du gemacht?“
Ein paar mal setzte ich zum Reden an, suchte eine Möglichkeit es so zu formulieren, dass ich mich dabei nicht schlecht fühlte, doch ich fand keine. Also atmete ich tief durch und schloss die Augen. „Ich hab mit Tevin geschlafen.“
Die Stille, die daraufhin einbrach, schnürte mir die Kehle zu. Unsicher öffnete ich die Augen und sah zu Teddy, deren Miene erstarrt war.
„Teddy.“
„Du-“, setzte er an, unterbrach sich und presste die Lippen aufeinander. „Du hast- Was?“ Er klang noch schlechter gelaunt als eben.
„Er- Er hat mich verführt. Ich wollte das eigentlich nicht. Er hat meine Gefühle ausgenutzt.“
Aufgebracht rieb er sich die gesunde Wange, lehnte seine Stirn in die Hand, fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Scheiße nochmal, Vilija.“, brach es dann etwas lauter aus ihm heraus, „Du bist doch intelligent.“
Ich zuckte angesichts seines verurteilendem Tonfalls zusammen. „Ich- Ich wollte das nicht.“
„Zu so etwas gehören immer zwei. Immer. Was soll der Scheiß?“ Zu allem Überfluss wurde er noch lauter, schrie mich fast an. „Ich hab dich immer für jemanden gehalten, der damit wartet, bis der richtige Moment da ist und dann kommt Tevin daher und du lässt ihn einfach machen?“
Tränen schossen mir in die Augen. „Nein, ich- Ich wollte-“
„Hat er dir irgendwas ins Glas getan, oder was?“
„Nein!“
„Fuck. Was denkst du, wie Keanu sich erst fühlt, wenn er das hört. Oder willst du es vor ihm verheimlichen? Soll das wieder so eine zweigleisige Sache werden wie mit Tevin und Veit? Hast du daraus nichts gelernt?“
„Ich bin nicht mit ihm zusammen, Theo.“, versuchte ich mich zu verteidigen und wischte mir die überlaufenden Tränen aus dem Gesicht. Ich hatte nicht einmal in Erwägung gezogen, dass er so reagieren könnte. Ich fühlte mich, als würde er mich schlagen.
„Nein, stattdessen hast du mit ihm geschlafen!“
Unfähig das noch weiter über mich ergehen zu lassen sprang ich auf und lief aus dem Zimmer. Vor der Tür blieb ich jedoch wie angewurzelt stehen. Nur zwei Meter entfernt stand Keanu bei Tevin. Selbst wenn Tevin nichts gesagt hatte, musste er Theodores Worte gehört haben.
Als meine Unterlippe begann zu beben, schlug ich die Hand davor und lief in mein Zimmer.
„Vilija.“ Tevins Stimme war gedämpft durch die Tür, die ich hinter mir abgeschlossen hatte.
Mit wem soll ich reden können, wenn sogar Teddy so reagiert?
Verärgert sah Tevin auf den Griff von Vilijas Zimmertür, ehe er zu Teddy sah, der an seiner eigenen stand, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Warum behandelst du sie so?“, wollte Tev von ihm wissen, „Du bist ihr allerbester Freund.“
„Glaubst du ich sehe einfach so zu, wie sie anfängt durch die Gegend zu huren?“, entgegnete er mit finsterem Blick.
Unwillkürlich ballten sich Tevins Hände zu Fäusten. Wenn du ihn schlägst, wird Vilija sauer auf dich sein. Dieser Gedanke hielt ihn davon ab die Kontrolle zu verlieren. „Sie kann nichts für ihre Gefühle zu mir. Und sie ist nicht zu dir gekommen, damit du ihr weh tust, sondern damit du ihr zur Seite stehst und hilfst, weil sie nicht weiß, was sie tun soll.“
Theodores Kiefer mahlte. Dann sah er zu Keanu. „Was denkst du jetzt?“
Dieser sah von Vilijas bestem Freund zu ihrem Bruder. „Ich denke, dass ihr beide gerade riesige Scheißkerle seid.“, antwortete er ehrlich, ehe er auf Tevin deutete. „Du nutzt ihre Gefühle aus, um deine eigenen Bedürfnisse zu stillen und du“ Er deutete auf Theodore. „benutzt sie als Punching Ball, obwohl es ihr genauso schlecht geht wie dir. Nur lässt sie es nicht an anderen aus. Sie frisst es in sich hinein und gibt sich selbst die Schuld.“
„Ist sie in deinen Augen etwa unschuldig?“
Keanu schnaubte. „Scheiße, nein. Aber ich muss ebenfalls Schuld daran sein.“ Er rieb sich den Kiefer. „Ich hätte wahrscheinlich mehr mit ihr reden sollen und auch die Sache gestern Abend klären müssen.“ Er warf Tevin einen kurzen Blick zu. „Offenbar hat mein Verhalten sie verletzt, sodass du ihre Gefühle ausnutzen konntest.“
Tevin atmete tief durch, um nicht sofort Vilijas Tür einzutreten. Da er immer noch direkt davor stand, konnte er sie weinen hören. „Ich behaupte nicht, dass ich den Moment nicht genutzt habe, aber lass es nicht so klingen, als hätte ich sie vergewaltigt. Hätte sie es wirklich nicht gewollt, hätte ich es nicht getan.“
„Ich weiß.“, entgegnete Keanu verbittert, „Du bist vielleicht ein Mistkerl, aber du liebst sie und betest sie an.“
Kein Wort würde dem gerecht werden, was ich für Vilija empfinde. Doch das würde Tevin ihm nicht sagen. Dass er es selbst noch immer nicht verstand spielte dabei keine Rolle. Er hatte es akzeptiert und würde nun alles dafür tun um Vilija zu behalten. „Bist du wütend auf sie?“, wollte er wissen, denn er war sich sicher, dass Vilija traurig wäre, wenn es so wäre.
„Verletzt.“, entgegnete Keanu, „Du bist es, den ich deshalb hasse.“
„Damit kann ich leben.“, entgegnete Tevin und sah zu Theodore.
„Dachte ich mir.“, murmelte Keanu, „Aber ich wusste auch, dass du sie dir irgendwann krallen würdest, unabhängig davon, ob sie gerade jemanden hat oder nicht.“
„Das wusste wahrscheinlich jeder.“, bemerkte Veit, der gerade den Raum durchquerte, um in die Küche zu gehen. Dort hielt er einen Moment inne und sah die drei nachdenklich an. „Ein Wunder, dass ihr euch nicht bereits prügelt.“
Tevin warf ihm einen Blick zu. „Das würde Vilija nicht gefallen.“
Theodore schnaubte verächtlich, woraufhin Tev ihn mit einem finsteren Blick bedachte, während Veit in der Küche verschwand.
„Willst du sie jetzt hassen, weil ich die Situation ausgenutzt habe?“
„Das verstehst du nicht.“, entgegnete er und wendete sich bereits ab. „Du hast nicht den geringsten Schimmer.“
Stille trat ein, die nur von dem Klicken von Theodores Zimmertür und dem Klappern von Geschirr in der Küche unterbrochen wurde. Tevin und Keanu starrten sich unterdessen an.
„Was wirst du jetzt tun?“, fragte Tevin irgendwann.
„Ich möchte mit Vilija reden.“, antwortete er im selben Ton, „Herausfinden, was sie möchte.“
„Was, wenn du es nicht bist?“
Er rieb sich über den Mund. „Dann nehme ich mir ein Hotelzimmer. Ich habe ihr versprochen zu bleiben, bis mein Haar so lang ist wie damals und ich habe vor das Versprechen zu halten, auch wenn es für sie vielleicht hinfällig ist. Ist es nicht spannender darüber nachzudenken, was wäre, wenn ich es bin, was sie will?“
Einen Moment dachte Tevin darüber nach, schüttelte dann aber den Kopf. „Ich lasse das gar nicht erst zu.“
„Du kannst sie nicht zwingen.“
Das hob seinen Mundwinkel. „Das muss ich gar nicht.“
Daraufhin schwiegen die beiden wieder, bis Tevin bemerkte, dass Vilija sich langsam beruhigte. Keanu hatte begonnen hin und her zu laufen, während Tevin sich nun neben der Tür an die Wand lehnte. Er wollte da sein, wenn sie jemanden brauchte.
Aufmerksam horchte er den Geräuschen in ihrem Zimmer und merkte so sofort, wann sie aufstand und an die Tür ging. Sie bemerkte ihn ebenso schnell, als sie die Tür öffnete und hielt inne, ohne einen Fuß über die Schwelle zu setzen. Dann fiel ihr Blick auf Keanu, der nun stehen geblieben war und sie wartend ansah. Tevin sah prüfend in sein Gesicht, ehe er Vilija ansah und feststellte, dass sie noch unentschlossen war.
„Er weiß es.“, bemerkte Tevin und hoffte, er würde ihr damit bei der Entscheidung helfen. Oder wenigstens ihr Gewissen beruhigen. „Und er ist dir nicht böse. Nur mir.“
Unsicher warf sie Tevin einen kurzen Blick zu, ehe sie schluckte und zu Boden sah, nachdachte. Es kostete ihn jeden Funken Selbstbeherrschung sie nicht an sich zu ziehen. Er hatte ihr ebenfalls etwas versprochen, auch wenn das Versprechen nicht mehr viel nützte.
Als Veit in die Küchentür trat und die drei betrachtete, sah Vilija zu ihm auf, ehe sie zu ihm herüber ging, sich streckte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Er horchte Aufmerksam, begann sanft zu lächeln und beugte sich dann zu ihr, um ihr einen kleinen Kuss zu geben.
Auf den Mund.
„Bist du nicht.“, antwortete er dann auf eine Frage, „Theodore ist gerade nicht er selbst. Mach dir keine Gedanken darüber.“
Sie seufzte leise. Dann drehte sie sich um und sah zwischen den beiden anderen Männern hin und her. „Tut mir leid, dass ich dir weh getan habe.“, meinte sie dann an Keanu, „Ich denke, es ist unvermeidlich, dass ich einem von euch weh tue.“ Unsicher rieb sie sich die Hände.
Tevin hätte sie am liebsten an sich gedrückt und sie vor allem abgeschirmt, was ihr Schaden zufügte. Er wollte sie sicher verwahren, wie einen Schatz, den kein anderer sehen sollte. Wenn es nach ihm ginge, würde er ihr nicht mehr von der Seite weichen, doch das war nicht möglich. Sie brauchte ihre Privatsphäre.
Keanu schob resigniert die Hände in seine Hosentaschen und sah sie wartend an.
„Es gibt keine Entschuldigung, nicht wahr?“, fragte Vilija traurig.
Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe selbst Fehler gemacht. Kannst du die entschuldigen?“
Nachdenklich blickte sie auf ihre Hände herab, rieb mit dem Daumen der einen Hand über den Verband über der Wunde an der anderen. „Nicht alle, denke ich. Jedenfalls nicht einfach so.“ Sie sah wieder zu ihm auf. „Aber selbst wenn ich dir alles verzeihen würde... Ich weiß nicht, ob es reicht.“
Eins musste Tevin dem Mann lassen. Er steckte es verdammt gut weg, dass Vilija ihm einen Korb gab. Er selbst würde wahrscheinlich toben, wenn sie dasselbe mit ihm vorhätte.
Doch Keanu lächelte nur matt, senkte den Blick, nickte langsam und sagte: „Vielleicht hast du Recht.“
„Es tut mir leid.“
„Ich weiß.“
„Wie... Wie machst du jetzt weiter?“
Er hob eine Schulter. „Wie ich Tevin eben schon gesagt habe, werde ich mir ein Hotelzimmer nehmen. Ich hab dir versprochen für eine Weile zu bleiben.“
Da Tevin Vilijas Reaktion beobachtete, fiel ihm sofort auf, wie sie erleichtert aufatmete.
„Das ist schön.“, sagte sie und lächelte leicht.
„Wenn es dir nichts ausmacht“ Keanu deutete auf ihr Zimmer. „hole ich jetzt meine Sachen.“
„Nein, mach nur.“ Nickend sah sie ihm zu, wie er an Tevin vorbei in ihr Zimmer ging, ehe sie auf ihren Bruder zu ging und ihr Stirn an seine Brust lehnte.
Sofort senkte er die Arme, die er vor der Brust verschränkt hatte und legte die Hände auf ihre Hüften. „Du machst dir immer noch Sorgen.“, bemerkte er und fragte sich, was er tun musste, damit sie damit aufhörte.
„Hast du gehört, was Teddy zu mir gesagt hat?“, fragte sie leise.
„Er regt sich wieder ab, da bin ich mir sicher.“
„Er macht mir Vorwürfe. Vi-vielleicht hätte ich dir die Geschenke noch nicht geben sollen.“
„Das zu bereuen bringt nichts. Früher oder später hätte ich eh mit dir geschlafen. Ich denke, es liegt also nicht daran, sondern an den Umständen.“
Ein schwerer Seufzer kam ihr über die Lippen und wärmte ihm die Brust. „Du erinnerst dich nicht mehr an seine erste Beziehung.“
„Sollte ich? Das war doch seine.“
Resigniert hob sie den Blick zu ihm. „Sie hat ihn betrogen. Mit dem Kerl, der Evelyn betrogen hat.“
Verständnis zeigte sich auf seinem Gesicht. „Verstehe. Also sieht er dich in der Opferrolle, die seine Ex hatte und mich in der Rolle des Mannes, der sie verführt hat. Demnach ist er nicht sauer auf dich. Also schon, aber nicht richtig.“
„Wie meinst du das?“
Er seufzte tief. „Er hasst es, dass du in diese Rolle geraten bist und ist wahrscheinlich wütend auf sich selbst, weil er es nicht verhindern konnte. Er ist also nicht auf dich als Person sauer, sondern auf die Rolle, die du gespielt hast. Eine Frau in einer Beziehung, die mit einem anderen schläft.“
„Ich bin eher überrascht, dass Keanu nicht sauer auf mich ist. Dafür aber Teddy. Es sollte doch anders herum sein, oder nicht?“
„Was sagt das über diese Menschen aus?“
Es vergingen zwei Wochen, in denen Teddy nicht mit mir redete und ich mich nicht besser fühlte. Ich traf mich regelmäßig, fast täglich mit Keanu und ging Tevin aus dem Weg, auch wenn wir seit meiner Trennung von Keanu jede Nacht im selben Bett schliefen. Es fühlte sich seltsam an. Vor allem, weil ich mich noch nicht gut genug an Tevin gewöhnen konnte.
Dennoch kam ich nicht umhin zu bemerken, wie sehr ich mich nach ihm sehnte, wenn er nicht bei mir war.
So wie jetzt.
Ich saß mit Keanu am Strand und beobachtete den Sonnenuntergang mit Vaughn im Nacken. Natürlich wusste ich wie wichtig es war, dass er mich begleitete aber in letzter Zeit war er für mich immer mehr zur Last geworden.
„Ich will nicht, dass du gehst.“, bemerkte ich und lehnte mich an Keanus Schulter.
Er legte mir seinen Arm um meine eigenen Schultern und küsste mich aufs Haar. „Ich hatte auch versprochen zu bleiben, aber-“
„Dann halte dein Versprechen.“
Er seufzte tief. „Ich würde dir ja anbieten mitzukommen, aber das würde Tevin nicht gefallen. Und du würdest wahrscheinlich auch nicht ja sagen.“
„Bleib einfach hier.“
„Ich... bin in einer Woche wieder da.“
„Du lügst.“
Einige Sekunden lang war es still, während er nachdachte. Dann atmete er lange aus. „Es ist schwer für mich, Vilija. Hier zu sein, in deiner Nähe.“
„Ich wollte dir nicht weh tun.“
„Das weiß ich. Ich... Ich kann das nur einfach nicht. Ich hab gedacht ich könnte es, aber jedes Mal, wenn ich dich sehe, sehe ich vor meinem inneren Auge, wie du mit Tevin im Bett bist und... Ich habe sogar schon davon geträumt, weißt du. Ich weiß, dass er dich anfasst und auch jedes Recht dazu hat, während ich diese Rechte verloren habe.“ Unbeholfen zuckte er mit den Schultern. „Ich kann damit nicht umgehen. Mit dieser... Eifersucht und dem Schmerz.“
In meinem Hals bildete sich ein Kloß und ich spürte Tränen in mir aufsteigen. „Ich brauche dich.“
„Ich kann auch von Hawaii aus für dich da sein.“
„Das ist nicht dasselbe. Wie willst du mich von Hawaii aus umarmen? Wie willst du mich necken, weil ich wieder vom Board gefallen bin oder mir an den Haaren ziehen, um mich zu ärgern?“
„Ich habe dir nie an den Haaren gezogen.“, bemerkte er amüsiert mit belegter Stimme. „Ich habe an ein paar Strähnen gezupft, aber nie daran gezogen.“
„Das kannst du nicht mehr tun, wenn du auf Hawaii bist.“ Ich zog meine Nase hoch und lehnte meine Wange an seine Brust. „Du kannst mich nicht aufbauen, wenn Teddy mich wieder anschreit oder mir in die Seite knuffen, bis ich lache, wenn ich wieder schlechte Laune habe. Du darfst nicht gehen.“
„Ich komme irgendwann wieder. Versprochen.“
„Du hältst deine Versprechen nicht.“
„Dieses werde ich halten.“, versicherte er mir.
„Und wie soll ich daran glauben?“
Er schluckte schwer. „Ver- Vertrau mir, okay. Ich komme wieder. Ganz sicher.“
Ich schüttelte den Kopf. „Bleib hier.“
„Vilija. Ich kann das nicht.“
Hinter uns hörte ich einen Wagen parken und wusste, dass es Miles mit Tevin war, ignorierte es aber. „Du musst.“
Stille trat ein, die nur von den Geräuschen des Meeres unterbrochen wurden. Ich merkte, dass Keanu gerade etwas sagen wollte, als Tevin hinter uns etwas rief.
„Vilija, runter!“
Ehe ich überhaupt den Sinn dieser Worte verstanden hatte, lag ich bereits rücklings im Sand und Keanu presste mich zu Boden. Es dauerte alles nur Sekunden. Um uns herum ertönten Kampfgeräusche, ich hörte gedämpfte Schüsse, spürte in meiner Seite einen Schmerz explodieren, während Keanu im selben Moment aufkeuchte. Dann war es still und jemand eilte zu uns.
„Vilija, geht es dir gut?“, fragte Tevin besorgt, „Seid ihr zwei verletzt?“
„Durchschuss.“, brachte Keanu hervor und hob sich mühevoll ein Stück von mir hoch, um an sich herab zu sehen. „Ich glaub die Kugel hat Vilija getroffen.“ Er stöhnte auf. „Scheiße, tut das weh.“
Sofort griff Tevin nach seinem Handy und rief jemanden an, begann zu fluchen und rief jemand anderen an. „Rin!“, hörte ich ihn kurz darauf rufen, „Ich muss sofort mit Drew sprechen! Er geht nicht ans Handy, es ist wichtig!“
Ich hörte kaum, was er danach sagte, weil der Schmerz in meiner Seite mich ablenkte. Sie waren brutal. Sicher, es war nichts im Vergleich zu dem, was Tevin in dem Autounfall hatte erleiden müssen, doch hatte ich bisher noch nie solche Schmerzen erleben müssen. Zumindest keine körperlichen. Emotional hatte ich hin und wieder das Gefühl gehabt kurz vor dem Tod zu stehen.
„Vilija.“ Tevin schob sich über mich.
„Tevin.“, keuchte ich und griff nach seinem Arm.
„Wie fühlst du dich?“
Einen Moment dachte ich über die Frage nach und merkte, dass ich zitterte. „Mir ist etwas kalt.“
Er sah zur Seite. „Hol eine Decke.“ Dann sah er wieder auf mich herab. „Hast du starke Schmerzen?“
„Ich ertrage das. Was ist mit Keanu?“
Ein kleiner Schatten huschte über sein Gesicht. „Der schafft das. Bei ihm war es ein Durchschuss, sehr weit außen an seiner Seite. Der Schuss war schräg. Möglich, dass die Kugel bei dir nun viel mittiger sitzt als sie eingetreten ist.“
„Verstehe.“ Ich schloss einen Moment die Augen. „Hast du Drew erreicht?“
„Ja.“
„Wie kamst du auf die Idee Rin anzurufen?“
„Ich habe ihre Nummer im Handy gehabt und du hast vor kurzem erwähnt, dass sie seine Tochter ist.“
„Wie praktisch.“
Er strich mir über die Wange. „Er ist gleich da.“
„Ich schaff das. Ich vertraue Andrew. Er kriegt das hin.“ Dennoch raste Mein Herz vor Angst.
„Was, wenn er es nicht schafft? Was, wenn die Kugel etwas verletzt hat, was er nicht behandeln kann.“
„Tev, Liebling, Andrew Wyler ist nicht irgendein x-beliebiger Chirurg. Du warst dem Tod um ein vielfaches näher als ich jetzt und er hat dich gerettet.“ Ich sah zu ihm auf und legte ihm die Hand an die Wange, lächelte zittrig. „Du warst tödlich verletzt und er hat dich wieder zusammen geflickt. Er steht kurz davor international als bester Arzt anerkannt zu werden. Das würde er nicht, wenn er nicht in der Lage wäre ein Stück Metall aus mir heraus zu holen und die Wunden zu behandeln.“
„Ich kann mich nicht daran erinnern, wie gut er ist.“
„Vertrau mir.“
Er schluckte schwer und schloss kurz die Augen, nickte dann aber. „Okay.“
„Sind Vaughn und Miles auch in Ordnung?“
Etwas zerstreut nickte er einige Male, ehe er sich umsah und erneut nickte. „Ja, ihnen geht es gut. Vaughn hat den Schützen überwältigt und gefesselt und passt jetzt auf ihn auf, während Miles die Umgebung im Auge behält.“
Hinter ihm erschien Keanu, der sich eine Hand an die Seite drückte und mit der anderen Tevin eine Decke reichte. Dieser nahm sie entgegen und deckte mich zu, ohne auf das Blut zu achten.
„Wir sollten versuchen die Blutung zu stoppen.“, murmelte ich, „Kompressen auf die Wunde drücken oder so.“
„Wir müssten Kompressen im Erste Hilfe Kasten haben.“, bemerkte Miles, woraufhin Keanu wieder zum Auto ging.
„Keanus Wunden sollten auch behandelt werden.“, merkte ich an und folgte ihm mit meinem Blick so weit ich konnte. „Sonst verliert er zu viel Blut.“ Er war bereits blass und ein feiner Schweißfilm hatte sich auf seiner Haut gebildet.
„Okay.“
Als Keanu mit dem Erste Hilfe Kasten zurück kam, nahm Tevin auch diesen entgegen und durchsuchte ihn, ehe er einige Kompressen auf die Decke legte. Daneben legte er eine Schere und zwei große Pflaster.
„Denkst du, das wird reichen?“, fragte er Keanu und deutete auf die Pflaster. „Hier ist auch eine Mullbinde.“
„Es muss reichen. Mit der Binde können wir die Kompresse für Vilija fixieren, bis der Arzt da ist.“
Ich schluckte leicht und atmete kurz durch, ehe ich die Decke beiseite und mein Shirt hoch zog, jedoch ohne einen Blick hinunter zu wagen. „Sieht es schlimm aus?“ Das Shirt war in meiner Hand ganz feucht vom Blut.
Als ich einen Blick auf die Männer warf, stellte ich fest, dass Tevin ganz bleich geworden war. Dann, ohne ein Wort zu verlieren, legte er eine Kompresse auf die Wunde und drückte zu, woraufhin ich schmerzhaft zischte.
„Entschuldige.“, presste er hervor und griff nach dem Mull, um es mir um die Taille zu wickeln.
Nachdem er es mit Klammern befestigt hatte, deckte er mich wieder zu und wendete sich dann an Keanu, der sich eine Kompresse bereits vorn auf die Wunde drückte. Mit Tevins Hilfe befestigte er die Kompressen mit den Pflastern auf den Wunden und setzte sich dann zu mir.
„Alles okay bei dir?“, fragte er aufmerksam und warf einen Blick auf den Verband.
Ich nickte schweigend und grub die Finger in die Decke. „Und bei dir?“
„Mach dir um mich keine Sorgen, okay. Es ist nur eine Fleischwunde.“
„Okay.“, murmelte ich, schluckte aber schwer.
Kurz darauf hörte ich das Quietschen von Reifen, als Drew offensichtlich scharf bremste, ehe er aus dem Auto stieg und herüber kam.
„Wie siehts aus?“, wollte er wissen und kniete sich neben mich. „Hallo Vilija.“
Mühselig lächelte ich ihn an. „Hey Drew.“
Sorge huschte über sein Gesicht. „Hast du Schmerzen?“
„Ja.“
„Ich bring das in Ordnung, okay.“
Ich nickte und musste einen Moment die Luft anhalten, weil der Schmerz kurz übermächtig wurde. Im nächsten Moment zog Drew die Decke beiseite und wurde starr. Als ich zu ihm aufsah, konnte ich sehen, wie es in ihm arbeitete.
„Ich würde sie lieber ins Krankenhaus bringen.“, meinte er an Tevin.
„Wir dürfen Vilija nicht allein lassen.“, bemerkte Miles, „Jemand muss bei ihr, bei Tevin und bei dem Täter bleiben.“
„Ich bleibe an ihrer Seite.“, entgegnete Drew daraufhin wie selbstverständlich, „Ich werde sie allein versorgen, ohne Schwester und sie hinterher mit zu mir nehmen. Bei mir ist sie sicher.“
Miles schwieg einen Moment. „In Ordnung. Nehmen Sie Keanu auch mit, seine Wunden sollten ebenfalls behandelt werden.“
Drew warf ihm einen kurzen Blick zu, ehe er nickte. „Natürlich.“
Im nächsten Moment schob er bereits die Arme unter mich und hob mich hoch, als würde ich kein Gramm wiegen. Als ich mich dabei unweigerlich bewegte, stöhnte ich vor Schmerz auf und grub meine Finger in sein Oberteil.
„Moment.“, hörte ich Tevin sagen, ehe er neben mir erschien. „Ich komme später mit Dad vorbei und hole dich ab.“
Es musste ihm schwer fallen mich mit Drew allein zu lassen, auch wenn er Arzt war, da Tevin sich nicht an ihn erinnerte. Er verließ sich voll und ganz auf das Vertrauen um das ich ihn gebeten hatte. „Ist gut.“
Er drückte mir noch einen sanften Kuss auf die Lippen, ehe er zurück trat und Drew mich, gefolgt von Keanu, schnellen Schrittes zum Auto brachte.
„Ich setze mich zu ihr auf die Rückbank.“, bot Keanu an und stieg ein, ehe Drew mich mit seiner Hilfe auf die Bank legte, sodass mein Kopf auf Keanus Schoß lag. Sein Blick glitt kurz zu meinem Verband, dessen Anblick ich entschieden auswich. „Geht es so?“, fragte er sanft, „Oder sind die Schmerzen so stärker?“
„Ich halte das aus.“
Keine Sekunde später fuhr Drew los. Die Zeit verging langsam und obwohl es bei der Geschwindigkeit nur wenige Minuten bis zum nächsten Krankenhaus sein dürften, fühlte ich mich, als seien wir Stunden unterwegs. Und mir wurde immer kälter.
„Wir haben die Decke am Strand gelassen.“, bemerkte ich.
„Ist dir kalt?“, fragte Drew und warf einen kurzen Blick durch den Rückspiegel.
„Sehr.“
Keanu streichelte mir liebevoll übers Haar. „Wir sind gleich da.“ Wieder glitt sein Blick an mir herab.
Als wir das Krankenhaus schließlich erreichten, brachte Drew mich auf direktem Wege in die Notaufnahme, wo er allerlei Befehle von sich gab. Ich hörte Menschen protestieren, doch letzten Endes war ich mit ihm allein in einem Raum, wo er mich auf eine Liege legte.
„Ich muss dir das Oberteil runter schneiden.“, erklärte er.
„Ich hab es eh nie wirklich gemocht.“, entgegnete ich, „Machst du das mit Betäubung oder in Narkose?“
„Für die Narkose ist leider keine Zeit. Ich müsste dich an Geräte anschließen.“ Nachdem er mir das Shirt vom Körper geschnitten hatte machte er eine Spritze bereit und sah mir ins Gesicht. „Du hast einiges an Blut verloren.“, erklärte er mir sanft, „Und du hast einen Schock. Deshalb ist dir so kalt. Ich werde die Kugel heraus holen, die Blutung stoppen und die Wunde schließen. Dann brauchst du eine Blutinfusion.“
„Okay.“
Er wirkte erstaunlich elegant, als er die benötigten Geräte zusammen suchte. „Ich gebe dir gleich die Spritze. Dann kannst du dich etwas entspannen.“
„Denkst du, es wurde eine Hauptschlagader getroffen?“
„Das kann ich nicht genau sagen.“, gab er zu, „Aber ich denke nicht, sonst hättest du noch mehr Blut verloren. Im schlimmsten Fall wärst du bereits verblutet.“
„Tevin ist damals auch nicht verblutet.“
Er wendete sich wieder mir zu und begann den Verband zu entfernen. „Die Krankenwagen sind mittlerweile mit Blutbeuteln für eine Infusion ausgerüstet. Das hat Tevin gerettet, bis wir im Krankenhaus waren.“
„Ist das nicht sogar deine Idee gewesen?“
Trotz der ernsten Situation lächelte er zu mir hoch. „Das stimmt.“ Dann sah er wieder herab und gab mir die Spritze. Ich wusste nicht, wie er das machte, aber bei ihm tat es nie weh. Liebevoll sah er abermals zu mir auf. „Wie fühlst du dich?“
Ich dachte kurz darüber nach. „Mir ist etwas schwindlig. Und kalt.“
„Okay, das hört auf, wenn ich dir eine Infusion gebe.“ Er zögerte kurz. „Ich möchte dich nicht allein lassen.“
„Ist okay ich schaff das.“
Er betrachtete mich ein wenig und schluckte dann, ehe er durchatmete. „Spürst du noch Schmerzen?“, fragte er wenig später.
„Nein.“
Daraufhin nahm er sich eine Pinzette und wendete sich der Wunde zu. „Es kann sein, dass es zwischendurch trotzdem weh tut. So tief dringt die Betäubung nicht. Sie ist nur oberflächlich.“
„Okay.“
„Tut mir leid.“
„Du tust dein Bestes. Ich weiß, dass es mir hinterher wieder besser gehen wird.“
Eine Weile lag ich einfach nur da und starrte an die Decke, während Drew die Kugel herausholte. Es hatte tatsächlich noch weh getan und ich spürte mein Blut an meiner Seite herunter fließen, doch es war nicht viel. Es war der Schwindel, der mir Sorgen bereitete. Daher war ich sehr erleichtert, als Drew mir einen neuen Verband anlegte.
„Bleib noch etwas liegen, ich werde Keanu herein holen und dann alles für die Infusion holen.“, erklärte er mir und streichelte mir über die Stirn. „Gleich geht’s dir besser.“
„Danke.“
Mit einem reizenden Lächeln beugte er sich zu mir herab und gab mir einen Kuss auf die Stirn, ehe eine Decke über mir ausbreitete und er ging. Wenige Sekunden später trat Keanu zu mir.
„Hey.“, begrüßte er mich und griff nach der Hand, die ich ihm reichte.
„Hey.“, entgegnete ich müde.
„Wie geht’s dir?“
„Die Betäubung wirkt noch, aber mir ist trotzdem kalt und schwindlig. Drew holt gerade alles für eine Infusion.“
Seine Haut fühlte sich an meiner kalten Hand sehr warm an, als er sie an seine Wange legte. „Du bist so ruhig. Hattest du keine Angst?“
„Doch. Aber bei Drew bin ich in guten Händen.“
„Er ist nicht allmächtig.“
„Aber er ist fähig.“
„Ich habe mir trotzdem Sorgen gemacht.“
Ich lächelte matt. „Tut mir leid.“
Mit einem Seufzen schloss er die Augen und drückte seinen Mund an meine Handfläche. „Jedes Mal, wenn ich den Verband sah, dachte ich, dass du verblutest.“
„Drew hätte das nicht zugelassen.“
„Dein Vertrauen in ihn ist unerschütterlich, hm?“
„Er hat Tevin dem Tod aus den Fingern gerissen. Natürlich vertraue ich ihm.“
„War Tevin so schwer verletzt?“
„Sein Becken war gebrochen und der Knochen wurde beim zweiten Aufprall aus seinem Körper gestoßen, sodass ein offener Bruch entstand. Dabei wurde die Hauptschlagader durchtrennt, also... Ja. Tevin wäre beinahe gestorben.“
Langsam entwich ihm die Luft aus der Lunge und er sah schweigend auf mich herab. „Ich hab das Gefühl, das war noch nicht alles.“
„Naja, Tevin hatte viele gebrochene Knochen. Es war nicht das erste Mal, dass seine rechten Finger gebrochen waren. Und dennoch hat er keinerlei Einschränkungen.“
„Wie viel Metall wohl in ihm drin steckt?“
Schwach lachte ich leise auf. „Nicht viel. Einiges hat Drew wieder herausgeholt.“
Als Drew wenig später zurück kam, hängte er mich an die Infusion und kümmerte sich um Keanus Wunde, ehe er wartete bis, der Beutel durchgelaufen war.
„Ich werde ein paar Beutel mitnehmen, damit wir die Infusion bei mir fortsetzen können.“, erklärte er und deutete auf eine kleine Kühltasche. „Denkst du, du kannst laufen?“
Vorsichtig setzte ich mich mit seiner Hilfe auf und rutschte ebenso vorsichtig an den Rand der Liege, ehe Drew sich abwendete um ein neues Oberteil für mich zu holen. Er gab mir eines der Shirts, die Krankenschwestern trugen. Ich zog es mir über.
„Ich denke, ich kann stehen.“, bemerkte ich dann und glitt vorsichtig von der Liege. „Aber ich fühle mich schwach.“
„Ich stütze dich.“, entgegnete Keanu daraufhin sofort und zog sich einen meiner Arme über die Schultern, ehe er einen Arm um meine Taille legte. „Geht das so?“
„Ja, danke.“
Die Fahrt zu Drew verlief glücklicherweise ereignislos. Mir fiel lediglich auf, dass es schon überraschend spät war, was mich nicht hätte wundern sollen, da es bereits recht spät gewesen war, als ich mit Keanu am Strand war. Ich war abermals erleichtert, als wir endlich bei Drew ankamen und ließ mir von Keanu helfen, als ich aussteigen und zum Haus gehen wollte.
„Geht’s?“, fragte er aufmerksam.
„Ja.“
Noch ehe wir in die Nähe der Tür kamen, öffnete Dani, Andrews Ehefrau, bereits die Tür. „Vilija! Lieber Himmel, was ist passiert?“
„Keine Sorge, Dani, es geht ihr wieder besser.“, entgegnete Drew und drehte sie zum Flur.
„Hast du da Blutbeutel? Braucht sie eine Infusion?“
„Mir geht’s schon viel besser, mach dir keine Sorgen.“, versuchte ich sie zu beruhigen und lächelte leicht.
„Na komm, lass uns rein gehen. Ist das Essen schon fertig?“
Ich seufzte leise, als ich den Geruch von Schweinebraten wahrnahm. „Oh, ich verhungere.“
„Das ist immer ein gutes Zeichen.“ Drew lächelte mich leicht an. „Ich mache dir das Gästezimmer fertig. Es wäre mir lieber, wenn du noch ein bisschen bleibst.“
„Kein Problem.“
Keanu half mir gerade ins Haus, als Rin auch schon in der Wohnzimmertür erschien und die Augen aufriss.
„Vivi!“, rief sie aus und kam herüber. „Geht es dir gut? Tevin sagte, es sei wichtig, aber du bist ja ganz blass.“
Ich winkte hektisch ab. „Ja, dein Dad hat sich um alles gekümmert.“
„Oh, warte mal ab, bis dein Dad da ist.“, bemerkte Drew amüsiert.
Ich stöhnte auf, erinnerte mich dann aber an meine eigene Angst nach meinem Albtraum und verzog das Gesicht. „Kann ich mich irgendwo hinsetzen?“
Rin winkte mich zum Wohnzimmer. „Klar. Wir spielen gerade Karten, vielleicht lenkt dich das ab.“ Sie blinzelte Keanu einen Moment an, drehte sich dann aber um, woraufhin wir ihr folgten.
„Das ist übrigens Keanu.“, stellte ich ihn nebenbei vor, „K, das ist Amarin.“
„Nett dich kennen zu lernen.“, bemerkte sie und lächelte ihn kurz an, ehe sie auf zwei Jungs deutete, die auf der Couch saßen. „Das sind Dylan und Aerin.“ Dann deutete sie auf mich. „Das ist Vilija.“ Als wir uns setzten, sah sie mich neugierig an. „Was ist nun passiert? Du musst Blut verloren haben.“
„Sie sah aus, als würde sie jeden Moment verbluten.“, stimmte Keanu zu.
Ich seufzte schwer. „Ich war mit ihm am Strand und wir haben uns unterhalten. Vaughn war bei uns und Miles kam gerade mit Tevin an.“
Amarin hob die Brauen. „Wer sind Vaughn und Miles?“
Einen Moment zögerte ich und verzog den Mund, ehe ich vor dem Haus ein Auto hörte. „Das müssen Dad und Tevin sein.“, bemerkte ich und versuchte durch das Fenster etwas zu erkennen.
Gleichzeitig kam Drew mit einem Infusionsständer herein. „Bleib am besten hier sitzen.“, riet er mir, „Wir essen heute einfach hier. Ich werde den Tisch rüber holen, damit für alle genug Platz ist.“ Er hängte mich an den Beutel und rieb sich den Nacken. „Dani sagte, dass Levin angerufen hat, ehe er losgefahren ist. Sieht so aus, als würden wir ein volles Haus bekommen.“
„Wir können gehen, wenn wir stören.“, bot Aerin an, woraufhin Rin sofort abwehrend die Hände hob.
„Aber nein, ganz und gar nicht. Verspricht mir nur nicht überall herum zu erzählen, dass ich ganz viele Promis kenne.“
„Promis?“, hakte Dylan überrascht nach.
Ich seufzte schwer und wenig später kam auch schon Dad herein.
„Vilija, geht es dir gut?“, fragte er, kam herüber und zog mich an sich.
Ihm folgte Mom, der Tränen in die Augen traten, als sie mich sah. „Oh, Vilija, Liebes.“
„Mir geht’s gut.“, beschwichtigte ich die beiden und schlang die Arme um Dad. Tevin stand in der Wohnzimmertür und starrte finster auf Enio, den er festhalten musste, während Cynthia sich neben Rin auf die Couch setzte.
„Hallo Vilija!“, begrüßte sie mich, „Tevin sagte, du wurdest angeschossen. Stimmt das?“
Rin schnappte nach Luft und die beiden Jungs, die aussahen wie Zwillinge, sahen mich ungläubig an. Der einzige Unterschied war eine Brandnarbe in Aerins Gesicht und an seinem Hals.
„Keanu wurde auch getroffen.“, antwortete ich.
„Wirklich?“, hakte Cynthia nach, „Hat das weh getan?“, fragte sie dann den Hawaiianer.
„Sehr.“, gab er zu, „Es tut noch immer weh.“
„Ich werde dir noch viel mehr weh tun, wenn du nicht die Finger von ihr nimmst.“, rief Tevin herüber, woraufhin Keanu ihm finstere Blicke zuwarf und den Arm von meiner Taille löste.
„Ihr solltet ihr etwas Ruhe gönnen.“, ging Drew glücklicherweise dazwischen, „Sie ist zwar stabil, aber der Tag war schon aufregend genug.“
Dad küsste mich nochmal auf die Stirn, ehe er sich von mir löste und sich an Drew wendete. „Danke für deine Hilfe.“
„Ich helfe gerne.“
Mom drückte mich ebenfalls nochmal an sich, flüsterte mir einige tröstende Worte ins Ohr und küsste mich aufs Haar, ehe sie zu Dani in die Küche ging. Unterwegs nahm sie Tevin Enio ab, der daraufhin zu mir kam und sich auf meine andere Seite setzte.
„Wo sind Vaughn und Miles?“, fragte ich ihn.
„Die schauen sich mit den anderen in der Umgebung um, um unsere Sicherheit zu garantieren.“ Letzteres setzte er in Anführungszeichen, woran ich erkannte, dass er zitierte. „Möchtest du etwas trinken? Wenn du Schmerzen hast, gibt Drew dir bestimmt etwas dagegen.“
„Etwas zu Trinken wäre wundervoll. Ein Schmerzmittel wäre auch nett.“
„Okay, ich bin gleich wieder da.“ Sanft küsste er mich auf den Mund, dann nochmal auf die Schläfe, und stand dann auf.
Daraufhin sah ich wieder zu Rin. „Tut mir leid. Ich hoffe, ich habe dir nicht den Abend zerstört.“
Sie winkte ab. „Nein nein. Ich bin nur froh, dass nichts schlimmeres passiert ist.“ Sie sah zu Keanu, der ebenfalls aufgestanden war und sich mit Drew unterhielt. „Ist das der Keanu?“, fragte sie dann etwas leiser und beugte sich etwas herüber.
Ich lächelte matt. „Keanu Kahoku.“, stimmte ich zu.
Ihre Augen weiteten sich einen Moment. „Ich wusste gar nicht, dass dein Freund ein Firmenerbe ist.“
„Sag das nicht, wenn Tevin das hören kann.“ Ich zögerte kurz. „Ich bin nicht mehr mit Keanu zusammen.“
„Das habe ich mir bei dem Kuss schon gedacht, aber ihr seid doch trotzdem befreundet, oder?“
„Ja. Es ist alles nur sehr schwierig zur Zeit.“ Abermals verzog ich das Gesicht.
„Jetzt weiß ich woher ich dich kenne.“, bemerkte Dylan plötzlich und deutete auf mich. „Ich hab dich auf Plakaten gesehen.“
Aerin rollte neben ihm mit den Augen.
„Ja.“, stimmte ich nur zu, „Ich hab eine Zeit lang als Modell gearbeitet. Ich war auch in Werbespots.“, fügte ich mit gerümpfter Nase hinzu.
„Und dein Freund da ist Firmenerbe?“ Er sah zu Keanu.
„Ja. Er musste die Firma frühzeitig übernehmen, weil seine Eltern nach einem Unfall nicht mehr fähig waren die Firma weiterzuführen.“
„Das ist schrecklich.“, bemerkte Rin berührt.
„Die Eltern scheinen ein geringeres Problem damit zu haben als Keanu.“, entgegnete ich säuerlich, „Er wollte diese Firma nie und nun wurde er ins kalte Wasser geworfen. Er musste sie übernehmen.“
„So etwas passiert leider noch immer.“, bemerkte Aerin, „Unsere Eltern wollen uns ebenfalls in ihre Geschäfte hineindrängen.“
„Dich wollen sie drängen.“, korrigierte Dylan, „Ich steige gerne ein.“ Sein Blick glitt über meine Familie. „Dein Vater kommt mir auch bekannt vor.“
„Rin hatte schon irgendwie Recht, als sie das Wort Promi fallen ließ. Wir sind keine Schauspieler, aber- Oh Danke.“ Ich lächelte Tevin an, als er mir ein Glas mit Saft reichte und eine Decke um mich legte. „Jedenfalls ist Dad der Stellvertretende und zukünftige Leiter von B&D Industries.“
Dylan schwieg eine Weile. „B&D? Wirklich? Ist das nicht die Partnerfirma von EIC?“
„Ja.“
Er rieb sich über den Mund. „Dann... bist du Mr. van Dan schon begegnet?“
„Noch nicht.“ Ich trank ein paar Schlücke und zuckte zusammen, als ich Dads Stimme hinter mir hörte.
„Du lernst ihn nächste Woche kennen.“, merkte er an, „Er kommt mit seiner Frau zum Essen.“
„Sie kommen zu uns? Ist unser Haus nicht ein bisschen zu... normal für sie?“
Er lachte leise. „Warum sollte es? Oder ist dieses Haus hier etwas besonderes, nur weil der weltbeste Arzt hier wohnt?“
„Da hat er Recht.“, bemerkte Amarin.
Ich seufzte. „Stimmt.“
Als Enio in der Küche anfing zu schreien, seufzte Dad tief und verließ das Wohnzimmer.
„Irgendwann hänge ich ihn wirklich an den Füßen auf.“, bemerkte Tevin.
„Das wirst du nicht.“, widersprach ich amüsiert.
Seine Hand glitt über meinen Rücken. „Nicht, wenn du in der Nähe bist.“
„Wie läuft eigentlich dein Studium?“, fragte Rin und sah zu Tevin, „Ist es schwierig nach dem Gedächtnisverlust?“
„Nein.“, antwortete er ehrlich, „Das alltägliche Leben ist schwerer. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich in alles eingewöhnt habe. Aber so langsam kommen ein paar Sachen wieder.“
„Wie ist das passiert?“, fragte Aerin, „Der Verlust, meine ich.“
„Ein zweifacher Autounfall.“ Tevin dachte einen Moment nach. „An den Unfall selbst erinnere ich mich nicht, aber laut Vilija wurde ich von jemandem angefahren und...“ Er zog nachdenklich die Brauen zusammen, ehe er fragend zu mir sah.
„Er rollte von der Motorhaube und wurde von einem anderen Auto mitgenommen.“, fuhr ich fort, „Er erlitt viele Knochenbrüche und andere Verletzungen. Unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma.“ Ich lehnte mich an ihn und bettete meinen Kopf an seiner Schulter.
„Hast du es gesehen?“, fragte Dylan neugierig.
„Ja. Es war grauenhaft. Ich dachte, er sei tot.“
Tevin, der mir den Arm um den Körper gelegt hatte, rieb mir aufmunternd über den Arm und rieb seine Lippen an meiner Schläfe. „Ich bin hier.“
„Ich glaube, wir haben genug über schreckliche Dinge gesprochen.“, hob nun Rin an und griff nach den Karten. „Lasst uns doch noch etwas spielen.“
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Tag der Veröffentlichung: 04.03.2017
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