Ungeduldig stand ich mit Mamytė am Flughafen und wartete auf Tėtis. Er war für 4 Wochen in Litauen und kam heute Abend zurück.
„Dauert es noch lange?“, wollte ich wissen und sah zu Mommy auf.
„Nein, nur noch ein paar Minuten.“, antwortete sie liebevoll.
Ich schlang die Arme um ihr Bein und lehnte meinen Kopf an ihre Hüfte, weil er langsam schwer wurde. Den ganzen Tag hatte ich mich darauf gefreut ihn endlich wiederzusehen und jetzt dauerte es noch länger.
„Warum dauert es so lange, Mommy?“
Sie legte mir ihre Hand auf den Schopf. „Er muss noch sein Gepäck holen, mein Schatz.“
Wir warteten noch eine ganze Weile, wobei ich merkte, dass Mamytė ungeduldig wurde. Plötzlich tauchte ein Junge auf und sah mich neugierig an.
„Wer bist du?“, wollte er wissen.
Ich versteckte mich schüchtern hinter den Beinen meiner Mutter und hielt mich an ihr fest. „Mein Name ist Vilija Kemmesies. Und wer bist du?“
Er rümpfte die Nase. „Das ist aber ein komischer Name.“
Ich drückte mich etwas näher an Mamytė.
„Ich bin Tevin McCourtney.“, meinte er irgendwann, „Magst du spielen?“
Einen Moment fragte ich mich, ob ich es bemerken würde, wenn Tėtis wieder kam, wenn ich mit ihm spielte. Dann schüttelte ich den Kopf. „Ich warte auf meinen Papá.“, antwortete ich dann.
„Gut. Dann warte ich mit dir.“, entgegnete er und stellte sich neben mich. „Wie alt bist du?“
„Ich bin fünf. Und du?“, fragte ich neugierig zurück.
„Sechs.“
„Schon?“
„Ja. Ich warte auf meinen Onkel. Er kommt aus Rumänien.“
„Mein Papá war in Litauen.“
Er lächelte. „Mein Onkel war viel weiter weg.“
„Stimmt gar nicht!“, warf ich ein, „Mein Papá war viel weiter weg.“
„Sie waren beide gleich weit weg.“, korrigierte Mamytė leise lachend.
Schweigen breitete sich aus. Ungeduldig sah ich wieder zu der Tür, durch die Papá immer kam und hoffte, dass er bald wieder da war. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis er endlich durch die Tür kam.
„Papá!“, rief ich jubelnd aus und lief auf ihn zu.
Er lächelte mich an, ging in die Knie und fing mich auf, als ich ihm in die Arme lief. Kurz danach kamen auch Mamytė und Tevin zu uns. Tevin fiel Papá erst auf, als er Mommy begrüßt hatte, die seinem Blick verwundert folgte.
„Musst du nicht zu deiner Mutter?“, fragte sie ihn.
Sofort sah er zu ihr auf. „Zu Mutter? Nein. Sie ist weggeflogen. Sie sagte, ich soll hier warten, bis man mich abholt.“
„Bis man dich abholt?“, wiederholte Mommy entsetzt.
Er nickte. „Sie sagt, Onkel Aidan kommt her und holt mich ab.“ Nun begann er zu lächeln. „Er kommt extra aus Rumänien her.“
Ich sah noch, dass sie sich zu ihm hockte, bevor ich an Papás Schulter einschlief.
Müde streckte ich mich und kuschelte mich an meinen Bruder. Wir haben mal wieder im selben Bett geschlafen, obwohl sein Bett direkt nebenan war.
Als mein Wecker abrupt zu klingeln begann, murrte Tevin müde und griff danach um ihn auszuschalten.
„Guten Morgen.“, flötete ich gut gelaunt und lächelte in sein verschlafenes Gesicht.
Träge öffnete er die Augen. „Hm?“
„Wir haben Mittwoch.“, meinte ich fröhlich, „Also steh auf, wir müssen zur Schule.“
„Noch fünf Minuten.“, nuschelte er.
„Das sagst du immer und dann wachst du nicht mehr auf.“, entgegnete ich und setzte mich an die Bettkante.
Sein Arm rutschte von meiner Tallie auf meinen Schoß, bevor er ihn um meine Hüften schlang und mich an sich zog.
„Leg dich wieder hin. Es wird kalt, wenn du weggehst.“
Amüsiert sah ich auf ihn herab. „Wir müssen aufstehen, Faulpelz. Kommst du duschen?“
„In einer Woche vielleicht.“
„Willst du wirklich eine Woche lang in den selben Klamotten herum liegen? Dann schläfst du solange aber in deinem Bett.“, ärgerte ich ihn belustigt.
Er atmete tief durch und sah aus dem Augenwinkel finster zu mir herauf. „Du liebst es mich zu quälen, oder?“
„Immer, Bruderherz. Jetzt steh auf. Ich hab Hunger.“
Ich brauchte eine geschlagene volle Minute, um mich von seinem Arm zu befreien, woraufhin er mich still dabei beobachtete, wie ich mir ein Outfit aussuchte.
„Dann geh ich eben allein duschen. Mamytė und Tėtis sehen es sowieso nicht so gerne, wenn wir zusammen ins Bad gehen.“, meinte ich schließlich und verließ das Zimmer.
Sofort hörte ich ein Rumpeln aus meinem Zimmer. Tevin hatte sich wohl aus dem Bett begeben und war auf dem Boden gelandet. Gerade als ich das Bad betrat, kam er in den Flur und folgte mir müde.
„Erpresserin.“, murmelte er und griff nach seiner Zahnbürste. Wie jeden Morgen begann er damit seine Zähne zu putzen und den Föhn bereit zu legen, während ich duschte. Danach ging er unter die Dusche, während ich mir die Zähne putzte und mir die Haare föhnte. Eine Viertelstunde später betraten wir putzmunter und frisch angezogen die Küche, in der Papá gerade das Frühstück machte und Mom uns vorwurfsvoll ansah. Meine kleine Schwester hatte bei einer Freundin übernachtet.
„Mach dir nichts draus, Liebling.“, meinte Papá, „Du kannst sagen was du willst. Sie tun es trotzdem.“
„Hast du schon wieder in ihrem Bett geschlafen?“, wollte sie von Tevin wissen.
„Äh... ja.“, antwortete er, „Sie konnte nicht schlafen.“
„Weil sie zu sehr daran gewöhnt ist, dass du bei ihr schläfst.“, erklärte Mom gereizt, „Ab heute schlaft ihr getrennt, verstanden? Und ihr geht auch getrennt ins Bad. Ich möchte, dass immer nur einer von euch im Bad ist, verstanden?“
Ich rollte mit den Augen. „Es passiert doch nichts.“, entgegnete ich.
„Genau deshalb möchte sie es doch.“, bemerkte Papá, „Ihr seid kein Paar, ihr seid Geschwister. Und Geschwister gehen nun mal nicht zusammen ins Bad, oder schlafen in eurem Alter nicht im selben Bett. In Eurem Alter scheuen sie sich sogar sich gegenseitig nackt zu sehen oder auch nur im selben Zimmer zu schlafen.“
Lange atmeten Tevin und ich aus, bevor wir uns nebeneinander an den Tisch setzten und Papá uns unser Frühstück hinstellte.
„Wir sind doch keine richtigen Geschwister. Da wird man sich doch auch anders behandeln können.“, warf ich ein.
„Aber ihr seid nun mal offiziell Geschwister. Sicher gibt es in einigen Dingen Ausnahmen, aber das heißt nicht, dass ihr zusammen ins Bad gehen könnt, wie... ein altes Ehepaar.“
Ich hob eine Braue.
„Sie meint wie ein frisch verliebtes Paar.“, korrigierte Papá und setzte sich zu uns an den Tisch. „Angenommen ihr hättet Partner. Würdet ihr dann immer noch miteinander eure Betten teilen oder zusammen ins Bad gehen?“
Ich zögerte ein wenig. „Nun... warum nicht?“
Mom seufzte leise. „Vielleicht weil es deinem Freund nicht gefallen könnte, wenn du mit deinem Bruder im Bad bist?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Was soll ich dann mit ihm?“
Tevin lachte leise.
„Vivi, stell dir vor Tevin hat eine Freundin und hat sie zu Besuch.“, erklärte Dad geduldig, „Würdest du daneben liegen wollen, wenn sie miteinander intim werden wollen?“
Ich starrte ihn an. Dann schüttelte ich den Kopf. „Er hat ja keine Freundin.“
Tevins Bewegungen wurden etwas langsamer.
„Er kommt aber langsam in das Alter, in dem man gerne eine Freundin hätte. Und du kommst in ein Alter, in dem man gerne einen Freund hätte. Ihr seid 17 und 18. Eigentlich seid ihr schon voll in dem Alter drinnen. Wurdet ihr etwa noch nie geküsst?“
Zögernd sah ich auf mein Frühstück herab. Ich wurde noch nie geküsst. Tevin dagegen...
„Ich schon.“, meinte er.
Mom sah ihn überrascht an. „Wann?“
Mit einem Seufzen wand ich den Blick ab und aß schweigend mein Frühstück, während Tevin davon erzählte, wie eines der wunderschönsten Mädchen der Schule ihn Montag geküsst hatte.
„Und wie heißt sie?“, wollte Mom neugierig wissen.
„Diana.“, antwortete er mit einem Lächeln, „Ich treffe mich morgen mit ihr.“
Abrupt sah ich zu ihm auf. „Das hast du mir gar nicht erzählt.“
„Nun...“ Er hob eine Schulter. „Du hast nicht gefragt.“
Sofort drehte ich mich wieder um, woraufhin Papá mir einen fragenden Blick zuwarf. Statt etwas zu sagen verputzte ich schnell mein Frühstück, stand auf und ging in den Flur.
„Ich geh dann zur Schule.“, rief ich, während ich nach meiner Tasche griff.
„Warte noch!“, rief Tevin zurück.
Ich ignorierte es, verließ das Haus und machte mich auf den Weg zur Schule. Glücklicherweise erwischte ich noch den Bus, sodass ich lange vor Tevin an der Schule sein würde. Die Fahrt dauerte etwa zehn Minuten und der nächste Bus kam erst in zwanzig Minuten.
Mit einem Seufzen ging ich direkt in meine Klasse und setzte mich auf meinen Platz, wobei ich meinen Kopf auf meine Arme legte und trübe an die Tafel sah.
Gut, dann trifft er sich eben mit Diana. Das heißt ja nichts, oder? Sie sind dann ja nicht gleich zusammen. Sie treffen sich nur. Wie Teddy und ich uns ab und zu treffen.
Ich seufzte erneut und bemerkte am Rande, dass sich mein bester Freund neben mir auf seinem Platz nieder ließ.
„Schon da?“, wunderte er sich.
„Jep. Bin früher losgegangen.“, antwortete ich.
„Ich hab Tevin eben gar nicht gesehen.“
„Er kommt später.“
Überrascht hielt er inne und sah zu mir herab. „Du bist ohne Tevin gegangen?“
„Ja. Warum nicht?“
„Naja... ihr geht sonst immer zusammen zur Schule. Außer einer von euch ist krank, aber dann ist kurz darauf ja auch der andere krank. Wenn nicht sogar sofort.“
„Ich bin nun mal allein zur Schule gegangen.“, entgegnete ich gereizt, „Ich muss ja nicht ständig bei ihm sein.“
„Das hab ich ja nicht gesagt. Es ist nur... etwas auffällig. Und ungewohnt. Es ist halt anders als sonst. So als würde es regnen, obwohl nicht eine einzige Wolke am Himmel ist. Oder als wäre es dunkel, obwohl die Sonne scheint.“
„Ich bin durchaus in der Lage allein herzukommen.“
„Das weiß ich. Ich bin nur... überrascht.“ Er zögerte etwas. „Warum bist du allein gegangen?“
„Mir war danach.“, murmelte ich halblaut.
„Ist etwas passiert?“
„Nein, alles okay.“
Ich wusste, dass er wusste, dass ich ihm etwas vorenthielt, doch er sagte nichts.
Ob Tevin und Diana sich schon länger kannten? Vielleicht hatten sie sich mittlerweile schon öfter geküsst. Oder viel früher und er hatte mir einfach nur nichts gesagt. Aber heute morgen hatte er den Montag angesprochen, also musste das ihr erster Kuss gewesen sein. Haben sie vielleicht noch mehr getan, als sich zu küssen?
„Kommst du in der Pause wieder mit auf die Wiese?“, wollte Teddy plötzlich wissen.
Ich schüttelte kurz den Kopf, um ihn frei zu bekommen. „Klar.“, antwortete ich dann und lächelte Teddy leicht an.
„Irgendwas beschäftigt dich.“
Ich winkte ab. „Ich bin nur etwas nervös, wegen der Arbeit heute.“
Er lächelte erleichtert. „Stimmt. Die schreiben wir heute ja auch noch.“
„Bist du auch nervös?“, fragte ich ihn zaghaft.
Mit einem Nicken sah er nach vorn. „Ein wenig. Immerhin hängt davon ab, ob wir mit auf die Klassenfahrt dürfen.“
Vor der Klassenfahrt hatte ich mich bisher immer gefürchtet, weil ich dann zwei Wochen von Tevin getrennt sein würde. Doch nun...
„Das schaffen wir schon.“, meinte ich optimistisch, „Wir brauchen ja nur 80% der Arbeit richtig zu haben.“
Er hob eine Braue. „Vorgestern hast du noch darüber nachgedacht die Arbeit mit Absicht zu verhauen.“
Ich winkte ab. „Ich möchte mitkommen. Wirklich.“, fügte ich noch hinzu, als er mich skeptisch ansah.
„Nun dann... Stellen wir dann unsere Zelte nebeneinander?“
Ich nickte. „Klar.“
Er lächelte mich an. „Gut.“
Das Lächeln erwidernd sah ich nach vorn, als der Lehrer die Klasse betrat, unter dem Arm die Bögen für die Arbeit.
Du darfst die Arbeit auf keinen Fall verhauen, Vilija.
Mit einem Stöhnen ließ ich mich in das Gras fallen und sah an den Himmel. „Meine Güte, war das anstrengend.“
Teddy ließ sich neben mich fallen. „Das kannst du laut sagen.“
„Hab ich das nicht gerade?“
Leise lachend sah er zu mir. „Konntest du Nummer 5?“
„Sie war ziemlich schwer.“, antwortete ich, „Ich kann nur beten, dass die Antwort richtig war.“
„Was ist dein Ergebnis?“
„Ich hab 253 Meter raus. Und du?“
Erleichtert atmete er aus und folgte meinem Blick an den Himmel. „253 Meter.“
„Und was hast du bei Nummer 7 angekreuzt?“
„F. Ich bin mir aber nicht so ganz sicher.“
Ich murrte. „Ich hab C angekreuzt. Wir haben sie wahrscheinlich beide falsch.“
„Wahrscheinlich. Es würde mich wundern, wenn sie überhaupt jemand richtig hat.“
„Udo hat sie sicher richtig.“
Er lachte leise, als ich unsere Mathematiklehrer beim Vornamen nannte. „Udo Karlson. Schräger Name für einen Amerikaner.“
Mein Mundwinkel zuckte. „So wie Theodore Vencino?“
Er stieß mich leicht an. „Das ist nicht fair.“
„Es ist die Wahrheit.“, entgegnete ich, „Was glaubst du, warum nenne ich dich Teddy?“
„Weil ich so flauschig bin.“
Laut lachend drehte ich mich auf die Seite, bis mir vor Lachen der Bauch weh tat. Ihm ging es genauso. Teddy war schlaksig, hatte kurze Haare und so wenig Körperbehaarung, dass man ihn manchmal damit aufzog. Außerdem war er zu anderen oft etwas rau und hatte rein gar nichts flauschiges an sich. Seine Grünen Augen erinnerten mich eher an eine grüne Raupe und sein schwarzes Haar erinnerte bestenfalls an einen Grizzlybären. Er sah einem Freund meiner Mutter ziemlich ähnlich.
„Jetzt werde ich tagelang einen Muskelkater haben.“, bescherte ich mich halbherzig.
„Du hast damit angefangen, also gib nicht mir die Schuld.“, entgegnete er, immer noch leise lachend. Plötzlich setzte er sich auf, atmete leise durch und sah über den Schulhof. „Mit dir habe ich immer den meisten Spaß.“, bemerkte er.
„Wir haben immer sehr viel Spaß, da hast du Recht.“, stimmte ich zu.
Eine Weile schwieg er und saß einfach nur da. „Hast du manchmal auch dieses Kribbeln im Bauch?“, wollte er irgendwann wissen, „Als wären da tausende Schmetterlinge, die dich kitzeln?“
Eine Weile dachte ich über die Frage nach. „Ab und zu, wenn ich über etwas nachdenke.“, antwortete ich schließlich.
„Woran denkst du dann?“
Ich setzte mich auf und beugte mich ein wenig vor, um ihm ins Gesicht zu sehen, doch er hatte den Kopf in einem Winkel, bei dem ich sein Gesicht nicht sehen konnte. „Warum fragst du?“, wollte ich von ihm wissen.
„Weißt du, ich... Wir kennen uns schon ziemlich lange.“
„Seit der ersten Klasse.“, stimmte ich zu.
„Seit dem Vorschulkindergarten, um genau zu sein.“, ergänzte er, „Wir haben da nur nicht miteinander gesprochen.“
Einen Moment dachte ich nach, nickte aber dann. „Stimmt. Ich erinnere mich. Du warst ziemlich schüchtern, damals. Wenn ich so daran denke, warst du eigentlich sogar ziemlich süß, mit deinem Strubbelkopf und deinen Pausenbäckchen.“
Sein Hals wurde ein wenig rot. „Ich fand, du warst schon damals ein wunderschönes Mädchen.“
Ich blinzelte überrascht. „So?“ Angestrengt versuchte ich mich daran zu erinnern, wie ich ausgesehen hatte. „Jaydon sagt immer, ich sei goldig gewesen, aber wunderschön?“
„Oh, du bist immer noch goldig.“, warf er ein hinauf in den Himmel, „Aber auch wunderschön. Dein Grübchen macht mich manchmal richtig wahnsinnig.“
Ich lächelte unsicher. „Ich hab doch gar kein Grübchen.“
„Doch. Auf deiner rechten Wange.“ Er seufzte leise. „Man sieht es, wenn du Tevin anlächelst.“
„Werde ich mir wohl mal ansehen müssen.“, bemerkte ich. Er benahm sich irgendwie seltsam. „Ist alles okay?“
Er nickte. „Ja. Alles bestens.“
Auch ich merkte, wenn er mir etwas vorenthielt, doch ich sagte nichts. Und er wusste, dass ich es wusste.
„Also... hast du später Lust ein Eis essen zu gehen?“
„Klar, warum nicht? Setzen wir uns dann wieder an den Brunnen?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich meine so richtig.“
„Kann man ein Eis denn falsch essen?“, fragte ich skeptisch nach, „Wir essen unser Eis immer am Brunnen.“
Diesmal seufzte er. Er seufzte tief. Sehr tief.
„Du musst eine ganz schön große Lunge haben, um so tief einzuatmen.“
Ausdruckslos sah er zu mir herab.
„Was denn?“
Plötzlich begann er zu lächeln, schüttelte den Kopf und legte mir einen Arm um die Schultern, um mich an sich zu ziehen. „Ach nichts. Mir ist nur wieder eingefallen, wie du nach unserem ersten Treffen ausgesehen hast.“
„Das war nicht witzig.“, warf ich ein, „Eis ist kalt.“
„Das hat es so an sich.“
Ein Murren war alles, was ich darauf erwiderte, bevor wir uns wieder an schwiegen. Als ich zu ihm auf sah, sah er ziemlich in Gedanken versunken aus. Er merkte nicht einmal, dass ich ihn beobachtete.
„Hast du schon mal an eine Beziehung gedacht?“, fragte er plötzlich.
„Was?“
„Ich meine... Würdest du gerne mal einen Freund haben?“
Nachdenklich zog ich die Brauen zusammen. „Sicher. Das möchte doch jedes Mädchen.“
„Und... gibt es da jemanden... den du gerne als deinen Freund hättest? Oder den du in Betracht ziehen könntest?“
„Im Moment?“
Er nickte, während er wieder auf den Schulhof sah.
„Ich bin mir nicht sicher.“
Nun sah er nachdenklich auf mich herab. „Nicht einen?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Wieso fragst du? Gibt es bei dir jemanden?“
„Ja.“, antwortete er ohne zögern, „Schon seit einer ganzen Weile.“
„Aber?“
Nun zuckte er die Schultern. „Ich weiß nicht. Ich werde erst einmal abwarten und sehen wie es sich entwickelt.“
„Ich wünsch dir viel Glück.“
Das zauberte ihm ein Lächeln ins Gesicht. Plötzlich legte er sich wieder ins Gras und seufzte laut. „Ich wünschte, die Pause würde nie zu Ende gehen.“
Ich legte mich auf dem Bauch neben ihn und sah ihm aufmerksam ins Gesicht. Lange sah er mit halb geöffneten Augen in den Himmel, bevor er zu mir sah und begann zu lächeln.
„Was ist?“, wollte ich wissen.
„Ach nichts.“
„Erzähl schon.“
„Mir fällt nur ständig auf, wie schön du bist, das ist alles.“
Warum sagt er das ständig? „Danke.“
„Bedanke dich nicht dafür.“
„Warum denn nicht?“
„Bedanke dich einfach nicht. Es ist für mich selbstverständlich es dir zu sagen.“
„Selbstverständlich?“
„Ja. Man sollte einer schönen Frau sagen, dass sie schön ist, damit sie es sich bewusst ist.“
Unwillkürlich lächelte ich und legte den Kopf ein wenig schräg, bevor ich ihn auf seine Brust legte. „Du bist ein ziemlich guter bester Freund.“
„Ich geb mir alle Mühe.“, antwortete er halblaut.
Wieder breitete sich Schweigen aus, wobei er mir einen Arm um die Tallie legte und mit der Hand des anderen Armes kleine Kreise auf meinem Rücken malte.
„Gehen wir nach dem Eis ins Kino?“, wollte er plötzlich wissen.
„Klar. Bezahlst du?“
„Natürlich.“
„Welcher Film?“
„Da läuft grad der Film Mit dir an meiner Seite.“
Überrascht sah ich zu ihm auf. „Du willst mit mir in einen Liebesfilm gehen?“
Sofort wurde er rot. „Ich dachte, er könnte dir gefallen. Wenn du möchtest, können wir danach auch noch in ein kleines Restaurant gehen.“
„Eis essen, Kino und ein Restaurant. Da wird dein Taschengeld ja ziemlich leiden.“
„Du bist es wert.“, entgegnete er und wich meinem Blick aus. „Wenn du möchtest, können wir auch etwas anderes machen.“
„Nein, das klingt toll.“
Er atmete erleichtert auf. „Gut.“ Als es dann zur Stunde klingelte, stöhnte wir beide auf, bevor wir uns auf dem Weg zur Klasse machten.
Nach der Schule machte ich mich auf den Weg zur Bushaltestelle, und freute mich darüber, dass Teddy mich dahin bringen wollte. Sonst begleitete mich immer Tevin, aber ich ging ihm ein wenig aus dem Weg. So kam es, dass er ganz überrascht war, mich mit Teddy bereits an der Haltestelle zu finden.
„Hallo Tevin.“, begrüßte Teddy ihn mit einem Lächeln.
„Ich fand es immer noch witziger, als Meridith total falsch gespielt hat und sie jeder angesehen hat, als sei sie eine Außerirdische.“, fuhr ich stattdessen fort.
Teddy lachte leise. „Stimmt, das war zum Kugeln. Und wie rot sie geworden ist.“
„Vilija?“
Ich drehte mich gespielt überrascht zu meinem Bruder um, als hätte ich ihn nicht bemerkt. „Oh Tevin.“ Ich sah kurz hinter ihm. „Diana gar nicht dabei?“
Verwirrt sah er auf mich herab. „Nein. Warum hast du nicht gewartet?“
„Ich wollte euch nicht stören.“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Ich meine heute morgen.“
„Ach so. Das meinst du.“ Einen Moment schwieg ich, bevor ich mit den Schultern zuckte. „Mir war danach.“
Damit drehte ich mich wieder zu Teddy, da der Bus kam. „Holst du mich dann später ab?“
Er nickte. „Um 15 Uhr bin ich da.“
„Gut. Bis dann.“
Ich winkte ihm noch kurz, bevor ich mit Tevin einstieg und mich auf einen Einzelplatz setzte. Tevin, der damit gerechnet hatte, dass wir wieder nebeneinander saßen, blieb mit einem Seufzen stehen und sah verwirrt zu mir herab.
„Was ist los?“, wollte er von mir wissen, „Du wartest nicht mehr auf mich, gehst mir in der Pause aus dem Weg und setzt dich auf einen Einzelplatz, statt mit mir auf einem Zweierplatz zu sitzen. Ganz abgesehen davon, dass du mich absichtlich nicht bemerkt hast, als Theodore mich begrüßt hat. Ist irgendwas passiert?“
„Nein, alles okay.“
„Vilija.“ Im Gegensatz zu Teddy wollte er immer wissen was ich ihm vorenthielt.
„Es ist nichts.“
Stur sah er wartend auf mich herab, doch ich ignorierte es so gut es ging und sah aus dem Fenster. „Ist es wegen Diana?“, wollte er wissen.
„Nein.“, entgegnete ich und schaffte es, mir nichts anmerken zu lassen. Es ist seine Sache, mit wem er sich trifft. Ich treffe mich auch mit Teddy und es ist ihm ebenso egal, wie es mir egal sein sollte, dass er sich mit Diana trifft.
„Jetzt erzähl mir was los ist.“, forderte er mich auf.
„Tevin, wenn etwas wäre, würde ich es dir dann nicht sagen?“
„Nein.“, antwortete er sofort, „Du versuchst es immer dann geheim zu halten, wenn es um mich geht. Jetzt erzähl mir was los ist.“
„Ich sag doch, dass nichts ist.“
„Du weißt genauso gut wie ich, dass es gelogen ist.“
Ich wollte gerade wieder sagen, dass alles okay war, als sein Handy klingelte und mich unterbrach. Er seufzte leise, holte es heraus und ging ran.
„Hallo Diana.“, meldete er sich.
Ich konnte es mir nicht verkneifen mit den Augen zu rollen, drehte mich zur Seite und beobachtete die Bäume, an denen wir vorbei fuhren. Als der Bus an unserer Haltestelle hielt, drängte ich mich einfach an Tevin vorbei und stieg aus, wobei ich es ignorierte, dass er mich begleiten wollte, obwohl er telefonierte. Das endete damit, dass ich schneller ging und er nicht hinterher kam, ohne zu laufen. Zuhause rief ich nur einen kurzen Gruß und ging dann direkt weiter in mein Zimmer. Eigentlich setzte ich mich noch mit Tevin ins Wohnzimmer zu meinen Eltern, aber heute wollte ich das am wenigsten.
In meinem Zimmer warf ich meine Tasche in die Ecke, schloss meine Tür ab und setzte mich an mein Fenster.
Ist es normal, dass es so weh tut, wenn er mit ihr spricht?
Mit einem seufzen öffnete ich das Fenster und ging hinaus auf meinen kleinen Balkon, wo ich mich mit den Unterarmen am Geländer abstützte und mein Kinn darauf legte, während ich eine Katze beobachtete, die im Nachbargarten lag und sich sonnte. Am Rande hörte ich, wie jemand an meine Tür klopfte, reagierte jedoch nicht, als ich Tevins Stimme hörte. Als ich wenig später hörte, wie er seine eigene Balkontür öffnete, ging ich wieder hinein und schaltete meine Anlage an. Das Lied Scarlet passte gerade viel zu gut.
Mit einem Seufzen legte ich mich in mein Bett und dachte eine Weile darüber nach. Tevin und ich kannten uns seit wir fünf und sechs waren und wuchsen wie Geschwister auf. Allerdings weigerten wir uns, getrennt zu schlafen und getrennt ins Bad zu gehen. So machten wie alles zusammen, was wir zusammen machen konnten. Bis heute.
Mein Blick fiel auf das Bild auf meinem Nachttisch. Wir hatten es vor zwei Wochen aufgenommen. Wir waren im Park, standen mitten auf der Wiese. Tevin stand hinter mir, hatte mir die Arme um die Tallie gelegt und den Kopf neben mir auf die Schulter gelehnt, während er mich anlächelte. Ohne zu zögern nahm ich das Bild und warf es in den Papierkorb an meinem Schreibtisch, bevor ich die Musik ein wenig lauter aufdrehte und mich wieder an mein Fenster setzte. Die Balkontür war noch offen, doch ich wusste, dass die Nachbarn die Musik nicht hören konnten. Dafür standen die Häuser zu weit auseinander.
Als es einige Zeit später an meiner Tür klopfte, zuckte ich so heftig zusammen, dass ich mir den Kopf an der Scheibe anstieß.
„Vilija?“
Ich sprang sofort auf, als ich Papás Stimme hörte, drehte die Musik ein wenig leiser und öffnete die Tür. „Ja?“
„Ist alles in Ordnung mit dir?“, wollte er besorgt wissen.
An die offene Tür gelehnt schwieg ich einen Moment, bevor ich langsam stumm den Kopf schüttelte.
„Möchtest du darüber reden?“
Erneut schüttelte ich den Kopf. Er seufzte leise, strich mir liebevoll über den Kopf und küsste mich auf die Stirn.
„Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst. Dein Freund Theodore wartet unten.“
„Danke. Ich bin gleich unten.“
Er nickte nur einmal und ging dann wieder herunter, woraufhin ich in mein Zimmer ging, Handy, Schlüssel und Brieftasche einsteckte und die Musik ausschaltete, bevor ich hinunter ging.
„Ich möchte sie euch gerne vorstellen.“, hörte ich Tevin gerade im Wohnzimmer sagen, „Ich bin mir sicher, dass ihr sie mögen werdet. Sie ist einfach fabelhaft.“
„Warum nicht?“, meinte Mom daraufhin, „Lade sie ruhig ein. Wie wäre es mit Übermorgen? Da mache ich einen Auflauf.“
Teddy wartete im Flur neben der Haustür und sah verwirrt zur Wohnzimmertür. Als er mich hörte, sah er zu mir auf und lächelte mich an.
„Bist du fertig?“, wollte er wissen.
„Moment noch.“, entgegnete ich und ging an die besagte Wohnzimmertür. „Ich gehe dann jetzt.“
Papá nickte wissend. „Hab einen schönen Abend.“
„Sei pünktlich wieder zuhause.“, meinte Mom.
„Bin ich. Hab ich. Bis später.“
„Und, Theodore?“
Teddy kam an meine Seite und sah meinen Vater fragend an. „Ja, Sir?“
„Pass auf meine Tochter gut auf.“
Teddy lächelte leicht. „Das mach ich Mr Kemmesies.“
„Dann viel Spaß euch zwei.“
Tevin konnte mich nur noch verwundert ansehen, bevor ich mich umdrehte und mit Teddy hinaus ging.
„Also als erstes steht Eis essen auf dem Plan.“, meinte er mit einem Lächeln und ging mit mir rechts die Straße hinab.
„Müssen wir nicht zur Haltestelle?“, wollte ich verwundert wissen und deutete hinter uns die Straße hinauf.
„Ich hab gehört, hier in der Nähe soll ein tolles Eiscafé sein.“, gab er zurück und bog mit mir in die nächste Straße ein.
„Das weiß ich nicht.“, gab ich zurück und war mit den Gedanken immer noch bei Tevin und Diana.
„Wir werden es schon finden. Und wenn nicht... dann gehen wir eben in einen Supermarkt und holen uns da das Eis.“
Unwillkürlich musste ich darüber lächeln und hakte mich bei ihm ein. „Was für ein Eis nimmst du?“
„Ach... ich weiß noch nicht. Und du?“
„Noch keine Idee. Irgendwas mit Erdbeersoße.“
„Also ich hätte ja gerne was mit Haselnusseis.“
Ich stöhnte leise vor Wonne. „Hmmm... Haselnusseis.“
Den Rest des Weges spekulierten wir darüber welches Eis das beste war. Am Ende kamen wir beide dann zu dem Entschluss, dass Spaghetti-Eis das beste von allen war.
„Erdbeersoße, Vanilleeis und Sahne sind nun wirklich eine super leckere Kombination.“, stimmte ich zu und betrat mit Teddy schließlich das gemeinte Eiscafé.
„Gut, dann wüssten wir ja eigentlich auch schon was wir essen wollen.“, stimmte Teddy zu und setzte sich mit mir an einen Tisch für zwei.
„Zwei Spaghetti-Eis.“, stellte ich fest, „Ich bekomme deine Erdbeersoße, ja?“
„Nur, wenn ich deine Sahne bekomme.“
„Schade.“
Sein Mundwinkel zuckte. Beinahe sofort kam dann auch schon ein Kellner.
„Was darf es sein?“, fragte er freundlich.
„Zwei Spaghetti-Eis, bitte.“, bestellte Teddy ebenso freundlich.
„Wenn sie das Paar-Angebot nutzen, bekommen Sie ein großes Eis für zwei zum Preis von einem.“, bot er an und sah zwischen uns hin und her.
Teddy sah mich fragend an. „Wir sind kein Paar.“
Der Kellner zuckte die Schultern. „Muss man denn ein Paar sein, um das Angebot nutzen zu können?“
„Da hat er Recht.“, meinte ich darauf und hob eine Braue. „Ich wäre dafür, dann bezahlst du nicht so viel.“
Einen Moment starrte Teddy mich an, bevor er zum Kellner auf sah. „Dann einmal das Paar-Angebot.“
„Mit Spaghetti-Eis, ja?“
Mein bester Freund sah ihn fragend an, woraufhin der Kellner geduldig erklärte, dass es das Angebot für mehrere Eiskreationen gibt. Schließlich wiederholte Teddy, dass wir Spaghetti-Eis wollten, woraufhin der Kellner sich daran machte uns eins zu besorgen.
„Wenigstens bekommen wir jetzt das Eis.“, meinte er und wand sich wieder an mich.
„Das ist die Hauptsache.“, stimmte ich zu.
Und so vertieften wir uns wieder in kleine Albereien und Gesprächen, während wenig später unser Eis kam, welches wir zu zweit genüsslich verspeisten.
„Außerdem finde ich ja, dass es sich nicht gehört, jemanden dann noch auszulachen.“, meinte ich irgendwann und sah zu Teddy auf, „Meinst du nicht auch?“
Er nickte zustimmend und häufte ein wenig Eis auf seinen Löffel. „Du hast Recht. Es ist nicht nur unhöflich sondern auch noch demütigend für die betroffene Person.“
„Ja. Deshalb kann ich dann einfach nicht lachen. Ich meine-“
Abrupt hielt ich inne, als Teddy mir den Löffel mit Eis hinhielt. Er wurde etwas rot, als ich ihn verwundert ansah. Einen Moment zögerte ich noch, öffnete dann aber zaghaft den Mund, woraufhin er mich mit dem Eis fütterte. Als er den Löffel wieder aus meinem Mund zog, lächelte er ein wenig, während ich den Geschmack auf meiner Zunge zergehen ließ.
„Ich hoffe, es schmeckt dir.“, meinte er zaghaft.
Aus einem mir unbekannten Grund musste ich einfach lächeln. „Ja. Ja, es schmeckt mir.“
Prompt landete der nächste Löffel vor mir, woraufhin ich nun bereitwilliger den Mund öffnete.
Eine dreiviertel Stunde später betraten wir zusammen lachend den Kinosaal. Gemeinsam sahen wir auf unsere Karten und suchten dann die Plätze, was sich mal wieder schwieriger gestaltete, als gedacht.
„Hier, ich muss an dir vorbei. Das hier ist dein Platz und das da ist meiner.“, meinte Teddy plötzlich und sah zwischen den Plätzen hin und her. „Wir können natürlich auch einfach die Karten tauschen.“
„Geh vorbei.“, meinte ich sofort. Neben seinem Platz saß ein Fremder Mann und ich hasste es im Kino neben Fremden zu sitzen.
Teddys Mundwinkel zuckte, bevor er sich vorsichtig an mir vorbei drängte und auf den Platzen sinken ließ. Dann hielt er mir meinen Sitz runter, da ich die Hände voll Popcorn und Cola hatte. Er aß nicht gern Popcorn und hatte daher nur eine Cola.
„Wir sind ganz schön knapp, oder?“, bemerkte ich, als nur wenige Augenblicke später der Film begann.
Er nickte. „Sehr knapp. Und jetzt... leise.“
Es hatte mich gewundert, dass der Film wieder in den Kinos lief. Immerhin war er schon einige Jahre alt. Als wir den Saal hatten betreten wollen, wusste ich warum. Es wurden 3D-Brillen ausgeteilt, also lief er in 3D.
Ich war so gebannt von dem Film, dass ich erst ziemlich spät bemerkte, dass Teddy mir einen Arm um die Schultern gelegt und mich an sich gezogen hatte. Mittlerweile lag seine Hand auf meinem Bauch, den er sanft und entspannt streichelte. Mein Bauch schien sich unter der Streicheleinheit ziemlich wohlzufühlen, wenn man bedachte, wie sehr er zu kribbeln begann. Teddy selbst seufzte wohlig und lehnte sein Kinn an meinem Schopf. War er etwa... Nein. Das konnte nicht sein.
Als der Film einige Zeit später zu Ende war, standen wir auf, streckten uns genüsslich und machten uns dann auf den Weg hinaus. Es entging mir keinesfalls, dass er mir einen Arm um die Tallie legte und an sich zog.
„War doch eine gute Idee den Film zu sehen, oder?“, meinte er zufrieden.
„Ja. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich dich früher angebettelt habe ihn in einer Videothek auszuleihen. Und dann hast du ihn aus Versehen gekauft und dich gewundert, dass er soviel gekostet hat.“
Leise lachend verließen wir das Kino und machten uns auf den Weg ins Restaurant. Wir unterhielten uns, lachten, alberten herum und es fühlte sich so gut an, wie schon lange nicht mehr. Es war ein bisschen so, als wäre er Tevin, nicht Teddy.
„Sieh mal, da ist ja dein Grübchen.“, meinte er plötzlich begeistert und berührte mich sanft an der Wange. „Genau hier.“
Plötzlich schüchtern senkte ich den Blick und wand das Gesicht ab, während ich vor mich hinlächelte. Mit einem leisen Lachen zog er mich ein bisschen näher an sich heran.
„Warum hältst du mich eigentlich so sehr fest?“, wollte ich auf einmal von ihm wissen.
Er sah auf mich herab. „Ist das nicht eindeutig?“, fragte er zurück.
Ich sah ihn fragend an, woraufhin er wieder seufzte und in den Himmel sah, an dem die Sonne langsam untergehen wollte.
„Zum einen sagte dein Vater ja, ich solle auf dich aufpassen.“, meinte er langsam.
„Und zum anderen?“
Eine Zeit lang sagte er gar nichts. Dann sah er mit einem Lächeln auf mich herab. „Es gefällt mir einfach.“
Ich habe ihn lange nicht mehr so lächeln sehen. Bin ich der Grund dafür? „Wenn das so ist.“
Da wir ziemlich gemütlich gingen, dauerte es eine gute halbe Stunde, bis wir das Restaurant erreichten. Auch hier hatten wir wieder viel Spaß, unterhielten uns viel und lachten miteinander. Zumindest, bis nach dem Essen. Dann wurde er plötzlich nachdenklich. Er bat um die Rechnung, bezahlte und machte sich mit mir auf den Weg, wobei er mir wieder einen Arm um die Tallie legte.
„Vilija?“
Ich sah zu ihm auf. „Ja?“
„Ich... Erinnerst du dich daran, wie ich dich heute in der Schule gefragt habe, ob du auch so ein... Bauchkribbeln hast?“
Ich sah an mir herab und nickte. „Ich erinnere mich, ja.“
Er zögerte ein wenig. „Du hast mir noch gar nicht gesagt, woran du dann immer denkst.“
„Oh... nun...“ Ich zögerte ein wenig. „Das ist... ganz verschieden. Manchmal... Manchmal denke ich... Also, ich denke an... an...“
„Weißt du... ich hab das in letzter Zeit ständig.“, gab er leise zu, „Aber nur... wenn du bei mir bist. Wenn du lachst, oder wenn du mich anlächelst.“
Als ich zu ihm aufsah, stellte ich fest, dass wieder ein wenig rot geworden ist. „Teddy, ich-“
„Ich weiß. Ich bin wahrscheinlich nur dein bester Freund. Ich wollte nur, dass du es weißt.“ Er bog mit mir in meine Straße ein. „Ehrlich gesagt hab ich gehofft, dass... dass ich... vielleicht einen kleinen Einblick darauf bekomme... wie es... wäre. Wie es mit dir wäre.“
Als er den kurzen Weg von der Straße zu unserer Haustür ging, schwiegen wir beide. Noch bevor ich die Türklinke greifen konnte, wurde sie bereits von innen geöffnet. Dad seufzte leise, als er uns erkannte.
„Hatten wir nicht mal ausgemacht, dass du spätestens um 20 Uhr zuhause bist?“, fragte er leicht tadelnd.
„Das war meine Schuld, Sir.“, meinte Teddy sofort, „Ich hab auf dem Weg zum Restaurant und hier her ziemlich getrödelt. Aber ihre Tochter ist immer noch gesund und munter.“
Unwillkürlich musste ich wieder lächeln, während Papá eine Braue hochzog. „Restaurant?“, hakte er vorsichtig nach.
„Ich erzähl es dir gleich, Papá.“, antwortete ich darauf, „Ich möchte mich nur noch von ihm verabschieden.“
Seine Antwort war ein leises Seufzen, bevor er die Tür leicht anlehnte und wohl ins Wohnzimmer ging. Daraufhin drehte ich mich zu Teddy um und lächelte ihn zaghaft an.
„Das war heute wirklich schön.“, begann ich halblaut.
„Ja. Ich glaube, das war das schönste Treffen, das wir bisher hatten.“, stimmte er zu.
„Ganz bestimmt.“
„Vilija?“
„Ja?“
„Ich... würde es gerne perfekt machen.“
„Perfekt?“, hakte ich verwundert nach.
„Ja. Ich meine...“ Statt weiterzusprechen hob er liebevoll mein Kinn an, sodass ich ihn ansehen konnte. „In etwa... so etwas.“
Mit diesen Worten drückte er vorsichtig seine Lippen auf meine. Einen Moment war ich so überrascht, dass ich mich nicht bewegte. Kurz darauf lösten wir uns voneinander und sahen uns lange an, bevor er das Wort ergriff.
„Hat es sich für dich auch so komisch angefühlt?“, wollte er wissen.
„So als würde man seine Familie küssen?“, hakte ich nach.
Er nickte mit perplexem Gesicht. „Ja. So als wärst du...“
„Deine Schwester? Und du mein Bruder? Ja.“
Langsam schüttelte er den Kopf. „Lass uns das vergessen, ja?“
„Gute Idee. Du bist mein bester Freund.“ Ich zögerte kurz. „Mein allerbester Freund. Und das sollte wohl auch so bleiben.“
Erleichtert lächelten wir uns an.
„Wir sehen uns dann morgen in der Schule.“, meine ich halblaut
„Bis morgen.“, antwortete er und küsste mich leicht auf die Stirn.
Langsam löste ich mich ganz von ihm, bevor ich hinein ging. An der Tür drehte ich mich nochmal zu ihm um. Er hatte sich nicht von der Stelle bewegt und lächelte mich immer noch an. Ich lächelte sofort zurück und winkte ihm nochmal, bevor ich schließlich die Tür schloss und mich mit einem Seufzen dagegen lehnte. Im nächsten Moment stieß ich mich davon ab und summte fröhlich vor mich hin, während ich ins Wohnzimmer ging, mich neben Papá setzte und mich an ihn lehnte, während ich den Film mit guckte, den er mit Mom guckte. Kurz darauf kam auch Tevin herein und setzte sich in den Sessel. Das Glas, dass dort auf dem Couchtisch stand, verriet mir, dass er vorher auch dort gesessen hatte. Als der Film eine halbe Stunde später zuende war, streckte Papá sich kurz und drückte mich ein wenig an sich.
„Jetzt erzähl. Was habt ihr so gemacht?“, fragte er neugierig.
„Also, erst waren wir ein Eis essen.“, begann ich, „Ein ziemlich großes Spaghetti-Eis. Wir haben es uns geteilt. Irgend so ein Paar-Angebot. Danach waren wir im Kino und haben uns Mit dir an meiner Seite in 3D angesehen.“ Papás Mundwinkel zuckte. „Naja, dann waren wir noch im Restaurant essen. Wir haben uns viel unterhalten, herumgealbert und gelacht. Und dann hat er mich halt nach hause gebracht.“
„Ihr hattet also ein richtiges Date, ja?“, hakte Mamytė mit einem Lächeln nach.
Ich spürte, wie ich ein wenig rot wurde und begann zu lächeln. „Kann sein.“
„Und was hat eben so lange gedauert, als du dich verabschiedet hast?“, wollte Papá vorsichtig wissen.
„Ach er... er hat den Tag nur... perfekt gemacht. Ich geh dann jetzt schlafen. Gute Nacht Papá. Gute Nacht Mamá.“ Ich küsste beide schnell auf die Wangen und ließ sie dann im Wohnzimmer zurück.
„Was meint sie damit... er hat den Tag... perfekt gemacht?“, wollte Papá zaghaft wissen, als ich das Wohnzimmer verlassen hatte.
„Sie hat damit gesagt, dass er sie geküsst hat.“, entgegnete Mamá.
„Er hat was?!“
Leise kichernd eilte ich die Treppe hinauf, ging in mein Zimmer und schloss die Tür ab. Keine Viertelstunde später lag ich frisch gewaschen und umgezogen in meinem Bett. Ich dachte noch lange über das Date nach und lächelte ein wenig, als ich an den Kuss und das Gespräch dachte. Doch als ich einschlafen wollte, wollte es mir einfach nicht gelingen. So wie immer, wenn Tevin nicht bei mir war.
Mit einem leisen Seufzen drehte ich mich auf die andere Seite. Es fiel mir ziemlich schwer ihn so zu behandeln, auch wenn es nicht so aussah. Es gab niemanden den ich lieber hatte als ihn. Ich hätte alles für ihn getan und nun...
Als es an der Tür klopfte, zuckte ich heftig zusammen und setzte mich mit einem mal auf.
„Vilija, bist du noch wach?“, hörte ich Tevin zaghaft aus dem Flur.
Schweigend saß ich in meinem Bett und dachte darüber nach, ob ich wohl aufmachen sollte. Kurz darauf nahm er mir jedoch die Entscheidung ab, indem er mit einem Seufzen hinüber in sein Zimmer ging. Ich spürte plötzlich einen Kloß im Hals und schluckte angestrengt, während ich mich wieder hinlegte und versuchte zu schlafen.
Als ich eine Woche später aufwachte, fühlte ich mich ein bisschen wie gerädert, war jedoch sofort hellwach und drehte mich um, um nachzusehen ob Tevin noch schlief. Dann blinzelte ich ein wenig verdutzt, als ich ihn nicht fand, schaltete den Wecker aus als er klingelte und setzte mich langsam auf.
Wo ist Tevin? Während ich über diese Frage nach grübelte ging ich zu meinem Schrank und suchte mir ein Outfit aus, bevor ich mich damit auf den Weg zum Bad machte. Mir fiel erst ein was passiert war, als ich die Dusche wieder verließ und nach dem Handtuch griff.
Er hat jetzt Diana. Da braucht er mich nicht.
Ich seufzte leise, trocknete mich ab und zog mich an, bevor ich mir gründlich die Zähne putzte und das Bad wieder verließ. Im selben Moment verließ Tevin verschlafen sein Zimmer und sah drei mal so schlimm aus wie sonst.
Ich tat so, als hätte ich ihn nicht gesehen und eilte hinunter in die Küche, wo Dad bereits wieder das Frühstück machte und meine Schwester Cyntia am Tisch saß und auf das Frühstück wartete.
„Guten Morgen, Papá. Guten Morgen, Ma- Wo ist Mamá?“, wollte ich verwundert wissen und sah mich kurz um.
„Sie liegt noch im Bett, ihr geht es heute nicht so gut.“, antwortete Papá und richtete gekonnt das Essen an, bevor er mir einen Teller auf meinen Platz stellte. „Wo ist Tevin?“
„Im Bad.“, antwortete ich, „Er sieht ziemlich müde aus. Guten Morgen, Cyntia.“
„Guten morgen.“, begrüßte mich meine Schwester kurz.
„Du dagegen weniger. Erzähl, was ist mit euch beiden los?“ Besorgt setzte Papá sich mir gegenüber und sah mich fragend an.
Langsam ließ ich die Gabel sinken und überlegte, was ich darauf sagen sollte. „Ich weiß nicht genau. Es fühlt sich nicht richtig an.“
Papá zog die Brauen zusammen. „Was fühlt sich nicht richtig an?“
„Wenn... wenn er... ach das ist egal.“
„Vilija.“
Zaghaft sah ich zu meinem Vater auf.
„Sag mir was los ist.“
Diesmal seufzte ich ziemlich tief, während ich über die vergangene Woche nachdachte. Ich bin Tevin nur noch aus dem Weg gegangen und hatte ihn quasi wie Luft behandelt. Mit Teddy dagegen verstand ich mich immer besser. Allerdings schien eine Beziehung mit ihm nicht das richtige zu sein. Er hatte gesagt, dass es ihm genauso ging und er lieber mit mir befreundet war. Allerdings sah er nun oft Gabriela an, ein Mädchen, dass neu in der Klasse war. Tevin dagegen schien eine glückliche Beziehung mit Diana zu führen. Er hatte sie am vergangenen Wochenende nach der Schule mitgebracht und sie Mamá und Papá vorgestellt. Am Tag zuvor ist er bei ihr gewesen. Sie schienen so glücklich zu sein, doch...
„Ich weiß es nicht. Es ist so... komisch. Er ist komisch.“, antwortete ich schließlich.
„Inwiefern?“, fragte Papá vorsichtig nach.
„Das weißt du doch. Er guckt jetzt immer so ernst, versteht keinen Spaß mehr und lächelt nicht einmal.“
„Vielleicht hängt das damit zusammen, dass du ihn wie Luft behandelst.“
Ich schnaubte. „Er ist doch glücklich mit Diana, warum sollte er mich da noch brauchen?“
„Kleines, nur weil er jetzt eine Freundin hat, heißt es doch nicht, dass er seine Schwester nicht mehr braucht.“
Gerade als ich etwas dazu sagen wollte, kam Tevin herein und ließ sich auf seinen Platz fallen.
„Du siehst furchtbar aus.“, bemerkte Papá, „Alles in Ordnung?“
„Ja, ich... Ich konnte nur nicht schlafen.“, antwortete Tevin müde.
„Schon wieder?“, hakte Papá nach.
Das hatte Tevin nun seit einigen Tagen jeden Morgen gesagt. „Ich weiß auch nicht. Ich bin todmüde, aber ich schlafe einfach nicht ein.“
„Vielleicht solltest du mal eine Schlaftablette nehmen.“, schlug Cyntia vor und sah ihn munter an.
„Dann wacht er doch gar nicht mehr auf.“, witzelte ich halbherzig und aß mein Frühstück weiter.
Tevin, der sonst immer über so etwas gelacht hatte, schnaubte diesmal missgelaunt und schüttelte den Kopf, als Papá ihm sein Frühstück hinstellen wollte. „Ich habe keinen Hunger.“ Auch das hatte er jeden Morgen gesagt. Dennoch kochte Papá jeden Tag für ihn mit.
„Tevin, du musst etwas essen.“, meinte dieser.
„Ich bekomme einfach nichts runter.“
Als mein Teller leer war, stand ich sofort auf, trank kurz mein Glas leer und ging dann in den Flur.
„Ich gehe dann jetzt.“, rief ich an der Haustür, „Bis später, Papá. Bis später Cyntia.“
„Bis später Kleines.“, rief Papá zurück, bevor er weiter mit Tevin sprach.
„Bis später!“, rief Cyntia mir voller Elan hinterher.
Meine Wenigkeit verließ das Haus und machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle. Dort angekommen reichte mir ein Blick auf die wartenden Personen um mich zu vergewissern, dass der Bus noch kam. Und so war es fünf Minuten später auch. Leicht betrübt setzte ich mich auf einen Doppelsitzer am Fenster und sah hinaus, während ich darüber nachdachte, was ich meinem Vater gesagt hatte. Warum sollte Tevin mich noch brauchen, wenn er jetzt Diana hat? Ist doch nur fair, dass ein Mädchen aus seinem Leben verschwindet, wenn ein neues Mädchen dort einen Platz findet. Doch warum tat es nur so weh?
„Entschuldigung? Ist der Platz frei?“, ertönte plötzlich eine Stimme neben mir.
Ich zuckte zusammen, sah auf und sah in die schönsten Augen, die ich je gesehen hatte. Der Junge, dem sie gehörten, sah mich geduldig fragend an, und schien es gewohnt zu sein, dass man ihn sprachlos ansah.
Kurz schüttelte ich den Kopf, nickte schnell und sah dann wieder aus dem Fenster, während er sich auf den Platz neben mir setzte.
Jeder scheint gerade einen Ersatz für mich zu finden. Tevin hat Diana, Teddy hat Gabriela und selbst Papá richtet sich auf Tevin ein. Wieder rutschte ein Seufzen über meine Lippen. Was mache ich nur falsch?
„Ist alles in Ordnung mit dir?“, wollte der Junge neben mir wissen. Verwirrt sah ich ihn an. „Naja, du seufzt die ganze Zeit vor dich hin. Liebeskummer?“
Einen Moment zögerte ich und wand den Blick dann wieder ab. „Nein. Warum fragst du?“
„Ich kann es nicht ertragen, wenn schöne Frauen traurig sind. Was ist los?“
Wieder zögerte ich kurz. „Es ist nichts. Wirklich.“
Mit diesen Worten drehte ich mich noch zusätzlich ein wenig von ihm weg und lehnte meinen Kopf an das Fenster.
„Wie heißt du?“, wollte er wissen.
„Ich... Mein Name ist Vilija.“
„Freut mich dich kennen zu lernen, Vilija. Mein Name ist Veit.“
Ich nickte nur kurz.
„Gehst du auf die High School?“
„Warum?“, fragte ich zurück, ohne ihn anzusehen.
„Naja, das ist jetzt meine neue Schule und ich hab mich gefragt, ob ich wohl öfter die Gelegenheit haben werde eine solche Schönheit wie dich zu sehen.“
Zaghaft sah ich wieder zu ihm. „Ja, ich gehe auf die High School.“
Er begann zu lächeln und legte den Kopf ein wenig schräg, was ihn hinreißend aussehen ließ. Etwas schüchtern sah ich auf meine Hände herab.
„Du wirst ja rot.“, bemerkte er überrascht, dennoch hörte ich eine gewisse Genugtuung in seiner Stimme. „Mache ich dich verlegen?“
Mit gehobener Braue sah ich zu ihm auf. „Bilde dir bloß nichts ein.“ Mit diesen Worten stand ich auf, quetschte mich an ihm vorbei und drückte auf den Halteknopf. Er folgte mir ohne zu zögern und beobachtete mich.
„Wohnst du in der Nähe?“
Unsicher sah ich aus dem Augenwinkel zu ihm herüber. „Vielleicht.“
Als der Bus hielt, stieg ich aus und lächelte Teddy an, der bereits auf mich wartete.
„Guten Morgen, Sonnenschein.“, begrüßte er mich lächelnd, küsste mich kurz auf die Wange und zerzauste mir dann das Haar. „Gut Geschlafen, Vivi?“
„Morgen Teddy. Und ja, ich habe gut geschlafen.“ Mit diesen Worten hakte ich mich bei ihm ein und machte mich auf den Weg zur Schule. „Und du?“
„Hab von dir geträumt.“
„Red keinen Unsinn.“
„Nein ehrlich.“
Ich sah überrascht zu ihm auf. „Meinst du das ernst?“
„Hab ich dich jemals belogen?“
„Lass mich überlegen. Wann hast du mich nicht belogen?“
„Hey, werd nicht frech.“
Ich streckte ihm die Zunge heraus und grinste ihn an. „Okay, erzähl. Was hast du geträumt?“
„Du und ich... allein... in einem Feld voller Blumen. Die Sonne ging unter. Und ich hab dich durch gekitzelt, bis du geheult hast. Wie immer.“
„Was heißt hier, wie immer?“
Er überging meine Frage einfach. „Wie sieht's mit Tevin aus?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Er sieht schrecklich aus.“
„Cyntia?“
„So gesprächig wie eh und je.“
Sein Mundwinkel zuckte. „Deine Eltern?“
„Mom ging es heut nicht so gut, aber Pa gehst super.“
„Und wie siehst mit dem Verhältnis zwischen dir und Tevin aus?“
„Verhältnis hört sich so... seltsam an.“
„Dann halt Beziehung.“
Ich rollte mit den Augen. „Wie auch immer. Ich rede immer noch nicht mit ihm. Papá meint, es könnte ihm deshalb so schlecht gehen.“
„Hab ich dir das nicht auch gesagt?“
„Ja ja ja. Aber er hat doch Diana. Warum sollte er mich brauchen?“
„Du bist seine Schwester.“
„Na und? Cyntia ist auch seine Schwester.“
„Das kann man doch nicht vergleichen.“, entgegnete Teddy, „Die Kleine ist gerade mal zehn Jahre alt. Ich glaube kaum, dass er mit ihr über so private Dinge spricht wie mit dir.“
„Das ist es ja. Ich möchte keine privaten Dinge von ihm und Diana hören. Mir reicht schon, dass ich sie ständig knutschen sehe. Wahrscheinlich darf ich mir in ein paar Wochen noch ihr Gestöhne anhören.“
Teddy begann leise zu lachen. „Du wirst es schon überleben.“
Ich schnaubte. „Wenn die mich auch nur einmal daran hindern zu schlafen, können die ihr blaues Wunder erleben.“
„Gibts auch ein rotes?“
Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Du bist doof. Mit dir kann man sich nicht über ein ernstes Thema unterhalten.“
„Kann man schon, aber wenn ich merke, dass es dir deshalb schlechter geht, dann bringe ich dich einfach nur gerne zum lachen.“
„Ich weiß. Du bist der beste Freund den ich habe.“
Er grunzte ein wenig, als ich ihn in die Arme nahm. „Das will ich doch hoffen.“, entgegnete er zufrieden und legte mir einen Arm um die Tallie. „Essen wir in der Pause zusammen?“
„Klar. Aber irgendwo da, wo ich Dianas Visage nicht ertragen muss.“
Theodore seufzte tief. „Man, ich bin froh, dass es zwischen euch bisher noch nicht zu einem Aufeinandertreffen gekommen ist. Wer weiß, wie das enden würde.“ Einen Moment dachte er nach. „Glaubst du, ihr würdet eine Schlammschlacht machen?“
Mit einem weiteren Schnauben löste ich mich von ihm und boxte ihm gegen die Schulter. „Typisch Männer.“
„Wie auch immer.“ Er betrat mit mir das Schulgebäude und ging weiter zu unserer Klasse. „Wir haben jetzt Englisch, oder?“
„Jep.“
Er murrte kurz. „Ich hasse es.“
Leise kichernd setzte ich mich mit ihm auf unsere Plätze. „Damit wirst du leben müssen. Aber sei froh, dass wir Mr. Dawson als Lehrer haben.“
„Hab ich bisher ja auch schon geschafft. Du hast Recht. Ohne Mr. Dawson würde ich untergehen.“
Zehn Minuten später betrat der Lehrer mit dem Jungen aus dem Bus die Klasse, woraufhin wir beide verstummten.
„Ihr habt ab heute einen neuen Mitschüler.“, verkündete Mr. Dawson. „Das ist Veit Tyler. Seid nett zu ihm und helft ihm sich hier zurecht zu finden. Veit, du kannst dir einen Platz aussuchen. Dann werden wir erst einmal eine kleine Vorstellrunde machen.“
Alle Schüler, inklusive mir und Teddy, stöhnten auf, woraufhin Mr. Dawson nur die Augen verdrehte.
„Stellt euch nicht so an, sonst dürft ihr direkt eure Lebensgeschichte erzählen.“
Einige Schüler kicherten leise. Nina, ein Mädchen, dass eine Reihe vor mir drei Plätze weiter rechts saß, seufzte leise, als Veit neben ihr stehen blieb und sich auf den Platz zwei Plätze weiter links von ihr setzte. Somit waren zu beiden Seiten die Plätze frei.
Mr. Dawson hob eine Braue. „Die Schüler beißen nur, wenn sie die Tollwut haben und im Moment ist keine Saison. Du kannst dich ruhig einen Platz weiter links oder rechts hinsetzen.“
„Er meint wohl, wir beißen nur, wenn er nicht da ist.“, flüsterte ich Teddy zu.
„Und da Mrs. Kemmesies es wohl nicht abwarten kann sich mitzuteilen, kann sie ja sogleich mit der Runde beginnen.“ Teddy lachte leise neben mir. „Mr. Vencino ist direkt nach ihr dran.“ Das verdarb ihm sein lachen, woraufhin einige Schüler leise lachten. „Vergisst aber nicht, dass ihr alle dran kommt. Nun, steh doch auf, Vilija.“
Mit einem tiefen Seufzen erhob ich mich und ignorierte es, dass sich alle, Veit eingeschlossen, zu mir umdrehten. „Mein Name ist Vilija Kemmesies. Ich bin 17 Jahre alt, habe einen älteren Bruder und eine kleinere Schwester und wohne in der Nähe.“
Als ich mich setzen wollte, schüttelte der Lehrer den Kopf. „Vilija, erzähl mehr. Was bist du für ein Mensch?“
Leise murrend richtete ich mich wieder auf. „Also... Ich bin ein verhältnismäßig ruhiger Mensch, höre gerne Musik und habe Spaß daran Teddy in den Wahnsinn zu treiben.“
Einige Schüler lachten leise, als er beleidigt das Gesicht verzog. Ich setzte mich, Teddy stand auf und alle sahen zu ihm auf.
„Ich heiße Theodore Vencino, werde aber von jedem Teddy genannt.“, begann er, „Ich bin 17 Jahre, habe eine kleinere Schwester und wohne beinahe direkt neben der Schule. Ich bin ein eher zurückhaltender Mensch, mache Vivi gern das Leben schwer und hasse Englisch.“
Als Mr. Dawson daraufhin theatralisch die Augen verdrehte, lachten beinahe die ganze Klasse. „Gut gut. Olga, du als nächstes.“
So ging es einmal durch die ganze Klasse, bis schließlich Veit am ende aufstehen sollte.
„Mein Name ist Veit Timothy Tyler, ich bin 18 Jahre alt und wohne auch ganz in der Nähe. Ich bin ein sehr aufgeschlossener Mensch und liebe es mit meiner kleinen Schwester zu spielen. Außerdem höre ich gerne Musik und habe immer ein offenes Ohr.“
„So, das waren dann alle.“, beendete Mr. Dawson schließlich die Runde.
„Einer fehlt noch!“, rief Teddy in die Klasse.
„Ach ja? Wer denn?“, wollte unser Lehrer wissen.
„Na, Sie, Mr. Dawson.“, antwortete ich, als sei es selbstverständlich.
Er seufzte leise, murmelte etwas vor sich hin und lehnte sich an den Lehrerpult. „Mein Name ist Jack Dawson, ich bin 35 Jahre alt und unterrichte an dieser Schule Englisch und Musik. Ja, ich bin verheiratet, ja ich habe einen Sohn und eine Tochter und nein ich gebe keine Auskünfte über sie. Ich bin ein sehr offener und geselliger Mensch, arbeite gerne mit Kindern und mag es, wenn sie lachen. Noch Fragen?“ Die halbe Klasse hob die Hand. „Nein? Gut. Dann fangen wir jetzt an.“
Die, die sich nicht gemeldet hatte, lachten leise, während die, die sich gemeldet hatte, leise vor sich hin jammerten.
„Ich habe gestern den halben Tag damit verbracht eine passende Lektüre zu dem aktuellen Thema zu finden. Ihr habt alle von Atomkatastrophen gehört und solltet mehr darüber erfahren. Simon, John, kommt doch bitte mit. Ich werde jetzt die Bücher holen und möchte, dass alle an euren Plätzen bleiben. Ihr dürft reden, seid aber nicht so laut.“
Sofort begannen einige Schüler sich zu unterhalten, während Simon und John aufstanden und Mr. Dawson aus der Klasse folgten.
„35 Jahre.“, wiederholte ich, „Ich hab ihn auf ende 20 geschätzt.“
„Ich auf Anfang 30.“, meinte Teddy.
„Aber das er wirklich 35 ist, hätte ich jetzt nicht gedacht.“
„Ja, da hast du Recht. Er sieht jünger aus und benimmt sich auch so. Was glaubst du, wie alt ist seine Tochter?“
„Das interessiert mich herzlich wenig. Aber hast du gehört, was Fidor gesagt hat? Er spricht wirklich ständig über seine Fische. Ist dir das aufgefallen? Und Diana, ich könnte sie erwürgen. Ich liebe es mit meinem Freund zuzuhören. Pah! Ich wette, sie kennt nicht mal die Farbe seiner Shorts.“
„Du kennst sie natürlich.“
„Ja! Es gibt nichts an ihm das ich nicht weiß.“
„Ach ja?“
Ich nickte. „Ja.“
„Gut, dann...“ Er wackelte mit den Augenbrauen. „Wie lang ist er denn?“
„Das wüsstest du wohl gerne, was?“
Er grinste schräg. „Ach komm. Du weißt doch, dass Jungs immer den Längeren haben wollen.“
„Ja, aber das heißt noch lange nicht, dass ich euren Wettbewerb unterstützte.“
„Nun... dann... welchen Körperteil wäscht er sich zuerst? Das weißt du sicher nicht.“
„In der Regel... Also eigentlich...“ Ich zögerte kurz. „Als erstes putzt er immer seine Zähne.“
„Seine Zähne?“ Er zögerte kurz. „Woher weißt du das eigentlich? Bist du dann etwa immer dabei?“
„War dabei.“, korrigierte ich, „Ich ignoriere ihn, schon vergessen?“
„Nein. Ich war nur überrascht. Ich weiß ja, dass eure Verbindung innig war, aber so innig? Muss ziemlich hart sein, wenn man dann nichts mehr gemeinsam macht.“
Ich seufzte tief und sah dann überrascht auf, als Veit seinen Stuhl zu uns schob.
„Hey.“, begrüßte er mich lächelnd, „Was für ein Zufall, dass wir sogar in der selben Klasse sind.“
„Ja.“, stimmte ich zu.
„Du kennst ihn?“, hakte Teddy nach.
Ich nickte. „Naja, kennen kann man das nicht nennen. Er hat im Bus neben mir gesessen. Veit, das ist, wie du schon weißt, Teddy. Er ist mein bester Freund.“
Sie gaben sich die Hand und sagten, dass es sie freuen würde, sich kennen zu lernen, bevor Veit sich wieder mir zu wand.
„Du hast also zwei Geschwister, ja?“, wollte er wissen und sah mich neugierig an.
„Ja. Und du eine Schwester, wie ich gehört habe.“
Er nickte. „Ja. Du hast einen interessanten Akzent. Bist du... Russin oder so?“
„Nein. Mein Vater ist Litauer. Wir sprechen zuhause manchmal litauisch.“
„Manchmal?“, hakte Teddy nach, „Das macht ihr jeden Montag, Freitag und Sonntag. Und immer, wenn ihr Familie zu Besuch habt.“
Amüsiert streckte ich Teddy die Zunge raus.
„Du sprichst also Litauisch, ja?“, fragte Veit nach und lächelte etwas mehr, als er seinen Blick wieder auf mich richtete.
„Unter anderem, ja.“
„Was sprichst du noch?“
„Warum willst du das alles wissen?“, fragte ich zurück.
„Ich finde dich sehr interessant. Und ich bin neugierig.“
Nach einem leichten Zögern antwortete ich: „Ich spreche Englisch, Litauisch, Italienisch und Französisch. Naja, und ein bisschen Spanisch.“
„Bei deinem Patenonkel ist es ja auch kein Wunder.“, bemerkte Teddy.
Ich grinste ihn an. „Gibs zu, du bist neidisch.“
„Wer wäre das nicht? Ich meine... wer hätte nicht gerne Jaydon als Patenonkel? Singt er dich in den Schlaf?“, wollte er neugierig wissen.
„Früher hat er das gemacht.“, antwortete ich, „Auf Englisch, Spanisch und Deutsch. Deutsch hat er mir auch etwas beigebracht.“
„Scheint ja ein toller Typ zu sein, dein Patenonkel.“, bemerkte Veit.
„Wenn er da ist.“, stimmte ich zu, „Jaydon ist Sänger, da ist er viel unterwegs. Er bringt mir immer Souvenirs aus der ganzen Welt mit.“
„Aus der ganzen Welt?“
„Letztes Mal hat er ihr einen chinesischen Glücksbringer mitgebracht.“, informierte ihn Teddy.
„Und er hat auch schon ein Konzert in Afrika gehalten. Kostenlos.“, fügte ich hinzu, „Jaydon ist wirklich ein guter Mann. Allerdings hat er auch nicht sehr viel Zeit für seinen Sohn.“
„Mir sagt der Name Jaydon gerade nichts.“, meinte Veit, eher an sich selbst.
„Jaydon Davidson.“, ergänzte Teddy, „Sänger der Band Heartache. Die sind wirklich gut.“
„Heartache?“, hakte Veit nach, „Werde ich mir mal anhören. Klingt interessant.“
Als Mr. Dawson wieder in die Klasse kam, sahen wir alle sofort auf, bevor sich alle wieder an ihre Plätze setzten. Wir hörten aufmerksam zu, während er uns von der Lektüre erzählte. Mitten in der Stunde stieß Teddy mich dann unauffällig an und reichte mir einen kleinen Zettel. Ich nahm ihn entgegen und faltete ihn auf, als ich meinen Namen darauf fand.
Ich hoffe, ich störe nicht. Hast du in der Pause schon etwas vor? Ich würde gerne mit dir frühstücken. Wenn du nichts dagegen hast, versteht sich.
Veit
Ich sah sofort wieder auf, spürte eine schwache Röte und kurz darauf Teddys fragenden Blick. Als Antwort zeigte ich ihm den Zettel, woraufhin er mich angrinste, ein leeres Blatt aufschlug und etwas darauf schrieb, bevor er es mir zuschob.
Ist doch eine gute Idee. Ich komm auch allein zurecht, frühstücke du nur mit ihm.
Ich blinzelte überrascht, schüttelte dann aber den Kopf, bevor ich darunter antwortete.
Ich kenne ihn doch gar nicht, warum
Bevor ich weiter schreiben konnte, schob er meine Hand beiseite, sah kurz zum Lehrer und schrieb etwas darunter.
Das ist doch der Sinn der Sache. Er möchte dich kennen lernen!!! Also wirst du mit ihm frühstücken.
Meine letzte Antwort bestand aus einem Seufzen, bevor ich ein Stück von einem leeren Zettel abriss und eine Antwort für Veit darauf schrieb.
Ich esse gerne mit dir zum Frühstück. Wir treffen uns später vor der Klasse.
Vilija
So unauffällig wie möglich faltete ich ihn zusammen, schrieb Veits Namen drauf und reichte ihn Teddy herüber. Dieser reichte es Veit weiter, der sich den Zettel sofort durchlas. Ich war bereits wieder damit beschäftigt mich auf den Unterricht zu konzentrieren, weshalb ich nicht mitbekam, wie er kurz zu mir sah und plötzlich lächelte.
Als es zur Pause klingelte, zuckte ich leicht zusammen, verschrieb mich und seufzte leise, bevor ich das Wort schnell berichtigte und den Satz zu Ende schrieb. Geographie.
„Findest du es nicht auch etwas sehr anstrengend drei volle Stunden hintereinander Unterricht zu haben?“, bemerkte Teddy, während er sich streckte und die Hände in seinen Nacken legte.
„Ich finde, es ist eine Herausforderung.“, entgegnete ich und begann meine Sachen einzupacken.
„Herausforderung? Das grenzt schon an Folter.“
„Folter würde ich das nicht nennen.“
„Und wie dann?“
Einen Moment dachte ich nach. „Austesten der menschlichen Konzentrationsgrenze.“
Skeptisch sah er zu mir herab und nahm mir meine Tasche ab, als ich sie zugezogen hatte und aufstehen wollte. „Konzentrationsgrenze?“, hakte er nach, „Vielleicht Hemmschwelle.“
„Willst du damit sagen, du hast Hemmungen drei Stunden lang Unterricht zu haben?“
Er schwieg einen Moment. „Nein. Aber ich hab so meine Probleme damit.“
Ich nahm ihm meine Tasche ab und ging mit ihm in den Flur. „Also ist es ein Austesten der menschlichen-“
„Vilija!“
Einen Moment sahen wir uns verwundert an, bevor Teddy in Gelächter ausbrach. „Was für ein Timing.“, lachte er, während Tevin zu uns herüber kam.
Veit, der neben der Tür gewartet hatte, blieb neben mir stehen und hat gerade etwas sagen wollen, als Tevin mich gerufen hatte.
„Vilija, können wir reden? Bitte.“, bat Tevin zaghaft.
„Keine Zeit.“, entgegnete ich sofort, „Ich... muss... ich... muss mal auf die Toilette.“
Mit diesen Worten eilte ich von ihm weg zur Mädchentoilette.
„Was war das gerade?“, wollte Veit verwirrt von Teddy wissen und sah Vilija einen Moment hinterher, bevor er zu Tevin sah, der sich durchs Haar fuhr und niedergeschlagen wieder zurück ging. „Und wer ist das?“
„Das ist Tevin.“, antwortete Theodore, „Vilijas Bruder. Es ist eine ziemlich komplizierte Geschichte, die Vilija dir irgendwann selbst erzählen sollte. Was jedoch jeder Schüler dieser Schule weiß ist, dass Vilija und Tevin nicht blutsverwandt sind und bis vor ein paar Wochen immer zusammen waren. Sie kamen zusammen in die Schule, waren in den Pausen zusammen und gingen zusammen wieder nach hause. Als Vilijas allerbester Freund weiß ich auch, dass sie auch in ihrer Freizeit alles zusammen gemacht haben. Sie haben immer nebeneinander gesessen, haben zusammen mit ihrer Schwester gespielt, waren zusammen einkaufen und haben sogar im selben Bett geschlafen. Das weiß jeder, der sich etwas mit ihr unterhalten hat. Vor ein paar Wochen kam Vilija dann allein zur Schule. Das passiert eigentlich nur, wenn Tevin krank war. Und selbst dann nur selten, weil sie oft auch krank wurde. Jedenfalls kam sie allein zur Schule und sah ziemlich bedrückt aus. Seit dem ignoriert sie ihn, behandelt ihn so weit es geht wie Luft.“ Er zögerte ein wenig. „Zu der Zeit ist er mit Diana zusammen gekommen. Den Rest sollte Vilija dir erzählen.“
„Er ist also ihr Bruder, ja?“
„Ja. Wie gesagt, nicht ihr richtiger, aber er ist bei ihrer Familie aufgewachsen und wurde von ihren Eltern adoptiert. Ich bin wahrscheinlich der einzige auf dieser Schule, Vilija und Tevin ausgenommen, der weiß warum.“
Veit sah wieder in die Richtung, in die Vilija gegangen war. „Sie sah etwas traurig aus.“
„Das ist sie auch.“, bestätigte Teddy bedrückt, „Aber sie gibt sich alle Mühe, damit man es nicht bemerkt.“
Ich spritzte mir ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht und wischte es mir wieder ab, bevor ich in den Spiegel sah und leise seufzte. Als Tevin mich gebeten hat mit ihm zu sprechen hätte ich beinahe aus Reflex ja gesagt. Ich wollte ja mit ihm sprechen, doch ich konnte mich einfach nicht überwinden. Wenn ich mit ihm sprach, musste ich ihm erzählen, warum ich ihn nicht beachtete und das wollte ich ihm nicht sagen. Das würde nämlich bedeuten, dass ich ihm meine Gefühle gestehen musste, damit er mein Handeln verstand. Und so weit war ich schon gar nicht.
Frustriert stöhnend wand ich mich von meinem Spiegelbild ab, nahm meine Tasche und verließ die Mädchentoilette. Als ich an der letzten Ecke zu meiner Klasse stand, blieb ich stehen und blickte zaghaft an der Wand vorbei zur Klassentür. Veit und Teddy standen dort und unterhielten sich. Als Teddy mich sah, hielt er inne und lächelte mich an.
„Ist er weg?“, wollte ich zaghaft wissen.
„Ja. Er ist zu Diana gegangen.“, antwortete Theodore beruhigend, „Macht es euch dann mal in der Cafeteria gemütlich. Ich denke, ich werde Gabriela suchen. Bis später.“
„Bis später.“
Er ging locker an mir vorbei Richtung Schulhof, während Veit bei mir stehen blieb und sich an die Wand lehnte. Plötzlich schüchtern geworden senkte ich ein wenig den Blick auf meine Hände und trat nervös von dem einen Bein auf das andere.
„Nun... wir sollten dann in die Cafeteria gehen.“, meinte ich und sah zaghaft zu ihm auf.
Ich hatte eigentlich wirklich vor dorthin zu gehen, doch der Blick mit dem er mich ansah, brachte mich dazu einfach nur schweigend zurück zu sehen. Erst als er seine Hand an meine Wange hob, schaffte ich es den Blick wieder zu senken.
„Was ist?“, fragte er verwundert.
„Ich... nichts. Ich habe nur etwas Hunger.“
Mit diesen Worten lächelte ich halb zu ihm herauf, drehte mich um und machte mich auf den Weg zur Cafeteria. Ich hörte ihn leise seufzen, bevor er schließlich neben mich eilte.
„Was ist los mit dir und deinem Bruder?“, wollte er dann neugierig wissen.
„Teddy hat dir etwas erzählt, oder?“ Ich schürzte die Lippen. „Es ist aber nichts. Wirklich. Im Grunde ist alles in Ordnung.“
„Und warum sprichst du dann nicht mit ihm?“
„Ich möchte einfach nicht.“
„Hat er etwas getan, dass dir weh tat?“
„Nein.“ Mein Blick glitt zu Boden. „Nein, er hat nichts dergleichen getan.“ Dann lächelte ich tapfer zu ihm auf. „Ich möchte ihn nicht mit Diana stören. Ich vermute, sie könnte eifersüchtig werden, wenn Tevin und ich uns weiterhin so vertraut behandeln würden. Also schaffe ich etwas... Distanz. Unsere Eltern sehen es ja auch nicht so gern.“
„Ich verstehe. Aber... was, wenn er diese Distanz gar nicht möchte?“
„Ich möchte sie.“, entgegnete ich, „Das muss als Grund reichen. Ich... kann einfach nicht mehr so nahe bei ihm sein.“
„Ach ja? Warum?“
Kurz atmete ich tief durch. „Nun... mir wird dann einfach schlecht. Es... geht einfach nicht.“
„Klingt eigenartig.“
„Ja nicht wahr?“ Ohne es zu bemerken war mein Blick wieder zu Boden gefallen. Nun sah ich wieder auf und betrat mit Veit die Cafeteria, wo wir uns ein Frühstück kauften und uns an einen kleinen Tisch setzten. „Jetzt habe ich so viel von mir erzählt. Was ist mit dir? Wo kommst du her?“
„Ich komme aus Atlanta. Ich weiß, es ist ein ganz schönes Stück. Mein Vater hat hier bessere Berufschancen, deshalb sind wir hergezogen.“
„Was ist dein Vater von Beruf?“
„Er ist Geschäftsmann. Manager einer Firma. Er hatte die Wahl hier her versetzt zu werden, oder in Atlanta zu bleiben.“
„Also seid ihr hergekommen.“
Er nickte. „Ja.“
„Und was machst du in deiner Freizeit?“
„Ich... also...“ Er wurde etwas rot. „Ich zeichne viel.“
„Du zeichnest?“, hakte ich überrascht nach.
„Ja.“
„Was zeichnest du denn?“
„Ähm... Bilder. Und Mangas.“
Neugierig stützte ich meinen Kopf auf meinen Händen ab. „Mangas? Was ist das?“
„Das ist ein japanischer Comic. Man liest es von rechts nach links und von oben nach unten. Ich... ich hab eins dabei.“
„Darf ich es mal sehen?“
Es überraschte mich, wie unsicher er wurde, während er in seiner Tasche herum kramte und ein Taschenbuch zu Tage förderte. Er schlug es ganz hinten auf. „Hier fängt man an. Siehst du?“
Ich lehnte mich etwas weiter vor, da er mir gegenüber saß, damit ich besser erkennen konnte was in dem Buch stand und drehte dabei meinen Kopf ein wenig, woraufhin er das Buch so drehte, dass ich besser sehen konnte. „Die sehen ja ganz anders aus, als die amerikanischen Comics. Warum haben die so viereckige Augen?“
„Das ist der japanische Stil. So zeichnen sie die Comics. Das ist ein charakteristischer Zug in einem Manga. Das Cover ist auch das einzige an dem Buch, dass in Farbe gehalten wird. Der Rest ist schwarz weiß.“ Er blätterte etwas vor, dann wieder zurück. „Jedenfalls, auf der Seite fängst du hier an.“ Er zeigte auf das Bild oben rechts. „Dann geht’s hier rüber, dann hier und dann hier lang.“ Sein Finger glitt auf das Bild daneben, dann auf das Bild rechts in der Mitte, bis er kurz darauf alle Bilder durch hatte. „Mit der Zeit ist es ganz einfach.“
„Verstehe. Und... sowas zeichnest du, ja?“
Offenbar wieder etwas unsicher nickte er und blätterte abwesend in dem Manga herum.
„Ist das hier deins?“
„Nein. Das ist von Yuna Kagesaki. Es ist witzig.“
„Kann ich es mir mal ansehen?“
„Nun... Das hier ist der siebte Band. Ich kann dir morgen das erste mitbringen. Wenn du willst.“
„Du hast mich neugierig gemacht.“, entgegnete ich, „Natürlich will ich.“
Er lächelte leicht zu mir auf.
„Hast du auch etwas von dir dabei?“
Nun blinzelte er ein wenig, bevor er nickte. „Äh ja. Willst... du es auch sehen?“
„Unbedingt!“
Statt irgendwas zu tun sah er lange zu mir auf, woraufhin ich einfach nur den Blick erwidern konnte. Dann schüttelte er den Kopf und wand sich mit einem leichten aber warmen Lächeln an seine Tasche. „Es ist vielleicht nicht sehr gut.“, meinte er halblaut.
Während er in seiner Tasche suchte, stand ich auf und ging um den Tisch herum, damit ich mich nicht mehr herüber beugen musste. Als er wieder aufsah, war er etwas überrascht mich neben sich zu sehen, lächelte mich dann aber wieder warm an und schlug den Block auf, den er aus seiner Tasche gezogen hatte. Als ich das Bild sah, das ganz vorn auf dem Blatt war, blieb mir vor Überraschung die Luft weg.
„Oh, das... also... das ist noch nicht fertig.“, meinte Veit schnell und wollte umblättern.
„Warte.“, warf ich ein und hielt seine Hand fest. „Ich... würde es mir gerne ansehen.“
Ich sah, wie er schluckte, als er die Hand herunter nahm, sodass ich das Bild sehen konnte. Es zeigte ein Mädchen mit pechschwarzem Haar. Die Augen waren silbrig blau und mit grünen Sprenkeln bestückt. Ihre Haut war hell und ihr Gesicht sah traurig und bedrückt aus, während sie nachdenklich aus dem Fenster sah. Sie trug eine dunkelblaue Schuluniform und hielt ihre Tasche fest, die auf ihrem Schoß lag.
„Du hast... mich gezeichnet.“, bemerkte ich verblüfft.
„Es ist noch nicht fertig.“, wiederholte er leise.
„Zeichnest du gerne andere Menschen?“
„Nun... es ist eine kleine Herausforderung sie so zu zeichnen, dass man sie erkennt. Du... hast dich ja erkannt.“
Ich begann zu lächeln. „Es ist wirklich schön.“
Vor Erleichterung brach ein Lächeln in seinem Gesicht aus. „Wenn es dir gefällt, kann ich dich auch öfter zeichnen. Es ist einfacher jemanden abzuzeichnen, als es aus dem Gedächtnis heraus zu tun.“
„Das ist wirklich süß von dir. Warum eigentlich ausgerechnet ich?“
Nun wurde er wieder etwas rot. „Naja... Ich hab dich gesehen und dachte mir, dass ich wohl nicht mehr so schnell jemanden finden würde, der sich so schön auf einem Bild machen würde. Allein der Gedanke daran, dich zu zeichnen, hat mich bereits zum lächeln gebracht. Es wirklich zu tun war noch schöner. Du hast so schöne Augen, so schönes Haar und ein noch schöneres Gesicht. Wie gemacht um es zu zeichnen. Es war eine kleine Herausforderung die Farbe deiner Augen richtig zu treffen, aber das hat mich noch mehr angespornt. Ich wollte dich unbedingt auf Papier haben. Schon als ich dich das erste mal gesehen habe. Ich hätte beinahe vergessen einzusteigen.“
Verlegen senkte ich den Blick und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Dann sah ich wieder zu ihm auf. „Darf... darf ich dir mal dabei zusehen?“
„N-n-natürlich.“ Ich hatte ihn wohl wieder aus dem Konzept gebracht. „Wenn-wenn du möchtest, gerne.“
Ich seufzte leise. Er ist süß, wenn er verlegen ist. „So mag ich dich irgendwie lieber.“
„Wie?“, fragte er verwirrt nach.
Ich winkte ab. „Ist schon gut. Darf ich die anderen Bilder auch sehen?“
„Oh, natürlich. Hier.“ Er blätterte um. „Das ist meine Schwester.“
Das nächste Bild zeigt ein Mädchen von etwa neun Jahren. Sie hält einen Teddybären im rechten Arm und winkt mit der linken jemandem zu. Ihr braunes Haar fiel ihr bis auf die Hüften und ihre Augen hatten die Farbe von blauen Stiefmütterchen. Ihr hingen ein paar Tränen in den Augen, doch sie lächelte von ganzem Herzen.
„Sie ist wirklich ein schönes Kind.“, meinte ich halblaut.
„Ja.“
Ich sah zu ihm auf. „Wie heißt sie?“
„Annabell.“
Als er zu mir herab sah, entdeckte ich genau dieselbe Farbe in seinen Augen. Blaue Stiefmütterchen. Sein dunkelbraunes Haar wies ein paar schwarze Strähnen auf, doch sie waren so verteilt, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass sie unecht waren. Ich hatte schon vorher festgestellt, dass er schlank war. Seine Finger waren lang und ebenso schlank, wie meine. Er hatte sogar ein schmales Handgelenk. Dabei dachte ich immer, meine seien die einzigen, die so dünn waren. Als mein Blick auf seinen Oberkörper glitt, blickte ich auf breite Schultern, die in einem hellbraunem Shirt verpackt waren, das gerade eng genug anlag, um seine Silhouette zu erahnen.
Plötzlich wurde mir klar, dass ich ihn anstarrte und wand schnell den Blick ab, nicht ohne eine gewisse Röte im Gesicht zu spüren. Dennoch hatte ich sein Gesicht vor Augen. Es wirkte so anziehend, dass ich einfach noch einmal hinsehen musste. Sein Mund verzog sich zu einem leisen Schmunzeln, während er mich beobachtete. Beinahe hätte ich geseufzt.
Wie macht er es nur, dass ich schon anfange ihn anzuhimmeln? Ich kannte ihn nicht einmal einen halben Tag.
Ich war so gefangen von diesem Anblick, dass ich tatsächlich seine Frage überhörte.
Schnell schüttelte ich den Kopf und sah nüchtern zu ihm auf. „Hm? Was? Wie bitte?“
Sein Schmunzeln wich einem amüsierten Grinsen. „Ich habe dich gefragt, ob du heut Nachmittag Zeit hast.“
„Nein.“
Sein Grinsen verblich.
„Also, ich meine... Ich kann heute leider nicht, weil wir Besuch bekommen. Aber... ich habe morgen Zeit.“
Sofort begann er zu strahlen. „Super. Wenn du mir sagst wo du wohnst, hole ich dich morgen um 15 Uhr ab.“
„Einen Moment.“ Ich kramte schnell einen kleinen Zettel aus meiner Tasche hervor und schrieb schnell meine Adresse und nach kurzem Zögern meine Handynummer darauf. Als es dann zum Unterricht klingelte, packte ich mit ihm schnell wieder alles ein und drückte ihm den Zettel in die Hand.
„Wir sehen uns dann morgen.“, verabschiedete ich mich mit einem Lächeln.
Er lächelte zurück und ich spürte, wie er mir noch hinterher sah, als ich zu meinem Kurs eilte. Ab jetzt hatten wir zwei Stunden getrennt Unterricht und morgen war ein Feiertag. An der Tür der Cafeteria sah ich nochmal zaghaft zu ihm zurück. Er las sich durch was auf dem Zettel stand und begann dann von ganzem Herzen zu lächeln, was auch mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
Seit ich den Kursraum betreten hatte und Teddy mich entdeckt hatte, sah er mich etwas verwundert an. Ständig sah er zu mir herüber, als wolle er sichergehen, dass mit mir alles in Ordnung ist. Das tat er so lange, bis es zum Schulschluss klingelte.
„Okay, was hat er mit dir gemacht?“, wollte er wissen und nahm mir meine Tasche ab, damit ich aufstehen konnte.
„Nichts.“, entgegnete ich, stand auf und nahm ihm meine Tasche wieder ab. „Wir haben uns unterhalten.“
„Und worüber?“
„Also... über... dies und das.“
„Vilija.“
Ich streckte ihm die Zunge heraus und hakte mich dann bei ihm unter. „Wir haben über seine Zeichnungen gesprochen.“
„Zeichnungen?“
„Ja. Er zeichnet. Und er hat mich gezeichnet. Also, aus dem Gedächtnis heraus. Er sagte, er wolle mich sofort auf Papier bringen, sobald er mich sah. Und morgen treffen wir uns.“
„Vilija, morgen ist Donnerstag.“
Ich nickte. „Ich weiß.“
„Der 17.“
„Ja. Das weiß ich.“
Er seufzte leise. „Vilija, ich habe morgen Geburtstag.“
Abrupt blieb ich stehen und sah zu ihm auf. „Oh, das tut mir so leid. Ich werde ihm sofort absagen. Wie konnte ich das nur vergessen? Tut mir leid Teddy.“
Mit einem leisen Murren zerzauste er mir das Haar. „Du musst ihm ja nicht absagen. Bring ihn doch einfach mit. Die Feier beginnt ja erst um 20 Uhr.“
„Ich werde auf jeden Fall da sein.“, versprach ich.
Als wir das Schulgebäude verließen, legte er mir freundschaftlich einen Arm um die Schultern. „Das weiß ich doch. Auf dich ist immer Verlass.“
„Es tut mir wirklich leid, dass ich es vergessen habe.“
„Jetzt hör auf dich zu entschuldigen.“, entgegnete er, „Sonst werde ich noch rot. Oh, sieh mal. Tevin steht da vorn. Sieht aus, als würde er warten.“
„Warum will er denn unbedingt mit mir sprechen?“
„Wahrscheinlich, weil du ihn ignorierst.“, antwortete Teddy und blieb stehen, als ich es tat. „Du solltest wirklich mit ihm reden.“
„Aber dann müsste ich ihm meinen Grund nennen. Und das heißt, ich muss... Ich möchte nicht mit ihm sprechen.“
„Vilija, er ist dein Bruder.“
Als Diana an uns vorbei ging, stieß sie uns leicht an, woraufhin ich ihr säuerlich hinterher sah. Sie ging zu Tevin, hielt seinen Arm und gab ihm einen langen Kuss, bevor sie ihm etwas sagte. Es gab wohl einen kurzen Wortwechsel, bevor sie sich noch ein paar mal küssten und sie ging. Doch Tevin blieb stehen wo er war und sah trüb auf den Boden.
„Kannst du nicht vorgehen und ihm sagen, dass ich eine Stunde früher Schluss hatte und woanders hingegangen bin?“, bat ich Teddy leise.
„Nein. Vivi, du musst wirklich mit ihm reden.“
„Ich möchte aber nicht mit ihm reden.“
„Sei nicht so kindisch.“
„Ich bin nicht kindisch. Ich vermeide nur Schmerzen.“
„Stell dich nicht so an. So schlimm kann es doch nicht sein.“
„Du hast keine Ahnung.“
„Dann sag es mir.“
„Ich... Ich... Ich kann es dir nicht sagen. Ich kann es niemandem sagen. Früher oder später würde Tevin dann davon erfahren und das will ich einfach nicht.“
„Vilija, du weißt, dass du mir vertrauen kannst.“
„Ja, aber wenn du denkst, dass es besser für mich ist, würdest du ihm sagen, was du für richtig hältst.“
„Denkst du wirklich, ich würde dich hintergehen?“, fragte er enttäuscht, „Denkst du das wirklich von mir?“
„Teddy, ich... ich denke doch nicht...“ Sag was, Vilija. Sag was.
Als ich weiter nichts sagte, atmete Theodore langsam aus und wand sich ab. „Wir sehen uns dann morgen.“ Ich hörte deutlich, wie verletzt er war.
„Teddy, so war das doch nicht gemeint.“, versuchte ich es und folgte ihm verzweifelt, als er sich auf den Heimweg machte. „Bitte, hör mir zu. Ich habs wirklich nicht so gemeint. Ich weiß doch, dass du mich nicht hintergehen würdest.“
Er ging stur weiter.
„Man Teddy. Es tut mir leid. Teddy. Ich habs doch nicht so gemeint.“
Ich folgte ihm noch einige Meter an der Bushaltestelle vorbei, bis ich ihn schließlich am Arm festhielt und stehen blieb. Er war gezwungen ebenfalls stehenzubleiben, wenn er mir nicht weh tun wollte, also drehte er sich zu mir um und sah auf mich herab.
„Es tut mir wirklich leid. Natürlich würdest du mich nie hintergehen. Ich wollte damit doch nur sagen, dass du alles tun würdest, damit es mit wieder besser geht. Ich hab es wirklich nicht böse gemeint.“
Sein Blick, der ziemlich hart gewesen ist, wurde nun langsam etwas weicher, bevor er kurz herab sah und dann wieder in meine Augen blickte. „Das war wirklich dumm, was du gesagt hast. Ich würde doch nichts weiter erzählen, von dem ich weiß, dass es niemand wissen soll.“
„Es tut mir wirklich leid.“
Zaghaft hob sich sein Mundwinkel. „Das weiß ich doch. Jetzt geh lieber schnell zurück, dein Bus kommt gleich.“
Ich nickte kurz, küsste ihn schnell auf die Wange und eilte dann zurück. Gerade rechtzeitig. Der Bus hielt im selben Moment, in dem ich die Haltestelle erreichte. Ich stieg sofort ein und setzte mich auf einen Zweierplatz, wobei ich meine Tasche auf meinen Schoß zog.
„Darf ich wenigstens neben dir sitzen?“
Erschrocken sah ich auf, als Tevins Stimme neben mir ertönte und nickte kaum merklich. Zaghaft setzte er sich neben mich und stellte seine Tasche zu seinen Füßen ab, während er den Blick gesenkt hielt. So ging es etwa drei Haltestellen lang.
„Vilija?“, hob er vorsichtig an.
„Hm?“ Ich hielt meinen Blick aus dem Fenster gerichtet.
„Können wir... reden?“
„Ich wüsste nichts, was es zu bereden gibt.“
Ich hörte ihn schwer ausatmen. „Ich... Ich weiß nicht was los ist. Ich tappe im Dunkeln, habe keine Ahnung warum du nicht mit mir sprichst. Du machst gar nichts mehr mit mir.“ Als ich auch darauf nicht antwortete, berührte er mich sachte an der Schulter. „Rede doch bitte mit mir. Ich kann nicht mehr.“
„Ich... kann nicht mit dir darüber sprechen.“, entgegnete ich leise, „Ich kann einfach nicht.“
Ich konnte deutlich spüren, wie verletzt er war als er seine Hand wieder zurück zog. An unserer Haltestelle stiegen wir aus und machten uns auf dem Weg nach hause, wobei Tevin ziemlich schnell zurück fiel. So kam es, dass ich einige Minuten vor ihm zuhause war. Als ich herein kam, unterhielt sich Papá gerade mit Mamá in der Küche. Überrascht vergaß ich die Tür hinter mir zu schließen und blieb direkt an der Tür stehen.
„Ich mache mir wirklich Sorgen um Tevin.“, meinte er, „Die letzten drei Test wurden immer schlechter. Und er isst so wenig.“
„Ich mache mir auch Sorgen.“, stimmte Mamá zu, „Glaubst du es liegt daran, dass Vilija sich von ihm... abschottet?“
Ich zuckte zusammen.
„Ich vermute es, ja.“, antwortete Papá, „Er sagte mir heute morgen, dass es ihm ziemlich mit nimmt, dass sie nicht einmal mit ihm sprechen möchte. Oft geht sie los, sobald er die Küche betritt. Sie schließt sogar ihr Zimmer ab, ob sie sich nun gerade dort aufhält oder nicht. Weißt du, was der Grund sein könnte?“
„Ich habe nur beweislose Vermutungen.“, antwortete Mamá, „Du solltest nochmal mit ihr sprechen.“ Als sie kurz darauf leise stöhnte, hörte ich Schritte in der Küche.
„Du solltest dich wieder hinlegen.“
„Schon in Ordnung. Es geht schon.“
Ich zögerte etwas, zog dann aber die Tür hinter mir zu und ging durch den Flur.
„Vilija?“, hörte ich Papás Stimme.
„Ja, ich bins.“, rief ich zurück und ging bereits die Treppe hinauf.
„Ich möchte gleich mit dir sprechen.“
„Ist okay.“
Leise hörte ich Mamá etwas zu ihm sagen, befand es jedoch nicht als allzu wichtig und ging in mein Zimmer, deren Tür ich hinter mir wieder abschloss. Leise vor mich hin summend ging ich zu meinem Kleiderschrank und sah kurz auf die Uhr, bevor ich begann ein passendes Outfit für unseren Besuch auszusuchen. Ich mochte Kaden. Manchmal wünschte ich mir, er wäre mein richtiger Onkel, statt ein Freund der Familie. Kendra war auch ganz nett, aber Kaden... Kaden war einfach klasse.
Als es an meiner Tür klopfte, hielt ich mir gerade ein hellbraunes Kleid an den Körper und fragte mich, ob das wohl in Ordnung war.
„Wer ist da?“, wollte ich wissen.
„Muss dein Vater sich jetzt schon ausweisen?“
Amüsiert schmunzelnd warf ich das Kleid auf meinen Drehstuhl und ging an die Tür, um sie zu öffnen. Er sah sehr besorgt aus, weshalb mein Lächeln schnell verblasste. Wir setzte uns auf meine Couch, nachdem ich die Tür wieder geschlossen und ein wenig Platz geschaffen hatte.
„Du solltest dein Zimmer aufräumen.“, bemerkte Papá am Rande.
„Ja. Das hatte ich vor, sobald Kaden und seine Familie wieder gegangen sind.“
Er nickte nachdenklich.
„Worüber möchtest du mit mir sprechen?“, wollte ich zaghaft wissen, „Doch nicht über mein Zimmer, oder?“
„Nein. Nein, es geht um... Es geht um Tevin.“
Langsam atmete ich durch und stellte mich auf ein langes Gespräch ein.
„Vilija... sag mir bitte, warum du nicht mit ihm sprichst.“
„Ich-ich... kann nicht.“
„Vilija.“
„Ich kann wirklich nicht.“
„Es ist wichtig. Es geht ihm wirklich sehr schlecht und keiner weiß, warum du so reagierst.“
Um nicht sofort antworten zu müssen, stand ich auf und stellte mein Fenster auf kipp, bevor ich mich wieder auf die Couch fallen ließ.
„Wenn du mit niemandem sprichst, dann wird es immer schlimmer.“, prophezeite Papá besorgt, „Sag mir was los ist.“
„Es ist... ich kann einfach... Ich kann einfach nicht mit ihm reden.“
Mein Vater schloss kurz die Augen, dachte einen Moment nach und sah dann wieder auf mich herab. „Warum kannst du nicht?“
„Mir wird schlecht, wenn ich in seiner Nähe bin.“
Nun zog er die Brauen zusammen. „Warum? Vorher habt ihr doch aneinander geklebt, wie Doppelseitiges Klebeband. Hat er dir irgendwas angetan?“
„Ja. Nein. Also... Er kann eigentlich nichts dafür.“
Liebevoll legte er mir eine Hand an die Wange. „Kleines, du musst es mir sagen.“
„Es ist... wegen...“ Ich bekam einen Kloß ich Hals und schluckte einige Male.
„Wegen was? Weil ihr nicht in einem Bett schlafen dürft?“
„Nein.“ Tränen traten mir in die Augen. „Es ist wegen... wegen... wegen Diana.“
„Was ist mit ihr?“
„Ich weiß es nicht. Ich... mag es nicht.“
„Raus mit der Sprache. Was hat Diana damit zu tun, dass du nichts mit Tevin machst?“
„Es... gefällt mir einfach nicht, dass... dass sie...“ Eine Träne kullerte über meine Wange.
„Bist du... Bist du eifersüchtig?“
Panik erfasste mein Herz. „Nein!“, rief ich abrupt aus, „I-i-ich bin nicht eifersüchtig. Das bin ich nicht.“
„Vilija.“
„Ich bin wirklich nicht eifersüchtig.“, redete ich weiter, „Ganz ehrlich. Mir gefällt es nur nicht. Es fühlt sich irgendwie falsch an. Aber ich bin nicht eifersüchtig, wirklich.“
„Vilija.“ Ich wollte gerade weiter reden, als er mich unterbrach, indem er mich sachte an den Schultern festhielt. „Vilija. In dieser Situation musst du uns sagen, wenn du dich unwohl fühlst. Eifersucht ist etwas, das schnell ein schlechtes Ende bringen kann.“
„Aber ich bin nicht-“
„Vilija.“, unterbrach er mich erneut, „Sag mir, warum du so reagierst? Warum gefällt es dir nicht?“
„Es... Es... fühlt sich nicht gut an.“ Eine weitere Träne kullerte mir über die Wange. „Es fühlt sich einfach nicht gut an.“
Sanft hob er mein Gesicht am Kinn an. „Tut es dir weh?“
Ich kämpfte gegen die Tränen an, doch ich kam einfach nicht dagegen an. Als ich schließlich nach kurzem Zögern nickte, brach ich in Tränen aus und ließ mich von Papá in die Arme ziehen. Er drückte mich tröstend an sich, wiegte mich hin und her und streichelte mir übers Haar, während er mir tröstend litauische Worte ins Ohr murmelte.
„Es tut so weh.“, weinte ich auf litauisch, „Es tut so weh.“
„Sch sch sch. Ist schon gut.“
„Ich liebe ihn Tėti. Ich liebe ihn.“
„Alles wird gut, Kleines. Ich verstehe dich. Ist gut. Ich bin da. Das wird schon wieder.“
Es dauerte eine Weile, bis ich mich beruhigt hatte. Als ich mich ausgeweint hatte, hielt er mich noch eine Weile in den Armen, bevor er sich langsam von mir löste.
„Soll ich mit ihm reden?“, wollte er liebevoll wissen, „Ich weiß, dass es dir schwer fallen würde.“
Ich nickte langsam. „Aber... aber nicht heute. M-m-morgen, wenn ich nicht da bin.“
„Morgen hat Theodore Geburtstag, nicht wahr?“
Ich nickte. „Ja. Und ich treffe mich mit jemandem, der neu auf unserer Schule ist. Teddy sagt, ich kann ihn mitbringen. Und dann wollte ich bei Teddy übernachten.“
„Ist schon gut.“ Er streichelte mir zärtlich übers Gesicht und küsste mich auf die Stirn. „Geht es jetzt wieder?“
Erneut nickte ich. „Ja.“
„Gut. Ich werde dann jetzt runter gehen und das Abendessen kochen. Zieh dich schon einmal um.“
„Mach ich. Ich hab dich lieb Tėti.“
Warm lächelte er mich an. „Ich dich auch, meine Kleine.“ Nach einem weiteren Kuss auf die Stirn stand er auf und ging zur Tür, die ich diesmal nicht abgeschlossen hatte. Mit der Hand an der Klinke, die Tür halb geöffnet, sah er nochmals zu mir. „Vilija?“
Ich sah zu ihm auf. „Ja?“
„Es war gut, dass du es mir erzählt hast. Jetzt mach dich fertig.“
„Ist gut.“
Er wartete noch einen Moment, verließ dann aber mein Zimmer und zog hinter sich die Tür zu.
Levantin
Ich war mit den Gedanken voll und ganz bei Vilija und Tevin, als ich die Küche betrat und Violeta einen Kuss auf die Stirn gab.
„Was hat sie gesagt?“, wollte sie wissen und sah besorgt zu mir auf.
„Es ist ein größeres Problem, als ich dachte.“, antwortete ich und holte die Zutaten für das Abendessen aus dem Kühlschrank. „Es überrascht mich ein wenig, dass wir nicht selbst daran gedacht haben.“
„Was hat sie denn?“
„Liebeskummer.“ Als alle Zutaten auf der Küchenzeile lagen, begann ich alles vorzubereiten.
„Du meinst... sie ist...“
„Es muss ihr wirklich sehr weh tun.“, erklärte ich nebenbei, „Es hat lange gedauert, bis sie es sagen konnte. Und sie hat Angst Tevin davon zu erzählen.“
„Ich verstehe. Wirst du mit ihm reden?“
„Ja. Morgen, wenn Vilija weg ist. Sie hat mich gebeten zu warten.“
Ich hörte nackte Füße auf den Fliesen und kurz darauf leichte Hände an meinen Seiten. Sie lehnte ihre Wange an meinen Rücken und hielt mich in ihren Armen. „Du bist ein guter Vater.“
„Ich mache mir Sorgen.“
„Das tut doch ein guter Vater. Was wirst du Tevin sagen?“
„Das, was Vilija mir sagte. Es fühlt sich nicht gut für sie an. Es tut ihr weh. Sie war aufgelöst vor Tränen, als sie es mir schließlich sagte. Ich dachte, sie zerbricht in meinen Armen.“
„Was glaubst du, wird Tevin sagen?“
„Ich bin mir nicht sicher. Er wird sicher geschockt sein. Immerhin ist sie seine Schwester. Sie ist für ihn nichts weiter als seine kleine Schwester. Sonst hätte er nicht mit ihr das Bad teilen oder bei ihr schlafen können.“
„Da hast du Recht. Aber Vilija konnte doch auch mit ihm das Bad teilen.“
Ich konnte es beinahe in meinem Kopf rattern hören. „Vilija ist sich darüber klar geworden, als Tevin mit Diana zusammen kam.“
„Ja, aber Tevin ist Hals über Kopf in Diana verliebt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es plötzlich anders aussieht, wenn Vilija ihren ersten Freund hat.“
„Wenn sie einen haben wird. Als du mich nicht wolltest, brachte mich die Vorstellung eine andere zu haben beinahe um.“
„Es tut mir leid.“
Ich hielt mit der Zubereitung inne, nahm ihre Hand und küsste sie auf die Finger. „Das weiß ich doch. Ich habe dir schon längst verziehen.“
„Ob Vilija wohl je darüber hinweg kommen wird?“
„Ich hoffe es.“
Als die Haustür geöffnet und kurz darauf wieder zugeschoben wurde, sahen wir beide zur Küchentür. Cyntia kam lächelnd in die Küche und hielt ein Bild hoch, dass sie wohl gemalt hatte.
„Das sieht fabelhaft aus.“, lobte Violeta begeistert und ging zu unserer Tochter. Liebevoll hob sie sie hoch und setzte sich mit ihr an den Tisch. „Zeig was du gemalt hast.“
„Das hier bist du Mamytė. Und das hier ist Tėtis. Vilija und Tevin sind da vorne.“, erklärte unsere Jüngste begeistert.
„Warum gucken sie denn so?“
„Vilija ist doch so böse auf Tevin. Und deshalb ist Tevin ganz traurig. Das hier ist Lily und das hier ist Judas.“
Ich schmunzelte, als die Namen unserer beiden Katzen fielen. Es waren zwei Katzen aus Nickis Wurf. Wir hatten sie behalten, weil Violeta sich von den beiden einfach nicht trennen konnte. Vor einem Monat war Nicki dann verstorben. An einer Lungenentzündung.
„Und das hier ist unser neues Haus. Es hat im Garten einen Pool. Und das da ist Teddy und da ist Onkel Jaydon.“
„Das ist ein wirklich sehr schönes Bild. Wollen wir es an den Kühlschrank hängen?“
„Jaaa!“
Ich konnte nicht anders als Violeta dabei zuzusehen, wie sie mit Cyntia auf dem Arm zum Kühlschrank ging und ihr dabei half das Bild an der Tür zu befestigen. Cyntias Schulranzen stand bereits auf dem Boden.
„Sieht doch super aus!“, lobte Violeta unsere Tochter, „Meinst du nicht Levin?“
Ich kam zu ihnen herüber und betrachtete das Werk meiner Tochter. „Ja, das sieht wirklich fantastisch aus.“
„Aber nicht so gut wie das Bild von Vilija.“, meinte Cyntia selbstkritisch und sah auf das Bild ihrer großen Schwester hinauf. Sie hatte es in der fünften Klasse gezeichnet. Ganz aus dem Gedächtnis hatte sie damals in drei Unterrichtsstunden eine Zeichnung von uns allen angefertigt. Cyntia ging damals noch in den Kindergarten. „So gut werde ich nie zeichnen.“
„Trotzdem sieht dein Bild ganz fantastisch aus.“, lobte Violeta sie erneut, „Und das nächste wird ebenfalls fantastisch aussehen.“
„Die Kunst liegt euch einfach im Blut.“, meinte ich amüsiert und tätschelte Cyntia den Kopf. „Jetzt geh und mach deine Hausaufgaben, bevor Mamytė noch böse wird.“
„Darf ich sie im Wohnzimmer machen?“
„Ja, darfst du. Aber der Fernseher bleibt aus.“
„Dankeschön.“
Damit schnappte sie sich ihre Tasche und eilte ins Wohnzimmer. Violeta lehnte sich an mich und schloss müde ihre Augen.
„Du solltest dich wirklich wieder hinlegen, Liebling.“
„Es geht schon.“, entgegnete sie.
„Der Arzt sagt, du brauchst Ruhe.“ Ich vergrub mein Gesicht in ihrem Schopf. „Die Fehlgeburt hat dich angeschlagen. Leg dich hin.“
Mit einem letzten Seufzen gab sie sich geschlagen. „In Ordnung. Sag den Kindern weiterhin nichts.“
„Mach dir darüber keine Gedanken. Wenn, dann sagen wir es ihnen zusammen. Und auch nur, wenn du bereit bist mit ihnen darüber zu sprechen.“ Ich beugte mich herab, um sie zu küssen und genoss wieder das Gefühl, dass sie für immer mir gehörte. „Jetzt geh. Leg dich hin und ruh dich aus. Ich bringe dir später einen Tee.“
„Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch.“
Ich küsste sie erneut und als wir uns voneinander lösten machte sie sich auf den Weg in unser Schlafzimmer.
Vilija
Eine Stunde nach dem Gespräch mit Papá ging ich frisch geduscht, geschminkt und in meinem hellbraunem Kleid hinunter. Papá war voll und ganz damit beschäftigt das Abendessen zu kochen, während Cyntia im Wohnzimmer saß und fern sah.
Leise schlich ich mich an die Couch heran, Cyntia aufmerksam im Blick. Als ich direkt hinter ihr stand, fasste ich sie mit einem Mal an den Seiten und rief ein lautes Buh aus, woraufhin sich vor Schreck aufschrie und dann lachte, als sie mich erkannte, bevor sie in lautes Gelächter ausbrach, da ich begann sie durch zu kitzeln.
„Wie geht’s meiner kleinen Schwester?“, fragte ich sie dabei, gab ihr jedoch nicht die Chance zu antworten. „Ich hoffe doch gut. Dich gibt’s nämlich als Nachtisch. Jammy.“ Sie schrie begeistert auf, als ich sie an mich zog und begann weiter zu lachen, als ich verspielt an ihrem Hals knabberte.
„Vilija!“, rief sie aus, als sie einen Moment Luft bekam und begann dann wieder auf vollem Hals zu lachen, da ich sie wieder durch kitzelte. Ich hörte unter ihrem Lachen keine Klingel und ich hörte auch nicht, dass Papá in den Flur ging, um zu öffnen.
„Vilija, hör auf damit!“, rief Cyntia lachend aus, als ich wieder begann an ihr herum zu knabbern.
„Aber du schmeckst doch so gut.“, entgegnete ich und tat, als würde ich an ihrem Arm knabbern.
Vor Begeisterung stieß sie einen spitzen Schrei aus und lachte weiter, während sie in meinen Armen zappelte und kurz darauf begann sich den Bauch zu halten. Kurz darauf setzte ich mich neben sie, rutschte ein wenig in die Couch hinein und tätschelte mir den Bauch.
„Jetzt bin ich satt.“, meinte ich, „Obwohl... ich könnte noch einen kleinen Happen vertragen.“
Mit diesen Worten schnappte ich sie mir erneut und knabberte an ihrem Nacken herum. Als ich plötzlich das vertraue Lachen meines Vaters über mir hörte, sah ich überrascht zu ihm auf und lächelte ihn an.
„Sieht so aus, als bräuchtest du kein Abendessen.“, neckte er mich.
„Neeee, mit Cyntia bin ich gut bedient.“
„Papa!“, rief diese, „Hilf mir! Sie frisst mich auf!“
„Na na.“, meinte Papá leicht tadelnd und mit amüsiertem Unterton. „Menschen fressen nicht, Mäuschen. Sie essen. Und Vilija, du weißt, dass Kannibalismus verboten ist.“
Leise lachend ließ ich Cyntia los und stand auf. „Das weiß sie doch gar nicht. Und wenn du es niemandem erzählst, wird die Polizei auch nichts davon mitbekommen.“
Amüsiert schüttelte er den Kopf. „Komm, gleich gibt es Essen.“
„Ist Kaden schon da?“, fragte ich nach.
„Schon traurig, dass sie mich nicht bemerkt.“, hörte ich dessen vertraute Stimme aus dem Flur.
Ich begann von seinem Ohr zum anderen zu lächeln, lief in den Flur und warf mich ihm in die Arme. Lachend fing er mich auf, drückte mich an sich und küsste mich liebevoll auf den Schopf.
„Na, Große. Wie geht’s dir?“, wollte er wissen und sah zu mir herab. „Meine Güte. Du hast ja ganz schön Holz vor der Hütte. Wirst ja langsam erwachsen.“
Sofort wurde ich rot und senkte den Blick.
„Jetzt mach sie doch nicht verlegen.“, warf Kendra, seine Frau, ein und ging um ihn herum, um mich in die Arme zu nehmen, hielt dann jedoch inne, als sie mich sah. „Jetzt verstehe ich, was du meinst. Sie wird jetzt wohl eine richtige Frau. Komm her, und lass dich drücken.“
„Vivi und eine Frau?“, hörte ich als nächstes die Stimme von einem der Zwillinge. Es klang etwas wie Liam. „Kann mich jemand kneifen? Albträume mag ich nicht.“
Rian zwängte sich zwischen seinen Eltern hindurch und riss mich an sich. „Wie geht’s dir?“, wollte er wissen und lächelte auf mich herab, als er sich etwas von mir löste.
„Es geht mir gut.“, brachte ich schließlich hervor, „Sehr gut. Und euch?“
Rian schien die Frage nicht gehört zu haben. Er war dabei das Gebiet zu betrachten, dass sein Vater kurz zuvor so gelobt hatte.
„Dad hat Recht.“, meinte er, „Als ich dich das letzte mal gesehen habe, waren sie deutlich... kleiner. Du trägst keinen Push up, oder?“
„Nein.“, antwortete ich, wieder rot geworden.
„Hmm... wir sind nicht verwand... Hast du Lust später zu knutschen?“ Schmunzelnd zwinkerte er mir zu, woraufhin ich amüsiert den Kopf schüttelte.
„Lieber nicht. Wo ist jetzt Liam?“
Rians Mundwinkel zuckte. „Nicht lachen. Sonst regt er sich wieder auf.“
„Warum soll ich nicht- Oh mein Gott!“ Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen. Als ich Liam mit pinken Haaren sah, brach das Gelächter einfach aus mir heraus. Seine Miene, die so schon mürrisch war, wurde nun noch finsterer.
„Ich dreh ihr den Hals um.“, murmelte er.
Als mir vor Lachen Tränen in die Augen stiegen, hielt ich mich an Rian fest. „Wie ist das denn passiert?“, wollte ich von ihm wissen und lehnte mich an ihn, um nicht zu stürzen.
„Cathleen hat sich an ihm gerächt. Sie hat ihm ja gesagt, er solle ihrer Katze nicht weh tun, aber... er wollte nicht hören.“, erklärte dieser amüsiert, „Ich hab ihn noch vorgewarnt.“
„Oh Gott, ich kann nicht mehr.“, lachte ich und drückte mein Gesicht an Rians Brust.
„So, das reicht jetzt.“, meinte Papá und klatschte in die Hände. „Ich sage jetzt Tevin Bescheid und dann gibt es Essen. Ab in die Küche mit euch.“
Ich kämpfte darum das Lachen zu ersticken und folgte allen in die Küche, während Papá hinauf ging.
„Wo ist Violeta?“, wollte Kendra neugierig wissen, „Ich habe sie noch nicht gesehen.“
„Oh, Mamá geht es heute nicht gut. Ich weiß nicht, was mit ihr ist.“
„So? Dann werde ich nach dem Essen mal hoch gehen und nachsehen wie es ihr geht. Ich muss ihr dringend etwas erzählen.“
Als Papá herein kam, war ich bereits darauf gefasst, dass Tevin dabei sein würde, doch zu meiner Überraschung kam er allein.
„Tevin geht’s seit einiger Zeit nichts sehr gut.“, erklärte er, „Er war sehr müde, weil er kaum Schlaf bekommt. Er schläft gerade und ich wollte ihn nicht wecken.“
„Was ist denn mit ihm?“, fragte Kendra besorgt.
„Ich... wollte später mit ihm sprechen.“, entgegnete Papá darauf nur und servierte das Essen. „Wir werden uns wohl ohne ihn vergnügen müssen.“
„Und was ist mit Violeta?“, wollte nun Kaden wissen, „Vilija sagte, es ginge ihr nicht gut.“
Mein Vater hätte beinahe einen Teller fallen lassen. „Das... erzähle ich euch später... Allein.“ Sein Blick glitt kurz zu mir herüber, bevor er ihn schnell wieder abwand. Erwachsenengespräch. Aber... es ging doch um Mamá...
Nach dem Essen ging ich mit Rian, Liam und Cyntia in den Garten, wo wir mit meiner kleinen Schwester Fangen spielten. Danach saß ich mit den Zwillingen nur im Wohnzimmer, da es ziemlich spät wurde und Cyntia ins Bett musste. Wir hatten es uns auf der Couch gemütlich gemacht und sahen einen Film, den ich mir bereits etliche Male angesehen hatte.
„Vilija, gibt’s du mir bitte kurz das Wasser rüber?“, flüsterte Rian mitten im Film plötzlich in mein Ohr.
„Ja klar.“, antwortete ich leise und lehnte mich kurz etwas vor, um die Flasche zu greifen.
Ich wartete, bis er etwas getrunken hatte, nahm ihm die Flasche ab und lehnte mich dann wieder vor, um sie zurück zu stellen. Dabei spürte ich, wie Rian mir einen Arm um die Schultern legte und sah überrascht zu ihm auf. Er bemerkte meinen Blick nur einen Moment später und lächelte auf ich herab. Einen Augenblick überlegte ich, ob ich ihn fragte, warum er mir den Arm um die Schultern legte, beließ es dann jedoch dabei und lehnte mich einfach ein wenig an ihn, bevor ich wieder zum Film sah. Ein guter Moment, denn nun begannen langsam die erschreckenden Szenen. Keine fünf Minuten später zuckte ich zusammen und klammerte mich an Rian fest, der mir daraufhin den Arm um die Tallie legte.
Wir verharrten etwa einer Viertelstunde so, bevor es schließlich so furchterregend wurde, dass ich mein Gesicht an seiner Brust verbarg. Er lachte leise und streichelte mir mit der freien Hand über den Schopf und über die Wange.
„So schlimm ist das doch gar nicht.“, flüsterte er amüsiert.
Ich sah zaghaft zu ihm auf. „Du hast ja gar keine Ahnung.“
„Dann klär mich auf.“
„Hat deine Mutter das nicht schon gemacht?“, entgegnete ich neckisch.
Belustigt lachte er leise und fasste mich sanft am Kinn. „Sie hat mich sogar ziemlich gut aufgeklärt.“
„Bist du sicher?“
Einen Moment überlegte er. „Ich werde es dir beweisen.“
Er beachtete nicht, dass sich meine Augen weiteten, als er sich die letzten Zentimeter herab beugte und mich ganz sanft küsste. Mit dem Arm an meiner Tallie zog er mich enger an sich heran, während die Hand an meinem Kinn in meinen Nacken glitt, um mich dort festzuhalten, als er den Kuss vertiefte. Nach dem ersten Schock, spürte ich wie meine Augen langsam zufielen. Nie hätte ich geahnt, dass Rian so gut küssen konnte.
„Vilija, Papá sagt, du-“ Tevin, der gerade herein gekommen war unterbrach seinen Satz, als er mich mit Rian sah und blieb wie erstarrt stehen.
Liam, der bei Tevins Worten aufgesehen hatte, folgte nun seinem Blick und starrte uns an, während ich mich von Rian löste und schnell einen halben Meter von ihm abrückte.
„Ich... ich... das... wir...“, stammelte ich, „Wir haben... er wollte... also... das... Das ist nicht wonach es ausgesehen hat.“, brachte ich schließlich hervor.
„Ach nein?“, entgegnete Tevin mit ausdruckslosem Gesicht, „Es war also kein Kuss, ja?“
Mit offenem Mund blickte ich zu ihm herüber und sah hilfesuchend zu Rian. Dieser zuckte kurz mit den Schultern.
„Ich gebe zu, ich hab mich ihr aufgedrängt. Aber das kann dir ja egal sein, oder? Soweit ich weiß, hast du ja eine Freundin und Vilija ist Single, also-“
„Sie ist immer noch meine Schwester.“, unterbrach Tevin ihn finster.
„Du kennst mich doch schon seit Jahren. Glaubst du, ich würde sie schlecht behandeln?“
„Nein, aber eine gute Partie wärst du trotzdem nicht. Du wohnst zu weit weg. Lass einfach die Finger von ihr.“ Sein Blick glitt zu mir, wobei er ein wenig trüb wurde. „Papá möchte dich sprechen.“
Mit einem Nicken stand ich auf und ging an ihm vorbei in den Flur, wobei mir ein leiser Seufzer über die Lippen kam. Ich bin immer noch seine Schwester. Also hat er es nur getan, um seine Pflichten als Bruder zu erfüllen, um mir das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit zu geben. Nicht etwa... weil er eifersüchtig ist.
Mit den Gedanken in meinem Kopf ging ich zu dem Büro meines Vaters, klopfte kurz und ging dann hinein. Er saß mit Kaden und Kendra am Schreibtisch und hatte ihnen wohl gerade von einem Projekt erzählt. Als ich eintrat, lächelte er leicht und winkte mich zu sich.
„Vilija, du bist doch zeichnerisch so begabt wie deine Mutter.“, meinte er und zog mich direkt auf seinen Schoß, sodass ich sehr gut sehen konnte, was auf den Zetteln vor ihm zu sehen war. „Die Firma für die ich arbeite arbeitet an eine Karosserie, die nicht nur schön, sondern auch modern ist. Es soll stylisch sein und dennoch praktisch.“ Er deutete auf einige Skizzen von Autos auf verschiedenen Zetteln. „Ein Auto muss so gebaut sein, dass es möglichst wenig Widerstand hat, damit es schnell beschleunigen kann.“ Er deutete auf die Skizze eines einfachen Wagens. „Das hier erfüllt die Bedingung zwar und es ist modern, aber es sieht ziemlich langweilig aus. Modelle von Lamborghinis jedoch...“ Er zog einen anderen Zettel mit der Skizze eines Lamborghinis hervor. „Die sehen gut aus, aber sie sind sehr teuer. Wir bräuchten deine kreative Ader um ein Modell auszuarbeiten, dass gut aussieht, praktisch ist und trotzdem nicht so teuer ist.“
„Praktisch schließt fünf Sitze und einen möglichst großen Kofferraum ein, richtig?“, fragte ich daraufhin, „Ich denke, das werde ich hinbekommen.“
Ohne zu zögern griff ich nach einem leeren Zettel, suchte kurz einen Bleistift und begann zu zeichnen.
Drei Stunden später verließ ich das Büro und streckte mich kurz. Es wurde langsam spät und ich war müde. Kendra hatte sich in einem der Gästezimmer schlafen gelegt, nachdem Kaden gefragt hat, ob sie hier übernachten könnten. Sicher, damit er Papá bei dem Projekt zur Seite stehen konnte. Ich hatte einige Modelle skizziert und sie mit ihm und Papá besprochen, Kleinigkeiten verändert und einige verbessert. Am Ende hatten die Beiden vier Modelle, die alle Bedingungen erfüllt hatten heraus gefiltert. Als ich dann gegähnt hatte, hatte Papá mich mit einem Blick auf die Uhr und einem Kuss auf die Stirn ins Bett geschickt.
Nun schlurfte ich durch den stillen Flur zur Treppe und ging hinauf in mein Zimmer. Dort zog ich mich kurz um und legte mich direkt ins Bett, konnte jedoch nicht einschlafen. Meine Gedanken kreisten um den Kuss mit Rian und Tevins Reaktion.
Warum hat Rian mich überhaupt geküsst? Er kennt mich nun schon so lange, doch er hat nie Annäherungsversuche gemacht. Ausgerechnet jetzt, wo ich Distanz zu Tevin halte, küsst er mich.
Murrend drehte ich mich auf die andere Seite und ließ den Blick durch mein Zimmer schweifen, wobei mein Blick bei dem Mülleimer hängen blieb, aus dem eine Ecke des Bilderrahmens hervorlugte. Mein Hals zog sich zusammen, bei dem Gedanken daran, dass es zwischen Tevin und mir wohl nie mehr so sein würde wie früher.
Das ist wahrscheinlich das einzige richtige Andenken an die Zeit.
Zaghaft stieg ich aus meinem Bett und tapste zu meinem Schreibtisch herüber, wo ich mich auf den Drehstuhl setzte und das Bild aus dem Eimer zog. Mein Herz schmerzte, als ich einen Blick darauf warf und spürte die Tränen, die mir in die Augen stiegen.
Wie es wohl mit ihm gewesen wäre... Liebevoll strich ich über die Kontur von Tevins Wange. Vielleicht ist es besser, dass ich es nicht weiß. So werde ich es nicht vermissen können.
Mit einem harten Schlucken ließ ich das Bild wieder in den Mülleimer fallen, kniff die Augen zusammen und stand dann auf, um wieder ins Bett zu gehen.
Morgen würde ich das Bild loswerden. Wenn ich mein Zimmer aufräume und den Mülleimer ausleere werde ich es wegwerfen und nie wieder einen Blick darauf werfen.
Dem Bild den Rücken zugewandt kniff ich erneut die Augen zusammen und drückte mein Gesicht leicht ins Kissen. Dann dauerte es noch eine halbe Stunde, bis ich einschlief.
Es war genau 15 Uhr, als es an der Tür klingelte. Ich war mit Rian allein im Garten und unterhielt mich über die letzten Wochen, lachte mit ihm über Witze und schaukelte mit ihm um die Wette. Wir fielen gerade beinahe vor Lachen von der Schaukel, als Papá heraus kam.
„Vilija, da ist jemand für dich.“ meinte er und lächelte, als er uns so lachen sah.
„Ja, ich... ich bin gleich da.“, antwortete ich lachend und stieß Rian leicht an. Er hatte den Witz gemacht, der uns dazu brachte, nicht mehr mit dem Lachen aufhören zu können. Tatsächlich hatte er nach Tevins Warnung keine Annäherungsversuche mehr gemacht.
Mit einem Nicken ging Papá wieder hinein, woraufhin ich aufstand, dann jedoch hinfiel. Noch mehr lachend hielt ich mir den schmerzenden Bauch und rollte mich auf dem Boden herum.
„Mach nie wieder solche Witze.“, warnte ich Rian lachend, der sich kaum noch auf der Schaukel halten konnte.
„Ja, ist gut. Okay, jetzt sollten wir aber aufhören.“, meinte er darauf, stand lachend auf, half mir auf die Beine und ging mit mir, immer noch leise lachend ins Haus.
„Das reicht jetzt.“, meinte ich im Wohnzimmer, konnte mir ein Grinsen jedoch nicht verkneifen.
Als wir in den Flur gingen, machten wir jedoch den Fehler uns kurz anzusehen und brachen sofort wieder in Gelächter aus. Dad, der offenbar in der Küche beschäftigt war, trat an die Küchentür und sah uns verwundert an.
„Ihr lacht ja immer noch.“, bemerkte er.
„Rian hat- Rian hat- … Er hat-“ Ich unterbrach mich erneut vor Lachen und lehnte mich an die Wand.
„Hat er wieder einen seiner Witze gemacht?“, wollte Cyntia wissen, die neben Papá in der Küchentür auftauchte.
Ich nickte nur und kämpfte damit auf den Beinen zu bleiben. Rian fiel beinahe auf die Knie.
„In Ordnung, jetzt lacht noch eine Minute, atmet tief durch, kneift euch gegenseitig in die Wangen und dann reichts erst mal, sonst bekommt ihr noch Muskelkater.“, meinte Papá amüsiert.
Ganz langsam verebbte unser Lachen, woraufhin wir einige Male durchatmeten und uns tatsächlich gegenseitig in die Wange kniffen.
„So, jetzt geh zu deinem Besuch, bevor er es sich anders überlegt.“, meinte Rian amüsiert, „Wir können ja weiter machen, wenn du wieder da bist.“
„Wenn du dann noch da bist.“, entgegnete ich darauf und ging zur Tür.
„Vilija.“
Ich sah zu Papá. „Ja?“
„Er ist hier in der Küche.“
„Oh. Ach sooo.“ Nach kurzem Zögern ging ich an Papá vorbei in die Küche und lächelte Veit an, der mit Cyntia am Küchentisch saß. Vor ihm sein Zeichenblock, in der Hand ein Bleistift.
„Du darfst nicht zu verkrampft sein, sonst werden die Linien hart und das Ergebnis unschön.“, erklärte er gerade, „Zeichne weiche Linien mit lockerer Hand aus dem Handgelenk.“ Locker und einfach glitt seine Hand über das Blatt, wobei Cyntia mit offenem Mund zusah.
„Das sieht genauso gut aus wie bei Vivi.“, bemerkte sie, „Ich werde nie so gut sein.“
„Irgendwann schaffst du es.“, warf ich ein, „Da bin ich mir sicher.“
Veit sah überrascht auf und lächelte mich unsicher an. „Stehst du schon lange da?“
„Seit eben.“, antwortete ich und kam näher, um mir das Bild anzusehen. „Eine Katze?“ Verblüfft sah ich Veit ins Gesicht.
„Nun... deine Schwester sagte, sie mag Katzen.“
„Und wie. Genauso sehr wie ich.“, stimmte ich zu.
Wie gerufen kamen Lily und Judas herein. Lily stürzte sich quasi auf Cyntia, während Judas sich an mein Bein schmiegte und begann zu schnurren.
„Habt ihr nichts zu essen bekommen?“, fragte ich die Katzen verwundert, bevor ich wieder zu Veit aufsah. „Ich gebe ihnen noch schnell etwas, dann können wir los.“
Er nickte darauf und begann seine Sachen in eine Tasche zu tun.
„Warum hast du eigentlich deine Zeichensachen dabei?“, fragte ich, während ich eine Dose für die Katzen aussuchte und sie öffnete.
„Ich... Ich hatte gehofft... dass ich... dich vielleicht zeichnen könnte.“
Papá, der an der Küchentür stand, sah ihn überrascht an. „Du zeichnest meine Tochter?“
Veit wurde etwas rot. „Ja Sir. Ich... Sie ist einfach wie dafür geschaffen.“ Als würde er es damit erklären wollen, holte er den Block wieder heraus, schlug die Zeichnung von mir auf und zeigte sie meinem Vater. „Ich konnte einfach nicht widerstehen.“, fügte er hinzu.
Cyntia bekam den Mund nicht mehr zu. „Ist das schön. Darf ich das haben? Das schenke ich Tevin zum Geburtstag.“
Veit lachte leise, löste es aus dem Block, signierte es kurz und schob es dann meiner Schwester herüber. „Aber pass gut darauf auf. Das Bild gibt es nur einmal.“
Meine Schwester nickte hektisch, nahm das Bild ganz vorsichtig in die Hände und eilte dann damit aus der Küche.
„Jetzt wird sie es wohl auf ihren Tisch legen und sich den Kopf darüber zerbrechen, wie sie es einpacken soll.“, überlegte Papá.
„Sie hat ja noch ein paar Wochen Zeit.“, meinte ich daraufhin, „Und... Veit?“
„Ja?“
„Also... hättest du Lust um 19:30 Uhr auf eine Geburtstagsparty zu gehen?“
Er dachte einen Moment nach. „Ja. Warum nicht?“
„Gut. Teddy hat mich schon vor Monaten eingeladen und ich habe ihm versprochen zu kommen.“
Veit winkte ab. „Ist schon in Ordnung. Wirklich. Vielleicht bekomme ich ja die Gelegenheit, dich beim Tanzen zu sehen. Das muss auch ein schönes Bild sein.“
Mein rechter Mundwinkel hob sich, ebenso wie mein Körper, da ich den Katzen gerade ihr Futter gegeben hatte. „Gut, wir können gehen.“
„Ja.“ Schnell steckte er seinen Block in die Tasche und zog sie zu, bevor er aufstand und sie schulterte. „Gehen wir in den Park?“
„Super Idee. Der Park ist so schön.“
Mit einem Lächeln auf den Lippen verließen wir das Haus.
Ich war eine halbe Stunde früher da, als ich angekündigt hatte. Teddy war voll und ganz in den Vorbereitungen seiner Party vertieft, weshalb seine Mutter öffnete. Sie wollte mich bereits laut begrüßen, blieb jedoch still, als ich ihr bedeutete leise zu sein.
„Freu mich dich zu sehen, Vilija.“, begrüßte sie mich leise, „Theo wird sich sicher freuen dich hier zu haben.“
„Vielen Dank, Mrs Vencino. Das hier ist Veit, unser neuer Klassenkamerad. Ich war heute mit ihm unterwegs und da sagte Teddy mir, ich könne ihn mitbringen.“
„Ist schon in Ordnung. Kommt rein.“
Ich bat Veit leise still zu sein und betrat mit ihm das Haus. „Wo ist er?“
„Im Wohnzimmer.“
Mit einem Nicken schlich ich leise zur Wohnzimmertür und lugte vorsichtig herein. Teddy stand mit dem Rücken zu mir und sortierte gerade die Snacks und Getränke auf dem Tisch. Ich wartete einen Moment, bis er sich von dem Tisch entfernte, schlich mich leise an ihn heran und sprang ihm dann auf den Rücken.
„Happy Birthday, Teddy!“, rief ich dabei laut aus und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
Erschrocken, überrascht und glücklich zugleich sah er mich über die Schulter hinweg an und begann zu lächeln. „Da bist du ja schon.“, meinte er, ließ mich herunter und nahm mich in die Arme.
„Ich hab dir doch versprochen zu kommen.“, entgegnete ich, „Also bin ich aufgetaucht.“
„Ich freue mich wirklich, dass du da bist.“
„Deshalb bin ich doch hier, du Dummerle.“
Langsam ließ er mich los, küsste mich auf die Stirn und wand sich dann an Veit. „Freut mich, dass du auch kommen konntest.“
Unser neuer Klassenkamerad gab ihm die Hand. „Das ist Vilija zu verdanken. Ich habe nicht einmal gewusst, dass du Geburtstag hast. Alles Gute.“
„Danke sehr. Vivi, kannst du vielleicht kurz helfen?“
„Ja, klar. Was soll ich um schmeißen?“
Teddy schmunzelte. „Such die Musik aus.“
Ich salutierte kurz. „Wird gemacht, Boss.“ Damit drehte ich mich um und ging zur Stereoanlage.
Es war bereits sehr spät, mitten in der Nacht um genau zu sein, als ich spürte, wie mein Handy in der Hosentasche vibrierte. Verwundert holte ich es heraus und sah auf das Display.
Tevin
Ich schluckte und steckte das Handy schnell wieder ein. Papá muss es ihm gerade gesagt haben. Ich wusste, wenn ich zuhause war, konnte ich ihm nicht mehr in die Augen sehen.
Teddy, der mir gegenüber stand, weil er mit mir gesprochen hatte, sah mich fragend an. „Was ist los? Wer war das?“
„Ist... ist egal. Nicht so wichtig.“, antwortete ich darauf, nahm ihm sein Becher aus der Hand und trank ihn aus. Wodka. Theodore trank selten und dann auch nur wenig, genehmigte sich dann aber schon etwas hochprozentiges.
„Ich dachte, du trinkst kein Alkohol.“
Ich winkte ab, ging hinüber zu den Getränken und schenkte mir einen Becher Whiskey ein. „Das tut gerade nichts zur Sache.“, entgegnete ich an Teddy, der mir besorgt gefolgt war.
„Wer war das gerade? Du wurdest doch angerufen, richtig?“
„Ja, ich- das war- Es ist nicht wichtig.“ Ich schenkte mir noch einen Becher ein und kippte ihn, so wie den vorigen Becher, einfach runter.
„Du solltest es nicht so runter schütten. Und du solltest etwas mit weniger Alkoholgehalt nehmen.“
„Mir egal.“ Ich kippte den nächsten Becher weg, woraufhin Teddy ihn mir aus der Hand nahm.
„Hör auf damit und rede mit mir. Was ist los?“
Ich schwankte ein wenig und hielt mich an Theodore fest. „Das war Tevin.“, antwortete ich dann und nahm ihm meinen Becher wieder ab, um nachzufüllen.
„Und? Gib das her, Vivi.“
„Ich... Ich hab gestern... Es ist noch Freitag, oder? Ich hab gestern mit Papá gesprochen. Über Tevin und mir. Und ich hab ihm alles erzählt. Papá hat heute mit ihm gesprochen und ich denke, er hat es ihm eben gesagt.“ Erneut nahm ich Teddy meinen Becher ab und trank ihn aus, bevor er ihn mir wieder abnehmen konnte.
„Was macht Vilija denn da?“, fragte sich einer der anderen Gäste.
„Die kippt das Zeug ja wie Wasser.“
„Seit wann trinkt sie Alkohol?“
Als ich mir erneut nachfüllen wollte, nahm Teddy mir die Flasche aus der Hand.
„Gib die wieder her.“
Statt sie mir zu geben, stellte er sie außerhalb meiner Reichweite ab und nahm mein Gesicht in seine Hände. „Vilija, du hast noch nie Alkohol getrunken. Das ist in solchen Mengen nicht gut für dich.“
„Ich entscheide selbst, was gut für mich ist.“, antwortete ich nuschelnd.
„Du bist betrunken.“
„Bin ich gar nicht.“ Ich schwankte erneut, diesmal etwas stärker. „Ich kann klar denken, also bin ich nüchtern.“
„Vilija, du bist betrunken.“
Grob schob ich ihn beiseite, nahm mir die Whiskeyflasche und setzte direkt an, um sie auf ex herunter zu spülen.
Theodore fuhr sich mit der Hand durchs Haar und versuchte die Flasche wieder an sich zu bringen. Es gelang ihm erst, als sie bereits leer war und kam nur dazu sie abzustellen, bevor ich ihn auf die Tanzfläche zerrte.
„Komm, tanz mit mir.“, bat ich ihn und begann zu tanzen, bevor er überhaupt bemerkte, wo wir standen.
„Vilija, hör auf.“, bat Teddy mich halblaut und schob meine Hände beiseite, als sie an seiner Brust hinauf glitten.
Ich drehte mich daraufhin um, hielt mich an ihm fest und tanzte einfach weiter, während ich meine Hände über meinen Körper gleiten ließ.
„Vilija. Verdammt, lass das.“, bat mich Teddy erneut.
Plötzlich zog ich mir das Shirt über den Kopf, woraufhin er es mir sofort aus der Hand riss und es mir vor die Brust hielt, da bereits beinahe alle Anwesenden zusahen.
„Vilija, jetzt hör auf damit.“
„Ich will nicht. Mir ist warm und ich will tanzen.“, entgegnete ich, tanzte einfach weiter und ließ meine Hände zu meiner Hose wandern.
Abgesehen von der Musik wurde es langsam um uns herum still. Als Teddy erkannte, was ich vorhatte, drehte er mich zu sich um, nahm meine Handgelenke und drückte mich an sich heran, sodass niemand etwas sehen konnte und ich kaum Bewegungsfreiheit hatte.
„Die sehen alle zu. Hör auf damit.“
„Ist doch gut, wenn sie zusehen. Dann haben sie ihren Spaß.“
Während ich das sagte, zog er mir mein Shirt über den Kopf und brachte mich dazu, die Arme durch die Ärmel zu stecken, wobei er mich gleichzeitig daran hinter musste, es wieder auszuziehen. Sobald ich angezogen war, hob er mich einfach hoch, ignorierte meine Zappelei und trug mich die Treppe hinauf, während einige Gäste sich darüber beschwerten, dass er alles für sich allein haben wollte. Beinahe alle waren angetrunken. Einige auch betrunken.
„Wo bringst du mich hin, Teddy?“, wollte ich wissen und legte ihm plötzlich die Arme um den Hals.
„Ich bringe dich ins Bett.“
„Bleibst du dann noch bei mir? Wir können uns ja ein bisschen amüsieren. Wir beide, ganz allein im Bett.“
„Nein.“
„Komm schon. Ich bin mir sicher, wir werden eine Menge Spaß haben.“
„Nein.“
„Aber warum denn nicht?“
„Weil ich nicht will und weil du betrunken bist.“
„Deine Meinung kann ich ändern und ich bin nicht betrunken.“
„Vilija, du hättest dich gerade beinahe vor allen ausgezogen.“
„Aber nur beinahe.“
„Weil ich dich daran gehindert habe.“
„Gib wenigstens zu, dass du den Anblick mochtest.“
„Vilija!“
„Das ist ein ja, oder?“
„Nein!“
„Aber du sagtest doch immer, dass du mich so schön findest.“
„Das bist du auch.“
„Glaub ich dir nicht mehr.“
Mit einem tiefen Seufzen betrat er mit mir sein Zimmer und legte mich auf sein Bett. „Vilija, du bist schön. Wunderschön.“
„Aber du magst meinen Anblick nicht.“
„Doch, natürlich mag ich ihn. Er ist atemberaubend.“
Nachdenklich sah ich zu ihm auf. „Ehrlich?“
„Ja. Ganz ehrlich.“
„Warum bleibst du dann nicht bei mir? Du findest mich eigentlich hässlich, stimmts?“
„Nein, finde ich nicht. Ich werde nicht bei dir bleiben, weil du erst einmal schlafen solltest und ich noch Gäste habe.“
„Bitte. Nur ein bisschen.“
„Nein.“
„Nur ganz kurz.“
Er seufzte tief, sah mich eine Weile schweigend an und gab dann schließlich nach. „In Ordnung. Ich werde hier warten, bis du eingeschlafen bist.“
Sofort rückte ich zur Seite und klopfte neben mir auf das Bett, woraufhin er sich, nach kurzem Zögern, neben mich legte. Sofort legte ich mich halb auf seine Brust, schlang die Arme um seine Tallie und sah zu ihm auf.
„Teddy?“
„Ja?“ Er sah zu mir herab.
„Ich bin noch gar nicht müde.“
„Leg dich einfach hin. Du wirst schon einschlafen.“
Langsam begann ich zu lächeln und rutschte ein wenig höher. „Teddy?“
„Hm?“
„Machst du mich müde?“
„Ich... werde dir etwas vorsingen.“
„Nicht singen.“, warf ich schmollend ein, „Ein Kuss.“
„Nein.“
„Bitte.“
„Nein.“
Sofort schob ich die Unterlippe vor, ließ ihn los und drehte ihm den Rücken zu. Es blieb einen Moment still, bevor er schließlich stöhnte. „Na gut. Ein kurzer Kuss.“
Abrupt drehte ich mich mit einem Lächeln zu ihm um, schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn. Und zwar ziemlich leidenschaftlich. Fünf Sekunden später griff er nach meinen Armen, doch ich ließ ihn nicht los.
„Vilija.“, brachte er hervor, als er den Kopf zur Seite drehte. „Das reicht jetzt, hör auf.“
Mein Mund glitt über seine Wange herab zu seinem Hals. „Noch nicht.“
Verzweifelt griff er nach meinem Handgelenk, als meine Hand hinunter zu seiner Hose wanderte. An seinem Schritt angekommen hielt ich überrascht inne.
„Keine Regung?“, hakte ich überrascht nach, stützte mich etwas ab und sah auf die gemeinte Gegend. „Das lässt dich kalt?“
„Vilija, du bist wie eine Schwester für mich.“, meint er darauf deutlich.
Ich biss die Zähne aufeinander und setzte mich auf. „Ist mir schon klar. Ich bin für dich nur eine Schwester und für Tevin sowieso.“ Verwundert zog ich die Brauen zusammen. Irgendwas davon hätte ich nicht sagen sollen.
„Für Tevin?“, hakte Teddy nach, „Warum sollte es nicht so sein? Oder... ist es bei dir etwa anders?“
Zerstreut sah ich zu ihm auf. „Hm? Ach... egal, ich hab Durst.“ Mit diesen Worten stand ich auf, kletterte über ihn herüber und verließ das Zimmer.
Teddy sprang sofort auf und folgte mir schnell, als ich hinunter ging. Die Gäste johlten, als sie uns sahen, einige grinsten ziemlich breit.
„Muss wohl ein Quicki gewesen sein.“, meinte einer und zuckte mit den Schultern.
„Es ist nichts passiert.“, warf ich ein, „Er konnte nicht.“
Erneut wurde gejohlt, woraufhin Teddy die Zähne zusammen biss. „Vilija, leg dich wieder hin. Du musst schlafen.“
„Ich bin aber nicht müde.“, entgegnete ich und ging direkt zum Tisch mit den Getränken.
„Hast du schon etwas gegessen, seit du hier bist?“, fragte Teddy mich besorgt und nahm mir eine Wodkaflasche aus der Hand.
„Äh... nein. Keinen Hunger.“ Ohne zu zögern nahm ich die nächste Flasche, die bereits offen stand und setzte sie an.
Ich stöhnte als ich wieder zu mir kam und drehte mich auf die andere Seite, wobei ich mich an das warme Kissen kuschelte, das vor mir lag. Moment... es gab keine Kissen, die so warm waren.
Blinzelnd öffnete ich die Augen und sah auf eine nackte Brust. Ich brauchte einen Moment um zu realisieren, dass es eine Männerbrust war und setzte mich dann sofort auf, nur um dann vor Schmerz aufzustöhnen, da mein Kopf wie verrückt weh tat. Dann riss ich die Augen auf, als ich Teddy neben mir erkannte. Nackt. Ich sah an mir herunter und sah dann entsetzt wieder zu Teddy.
Wir haben doch nicht... haben wir etwa... WAS IST PASSIERT?
„TEDDY!“, rief ich und packte ihn an den Schultern, um ihn zu schütteln.
Er wurde sofort wach, sah mich erschrocken an und entspannte sich dann wieder, als er mich erkannte. „Mein Gott, Vilija. Leg dich hin.“
„Hatten wir Sex?“, fragte ich unverblümt, woraufhin er mich entsetzt ansah.
„Wie kommst du darauf?“
„Wie kommt man darauf? Du bist nackt, ich bin nackt und wir... liegen im selben Bett!“
Mit einem Seufzen zog er mich wieder herunter, drückte mich auf die Matratze und hielt mich fest. „Nein, wir hatten keinen Sex.“
„Und warum sind wir nackt?“
„Du warst stock besoffen, also war ich mit dir duschen, nachdem alle Gäste weg waren. Du kannst froh sein, dass Veit schon viel früher gegangen ist.“
„Und warum liegen wir nackt im selben Bett?“
„Hätte ich dich allein gelassen, wärst du wieder runter gegangen, um zu trinken. Du warst total dicht und hast jetzt bestimmt einen höllischen Kater.“
Ich stöhnte frustriert auf und schlug dann die Augen auf. „Mein Handy. Wo ist mein Handy?“
„Hier auf dem Nachttisch.“
Sofort drehte ich mich um, nahm es an mich und sah auf das Display. 24 entgangene Anrufe und 13 SMS von Tevin.
„Um elf hab ich ihn von meinem Handy angerufen und ihm gesagt, dass du gerade schläfst und sehr müde warst.“
„Ich-ich muss nach hause.“
Ohne zu zögern sprang ich auf, riss dabei die Decke mit und rannte ins Bad, wo ich schnell unter die Dusche sprang. Eine halbe Stunde später saß ich mit Teddy in der Küche und gab ihm das Glas wieder. Er hatte mir ein Brot geschmiert und mir Kopfschmerztabletten gegeben, nachdem er sich geduscht und angezogen hatte. Ich bedankte mich bei ihm, stand direkt auf und ging zur Tür.
„Vilija?“
„Ja?“, antwortete ich und sah zu ihm.
„Soll ich dich vielleicht besser nach hause bringen?“
Nach kurzem Zögern schüttelte ich den Kopf. „Nein Danke. Ich denke, es ist besser, wenn du nicht mitbekommst was passiert. Wir sehen uns in der Schule. Wenn ich dich brauche, rufe ich dich an, in Ordnung?“
„Du weißt, du kannst mich immer anrufen, egal um welche Uhrzeit.“
„Ja. Danke, Teddy.“
Zaghaft lächelte er mich an, kam zu mir herüber und küsste mich auf die Stirn, bevor ich schließlich zurück lächelte und das Haus verließ. Ich grübelte den ganzen Weg nach hause vor mich hin, wie Tevin wohl reagieren würde, wenn ich zuhause war. Beinahe hätte ich sowohl meinen Bus, als auch meine Haltestelle verpasst, verärgerte damit den Busfahrer und stolperte schließlich über eine Stufe unserer Veranda. Leise fluchend öffnete ich die Tür und trat hinein, blieb dann aber sofort stehen, als ich Dianas Stimme im Wohnzimmer hörte. Die Zähne zusammenbeißend ging ich ohne ein Wort zu verlieren die Treppe hinauf in mein Zimmer, warf die Tür hinter mir zu und schloss ab. Eine Weile stand ich einfach nur an der Tür und starrte auf mein Fenster, bevor ich mich schließlich an den Schreibtisch setzte und meinen Zeichenblock hervorzog, der immer einen Platz an der Seite meines Schreibtisches hatte. Ein Glas mit Blei- und Bundstiften stand auf der anderen Seite, daneben ein kleiner Behälter mit Radiergummi und Anspitzer.
Ich begann erst kleine Bilder zu malen. Herzen, Sterne, Kruzifixe, Pentagramme und einige andere Dinge. Dann malte ich immer größere Bilder. Häuser, Gesichter, Tiere, Pflanzen... Eine halbe Stunde später zeichnete ich an einer Lichtung, mitten im Wald. Durch die Mitte der Lichtung verlief ein kleiner Bach und ein Reh stand am Ufer, um zu trinken. Am Waldrand erkannte man die Schemen eines Menschen, der das Reh leise beobachtete, obwohl es aus Strömen regnete.
Als ich das nächst Bild begann, schaltete ich meine Musik ein und drehte sie ein wenig auf, bevor ich schließlich wieder zum Stift griff. Diesmal zeichnete ich eine Klippe am Meer, umringt von Bäumen, in der Mitte ein Trampelpfad. Kleine Vögel saßen in den Bäumen und eine Schlange schlängelte sich durchs Geäst. Es sah aus, wie im Regenwald.
Dann zeichnete ich noch ein Drittes Bild. Diesmal stand man unten an der Kippe, vor einem riesigen Wasserfall, der sich in einen See ergoss, von dem ein schmaler Fluss abzweigte. Um den See herum wuchs grünes Gras und wenige Meter danach begann wieder ein Wald. Der Himmel strahlte blau und nur wenige Wolken zeigten sich am Himmel.
Die Bilder zu zeichnen dauerte mehrere Stunden und als ich mit einem vierten Bild beginnen wollte, klopfte es an der Tür.
„Vilija.“, ertönte Papás Stimme, als ich nicht antwortete.
Mit einem leisen Seufzen legte ich den Stift beiseite und drehte die Musik leiser. „Ja?“
„Darf ich herein kommen?“
„Ja.“
Vorsichtig öffnete mein Vater die Tür, sah herein und betrat mein Zimmer, bevor er die Tür hinter sich schloss. „Du hast gar nicht Bescheid gesagt, dass du wieder da bist.“
„Tut mir leid.“, entgegnete ich halblaut und hielt den Blick gesenkt.
„Hast du die ganze Zeit gezeichnet?“
Ich folgte seinem Blick auf meinen Block und nickte. „Ja. Mir war danach.“
„Die sind wirklich gut geworden.“
„Danke.“
Einen Moment stand er einfach nur da, setzte sich dann aber auf meine Couch. „Vilija, du weißt sicher, dass ich schon mit Tevin gesprochen habe.“
Mit einem leisen Schlucken sah ich zu ihm auf.
„Er war sehr... überrascht und... er sah etwas geschockt aus. Aber er möchte dringend mit dir darüber sprechen. Er möchte dich auf keinen Fall verlieren.“
Nun wand ich den Blick wieder ab. „Und warum war dann Diana hier?“
„Er hatte sie eingeladen, bevor ich mit ihm gesprochen hatte und wollte sie dann nicht mehr ausladen. Außerdem ist sie immer noch seine Freundin.“
Es kam keine Antwort von mir. Als Papá sich klar wurde, dass ich dazu nichts sagen würde, stand er mit einem leisen Seufzen auf und verließ mit einem ''Gute Nacht'' das Zimmer. Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich daraufhin fest, dass es bereits ziemlich spät war, weshalb ich aufstand und mein Zimmer verließ, um duschen zu gehen. Wenige Meter vor der Badezimmertür hörte ich Schritte von der Treppe und sah auf. Tevin fuhr sich gerade zerstreut durchs Haar, rieb sich die Augen und gähnte kurz, bevor er wieder nach vorn sah und somit mich entdeckte. Er öffnete bereits den Mund um etwas zu sagen, doch da eilte ich bereits ins Bad und schloss hinter mir die Tür ab.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, während ich mich schnell auszog und unter die Dusche sprang. Würde ich jemals den Mut haben mit ihm zu sprechen?
Eine Viertelstunde später verließ ich, in einem Handtuch gewickelt, das Bad und tapste wieder hinüber in mein Zimmer. Mit einem tiefen Seufzen schloss ich hinter mir ab, trocknete mich ab und zog mir Schlafsachen an. Schweren Herzens ließ ich mich ins Bett fallen, konnte jedoch nicht schlafen, weil ich Papás Worte im Kopf hatte.
Er war sehr... überrascht und... er sah etwas geschockt aus.
Es war genau das, was ich nicht wollte. Tevin war geschockt, weil ich in ihn verliebt war. Obwohl ich es bereits geahnt hatte, saß der Schmerz tief.
Mit Tränen in den Augen und das Gesicht halb ins Kissen vergraben schlief ich eine Stunde später ein.
Es war Samstagmorgen und ich war viel zu ausgeschlafen, wie ich fand. Es war, als würde ich den Schlaf bekommen, den Tevin so sehr brauchte. Hellwach stand ich auf und ging direkt ins Bad, um zu duschen. Eine halbe Stunde später ging ich leichtfüßig die Treppen hinunter in die Küche, wo Papá am Tisch saß und eine Tasse Kaffee trank, während er Bürokram erledigte.
„Guten Morgen, Papá.“
Er sah kurz zerstreut auf, nickte dann und sah wieder auf den Bildschirm seines Laptops sah, den er sich für die Arbeit zugelegt hatte.
„Hast du schon geschlafen?“, wollte ich von ihm wissen und stellte mich hinter ihn, um ihm über die Schulter zu sehen.
„Kurz.“, antwortete er abwesend.
Er arbeitete an dem Projekt, wie ich feststellte. Jeden Samstag saß er in der Küche oder im Wohnzimmer am Laptop und arbeitete, statt in die Firma zu fahren, so war er mehr zuhause.
„Du solltest dich nicht foltern.“, meinte ich und küsste ihn auf die Wange, woraufhin er zu mir aufsah.
„Foltern?“
„Schlaf dich aus, Papá. Zu wenig Schlaf ist nicht gut für dich.“, entgegnete ich und legte die Arme um ihn. „Das hilft niemandem. Weder uns, noch dir oder der Firma. Wie lange sitzt du hier schon?“
„Nicht lange.“, antwortete er träge, „Seit elf Uhr oder so.“
„Papá, wir haben schon acht Uhr morgens. Leg dich hin.“
„So spät schon?“ Er klang überrascht und sah auf die Uhr, bevor er hinaus sah. Dann massierte er sich müde das Nasenbein. „Ich muss das heute fertig kriegen.“
„Das kannst du doch später auch noch machen. Leg dich hin. Und wenn du ausgeschlafen bist, geht es ratz fatz.“
Langsam nickend schaltete er alles aus und fuhr den Laptop herunter. „Du hast ja Recht.“ Er trank kurz den Kaffee aus, verzog das Gesicht und klappte den Laptop zu, bevor er langsam aufstand. „Hast du noch mit Tevin gesprochen?“
Schnell senkte ich den Blick und ging zum Kühlschrank „Nein.“
„Das solltest du wirklich tun, Vilija. Es hilft weder dir, noch ihm oder der Familie.“
Ich schmunzelte, als er meine Worte in ähnlicher Form wiederholte. „Ich werde sehen was sich machen lässt.“
„Es ist nicht gut für euch.“ Wenig später spürte ich eine Hand liebevoll auf meinem Haar. „Sprich mit ihm. Am besten gleich, wenn er aufgestanden ist. Es ist wichtig.“
Langsam ausatmend nickte ich ein wenig und küsste ihn nochmals auf die Wange. „Jetzt geh schlafen. Das brauchst du.“
„Das mach ich. Viel Spaß noch heute.“
Müde lächelnd verließ er die Küche, woraufhin ich die Milch aus dem Kühlschrank nahm und mir eine Schüssel Müsli machte. Als ich mich fünf Minuten später setzte, schlurfte Tevin in die Küche. Er sah so müde aus, als sei er noch im Halbschlaf, weshalb ich schwieg und hoffte, dass er mich nicht bemerkte. Das wirkte so lange, bis er hörte, wie mein Löffel an die Schüssel stieß. Überrascht sah er sich kurz um und seufzte leise, als er mich erkannte.
„Guten Morgen.“, begrüßte er mich hoffnungslos und wand sich bereits ab, da er wohl keine Antwort erwartete.
Gründlich kauend sah ich herab und überlegte, ob ich etwas erwidern sollte. „Morgen.“, meinte ich schließlich, als er sich mit einer Schüssel Müsli gegenüber von mir sinken ließ.
Er sah sofort auf, als hätte er meine Stimme noch nie gehört. Kurz darauf glitt sein Blick wieder herab. „Sprichst du jetzt wieder mit mir?“, fragte er zaghaft.
Mit dem Löffel schob ich mein Müsli in der Schüssel hin und her. „Ein wenig.“
Er stocherte nur in seinem Frühstück herum. So lief es bisher immer, wenn wir uns nicht wohl fühlten. Wir waren einfach nicht in der Lage zu essen, weshalb er darin herum stocherte und ich es hin und her schob.
„Also...“, hob er vorsichtig an, „Papá sagte... das du... Ich... Stimmt das?“
„Was?“, fragte ich zurück.
„Dass du... in mich... Dass du mich... Und das du auf... auf...“ Er atmete leise durch und sah zu mir auf. „Stimmt es, was Papá sagte? Dass du...“
Es hörte sich so an, als könne er es nicht einmal aussprechen. Mein Löffel hörte auf sich zu bewegen, Schmerz grub sich in mein Herz, die Luft wurde knapp, die Welt verschwamm vor meinen Augen.
„Vilija? Du... weinst du?“ Er sprang sofort auf und ging um den Tisch herum, um sich neben mich zu hocken. „Bitte, weine nicht. Es ist doch... ich meine... Vilija, bitte hör auf zu weinen. Ich ertrage das einfach nicht.“
„Du weißt doch jetzt Bescheid.“, entgegnete ich schroff und stand auf. „Außerdem hast du ja jetzt Diana, also musst du dir um mich ja keine Gedanken machen.“
„Was redest du da für einen Unsinn? Natürlich mache ich mir Gedanken um dich. Und ich mache mir Sorgen.“
Mit einem Schnauben nahm ich meine Schüssel, stellte sie auf die Küchenzeile und steuerte die Küchentür an.
„Vilija, lass uns bitte darüber sprechen.“, bat Tevin.
„Was soll denn darüber gesprochen werden? Du bist doch nicht einmal in der Lage auszusprechen was ich fühle.“
Mit einem leisen Fluch auf den Lippen folgte er mir in den Flur und die Treppe hinauf. „Doch nur, weil es sich für mich so... es ist so...“
„Abwegig? Unwirklich? Widersprüchlich?“
„Überraschend. Es ist überraschend für mich. Ich... ich habe mir die ganze Zeit Gedanken darüber gemacht, was ich wohl gesagt oder getan habe, dass du mich so behandelst, aber ich... ich habe nicht damit gerechnet, dass es... dass es Liebe sein könnte.“ Schnell schlüpfte er nach mir in mein Zimmer, bevor ich die Tür schließen konnte. „Versteh doch, all die Jahre warst du meine kleine Schwester, meine liebreizende, wundervolle und wunderschöne Vilija. Und jetzt, wo ich eine Freundin habe, stellt sich heraus, dass du in mich verliebt bist.“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll.“
„Geh bitte raus.“
„Nicht, wenn wir nicht darüber gesprochen haben.“
„Das haben wir doch gerade.“
„Nein, ich habe meinen Standpunkt erklärt, das ist alles.“
Ich drehte den Kopf zur Seite. „Du musst gar nicht damit umgehen können. Es ist mein Problem, also kannst du dich weiter mit Diana amüsieren.“
„Und du denkst, ich weiß nicht, dass es dir dann weh tun würde?“ Er stellte sich vor mich, schob die Tür zu und sah auf mich herab. „Vilija, ich möchte dir nicht weh tun. Verstehst du? Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben.“
„Und Diana?“
Verzweifelt schloss er die Augen und nahm mein Gesicht vorsichtig in die Hände, bevor er wieder zu mir herab sah. „Diana... ist... Nun gut, ich liebe sie, aber... Ich weiß, dass es irgendwann vorbei geht.“
„Und du hoffst wahrscheinlich, dass es bei mir auch vorbei geht. Oder nicht?“
„Versteh doch, ich... Ich erwidere deine Gefühle nicht. Und ich will dich nicht verletzten. Natürlich möchte ich dann, dass es bei dir vorbei geht. Möglichst schnell.“
Ich hab es von Anfang an gewusst. Er liebte mich nicht. Das war doch eigentlich offensichtlich, immerhin ist er doch mit Diana zusammen. Und es klingt auch logisch, was er gesagt hat, doch... warum tut es trotzdem so weh?
„Gott, Vilija, jetzt weine nicht. Ich weiß, ich bin ein Trottel. Verdammt, ich habe es wieder getan, oder?“ Liebevoll streichelte er mir über die Wangen und wischte die Tränen weg. „Ich will dir nicht weh tun. Hör auf zu weinen, Vilija. Hör bitte auf zu weinen. Es... es tut mir leid. Ich... ich...“ Er sah so hilflos aus, wie ein Fisch, der gestrandet ist. „Ich weiß nicht, was ich tun soll.“ Während er das sagte, zog er mich an sich, hielt mich fest in den Armen und vergrub sein Gesicht in meinem Haar. „Du bist mir der wichtigste Mensch im Leben, hörst du? Vergiss es bitte nicht. Hör doch bitte auf zu weinen. Ich ertrage das nicht länger.“
„Warum bist du dann noch hier, verdammt?“, kam es mir über die Lippen, „Geh weg. Geh einfach weg.“ Ich schluchzte, woraufhin er mich fester an sich drückte. „Lenk dich mit Diana ab und geh doch einfach weg.“
„Ich kann nicht.“ Sanft hob er meinen Kopf am Kinn an, um mir ins Gesicht zu sehen. „Erinnerst du dich noch daran, wie wir uns früher gestritten haben? Damals, als du schaukeln wolltest, ich dich aber nicht gelassen habe, weil Papá sie reparieren musste.“ Ich nickte langsam. „Damals wolltest du mich auch nicht mehr bei dir haben, weil du so sauer warst. Du hast mich immer wieder geschlagen und getreten, aber ich bin bei dir geblieben. Auch damals, als du von meinem Rücken gerutscht bist, dir den Kopf gestoßen hast und mich immer und immer wieder beschimpft hast. Ich habe dich nie allein gelassen, obwohl du so wütend auf mich warst. Ich wollte immer bei dir sein und das hat sich bisher nicht geändert. Es ist mir egal, wie sehr du dir wünschst, dass ich von dir weg bleibe. Ich werde immer da sein, hörst du?“
„Aber, wenn du es nicht erträgst, in meiner Nähe zu sein-“
„Ich ertrage es nicht, dich weinen zu sehen, dich weinen zu hören. Es tut mir weh, wenn du traurig bist. Ebenso tut es mir weh, wenn du mich ausschließt.“ Er strich mir das Haar aus dem Gesicht und lehnte seine Stirn an meine. „Du hast mir im Leben immer nur Gutes gebracht. Ich möchte ein Geschenk wie dich nicht aufgeben. Erst recht nicht, weil du dich in mich verliebt hast. Niemand kennt mich besser als du und niemand weiß besser als du, was er sagen soll, wenn es mir schlecht geht.“
„Ich bin ja auch deine Schwester.“ Nichts weiter als deine Schwester. „Ich muss sowas wissen.“
„Musst du nicht, aber du tust es.“ Er seufzte leise und zog mich sanft zu meiner Couch, um sich mit mir zu setzen. „Die Situation ist für uns beide nicht einfach. Ich erwidere deine Liebe nicht, aber ich will dich auch nicht verlieren. Verstehst du?“
„Ja.“ Ich verstehe dich nur zu gut.
Mit einem leisen Seufzen legte er mir einen Arm um die Tallie und zog mich an sich. „Ich habe dich wirklich sehr vermisst.“
Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich an ihn und genoss das Gefühl von ihm gehalten zu werden.
So while turning in my sheets and once again I cannot sleep.
Walk out the door and up the street; look at the stars beneath my feet.
Remember rights that I did wrong, so here I go.
Hello, hello.
There is no place I cannot go.
My mind is muddy but my heart is heavy. Does it show?
I lose the track that loses me, so here I go.
Ich rieb mir müde die Augen und streckte mich kurz, bevor ich aufstand und begann mich fürs Bett fertig zu machen.
And so I sent some men to fight, and one came back at dead of night.
Said he'd seen my enemy. Said he looked just like me.
So I set out to cut myself and here I go.
Langsam begann ich bei dem Lied mitzusingen und erinnerte mich daran, wie Tevin mich getröstet hatte.
I'm not calling for a second chance,
I'm screaming at the top of my voice.
Give me reason but don't give me choice.
'Cause I'll just make the same mistake again.
Er ist einfühlsam gewesen und hatte ständig auf mich eingesprochen, ich sei das wichtigste in seinem Leben und es täte ihm so unendlich leid, dass er mir so weh tut.
And maybe someday we will meet, and maybe talk and not just speak.
Don't buy the promises 'cause, there are no promises I keep.
And my reflection troubles me, so here I go.
Sollte ich vielleicht weniger darüber nachdenken und einfach damit zufrieden sein, was er mir geben kann?
I'm not calling for a second chance,
I'm screaming at the top of my voice.
Give me reason but don't give me choice.
'Cause I'll just make the same mistake,
I'm not calling for a second chance,
I'm screaming at the top of my voice.
Give me reason but don't give me choice.
'Cause I'll just make the same mistake again.
So while turning in my sheets and once again I cannot sleep.
Walk out the door and up the street; look at the stars.
Look at the stars fall down.
And wonder where did I go wrong?
Als es an meiner Tür klopfte, sah ich von meinem Bett auf und ging die wenigen Schritte hinüber, um sie zu öffnen, woraufhin ich überrascht in Tevins Gesicht sah.
„Tevin.“, kam es mir mit dieser Überraschung über die Lippen.
„Ich...“ Noch bevor er etwas sagte, brach er ab und fuhr sich mit der Hand über den Nacken. „Es kommt vielleicht etwas schnell.“, meinte er zaghaft, „Kann ich... darf ich... bei dir schlafen?“
Ohne es bewusst zu wollen, breitete sich ein sanftes Lächeln in meinem Gesicht aus, bevor ich beiseite trat. Er erwiderte das Lächeln erleichtert und kam herein, woraufhin ich die Tür hinter ihm schloss und zum Bett ging, wohin er mir ohne zu zögern folgte. Da er seine Schlafsachen bereits trug, wartete ich neben dem Bett, bis er es sich gemütlich gemacht hatte und machte es mir dann ebenfalls im Bett gemütlich. Wie früher schlang er die Arme um mich und zog mich an sich, woraufhin er tief seufzte und sogar leise aufstöhnte.
„Wie ich das vermisst habe.“, murmelte er, „Es wundert mich nicht, dass ich ohne dich nicht schlafen konnte.“ Während er das sagte, vergrub er sein Gesicht in meinem Haar, seufzte leise und schlief beinahe sofort ein.
Mit einer Gänsehaut, von seinem Atem in meinem Nacken, hielt ich seine Hände fest und schlief ebenfalls, mit einem Lächeln auf den Lippen, ein.
Mit einem wohligen Seufzen kuschelte ich mich an das warme Etwas unter mir und schmiegte mich daran, wie ein kleines Kätzchen. Als es sich plötzlich von selbst bewegte und sich zwei kräftige Arme um mich legten, die von einem Murmeln und meinem gehauchten Namen begleitet wurden, blinzelte ich perplex und sah auf, direkt in Tevins schlafendes Gesicht. Mein Herz schmolz sofort dahin und ich konnte es mir nicht verkneifen ihn zaghaft an der Wange zu berühren. Er murrte kurz, drehte das Gesicht dann aber leicht der Hand entgegen, woraufhin ich leicht lächelte und sanft seine Wange streichelte. Ich hatte das früher gern getan, weil er dann noch besser schlafen konnte, wie er mir sagte. Und er liebte es, wenn ich ihm den Nacken kraulte oder übers Haar streichelte. Egal wie wach er war, wenn ich das tat, ratzte er immer ein.
Der Moment war so lange schön, bis mein Blick auf seine Lippen fiel. Unwillkürlich drängte sich mir die Frage auf, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn...
Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als er unruhig den Kopf bewegte. „Diana, warte doch.“, kam es ihm über die Lippen.
Es fühlte sich an, wie ein Schlag in die Magengrube, wobei ich die Hand so plötzlich wegzog, dass er aufwachte. Er war etwas überrascht, mich vor sich zu sehen, lächelte dann aber auf mich herab, bevor er etwas besorgt aussah.
„Alles in Ordnung?“
Ohne eine Antwort zu geben drehte ich mich auf den Rücken. Ich hatte gerade wirklich mit dem Gedanken gespielt...
„Vilija?“ Tevin zog mich sanft an sich und legte mir eine Hand auf den Schopf. „Was ist mit dir?“
„Ich... ich... Es ist nichts. Alles in Ordnung.“
„Erzähl es mir.“, forderte er unnachgiebig.
„Es ist wirklich-“
„Vilija, ich weiß schon, dass es mit mir zu tun hat. Sag es mir bitte einfach, damit ich weiß, wofür ich mich entschuldigen muss.“
„Es gibt keinen Grund für dich, dich zu entschuldigen.“
„Wenn es dir weh tut, dann schon.“
„Du hast nur im Schlaf geredet.“, entgegnete ich.
Unsicher sah er mich an. „Was habe ich denn gesagt?“
„Eigentlich nichts bewegendes. Du sagtest: Diana, warte doch. Nichts weiter.“
„Dir tut es weh, wenn ich von einem anderen Mädchen träume?“
„Nein, es ist... nichts.“
„Wenn du es mir nicht sagst, können wir nicht darüber reden.“
„Deshalb sage ich es ja nicht.“
„Dann finden wir aber auch keine Lösung.“
„Es gibt auch keine.“, offenbarte ich überzeugt.
„Finden wir es heraus. Was ist es nun?“
„Ich... ich habe mit dem Gedanken gespielt... dich... dich... dich zu küssen.“
Sichtbar überrascht sah er mich einen Moment stumm an, bevor er den Blick ein wenig abwand und sich auf den Rücken drehte. „Verstehe. Naja... ich denke... also... ein Kuss... ist ja nichts großes, oder? Ich meine, es ist ja nur ein Kuss.“
Ich spürte die Röte in meinem Gesicht, als er sich ein wenig über mich beugte. „B-b-b-bist du dir sicher? W-w-würdest du nicht Diana... fremdgehen, oder so?“
„Du bist doch meine Schwester.“, entgegnete er mit einem sanften Lächeln, „Ich glaube nicht, dass das dann wirklich fremdgehen ist.“
Als er sich zu mir herunter beugte, wurde ich noch roter und begann hektisch zu atmen. Meine Hände legten sich wie von selbst auf seine Brust und als seine Lippen dann auf meine trafen, hielt ich sofort den Atem an. Er hatte die Augen geschlossen und eine Hand sanft an meine Wange gelegt. Auch mir fielen langsam die Augen zu, während mein Herz vor Aufregung raste und meine Hände sich in seinen Nacken legten. Er war vorsichtig und zurückhaltend, was ich durchaus verstand, mir aber dennoch ein wenig weh tat. Er löste sich, meinem Empfinden nach, viel zu früh von mir und lächelte mich leicht an. Ich schluckte.
„Siehst du? Lösung gefunden.“
Immer noch hektisch atmend nickte ich schnell.
Sorge schlich sich in seinen Blick. „Alles okay?“
„J-ja. Es ist nur... Der Kuss...“
„War es so, wie du es dir vorgestellt hast?“
Etwas überrascht von der Frage zog ich die Brauen zusammen, schüttelte aber den Kopf. „Besser.“, murmelte ich und schlug sofort die Hand vor den Mund, wobei ich betete, dass er es nicht gehört hatte.
Doch sein leises Lachen verriet mir, dass er es sehr wohl gehört hatte. „Ist doch in Ordnung.“ Er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und nahm meine Hand von meinem Mund. „Ich möchte, dass du mir ab jetzt sagst, was du gern hättest.“
Dich ganz und gar, ganz für mich allein!
Zaghaft nickte ich, bevor mein Blick auf seine Lippen rutschten.
„Wir sollten das nicht zu oft machen.“, mahnte er mich, woraufhin ich auf meiner Unterlippe herum knabberte. „Ein mal noch. Und dann geht es ins Bad.“
„Einverstanden.“
Erneut legte er seine Lippen auf meine, woraufhin ich ihm diesmal die Arme um den Hals legte und ihn zu mir herab zog. Er lachte leise, ließ mich noch ein paar Sekunden gewähren und löste dann sanft meine Arme von seinem Hals.
„Das reicht erst mal. Wenn du brav bist, bekommst du heute Abend noch einen. Jetzt ab ins Bad.“
Mit diesen Worten stand er auf und verließ mein Zimmer. Leicht enttäuscht sah ich ihm hinterher und ging kurz darauf ins Bad. Zwanzig Minuten später ging ich hinunter. Wir gingen immer noch getrennt ins Bad, weshalb ich allein die Küche betrat.
„Guten Morgen, Papá.“, begrüßte ich meinen Vater, der gerade Frühstück machte. „Geht es Mamá schon besser?“
„Etwas ja. Sie kommt gleich runter. Hast du dich mit Tevin vertragen?“
„Ja.“
Dad sah zu mir auf. „Und?“
„Also... Er weiß jetzt wie es mir geht.“, begann ich, „Er sagt, er versteht es. Zwar ist er ziemlich überrascht, aber er versteht mich. Er sagt, ich sei das wichtigste in seinem Leben. Deshalb würde er Diana nicht mit nach hause bringen und ab jetzt einfach bei ihr schlafen, wenn sie die Nacht mit ihm verbringen möchte.“
„Es stört dich trotzdem, nicht wahr?“
„Ich kann ihm schlecht sagen, er solle sie nie wieder sehen, wenn er sich mit mir vertragen möchte. Heute hat er dann auch wieder bei mir geschlafen.“
Dad verdrehte die Augen. „Hört das je auf, ohne dass ihr gleich den Kontakt abbrecht?“
Ich kicherte leise, woraufhin er begann zu lächeln.
„Erzähl weiter. Irgendwas wolltest du doch noch sagen.“
„Naja... Er sagte mir, wenn ich irgendwas möchte, soll ich es ihm sagen.“
„Wenn du etwas möchtest?“, hakte Papá nach und drehte sich etwas mehr zu mir.
„Ja. Heute morgen zum Beispiel.“ Ich wurde rot. „Also... Da... hat er... mich geküsst.“
„Vilija, ich...“ Er zögerte ein wenig. „Ich weiß, dass es dich glücklich macht, wenn du etwas von ihm bekommst. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es für ihn einfach ist, wenn er dir gibt, was du haben möchtest und er sich gleichzeitig auf Diana konzentrieren möchte. Das wäre, als hätte ich eine zweite Ehefrau.“ Abrupt hielt er inne, bevor er sich schüttelte. „Ich bleibe lieber bei Violeta. Mit ihr bin ich genug bedient.“
Ich begann zu lachen. „Papá, das klingt ja beinahe so, als wäre sie dir zuviel.“
„Zum Glück nicht! Damit wollte ich sagen, dass ich keine zweite Frau brauche. Ich bin glücklich mit ihr. Und mit euch Satansbraten. Trotzdem mache ich mir Sorgen darum, wie es sich zwischen dir und Tevin entwickeln wird. Irgendwann wird er sich entscheiden müssen. Du oder Diana. Und das ist eine schwierige Wahl, wenn er Diana wirklich liebt. Abgesehen davon... Ich sage es nur sehr ungern, wie du sicher weißt, aber sein Herz gehört Diana, nicht dir. Und wenn er Diana wegen dir aufgeben müsste, wäre es wahrscheinlich ziemlich schwer für ihn.“
Ich seufzte leise und sah auf meine Hände.
„Ich möchte euch das hier nicht verbieten. Ich möchte nur, dass du mit dem aufpasst, was du dir von Tevin wünschst oder erhoffst. Irgendwann kann Tevin dir nicht mehr geben und das wird dich verletzen. Ob du es willst, oder nicht. Ein Kuss scheint zu gehen, eine Umarmung auch, aber wenn du... Wenn du mit ihm schlafen willst, wird es schmerzhaft werden.“
Sofort wurde ich feuerrot. „Papá!“
„Irgendwann verstehst du, was ich dir sagen will.“ Mit diesen Worten küsste er mich auf die Stirn und stellte mir mein Frühstück vor die Nase.
Keine Minuten zu früh hörte ich auch schon Schritte auf der Treppe, bevor Tevin gut gelaunt in die Küche kam.
„Guten Morgen.“
Papá lächelte ihn an. „Guten Morgen. Scheint dir heute ja ziemlich gut zu gehen.“
Mein Bruder lächelte zurück und setzte sich neben mich. „Ja. Viel besser.“ Er küsste mich auf die Wange und nahm dann das Frühstück von Papá entgegen. „Danke. Wie geht’s Mom?“
„Sie kommst gleich. Ihr geht’s schon besser.“
„Was hatte sie eigentlich? Du sagtest nur, ihr ginge es nicht gut.“
Dad atmete langsam aus und setzte sich zu uns. „Ihr solltet es auch langsam erfahren.“ Plötzlich sah er müde und erschöpft aus, irgendwie verzweifelt und völlig am Ende. „Eure Mutter war schwanger.“
Sowohl Tevin als auch ich hielten sofort inne. „War?“, hakte ich nach.
„Sie... Sie hat das Kind verloren. Die Ärzte sagen, das Kind sei wohl krank gewesen. Allerdings wissen sie nicht, warum Violetas Körper es so lange mit sich mit trug. Sie war in Mitte des fünften Monats, als sie es verloren hat. Sie brauchte viel Ruhe. Im schlimmsten Fall...“ Er zögerte etwas, wobei ich tatsächlich eine Träne in seinem Augenwinkel sah. „Im schlimmsten Fall wird sie keine Kinder mehr bekommen können.“
Tevin und ich sahen uns an. Wir beide wussten, dass unsere Eltern noch ein Kind haben wollten. Ob Junge oder Mädchen war ihnen gleich. Sie wünschten sich von ganzem Herzen ein weiteres Kind.
„Als sie das Kind verloren hat, verlor sie auch sehr viel Blut.“, fügte Papá hinzu, „Das war eines der Gründe, weshalb sie so viel Ruhe gebraucht hat.“
„Verstehe.“, meinte ich darauf, „Aber ihr geht’s jetzt besser, richtig?“, hakte ich nach.
„Ja. Der Arzt hat ihr Bewegung empfohlen, damit sie wieder fit wird.“
Als wäre das ein Stichwort, hörten wir tapsige Schritte auf der Treppe. Papá, der schon immer sehr fürsorglich war, sprang sofort auf und eilte in den Flur, wo er kurz mit Mamá sprach, bevor er mit ihr in die Küche kam. Sie war etwas rosiger als vorher, doch sie war noch ziemlich dünn. Sobald sie saß, holte Papá ihr einen Teller Frühstück und stellte ihn ihr hin, bevor er sich neben sie setzte und sich leise mit ihr unterhielt. Leise, um die beiden nicht zu stören, nahmen Tevin und ich unsere Teller und gingen damit ins Wohnzimmer, wo wir uns auf die Couch setzten.
„Wusstest du, dass Mom schwanger war?“, wollte Tevin wissen.
„Nein. Du?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich dachte, sie hätte sich einen Virus eingefangen. Aber das... Nein. Ich habs nicht gewusst.“
„Papá tut mir wirklich leid. Er liebt Mamá so sehr und sie wünschen sich so sehr noch ein Kind. Und dann passiert sowas.“
„Ja, das klingt sehr grausam. Aber trotz allem... Dad sagte, das Kind sei wohl krank gewesen. Wie hätten sie sich gefühlt, wenn es trotzdem zur Welt gekommen wäre? Vielleicht sogar... also... Wir wissen nicht was das Kind gehabt hat. Vielleicht eine Fehlbildung.“
„Aber sie war doch sicher beim Arzt.“
„Stimmt. Aber vielleicht... es kann doch etwas anderes gewesen sein. Oder eine Fehlbildung, die man nicht erkannt hat.“
„Meinst du nicht, Papá hätte es dann gesagt, statt nur davon zu sprechen, dass der Arzt sagte, das Kind sei krank gewesen?“
„Ja, aber was ich sagen will ist... Für das Kind selbst... meinst du nicht, dass es besser ist, dass es... tot ist?“
Ich hielt inne und sah Tevin verwundert an.
„Ich meine... Stell dir vor Cyntia wäre... anders. Das Leben wäre für sie doch viel schwerer. Ich weiß, wir haben nicht das Recht darüber zu urteilen, aber... hinterher... Ich meine, wir hätten nichts dafür tun können, dass das Kind heil zur Welt kommt, aber... Wo wir wissen, dass es so oder so tot gewesen wäre... Es muss doch etwas schlimmes gehabt haben, oder? Dann ist es doch... gut für das Kind. Oder?“
„Tevin...“ Er sah seltsam niedergeschlagen aus. Berührte es ihn so sehr, ein Geschwisterchen verloren zu haben, von dem er nicht einmal wusste?
„Weißt du... Als Dad das erzählt hat... habe ich mich an meine Mutter erinnert. Und an meinen Vater.“
Sofort stellte ich unser Frühstück auf den Couchtisch und griff ich nach seiner Hand. „Weißt du etwas über sie?“
„Nein. Also... nichts wirkliches. Ich habe mich auch nicht direkt an sie erinnert, sondern... Ich... Ich weiß, dass sie schwanger war, bevor sie mich allein gelassen hat. Damals, als ich klein war, habe ich nicht mehr viel über sie nachgedacht. Vieles habe ich vergessen, aber... sie war schwanger. Im neunten Monat. Mein Vater war bei ihr. Wir... wir waren im Wohnzimmer. Ich habe gespielt und sie haben sich über das Kind unterhalten. Ich weiß, dass meine Mutter etwas gesagt hat, dass sie ziemlich traurig gemacht hat. Wenn ich mich recht erinnere waren es Zwillinge und... eines davon war krank.“
„Also können es keine eineiige Zwillinge sein.“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, das waren sie nicht. Es war nur... Als die Kinder zur Welt kamen... das gesunde Kind ist bei der Geburt gestorben. Das andere Kind... Sie hat es mit nach hause genommen, aber mein Vater wollte es nicht, weil es krank war. Er wollte einfach keine kranken Kinder.“
„Tevin...“ Liebevoll legte ich einen Arm um ihn. „Tevin, was hat er getan?“
„Ich weiß es nicht genau. Ich erinnere mich, dass ich mit dem Kind... es war ein Mädchen... Ich war mit ihr im Wohnzimmer und hab auf sie aufgepasst.“ Er zog die Brauen zusammen. „Sie sah ganz normal aus. Auf dem ersten Blick. Aber wenn man näher hinsah... Sie... Sie hatte keine... keine Pupillen. Eine Iris, aber keine Pupillen. Ich erinnere mich an strahlend grüne Augen und tiefes schwarzes Haar. Das Haar meiner Mutter. Aber... Keine Pupillen. Und... ihr fehlte ein Arm. Und ich glaube, am anderen fehlte der Unterarm.“
„Wie... wie ist das passiert?“
„Daran erinnere ich mich nicht. Aber diese Schreie... Er kam ins Wohnzimmer, hat sie wortlos auf den Arm genommen. Meine Mutter war nicht da. Ich habe diese Schreie gehört und dann...“ Er fasste sich ins Haar. „Ich-ich-ich habe nur gehört, dass etwas auf dem Boden aufgeschlagen ist. Irgendwo im Haus und... und... dann war es still. Es war so still, Viljia.“
„Oh Gott, Tevin.“ Ich zog ihn an mich, woraufhin er den Kopf an meiner Schulter bettete und mich fest umschlang.
„Zehn Minuten später kam meine Mutter nach hause.“, fuhr er heiser fort, „Sie hat begonnen zu schreien und weinte. Ich glaube, sie hat meinen Vater geschlagen... er hat zurück geschlagen. Ich habs gesehen und mich in meinem Zimmer versteckt. Am Abend fuhr mein Vater wie gewohnt zur Arbeit. Meine Mutter kam herein, hat mich angelächelt und gesagt, ich solle mich schnell anziehen.“
Ich bekam eine Gänsehaut, da ich ahnte, was nun kommen würde.
„Sie hat meinen Lieblingsrucksack genommen und in der Küche eine Flasche Wasser hinein getan. Und zwei Äpfel und eine Tüte mit meinen Lieblingskeksen. Ich hab gefragt, ob wir einen Ausflug machen... und sie hat mich angelächelt und gesagt, dass wir weit wegfahren werden. Dann ist sie mit mir in den Wagen gestiegen und zum Flughafen gefahren. Es war spät in der Nacht. Sie hat den nächsten Flug genommen. Dann waren wir lange unterwegs und ich bin wieder eingeschlafen. Als das Flugzeug landete bin ich wieder aufgewacht. Sie hat mich mit nach draußen genommen und von einem Onkel Aiden erzählt, der in Rumänien wohnte. Sie sagte, ich solle dort auf dem Flughafen warten, er würde bald kommen und mich abholen. Dann hat sie mich fest an sich gedrückt und sagte, ich solle auf mich aufpassen, sie würde mich lieben und sicher nie vergessen. Dann sagte sie mir... wenn jemand fragte... müsse ich sagen, ich hieße Tevin McCourtney. Ich erinnere mich, dass ich widersprochen habe, aber sie bestand darauf, dass ich sagen sollte, ich hieße Tevin McCourtney. Also versprach ich es ihr. Dann gab sie mir noch einen langen Kuss auf die Stirn. Sie weinte. Dann... dann ging sie und ließ mich allein auf dem Flughafen zurück. Und ich habe gewartet. Endlos lang und habe mich einsam gefühlt. Irgendwann... sah ich dich und hab gehofft, du würdest mit mir spielen, damit ich nicht mehr so einsam war.“
„Aber ich wollte nicht. Ich erinnere mich.“
„Ich wollte nicht gehen. Ich wollte nicht allein sein. Also bin ich bei dir geblieben. Nie wieder wollte ich so einsam sein.“
Tränen liefen mir über die Wangen. „Oh Tevin...“
„Ich... Ich glaube, meine Mutter hatte Angst vor meinem Vater. Und davor, dass er mir vielleicht etwas antun würde.“
„Sie wollte dich schützen.“ Nun verstand ich auch, warum er es für das Kind gut fand, tot zu sein. Er hatte Angst, dass ihm das selbe passieren würde. Oder etwas ähnliches.
„Glaubst du... denkst du, sie würde mich wiedererkennen?“
„Ja. Ganz sicher. Und sie würde sich darüber freuen, was für einen wundervollen Sohn sie hat.“
Überrascht sah ich auf, als ich Mamás Stimme hörte. Sie kniete sich neben uns und streichelte Tevin liebevoll übers Haar. Tevin hatte die Augen geschlossen und schmiegte sich an mich.
„Sie würde sich darüber freuen, dass du gefahrlos aufwachsen und dich entwickeln konntest.“
„Glaubst du... Meinst du... sie vermisst mich?“, fragte Tevin leise.
„Natürlich. Jede Mutter vermisst ihre Kinder.“, antwortete sie ebenfalls leise.
Tevin antwortete nicht mehr. Als sie scheinbar davon überzeugt war, dass es ihm gut ging, stand sie auf und verließ das Wohnzimmer. Ich dagegen dachte einfach nur über all die Erinnerungen nach und streichelte Tevin über den Rücken.
Was würde er tun, wenn er seine Mutter wiedersehen würde? Würde er zu ihr zurückgehen? Oder würde er bei uns bleiben?
„Jetzt mal ehrlich. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“
Teddy beobachtete mich aufmerksam, während ich in seinem Zimmer unruhig auf und ab ging.
„Was soll ich nur machen?“, wollte ich wissen.
Mein bester Freund atmete kurz durch. „Weißt du Vilija... wenn du möchtest, dass man dir hilft, musst du auch etwas darüber erzählen. Seit du hier bist, läuft du nur auf und ab und sagst mir, dass du hilflos bist, nicht weißt was du tun sollst und keine Ahnung hast, wie es weiter gehen soll, ohne dass ich überhaupt eine Ahnung davon habe, worum es überhaupt geht.“
Mit einem Seufzen ließ ich mich neben ihm nieder. „Es geht um Tevin.“
„Ah okay. Tevin schon wieder.“
„Warum bist du so komisch?“
„Ich warte nun seit einer Viertelstunde darauf, dass du endlich was sagst. Das ist alles.“
Ich murrte. „Es ist weil... Also...“ Schweigend sah ich auf meine Hände.
„Vilija. Bitte! Ich möchte dir wirklich gerne helfen, aber dafür musst du etwas brauchbares sagen.“
„Ich liebe ihn.“
Er sah mich ungläubig an. „Was? Warte, warte. Moment mal. Wir sprechen hier von Tevin, richtig? Von deinem Bruder.“
„Er ist nicht mein richtiger Bruder. Und das weißt du.“
„Ja, aber... Wir reden hier von Tevin. Du bist mit ihm aufgewachsen, weiß alles über ihn, er weiß alles über dich... Intime dinge, die ein Freund wahrscheinlich gar nicht wissen sollte.“
„Teddy.“
„Ich versuche nur das zu verstehen, tut mir leid. Es ist so... ungewöhnlich. Versteh das nicht falsch, ich will dir wirklich helfen, aber... es ist schwer. Ich meine... wie kam es dazu? Ist dir plötzlich aufgefallen, dass er gut aussieht, oder...?“
„Ich weiß es auch nicht. Ich glaube, es ist langsam passiert. Als ich ihn plötzlich so drastisch vernachlässigt habe, war ich einfach nur eifersüchtig auf Diana und sauer auf ihn, weil...“
„Ich versteh schon. Er zog sie dir vor. Verständlich, immerhin ist er ja in sie verliebt.“
„Danke für die Bemerkung.“
„Tut mir leid, aber das ist nun mal eine Tatsache.“
„Das ist doch kein Grund, mich jedes mal daran zu erinnern.“
„Aber das solltest du auch nicht vergessen. Ich weiß, du findest es ziemlich blöd, dass er Diana vorzieht. Das ist vollkommen verständlich. Gabriela mag es auch nicht, wenn ich so viel Zeit mit dir verbringe.“
Ich schnaubte.
„Außerdem hast du ihn doch ignoriert. Da ist es doch ganz natürlich, dass er die Zeit dann mit Diana verbracht hat. Ich verstehe ja, dass es dich stört, aber für ein Paar ist es etwas wichtiges Zeit miteinander zu verbringen. Für Tevin wird das sicher auch nicht leichter, wenn du in ihn verliebt bist.“
„Er möchte Rücksicht auf mich nehmen.“
„Das ist es. Er wird Diana in gewissen Punkten vernachlässigen. Das wird der Beziehung nicht gut tun und wenn es zur Trennung kommt, wird es Tevin verletzen.“
„Aber er hat dann wieder Zeit für mich.“
„Und du wirst trotzdem seine Schwester bleiben. Glaub nicht, dass du das Problem aus dem Weg schaffst, wenn du ihn von Diana trennst. Das ist falsch.“
Ich ließ mich auf Teddys Bett fallen und seufzte schwer. „Warum ist alles so kompliziert?“
„Du machst es dir kompliziert. Es wäre einfacher ihn abzuhaken, aber das ist zu schwer für dich.“
„Jetzt wird es erst recht schwer für mich sein.“
Besorgt sah er mich an. „Warum?“
Ich begann ihm alles zu erzählen. Wirklich alles. Als ich ihm sagte, dass Tevin mich geküsst hatte, sah er mich wieder ungläubig an und fuhr sich durchs Haar. Der zweite Kuss machte es nicht besser.
„Klingt nicht leicht.“, meinte er dann, „Hört sich etwas so an, als wäre er hin und her gerissen, aber... Dann wäre er nicht mit Diana zusammen. Er will dich jedenfalls auf keinen Fall verlieren. Das ist wichtig. Aber im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt. Das heißt, wenn er sich für Diana entscheidet, statt hinter seinen Worten zu stehen, darfst du nicht wütend auf ihn sein. Wenn er sie wirklich liebt, wird er alles für sie tun. Wenn alles auf der Kippe steht, wird er sich für sie entscheiden, nicht für dich.“
„Aber... Teddy, ich... Er sagte doch...“
„Du seist das Wichtigste in seinem Leben, ich weiß. Aber wenn man sich wirklich von ganzem Herzen verliebt, dann setzt man neue Prioritäten.“
„Verdammt Teddy... warum hab ich mich nicht in dich verliebt?“
„Gute Frage. Das wäre viel einfacher. Ich frage mich schon seit Wochen, wie du meinem unbändigem Charme widerstehen konntest.“
„Hör auf dich über mich lustig zu machen.“
Mit einem leisen Lachen zog er mich in seine Arme. „Ich will dich doch nur wieder lachen hören. Als dein neuer großer Bruder ist es meine Pflicht dich aufzumuntern.“
„Und als kleine Schwester ist es meine Pflicht dir dein Leben zur Hölle zu machen, ja?“
„Gut erkannt. Wieder zurück zum Thema. Du kannst an Tevins Gefühlen nichts ändern. Entweder es passiert von allein oder er sorgt dafür. Da hast du beinahe keinen Einfluss drauf. Du kannst es ihm aber leichter machen, indem du versuchst dich zurückzuhalten. Sei das, was er sich von dir wünscht, nicht das, was du gerne für ihn wärst.“
„Ich soll also einfach seine Schwester sein, ja?“
„Ja.“
„Aber wie soll mir das weiter helfen? Irgendwann sucht er bei mir noch Rat, wenn er Streit mit Diana hat.“
„Er sagte doch, er nimmt Rücksicht auf dich. Dann wird er dich mit so etwas nicht behelligen.“
„Es tut weh, Teddy.“
„Ich weiß. Das hört irgendwann auf.“
„Sicher?“
„Ganz sicher.“ Er küsste mich sanft auf die Schläfe und drückte mich nochmals an sich.
Es war spät, als Teddy mich nach hause brachte. Ich hatte den ganzen Tag mit ihm verbracht, hatte mit ihm gespielt, herum gealbert und mit ihm geredet. Er war nun stolze vier Tage mit Gabriela zusammen und schien glücklich mit ihr zu sein.
„Kommst du noch mit rein?“, wollte ich von ihm wissen, „Das Abendessen müsste gleich fertig sein.“
„Mmmmh... was gibt es denn?“
„Lasange.“
„Bin dabei!“
Ich schrie überrascht auf, als er mich über seine Schulter warf und die Veranda hinauf ging. Ohne zu klopfen öffnete er die Haustür und kam herein.
„Teddy is in the house!“, rief er, „Und ich hab da jemanden mitgebracht, den man hier sicher schon vermisst hat. Ich hoffe, ich bekomme dafür eine Belohnung.“
„Jetzt lass mich wieder runter.“, lachte ich, „Sonst brichst du unter meinem Gewicht noch zusammen.“
„Ja ja.“
Amüsiert erschien mein Vater in der Tür, woraufhin Teddy mich wieder abstellte und Dad lächelnd begrüßte.
„Freut mich Sie wieder zu sehen, Sir.“, meint Teddy freundlich, „Ich dachte mir, ich bringe Vilija nach hause, aber dann hat sie noch gefragt, ob ich noch mit reinkomme und ich wollte nicht riskieren, dass sie sich auf dem Weg hinein etwas bricht.“
„Sehr aufmerksam von dir. Möchtest du mit uns essen? Violeta hat gekocht. Es gibt Lasange.“
„Sehr gerne. Ich werde nur eben zuhause anrufen und sagen, dass ich etwas später zuhause bin.“
„Du kannst ruhig unser Telefon benutzen.“
„Vielen Dank.“
„Ich geh ins Wohnzimmer.“, informierte ich Teddy.
Nachdem er genickt hatte, ging ich rüber und setzte mich zu Tevin, der auf der Couch saß und sich einen Film ansah.
„Guten Abend, Tevin.“, begrüßte ich ihn mit einem Lächeln.
Er lächelte sofort zurück. „Guten Abend, Schwesterherz. Hattest du einen schönen Tag?“ Während er fragte bot er mir Popcorn aus einer Schüssel an.
„Ja, hatte ich.“ Ich nahm eine ganze Hand voll und lehnte mich ein wenig an ihn. „Ich hab Teddy vier mal bei Twister geschlagen. Dann musste ich mit seiner kleinen Schwester spielen. Die Kleine ist ganz schön gelenkig. Was hast du so gemacht?“
„Ach... nicht viel. Ich war bei Diana. War mit ihr spazieren, dann ein Eis essen... dann hab ich sie nach hause gebracht und bin wieder nach hause gekommen.“
„Hmmm.“ Langsam kaute ich auf meinem Popcorn herum. „Du bist glücklich mit ihr, oder?“
„Ja. Warum?“
„Ach... ich wollte nur sicher gehen.“
„Machst du dir Sorgen?“
„Nein. Ich... hab es mich nur gefragt.“
„Du bist mir auch wichtig, vergiss das nicht.“
Ich nickte.
„Ich hab dich lieb.“
Zaghaft legte ich ihm eine Hand an die Brust. „Ich... liebe dich.“
Er stellte sein Popcorn beiseite und zog mich liebevoll an sich, woraufhin ich mich etwas mehr an ihn lehnte und die Augen schloss. „Ich... habe mit Diana darüber gesprochen.“
Sofort wurde ich starr.
„Sie ist ganz und gar nicht begeistert.“
„Kann ich verstehen.“
„Vilija, ich... Ich möchte mich zwischen euch nicht entscheiden müssen. Beide Entscheidungen würden mir das Herz brechen. Diana möchte, dass ich weniger Zeit mit dir verbringe.“
„Tevin, ich-“
„Ist schon okay.“
„Nein ist es nicht. Es ist für dich okay.“
„Vilija, es muss okay sein. Verstehst du? Ich möchte mich nicht entscheiden müssen. Wenn ich jetzt wieder so viel Zeit mit dir verbringe wie vorher, dann wars das mit Diana, aber wenn ich weniger Zeit mit dir verbringe bist du immer noch meine Schwester.“
Ich zuckte zusammen.
„Versteh doch. Ich suche einen Weg, euch beide behalten zu können. Ich... Ich will weder dich noch Diana verlieren.“
„Aber-“
„Vilija, ich liebe Diana.“, unterbrach er mich, „Du bist meine Schwester, versteh doch.“
„Ich weiß. Ich war immer nur deine Schwester.“, antwortete ich matt, „Daran wird sich wohl nie etwas ändern.“
Mit diesen Worten drückte ich seine Arme beiseite und stand auf.
„Vi-Vilija. Warte.“
Papá wollte gerade ins Wohnzimmer kommen, als ich in den Flur kam. „Das Essen ist fertig.“, meinte er.
„Ich hab keinen Hunger.“
„Vilija, warte doch. Es tut mir leid.“ Tevin wollte mir die Treppe hinauf folgen, doch Papá hielt ihn zurück.
„Lass sie besser allein.“, meinte er sanft, „Komm jetzt. Es gibt Essen.“
Schweigend ging ich in mein Zimmer, setzte mich aufs Bett und nahm mein Kissen, um es an mich zu drücken. Doch ich blieb nicht lange allein. Keine fünf Minuten später klopfte es an meiner Tür. Als ich nicht antwortete, wurde erneut geklopft.
„Ich komm jetzt rein.“, hörte ich Teddys Stimme, als ich wieder nicht antwortete.
Die Tür wurde geöffnet und der Geruch nach Lasange kam herein. Er blieb, als Teddy die Tür schloss, woraufhin ich feststellte, dass er zwei Teller mit unserem Abendessen dabei hatte. Ebenso zwei Gabeln.
„Ich weiß, dass du Hunger hast.“, meinte er und stellte vorsichtig einen Teller neben mich, nachdem er es sich bei mir auf dem Bett gemütlich gemacht hat. „Du solltest etwas essen, bevor du mir noch vom Fleisch fällst.“
„Ich möchte nicht.“
„Möchtest du vorher reden? Dann lass uns aber auf dein Sofa gehen. Da ist wenigstens ein Tisch.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, stand er auf und stellte die Teller auf den Tisch, bevor er wieder zu mir kam und mich einfach hoch hob, um mich auf das Sofa zu setzen. „Na also. Geht doch. Du redest und ich höre essend zu, ja?“
„Ich möchte nicht darüber reden.“
„Du willst also lieber fasten, bis du umkippst?“
„Teddy, ich möchte wirklich nicht.“
Er wollte gerade anfangen, hielt dann aber nochmal inne und wand sich an mich. „Ich weiß, dass es wieder um Tevin geht. Er sieht genauso scheiße aus wie du.“
Ich murrte.
„Glaub mir, wenn du es erst einmal erzählt hast, geht’s dir besser und du isst wie eine Dreschmaschine. Oder wie damals, als du bei mir warst und deine Tage hattest. Je nach dem, was dir besser gefällt.“
„Blödmann.“
„Jetzt sag schon. Was ist passiert?“
Ich atmete kurz durch. „Er sagt, er hat mit Diana darüber gesprochen.“
„Oh. Das war keine gute Idee.“
„Tevin sagt, sie möchte, dass er weniger Zeit mit mir verbringt. Und wenn er das nicht tut, dann wars das mit der Beziehung.“
„Ich verstehe. Du möchtest aber lieber wieder etwas mehr Zeit mit ihm verbringen, richtig?“
„Ja. Aber er möchte lieber weniger Zeit mit mir verbringen, damit er Diana nicht verliert. Und ich bin offenbar das kleinere Problem, weil ich ja trotzdem seine Schwester bleibe.“
„Hat er das wirklich gesagt?“
„So ähnlich. Genauer gesagt, sagte er, wenn er wieder mehr Zeit mit mir verbringt, wars das mit Diana. Wenn er aber weniger Zeit mit mir verbringt, bin ich immer noch seine Schwester. Und er versucht einen Weg zu finden, auf dem er weder mich noch sie verliert, also möchte er wohl lieber weniger Zeit mit mir verbringen, denn mich verliert er dann ja nicht.“
„Verdammt Vilija... tut mir leid, dass du so etwas hören musstest.“ Ohne Umschweife zog er mich an sich, doch ich weinte nicht. „Er hätte das nicht sagen dürfen.“
„Ich bin froh, dass ich dich habe.“
„Dafür bin ich doch da. Jetzt komm, du musst etwas essen.“
Mein Magen knurrte, woraufhin Teddy mich aufmunternd anlächelte und mir meinen Teller reichte. Ich nahm ihn dankbar entgegen und begann mit ihm zu Abend zu essen.
„Glaubst du.... Was hältst du so von Veit?“, wollte ich irgendwann von ihm wissen.
Vor Überraschung fiel ihm sein Essen von der Gabel auf den Teller. „Von Veit? Naja... er scheint ein ordentlicher Junge zu sein. Und er hat ein ziemlich großes Interesse an dir. Warum? Willst du dich mit ihm ablenken?“
„Naja... vielleicht verliebe ich mich ja in ihn und es fällt mir leichter über Tevin hinweg zu kommen.“
„Hmm... Gute Idee. Ruf ihn doch morgen an. Ihr könnt euch ja im Park treffen... dann lässt du dich ein paar mal von ihm zeichnen... und lässt es dir von ihm zeigen, hm?“
„In Ordnung.“
„Na also.“ Genüsslich verschlang er einen großen Happen Lasange. „Und nächstes Wochenende machen wir eine Orgie, einverstanden?“
„Teddy!“
Irgendwie schaffte er es zu lachen, ohne sich zu verschlucken. Dann aßen wir schweigend weiter. Als wir fertig waren, brachte ich mit ihm das Geschirr nach unten und brachte ihn dann noch zur Tür, bevor ich meinen Eltern und Tevin Gute Nacht sagte, um ins Bett zu gehen. In meinem Bett angekommen lag ich jedoch einfach nur da und kämpfte eine Weile gegen die Tränen an, bevor ich meine Gedanken in eine andere Richtung zwang um zu schlafen.
Mitten in der Nacht wurde ich plötzlich davon wach, dass mir jemand über die Wange streichelte. Ich schlug die Hand müde beiseite und drehte mich mit einem Murren um. Hinter mir hörte ich, wie jemand leise seufzte, bevor er mich sanft an der Schulter berührte.
„Vilija? Bist du wach?“ Tevin
„Was willst du?“
Er zögerte. „Kann ich bei dir schlafen?“
„Ich dachte, du möchtest weniger Zeit mit mir verbringen. Diana gefällt es bestimmt nicht, wenn du die Zeit, die du mit mir verbringst, dafür nutzt, um bei mir zu schlafen.“
„Es tut mir leid.“
„Das was du gesagt hast, hast du auch so gemeint. Wie soll es dir dann leid tun können?“
„Ich habe es nicht so gemeint. Bitte.“
„Ich bin müde Tevin.“
„Vilija-“
„Du bist jetzt achtzehn. Was willst du tun, wenn ich ausziehe? Willst du dann bei mir wohnen, damit du bei mir schlafen kannst? Ich sagte ich bin müde. Jetzt lass mich schlafen.“
Ohne Umschweife stand er auf und verließ das Zimmer. Ich verkniff mir die Tränen und sank wenig später wieder in den Schlaf.
Lächelnd saß ich mit Veit im Park und sah ihm dabei zu, wie er mich zeichnete. Die ganze Zeit lag dabei ein warmes Lächeln auf seinem Gesicht. Wann immer er zu mir aufsah, sah ich dieses Funkeln in seinen Augen. Es war nun das vierte Bild und doch schien er nicht genug zu haben.
„Zeigst du mir, wie du das machst?“, wollte ich von ihm wissen.
„Soweit ich weiß, zeichnest du doch ziemlich gut.“
„Ja, aber ich habe nie etwas abgezeichnet, was sich vor mir befindet. Ich denke mir immer etwas aus. In der fünften Klasse habe ich mal meine Familie gezeichnet, aber so wirklich gut war das auch nicht.“
„Das Bild am Kühlschrank, richtig?“ Er lächelte etwas mehr.
Ich kam nicht umhin, es zu erwidern und setzte mich neben ihn, um mir anzusehen, wie das Bild geworden war. „Ja. Das Bild am Kühlschrank. Das sieht wieder so wunderschön aus. Wie machst du das?“
„Es ist ganz leicht. Siehst du das Kind dort drüben? Wie es im Gras liegt und schläft.“
Ich folgte seinem Blick. „Ja.“
„Zuerst musst du eine einfache Skizze zeichnen.“ Er blätterte um und zeichnete einige Kreise. „Der Kopf, der Körper, die Arme und die Beine. Hände und Füße nicht vergessen. Als nächstes machst du mit der groben Form des Körpers weiter.“ Er gab den Kreisen eine Form, sodass man erkannte was der Kopf, die Gliedmaßen und der Körper war. Er zeichnete grob die Umrisse der Haare und der Kleidung. „Nun beginnst du mit den Details.“
Er gab dem Kind Gesicht, ordentliche Haare und richtige Hände. Er beachtete so viele Details, dass ich sie mir kaum merken konnte. Licht und Schatten, wie es in der Realität fällt. Das Gras, auf dem der Junge liegt und die Bäume im Hintergrund. Er zeichnete sogar einwandfrei einen Schmetterling, den er einmal beim Aufsehen entdeckt hatte, der jedoch kurz darauf wieder weg war.
„Du musst ein ziemlich gutes Auge haben.“, bemerkte ich.
„Auf der einen Seite stimmt das sogar.“
„Ach ja? Und die andere Seite?“
„Ich muss eine Kontaktlinse tragen. Als ich klein war, hab ich in einem ganz gemeinen Winkel einen Ball ins Auge bekommen. Verletzt war nichts, aber ich konnte auf dem Auge nicht mehr so gut sehen, wie auf dem anderen. Der Augenarzt sagt, die Linse meiner Pupille sei ein wenig beschädigt worden und als mein Körper das in Ordnung bringen wollte, sei sie etwas falsch abgeheilt. Aber mit der Kontaktlinse ist es, als sei nie etwas gewesen.“
„Das muss wahnsinnig weh getan haben.“
„Es ist schon lange vorbei. Abgesehen davon bin ich ohnmächtig geworden, also habe ich nicht viel davon mitbekommen. Manchmal tut das Auge allerdings etwas weh und dann muss die die Kontaktlinse für ein paar Stunden raus nehmen.“
„Bist du auf dem Auge dann Weitsichtig, oder Kurzsichtig?“
„Also... im Grunde ist es keins von beidem. Ich sehe einfach nur verschwommen, als würde ich durch eine sehr schlechte Brille sehen.“
„Oh... verstehe. Trotz allem finde ich sie sehr schön.“
Er lächelte schräg. „Deine sind auch schön. Unbeschreiblich, um genau zu sein. Sie sind die von deinem Vater ziemlich ähnlich.“
„Naja, die Augen meiner Mutter sind eisblau. Deshalb die bläuliche Färbung. Wie kam es zu deiner Augenfarbe?“
„Oh, die hab ich ganz von meiner Mutter.“ Er lächelte noch etwas mehr. Von meinem Vater hab ich die dunklen Haare.“ Sie waren dunkelbraun.
„Ich hab sie von meiner Mutter.“
„Muss eine wunderschöne Frau sein.“
„Oh ja. Sehr schön. Du hast sie noch nicht kennen gelernt, oder?“
„Nein.“
„Du wirst staunen.“
„Nicht mehr als bei dir.“
„Das weißt du doch gar nicht.“
Er lächelte mich an. „Für mich bist und bleibst du die schönste Frau, die ich je gesehen habe.“
Sprachlos senkte ich den Blick. Als er mich sachte an der Wange berührte, hob ich den Kopf, um etwas zu erwidern, kam jedoch nicht dazu. Ohne auf seine Sache zu achten, ließ er sie einfach los, zog mich an sich und drückte seine Lippen auf meine. Ich bekam sofort eine Gänsehaut und kam mit vor wie Butter an einem heißen Sommertag. Mein Atem beschleunigte sich, als er seinen Mund öffnete. Ohne es zu merken, legte ich ihm die Hände in den Nacken, um mich an ihm festzuhalten, während er mich an sich gedrückt hielt.
Als er sich einige Zeit später von mir löste, waren wir beide außer Atem. Mit geschlossenen Augen lehnte er seine Stirn an meine und hielt sanft mein Gesicht in seinen Händen.
„Das... das wollte ich machen, seit ich dich das erste mal gesehen habe.“, meinte er, als er wieder zu Atem gekommen war.
„Ich bin nicht abgeneigt, das zu wiederholen.“
Ich konnte ihn tatsächlich lächeln hören. Im nächsten Moment küsste er mich erneut.
„Ich kann es mir nicht erklären.“, meinte er an meinen Lippen, „Immer wenn ich bei dir bin, kann ich nicht aufhören zu lächeln. Als würde man in mir einen Schalter umlegen. Am liebsten würde ich jetzt nicht mehr aufhören dich zu küssen. Warum?“
Er erwartete keine Antwort. Er küsste mich einfach weiter, zog mich dicht an sich heran, bis es nicht mehr näher ging und ich sogar auf seinem Schoß saß. Ich hatte das Gefühl, wir würden uns bereits eine Ewigkeit küssen, als plötzlich mein Handy klingelte. Widerwillig löste Veit sich von mir und sah zu, als ich es hervor zog und abnahm.
„Ja?“, meldete ich mich atemlos.
„Ich bins.“ Tevin.
„Was gibt’s?“
„Warum bist du so atemlos?“
„Unwichtig. Was willst du nun?“
„Naja...“
„Wer ist das?“, wollte Veit neugierig wissen.
Lautlos formte ich Tevins Namen mit meinem Mund. Veit konnte daraufhin den Blick nicht von ihnen lösen und kam bereits wieder näher.
„Ist da jemand bei dir?“, wollte Tevin wissen, der wohl Veits Stimme gehört hatte.
„Ja, ist es.“, antwortete ich, „Hat dein Anruf jetzt ein Grund?“ Ich lächelte ich leicht, als Veits Mund über meine Wange wanderte. „Nicht jetzt.“, flüsterte ich ihm zu.
„Sag ihm, du hast keine Zeit.“, antwortete er genauso leise, „Du bist beschäftigt.“
Mein Bauch kribbelte bei den Worten.
„Störe ich gerade?“, wollte Tevin mit einem undefinierbarem Unterton wissen.
„Nein, tust du nicht.“, antwortete ich schnell, „Also?“
„Ich... ich wollte dich fragen, ob du mit mir ins Kino gehen möchtest.“
Ich wurde etwas starr. „Geh doch mit Diana.“
„Diana... Sie... Sie hat keine Zeit.“
„Ich gerade auch nicht.“
„Es geht um heute Abend.“
„Ich weiß nicht, wann ich zuhause bin. Lass das!“
Veit knabberte grinsend an meinem Hals.
„Was soll ich lassen?“, wollte Tevin verwirrt wissen.
„Nicht du. Wir können ein anderes mal gehen, okay?“
„Ich hab gehofft, dass du ja sagst. Ich hab die Karten schon.“
„Ich bin kein Ersatzmann.“
„Das habe ich doch gar nicht gesagt.“
„Jetzt leg auf.“, murmelte Veit, „Sonst mache ich ohne dich weiter.“ Die Hand, mit der er mich an den Beinen auf seinen Schoß gezogen hatte, rutschte auf meinen Hintern, woraufhin ich rot wurde, jedoch nicht aufhören konnte zu grinsen. „Leg auf.“
„Tevin, wir reden ein andern mal.“
„Vilija-“
Ich legte auf und verschluckte somit den Rest des Satzes. Veit wartete noch, bis ich mein Handy eingesteckt hatte, bevor er mich erneut küsste.
Gut gelaunt betrat ich spät Abends das Haus und sah ins Wohnzimmer.
„Gute Abend, alle zu- Wo sind denn Mom und Dad?“, wollte ich verwundert wissen, als ich nur Tevin und Cyntia vorfand.
„Die sind ins Kino gegangen.“, antwortete Cyntia gut gelaunt.
„Ach ja? Wie kam es dazu?“
„Du hattest ja keine Zeit.“, antwortete Tevin.
Da war wohl jemand ziemlich schlecht gelaunt.
„Ich war eben schon reserviert. Ich hab doch gesagt, wir gehen ein anderes mal. Cyntia, bist du nicht schon müde? Tevin, hast du mal auf die Uhr gesehen? Sie müsste schon längst im Bett sein.“
„Du hättest auch schon längst zuhause sein müssen.“, entgegnete er gereizt.
„Vivi, bringst du mich ins Bett?“, bat Cyntia, als sie aufstand und zu mir eilte.
Ich fing sie lächelnd auf und wirbelte mit ihr auf dem Arm einmal herum. „Natürlich, kleiner Kullerkeks.“
„Liest du mir dann auch etwas vor?“
„Was immer du willst. Komm, wir galoppieren nach oben.“
Sie gluckste begeistert auf, als ich sie auf den Rücken nahm, ein Wiehern imitierte und dann die Treppe hinauf ging. Cyntia lachte begeistert und spornte mich an. Als ich sie ins Bett legte, war mein rechter Oberschenkel ganz taub, weil sie ihre Ferse immer hinein geschlagen hatte, um mich anzuspornen.
„Was will die große Ritterin denn hören?“, fragte ich sie und ging an ihr kleines Bücherregal.
„Der Zauberer von Oz.“
„Dann bist du jetzt eine Hexe, ja?“
„Au ja!“
Mit einem Lächeln nahm ich das Buch aus dem Regal, schlug es auf und setzte mich zu ihr ans Bett.
„Dann fangen wir mal an.“
Sie hielt den Schlaf bis zur Hälfte des Buches zurück, verlor dann aber den kleinen Krieg und schlief tief und fest mit ihrem Kuschelhasen im Arm ein. Ich deckte sie ordentlich zu, stellte das Buch zurück und schloss die Zimmertür leise hinter mir, bevor ich mich streckte und in mein Zimmer ging. Dort lehrte ich meine Taschen, nahm mir meine Schlafsachen und verschwand für eine Viertelstunde im Bad, bevor ich umgezogen in mein Zimmer spazierte und mich in mein Bett fallen ließ.
„Was für ein Tag.“, murmelte ich und tastete auf dem Nachtschrank nach meinem Handy, wo ich es hingelegt hatte.
Eine Neue Nachricht. Mit einem Lächeln öffnete ich sie und las sie mir durch.
Ich wünsche dir eine wunderschöne gute Nacht und hoffe, dass du mich bis morgen nicht schon wieder vergessen hast.
Veit
Zaghaft biss ich mir auf die Unterlippe und antwortete.
Dir auch eine wunderschön gute Nacht. Ich weiß zwar nicht wer du bist, aber wir werden uns morgen bestimmt wiedersehen.
Vilija
Ich wartete keine volle Minute auf die Antwort.
Treib mich nicht in den Wahnsinn, Schönheit. Ich dachte, mein Kuss reicht, um dich dazu zu bringen, mich nie wieder zu vergessen.
Veit, der Unbekannte
Ich lachte leise, drehte mich auf den Bauch und schrieb schnell eine Antwort.
Der Kuss war unvergesslich, da hast du Recht. Aber warum sollte ich so einen Kuss mit einem Unbekannten in Verbindung bringen?
Vilija, die Vergessliche
Als die Antwort nach drei Minuten noch nicht kam, drehte ich mich auf die Seite. Ob ich ihn beleidigt hatte? Doch dann kam die Antwort.
War unvergesslich? Ist er schon vergessen?
Ich habe gehofft, du würdest den Kuss mit den unvergesslichen Händen in Verbindung bringen, die ja zu dem mysteriösen Unbekannten gehören, der dich so unvergesslich geküsst hat. Schade, dass du jetzt nicht hier bist.
Veit, der Sehnsüchtige
Mein Gesicht begann zu brennen, als ich rot wurde. Was sollte ich schreiben? Ich überlegte bestimmt zwei Minuten lang, was ich antworten sollte, bevor ich begann zu tippen.
Wird unvergesslich sein, wenn du beim nächsten mal immer noch so unglaublich sein wirst.
Die Hände kann ich immer noch spüren, was bedeutet, dass sie genauso unvergesslich sind wie dein Mund. Ich frage mich, was du tun würdest, wenn ich jetzt bei dir wäre.
Vilija, die Gierige
Sollte ich das abschicken? Vielleicht war das etwas zu viel. Was würde er von mir denken, wenn ich ihm das schicken würde? Was dachte er überhaupt jetzt von mir?
Als es an der Tür klopfte, drückte ich aus Versehen auf senden und begann zu fluchen.
„Alles okay, bei dir?“, hörte ich Tevin.
„Alles in Ordnung“, antwortete ich darauf, „Was möchtest du?“
„Kann ich rein kommen?“
„Nur zu.“
Er schien überrascht zu sein, als er mich mit meinem Handy vor der Nase und der Unterlippe zwischen den Zähnen auf der Seite liegend im Bett fand.
„Ich wusste gar nicht, dass du SMS schreibst.“, bemerkte er.
„Ich hatte vorher keinen Grund dafür.“ Eine Antwort! Ich setzte mich auf, zog die Beine an und öffnete die SMS.
Gierig... ja, das passt irgendwie. Ich hätte nie gedacht, dass du so leidenschaftlich bist!
Heißt das, du spürst meinen Mund immer noch? Was würde ich geben um deinen noch einmal so spüren zu können wie vorhin beim Abschied. Das wäre eines der Dinge, die ich jetzt gern tun würde. Dich küssen, bis wir atemlos sind.
Veit, der dich Begehrende
Sofort wurde ich wieder rot und leckte mir über die Lippen. Meinte er das ernst? Unser Abschiedskuss war sehr intensiv gewesen. Ich hatte mich beinahe nicht mehr von ihm lösen können, wenn nicht ein Wagen vorbei gefahren wäre.
„Mit wem schreibst du denn?“, wollte Tevin neugierig wissen und setzte sich zu mir ans Bett.
„Mit... mit... einem Freund.“
Der Abschied war wunderschön. Wäre das Auto nicht gewesen, würden wir sicher immer noch dort stehen. Hast du schon oft auf diese Art ein Mädchen geküsst?
Ich spüre den Mund genauso gut wie den Biss an meiner Schulter. Das gibt sicher einen blauen Fleck!
Was würdest du noch tun wollen? Doch nichts unanständiges, oder?
Vilija, die Gepeinigte
Ohne zu zögern drückte ich auf SENDEN und sah zu Tevin auf. „Was gibt’s?“, wollte ich von ihm wissen.
„Ich wollte mit dir über heute sprechen. Und über gestern Abend.“
„Du hast mir gut genug zu verstehen gegeben, dass du mich nur als Schwester haben möchtest. Ich muss selbst damit klar kommen, also müssen wir darüber nicht reden. Und was heute betrifft... ich hatte keine Zeit. Ich hab dir gesagt, dass ich nicht wusste, wann ich zuhause bin. Wenn ich gewusst hätte, was wir noch machen, hätte ich auch dafür gesorgt, dass ich pünktlich zuhause bin. Meinst du nicht? Tut mir leid, dass Diana keine Zeit fürs Kino hatte. Du hättest die Karten auch zurückgeben können.“
„Was ist heute mit dir los?“
„Nichts.“ Mein Handy vibrierte. Eine weitere SMS von Veit. Was wohl darin stand?
„Mit wem schreibst du da?“, fragte Tevin erneut.
„Mit einem Freund.“, antwortete ich nur und sah mir die SMS an.
Darf ich dich morgen so begrüßen? Sag ja! Dann werde ich besser schlafen können.
Hat dir der Biss etwa nicht gefallen? Wenn nicht, werde ich es nicht wieder tun. Versprochen.
Es gibt viele Dinge, die ich gerne tun würde. Ich müsste lügen, wenn ich sagen müsste, dass nichts davon unanständig ist. Du bist eine wunderschöne Frau!
Ich gebe zu, ich habe schon das eine oder andere Mädchen geküsst. Aber noch nie habe ich mich so dabei gefühlt wie bei dir! Ich freue mich schon darauf, das zu wiederholen.
Veit, der Vorfreudige
Unwillkürlich musste ich lächeln.
Wenn du mich so begrüßt, wie du dich verabschiedet hast, dann ist meine Konzentration für den Tag bestimmt dahin. Du wirst dir wohl etwas anderes einfallen müssen.
Ich würde lügen, wenn ich sage, es hat mir nicht gefallen. Es tut hinterher nur etwas weh.
Bei einem jungen Mann hätte ich das eigentlich erwarten müssen. Ich hoffe, sie sind nicht zu unanständig.
Wie viele ist das eine oder andere? Doch nicht viel, oder?
Vilija, die Nachdenkliche
Nachdem ich auf SENDEN gedrückt hatte, sah ich wieder zu Tevin auf. „Gibts noch etwas?“
Er schien nicht glücklich darüber zu sein, dass ich mit jemandem SMS schrieb und nicht sagte, wer es war. Ein Grund mehr es zu tun.
„Was für ein Freund ist das?“, wollte er wissen, „Du wirst rot, wenn du die SMS' liest.“ Seine Augen wurde ein wenig enger. „Was schreibt ihr für SMS?“
„Das geht dich nichts an.“, entgegnete ich, „Das ist intim.“
„Vilija, sag mir was das für ein Typ ist.“
„Warum? Nur, weil du neugierig bist? Weil du nicht meine volle Aufmerksamkeit hast? „
„Weil ich mir Sorgen mache.“
„Mach dir nicht über Kleinigkeiten Sorgen, um die du dir keine Sorgen machen musst.“
„Vilija... Kennst du ihn wenigstens gut genug?“
„Ich kenne ihn gut, reicht das?“
„Kommt drauf an. Was steht in den SMS?“
„Das sag ich dir nicht.“
„Vilija, sag mir, was da drinnen steht.“
„Nein.“
Mein Handy vibrierte und noch bevor ich die SMS lesen konnte, nahm Tevin mir das Handy aus der Hand.
„Tevin, gib mir mein Handy zurück.“, fuhr ich ihn aufgebracht an.
„Wenn du mir nicht sagst, was da drinnen steht, dann werde ich eben nachsehen.“
„Wag es dich und ich rede nie wieder ein Wort mit dir.“
Er öffnete die SMS.
„Tevin!“, rief ich daraufhin aus und griff nach meinem Handy.
Er hielt das Handy außer Reichweite und stand auf, damit ich es ihm nicht wegnehmen konnte, während er sich die SMS ansah. Sein Gesicht verfinsterte sich sofort.
„Verdammt, Tevin! Gib es mir zurück!“
„Veit ist gerade mal ein paar Wochen an unserer Schule!“, meinte er nur darauf und sah sich die anderen SMS' an.
„Tevin, gib es wieder her!“
„Wie lange geht das schon so?“
„Das hat dich nicht zu interessieren, okay? Es ist meine Sache, mit wem ich mich treffe, so wie es deine Sache ist, mit wem du dich triffst!“
„Wie lange?!“
„Das geht dich nichts an!“
„Sag mir sofort, wie lange schon!“
„Gib mir sofort mein Handy zurück!“
„Vergiss es.“
Mit diesen beiden Worten drehte er sich um und verließ mein Zimmer. Ich eilte ihm hinterher, doch als er in sein Zimmer ging schloss er sofort ab.
„Tevin!“, rief ich und schlug gegen die Tür, „Gib mir das verdammte Handy zurück!“
Keine Reaktion.
„Tevin!“
Immer noch nichts.
„Verdammt noch mal Tevin! Jetzt gib es mir endlich wieder! Ich sags Mamá und Papá, darauf kannst du dich verlassen.“ Ich konnte nichts dagegen tun, dass sich meine Stimme weinerlich anhörte. „Tevin!“
Draußen hörte ich ein Auto. Klang wie das von meinen Eltern.
„Mann, Tevin! Jetzt rück es schon wieder raus!“
„Leg dich hin, Vilija.“, kam eine schlichte Antwort.
„Gib mir mein Handy zurück!“
Die Haustür wurde geöffnet und kurz darauf wieder geschlossen.
„Tevin!“
„Was ist das für ein Lärm da oben?“, ertönte die Stimme meines Vaters.
Ich schlug ohne Unterlass auf Tevins Tür ein, weshalb ich es kaum verstand.
„Was soll das, verdammt nochmal?“, wollte Papá wissen, als er hochkam. „Bist du wahnsinnig geworden?“
„Tevin hat mir mein Handy weggenommen.“
„Und deshalb machst du hier so einen Radau?“
„Ich habe mit Veit geschrieben und er hat die SMS' gelesen. Jetzt will er mir mein Handy nicht wieder geben.“
„Tevin, mach die Tür auf. Sofort.“
Als sich nichts regte, klopfte Papá an die Tür.
„Tevin.“
Wieder regte sich nichts. Er fluchte leise und kramte kurz in seiner Tasche herum, bevor er einen Ersatzschlüssel hervor zog und die Tür selbst aufschloss.
„Du gehst jetzt ins Bett.“, meinte er an mich.
„Aber-“
„Weißt du wie spät es ist? Ins Bett. Sofort.“
Ohne auf eine Antwort zu warten betrat er Tevins Zimmer.
„Kannst du mir sagen, was das soll? Wieso hast du Vilija das Handy weggenommen? Sind wir hier im Kindergarten?“ Es kam nicht oft vor, dass er so wütend wurde. „Gib mir das Handy.“
Tevin sagte irgendwas, was ich nicht verstand, weil es zu leise war.
„Das ist mir völlig egal. Handy her.“ Einen Moment herrschte Stille. „Jetzt sag mir, warum du es ihr weggenommen hast.“
„Sie hat mich angelogen.“
Ich zog die Brauen zusammen.
„Wie kommst du darauf?“, wollte Papá wissen.
„Sie sagt sie würde mich lieben, aber offensichtlich hat sie einen Freund.“
„Lieber Himmel, nimmt das denn nie ein Ende? Tevin, ich weiß, dass sie dich nicht angelogen hat. Und warum liest du überhaupt ihre SMS'? Das ist Intimsphäre, Tevin. Du hast nicht das Recht ihre SMS' zu lesen.“
„Ich... hab mir Sorgen gemacht. Sie wollte nicht sagen, mit wem sie schreibt und sie ist... immer rot geworden, wenn sie sie gelesen hat.“
„Tevin, wenn ich Violeta sage, wie schön ich sie finde, wird sie auch rot. Deshalb muss ich mir aber nicht gleich Sorgen machen.“
„Aber er hat ganz anders mit ihr geredet.“
„Das weißt du nur, weil du die SMS' gelesen hast und das ist mehr als du wissen solltest. Und selbst wenn er anders mit ihr gesprochen hat, Vilija ist siebzehn. Sie kann selbst entscheiden mit wem und wie sie worüber auch immer mit jemandem spricht. Da hast du dich nicht einzumischen, verstanden? Du lässt dir von Vilija auch nicht in deiner Beziehung herum pfuschen.“
„Aber-“
„Kein Aber, Tevin. Du hast an dem Handy deiner Schwester nichts verloren. Und dabei bleibt es auch. Jetzt wird geschlafen. Und wenn sowas nochmal passiert, gibt es richtigen Ärger, verstanden?“
„Ja.“
„Gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
Ich zuckte zusammen, als Papá plötzlich vor mir stand. Er war schneller, als ich dachte.
„Hab ich nicht gesagt, du sollst ins Bett gehen?“, wollte er von mir wissen.
„Ich... ich... tut mir leid.“
„Jetzt geh. Sofort.“
Ich drehte mich sofort um und ging in mein Zimmer, wohin Papá mir mit finsterer Miene folgte.
„Wenn du nochmal zu spät nach hause kommst, bekommst du Hausarrest, verstanden?“
„Ja.“
„So spät wird auch nicht mehr telefoniert oder geschrieben, verstanden?“
„Ja.“
„Und ich möchte nicht, das so etwas wie heute Abend nochmal passiert. Bekomme ich mit, das einer von euch zur Bettzeit nochmal irgendwas am Handy gemacht hat, dann sammle ich sie vor dem Schlafengehen ein. Ausnahmslos. Verstanden?“
„Ja.“
„Gut. Hier.“
„Darf... darf ich nach sehen?“
„Beeil dich.“
Er verließ das Zimmer nicht, als ich schnell die SMS durchlas und dann entsetzt feststellte, dass Tevin geantwortet hatte.
Ich mag es, wenn du dich wegen mir nicht mehr konzentrieren kannst.
Wenn ich vorsichtig bin... darf ich es dann nochmal tun?
Nein, es sind nicht viele. Wenn ich richtig zähle, waren es nur zwei. Mit dir sind es drei. Aber du bist anders, als die Anderen.
Unanständig ist Ansichtssache, meinst du nicht auch? Ich finde es nicht sehr unanständig, aber du könntest es ziemlich unanständig finden.
Veit, der Aufgeregte
Ich fand die SMS ziemlich charmant, doch Tevins Antwort hätte mir den Boden unter den Füßen weggezogen.
Ich möchte dich nie wieder sehen. Schreib mir nicht mehr und lösch bitte meine Nummer.
Vilija
Was dachte Tevin sich nur dabei?
„Darf... ich ihm noch eine SMS schreiben? Eine letzte?“
Papá atmete lange durch. „Eine einzige. Dann wars das für heute.“
Schnell begann ich zu schreiben.
Veit, es tut mir so leid! Die letzte SMS habe ich nicht geschrieben. Tevin hat mir mein Handy weggenommen, die SMS' gelesen und an meiner Stelle geantwortet. Bitte glaub mir. Es tut mir so leid. Du weißt, dass ich dich wieder sehen möchte.
Wir sehen uns morgen in der Schule, muss jetzt schlafen.
Gute Nacht. Schlaf gut und träum was schönes.
Vilija... die Verzweifelte
Nachdem ich auf SENDEN gedrückt hatte, atmete ich leise durch und legte das Handy auf meinen Nachttisch, bevor ich mich unter meiner Decke verkroch. Papá setzte sich daraufhin zu mir ans Bett.
„Jetzt sag mir, wer der Junge ist, mit dem du schreibst.“
„Es ist Veit.“, murmelte ich, gerade laut genug, damit er mich verstand.
„Der Junge, der dich gezeichnet hat, richtig?“
„Ja.“
„Gibt es irgendwas, weshalb Tevin sich Sorgen machen müsste?“
„Nein. Wir... wir haben uns heute geküsst und wir haben uns darüber unterhalten. Und über ein paar andere Kleinigkeiten. Aber darüber muss sich wirklich niemand sorgen.“
„Was glaubst du, war es dann, das Tevin so aufgebracht hat.“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht, dass Veit geschrieben hat, er würde mich gerne bei sich haben. Und von den Dingen, die er gern tun würde, wäre nur ein bisschen unanständig. Ich weiß nicht, vielleicht hat das Tevin ja aufgeregt. Aber Veit ist wirklich in Ordnung.“
„Tevin kennt Veit nicht. Ich denke, das ist das einzige Problem. Er weiß vielleicht wer er ist, aber das war es schon.“
Einen Moment sagte keiner von uns ein Wort.
„Wir haben bald Mitternacht und Cyntia habt ihr bestimmt auch aufgeweckt, sonst wäre Violeta schon ins Schlafzimmer gegangen. Falls es irgendwas geben sollte, worüber sich irgendjemand von uns Sorgen machen sollte, sagst du mir sofort Bescheid. Ohne Widerrede. Ich möchte, dass du jetzt schläfst, verstanden? Gute Nacht.“
Ohne ein weiteres Wort stand er auf und ging zur Tür.
„Papá.“
Mit der Hand am Lichtschalter blieb er stehen und sah zu mir. „Ja?“
„Ich hab dich lieb.“
Er lächelte müde. „Ich dich auch. Träum was schönes.“
„Ihr auch.“
Er schaltete das Licht aus und zog leise hinter sich die Tür zu. Ich atmete tief durch und drehte mich auf die andere Seite, bevor ich versuchte zu schlafen. Als dann mein Handy vibrierte, zögerte ich einen Moment, drehte mich dann aber um. Nur lesen. Nicht antworten.
Verdammt, Vilija. Ich hab einen wahnsinnigen Schrecken bekommen, als ich die SMS gelesen habe. Ich hätte nicht gedacht, dass dein Bruder so gemein sein kann. Hoffe, du kannst es mir morgen vielleicht etwas genauer erklären?
Deine Entschuldigung nehme ich natürlich an. Auch wenn es mich gerade ein paar Jahre meines Lebens gekostet hat.
Dir auch eine Gute Nacht. Schlaf besser und träum was schöneres.
Veit, der Erschreckte
Tief erleichtert schloss ich die SMS und legte das Handy wieder auf meinen Nachtschrank, bevor ich mich wieder herum drehte, um zu schlafen.
Ich streckte mich genüsslich und lag noch etwa fünf Minuten faul im Bett, bevor mein Wecker klingelte. Hellwach schaltete ich ihn aus und stand auf. Es war etwas schwer gewesen einzuschlafen, doch als ich endlich im Land der Träume war, schien alles in bester Ordnung zu sein.
Leise vor mich hinsummend ging ich mit frischer Kleidung im Arm ins Bad, um mich fertig zu machen. Eine halbe Stunde später ging ich, weiterhin pfeifend, die Treppe hinunter und setzte mich gut gelaunt an den Tisch.
„Labas rytas.“, begrüßte ich meine Eltern auf Litauisch.
„Labas rytas.“, kam es von meiner Mutter ebenfalls auf Litauisch, die heute das Frühstück machte.
Dad saß mit seinem Laptop am Tisch und arbeitete. „Rytoj.“, kam es knapp von ihm. Ob er noch böse war?
Ich zögerte etwas, bevor ich mich ein wenig streckte, um ihm über dem Bildschirm hinweg ins Gesicht zu sehen. Er bemerkte es und sah zu mir auf. Die Ringe unter seinen Augen sagten mir, dass er nicht gut geschlafen hatte, doch seine Augen waren freundlich. Er war also nur müde.
„Konntest du nicht schlafen?“, fragte ich ihn zaghaft, weiterhin auf Litauisch.
Er seufzte leise. „Ich habe gestern Abend noch ein wenig gearbeitet. Und bei dir war Funkstille?“
Ich wurde ein wenig rot. „Veit hatte noch eine SMS geschickt. Ich hab sie mir nur durchgelesen, hab aber nicht geantwortet.“
„Vilija, ich habe gesagt, es wird nichts mehr gemacht. Und nichts bedeutet auch nichts.“
„Es war doch nur, weil-weil... Tevin hatte auf Veits letzte Nachricht geantwortet. Ich hatte ihm kurz und knapp erklärt, dass ich das nicht war und-und ich wollte nur wissen, ob er mir verzeiht.“
Lange atmete er aus und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Okay, die SMS nur zu Lesen lasse ich noch durchgehen. Doch vergiss nicht, dass man sehen kann, um wie viel Uhr eine SMS abgeschickt wurde.“
„Danke Papá.“
„Mach den Laptop aus, Liebling.“, bat Mamá ihn sanft, „Das Frühstück ist fertig. Außerdem kannst du später im Büro noch genug arbeiten.“
„Das Büro wird gerade renoviert. Wenn Tevin da ist, muss ich euch auch noch etwas sagen.“
Wie gerufen kam Tevin gut gelaunt die Treppe hinunter. „Labas rytas .“, begrüßte er uns.
„Labas rytas, Tevin.“ antwortete Mamá, als sie ihm ihr Frühstück hinstellte und auch mir mein Frühstück gab.
„Labas rytas .“, meinte Papá mit einem Seufzen und fuhr seinen Laptop herunter. „Also, was ich euch sagen möchte... Mein Chef sagte mir, ich müsse bald für zwei Wochen nach Kansas City.“
„Kansas City?“, hakte ich nach.
Er nickte. „Ja. Es ist nichts, was sehr dringen ist, deshalb sagte er mir, ich könne mir aussuchen, wann ich fahre, solange es im Laufe der nächsten zwei Monate passiert. Mir ist eingefallen, dass ihr in zwei Wochen zwei Wochen Ferien habt und hatte die Idee, dass ich euch beide mitnehme. Ich habe mit Violeta bereits darüber gesprochen. Sie bleibt mit Cyntia hier. Wenn ihr möchtet, könnt ihr also auch jeweils einen Freund oder eine Freundin mitnehmen.“
„Oh, du bist klasse Daddy!“, rief ich aus, eilte um den Tisch herum und umarmte ihn stürmisch.
Er lächelte mich warm an und streichelte mir liebevoll den Rücken. „Ihr müsst es natürlich mit euren Freunden absprechen.“
„Ich werde Teddy später fragen, wenn ich ihn sehe.“, meinte ich darauf und setzte mich wieder an meinen Platz. „Er war noch nie in Kansas City.“
„Gute Idee. Er wird sich sicher freuen. Hast du auch schon eine Idee, wen du fragen möchtest?“, fragte Dad dann Tevin.
„Ich weiß noch nicht. Diana fliegt mit ihrer Familie nach Spanien. Sie hat mich gefragt, ob ich mitkomme, aber der Flug ist so teuer, deshalb hab ich da abgesagt. Vielleicht frage ich Evelyn. Ich habe lange nichts mehr mit ihr gemacht.“
„In Ordnung.“
„Ich muss dann auch gleich schon wieder los.“, bemerkte ich.
„Hier ist dein Frühstück.“ Mamá reichte mir eine Brotbüchse, woraufhin ich sie anlächelte und sie schnell in meine Tasche tat.
„Danke, Mamá.“
„Und vergiss dein Wasser nicht. Es steht im Flur auf der Kommode.“
„Werd ich nicht.“, erwiderte ich, während ich aufstand. „Pamatysim vėliau.“
„Pamatysim vėliau, Mažas.“, hörte ich meinen Vater.
Mit einem Lächeln steckte ich die Flasche Wasser in meine Schultasche und verließ das Haus, bevor ich mich auf den Weg zur Bushaltestelle machte. Dort wartete ich etwa fünf Minuten auf meinen Bus und setzte mich dann auf meinen Lieblingsplatz. Drei Haltestellen später stieg Veit in den Bus und begann zu lächeln, als er mich sah.
„Guten Morgen, schöne Frau.“, begrüßte er mich und setzte sich zu mir, wobei er seine Tasche zu seinen Füßen abstellte, einen Arm über meine Rückenlehne legte und sich zu mir drehte.
„Guten Morgen.“, erwiderte ich und lächelte zurück, nicht ohne ein wenig rot zu werden.
„Gut geschlafen?“, wollte er wissen und streichelte mir scheinbar beiläufig über die Schulter.
„Schon ziemlich gut. Auch wenn es schwer war einzuschlafen.“ Mit einem leisen Seufzen lehnte ich mich leicht an ihn, woraufhin er den Arm von meiner Rücken lehne um meine Tallie legte.
„Was war da überhaupt los?“
Erneut seufzte ich. „Wie gesagt, Tevin hat mir mein Handy weggenommen, weil er wissen wollte, mit wem ich schreibe und was ich schreibe.“
„Warum fragt er? Ist doch deine Sache.“
„Ja. Er hat gesehen, dass ich... also... dass ich rot geworden bin, wenn ich eine SMS gelesen habe.“
Er sah amüsiert auf mich herab. „Du bist rot geworden?“
Abrupt wurde ich genau das. „Das sagte ich doch gerade.“
Mit einem leisen Lachen zog er mich etwas enger an sich. „Okay, erzähl weiter. Er wollte wissen, was und mit wem du schreibst.“
„Als ich es ihm nicht sagen wollte, hat er mir mein Handy weggenommen und die SMS gelesen, die du mir geschickt hast. Und dann ist er in sein Zimmer gegangen, damit ich es mir nicht zurück holen konnte. Ich hab an seine Tür gehämmert und ihm gesagt er solle aufmachen und es mir wieder geben. Bis Papá nach hause kam. Dann gab es Ärger, weil es so spät war und wir so einen Lärm veranstalteten. Tevin bekam Ärger, weil er mir mein Handy weggenommen und die SMS' gelesen hat. Ich bekam Ärger, weil ich zu spät zuhause war und noch SMS geschrieben habe.“
„Oh. Das ist dann wohl meine Schuld, tut mir leid.“
„Schon in Ordnung. Ich darf jetzt aber nicht mehr zur Bettzeit etwas mit meinem Handy machen. Weder telefonieren, noch SMS schreiben. Ich darf sie lesen, aber auch nur, wenn ich denke, dass es wichtig ist und nicht antworte. Immerhin soll ich ja schlafen.“
„Streng, findest du nicht?“
„Nicht sehr. Es macht Sinn. Stell dir vor, deine kleine Schwester würde nachts SMS' schreiben und telefonieren, statt zu schlafen.“
Er seufzte. „Du hast Recht. Aber jetzt zu einem etwas angenehmerem Thema.“
Als der Bus an unserer Haltestelle hielt, nahmen wir unsere Taschen und stiegen aus. „Welches Thema?“, wollte ich dabei von ihm wissen und sah ihn neugierig an.
Mit einem Lächeln zog er mich an der Tallie wieder an sich und beugte sich zu mir herab. Ich hielt unvermittelt den Atem an und atmete dann langsam aus, als er mich sanft küsste. Wohlig seufzend erwiderte ich den Kuss, ließ meine Tasche fallen und legte ihm die Arme um den Hals.
„Ich wette, ich schaffe es, ihn noch unvergesslicher zu machen.“, flüsterte er mit einem Lächeln an meinem Mund.
„Ich weiß sogar, dass du das kannst.“
„Soll ich?“
Langsam öffnete ich die Augen. „Nicht jetzt. Sonst kann ich mich gar nicht mehr konzentrieren.“
Er lachte leise auf und küsste mich dann nochmal. „Ich will gar nicht aufhören.“, murmelte er, löste seinen Mund dann aber von meinem und drückte seinen Mund sanft auf meinen Scheitel.
„Ich hab ja schon einiges gesehen.“, ertönte neben uns plötzlich Teddys Stimme, „Aber noch nie habe ich dich mit jemandem rumknutschen sehen, Vivi.“
Ich zuckte überrascht zusammen und sah zu meinem besten Freund, der mich sofort angrinste. Ich spürte, wie ich etwas rot wurde und lächelte ein wenig. „Es gibt immer ein erstes Mal.“
„Das mag zwar sein, aber den Anblick hätte ich mir dann doch gern erspart.“
„Warum?“
„Weil mich das an unseren Kuss erinnert.“
Prompt wurde ich noch roter. „Oh.“
Mit einem leisen lachen zerzauste er mir liebevoll das Haar, nahm meine Tasche und wand sich zur Schule. „Wir sollten uns auf den Weg machen.“
Als ich zu Veit aufsah, sah er mit gehobener Braue zurück.
„Ihr habt euch geküsst?“, wollte er überrascht wissen.
Ich zuckte darauf nur mit den Schultern. „Ein mal. Nein warte... zwei Mal.“ Ich sah zu Teddy. „Du meinst doch nicht etwa den Zweiten, oder?“
Mit einem schrägen Grinsen drehte er sich um und zwinkerte mir zu. „Genau den meine ich.“
Mit einem Murren löste ich mich von Veit und nahm seine Hand. „Kommst du?“
Dieser nahm daraufhin seine Tasche, verschränkte seine Finger mit meinen und ging gut gelaunt neben mir her. Als wir den Schulhof betraten, sah ich das uns einige anstarrten, weshalb ich etwas beunruhigt näher an Veit rückte.
„Sag mal... wie kam das eigentlich dazu?“, wollte Teddy wissen, „Also... das mit euch.“
„Ähm... wir waren im Park... und... er hat mich gezeichnet. Dann hat er mir gezeigt wie das geht und wir haben uns ein bisschen unterhalten.“
„Und?“
„Dann...“
„Dann hab ich sie geküsst.“, antwortete Veit für mich.
„Einfach so?“
„So ungefähr ja.“
„War ein ziemliches Risiko, oder?“
„Es hätte sich für mich sogar dann noch gelohnt, wenn sie mich von sich gestoßen hätte. Immerhin hätte ich sie dann wenigstens kurz küssen können. Einmal ist besser als Keinmal, oder?“
„Stimmt.“
„Oh, Teddy.“, meldete ich mich plötzlich.
„Was gibt’s, kleines Honigbienchen?“
Ich sah ihn perplex an, woraufhin er begann zu lachen und sich die Hand vor den Mund hielt.
„Du solltest dein Gesicht sehen.“
Ich schnaufte einmal, bevor ich wieder zu ihm aufsah. „Sag mal... hast du in den Ferien Zeit?“
„In den Ferien? Die in zwei Wochen?“
„Nein, die nach dem Abschluss. Natürlich die in zwei Wochen.“
Einen Moment überlegte er, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein. Meine Eltern wollen mit mir nach Kanada um meine Tante Brunhilde zu besuchen.“ Er verzog das Gesicht und rieb sich über die Wange. „Schreckliche Frau.“
„Schade.“
„Warum fragst du?“
„Naja... Tėtis muss für zwei Wochen nach Kansas City und sagte, er würde Tevin und mich mitnehmen. Wir dürfen einen Freund mitnehmen, weil Mamytė mit Cyntia zuhause bleibt.“
Einen Moment sah Teddy etwas verwirrt aus, bevor ihm ein Licht aufging. „Ach sooo. Dein Vater... Und du wolltest fragen, ob ich mitkomme, richtig?“
„Naja... du warst noch nie in Kansas City. Und wir besuchen bestimmt auch Rika und Riley.“
„Das sind die Eltern von dieser Cathleen, richtig?“
„Ja.“
„Wie gesagt, ich kann leider nicht, sonst wäre ich gern mitgefahren.“
„Schade.“
„Vielleicht kommt Veit ja mit.“
Ich blinzelte überrascht, bevor ich zu Veit aufsah. „Hättest du Lust?“
„Jetzt in den Ferien?“
Ich nickte.
Er biss sich leicht auf die Unterlippe und schien zu überlegen. „Eigentlich kommt da mein Onkel zu Besuch. Aber wenn du mich gern dabei haben möchtest, würde ich das schon regeln.“
„Du bist ein Schatz.“ Erfreut von seiner Zusage schlang ich die Arme um seinen Hals, zog mich an ihm hoch und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen, woraufhin er seufzte, sofort die Arme um mich legte, um mich an sich zu ziehen und den Kuss zu erwiderte.
„Mensch, Vilija. Müsst ihr jetzt schon wieder rumknutschen? Hey, da ist Tevin ja schon. Der Bus muss wohl früher gekommen sein. Habt ihr euch eigentlich vertragen?“
Nur langsam löste ich mich wieder von Veit und sah zu Teddy, bevor ich seinem Blick folgte und Tevin sah, der den Schulhof betreten hatte. Wenige Augenblicke später fiel sein Blick auf mich und Veit, woraufhin er den Jungen in meinen Armen ziemlich finster ansah.
„Nach dem, was er gestern Abend abgezogen hat, werde ich mich sicher nicht so schnell wieder mit ihm vertragen.“, antwortete ich Teddy und drückte Veit einen kleinen Kuss auf den Mund. „Kommt ihr? Wir sollten rein gehen.“
„Gute Idee. Der Unterricht fängt auch in zehn Minuten an.“
„Bekommen wir nicht die Mathematikarbeit zurück?“
„Ja.“
„Bitte Gott, lass mich nicht versagt haben.“
Teddy lachte leise, als wir das Gebäude betraten.
Ich atmete erleichtert auf, als ich unseren Stammplatz an der Wiese erreichten und ließ mich ins Gras fallen.
„Geschafft. Die erste Hälfte des Schultages ist vorbei.“
Veit setzte sich neben mich und Teddy setzte sich mit Gabriela auf meine andere Seite, wobei er sich mir zugewandt hatte, statt seitlich neben mir zu sitzen, wie sonst immer.
„Wie ist deine Arbeit ausgefallen?“, wollte Teddy wissen.
„Ich habe es gerade so auf eine glatte 2 geschafft. Und du?“
„2+. Noch ein Punkt und ich hätte eine 1 gehabt.“
„Wie hast du das gemacht?“
„Frag mich das doch nicht.“
Mit einem Seufzen drehte ich meinen Kopf zu Veit. „Verstehst du Mathe?“
„Ja. Das ist doch leicht.“
„Kannst du mir Nachhilfe geben.“
„Klar. Soll ich später bei dir vorbei kommen?“
„Nicht heute. Wir haben Montag.“
„Und?“
„Naja... letzte Woche haben wir kein Litauisch gesprochen, weil es ziemlich stressig war. Mamá hat noch so ihre Probleme damit flüssig zu sprechen. Außerdem ging es ihr nicht so gut. Also wollen wir ab dieser Woche wieder anfangen. Du wirst nichts verstehen, wenn ich mit meiner Familie spreche. Ich denke, es wäre etwas unangenehm.“
Teddy nickte. „Sie hat Recht. Ich hab mal von Freitag bis Sonntag bei ihr übernachtet und sowohl Freitag als auch Sonntag haben sie alle Litauisch gesprochen. Sie haben sich viel unterhalten und offenbar Witze gemacht, bei denen ich der Einzige war, der nicht gelacht hat.“
Ich kicherte, als ich mich daran erinnerte. „Ja, das war witzig. Er hat uns angesehen, als wären wir nicht mehr ganz richtig im Kopf.“
„Jetzt bin ich neugierig geworden. Das würde ich gerne mal erleben.“
Ich zögerte etwas. „Also... wenn du unbedingt möchtest... dann kannst du vorbei kommen. Papá kommt erst um 17 Uhr von der Arbeit. Aber heute ginge es trotzdem nicht mit der Nachhilfe.“
„Warum?“
Diesmal war es Teddy der antwortete, weil ihm wohl der Grund gerade eingefallen war. „Es geht um Cyntia. Vilija geht jeden Montag mit ihr auf einen Spielplatz in der Nähe.“
„Oh.“ Er schien wirklich überrascht. „Jeden Montag?“
Ich nickte. „Jeden Montag. Außer wenn sie krank ist, natürlich. Oder wenn ich viel lernen muss.“
„Nun... dann komme ich eben mit.“ Er lächelte mich an.
Sofort erwiderte ich das Lächeln, weil ich einfach nicht anders konnte. „Du bist wirklich süß.“
„Sag mal Vivi...“
Ich sah zu Teddy auf. „Ja?“
„Was ist eigentlich passiert, dass du so wütend auf Tevin bist?“
Ich atmete leise durch. „Er hat sich wie ein Kind benommen. Sogar Tėtis ist richtig wütend geworden. Also, so richtig?“
Tatsächlich wurde er etwas blass. „Du meinst... er ist sogar laut geworden?“
Ich nickte. „Ja. Aber zum Glück nicht sehr.“
„Was ist passiert?“, fragte er erneut, diesmal etwas schockiert. „Ich meine... ich kenne dich schon Jahre, war schon so oft bei dir und denke, dass ich euch schon gut genug kenne, um zu wissen, dass dein Vater eigentlich so gut wie nie wütend wird. Levantin ist immer ruhig und verständnisvoll, wenn ich ihn sehe.“
„Du kennst uns gut genug, Teddy. Tėtis regt sich wirklich so gut wie nie auf. Es war nur... Er und Mamytė waren im Kino als ich nach hause kam. Tevin war mit Cyntia noch im Wohnzimmer. Ich hab kurz mit ihm gesprochen und hab dann Cyntia ins Bett gebracht, bevor Tevin und ich in unsere Zimmer gegangen sind. Ich hab mich fürs Bett fertig gemacht... hab mich hingelegt und dann noch mit Veit SMS geschrieben.“ Ich machte eine kurze Pause. „Irgendwann hat Tevin geklopft, hat sich zu mir gesetzt und wollte mit mir sprechen. Was wir auch getan haben. Jedenfalls sowas in der Art. Währenddessen hab ich weiter mit Veit geschrieben und Tevin wollte wissen mit wem und was ich schreibe. Als ich es ihm nicht gesagt habe, hat er mir mein Handy weggenommen, die SMSs gelesen und hat sogar an meiner Stelle geantwortet und sich in seinem Zimmer eingesperrt, als ich es wieder haben wollte.“
„Es ist doch deine Sache, wie und mit wem zu schreibst.“, bemerkte Teddy, „Was ist mit ihm?“
„Ich weiß es nicht.“
„Und was ist dann passiert?“, fragte Gabriela neugierig.
Ich seufzte. „Naja, ich hab an Tevins Tür gehämmert, wie verrückt und hab ihm gesagt, er soll mir mein Handy wiedergeben. Ich war... etwas laut. Und dann kamen Tėtis und Mamytė wieder.“
„Nicht gut.“, bemerkte Teddy halblaut.
„Er war wirklich sehr wütend. Es war schon spät, wir haben Cyntia geweckt und eigentlich hätten wir schon schlafen müssen. Tevin hat Ärger bekommen, weil er mir mein Handy weggenommen, meine SMSs gelesen und an meiner Stelle geantwortet hat. Ich habe Ärger bekommen, weil ich überhaupt zu spät zuhause war und so einen Lärm gemacht habe.“
„Ist er immer noch wütend?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Heute morgen war alles wieder gut. Allerdings dürfen wir zur Bettzeit weder telefonieren, noch SMS schreiben. Wenn es wichtig ist dürfen wir sie lesen, aber das wars auch schon.“
„Tut mir leid, dass du wegen mir Ärger bekommen hast.“, meinte Veit entschuldigend, „Ich hätte dich früher nach hause bringen sollen und ich hab mir schon gedacht, dass es eine blöde Idee war mit dir zu simsen.“
Ich winkte ab. „Du musst dich nicht entschuldigen. Es ist alles okay.“
Als er sich mit einem Ellenbogen abstützte und sich zu mir beugte, sah ich ihm sofort in die Augen. „Du hast wegen mir Ärger bekommen.“
„Es war nicht wegen dir.“, entgegnete ich, „Ich hätte selbst daran denken müssen.“
„Es tut mir trotzdem leid.“
Mit einem leisen Seufzen strich ich ihm kurz über die Brust, bevor er sich zu mir herab beugte und einen Kuss auf meine Lippen drückte. Unwillkürlich seufzte ich auf und verschränkte die Hände in seinem Nacken, während er mir eine Hand in den Nacken legte und den Kuss vertiefte.
„Fangen die beiden schon wieder an.“, meinte Teddy angesäuert, „Ihr seid nicht allein auf der Welt.“
Wir konnten uns beide ein Grinsen nicht verkneifen, hörten jedoch nicht auf. Im Gegenteil. Veit begann sogar mich leidenschaftlicher zu küssen. Wieder so ein unvergesslicher Kuss.
„Vielleicht sollten wir sie allein lassen.“, meinte Gabriela, als sie aufstand und Teddy hochzog. „Dann musst du auch nicht zusehen.“
Ich hörte Teddy murren, als sie ihn weg zog, wurde jedoch gleich wieder abgelenkt, als Veit mit der Zunge ganz sachte meine Unterlippe berührte. Ich keuchte. Das war mein erster Zungenkuss. Und es war einfach... unglaublich. Ich wollte nicht aufhören, doch wir wurden von Tevin unterbrochen, der neben uns trat und leicht anstieß.
„Veit, ich möchte mit dir sprechen.“, meinte er finster.
Wir lösten uns unwillig voneinander und sahen zu Tevin auf.
„Jetzt.“, fügte er hinzu.
Veit seufzte, löste sich ganz von mir und stand auf. „Was gibt’s?“
Mein Bruder sah eine Weile auf mich herab, bevor er Veit bat ein Stück wegzugehen. Er wollte nicht, dass ich etwas höre, wie ich annahm. Ich beobachtete die beiden still. Der Junge mit dem ich zusammen bin und der Junge, in den ich bis über beide Ohren verliebt bin, obwohl ich unglaublich wütend auf ihn bin. Und letzterer scheint nicht sehr begeistert davon zu sein, dass ich mit Veit zusammen war, doch sie sprachen ruhig miteinander. Als Veit zu mir zurück kam, schien er etwas angesäuert, lächelte mich aber an, als er meinen Blick sah und setzte sich neben mich, woraufhin ich mich ebenfalls aufsetzte und ihn fragend ansah.
„Was wollte er?“, fragte ich neugierig.
„Naja... Er... Ich glaube, er hat versucht mich von dir wegzuholen?“
„Wegzuholen?“, hakte ich nach.
„Na... Er will wohl nicht, dass wir zusammen sind.“
Ich rollte mit den Augen. „Ignoriere es. Er... übertreibt manchmal. Besonders wenn es um mich geht.“
„Klingt, als mache er sich Sorgen.“
„Ja. Ja, so kann man das auch sehen.“ Nachdenklich glitt mein Blick zu Tevin herüber, der bei Diana stand und sich händchenhaltend mit ihr unterhielt. Ein Stich. Er legte ihr eine Hand an die Wange, näherte sich ihrem Gesicht. Noch ein Stich. Ich wand den Blick schnell wieder ab. „Er wohnt bei uns, seit ich fünf und er sechs ist.“ Plötzlich fiel mir wieder ein, was er zu mir gesagt hatte, als er mir von seiner Vergangenheit erzählt hat.
Ich wollte nicht allein sein. Also bin ich bei dir geblieben. Nie wieder wollte ich so einsam sein.
Oh Tevin... Wenn du doch nur nicht so... gemein zu mir und Veit wärst...
„Er wohnt also schon zwölf Jahre bei euch?“
Ich nickte. „Ja.“
„Wie kam er zu euch?“
Unbewusst griff ich nach einer Strähne meines Haars und spielte ein wenig damit, während ich mich an den Tag erinnerte.
„Tėtis war geschäftlich in Litauen. Als er zurück kam, fuhr Mamytė mit mir zum Flughafen, um ihn abzuholen. Es hat schrecklich lange gedauert. Irgendwann stand Tevin bei mir und hat mich gefragt wer ich bin, wie alt ich sei und ob ich mit ihm spielen möchte. Aber ich hatte Angst, dass ich dann verpassen würde, wie Tėtis zurück kam, also habe ich bei Mamytė gewartet. Und er hat einfach mit gewartet. Als Tėtis wieder kam, waren Mamytė und ich ganz aus dem Häuschen. Und Tevin stand dort ganz allein. Als sie ihn fragten, wo denn seine Mutter sei, sagte er, sie hätte ihn früh morgens dorthin gebracht. Er solle auf seinen Onkel Aidan warten. Er würde aus Rumänien kommen.“ Ich unterbrach mich selbst, als meine Stimme brach und machte eine kurze Pause, um die Tränen zurück zu halten. „Es war spät Abends, als Mamytė mit mir am Flughafen war. Tevin war den ganzen Tag allein dort. Es kam nie ein Flug aus Rumänien. Er war ganz allein, also haben wir ihn mitgenommen. Tėtis hat bei der Polizei angerufen, sagte, sie hätten ein Kind gefunden. Doch niemand meldete sich. Also haben sie ihn adoptiert. Ich habe ihn schon damals sehr gemocht. Ich hing an ihm, wie eine Klette und er hat mich nie aus den Augen gelassen.“ Ich lächelte, als ich mich an einen Tag im Garten erinnerte. „Zwei Jahre später, im Sommer, haben wir im Garten gespielt. Im Sandkasten. Ich weiß nicht mehr wie es passiert ist, aber irgendwann fiel ich hin und landete mit dem Gesicht direkt im Sand. Anfangs habe ich geweint. Dann hat Tevin mir geholfen mich hinzusetzen, mir über den Kopf gestreichelt und ganz ganz vorsichtig den Sand aus meinem Gesicht gewischt. Er sagte mir, es sei alles in Ordnung. Es sei nur Sand und ich sei auch unverletzt. Erst da habe ich bemerkt, dass ich mir kaum weh getan hatte.“
„Er scheint ein guter Bruder zu sein.“
„Ja. Ja, das ist er. Allerdings ist er in letzter Zeit irgendwie... anders.“
„Ach ja?“
„Ja. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, immerhin ist er jetzt mit... mit... Diana zusammen.“
Er zog eine Braue hoch, als er den finsteren Unterton bemerkte. „Und das gefällt dir nicht?“
Ich zögerte etwas. „Es gefällt mir überhaupt nicht.“, antwortete ich darauf.
„Warum?“
„Weil ich... Also... es ist einfach so.“ Ich konnte ihm nicht sagen, dass ich in Tevin verliebt war.
„Du kannst mit mir reden.“
„Ich weiß.“
„Warum sagst du es mir dann nicht?“
„Ich glaube nicht, dass du ausgerechnet das hören willst.“
„Solange es dir hilft.“
„Liebst du mich, Veit?“
Überrascht sah er zu mir herab. „Dich lieben? Naja... ehrlich gesagt... also... ich kenne dich noch nicht lange. Ich mag dich sehr gern. Aber... ich glaube nicht, dass es Liebe ist.“
Mit einem leisen Seufzen sah ich wieder zu Tevin. „Gut. Ich könnte sie nämlich nicht erwidern.“
„Wie bitte?“
„Das ist der Grund, weshalb es mir nicht gefällt.“
Er folgte meinem Blick und wurde neben mir starr. „Du... Du bist in... in Tevin verliebt?“ Ich war froh, dass er leise fragte.
„Traurig, nicht wahr? Ich denke, es wäre auch unfair dir gegenüber, wenn ich es dir nicht gesagt hätte.“
„Ja. Sehr sogar. Weiß er es?“
„Ja.“
„Ist er deshalb so wütend?“
„Nein. Er ist wütend, weil... weil ich ihn nicht mehr so nahe an mich heran lasse, denke ich. Und wegen gestern Abend.“
„Du bist eifersüchtig, richtig?“
„Schrecklich eifersüchtig. Aber was soll ich schon tun? Er ist mein Bruder und er ist total in sie verliebt, wie man sehen-“ Ich unterbrach mich selbst, als ich sah, dass er sich mit ihr stritt. „Nanu?“
Als ich sah, dass Teddy beinahe direkt an ihnen vorbei zu uns kam, sah ich Teddy fragend an, der nur verwundert den Kopf schüttelt, bevor er sich zu uns setzte.
„Was hat er?“, wollte ich wissen.
„Er streitet mit ihr über dich.“, antwortete er, „Sie ist auch der Meinung, dass es deine Sache ist wie und mit wem zu schreibst. Ihm passt das überhaupt nicht.“
Ich atmete lange aus. „Wie auch immer. Wo ist Gabriela?“
„Spricht mit ihrer besten Freundin. Frauengespräch. Warum guckt Veit denn so?“
„Ich habe ihm gerade von Tevin und mir erzählt.“
„Das erklärt alles. Du lässt sie jetzt aber nicht allein, oder?“, hakte Teddy an Veit gewandt nach.
„Natürlich nicht.“, entgegnete dieser, „Immerhin ist sie trotz ihrer Liebe auch bei mir. Allerdings frage ich mich, was du tust, wenn er sich plötzlich auch in dich verliebt.“ Er sah mich lange an, woraufhin ich nur auf meine Hände herab sah.
„Ich weiß es nicht. Ich werden ihn jedenfalls nicht sofort mit offenen Armen empfangen.“
„Verständlich.“, entgegnete Teddy, „Was macht ihr eigentlich, wenn ihr ins Kansas City seid?“
„Ich weiß nicht. Wir werden auf jeden Fall Rika und Riley besuchen. Oh und Janis und Lilita. Die wohnen ja da in der Nähe.“
Er schwieg eine Weile, bevor er mich fragend ansah. „Wer ist Janis? Und Lilita?“
„Lilita ist Tėtis' Cousine und Janis ist ihr Ehemann. Die beiden haben Zwillinge.“
„Zwillinge? Wie... Rian und Liam?“
„Nein. Rian und Liam sind eineiige Zwillinge. Janis und Lilita haben ein Mädchen und einen Jungen. Also müssen es zweieiige Zwillinge sein.“
„Kennst du die beiden?“
„Ja. Tevin und ich waren mal für eine Weile bei ihnen zu Besuch. Und wir sehen sie immer zur Weihnachtszeit.“
„Ach ja. Ihr habt ja diese.... Familientradition.“
„Richtig. Sonst würde ich ja nie meine ganze Familie kennen lernen.“
„Wohin geht’s dieses Jahr?“
„Wir besuchen Verwandte in Litauen. Ich bin froh, dass sie dort drüben so viel verdienen. Der Flug ist immer sehr teuer.“
„Ich hab mich schon immer gefragt, ob ihr da noch verwandte habt und wie ihr die kennen lernt.“
„Sie fliegen natürlich immer her.“, entgegnete ich, als läge es auf der Hand. „Danuta und Dovydas sind sehr... wohlhabend. Sie haben ihren eigenen Jet und Dovydas bekommt sogar Rabatt auf den Sprit.“
„Warum hast du so reiche Verwandte? Dein Vater verdient doch schon so viel.“
Ich winkte ab.
„Nein ehrlich. Luca und Alex verdienen ja schon so viel. Und dann kennt ihr doch noch diesen Andrew. Und Jaydon. Rika und Riley.“ Teddy schüttelte den Kopf. „Woher kennt ihr die eigentlich alle?“
Ich dachte eine Weile nach. „Also Rika kennen wir durch Jaydon. Mamytė kennt ihn durch Raphael.“ Ich sah in den Himmel und dachte nach, während ich sprach. „Alexandra ist Tėtis Cousine. Sie hat Andrew rein zufällig auf einem Festival kennen gelernt. Da hat sie auch Shaylon und Devin kennen gelernt. Und Leo und Cadence.“
„Okay... und wer ist Raphael? Kenne ich ihn?“
„Höchstwahrscheinlich nicht. Raphael ist mein Onkel. Oder wäre es geworden. Mamytė hat mal von ihm erzählt. Er ist damals mit 16 gestorben. Wie, sagte sie nicht.“
„Und... Kaden! Woher kennt ihr Kaden?“
„Durch Drew. Er und Kendra kennen sich schon seit sie ein Kind war. Er ist der beste Freund ihres Bruders.“
„Wie schaffst du es da den Durchblick zu behalten?“, wunderte sich Veit, „Ich kann mir nicht einmal alle Namen merken.“
„Irgendwann hat man die alle im Kopf. Und ich hab sie ja nach und nach kennen gelernt. Nur bei meiner Familie war es schwerer.“
„Eine ziemlich große Familie, wie ich bemerke.“
Ich lächelte schräg. „Es ist immer ein riesiger Auflauf, wenn wir uns zu Weihnachten sehen. Diesmal wollen wir uns alle auf einmal treffen.“
„Ach ja?“
Ich nickte. „Ja. Dovydas hat ein ganzes Restaurant reserviert mit Buffets all-you-can-eat. Getränke gibt es natürlich auch massenhaft. Er hat zehn verschiedene Hauptgerichte in Auftrag gegeben. Zwölf Vorspeisen und fünfzehn Nachspeisen. Dann gibt es noch elf verschiedene Beilagen. Und das nur für die Mittagszeit. Es gibt auch Frühstück und Abendessen.“
„Ihr werdet also einen ganzen Tag in dem Restaurant verbringen?“
„Ja. Wenn ich frage dürft ihr sicher mit. Dovydas stört das nicht. Es kommen oft Freunde und Partner mit.“
„Das klingt alles sehr überwältigend.“
„Ist es auch.“, stimmte Teddy zu, „Letztes Jahr war ein Großteil ihrer Familie hier. Ich war zu Besuch. Ich hab Vilija nur für fünf Sekunden aus den Augen gelassen und sie danach eine ganze Stunde suchen müssen, um sie wieder zu finden.“
Ich kicherte. „Das war wirklich witzig. Von der Menge verschlungen.“
„Und die reden alle in den verschiedensten Sprachen. Bisher weiß ich von Litauisch, Italienisch, Französisch und Englisch natürlich.“
„Hauptsächlich wird Englisch und Litauisch gesprochen. Italienisch und Französisch taucht nur ganz selten auf, wenn man nicht möchte, dass alle anderen mithören. Dann taucht manchmal auch Spanisch und Russisch auf. Und Deutsch.“
„Russisch? Deutsch?“, hakte Teddy nach.
Ich hob die Schultern. „Ich habs mal gehört. Vor drei Jahren oder so.“
„Du hast ja Familie auf der ganzen Welt.“
„Bisher habe ich nur von denen gesprochen, deren Verbindung bis zu meiner Urgroßmutter väterlicherseits reicht. Meine Mutter hat noch zahlreiche Verwandte in Frankreich und Italien.“
„Äh...“
„Die kauen wir jetzt nicht alle durch, oder?“, fragte Veit zaghaft, „Mein Kopf tut mir jetzt schon weh. Und dabei habe ich wahrscheinlich nicht mal alles gehört.“
„Glaub mir, da gibt es noch sehr viel zu hören.“, meinte Teddy halbherzig und streckte sich. „Levantin hat Kontakte auf der ganzen Welt. Wenn ich mich recht entsinne war er auch mal geschäftlich in Südafrika, oder?“
„Ja. Und in Brasilien. Und Tunis, Kasachstan, Ägypten... du hättest ihn damals sehen sollen. Ich habe ihn noch nie so braun gesehen.“
„Glaub ich dir gerne.“
Es klingelte, woraufhin wir alle seufzten, aufstanden und streckten. Plötzlich zog Veit mich zu sich und legte seinen Kopf an meine Schulter, während er die Arme fest um mich legte. Genießend lehnte ich mich an ihn und lächelte Teddy zu, als er uns schmunzelnd beobachtete.
„Ihr seid ein niedliches Paar.“, bemerkte er dann.
„Niedlich?“, hakte Veit nach und hob den Kopf. Dann sah er auf mich herab. „Niedlich?“
Ich hob die Schultern. „Wir müssen jetzt jedenfalls rein.“
Er seufzte tief und drückte mir noch einen innigen Kuss auf die Lippen, bevor er mit mir und Teddy hinein ging.
Als die letzte Stunde vorbei war, verließ ich mit Veits Hand in meiner und Teddy zu meiner Linken das Schulgebäude. Gabriela lief neben Teddy und gab ihm einen kurzen Kuss, während er ihr einen Arm um die Tallie legte.
„Was machst du heute noch?“, wollte er dann von mir wissen und sah mich fragend an.
„Ich weiß noch nicht. Tevin hat in einigen Wochen Geburtstag. Ich weiß nicht, ob ich ihm etwas schenken soll.“
„Ich hätte das perfekte Geschenk.“
„Das da wäre?“
„Deine Aufmerksamkeit.“, antwortete er mit einem Hauch Ironie. „Als wenn er nicht genug gehabt hätte. Immerhin hast du mit ihm die meiste Zeit verbracht, richtig?“
„Korrekt.“ Ich seufzte leise und biss mir leicht auf die Unterlippe. Ich wollte nicht allein sein. Also bin ich bei dir geblieben. Nie wieder wollte ich so einsam sein. Er war bei mir geblieben. Bis heute.
„Was ist?“, fragte Teddy plötzlich, „Hab ich was falsches gesagt?“
„Nein.“, antwortete ich halblaut und sah zu Boden. „Nein, schon okay.“
Er sah mich lange an. Als ich daraufhin nicht einmal den Kopf hob, blieb er stehen, woraufhin wir ebenfalls stehen blieben. „Geht ihr schon mal vor. Wir kommen gleich nach.“, meinte er dann an Veit und Gabriela.
Veit sah kurz zu mir herab, nickte dann aber und drückte mir noch einen kurzen Kuss auf die Stirn. Dann ging er mit Gabriela weiter, wobei er begann sich locker mit ihr zu unterhalten.
„Okay, jetzt sind nur noch du und ich hier. Was ist los?“ Teddy sah leicht besorgt zu mir herab.
„Nichts, es ist nur... Also... es fing damit an, dass Daddy uns gesagt hat, Mom hätte eine Fehlgeburt erlitten.“
Teddy sah sich kurz um und führte mich dann zu einer Bank, um sich mit mir zu setzen. Er ahnte wohl, dass es ein wenig dauern würde. „Erzähl weiter.“
„Also... Ich war mit Tevin im Wohnzimmer und... Er hat sich an etwas aus seiner Kindheit erzählt.“
Ich erzählte ihm die ganze Geschichte und sah dabei bedrückt auf den Boden. Er hörte genauso aufmerksam zu wie sonst auch immer. Und als ich ihm sagte, was Tevin mir hinterher gesagt hatte, zogen sich seine Brauen zusammen.
„Er wollte bei dir bleiben?“, hakte er nach, „Um nicht allein zu sein?“
„Ja.“
„Aber er kannte dich doch gar nicht.“
„Scheint wohl als sei ich ihm sympathisch gewesen.“, entgegnete ich mit einem Schulterzucken.
„Vielleicht, aber... Wow. Was er erlebt hat. Das muss damals ein Schock gewesen sein.“
„Ich weiß nicht. Heute würde es ihn bestimmt schockieren, aber... damals wusste er, glaube ich, nicht was passiert ist. Er hat seiner Mutter geglaubt.“
Teddy sah an mir vorbei, als wir hörten, wie die Tür des Schulgebäudes zufiel. Im nächsten Moment hörte ich Tevins Lachen. Dann war er plötzlich leise.
„Sieht aus, als würde Tevin sehen, dass es dir nicht gut geht.“, bemerkte Teddy.
„Mir geht es schon die ganze Zeit schlecht.“
„Ja, aber...“ Er sah zu mir herab. „Das hier ist etwas anderes. Du hast offensichtlich Kummer, auch wenn ich noch nicht weiß warum. Ist es immer noch er?“
„Das ist er doch immer.“, murmelte ich darauf.
Er atmete langsam aus und rieb mir kurz über den Rücken, bevor er den Blick nochmal von mir abwand. „Ähm... dein Kummer kommt geradewegs hier rüber. Er sieht besorgt aus. Um dich?“
„Vielleicht.“
„Er ist allein. Er möchte dir wohl wirklich nicht weh tun.“
„Dafür ist es schon zu spät, meinst du nicht?“
„Sicher, aber-.“
Er unterbrach sich selbst und im nächsten Moment hockte sich Tevin vor mich, um mir ins Gesicht zu sehen.
„Vilija?“, versuchte er es zaghaft, „Ist alles okay?“ Er sprach Litauisch.
„Den Umständen entsprechend ja.“, entgegnete ich in der selben Sprache.
„Ich lass euch zwei besser allein.“, meinte Teddy halblaut und folgte dem selben Weg, den auch Gabriela und Veit gegangen waren.
Tevin wartete bis er weg war, bevor er sich neben mich setzte. „Hast du Sorgen? Du siehst traurig aus.“
„Ich habe viele Sorgen. Welche möchtest du hören?“
„Die, die dich gerade so traurig macht. Erzählst du es mir?“
Ein Seufzen kam mir über die Lippen, während ich mich ein wenig umsah und die Arme um mich schlang. „Mir ist eingefallen, was du mir gesagt hast.“
„Das mit dem Baby? Meinem... Schwesterchen?“
„Das war nebensächlich. Es muss sehr schlimm sein für dich daran zu denken, aber... was mich beschäftigt ist, was du mir danach gesagt hast.“
„Was ich danach gesagt habe?“
„Dass du nicht mehr allein und so einsam sein wolltest.“ Meine Stimme war fast nur noch ein Hauchen.
„Oh.“
Ein leichter Wind kam auf. Als ich zu Tevin sah, sah ich, dass der Wind ihm das Haar zerzauste. Wie immer streckte ich die Hand aus, um die Haare beiseite zu streichen, die ihm in die Stirn geweht wurden. Als ich die Hand wieder zurück ziehen wollte, fing Tevin sie ein und hielt sie mit beiden Händen fest. Ich wehrte mich nicht.
„Können wir... reden?“, fragte er leise.
„Worüber?“
„Über... unseren Streit. Unsere Beziehung zueinander. Ich... Ich will dich nicht verlieren. Du bist mir wichtig, aber je mehr ich mich anstrenge dich festzuhalten, umso mehr entgleitest du mir. Es macht mir Angst.“
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann jedoch wieder. Schließlich nickte ich nur stumm. „Aber nicht jetzt. Veit wartet sicher auf mich. Der Bus kommt gleich.“
„Du bist mit ihm zusammen, oder?“ Da war dieser Unterton, den ich nicht einordnen konnte.
„Ja.“
Er tat es mir gleich, als ich aufstand und ging neben mir her, als ich mich auf den Weg zum Bus machte. „Wie lange schon?“
Sollte ich es sagen? Sollte ich ihm noch mehr vorenthalten? Wenn ich es täte, würde ich ihn damit verletzen? Es würde ihn wütend machen, weil ich es ihm nicht sage. Weil er sich betrogen fühlt. Doch warum? Weil ich ihn liebe? Weil ich einen Freund habe und sage, dass ich ihn liebe? Vielleicht glaubt er es nicht mehr, wenn ich ihm nicht sage, dass ich mit Veit erst seit kurzem zusammen bin. Ich sollte es sagen. Ich möchte nicht, dass er denkt ich würde ihn belügen.
„Ich bin seit gestern mit ihm zusammen.“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Erleichtert atmete er auf. „Es geht also noch nicht lange so, ja? Also... diese SMS'.“
„Nein.“
„Gut.“
Warum interessiert es dich so? Diese Frage wollte ich so unbedingt stellen, doch ich verkniff es mir. Ich hatte selbst gesagt, dass jetzt nicht der Zeitpunkt war darüber zu sprechen
„Reden wir, wenn wir zuhause sind?“
Ich nickte. „Ja.“
„Gut.“
An der Haltestelle ging ich zu Veit, wurde von ihm in die Arme gezogen und küsste ihn liebevoll.
„Geht’s dir wieder besser?“, fragte er besorgt.
„Ja. Zumindest etwas.“
„Das beruhigt mich. Teddy ist mit Gabriela schon gegangen. Ich soll dir einen Kuss auf die Wange geben, aber ich bin einfach so unhöflich es nicht zu tun.“
„Warum?“
„Weil ich dich lieber richtig küssen möchte.“ Er lächelte mich warm an. „Seit gestern muss ich ständig an diesen Kuss denken.“
Mit einem leisen Lachen stieg ich mit ihm in den Bus, in dem wir uns auf einen Zweierplatz setzten. Wir saßen mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, sodass uns niemand sehen konnte. Und das nutzte er sofort aus. Er drehte sich so weit zu mir wie er konnte, beugte sich vor und legte seine Lippen auf meine. Die Art auf der er mich küsste benebelte meinen Verstand, weshalb ich einfach nur dasitzen konnte, den Kuss erwiderte und die Hände in seinem Haar vergrub.
So verging die Fahrt viel zu schnell. Als Veits Haltestelle angesagt wurde, erhob er sich vorsichtig, ohne die Lippen von meinen zu lösen. Als er es dann doch tat, lächelte er mich wieder warm an und drückte mir noch einen innigen Kuss auf den Mund, bevor er in den kleinen Gang des Busses trat.
„Wir sehen uns später.“, verabschiedete er sich mit einem Zwinkern.
Ich winkte darauf kurz und etwas sprachlos, woraufhin er aus dem Bus stieg und sich gut gelaunt auf den Weg nach hause machte. Dann lehnte ich mich atemlos zurück und stieg wenig später ebenfalls aus den Bus. Tevin ging still neben mir her, als wir uns gemeinsam auf den Weg nach hause machten.
„Diese Sache mit Veit.“, meinte er plötzlich, „Ist... ist das was Ernstes? Ich meine... Er scheint dich wirklich zu mögen, aber... Was ist mit dir?“
„An meinen Gefühlen hat sich bisher nicht viel verändert.“, antwortete ich vorsichtig, „Ich mag Veit. Sehr gerne, aber... mehr nicht.“
„Und... warum bist du dann mit ihm zusammen? Ich meine... du sagtest, dass... dass du mich liebst.“
„Ja.“ Ich rieb mir über den Unterarm. „Hat sich nicht geändert. Ich bin mit ihm zusammen, weil... ich ihn mag. Und du bist für mich unerreichbar. Auf diese Art.“
„Verstehe. Du nimmst also ihn, weil du mich nicht auf diese Art und Weise haben kannst.“
„Wenn du es so nennen möchtest.“
„Und was erhoffst du dir davon? Ich meine... Ich kann mir nicht vorstellen, dass du Sowas ohne Grund machst.“
„Ich hoffe, dass ich mit ihm an meiner Seite irgendwann aufhören kann dich zu lieben.“, antwortete ich offen, „Du liebst Diana. Das muss ich akzeptieren. Und... ich möchte mich nicht zwischen euch drängen.“ Eigentlich wollte ich das schon, aber ich kann dir das nicht antun.
Mit unergründlichem Blick sah er nach vorn. Schweigend. Zuhause angekommen öffnete er die Tür und hielt sie mir auf. Im nächsten Moment eilte bereits Cyntia in den Flur.
„Hallo Tevin!“, rief sie aus und ließ sich von ihm auffangen, als sie auf ihn zueilte.
„Hallo, mein Herzblatt.“, begrüßte er sie zurück, „Wie war dein Tag?“
Sofort begann sie eifrig von ihrem Schultag zu erzählen, während ich hinauf in mein Zimmer ging und meine Tasche abstellte. Dann ging ich hinunter in die Küche und bestrich mit eine Scheibe Brot. Kurz darauf kam meine Mutter herein.
„Hallo Vilija.“, begrüßte sie mich liebevoll, woraufhin ich sie auf die Wange küsste.
„Hallo Mama.“
„Ist alles in Ordnung? Du wirkst etwas traurig.“
„Schon okay.“
Sie sah mich aufmerksam an. „Ist es Tevin?“
Ich seufzte tief. „Es ist immer Tevin.“
„Ach Kleines. Liebe ist nicht einfach. Levin und ich haben damals ziemlich viel durchgemacht, ehe endlich alles in Ordnung war.“
Ich sah sie überrascht an. „Habt ihr?“
Liebevoll lächelte sie mich an. „Ja. Angefangen hat das Schlimmste kurz nach Weihnachten. Vor etwa Neunzehn Jahren. Wir waren in Kanada bei Verwandten zu Besuch. Damals habe ich Leonas kennen gelernt.“
Ich legte den Kopf etwas schräg. Leonas? Er wurde ab und zu erwähnt, doch kennen gelernt hatte ich ihn nie. Er war der Cousin meines Vaters, wenn ich mich recht erinnerte.
„Er hat dieselbe Stimme wie dein Vater.“ Sie zögerte ein wenig, schien zu überlegen. „Damals gab es einen Schneesturm. Tagelang. Wir konnten nicht zurück nach San Diego, weil die Flüge abgesagt wurden. Also blieben wir länger da. Eines Abends ging Levin spät noch mit seinem Onkel in die Stadt, weil er, also Aras, etwas besorgen wollte. Levin sagte, ich solle schon einmal schlafen und nicht auf ihn warten, weil es spät werden würde. Also habe ich mich schlafen gelegt. Und wurde mitten in der Nacht aufgeweckt.“ Sie verzog ein wenig das Gesicht. „Ich dachte es sei Levantin. Es war seine Stimme und er hat mich... vertraut behandelt. Und ich hab mit ihm geschlafen. Danach habe ich gehört wie die Haustür geschlossen wurde und jemand hoch kam. Dann habe ich begriffen, dass es gar nicht Levin war, der neben mir im Bett lag. Dieser war außer sich vor Wut, als er Leonas neben mir entdeckt hat.“ Erneut machte sie eine Pause. „Es folgte ein Streit und wir haben uns getrennt. Ich habe monatelang nicht mit ihm gesprochen. Kurz nach dem Vorfall damals habe ich festgestellt, dass ich schwanger bin. Und vier Monate später fiel es auf. Ich habe mit Levin darüber gesprochen und mich wieder mit ihm angefreundet. Er wollte wieder unbedingt eine Beziehung mit mir eingehen, doch ich hatte Angst davor. Die Schwangerschaft verlief ziemlich gut. Levin hat mich unterstützt und besuchte mich regelmäßig. Doch zur Zeit der Geburt hatte er viel zu tun. Er kam sofort ins Krankenhaus, musste am nächsten Tag aber schon wieder gehen. Es war eine schwere Zeit für mich und ich habe Levin beinahe verrückt gemacht, weil ich nicht wusste, warum er keine Zeit hatte. Damals habe ich ihm nicht geglaubt. Dann ging er irgendwann mit Luina aus.“
Luina war mir bekannt. Eine sehr nette Frau und sehr hübsch. Doch ich wusste nicht, dass sie mal etwas mit Dad zu tun gehabt hatte. Zumindest nicht auf diese Art.
„Ich war zu der Zeit mit dir und meinen Eltern im Park. Du wart sein so süßes Kind und warst uns trotzdem ein kleines Rätsel.“
Ich wurde rot. Sie schwärmte gerne davon, wie süß es gewesen sei, dass ich die Silben von Mama und Papa immer drei mal ausgesprochen hatte.
„Du hast angefangen zu weinen und zu schreien und hast nach deinem Vater gerufen. Er kam sofort, als er davon gehört hat.“ Sie presste die Lippen ein wenig aufeinander. „Sie hat ihn geküsst und dabei hat sich ihr Lippenstift auf seinen Lippen verschmiert. Er hat versucht es mir zu erklären, aber ich war stur, verletzt und hatte Angst. Beinahe hätte ich ihn verloren. Also habe ich angefangen ihn anzubetteln mich nicht zu verlassen. Und dann hat er mir einen Heiratsantrag gemacht.“
Ich hob eine Braue. „Das muss ein lausiger Antrag gewesen sein.“
Ich hörte das vertraute Lachen meines Vaters an der Küchentür. „Genau das hat Luina auch gesagt, als ich ihr sagte, ich hätte keinen Ring gehabt.“
Mom begann sofort zu lächeln und ließ sich von ihm in die Arme ziehen. „Du solltest auf keinen Fall aufgeben.“, erklärte Mom mir, „Levin hat auch einfach nicht locker gelassen. Und du siehst ja was das Ergebnis ist.“
Mein Vater vergrub das Gesicht in ihrem Haar. „Es war nicht immer leicht. Aber ich bin froh, dass ich es endlich hinter mir habe.“ Dann küsste er sie liebevoll, bevor er ihr einen Kuss auf die Stirn drückte und zu mir sah. „Tevin sagt er möchte gerne mit dir sprechen. Egal was passiert, du solltest ihn wenigstens nicht allein lassen.“
Ich nickte nur, aß den Rest von meinem Brot auf und ging dann hinauf. Vor Tevins Zimmertür blieb ich stehen und hob zögernd die Hand, um zu klopfen. Es dauerte eine halbe Minute bis ich mich dazu ringen konnte es zu tun. Ich hörte, wie ein Stuhl zurück geschoben wurde und kurz darauf öffnete er die Tür. Er sah etwas erleichtert aus, als er mich sah und hielt mir die Tür auf. Ich folgte ihm hinein und setzte mich auf seine Couch, während er die Tür schloss und sich dann auf den Stuhl setzte.
„Du wolltest also mit mir sprechen?“, fragte ich ihn irgendwann, „Über den Streit?“
Er nickte. „Ja. Naja auch.“, antwortete er vorsichtig, „Du hast Angst, dass ich Diana dir vorziehen werde, oder?“
Ich zuckte zusammen.
„Versteh doch, ich... Ich weiß nicht was ich tun soll. Diana ist mir so wichtig, aber... du bist mein ein und alles. Ich vermisse es mit dir gemeinsam zur Schule und wieder nach hause zu gehen, vermisse die Zeit die wir miteinander verbringen.“
Ich senkte den Blick. „Du möchtest weniger Zeit mit mir verbringen um Diana nicht zu verlieren.“
„Ich weiß, dass ich das angedeutet habe, aber... Ich kann das nicht. Diana und ich haben uns heute darüber gestritten. Ich hab ihr geschworen, dass zwischen dir und mir nichts läuft und sie ist einverstanden damit, dass ich dir nahe bin, solange zwischen uns nichts passiert. Ich versuche einen Weg zu finden mit ihr zusammen sein zu können ohne dich zu verlieren und anders herum. Ich will dich nicht verlieren Vilija.“
„Ich will dich auch nicht verlieren, Tevin.“
Er stand vom Stuhl auf und setzte sich zaghaft neben mich. „Es tut mir wirklich leid, dass das zwischen uns... Dass du... Dass ich deine Liebe nicht erwidere.“
„Dafür kannst du dich nicht entschuldigen.“, entgegnete ich, „Du kannst nichts für deine Gefühle.“ Auch wenn es trotzdem weh tut es zu hören. „Es wäre nur schön, wenn du mir nicht auch noch sagen würdest, dass es so ist.“
„Ich wünschte nur, Diana wäre so verständnisvoll wie du.“, murmelte er, „Dann wäre alles um einiges leichter.“
Als ich nichts darauf sagte, nahm er vorsichtig meine Hand und umschlang sie mit seinen.
„Ich fühle mich bei niemandem so wohl wie bei dir.“, fuhr er dann fort, „Deshalb habe ich auch so unangemessen reagiert, als du mit Veit geschrieben hast. Ich habe Angst, dass er dich mir wegnimmt.“
„Davor brauchst du keine Angst zu haben. Du bist immer noch... mein Bruder.“
Er drückte ein wenig fester zu. „Tut mir leid. Ich kann nichts dagegen machen. Es passiert einfach so.“
Etwas nervös sah ich zu ihm auf. „Wie meinst du das?“
„Na, dass ich zum Beispiel einfach so dein Handy klaue, die SMS lese und antworte. Da ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt. Es tut mir wirklich leid. Hinterher verstehe ich nicht warum ich das gemacht habe.“
„Verstehe.“
Er seufzte leise und zog mich an sich, um die Arme um mich zu legen. Ich war ihm so nahe, dass ich seinen Geruch wahrnahm. Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Er roch einfach wundervoll! Ich hatte es vermisst...
Unbewusst vergrub ich meine Finger in seinem Shirt, um ihn nicht auf eine Art zu berühren, die ihm unangenehm wäre. Dabei war ich so abgelenkt von seinem Geruch, dass ich gar nicht bemerkte, dass er weiter redete.
„Vilija? Hast du gehört was ich gesagt habe?“
Ich nickte nur abwesend und lehnte meine Wange an sein Schlüsselbein. Wie sehr ich ihn vermisse...
Er seufzte leise und drückte mich ein wenig fester an sich, wobei er sein Kinn auf meinem Schopf bettete. Ich spürte seine regelmäßigen Atemzüge unter meinen Händen, die Wärme seines Körpers überall dort, wo er mich berührte. Als ich meine Augen ein wenig öffnete, sah ich seinen Hals. Wie von selbst hob ich meine Hand und berührte sanft die Kuhle in der Mitte seines Schlüsselbeins. Dann legte ich sie flach auf sein Brustbein, bewegte sie vorsichtig über seine Brust zu seiner Schultern, bevor ich sie in seinen Nacken legte.
„Können wir so weiter machen wir vorher?“, fragte Tevin vorsichtig, „Wie damals, bevor wir anfingen uns zu streiten?“
Ich sah zu ihm auf. „Wünschst du dir das?“
Er schloss die Augen und lehnte seine Stirn an meine. „Ja. Ich möchte Mom und Dad wieder damit verrückt machen, dass wir im selben Bett schlafen und zusammen im Bad sind. Ich möchte wieder mit dir zusammen zur Schule und nach hause gehen. Und ich möchte dich wieder in den Arm nehmen können, wenn ich es brauche. Wenn ich dich brauche.“
Ich musste mich stark zurück halten meinen Mund nicht noch einfach ein paar Zentimeter vor zu bewegen. „Wenn du es dir so sehr wünschst.“, antwortete ich schließlich, „Dann werde ich mir Mühe geben.“
Erleichtert atmete er aus, zog mich wieder enger an sich und küsste mich auf die Wange, bevor er sein Gesicht an meinem Hals verbarg. Mein Herz weinte bittere Tränen, doch ich riss mich ihm zuliebe zusammen. Das würde bedeuten, dass er wieder mein Tevin war, oder? Er würde wieder mir gehören. Zwar nicht so wie ich es wollte, doch... er würde mir gehören.
Als es irgendwann an der Tür klopfte, hoben wir beide die Köpfe.
„Ja?“, meldete sich Tevin.
Dad öffnete die Tür und streckte den Kopf herein, sah zu uns herüber. „Ich störe nicht gerne. Veit ist unten.“
Ich zog die Brauen zusammen. „Warum bist du eigentlich schon wieder so früh da?“
Er lächelte schräg. „Ich konnte heute früher Schluss machen.“
„Oh. Verstehe. Danke.“
„Gerne. Bei euch zwei wieder alles in Ordnung?“
Tevin sah fragend zu mir auf, woraufhin ich mit einem Lächeln nickte. „Alles gut.“
„Na endlich. Ich sage Veit, dass du gleich runter kommst.“
„Danke.“
Ohne ein weiteres Wort schloss er die Tür. Ich sah zu Tevin.
„Was möchte er hier?“, fragte er verwundert.
„Er ist neugierig. Teddy sagte, dass wir alle jeden Montag nur litauisch miteinander sprechen und hat von seiner eigenen Erfahrung erzählt. Jetzt möchte Veit wissen wie das ist.“
Er hob eine Braue. „Ist er sich sicher?“
„Offenbar schon. Komm doch mit runter. “
„Ja klar. Geh schon mal runter, ich komm gleich nach.“
„Ist gut.“
Ich küsste ihn schnell auf die Wange, streifte dabei seinen Mundwinkel und stand dann auf um runter zu gehen. Veit wartete geduldig im Flur und begann warm zu lächeln als er mich sah. Wortlos ging ich zu ihm herüber und ließ mich von ihm in die Arme ziehen.
„Wie geht’s dir?“, wollte er wissen und musterte mich kurz.
„Sehr gut und dir?“
„Ganz in Ordnung.“, antwortete er, „Routinemäßiges Familiendrama. Meine Cousine heiratet zum siebten mal. Die Kirche wird noch reich, wenn sie so weiter macht.“
Ich kicherte leise, woraufhin er mir einen Kuss auf den Mund drückte. Wir wurden von Cyntia unterbrochen, die an der Küchentür stand und zu uns herüber sah.
„Vilija?“, hob sie zaghaft an.
Ich löste mich von Veit und sah zu ihr herüber. „Taip?“
„Machst du mir ein Schokobrot?“, bat sie mit großen Kulleraugen.
Ich lachte leise und löste mich ganz von ihr. „Natürlich mache ich dir ein Schokobrot.“
Veit, der uns nicht verstand, weil wir Litauisch sprachen, hob eine Braue und folgte mir, als ich ihn zu mir winkte.
„Möchtest du Toast oder Graubrot?“
„Toast!“, rief sie aus, „Und ganz viel Schokolade!“
„Du bekommst eine Extraportion Schokolade.“
„Was höre ich da?“, ertönte die Stimme meiner Mutter, als sie herein kam, „Extraportion Schokolade? Du bist das also immer, hm?“
Ich spürte, wie ich etwas rot wurde, bevor ich sie leicht anlächelte. „Bei ihren Augen kann ich nicht widerstehen.“
„Sie ist ja auch eine kleine Naschkatze.“ Bei dem letzten Wort hob sie Cyntia auf ihre Arme und drückte sie an sich. „Nicht war, meine Kleine?“
„Jaaa!“
Wir lachten leise. Dann fiel mein Blick wieder auf Veit, der mich verträumt ansah.
„Möchtest du etwas trinken?“, fragte ich ihn auf Englisch.
„Ein Saft, danke.“
Ich holte ein Glas aus dem Schrank und nahm gleichzeitig die Schokolade aus einem anderen. Dann goss ich ihm kurz sein Saft ein und stellte es ihm hin, bevor ich Cyntia ihr Brot schmierte. Als ich es ihr gab, nahm sie es mit glänzenden Augen entgegen und biss so weit hinein wie sie konnte. Das hatte zur Folge, dass ihr Mund ganz verschmiert war. Mom lachte herzlich auf und drückte ihr einen dicken Kuss auf die Wange.
„Ähm... Mom, das hier ist Veit.“, stellte ich sie ihm vor und trat neben ihn.
Neugierig sah sie von Cyntia auf den Jungen neben mir und reichte ihm die Hand. „Freut mich sehr dich kennen zu lernen.“, begrüßte sie ihn, „Ich bin Violeta, Vilijas Mutter.“
Er stand sofort auf und verbeugte sich leicht, als er ihre Hand nahm. „Freut mich ebenfalls, Ma'am.“ Dann lehnte er sich leicht zu mir herüber. „Du hattest Recht.“, flüsterte er mir zu, „Sie ist wirklich ziemlich schön. Aber nicht so schön wie du.“
Wieder wurde ich rot.
„Warum verbeugt er sich, Mama?“, wollte Cyntia verwirrt und mit verschmiertem Mund wissen.
„Weil er ein Gentleman ist.“, antwortete sie ihr, „Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht?“ Meine kleine Schwester sah mit großen unschuldigen Augen zu ihr auf. Mom lachte leise und setzte sie ab. „Los, iss das Brot auf, mach dich sauber und dann machst du deine Hausaufgaben.“
„Darf ich sie im Wohnzimmer machen?“
„Ja.“ Begeistert lief sie aus der Küche. „Aber der Fernseher bleibt aus!“, rief Mom noch hinterher, „Und im Haus wird nicht gerannt!“
„Tut mir leid!“, rief Cyntia zurück.
„Sie ist genauso wie du damals.“, bemerkte Mom leicht verärgert, „Du hast allerdings aufgehört, nachdem du über das Staubsaugerkabel gestolpert bist.“
Ich lachte leise. „Das war eine interessante Erfahrung.“
„Ich habe dich nur laufen sehen und im nächsten Moment lagst du auf dem Boden.“
Ich konnte nicht anders und lachte gleich ein bisschen mehr. „Und Tevin, der mir hinterher gelaufen ist, stolperte dann ebenfalls und fiel auf mich rauf.“
Mom hing vor lachen eine Träne im Augenwinkel, die sie beherzt wegwischte. Dad, der uns wohl hat lachen hören, kam neugierig herein.
„Hab ich etwas verpasst?“, wollte er wissen und ging ohne Umschweife zu ihr herüber, um sie in die Arme zu ziehen.
„Nur einen mit Schokolade verschmierten Satansbraten. Ich hab den Übeltäter mit der Extraportion auf frischer Tat ertappt.“
Dad hob eine Braue und sah zu mir auf. „Ach, du warst das immer.“
„Sag bloß, du kannst ihrem Welpenblick widerstehen.“
Er grinste mich an. „Nein. Das ist ein ziemlich gutes Argument. Wo ist jetzt das kleine Schleckermäulchen?“
„Im Wohnzimmer.“, antwortete Mom, „Wir müssen aufpassen, dass sie auch wirklich ihre Hausaufgaben macht. Heute morgen hat Mrs Jodula angerufen. Cyntia hat seit vier Tagen ihre Hausaufgaben nicht abgegeben.“
Dad seufzte tief. „Dann werde ich dem kleinen Teufel mal dabei helfen.“ Er küsste sie auf den Hals. „Macht du heute das Essen?“
„Natürlich.“
Ich musste den Blick abwenden, als er ihr einen Kuss auf den Mund gab. Mein Blick fiel auf Veit, der den Blick im selben Moment abgewandt hatte wie ich und lächelte ihn leicht an. Ein plötzlicher Schrei von Cyntia ließ uns alle zur Küchentür sehen.
„Mir ist mein Brot runter gefallen!“, rief meine kleine Schwester, als sie mit entsetzlich traurigem Gesicht herein geeilt kam.
Meine Eltern seufzten tief.
„Ich mache ihr ein Neues.“, meinte Mom.
„Ich beseitige das Alte.“, entgegnete Dad und drückte ihr noch einen schnellen Kuss auf die Stirn, bevor er die Küche verließ.
Im selben Moment betrat Tevin die Tür und sah unsere Schwester amüsiert an. „Na, naschst du wieder unsere Schokolade leer, du kleines Schokomonster?“
Cyntia gluckste, als er sie in seine Arme zog und an sich drückte.
„Sie hat nicht einmal Schuldgefühle.“, bemerkte ich.
„Hast du nicht?“, fragte er dann gespielt entsetzt an Cyntia.
„Sollte ich denn?“, fragte sie unschuldig zurück.
„Hm... gute Frage. Aber du musst aufpassen. Wenn du zu viel Schokolade isst, wirst du noch schwerer als du jetzt bist. So schwer, dass du bald nicht einmal gehen kannst.“
Sie riss die Augen auf und rannte dann aus der Küche. „Ich esse nie wieder Schokolade!“
Mom sah ihn tadelnd an, woraufhin er ihr nur mit einem Grinsen das neue Brot für Cyntia aus der Hand nahm und hinein biss.
„Danke Mamytė. Sieht sehr lecker aus.“ Dann küsste er sie liebevoll auf die Wange und setzte sich zu mir und Veit. „Auch mal beißen?“, fragte er dann an mich.
Ohne Worte beugte ich mich vor und biss großzügig ab, woraufhin er erneut amüsiert grinste. Veit dagegen küsste mir Schokolade vom Mundwinkel, woraufhin ich ihm einen Kuss auf den Mund drückte.
„Du schmeckst nach Schokolade.“, bemerkte er.
„Das wundert mich nicht.“, entgegnete ich, „Ich mag Schokolade.“
„Du bist fast ein genauso großes Schokoladenmonster wie Cyntia.“, warf Tevin ein.
Ich sah ihn unschuldig an. „Ich? Wie kommst du darauf?“
Sein Mundwinkel zuckte. „Ich erinnere mich an Bilder, in denen du mir als kleines Kind die Schokolade abgeluchst hast.“ Er hob amüsiert eine Braue. „Hinterher haben wir dich, vollgeschmiert mit Schokolade, in unserem Baumhaus gefunden. Und du hast geweint, weil du nicht mehr runter gekommen bist.“
Ich wurde tief rot und lachte leise. „Das waren Zeiten. Tevin musste mich drei Stunden lang trösten, bis ich mich beruhigt habe.“, erklärte ich Veit, „Dann ist er voran die Leiter hinab gestiegen, weil ich Angst hatte allein runter zu steigen.“
„Du bist also ein kleiner Angsthase, ja?“
Ich biss mir leicht auf die Unterlippe. „Ich habe sogar nachts Angst im Dunkeln. Seit Tevin nicht mehr bei mir schläft, schlafe ich deshalb nur noch mit Nicki in den Armen.“, gab ich leise zu.
„Wer ist Nicki?“, wunderte er sich überrascht.
„Nicki ist ein kleiner Plüschtiger, den Mom ihr geschenkt hat. Er hat bereits ihr als Kind gehört. Soweit ich weiß hatte sie ihn von Onkel Raphael. Oder Vivi?“
Ich nickte. „Ja. Er hat ihn ihr zum dritten Geburtstag geschenkt. Und ich habe ihn zum zweiten bekommen.“
„Wo war er eigentlich, wenn ich bei dir geschlafen habe?“, fragte Tevin neugierig.
Ich lächelte ihn geheimnisvoll an. „Immer ganz in meiner Nähe.“
Veit zog mich etwas enger an sich. „Du schläfst also mit einem Kuscheltier?“
„Mit einem Tiger.“, korrigierte ich, „Er hat schon ganz schlimme Narben.“
„Narben?“ Jetzt war er sichtlich verwirrt.
„Das erinnert mich daran, wie Drew damals Abby mitgebracht hat. Weißt du noch?“
Ich nickte lächelnd. „Ja. Er ist ganz wunderbar.“
„Wo ist jetzt der Zusammenhang?“, fragte Veit. Ja, er war definitiv verwirrt.
Ich begann zu erzählen.
Zehn Jahre zuvor
Ich weinte bereits, weil ich sah, dass ich lediglich nur noch Nickis Arm in der Hand hielt. Als Tevin mir nun auch noch mit einem entschuldigenden Blick des Rest meines allerliebsten Stofftigers reichte, weinte ich noch mehr. Der Bauch war aufgerissen und die Watte quoll nur so heraus.
Im nächsten Moment stürzte Tėtis bereits durch die Terrassentür und eilte zu uns.
„Was ist passiert?“, fragte er besorgt und blickte zwischen uns hin und her.
„Nicki!“, rief ich tief erschüttert, „Nicki ist verletzt! Ganz schwer verletzt! Und jetzt- jetzt-“ Ich konnte den Satz nicht vollenden und brach wieder in Tränen aus.
„Aber Vilija. Das kann doch wieder heil gemacht werden. Wir bringen es hinein zu Mamytė und sie flickt sie wieder zusammen.“
„Aber sie ist so schlimm verletzt, sie muss ins Krankenhaus!“
Tėtis zog mich sanft an sich, setzte mich auf sein Knie und streichelte mir liebevoll den Schopf. „Vilija, so schlimm ist es doch nicht. Ein Riss im Bauch...“
Ich hielt ihm den losen Arm hin. „Der Arm ist abgerissen.“
„Ähm... na, das ist doch nur eine ganz leichte Verletzung.“
„Ist es nicht!“
„Na gut, du hast Recht. Ohne das vierte Bein kann Nicki ja nicht mehr gehen.“, stimmte er schnell zu, „Aber für einen so großen und mutigen Tiger wie Nicki ist ein Krankenhaus ziemlich schlimm. Tiger haben Angst vor Krankenhäuser, Vilija.“
„Aber-aber... Was machen wir denn jetzt?“
„Wir rufen Dr Violeta.“
„Aber Mama kann so schlimme Verletzungen nicht heilen! Der Arm ist ab, Tėtis. Sowas kann nur ein richtig richtig guter Arzt!“
„Hmmm.... mal sehen.“ Er ahnte wahrscheinlich worauf ich hinaus wollte. „Wie es aussieht kennen wir nur einen Arzt, der so gut ist.“
Ich beruhigte mich ein wenig. „Kennen wir?“
„Ja. Andrew ist Chefarzt, erinnerst du dich?“
„Ist er denn gut genug?“
Er nickte. „Oh ja. Er hat schon ganz ganz schlimme Verletzungen geheilt.“
Schniefend sah ich auf Nicki herab, die schlapp in meinen Armen hing. „Rufen wir ihn an, Tėtis?“
„Natürlich rufen wir ihn an. Na komm, nimm Nicki und wir gehen rein. Dann sagen wir Mamytė Bescheid und sie ruft Dr Wyler an, okay?“
Ich nickte hektisch, weinte aber immer noch ein wenig. Dann drückte ich Nicki fest an meine Brust und ließ mich von Tėtis hinein tragen. Mamytė sah von meiner neuen kleinen Schwester auf und lächelte uns an. Dann verschwand es, als sie Nicki sah.
„Meine Güte.“, meinte sie leise, „Wie ist das denn passiert?“
Tevin, der uns schweigend gefolgt war, druckste ein wenig herum. „Ich hab mit Vilija gespielt... Und dann wollte ich ihr etwas mit Nicki zeigen und wir haben daran gezogen und... dann ist der Arm abgerissen und jetzt ist sie ganz schlimm verletzt.“
Wieder begann ich zu jammern und wurde von Tėtis enger an sich gedrückt.
„Liebling ruf doch bitte Andrew an.“
„Andrew?“, hakte sie überrascht nach.
Tėtis nickte. „Ja. Da muss ein richtig guter Arzt ran.“
Mamytė zog verwirrt die Brauen zusammen. Tėtis machte eine Bewegung und Mamytė lächelte schräg. Dann nickte sie, stand auf und legte meine neue kleine Schwester in ihr Bettchen, bevor sie in den Flur ging, um zu telefonieren.
„Okay, dann wollen wir schon mal alles für die OP vorbereiten, ja?“
„Und wie?“
„Na, ganz einfach.“ Er trug mich in die Küche und setzte mich auf einem Stuhl am Tisch ab. „Wir legen Nicki ganz vorsichtig hier auf den Tisch. Ganz vorsichtig, sonst hat die Schmerzen.“
So vorsichtig wie möglich stellte ich mich auf den Stuhl und legte Nicki in die Mitte des Tisches. Dann legte ich ihren Arm dazu. Kurz darauf kam Mamytė hinein.
„Da war eine Frau an seinem Handy, aber sie richtet es ihm aus, sobald er aus dem Bad ist.“, beruhigte sie mich, „Jetzt komm, wir warten besser im Wohnzimmer darauf, dass er ankommt.“
„Ich möchte bei Nicki bleiben.“, entgegnete ich, „Sonst bekommt sie noch Angst.“
„Okay.“, meinte Tėtis darauf, „Dann warten wir hier.“
Mit diesen Worten zog er den Stuhl neben mir zurück und setzte sich zu mir. Dann warteten wir, während ich mit trockenen Wangen auf Nicki sah und wartete. Irgendwann hörte ich einen Wagen vor dem Haus. Er hielt... dann Autotüren... Schritte... Und dann klingelte es. Ich sprang so schnell vom Stuhl auf, dass er umkippte und rannte zur Tür, die ich sofort aufriss.
„Wir müssen uns beeilen!“, rief ich aus und nahm Drew schon an die Hand, um ihn hinter mir her zu ziehen.
„Hey, nicht so schnell.“, meinte er amüsiert und zog mich auf die Arme.
„Aber Nicki-“
„Ich weiß. Ich muss mich doch vorher noch fertig machen.“, erklärte er mich einem Lächeln.
„Darf ich zugucken und ihre Pfote halten?“
„Pfote?“, kam es überrascht von einer Frau, die schräg hinter Drew stand.
Dieser zwinkerte ihr kurz zu und zog sie dann sanft an der Hand hinein. Dann kam Mamytė dazu und lächelte ihn herzlich an.
„Es freut mich, dass du kommen konntest.“
„Ja, mich auch. Obwohl es mich wundert, dass du darauf bestanden hast, dass ich das mache.“
Tėtis, der zu uns kam, deutete auf mich. „Die Süße wollte den besten Arzt und was Vilija sagt ist nun mal Gesetz. Vielleicht solltest du dich beeilen, sonst weint sie wieder.“
„Tevin kommt fast um vor Schuldgefühlen.“, bemerkte Mamytė.
Drew seufzte tief. „Okay, hab verstanden. Ein totaler Notfall, hm?“ Er sah warm auf mich herab und setzte mich dann ab. „Na gut, dann bring mich mal zu meinem Patienten.“
Sofort ergriff ich seine Hand und zog ihn hektisch hinter mir her. Er lachte leise, als ich ungeduldig an ihm zerrte.
„Na los! Es ist ganz dringend!“
„Ich bin doch schon da.“
In der Küche beugte er sich über den Tisch und sah sich Nicki an, während ich mich auf meinen Stuhl stellte, den Tėtis wieder hingestellt hatte, und ihn neugierig beobachtete.
„Wird sie wieder gesund?“, fragte ich traurig.
„Das sieht ziemlich schlimm aus.“, antwortete er, „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber sie wird bestimmt durchkommen.“
„Ist es so schlimm?“
„Naja, sie hat einen Arm verloren.“, gab er zu bedenken, „Ein Wunder, dass sie nicht verblutet ist.“
Ich schlug die Hand vor den Mund.
„Aber das schaffen wir schon.“
„Darf ich zugucken?“
„Aber natürlich! Komm, wir machen uns dafür fertig. Du gehst dir die Hände waschen und ich spreche kurz mit deiner Mutter.“
Hektisch nickend sprang ich vom Stuhl und eilte ins Badezimmer wo ich mich auf meinen Hocker stellte und mir die Hände wusch. Einige Minuten später eilte ich wieder in die Küche, wo Andrew mit einem Korb und seiner Arzttasche stand, die er immer dabei hatte, wenn ich krank war.
„Na, dann komm hier rauf.“ Er hob mich wieder auf den Stuhl. „Als Erstes ziehst du dir Handschuhe an. Ich hab sogar welche in deiner Größe.“ Er zog die besagten Handschuhe aus seiner Tasche und hielt mir ein Paar hin. „Und dann musst du dir noch den Mundschutz um machen.“ Das machte er ebenfalls. „Ich zeig dir wie.“ Er nahm sich ebenfalls ein Paar Handschuhe. „Also... beginnen wir mit den Vorkehrungen. Handschuhe?“ Er zog sich seine Handschuhe an und kontrollierte, ob ich auch meine richtig anzog.
„Check!“, rief ich aus.
„Mundschutz?“ Er machte sich den Mundschutz um.
Ich tat es ihm gleich. „Check!“
„Gut... und jetzt werden die Hände desinfiziert.“ Er sprühte sich etwas auf die Hände und verteilte es sorgfältig. Dann sprühte er auch etwas auf meine Hände. Eifrig verteilt ich die Flüssigkeit. Es roch nach Arztklinik.
„Check!“, rief ich erneut aus.
„Gut. Dann sehen wir uns dann genauer an. Abgetrenner Arm. Lange Schnittwunde von der rechten Schulter bis zum Bauch. Hmmm.... Das muss mich sehr vielen Stichen genäht werden.“
Ich schluckte. „Ist das schlimm?“
„Aber nein. Nicki ist ja sehr sehr mutig.“ Er zog Nadel und Faden aus den Korb und fädelte den Faden ein. „Dann fangen wir mal an.“
Ich wagte es nicht den Blick abzuwenden, als er die Nadel zum Bauch führte. Dann hielt er inne und sah zu mir auf.
„Du solltest wirklich ihre Pfote halten, damit sie keine Angst bekommt.“
Schnell griff ich nach ihrer linken Pfote und sah dann zu wie er begann zu nähen.
„Sie hat Schmerzen!“, rief ich aus, „Sie schreit ganz laut.“
„Hm... dagegen müssen wir etwas machen.“ Er überlegte einen Moment. Dann holte er eine Sprühflasche aus seiner Tasche und ging zum Waschbecken. Einen Moment hörte ich das Wasser laufen, kann kam er wieder zu mir. „Das hier ist ein Schmerzmittel.“, erklärte er mir.
„Aber du hast doch Wasser da rein gemacht.“
An seinem Augenwinkel bildeten sich Lachfältchen. Er lächelte mich an. „Ich hab da ein Pulver rein gemacht, bevor ich das Wasser eingefüllt habe. Damit habe ich das Schmerzmittel gemacht.“
„Oh! Ja, das wird helfen.“
Er sprühte es auf die Risse und auf die Schulter. Dann sah er auf die Uhr. „Es dauert einen Moment, bis es wirkt.“
Ich wartete ungeduldig und wenig später begann er wieder zu nähen. Ganz vorsichtig. Ich verfolgte jeden einzelnen Stich mit großen Augen. Eine halbe Stunde später war sie wieder ganz.
„Operation erfolgreich beendet. Jetzt wollen wir ihr noch ein Verbrand drum machen.“
Er holte ein weißes Verband heraus und begann Nicki darin einzuwickeln, bis von der Naht nichts mehr zu sehen war. Dann reichte er sie mir.
„Hier, Vilija. Jetzt ist sie wieder heil. Und übermorgen darfst du das Verband ab machen.“
Mit einem strahlendem Lächeln eilte ich ins Wohnzimmer, wo die anderen warteten und sich unterhielten.
„Sieh mal, Tėtis!“, rief ich aus und hielt Nicki hoch, „Er hat Nicki wieder gesund gemacht!“
Lächelnd fing er mich auf, als ich zu ihm eilte, und hob mich aus seinen Schoß. „Na, das sieht doch fantastisch aus. Was hast du denn da an?“
„Andrew hat mir die Handschuhe und den Mundschutz gegeben, weil ich bei der OP zugeguckt habe. Und ich hab Nickis Pfote gehalten. Am Anfang hatte sie ganz ganz schlimme Schmerzen, aber dann hat Andrew die Wunde mit einem Schmerzmittel besprüht und dann hatte sie keine Schmerzen mehr.“
„Weißt du denn wofür die Handschuhe und der Mundschutz sind?“
Ich nickte hektisch. „Ja, das hat Drew mir damals gesagt, als er mein Bein genäht hat! Er sagt, das muss man tragen, damit diese böser kleinen Dinger, die äh... die Bakterien nicht in die Wunde kommen. Denn wenn das passiert, dann kann es sich ganz ganz schlimm entzünden.“
„Sehr gut. Hast du dich auch brav bei deinem Onkel bedankt?“
Natürlich bezeichneten alle Andrew als meinen Onkel. Mit Nicki auf dem Arm sprang ich von Tėtis Schoß und eilte um den Tisch herum zu Andrew, der sich neben die Frau gesetzt hatte. Als ich vor ihm stand und die Arme ausstreckte, hob er mich auf seinen Schoß.
„Na, was gibts, meine Kleine?“, wollte er wissen.
„Ich möchte mich dafür bedanken, dass du Nicki geheilt hat.“
„So?“
Ich nickte hektisch. „Ja! Nur noch ein bisschen später und ich wette, sie hätte es nicht überstanden!“
Er lächelte mich breit an. Dann tippte er sich an die Wange. Ich nahm den Mundschutz ab und drückte ihm einen nassen Kuss auf die Wange. Dann küsste er mich auf die Stirn und stellte mich wieder auf den Boden, damit ich zu Tėtis eilen konnte, der mich sogleich wieder auf seinen Schoß nahm.
„Check!“
Andrew begann zu lachen. Mamytė und Tėtis sahen mich verwirrt an. Dann begann Tėtis zu lächeln und küsste mich auf die Wange.
Heute
„Danach hat Tevin sich noch bei mir entschuldigt und mich gefragt, ob wir vielleicht mit den Bauklötzen spielen wollen. Also bin ich mit ihm spielen gegangen.“
Veit lächelte und lachte leise. „Du warst ja wirklich ein richtig süßes, kleines Ding.“
Nun wurde ich wieder rot. „Das sagen alle.“
Tevin sah kurz zur Uhr. „Wollen wir dann jetzt los? Cyntia ist sicher fertig mit ihren Aufgaben.“
Mit einem Nicken stand ich auf. „Ich hole sie.“
Mit diesen Worten ließ ich die beiden allein in der Küche zurück und ging ins Wohnzimmer, wo Cyntia vor dem Fernseher saß und eine Zeichentrickserie sah.
„Na du.“, begrüßte ich sie und setzte mich neben sie.
„Psst.“, entgegnete sie, „Winnie Po jagt gerade einen Verbrecher!“
Ich lächelte schräg und beugte mich ein wenig zu ihr herüber. „Wollen wir auf den Spielplatz gehen?“, fragte ich sie leise, „Mit Tevin und Veit?“
„Ich möchte noch zu ende gucken.“
„Das kannst du auch. Gehen wir danach?“
Sie nickte hektisch, ließ den Blick jedoch nicht vom Fernseher. Zehn Minuten später war die Serie vorbei und ich schaltete den Fernseher aus.
„Los, zieh dir die Schuhe. Und nimm deine Regenjacke mit, falls es anfängt zu regnen. Das haben die gestern in der Wettervorhersage erwähnt.“
Mit einem Nicken eilte sie hinaus, woraufhin ich zurück in die Küche ging. Die beiden Jungs saßen schweigend da und starrten sich einfach nur an. Als ich mich räusperte, sahen beide zu mir herüber.
„Cyntia macht sich jetzt fertig.“
„Gut.“, entgegnete Tevin und stand auf. „Nehmen wir die Förmchen mit? Und Eimer und Schaufel?“
„Klar. Den Ball können wir diesmal ja hier lassen.“
Mit einem Nicken wand sich Tevin an die kleine Abstellkammer und suchte die Sachen heraus.
„Geht ihr mit Cyntia auf den Spielplatz?“, wollte Tėtis auf Litauisch wissen, als er die Treppe hinunter kam.
„Taip.“, antwortete ich, „Wir nehmen auch Jacken und einen Regenschirm mit.“
Er nickte zustimmend. „Sie haben vor einem kleinen Unwetter gewarnt. Aber im Moment ist der Himmel noch klar.“
„Sobald ich auch nur einen Tropfen sehe, machen wir uns auf den Weg nach hause. Versprochen.“
Er lächelte mich warm an und küsste mich auf die Stirn. „Bleibt auch nicht zu lange weg. Morgen macht Cyntias Klasse einen Ausflug und sie wollen früh losfahren. Sie kommt erst morgen Abend wieder und sie wollen so viel Zeit nutzen, wie sie kriegen können.“
„In Ordnung. Wir sind dann gegen sieben wieder da. Dann hat sie noch Zeit zu Essen, bevor sie ins Bett geht.“
Im nächsten Moment kam Cyntia bereits hinunter und ließ sich von Tėtis auffangen.
„Backst du mir einen Sandkuchen?“, fragte er sie lächelnd.
„Ganz ganz viele!“, antwortete sie begeistert, „Und Muffins!“
„Und Kekse?“
„Auf jeden Fall ganz viele Kekse! Mit Schokostückchen!“
Er lachte leise. „Vielleicht ist Tevin ja so lieb und kauft dir welche.“
Mit herzzerreißendem Welpenblick sah sie zu Tevin.
„Oh nein. Der Welpenblick.“, jammerte dieser.
Sie zog zusätzlich einen Schmollmund.
„Nicht der Schmollmund!“, rief er aus, „Bitte, ich kann nicht widerstehen.
„Tevin?“, hob sie mit weinerlicher Stimme an.
Dieser ließ die Schultern hängen. „Na gut. Eine Packung Kekse mit Schokoladenstücke.“
„Zwei!“
„Eine.“
„Zwei!“
Er wollte gerade etwas erwidern, als sie wieder ihren Blick aufsetzte. Stattdessen atmete er tief aus. „Na gut. Zwei Packungen.“
„Yayy!“
Tėtis lachte herzhaft und stellte sie auf dem Boden ab. „Sei brav und hör auf deine Geschwister.“, ermahnte er sie dann noch.
„Mach ich.“
Tevin, Veit und ich hatten uns in der Zwischenzeit fertig gemacht und wanden uns nun zum Gehen, wobei ich Cyntia an die Hand nahm.
„Okay, wir gehen dann.“, meinte ich an Tėtis.
„Bis später. Viel Spaß euch vier.“
„Bis später.“, entgegnete Tevin.
Veit, der kein Wort verstanden hatte, schwieg einfach und begleitete uns hinaus. Dann machten wir uns auf den Weg zum Spielplatz.
Eine Stunde später beeilten wir uns bereits wieder damit nach hause zu kommen. Ein Platzregen hatte uns überrascht, weshalb wir nass bis auf die Knochen waren, als wir unser Haus erreichten. Schnell eilten wir rein und schlossen die Tür hinter uns.
„Puh, ist das kalt.“, meinte Tevin und schüttelte sich das Haar aus.
Vilija und ich waren nicht ganz so klatsch nass wie Tevin und Veit, da wir uns den Regenschirm geteilt hatten.
„Komm, ab ins Badezimmer.“, meinte ich an Vilija, „Wir duschen uns ab.“ Dann sah ich zu Tevin. „Kannst du Veit vielleicht was leihen?“
Er hielt inne, sah Veit einen Augenblick ausdruckslos an und zuckte dann mit den Schultern. „Wenn es ihm passt. Komm mit.“, meinte er dann an Veit.
So gingen wir gemeinsam hinauf, wobei ich mit Cyntia ins Bad ging, während Tevin Veit mit in sein Zimmer nahm. Im Bad half ich Cyntia aus ihrer Kleidung, holte schnell neue Kleidung und ging mit ihr kurz unter die Dusche, bevor ich mich abtrocknete, ihr dabei half und mich dann mit ihr anzog. Dann kämmte ich ihr und mir noch die Haare, föhnte sie und flocht ihr einen Zopf, der ihr über die Schulter nach vorn fiel. Den mochte sie so gern.
„So?“, fragte ich sie und sah mit ihr in den Spiegel.
„Dankeschön.“, antwortete sie lächelnd und verließ dann mit mir das Bad.
Da Tevins Zimmertür offen war, ging ich davon aus, dass die beiden dort waren. Cyntia machte sich selbstständig und ging in ihr Zimmer, woraufhin ich zu Tevin und Veit ging, die tatsächlich in Tevins Zimmer waren. Nahe seiner Tür blieb ich jedoch stehen.
„Ich möchte nur nicht, dass du ihr weh tust.“, erklärte Tevin gerade, „Das hat sie nicht verdient.“
„Ich habe nicht vor ihr weh zu tun. So wie du es tust.“, entgegnete Veit trocken.
„Wenn ich könnte, würde ich ihr die Welt zu Füßen legen. Wenn ich könnte, würde ich sie so sehr lieben, wie sie es braucht. Aber ich... habe einfach keine Gefühle dieser Art. Zumindest nicht in der Intensität. Sicher, ich liebe sie.“
Mein Herz machte einen Hüpfer, doch ich rief mich sofort zur Vernunft.
„Ich liebe sie als meine Schwester.“, fügte Tevin hinzu, „Aber genau das ist ja leider das Problem.“
„Du solltest aufhören sie für dich allein zu beanspruchen.“, meinte Veit.
„Das tue ich nicht.“
„Natürlich tust du das. Erst heute hast du versucht mich von ihr zu trennen.“
„Sie kennt dich noch nicht sehr lange.“
„Letztens hast du es auch versucht.“
„Wie gesagt, sie kennt dich noch nicht sehr lange. Und ich vertraue dir nicht.“
„Aber sie vertraut mir.“
„Sie mag dich, das ist ein Unterschied.“
„Sie vertraut mir auch, das weiß ich.“
„In gewisser Maßen, bestimmt.“, entgegnete Tevin trocken.
„Du tust es schon wieder.“, bemerkte Veit gereizt, „Sie ist deine Schwester, nicht deine Frau. Lass sie mir vertrauen, lass sie glücklich sein. Gib ihr den Raum, den sie braucht und versuch nicht sie an dich zu ketten, wie einen Hund.“
Ich hielt den Atem an. Nie hatte ich das Gefühl von Tevin wie ein Hund behandelt zu werden. Er war immer sehr fürsorglich und brauchte einfach meine Nähe.
„Ich würde mir mein verfluchtes Herz raus reißen, wenn es sie glücklich machen würde!“, rief Tevin aus, „Ich lass sie jedem vertrauen, der es würdig ist ihr Vertrauen zu bekommen. Und behaupte nicht noch einmal, wie würde sie wie ein Hund an mich ketten. Was zwischen mir und Vilija ist, geht dich gar nichts an und selbst wenn es dich etwas anginge, würdest du es selbst in fünfzig Jahren nicht verstehen. Du kennst sie nicht so, wie sie wirklich ist. Das einzige, was ich verhindern möchte ist, dass sie mich vollends ignoriert. Und wenn ich dafür vor ihrer Zimmertür schlafen muss, ich lass es nicht zu, dass sie unsere Verbindung einfach zerreißt.“
Sprachlos lehnte ich mich neben der Tür an die Wand. Hatte er das gerade wirklich gesagt?
„Wer sagt denn, dass sie die Verbindung zerreißen möchte? Sie möchte nur ein wenig Distanz, um ihre Gefühle vergessen zu können und glücklich zu werden. Aber du ziehst sie immer wieder an dich heran, gräbst alles aus, was sie versucht sorgfältig zu vergraben. Du willst doch selbst, dass sie glücklich ist. Gib ihr einfach die Zeit, die sie braucht, um ihre Gefühle für dich zu vergessen. Ist ja nicht so, als würde sie dich aus ihrem Leben streichen. Du bist ihr Bruder. Sie weiß, dass du immer bei ihr sein wirst und auch immer wieder mal ihre Nähe brauchst.“
„Du verstehst gar nichts. Sicher, ich werde immer ihr Bruder bleiben, aber ich glaube nicht, dass sie glücklich wird, wenn sie ihre Gefühle einfach vergräbt. Deshalb grabe ich sie wieder aus. Sicher, ich kann ihr nicht geben, was sie braucht. Aber ich versuche ihr alles zu geben, was ich ihr geben kann.“
„Du hast gerade zugegeben, dass du nicht willst, dass sie aufhört dich zu lieben.“
Ich hielt den Atem an, in Tevins Zimmer wurde es still. Es war ziemlich still. Das einzige was ich hörte, waren die leisen regelmäßigen Atemzüge.
„Ist es das, was du hören willst?“, fragte Tevin plötzlich, „Willst du, dass ich zugebe, dass ich es nicht will? Ja, ich gebe es zu. Ich möchte nicht, dass sie aufhört. Im Grunde ist es das einzige, was mich davor bewahrt sie irgendwann zu verlieren. Wenn sie mich liebt, braucht sie mich. Ich brauche sie auch, genauso sehr, wie sie mich, jedoch auf eine andere Art. Sollte sie aufhören mich zu lieben... Nun... dann wäre ich ihr wahrscheinlich lästig. Dann hätte ich bei ihr nicht mehr viel zu suchen.“
Wieder wurde es eine Zeit lang still. Ich konnte es beinahe vor mir sehen, wie sie sich gegenüber saßen. Tevin auf seinem Drehstuhl vor dem Schreibtisch, Veit auf der Couch, beide einander mit finsteren Mienen zugewandt.
„Du bist ziemlich egoistisch.“, bemerkte Veit irgendwann.
Tevin schnaubte. „Ich sag doch, du verstehst gar nichts.“
„Du musst ihr ihren Raum lassen. So kann sie nicht glücklich werden.“
„Sag du mir nicht, was ich meiner Schwester geben muss und was nicht.“ Ein Geräusch ertönte. Tevin war vom Drehstuhl aufgestanden. Wahrscheinlich stellte er sich ans Fenster, wie er es manchmal tat, wenn er unruhig war.
„Was empfindest du wirklich für Vilija?“
Verwirrt zog ich die Brauen zusammen. Was Tevin wirklich für mich empfindet?
„Sie ist meine Schwester.“, entgegnete Tevin, „Ich liebe sie auf meine Art. Wie ich sie als Bruder lieben kann.“
„Du bist aber nicht ihr richtiger Bruder.“
Das war ein Schlag unter die Gürtellinie, der sogar mich zum Zusammenzucken brachte.
„Ich bin als ihr Bruder aufgewachsen.“, korrigierte Tevin gereizt, „Wir sind vielleicht nichts blutsverwandt, aber ich bin ihr Bruder. Gott, ich wünschte sie hätte sich Theodore ausgesucht, nicht dich. Ihn kennt sie wenigstens.“
„Dir passt es nur nicht, dass sie mich dir vorzieht.“
Unsicher knabberte ich an meiner Unterlippe. Konnte es sein, dass sie begannen sich um mich zu streiten? Hoffentlich nicht. Tevin war mein Bruder und hatte mir klar zu verstehen gegeben, dass er es auch so belassen wollte. Und Veit provozierte ihn. Aber was wollte er damit erreichen?
„Sicher passt es mir nicht. Sie kennt dich so gut wie gar nicht. Wärst du Theodore, käme ich deutlich besser damit zurecht.“
„Sag doch direkt, dass du mich nicht leiden kannst.“
„Ich kann dich nicht ausstehen.“
„Nicht ganz das, was ich erwartet hätte.“
Tevin schnaubte erneut. „Sondern? Dass ich dich mit offenen Armen empfange und dich mit meiner Schwester alles machen lasse, was du willst? Vergiss es.“
„Wenn sie bei mir übernachtet, hast du da ja nicht mehr viel mitzureden.“
„Ich lass es erst gar nicht so weit kommen.“
Warum benahmen sie sich wie Neandertaler?
„Du empfindest also doch mehr für sie, als du dir selbst zugestehst.“
„Noch ein Grund, weshalb ich Theodore mehr mag. Er redet nicht so einen Schwachsinn.“
„Du bist nicht ihr richtiger Bruder, also kannst du nicht die entsprechenden Beschützerinstinkte haben. Also muss dich ja etwas anderes dazu bringen so zu reagieren.“
„Wenn du nicht aufhörst so einen Mist zu erzählen, macht meine Faust Bekanntschaft mit deinem Gesicht.“
„Ich glaube kaum, dass du das tun wirst. Vilija wird sich ja dann um mich kümmern.“
„Und? Wenn sie erfährt was du gesagt hast, dann würde sie dich wahrscheinlich selbst schlagen.“
Wie Recht er hat. Tevin ist mein Bruder und es würde auch so bleiben. Ich seufzte leise und wand mich ein wenig ab. Vielleicht sollte ich besser runter gehen und dort warten. Das wäre wahrscheinlich besser. Ich habe schon lange genug gelauscht.
Tevin
„Wie wäre es, wenn du sie küsst?“, schlug Veit plötzlich vor.
„Du spinnst doch.“, entgegnete ich und drehte mich zu ihm um, wobei ich mich an das Fenster hinter mir lehnte. Er saß auf der Couch und sah mich ebenso finster an, wie ich ihn.
„Nein, ich meins ernst. Du sagst, du empfindest nicht dasselbe. Dann wirst du sie ja ohne Probleme küssen können.“
Mein Mundwinkel zuckte. „Ich habe sie schon geküsst.“ Es war, verflucht nochmal, das schönste Gefühl, das ich je erlebt habe. So schön, wie neben ihr zu liegen und sie in den Armen zu halten, neben ihr aufzuwachen und von ihr so lange geärgert zu werden, bis man sich vom Bett losreißt.
„Wie war es?“
„Wie soll es schon gewesen sein?“, entgegnete ich, „Es war ein Kuss. Die Berührung zweier Münder. Ihr hat es ziemlich gut gefallen.“
„Du hast doch sicher nichts dagegen, sie nochmal zu küssen.“
Was hast du vor? „Sie würde sich Hoffnung machen. Das möchte ich nicht. Außerdem habe ich Diana versprochen, dass zwischen mir und Vilija nichts laufen wird.“
„Und du suchst nur eine Ausrede, um es nicht tun zu müssen.“
Ich hob skeptisch eine Braue. „Tue ich das? Wenn du also der Meinung bist, erklärst du Diana, warum ich Vilija geküsst habe.“
„Einverstanden.“
Einen Moment sah ich ihn noch finster an. Dann wand ich den Blick ab und sah wieder aus dem Fenster. „Ein einziger Kuss.“, stimmte ich dann schließlich zu, „Ich weiß nicht, was du damit erreichen möchtest. Aber wenn ich Vilija wegen dir weh tue, dann schlage ich dich dafür.“
„Abgemacht. Ich möchte selbst nicht, dass Vilija verletzt wird.“
Was hast du vor Veit?
Vilija
Ich stand am Herd und rührte Milch im Topf um. Ich hatte tierisch Lust auf eine heiße Schokolade. Und da Tevin ihn ebenfalls gern mochte, hatte ich vor ihm auch einen zu machen. Als ich Schokolade im Schrank heraus suchte, hörte ich Schritte auf der Treppe. Wieder vor dem Herd begann ich die Schokolade in kleine Stücke zu brechen und hinein zu geben, bevor ich erneut umrührte. Gerade, als ich wieder nach der Schokolade griff, legten sich zwei Arme um mich.
„Na, Lust auf heiße Schokolade bekommen?“, fragte Tevin amüsiert an meinem Ohr.
„Ja.“, antwortete ich, „Ich dachte, du möchtest auch welche.“
„Gerne.“ Er schlang die Arme ein wenig enger um mich und vergrub sein Gesicht an meinem Hals. „Mir fällt da gerade etwas ein.“
„Was denn?“
„Erinnerst du dich an dem Tag, an dem wir ausgemacht haben, dass ein Kuss ab und zu in Ordnung ist?“
Ich rührte ein wenig langsamer. „Ja.“, antwortete ich zaghaft.
„Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich dir für den Abend ein Kuss versprochen. Aber du hast ihn nie bekommen.“
„Ja, ich erinnere mich.“
„Bestehst du darauf ihn nachzuholen?“
Ich hielt abrupt inne und sah überrascht zu ihm auf. „Ihn nachholen?“, hakte ich nach.
„Ja. Ich meine... du hast ihn ja quasi noch gut. Eine Art Bonus, sozusagen.“
Mein Herzschlag beschleunigte sich. „Ich... also... ich...“ Unsicher strich ich mir eine Strähne hinters Ohr. „Mir hat der Kuss damals sehr gefallen.“, meinte ich dann etwas leiser.
„Also hättest du ihn schon gerne?“
„Also... generell... ja. Aber... ich bin mir nicht sicher. Diana-“
„Sie erfährt davon nichts. Es ist ja nur ein einziger Kuss.“
Ich schluckte und rührte unsicher die heiße Schokolade um, bevor ich mich von Tevin löste und zwei Tassen heraus holte. „Könn... Können wir... Ich meine... die Schokolade...“
Wortlos nahm er den Topf und goss vorsichtig die heiße Schokolade in die Tassen, bevor er sich eine davon nahm.
„Wo... wo ist Veit?“
„Er ist eben ins Bad gegangen um sich umzuziehen. Wir wussten nicht, wann du und Cyntia fertig seid.“
„Oh.“
Einen Moment standen wir schweigend da. Dann nahm Tevin mir die Tasse aus der Hand, stellte sie mit seiner auf die Küchenzeile und legte wieder die Arme um mich.
„Ein einziger Kuss.“, meinte er, „Den hast du dir ja auch verdient.“
Röte schlich sich in mein Gesicht. Dann nickte ich zaghaft, woraufhin er sich vorsichtig zu mir herab beugte und sanft seine Lippen auf meine legte. Ich hielt den Atem an, lehnte mich automatisch an ihn und erwiderte den Kuss instinktiv, wobei ich meine Hände auf seine Schultern legte und mich an ihm festhielt. Nur wenige Augenblicke später schlang er die Arme ein wenig fester um mich, küsste mich etwas intensiver und legte mir eine Hand in den Nacken, um mich sanft an sich zu ziehen. Seit dem letzten Kuss hatte er ganz offensichtlich geübt. Doch das schien nicht alles zu sein. Gerade als ich dachte, ich hätte mich an die Intensität gewöhnt, berührte seine Zunge meine Unterlippe. Eine meiner Hände glitt in seinen Nacken, als ich ihn einließ und den Kuss erwiderte, woraufhin er mich noch ein Stück fester an sich drückte und mich einen Schritt zurück schob, um mich an die Küchenzeile zu drücken. Kurz darauf löste er sich jedoch langsam von mir, da wir Schritte im oberen Geschoss hörten.
Etwas benommen sah ich zu ihm auf, krallte die Finger in sein Oberteil, damit ich den Halt nicht verlor und versuchte meinen Atem wieder unter Kontrolle zu kriegen. Unterdessen kamen die Schritte die Treppe hinunter. Immer noch atemlos lehnte ich meine Stirn an Tevins Brust, ließ die Hand von seinem Nacken auf seine Brust gleiten und lehnte mich einfach nur an ihn. Als die Schritte dann in die Küche kamen, löste Tevin sich endgültig von mir, küsste mich noch sanft auf die Stirn und nahm sich dann die Schokolade, wobei er mir meine Tasse in die Hand drückte.
„Danke.“, bedankte ich mich mit etwas rauer Stimme, woraufhin ich mich kurz räusperte und dann zu Veit sah, der sich mit einem Lächeln zu mir gesellte. „Bist du wieder trocken?“, neckte ich ihn und ließ mir einen kurzen Kuss auf den Mund geben.
„Glücklicherweise schon. Nur die Haare sind noch etwas feucht. Hey, ist das heiße Schokolade?“ Fragend sah er in die Tasse.
„Ja. Hätte ich gewusst, dass du sie auch magst, hätte ich dir auch welche gemacht.“
„Ist schon in Ordnung. Wenn du welche trinkst, schmeckst du ja danach. Dann hab ich auch was davon.“
Mein Mundwinkel zuckte amüsiert. „Und? Hast du dich nett mit Tevin unterhalten, als ich mit Cyntia im Bad war?“ Keiner von beiden würde mir je sagen, worüber sie gesprochen haben.
„Wir haben uns über dies und das unterhalten.“, antwortete Veit und legte die Arme um mich. „Wo sind eigentlich deine Eltern?“
„Wenn ich mit Tevin und Cyntia auf den Spielplatz gehe, fährt Tėtis immer mit Mamytė an den Strand.“
„Ist dafür aber ziemlich dunkel draußen.“
„Ich denke, dass am Strand die Sonne scheint.“, bemerkte Tevin, „Sonst wären sie schon wieder hier.“
Als es plötzlich donnerte, hörten wir Cyntia in ihrem Zimmer schreien. Ohne ein weiteres Wort drückte ich Veit meine Tasse in die Hand, während Tevin seine auf den Tisch stellte, und eilte eilig mit ihm hinauf. Als wir ihr Zimmer erreichten, saß sie zusammen gekauert in der Ecke und weinte. Im nächsten Moment hockten wir bei ihr. Ich zog sie auf meinen Schoß und Tevin begann beruhigend auf sie einzureden, während sie sich ängstlich an mich drückte.
„Ist schon gut. Hier passiert dir nichts.“, sprach Tevin mit ruhiger, sanfter Stimme. „Wir sind hier. Komm, wir gehen runter ins Wohnzimmer. Dann macht Vilija dir eine heiße Schokolade und wir wickeln uns alle in Decken ein, okay?“
Immer noch vor Angst weinend zog Cyntia die Nase hoch und nickte weinerlich. Dann streckte sie die Arme nach ihm aus, wurde von ihm hochgehoben und klammerte sich fest an ihn. Ich ließ mir von Tevin auf die Beine helfen und folgte ihm dann hinunter ins Wohnzimmer, wo ich kurz Decken heraus suchte und Tevin dann eine reichte, woraufhin er Cyntia in einer der Decken einwickelte und ich wieder in die Küche ging.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte Veit besorgt.
„Ja. Cyntia hat Angst bei Gewitter, aber wir haben da ein kleines Gegenmittel. Geh doch schon mal ins Wohnzimmer. Ich mach noch ein wenig heiße Schokolade.“
„Okay.“ Er drückte mir noch einen innigen Kuss auf den Mund, bevor er die Küche verließ.
Zehn Minuten später kam ich mit den Tassen ins Wohnzimmer, wo Tevin, Veit und Cyntia in Decken eingemurmelt auf dem Boden saßen. Da von Cyntia nur noch das Gesicht zu sehen war, half Tevin ihr, ihre Arme zu befreien, damit ich ihr ihre Schokolade geben konnte. Dann reichte ich Veit noch eine Tasse und bat Tevin meine zu halten, als ich ihm meine gab. Dann wickelte ich mich ebenfalls warm in eine Decke ein und setzte mich zu den drei, bevor ich meine Tasse wieder entgegen nahm.
„Vilija, erzählst du eine Geschichte?“, bat Cyntia, nachdem ich einen Schluck getrunken hatte.
„Natürlich. Welche möchtest du hören?“
„Die von dem Hasen, der Angst im Dunkeln hat und dem Fuchs, der versucht ihn zu fressen!“
„Okay. Gut zuhören. Also...
Es war einmal an einem eisig kalten Wintertag, ein kleines Häschen in seinem Bau. Seine Eltern mussten fort um Essen zu besorgen, also sprach der Vater zu seinem Kind: ''Bleib brav im Bau, hier passiert dir nichts. Wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit noch nicht zurück sind, dann mach die Lichter aus, sonst findet dich der Jäger.''. Das Häschen rief: ''So dumm bin ich doch nicht. Ich lass doch nicht das Licht an, wenn es draußen stockduster ist! Und den Bau verlassen, so etwas tue ich doch nicht.''. ''Und wenn du am Eingang stehst und der Fuchs dich ruft, so geh schnell wieder hinein. Sonst frisst er dich.'', ermahnte der Vater ihn. ''Ach der dumme Fuchs. Der wird mich schon nicht zu fassen bekommen, so schnell bin ich wieder im Bau.'' So gingen die Eltern eilig fort, um möglichst bald wieder zurück zu sein. So verging Stunde um Stunde, in der das Häschen allein im Bau verbrachte. Und die Sonne sank immer tiefer und tiefer dem Horizont entgegen. Als der Himmel langsam dunkel wurde, ging das Häschen zum Eingang des Baus, um nachzusehen, ob denn seine Eltern noch nicht zu sehen waren. Es hoffte, sie irgendwo zu sehen, im hohen Gras, doch... da war niemand. Doch dann... da... was war das? Jemand rief nach ihm. ''Häschen, oh Häschen. Hilf mir! Komm und hilf mir, sonst sterbe ich.''. Das Häschen, neugierig wie es war, hoppelte ein wenig in die Richtung, aus der die Stimme kam. ''Wer spricht denn da zu so später Stund'?'', fragte es. „Häschen oh Häschen. Ich bin es doch, der Fuchs! Hilf mir, Häschen, sonst sterbe ich!'', antwortete die Stimme sogleich. ''Aber was hast du denn Fuchs?'', fragte das Häschen und hoppelte noch ein wenig weiter von dem Bau weg. ''Häschen!'', rief er laut, ''Häschen, oh Häschen. Ich bin am verhungern. Bitte, komm und hilf mir doch, sonst sterbe ich.''. Das Häschen hoppelte noch ein kleines Stück weiter, doch ehe er den Bau aus den Augen verlor, fiel ihm ein, was sein Vater ihm gesagt hatte. So hoppelte es ein wenig zurück, wollte den Fuchs jedoch nicht allein lassen. ''Häschen oh Häschen!'', rief der Fuchs wehleidig, ''So hilf mir doch Häschen. Mein Magen grummelt und ich bin schon ganz schwach.''. ''Aber ich darf den Bau nicht verlassen.'', antwortete das Häschen, ''Jemand muss doch das Licht löschen.''. ''Sind deine Eltern denn nicht daheim?'', fragte der Fuchs. ''Aber nein! Sie sind losgegangen um Essen zu holen.'', antwortete das Häschen. Nun kam der Fuchs langsam aus seinem Versteck. ''Du bist also ganz allein heute Nacht? Hast du da denn keine Angst?'', wollte der Fuchs wissen. ''Aber nein!'', rief das Häschen, ''Wenn ich das Licht lösche, dann findet uns der Jäger nicht. Und wenn ich im Bau bleibe, dann kannst du mich auch nicht fressen.''. ''Ach Häschen. Du bist doch aber nicht in deinem Bau. Heißt das... ich darf dich fressen?'' Oh weh! Dachte sich das Häschen. Ich muss schnell wieder in den Bau, sonst frisst der Fuchs mich noch. ''Aber nein!'', rief das Häschen, ''Ich habe nur frische Luft geschnappt. Und jetzt muss ich wieder rein. Ich muss das Licht löschen.''. ''Ach, bleib doch noch bei mir.'', bat der Fuchs listig, ''Ich habe doch solche Angst im Dunkeln.'' Das Häschen aber schüttelte den kleinen Kopf. ''Ich kann nicht. Ich muss das Licht löschen. Sonst findet uns der Jäger.'' Plötzlich machte der Fuchs einen Satz, um das Häschen zu fangen. Das Häschen jedoch wusste, dass der Fuchs das tun würde und hoppelte ganz schnell davon in den Bau. Es ging in jeden Raum und löschte jedes Licht. Doch plötzlich war es so dunkel, dass es seine Pfote vor Augen nicht mehr sah. Schnell machte es eines der Lichter wieder an, doch dann fiel ihm ein, was sein Vater ihm gesagt hat. Es war schon so dunkel draußen, dass der Jäger das Licht ganz bestimmt sehen würde. Also löschte das Häschen es schnell und hoppelte in sein Bett. Es zog sich die Decke über den Kopf und begann vor Angst zu zittern, dass ihm die Knie schlotterten. Da! Da war etwas! Ein Geräusch im Gang! Doch das Häschen hatte zu viel Angst um nachzusehen. Dann wieder! Ein Geräusch in der Küche! Vor Angst mit den Zähnen klappernd zog das Häschen sich die Decke ganz fest um den kleinen Körper. Und dann wieder! Ein Geräusch! Direkt vor seinem Zimmer! Jemand rief nach ihm. War es der Fuchs? Vielleicht hatte er sich in den Bau gegraben. Schlotternd vor Angst versuchte das Häschen ganz leise zu sein, biss es kaum noch seinen eigenen Atem hörte. Dann spürte er etwas. Jemand packte ihn mit einem Mal, riss ihn aus dem Bett und warf ihn hoch. Erst dann bemerkte es, dass ein Licht in seinem Zimmer war. Sein Vater hielt ihn in den Armen, seine Mutter küsste ihn auf die Stirn. ''Es tut uns leid, dass es so lange gedauert hat.'', entschuldigte sie sich, ''Doch wir sind stolz, weil du es ganz allein geschafft hast.''. Das Häschen lächelte mit erhobener Nase und ausgestreckter Brust. Doch dann erinnerte es sich an den Fuchs und an die Angst die es gehabt hat und schüttelte den Kopf. ''Aber nein. Ich habe es nicht geschafft. Der Fuchs hat mich aus dem Bau gelockt, ein Licht habe ich wieder angemacht und ich hatte furchtbare Angst im Dunkeln.''. ''Aber das ist doch in Ordnung.'', sprach sein Vater, ''Du bist gesund und munter. Du hast aus den heutigen Erlebnissen gelernt und allein das zählt. Du bist kerngesund. Jetzt komm! Wir haben dir ein paar Möhrchen mitgebracht.'' So ging das Häschen mit seinen Eltern in die Küche, wo eine riesige Möhrentorte und ganz viel Salat wartete. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“
Cyntia klatschte begeistert in die Hände und schien ihre Angst völlig vergessen zu haben. Lächelnd trank ich meinen Kakao, während Tevin sie amüsiert beobachtete.
„Die Geschichte kannte ich gar nicht.“, bemerkte Veit überrascht.
„Ich habe sie mir mal ausgedacht. Cyntia ist ganz begeistert von meinen Geschichten.“
„Noch eine!“, rief diese aus.
„Später, wenn du ins Bett musst.“, entgegnete ich, „Eine reicht erst einmal.“
„Bitte noch eine! Eine kurze!“
„Hmmm...“
„Bitte!“
„Na gut. Eine noch. Eine ganz kurze. Eine von den Gebrüder Grimm.“
„Au ja!“
Ich begann ihr von der Geschichte des Fischermanns und seiner Frau zu erzählen. Meine Großmutter hatte mir früher immer aus einem Märchenbuch vorgelesen. Ich liebte diese Geschichten. Als ich fertig war hörten wir wie draußen Autotüren zugeschlagen wurden. Kurz darauf wurde die Haustür geöffnet und meine Eltern kamen herein.
„Meine Güte, das gießt ja wie aus Eimern.“, bemerkte Dad auf Litauisch und schüttelte sich streunerhaft, wie meiner Mutter immer sagte, die Haare aus. „Ah, da sind ja meine Lieblinge.“, bemerkte er, als er uns im Wohnzimmer fand. „Wie war euer Tag?“
„Sehr schön.“, antwortete ich lächelnd, „Und eurer?“
„Der Regen hat uns zwar einen Strich durch die Rechnung gemacht, aber... ich denke, wenn wir uns zu euch setzen ist das auch nicht mehr so schlimm. Setz dich schon mal Lieblings, ich mach uns die Schokolade.“
Meine Mutter lachte amüsiert, holte zwei Decken hervor und wickelte sich in eine ein, bevor sie sich zu uns setzte. „Was habt ihr denn noch gemacht?“, fragte sie auf Englisch in die Runde.
„Vilija hat uns Geschichten erzählt!“, rief Cyntia aus, „Die mit dem Häschen und dem Fuchs. Und eine von den Gebrüder Grimm mit einem Fischermann und einem ganz besonderem Fisch!“
„Ah, ja. Der Fischermann und seine Frau. Eine nette Geschichte. Ich habe gerne Hänsel und Gretel gehört. Oder Rotkäppchen.“
„Ich mochte lieber der Wolf und die sieben Geislein. Oh und Tischlein deck dich.“, merkte ich an.
„Goldesel streck dich!“, rief Cyntia aus.
„Und der Knüppel aus dem Sack.“, fügte Tevin amüsiert hinzu, „Ich war für Rumpelstilzchen. Oder Schneewittchen und die sieben Zwerge. Die Geschichte mochte ich auch gerne.“
„Ja, du wolltest sie immer wieder hören.“
Wir unterhielten uns noch eine Weile, wobei Dad sich noch zu uns setzte und somit wir alle zusammen in Decken gemurmelt heiße Schokolade tranken. Als es zwei Stunden später immer noch stürmte, begannen Mom und Dad sich Sorgen zu machen.
„Kommst du bei diesem Wetter noch nach hause?“, fragte Dad an Veit.
„Irgendwie schon.“, antwortete dieser.
„Vielleicht solltest du deine Eltern anrufen. Wir haben noch ein Bett frei. Oder du schläfst bei Vilija.“, schlug Mom vor.
„Das ist sehr freundlich, von Ihnen.“
Als er noch etwas hinzufügen wollte, klingelte plötzlich das Telefon. Dad stand mit einem Seufzen auf und hob ab, sprach eine Weile mit jemandem und setzte sich dann wieder.
„Wie der Zufall das so will... Es war dein Vater.“, informierte er Veit, „Deine Mutter hat Angst, dass dir auf dem Weg nach hause etwas passiert. Außerdem ist ein Baum umgestürzt und blockiert eine Kreuzung. So kommt dein Bus nicht durch. Also hat sie gefragt, ob du nicht über Nacht bei uns bleiben kannst. Was natürlich kein Problem ist.“
„Vielen Dank.“
Als Moms Blick auf die Uhr an der Wand fiel, sprang sie plötzlich auf. „Oh, ich muss noch das Essen machen.“
Dad sah überrascht auf, folgte ihr dann aber. „Ist schon gut, lass mich das machen.“
„Du hast die letzten Tage schon gekocht.“
„Du solltest dich noch ausruhen. Es ist schon in Ordnung.“
Sie seufzte tief. „Mir geht es gut. Wirklich.“
„Das sah am Strand noch ganz anders aus. Jetzt setz dich wieder und ich mach das Essen.“
„Aber-“
„Kein aber.“
„Levin, ich bin keine Porzellanpuppe.“
„Nein, aber dir geht es noch nicht gut.“ Sorge stand in seinem Gesicht. „Ich... mache mir Sorgen um dich. Du solltest nochmal zum Arzt gehen und-“
„Mir geht es gut. Vertrau mir.“
Er atmete lange aus. „Na gut. Aber ich bleibe bei dir.“
„Ich habe nichts anderes erwartet.“
Sehnsüchtig sah er ihr kurz hinterher, als sie das Wohnzimmer verließ und folgte ihr dann hinaus.
„Was ist mit deiner Mutter?“, fragte Veit verwundert.
„Ach das... also... Ihr ging es eine Zeit lang sehr schlecht.“, antwortete darauf nur, „Wollen wir hoch gehen?“
Etwas funkelte in seinen Augen. „Ja, gerne.“ Ein Lächeln in seinem Gesicht.
„Ich sag euch später Bescheid, wenns Essen gibt.“, erklärte Tevin und stand mit Cyntia auf. „Wollen wir etwas spielen?“, fragte er sie dann.
„Au ja!“, rief sie darauf begeistert aus.
Ich dagegen legte die Decke beiseite und ging dann mit Veit hinauf in mein Zimmer. Sobald die Tür zur war, zog er mich bereits an sich und drückte seine Lippen auf meine. Unwillkürlich dachte ich an den Kuss mit Tevin in der Küche. Mir fiel auf, dass es mit Veit nicht so schön war, doch... Tevin war unerreichbar.
Den Kuss genießend legte ich Veit die Arme um den Hals und lehnte mich an ihn. Seine Arme legten sich fest um meinen Körper, während er begann zärtlich meinen Mund zu erkunden. Wenig später löste er sich von mir, jedoch nur, um mich zum Bett zu ziehen, mich dort auf seinen Schoß zu ziehen und mich dann weiter zu küssen. Seine Hände glitten vorsichtig über meinen Körper, machte sich mit ihm vertraut. Plötzlich drehte er sich ein wenig und schob mich aufs Bett herab. Etwas zog sich in der Magengegend zusammen und ich spürte, wie ich nervös wurde. Er war über mich gestützt, so nahe, dass er beinahe auf mir lag, und sah mir mit einem seltsamen Ausdruck in die Augen.
„Alles in Ordnung?“, fragte er fürsorglich.
„Ich bin mir nur nicht sicher, was du jetzt vor hast.“, antwortete ich.
Er lächelte ein wenig und stieß meine Nasenspitze mit seiner an. „Nur kuscheln, keine Angst. Ich werde nichts tun, das du nicht willst.“
Erleichterung durchfuhr mich. Bei dem Gedanken mit Veit zu schlafen, wurde mir irgendwie komisch. Es fühlte sich nicht richtig an. Und trotzdem lag ich jetzt mit ihm im Bett und ließ mich ein weiteres Mal von ihm küssen. Und er ging noch einen Schritt weiter, ließ seine Hände fragend unter mein Shirt gleiten. Da ich mich nicht wehrte, sah er es als Erlaubnis, die Hände ein wenig wandern lassen zu dürfen.
Eine Stunde später lag mein Shirt auf dem Boden und Veit küsste ausgiebig meinen Bauch, als es plötzlich an der Tür klopfte. Im nächsten Moment wurde sie bereits geöffnet.
„Das Essen ist-“ Tevin hielt im Satz inne, als er uns sah. Einen Moment schloss er die Augen, öffnete sie dann aber wieder und sah uns entrüstet an. „Ihr wolltet doch nicht etwa-“
„Nein.“, antwortete ich schnell und bedeckte mich notdürftig mit meinen Armen, während Veit aufstand und mein Shirt aufhob, um es mir zu geben.
„Hm.“, machte Tevin darauf unschlüssig, „Das Essen ist jetzt fertig.“
Als Veit nicht zu ihm sah, bemerkte ich, wie er mich betrachtete. Abrupt wurde ich rot und zog mir schnell mein Shirt an.
„Wir kommen schon.“, meinte ich dabei und stand auf.
„Mhm.“ Ohne ein weiteres Wort drehte Tevin sich um und ging wieder nach unten.
Ich warf ihm einen kurzen Blick hinterher, sah dann aber zu Veit auf und lächelte ihn an. „Wollen wir?“
„Klar.“, antwortete er und drückte mir noch einen letzten Kuss auf den Mund, bevor wir nach unten gingen.
Das Essen verlief ruhig. Tevin schien in Gedanken versunken zu sein, Dad behielt Mom im Auge und diese schien ziemlich müde zu sein. Veit und ich redeten hin und wieder ein wenig und Cyntia war voll und ganz mit ihrer Mahlzeit beschäftigt. Hinterher halfen Tevin und ich noch beim abräumen und gingen dann wieder auf unsere Zimmer, wobei ich Veit mitnahm. Der Rest des Abends verlief etwa so wie die Stunde vor dem Abendessen. Als es Zeit fürs Bett wurde, zog er sich bis auf die Shorts aus und beobachtete mich einen Moment, bevor er auf meinen Wunsch hin weg sah, damit ich mich umziehen konnte. Danach legte ich mich zu ihm ins Bett, kuschelte mich an ihn und versuchte zu schlafen.
Als ich am nächsten Morgen wach wurde, fühlte ich mich irgendwie seltsam. Jemand lag hinter mir und hielt mich in den Armen. Mein erster Gedanke galt Tevin, doch ich merkte, dass er es nicht war. Es fühlte sich so falsch an, dass er es nicht war.
„Guten Morgen.“, flüsterte Veit hinter mir und küsste mich auf die Schulter.
Überrascht darüber, dass er schon wach war, drehte ich mich zu ihm um. Tevin schlief so lange, bis ich ihn weckte, wenn er bei mir schlief.
„Guten Morgen.“, erwiderte ich genauso leise.
Im nächsten Moment klopfte es. Verwirrt kletterte ich aus dem Bett und ging an die Tür. Es war Dad.
„Guten Morgen. Hab ich euch geweckt?“, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Wir sind gerade wach geworden.“
„Ah okay. Die Schule hat gerade angerufen. Der Sturm hat einiges an Verwüstung angerichtet. Es dauert etwa zwei Tage, bis alles wieder betretbar ist.“
Ich zog die Brauen zusammen. „Was ist denn passiert?“
„Da sind wohl zwei Bäume umgestürzt. Sie standen schon gefährlich schräg und der Sturm hat ihnen wohl den Rest gegeben. Einer liegt quer über dem Schulhof und blockiert den Eingang. Der andere blockiert die Zufahrt.“
„Oh, verstehe. Also fällt der Unterricht aus?“
„Ja, für heute und morgen.“
Nebenan wurde die Tür geöffnet. Dad sah sofort zu Tevin herüber.
„Ah, gut das du auch schon wach bist.“, meinte Dad an ihn, „Du musst dich noch nicht fertig machen.“
„Ich leg mich dann wieder hin.“, meinte ich noch.
Dad nickte mir noch zu und ging dann zu Tevin herüber, um ihm dasselbe zu erklären, was er mir gerade erzählt hatte. Cyntia musste, wie ich wusste, trotzdem zur Schule. Immerhin ging sie in eine andere als wir.
„Hast du es gehört?“, fragte ich Veit, als ich mich zu ihm legte.
„Alles.“, antwortete er, legte die Arme um mich und zog mich an sich. „Du bist schön warm.“
„Und du erst.“, entgegnete ich und wärmte mich an ihm auf. Und in dem Moment fällte ich eine Entscheidung, die ich nie rückgängig machen konnte. Tevin wollte mich nicht haben. Das war der Grund, weshalb ich mit Veit zusammen war, auch wenn ich ihn nicht liebte. Doch warum dann auf Erfahrungen verzichten? „Veit?“
„Hm?“
„Hattest... Hast du schon mal mit jemandem geschlafen?“
Er blieb einen Moment vollkommen still, stützte sich dann aber ab und sah verwundert auf mich herab. „Wie bitte?“
Prompt wurde ich rot. „Ich... Also... Hast du?“
„Ja. Warum?“
Ich knabberte nervös auf meiner Unterlippe. „Tut es weh?“
Überrascht hoben sich seine Brauen. „Den Mädchen, meinst du? Beim ersten mal schon. Wenn du mehr darüber wissen willst, solltest du vielleicht mit deiner Mutter darüber sprechen.“
Schnell schüttelte ich den Kopf. „Nein. Ich frage ja weil... ich...“ Ich schaffte es nicht, es auszusprechen.
„Hast du Angst davor?“
Einen Moment zögerte ich, nickte dann aber zaghaft.
„Nun... Falls ich es sein sollte, der... nun... dich entjungfert... werde ich natürlich sehr... sorgfältig sein. Wenn man es richtig macht, dann tut es nicht weh.“
„Weißt du, wie es geht?“
„Theoretisch... ja. Praktisch ist natürlich alles anders.“
„Und... möchtest du es tun?“
Wieder blieb er einen Moment ruhig, sah mich verwundert an. „Du meinst... schlafen... mit... dir.“
Schüchtern senkte ich den Blick und nickte wortlos.
„Ja.“, antwortete er halblaut, „Aber... ich weiß nicht, ob du nicht vielleicht noch nicht bereit dafür bist.“
„Würdest... Würdest du es versuchen?“
Sein Blick wurde verwirrter. „Versuchen?“
„Jetzt.“
„Vilija... Ich... Also... Jetzt?“
Ich nickte zaghaft.
„Nun... wenn du sicher bist, dass du bereit dafür bist... hätte ich nichts dagegen es zu versuchen.“
„Ich... Ich bin mir sicher.“
„Ganz sicher?“
„Ja.“
Er zögerte noch einen Moment. Dann beugte er sich zum Rande des Bettes und griff nach seiner Hose. Verwirrt sah ich ihm dabei zu, wie er sein Portmonee heraus holte und dort ein... Kondom heraus holte. Sein Portmonee legte er auf mein Nachttisch. Das Kondom daneben. Dann sah er wieder auf mich herab.
„Du musst dir wirklich ganz sicher sein.“, meinte er sanft.
„Ich bin mir sicher.“, antwortete ich.
Er stützte sich daraufhin neben mir ab und sah mir aufmerksam ins Gesicht, als er eine Hand auf meine Seite legte. Dann beugte er sich zu mir herab und küsste mich sanft.
Tevin
Da ich nicht mehr schlafen konnte, verließ ich immer noch etwas müde mein Zimmer und ging den Flur entlang. Nun, wenn ich einfach nicht hätte schlafen können, wäre es eine Sache gewesen, doch ich konnte einfach nicht aufhören an den Kuss zu denken. Als ich an Vilijas Tür vorbei kam, wäre ich eigentlich ganz normal weiter gegangen... wenn da nicht dieser Tonfall wäre, den ich hörte, als sie sich gerade mit Veit unterhielt. Ein Tonfall, der mich misstrauisch werden ließ. Ich blieb ganz von selbst stehen und horchte.
„Und es wird wirklich nicht weh tun?“, fragte sie nervös.
„Ich bin vorsichtig. Ganz vorsichtig.“, beruhigte Veit sie.
Einen Moment war es still. Dann ertönte wieder ihre Stimme.
„Veit?“
„Hmm?“
„Es ist auch sicher, oder?“
„Ja. Mach dir keine Sorgen. Lass mich einfach machen.“
Ich biss die Zähne aufeinander, hoffte einen Moment, ich hätte mich verhört oder würde alles falsch deuten.
„Alles in Ordnung?“, fragte Veit sie sanft.
„Ja. Hör nicht auf.“
Wieder eine kurze Stille. Bei seiner nächsten Frage, zog sich mein Magen zusammen.
„Bist du bereit?“
„Ja.“
„Ich mach ganz langsam. Entspann dich.“
Dann wurde es wieder still, doch nur wenige Augenblicke später ertönte ein leises Stöhnen. Definitiv weiblich. Ich schloss die Augen, zwang mich dazu weiter zu gehen und eilte ins Bad. Eine eiskalte Dusche... die brauchte ich nun. Eine eiskalte Dusche, um die Wut abzuwaschen.
Ich habe doch keinen Grund wütend zu sein. Ich habe Vilija oft genug gesagt, dass ich sie nicht liebe. Sie soll mit Veit glücklich werden.
Und dennoch sah ich vor Wut beinahe rot.
Dusche... eiskalte Dusche...
Vilija
Ich lag etwas erschöpft an Veits Brust und döste beinahe ein. Veit selbst war schon im Land der Träume und hielt mich im Schlaf in den Armen. Doch... obwohl es so schön gewesen ist... mit ihm... hatte ich das Gefühl, dass ich irgendwas verloren hatte. Irgendwas wichtiges. Doch ich konnte im Moment nicht darüber nachdenken. Viel zu sehr hingen meine Gedanken noch an den jüngsten Ereignissen. Warme Hände, heißer Atem, zwei starke Arme...
Mit einem Seufzen kuschelte ich mich enger an Veit, als plötzlich die Tür geöffnet wurde. Erschrocken sah ich auf und blickte Tevin entgegen.
„Ich muss mit dir reden.“, meinte er sofort, „Jetzt. In meinem Zimmer.“
Dann ging er wieder. Etwas überrascht und leicht verletzt von seinem Tonfall stand ich auf und zog mir etwas an, bevor ich rüber ging und klopfte.
„Komm rein.“, meinte er nur.
Ich trat ein, schloss hinter mir die Tür und setzte mich wortlos auf die Couch, wo ich dann darauf wartete, das Tevin begann. Dieser stand am Fenster, lehnte sich dort an und sah hinaus. Er schien irgendwie aufgewühlt zu sein.
„Hast du mit ihm geschlafen?“, fragte er plötzlich.
Ich zuckte zusammen. Tatsächlich hatten wir das nicht getan, obwohl ich es vorhatte. Veit hatte gemerkt, dass ich noch zuviel Angst davor hatte. Stattdessen hatte er mir etwas anderes gezeigt. Etwas, das auf eine andere Art schön war. Und er hatte mir gezeigt, wie ich ihm dieselben Freuden machen konnte.
„Nein.“, antwortete ich ehrlich.
Er zögerte unsicher. „Ich möchte dir nicht zu nahe treten, aber... Nun... Da waren Geräusche.“
Ich spürte, wie ich rot wurde. „Er... hat mir... etwas gezeigt. Aber wir haben nicht miteinander geschlafen. Warum fragst du?“
Die Stille danach hielt so lange an, dass ich schon dachte, er würde nicht antworten. Stattdessen drehte er sich irgendwann um und sah auf den Boden.
„Ich will nicht... dass ihr das tut.“, antwortete er schließlich.
Meine Brauen zogen sich zusammen. „Warum? Er ist mein Freund.“
„Ja, aber... Ihr kennt euch noch nicht so lange.“ Es klang irgendwie so, als würde er etwas anderes sagen wollen.
„Wir haben uns in der Zeit aber ziemlich gut kennen gelernt.“ Das war nur zum Teil gelogen. Tevin hatte schon Recht, aber es war meine Beziehung. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es nur eine Ausrede gewesen ist. Wofür auch immer.
„Ich habe nur Angst um dich.“
Ich senkte den Blick. Ich musste mich getäuscht haben. Er musste es ernst meinen. Sicher meinte er es ernst. Er hatte keinen Grund zu lügen. „Ich pass schon auf.“, entgegnete ich also darauf, „Ich weiß was ich tue.“
Er atmete scharf ein, stieß den Atem dann wieder aus und sah hinaus. „Er ist nicht der Richtige für dich.“
Nun war ich verärgert. „Meinst du nicht, ich kann das selbst entscheiden?“
„Du siehst es nicht. Veit ist seltsam.“
„Und du bist nicht wieder beleidigt, weil jemand anderes meine Aufmerksamkeit bekommt?“
Er zuckte zusammen. „Red nicht so einen Unsinn. Es ist ja nicht so, als könne ich ohne dich nicht leben.“
Warum tat das gerade weh? Ich wusste doch schon, dass er mich nicht liebte.
Als ich nicht antwortete seufzte er tief. „Nein. Das stimmt nicht.“, meinte er dann, „Ich kann ohne dich nicht leben. Es fühlt sich an, als seist du die andere Hälfte meiner Seele. Ich kann ohne dich nicht mal richtig schlafen.“
„Tevin-“
„Ist schon gut.“
„Aber-“
„Geh lieber wieder zu Veit. Sonst verwöhnst du mich noch mit zu viel Aufmerksamkeit.“
„Ich habs nicht so gemeint.“, entgegnete ich darauf und ließ die Schultern hängen. „Es ist nur... Du sagst, du liebst mich nicht, aber du willst mir trotzdem irgendwie Veit ausreden.“
„Er ist nicht der Richtige für dich. Wäre es Teddy, dann hätte ich keine Probleme.“
„Du weißt, dass Teddy für mich wie ein Bruder ist. Es... Ich... Du bist es den ich liebe.“
Beinahe konnte ich hören, was er darauf sagen wird. Ich wünschte, ich könnte mit Teddy tauschen. Das würde zu Tevin passen, doch... er sagte nichts.
„Wie... wie sehr liebst du mich?“, fragte er stattdessen.
Verwirrt sah ich auf seinen Rücken. „Warum fragst du?“
„Ich... Ich kann mich nicht entscheiden. Ja, ich liebe Diana, aber dich... Ich... Könntest... Könntest du mit... einer geheimen Beziehung leben?“
Mein Herz setzte einen Schlag aus. „W-w-was?“
Unruhig begann er im Zimmer auf und ab zu gehen und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ich... kann nicht aufhören daran zu denken. An dich. An den Kuss. An das Gefühl, mit dir in den Armen aufzuwachen, dich immer ganz nahe bei mir zu haben. Aber der Gedanke mich von Diana zu trennen... das kann ich nicht. Aber... ich kann auch nicht tatenlos mit ansehen, wie … wie du... mit Veit...“ Er schüttelte den Kopf. Ich dagegen beobachtete ihn ungläubig dabei, wie er umdrehte, Richtung Fenster ging und dann wieder umdrehte. „Wenn Diana erfährt, dass zwischen dir und mir etwas läuft, dann wars das mit ihr und mir, aber...“ Erneut fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. „Ich... will... dich. Ich... kann mich einfach nicht entscheiden.“
Mein Herz pochte so schnell, dass ich das Gefühl hatte jeden Moment ohnmächtig zu werden. „Tevin...“
Er sah zu mir auf. Das erste mal, seit ich heute sein Zimmer betreten hatte, sah er mich an. Und es lag etwas in seinen Augen, was mein Bauch kribbeln ließ. Er kam mit lange Schritten zu mir herüber, beugte sich zu mir herab, nahm mein Gesicht in seine Hände und drückte seine Lippen auf meine. Meine Augen weiteren sich, mein Atem stockte, mein Herz spielte verrückt.
„Kannst du damit leben? Kannst du mir das verzeihen?“, fragte er und küsste mich erneut. „Eine geheime Beziehung? Bist du damit einverstanden?“
Grüne Augen blickten in meine. Hatte er das gerade wirklich angeboten? Hatte er das gerade wirklich getan? Einfach so? „Liebst du mich denn?“, fragte ich, ohne zu wissen, dass ich es wissen wollte.
Er öffnete den Mund, zögerte. Dann seufzte er leise und setzte sich neben mich. „Ich kann die Gefühle zu dir nicht so genau benennen. Aber es ist mir wichtig. Du bist mir wichtig.“
Er legte seine Hand an meine Wange, lehnte seine Stirn an meine. Mir kam es so unwirklich vor. Als würde ich träumen. Träume ich vielleicht gerade?
„Meinst... Meinst du das ernst?“
„Ja. Es tut mir leid, dass mir einfach nichts besseres einfällt, dass ich dich so... dass ich mich nicht entscheiden kann und dich womöglich noch damit verletze. Ich kann es gut verstehen, wenn du es nicht willst.“
„Okay.“, antwortete ich schließlich.
Seine Augen weiteren sich ein wenig.
„Ich bin einverstanden. Ich werde es versuchen.“
Er zögerte kurz. „Und das mit Veit...“
„Ich werde mich nicht von ihm trennen.“, meinte ich sofort, „Aber... ich werde auch nicht mit ihm schlafen.“
Er schloss erleichtert die Augen. Dann legte er seine Lippen wieder auf meine und eine Hand in meinen Nacken. Einen Moment zögerte ich noch, erwiderte dann aber hektisch atmend den Kuss und legte ihm zaghaft eine Hand an die Wange. Ich fühlte mich immer noch seltsam, als sei das alles nicht echt. Doch er hielt mich gerade wirklich, küsste mich leidenschaftlich und zog mich immer enger an sich, bis ich auf seinem Schoß saß. Als er sich irgendwann von mir löste, atmeten wir beide hektisch. Ich spürte sein Herz schnell an meiner Brust schlagen und musste unwillkürlich lächeln. Als es plötzlich an der Tür klopfte, rutschte ich schnell von seinem Schoß und versuchte meine Haare glatt zu streichen.
„Ja?“, meldete sich Tevin dabei und fuhr sich einmal durchs Haar.
Die Tür wurde geöffnet, Mom sah rein. „Guten Morgen. Wollt ihr nicht frühstücken?“
„Wir kommen gleich.“, antwortete Tevin darauf.
„Gut.“ Sie sah zu mir. „Sagst du dann Veit Bescheid?“
„Mach ich.“
„In Ordnung.“ Sie lächelte uns nochmal warm an und schloss dann wieder die Tür.
„Nun... dann werde ich wohl mal rüber gehen.“, meinte ich an Tevin.
Er seufzte tief. „Ich kann ihn trotzdem nicht leiden.“
Mit einem leisen Lachen küsste ich ihn noch schnell auf die Wange und sprang dann auf, um das Zimmer zu verlassen.
„Wir sehen uns unten.“, rief ich ihm noch halblaut zu und ging dann hinüber in mein Zimmer. Dort angekommen legte ich mich auf der Decke neben Veit, grinste wie ein Honigkuchenpferd und tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze. „Veit.“, trällerte ich fröhlich, „Aufstehen, frühstücken, Zähne putzen.“
Bei jeder Silbe tippte ich ihm auf die Nasenspitze. Beim dritten Tippen öffnete er verschlafen die Augen und schielte auf meinen Finger. Dann drehte er sich einfach auf die Seite, schlang die Arme um mich und vergrub sein Gesicht an meinem Hals.
„Will noch nicht.“, nuschelte er.
„Ich hab Mom schon gesagt, dass wir gleich kommen.“
„Kommen klingt gut.“, entgegnete er verschmizt.
Ich schlug ihm leicht gegen die Schulter und wurde rot. Seine Reaktion war ein leises Lachen, bevor er sich auf die Arme stützte, um mich zu küssen.
„Du bist einfach herrlich.“, murmelte er an meinem Mund.
„Gab es Süßholz zum Raspeln im Angebot?“
Erneut lachte er leise und löste sich von mir. „Wie du willst. Dann also frühstücken.“
Er drückte mir noch einen langen sanften Kuss auf den Mund, bevor er sich schließlich von mir löste und aufstand, um sich anzuziehen. Ich sah ihm einen Moment zu, stand dann aber auf und wartete an der Tür auf ihn. Als er fertig war ging ich mit ihm nach unten in die Küche, wo Mom und Dad bereits am Tisch saßen und warteten. Als Dad uns sah, stand er sofort auf, um uns unser Frühstück hinzustellen.
„Dankeschön, Tėtis.“, meinte ich darauf und atmete den Duft ein. „Riecht das gut.“
Veit sah verwundert darauf herab. „Was ist das?“, wollte er wissen.
Ich lächelte. „Das sind koldūnai.“, antwortete ich.
„Kol- was?“
„Koldūnai.“, widerholte ich, „Teigtaschen. In diesem Falle gefüllt mit...“ Ich biss herzhaft hinein und stöhnte leise auf. „Kartoffelpüree und Pilzen. Meine Lieblingssorte.“
Veit zog verwirrt die Brauen zusammen und teilte eine der Teigtaschen vorsichtig mit seiner Gabel.
„Probier, sie sind wirklich lecker.“
Tevin kam herein. „Labas rytas.“, begrüßte er uns gut gelaunt und setzte sich auf meine andere Seite. „Ah, koldūnai. Womit diesmal?“
„Meine Lieblinge. Kartoffelpüree und Pilze.“
Ihm lief wortwörtlich das Wasser im Mund zusammen. „Danke.“, meinte er dann an Tėtis, als dieser ihm sein Frühstück hinstellte.
Etwas unsicher beobachtete Veit mich und Tevin dabei, wie wir begannen zu essen. Tėtis lächelte über unseren Appetit.
„Das sind die besten koldūnai, die du je gemacht hast.“, meinte ich mit vollem Mund.
Er lachte leise. „Das sagst du jedes mal, wenn ich sie mache.“ Dann sah er zu Veit. „Schmeckt es dir nicht?“
„Es ist nur so, dass ich... Morgens bekomme ich warme Mahlzeiten nicht so gut runter.“
„Oh. Nun... wenn das so ist... Möchtest du Brot? Oder Müsli? Lieblings, wir haben noch Waffeln, oder?“
„Ja.“, antwortete Mom, „Aber... ich glaube sie schmecken nicht mehr.“
Dad seufzte kurz und dachte einen Moment nach, während er aufstand und Veits Teller nahm.
„Ich möchte keine Umstände bereiten.“, meinte dieser unsicher.
„Ach was.“, entgegnete Dad.
„Darf ich seine Portion haben?“, fragte Tevin.
„Ich möchte auch noch welche.“, warf ich ein.
„Wir teilen einfach.“, meinte Tevin darauf, als Dad ihm den Teller gab, und stellte diesen zwischen uns.
„Wir haben noch Šakotis.“, bemerkte Tėtis, als er sich in der Küche umgesehen hatte.
„Was ist das?“, fragte Veit vorsichtig.
„Kuchen.“, antwortete ich, „Sowas wie... mmmh...“
„Etwas ähnliches wie ein Baumkuchen.“, erklärte Mamytė.
„Nun... okay.“
„Möchtest du davon ein Stück?“, fragte Dad ihn.
Er zögerte. „Kuchen klingt nicht schlecht.“
Mit einem Nicken nahm er einen Teller mit dem Kuchen aus dem Kühlschrank. Ich staunte nicht schlecht.
„Der sieht gut aus.“, bemerkte ich überrascht.
Veit war neben mir still.
„Viel ist nicht mehr übrig.“, entgegnete Mom.
„Mal sehen... ich werde zu Tevins Geburtstag noch einen machen.“
„Darf ich dabei helfen?“, fragte ich sofort.
„Gerne.“
Ich teilte mir mit Tevin die letzte Teigtasche und lehnte mich zurück. „War das lecker.“
Tevin stellte Veit einen Teller mit einem Stück Kuchen hin, bevor er unsere leeren Teller nahm und in die Spülmaschine stellte. Ich sah neugierig zu Veit.
„Was ist?“, fragte ich ihn, als er das Stück nur ansah.
„Nichts.“, meinte er daraufhin schnell und teilte ein Stück von dem Kuchen mit der Gabel ab, um zu probieren. Dann zogen sich seine Brauen zusammen.
„Stimmt etwas nicht?“
„Nein, es ist nur... Es schmeckt... interessant.“
„Stimmt etwas mit dem Kuchen nicht?“, wollte ich von Tėtis wissen.
Dieser schnitt einen Stück vom Kuchen ab und stellte ihn in die Mitte des Tisches, wobei er vorsichtig ein Stück abbrach und probierte.
„Alles in Ordnung.“, meinte er darauf.
Ich brach mir ebenfalls etwas ab. „Er schmeckt doch lecker.“
„Vielleicht gefällt ihm die litauische Küche einfach nicht.“, sinnierte Mamytė.
Ich sah zu Veit, der langsam sein Stück aufaß. „Es schmeckt dir doch, oder?“
„Ja... schon. Ganz gut, ja.“
Ich schürzte die Lippen. „Hmmm.“ Das war irgendwie unangenehm. „Und du möchtest die koldūnai nicht probieren?“
Er schluckte. „Es ist nicht so, dass ich nicht probieren möchte. Wenn ich morgens eine warme Mahlzeit esse, bekomme ich Magenschmerzen.“ Er ließ die Schultern ein wenig hängen.
„Oh... Verstehe. Schade. Wir essen morgens fast immer warm.“
„Was solls.“, meinte Tevin nur, „Wann musst du zuhause sein?“
„Spätestens um zwanzig Uhr, wenn das Wetter nicht wieder so schlecht wird. Aber ich hab heute noch meinen Zeichenkurs, also muss ich um Zwölf sowieso los.“
Ich seufzte leise. Da ich immer noch nicht so ganz glauben konnte, dass das mit Tevin und mir jetzt wirklich so war, wie es war, war ich ein wenig traurig darüber, dass Veit schon so früh gehen musste.
„Ich kann dich fahren.“, bot Tėtis an, „Wo findet der Kurs statt?“
Veit nannte ihm kurz den Bezirk und die Adresse.
„Ich muss sowieso in die Richtung.“, meinte er dann mit einem Schulterzucken. „Wann musst du da sein?“
„Um dreizehn Uhr geht’s los.“
„Okay. Dann fahren wir um halb eins los.“
„Vielen Dank.“
„Nicht dafür.“
Ich seufzte leise. „Musst du dahin?“
Er sah mich nachdenklich an. „Naja, meine Eltern bezahlen dafür. Ich würde dich ja gerne fragen, ob du mitkommen möchtest, aber ich bin mir sicher, du würdest dich da langweilen.“
„Und was machst du danach?“
Als er aufgegessen hatte, legte er seine Gabel auf den Teller, legte mir einen Arm um die Schultern und zog mich ein wenig an sich. „Wenn du möchtest, kann ich wieder herkommen.“ Er küsste mich sanft. „Wir können weiter machen, wo wir heute morgen aufgehört haben.“, schlug er dann leise vor.
Ich wurde rot. Sehr rot. Dann schluckte ich schwer, da meine Kehle sich plötzlich so trocken anfühlte. Er lachte daraufhin leise und küsste mich auf die Stirn.
„Zeigst du mir euren Garten?“, bat er dann.
„Ähm... klar.“, entgegnete ich und stand mit ihm auf.
Ich bemerkte, dass Tevin uns hinterher sah, warf ihm noch einen kurzen Blick zu und ging dann mit Veit hinaus. Im Garten sah er sich ein wenig um, lächelte leicht und zog mich dann zur Schaukel.
„Bist du schon mal mit jemandem zu zweit auf einer Schaukel geschaukelt?“, wollte er wissen und setzte sich auf eine der Schaukeln.
Ich lächelte schräg. „Mit Tevin.“, antwortete ich dann und setzte mich so hin, dass ich rittlings auf seinem Schoß saß.
„Hmmm...“, machte er und betrachtete mich eingehend. „Wunderschöne Aussicht von hier unten.“
Ich lachte leise und hob seinen Kopf am Kinn an. „Ich bin hier oben.“
„Zum Glück.“ Seine Hände legten sich auf meinen Hintern und drückten mich an sich. „So lässt es sich ein bisschen leichter knutschen.“
Den Worten folgte ein sanfter Kuss. Seine Hände bewegten sich sanft, erinnerten mich an die Stunde am Morgen in meinem Zimmer. Sofort erhitzte sich mein Blut, ich erwiderte den Kuss drängend. Ganz automatisch legte ich die Hände in seinen Nacken und zog ihn an mich, woraufhin er leise stöhnte, mich leidenschaftlicher küsste und enger an sich zog. Als meine Hüften sich dabei an seinen rieben, konnte ich spüren, wie sehr ihm dieser Kuss gefiel.
„Veit.“, tadelte ich ihn lachend.
Er grinste mich an. „Was? Du bist meine Freundin. Da darf ich das.“
„Aber- Aber-“ Ich wurde wieder etwas rot.
„Du bist eine wunderschöne junge Frau, Vilija.“ Seine Stimme wurde etwas leichter.
„Und ich habe dich nackt gesehen. Jetzt muss ich ständig daran denken, wenn ich dich küsse.“
„Wenn das so ist... Keine Küsse mehr.“, entgegnete ich und brach in Gelächter aus, als ich sein Gesicht sah.
„Ich hoffe, das war nur ein Scherz.“, meinte er amüsiert, „Ich war nämlich noch nicht fertig mit meinem Kuss.“
„Ach so?“
„Ja. Jetzt komm wieder hier runter.“
Sanft legte er mir eine Hand in den Nacken und zog mich zu sich herunter. Mit einem Grinsen ließ ich ihn gewähren und mich von ihm küssen. Doch nur wenige Augenblicke später wurde er bereits wieder unterbrochen. Mein Handy klingelte. Ich löste mich abrupt von ihm und holte es hervor, woraufhin er mit einem Seufzen auf das Handy sah und es finster ansah. Meine Wenigkeit nahm sofort ab, als ich sah, dass es Teddy war, der anrief.
„Hey, Teddy.“, begrüßte ich ihn.
„Guten Morgen, Sonnenschein.“, begrüßte er mich ebenso gut gelaunt.
„Was gibt’s?“
„Ich wollte fragen, ob du Zeit hast. Ich liege hier ganz allein im Bett und weiß nicht was ich machen soll.“
„Wenn du nicht mein bester Freund wärst, würde ich jetzt schmutzige Gedanken bekommen.“
Er lachte amüsiert. „Genau das habe ich mir bereits gedacht. Also, hast du Zeit? Sag ja, bitte! Ich sterbe vor Langeweile.“
„Was ist denn mit Gabriela?“
Er murrte. „Sie ist krank. War gestern während dem Sturm draußen.“
„Oh. Nun... ich denke schon, dass ich Zeit habe.“ Ich warf Veit einen Blick zu. „Ich kann so gegen eins vorbei kommen.“
„Super! Du rettest meinen Tag!“
„Dafür bin ich doch da.“
„Ich liebe dich!“, rief er aus, „Wirklich! Wenn du nicht wärst, wäre ich sicher schon etliche Male an Langeweile gestorben.“
„Ich hab dich auch lieb.“, entgegnete ich amüsiert, „Du solltest vielleicht aufstehen und deinen prachtvollen Hintern unter die Dusche bewegen.“
„Woher weißt du, dass ich noch nicht aufgestanden bin?“
„Ich kenne dich.“
„Stimmt. Nun ja. Dann bis später. Obwohl... bleib ruhig zuhause, ich komm vorbei. Bin um Punkt ein Uhr da.“
„So? Okay. Dann bis später.“
„Knutscher!“
Ich lachte noch über seine Begeisterung, als er aufgelegt hatte. Dann steckte ich das Handy weg und lächelte Veit an.
„Teddy, ja?“, hakte er nach.
„Ja.“
„Und er hat einen prachtvollen Hintern?“
„Einen wirklich prachtvollen Hintern.“
„Klingt so, als hättest du ihn schon gesehen.“
Ich lächelte schräg. „Naja... wir hatten beide schon so unsere Unfälle. Er war beispielsweise die Zweite Person, mit der ich darüber gesprochen habe, dass meine Brüste wuchsen.“
Er hob eine Braue. „Ihr habt über deine Brüste gesprochen?“
„Naja... mehr oder weniger.“ Ich zog die Brauen zusammen, als ich mich daran erinnerte.
4 Jahre zuvor
Teddy sah mit hochgezogener Braue auf meine Oberweite, die sich leicht von meinem Körper abhob.
„Du hast recht.“, bemerkte er, „Sie wachsen wirklich.“
„Das sagte ich doch.“, entgegnete ich und setzte mich auf den Boden.
Wortlos setzte er sich zu mir. „Das ist aber normal, glaub mir.“
„So früh? Ich bin 13.“
Er nickte. „Ja. Völlig normal.“
„Und du bist dir ganz sicher?“
„Jep.“
„Okay. Und... glaubst du, ich muss jetzt schon BHs tragen?“
Erneut sah er auf meine Oberweite. „Ich weiß nicht. Ich meine...“ Schamlos hob er eine Hand und tippte sie mit dem Zeigefinger an. „Sie sind noch so klein.“
„Hör auf sie anzufassen.“
Nun hob er beide Brauen. „Das nennst du anfassen? Ich zeig dir, was anfassen ist.“
Mit diesen Worten drehte er mich mit dem Rücken zu sich, zog mich dicht an seine Brust und umfasste von hinten meine Brüste.
„Das ist anfassen.“
Ich schlug seine Hände beiseite. „Lass das.“
Lachend legte er die Arme um meine Tallie. „Ach komm schon. Wir sind Freunde. Die besten Freunde. Was macht es da schon, wenn ich mich mit dem neuen Accessoire vertraut mache?“ Er zog an dem Ausschnitt meines Shirts und sah von oben hinein. „Sie sind wirklich klein, Vilija.“
Ich spürte, wie ich rot wurde. „Hör auf damit.“, murmelte ich dann, „Ich mag das nicht.“
Er sah blinzelnd zu mir auf, sah die Tränen in meinen Augen. „Oh.“ Er ließ das Shirt los. „Tut mir leid. Weine nicht, ja? Das war nichts ernstes. Du weißt, dass ich dir nichts tun möchte.“
Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und nickte. „Ich weiß. Ich weiß auch nicht, es hat sich so... komisch angefühlt.“
„Verstehe.“ Er dachte kurz nach. „Dann werde ich eine Weile warten, bevor ich mich mit ihnen vertraut mache, hm?“
Ich konnte nicht anders als zu lachen, als er mir auch noch zuzwinkerte. „Teddy!“
„Ich meins ernst. Ich warte, bis du dich an sie gewöhnt hast und dann will ich alles über deine Brüste wissen.“
Ich legte die Arme über die kleinen Hügel. „Nein.“
„Hmm.... Na gut. Aber nur, wenn du mir versprichst, dass ich sie in ein paar Wochen noch einmal anfassen darf. Nur, damit ich mich daran gewöhne. Ein mal.“
„Du bist pervers, Teddy.“
„Das denkst du nur. Du bist meine beste Freundin. An irgendjemandem muss ich ja üben.“ Er streckte mir die Zunge raus.
„Mensch, du bist doof.“
„Deshalb liebst du mich doch so sehr.“
„Sei nicht so selbstverliebt.“
„Bin ich nicht. Ich stelle nur Tatsachen fest.“
Erneut lachte ich leise. „Ich hab dich lieb.“
„Ich dich auch.“ Er legte die Arme etwas fester um mich und bettete seinen Kopf auf meiner Schulter. „Aber du schläfst trotzdem noch ab und zu bei mir, oder? Du weißt, du kannst mir vertrauen.“
„Nichts würde mich daran hindern.“
„Hehe.“
Heute
„Es war ein interessantes Erlebnis.“, meinte ich schließlich.
Veit hob eine Braue. „So? Was ist denn passiert?“
Ich zögerte, grinste ihn dann aber an. „Das, mein lieber Veit, ist ein Geheimnis zwischen Teddy und mir.“
„Na gut. Das lasse ich dir durchgehen. Wie spät ist es?“
Ich sah auf die Uhr auf meinem Handy. „10:23 Uhr.“
„Hmmm... Was machen wir so lange?“
„Ich weiß nicht...“
„Wie wäre es, wenn wir noch ein bisschen in dein Zimmer gehen?“
Mein Gesicht wurde heiß.
Um Punkt 13 Uhr hörte ich wie die Haustür geöffnet wurde.
„Mom? Dad? Ich bin zuhause!“, rief Teddy herein.
Ich lachte im Wohnzimmer und stand auf, um zu ihm zu gehen.
„Ah, da ist ja mein Lieblingsschwesterchen.“, begrüßte er mich, zog mich in seine Arme und drückte mir einen feuchten Schmatzer auf die Wange.
„Was ist denn heute mit dir los?“, fragte ich ihn lachend und ließ ihn amüsiert gewähren, als er mit ein kleines, weniger feuchtes Küsschen auf den Mund gab.
„Ach nichts.“, entgegnete er, „Ich freu mich bloß tierisch dich zu sehen.“ Er lächelte mich so voller Freude an, dass ich nicht anders konnte, als sein Lächeln zu erwidern.
„Wie kommts, dass du dich so darüber freust?“
„Na, du bist meine allerbeste Freundin.“, entgegnete er, „Da werde ich mich doch freuen, wenn ich dich sehe.“ Er piekte mich in den Bauch. „Was gibt’s zum Frühstück?“ Er ging mit mir in die Küche.
„Hast du noch nicht gegessen?“
„Hey, ich bin grad erst nach hause gekommen.“
Ich lachte leise. „Du kommst gerade von dir.“
Er hob eine Braue. „Das hier ist mein zweites Zuhause.“
„Seit wann?“
„Seit... schon immer.“, entgegnete er und sah in den Topf, der auf dem Herd stand und in dem die letzten koldūnai waren. „Hmm... lecker. Ich liebe eure Küche. Hat Levantin gekocht?“
„Ja.“
„Ist er schon auf der Arbeit?“
„Ja.“
„Und deine Mom?“
„Ist oben am Malen.“
„Ah. Verstehe.“
Während wir sprachen, hatte er sich einen Teller genommen und etwas zu Essen aufgefüllt. Nun setzte er sich mit mir an den Esstisch und begann zu essen.
„Wie läuft's mit Tevin?“
Ich lächelte schräg. „Da gibt es etwas, dass ich dir erzählen werde. Aber nicht hier unten.“
„Na gut. Ist er hier?“
„Nein, er ist drüben bei Evelyn. Er wollte sie fragen, ob sie mit nach Kansas City möchte.“
„Apropos.“ Er schluckte und sah mich begeistert an. „Ich hab mit Mom und Dad gesprochen. Sie meinen, wenn es euch wirklich nichts ausmacht, dann darf ich mit euch mitfahren, statt mit ihnen nach Kanada zu fahren.“
„Oh, das wäre so super!“, meinte ich begeistert, wurde dann jedoch wieder etwas ruhiger. „Aber ich hab Veit schon gefragt.“
Er überlegte ein wenig. „Hm, ja, das ist doof. Hat er schon gesagt, ob er mitkommt?“
„Noch nicht, nein.“
„Mal sehen was er sagt. Vielleicht darf er ja gar nicht.“
„Vielleicht.“, stimmte ich zu. Dann seufzte ich leise. „Das ist alles so kompliziert.“
„Was denn?“, fragte er verwundert.
Ich zögerte etwas, ließ dann aber die Schultern sinken. „Tevin hat mich gefragt, ob ich damit einverstanden bin eine geheime Beziehung mit ihm zu führen.“
Ihm fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. „Was?“
„Er sagt, er liebt Diana, aber er müsste ständig an mich denken. An den Kuss. An das Gefühl mit mir in den Armen aufzuwachen und mich in der Nähe zu haben.“ Verträumt stützte ich meinen Kopf an der Hand ab und seufzte tief. „Er möchte, dass niemand davon erfährt, weil er Angst hat, dass Diana dann Schluss macht.“
„Und was hast du gesagt?“
„Ich... hab gesagt, ich werde es versuchen.“
„Und was ist mit Veit?“
„Ich bin weiterhin mit ihm zusammen. Aber ich werde nicht...“ Ich wurde rot.
„Was?“
„Mit ihm schlafen.“, murmelte ich etwas leiser, „Das will Tevin auch nicht.“
„Und was ist mit ihm und Diana?“
Unbeholfen zuckte ich mit den Schultern.
„Das solltest du mit ihm noch klären. Aber vorerst...“ Er legte die Arme um mich und drückte mich fest an sich. „Es freut mich für dich. Es ist zwar keine einfachere Situation als vorher, aber es macht dich glücklicher, oder?“
„Es fühlt sich so unwirklich an.“, entgegnete ich und verzog das Gesicht. „Als sei all das nicht echt. Ich hab das Gefühl zu träumen.“
„Ich versichere dir, du träumst nicht.“, entgegnete er amüsiert.
Mit einem Murren schlang ich die Arme um seine Schultern und drückte mein Gesicht an seine Halsbeuge. „Ich fühle mich komisch, Teddy.“
„Sprich nur.“
„Es ist dieses Gefühl zwei Beziehungen zu haben. Es fühlt sich falsch an mit Veit zusammen zu sein, wenn ich doch mit Tevin zusammen bin. Und andersherum. Eigentlich will ich gar nicht mit zwei Jungs zusammen sein.“
„Ja, das ist schon etwas... naja, blöd.“ Er grub eine Hand in mein Haar und lehnte seine Wange daran. „Ich würde ja sagen, entscheide dich für einen, aber wenn du dich für Tevin entscheidest, dann... Nun... Das ist ja auch nicht wirklich besser. Du bist dann zwar mit ihm zusammen, darfst es aber niemandem zeigen. Das ist wie ein goldener Käfig.“
Ich atmete tief durch. „Dann wäre Veit die bessere Wahl, oder?“
„Das musst du selbst entscheiden. Entweder du nimmst Veit, bei dem du immer so sein kannst wie du willst, oder du nimmst Tevin, den du zwar liebst, es aber nur zeigen darfst, wenn du mit ihm allein bist.“
„Ich nehm einfach dich.“, nuschelte ich verstimmt, „Ich hätte vorher drüber nachdenken sollen, bevor ich zugestimmt habe. Warum war ich nur so blöd?“
„Weil du nicht nachdenken konntest, Kleines. Ich würde wahrscheinlich auch sofort ja sagen, wenn mir so etwas passieren würde.“ Er löste sich langsam von mir und stand auf. „Ins Wohnzimmer oder in dein Zimmer?“, wollte er wissen, während er sein Geschirr wegräumte.
„Wohnzimmer.“, entgegnete ich.
„Nun, jedenfalls, solange du darüber nachdenkst wen du dir aussuchst, kann ich dir ja eine Kleinigkeit zeigen.“
Ich zog eine Brauen hoch, als ich mit ihm in den Flur trat. „Etwas zeigen?“
„Ja. Eine Verführungsstrategie.“
Nun hob sich auch die andere Braue. „Das willst du mir beibringen?“
„Hey, glaub mir, das wird klappen.“
„Okay.“
„Also...“ Mitten im Flur blieb er mit mir stehen. „Es ist ganz leicht, wirklich. Als erstes schiebst du ihn an eine Wand. Sachte. Am besten an der Brust, das mögen Männer.“ Er drückte mich vorsichtig an der Schulter zurück, bis ich die Wand hinter mir spürte. „Dann befummelst du ihn ein bisschen an der Brust.“ Mein Mundwinkel zuckte. „Als nächstes schmiegst du dein Gesicht an seinen Hals.“ Er beugte sich herab und rieb mit seiner Nasenspitze über meinen Hals. Eine seiner Hände glitt an meiner Seite herab. „Berühr ihn dabei.“ Sie legte sich auf meinen Bauch. Seine Nase glitt an meinem Hals hinauf. „Dann flüsterst du in sein Ohr.“
Ich hörte wie die Tür geöffnet wurde.
„Ich hab mich so nach dir gesehnt.“, meinte Teddy in dem Moment und biss mir danach leicht ins Ohrläppchen.
Ich dagegen brach lauthals in Gelächter aus, als ich Tevins Gesicht sah, der in der Haustür stand. Er blickte Teddy entrüstet, verwirrt und skeptisch zugleich an. Als Teddy mich lachen hörte, löste er sich verwundert von mir und sah mich finster an.
„He, ich versuche dir gerade etwas beizubringen.“, tadelte er mich, „Warum lachst du mich jetzt aus.“
„Ich... Ich lache nicht über dich.“, entgegnete ich lachend und deutete auf Tevin.
Verwundert drehte Teddy sich um und sah ihn überrascht an. „Oh. Hey Tevin. Wie geht’s?“
„Hast du gerade meine Schwester angebaggert?“
Teddy zog die Brauen zusammen. „Nein.“
„Das sah gerade aber ganz danach aus.“
„Na, das hoffe ich doch.“
Meine Beine gaben vor Lachen unter mir nach und ich rutschte auf den Boden, rollte mich dabei auf den Rücken und begann mit den Beinen zu zappeln, während ich mir den schmerzenden Bauch hielt.
„Warum sagst du dann, du hättest sie nicht angebaggert?“, wollte Tevin verwirrt wissen.
„Weil ich es nicht getan habe. Ich hab ihr was gezeigt.“
„Wie toll sich deine Hände auf ihrem Körper anfühlen?“, stichelte Tevin gereizt, „Oder hattest du noch vor ihr deine Zunge in den Hals zu stecken?“
Langsam beruhigte ich mich und kam kopfschüttelnd auf die Beine. „Er hat wirklich nichts gemacht.“, erklärte ich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. „Es war ganz harmlos.“
„Wir können dir leider auch nicht sagen was ich ihr gezeigt habe.“, erklärte Teddy und legte mir einen Arm um die Schultern. „Das würde alles kaputt machen.“
„Klar.“, entgegnete Tevin trocken.
„Und was dein Argument betrifft, wie toll sich doch meine Hände auf ihrem Körper anfühlen... das muss ich ihr erst gar nicht mehr zeigen.“
„Weil?“
„Na, weil sie es schon weiß. Es ging immer ziemlich heiß her, wenn sie bei mir übernachtet hat.“
Ich schlug ihm gegen die Schulter. „Erzähl keinen Schwachsinn.“
„Hey, du warst es doch, die sich mitten auf der Tanzfläche ausgezogen hat. Ich hab dir doch die Videos gezeigt, oder nicht?“
Ich wurde rot. „Das zählt nicht.“
„Du hast was?!“ Tevin sah mich erschrocken an, weshalb ich abrupt aufhörte zu lächeln.
„Er hat es nicht gewusst?“, fragte Teddy leise.
„Woher denn?“, fragte ich leise zurück.
„Oh. Das wusste ich nicht.“
„Du hast dich ausgezogen? Und es gibt Videos davon?“ Tevin sah ernsthaft entsetzt aus.
„Mittlerweile nicht mehr.“, warf Teddy ein, „Ich hab jeden meiner Gäste besucht, herausgefunden wer so ein Video hat und ihn dann gebeten es zu löschen, weil Vilija nicht ganz bei Sinnen war und sicher nicht will, dass sich das Video bis nach Timbuktu verbreitet.“
„Nicht ganz bei Sinnen?“, hakte Tevin nach, „Wovon sprecht ihr?“
„Können... Können wir vielleicht in mein Zimmer gehen?“, fragte ich zaghaft, „Ich möchte nicht, dass Mom etwas davon erfährt.“
Tevin schwieg einen Augenblick, setzte sich dann aber in Bewegung. Ich lief hinter Teddy, der Tevin die Treppe hinauf und in mein Zimmer folgte. Dort setzte Tevin sich auf die Couch, Teddy auf den Drehstuhl und ich setzte mich auf mein Bett.
„Dürfte ich nun bitte erfahren worum es geht?“, wollte Teivn nach einigen stillen Minuten wissen.
„Es geht um meinen Geburtstag.“, begann Teddy und kam zu mir herüber, um sich neben mich zu setzen. „Eigentlich war er gar nicht so schlecht. Aber dann ist Vilija plötzlich durchgedreht und hat angefangen Whiskey und anderen Kram in sich hineinzuschütten. Sie war ziemlich schnell betrunken, was wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass sie sonst keinen Alkohol trinkt.“
Beschämt saß ich schweigend neben Teddy und wagte es nicht Tevin anzusehen.
„Ich hab versucht sie daran zu hindern, hab ihr die Flaschen und ihren Becher weggenommen. Plötzlich hat sie mich auf die Tanzfläche gezogen und wollte tanzen. Sie war wie ausgewechselt, hat mich befummelt und sich plötzlich das T-Shirt ausgezogen. Ich hab es ihr weggenommen, bevor sie es wegwerfen konnte und es vor ihre Brust gehalten. Dann wollte sie sich sogar ihre Hose ausziehen.“
Ich wurde ein Stück kleiner, sank in mich zusammen. Er hatte mir nie erzählt, was ich alles getan hatte. Ich hatte es eigentlich auch nicht wissen wollen.
„Ich hab sie umgedreht, ihre Hände festgehalten und ihr dann das Shirt wieder angezogen. Dann hab ich sie in mein Zimmer gebracht und ins Bett gelegt, damit sie schläft.“
Einen Moment schien Tevin erleichtert zu sein, spannte sich dann aber wieder an, als er feststellte, dass Teddy noch nicht fertig war.
„Sie war nicht müde.“, fuhr Teddy trocken fort, „Und sie wollte, dass ich sie müde mache.“
Meine Augen weiteten sich.
„Sie hat auf einen Kuss bestanden und hat mich weiter befummelt.“
Ich wurde noch ein Stück kleiner.
„Dann hat sie gemerkt, dass sich bei mir nichts geregt hat. Ich sagte ihr, sie sei wie eine Schwester für mich. Da hat sie wieder gemeckert, dass sie für jeden nur eine Schwester sei. Für mich und... für dich. Nur eine Schwester. Damals wusste ich noch nichts von euch und war verwirrt, weil sie dich erwähnt hat. Dann hat sie das Thema gewechselt, sagte, sie habe Durst und ist wieder runter gegangen.“ Er rieb sich den Nacken, während ich mir wünschte im Erdboden zu versinken. „Eine halbe Stunde war ich also damit beschäftigt sie vom Trinken und vom Ausziehen abzuhalten. Dann habe ich sie irgendwann dazu gebracht sich mit mir auf die Couch zu setzen. Da hat sie dann plötzlich angefangen zu weinen. Einfach so. Im einen Moment war sie am lächeln, hat gelacht und im nächsten... hat sie mich festgehalten und hat so sehr geweint, wie ich es noch nie erlebt habe. Sie hat mir nicht gesagt warum. Sie hat einfach nur geweint. Als sie dann eingeschlafen ist, hab ich sie kurz allein gelassen und die Gäste nach hause geschickt. Dann war ich mit ihr duschen und hab mich mit ihr ins Bett gelegt.“
Ich schluckte hart. „Tut mir leid, Teddy.“, murmelte ich dann, „Ich hab dir deinen Geburtstag versaut. Und ich war dir den ganzen Abend eine Last.“
„Nicht den ganzen.“, warf er ein, „Bevor du angefangen hast zu trinken hatten wir ziemlich viel Spaß.“ Er legte die Arme um mich. „Außerdem war es das mindeste, das ich für dich tun konnte. Dazu sind Freunde doch da, nicht wahr? Erst recht die allerbesten.“
„Warum hat mir niemand etwas davon erzählt?“, wollte Tevin wenig später wissen. „Warum bin ich offenbar der Einzige, der nichts davon wusste, dass meine eigene Schwester so... betrunken war?“
„Ich hab gedacht du wüsstest es.“, entgegnete Teddy, „Aber abgesehen davon... hat auch niemand darüber gesprochen. Die Leute die da waren mögen und kennen Vilija. Nie würde jemand so etwas weiter erzählen.“
„Und warum hat es mir keiner von euch erzählt? Du hättest mich anrufen sollen, Teddy.“ Tevin fuhr sich mit den Händen durchs Haar. „Du sagtest mir an dem Abend sie sei müde und würde schlafen.“
Teddy zögerte ein wenig. „Naja... Bevor sie angefangen hat sich zu betrinken hat sie einen Anruf bekommen, den sie nicht angenommen hat.“ Eine kurze Pause. „Als ich später gesehen habe, dass du das warst, ging ich davon aus, dass Vilija nicht wollte, dass du... Naja... Sie siehst.“
Mein Bruder atmete langsam aus und fluchte leise. „Hast du dich etwa wegen mir betrunken?“, wollte er dann von mir wissen, „Weil du gewusst hast, dass Dad es mir gesagt hat?“
Ich antwortete nicht, hatte Angst ihm ins Gesicht zu sehen. Plötzlich stand Tevin auf und kam herüber. Er kniete sich vor mich und zog mich aus Teddys Armen einfach zu sich herunter auf seinen Schoß. Dann nahm er einfach mein Gesicht, drehte es zu mir und drückte seine Lippen auf meine. Er tat es tatsächlich! Und das obwohl Teddy noch da war und es sah. Sofort begann mein Herz zu rasen und mein Atem stockte.
Doch bevor der Kuss leidenschaftlich wurde, löste er seine Lippen von meinen, bettete meinen Kopf an seiner Schulter und drückte mich an sich.
„Es tut mir leid.“, flüsterte er dann.
Ich war immer noch überrascht darüber, dass er mich vor Teddys Augen geküsst hatte. Vergessen war die Nacht auf dem Geburtstag. Meine Gedanken kreisten alle um das jüngste Ereignis.
Er hat mich vor Teddy geküsst!
„Tev... Ich dachte... Du wolltest doch...“, begann ich zu stottern.
„Du hast es ihm höchstwahrscheinlich schon erzählt.“, murmelte Tevin darauf nur, „Und wenn nicht, dann hättest du ihm so bald wie möglich davon erzählt.“
Ich sah atemlos zu ihm auf. Er zog mich einfach nur etwas enger an sich. Schließlich lehnte ich mich einfach nur an ihn und genoss die Umarmung, während Teddy schweigend auf meinem Bett saß. Plötzlich lachte er leise. Verwundert sahen wir zu ihm auf. Er grinste amüsiert vor sich hin und wiegte sich ein wenig vor und zurück.
„Jetzt haben wir uns alle drei untereinander indirekt geküsst.“, bemerkte er.
Tevin zog einen Moment verwirrt die Brauen zusammen. Dann sah er Teddy finster an. „Du hast sie also doch geküsst.“
Teddy gluckste. „Aber nicht so wie du denkst.“ Er scheint es zu lieben Tevin mit mir zu ärgern. „Ich hab immerhin Gabriela. Ich bin mit ihr glücklich, da werde ich mich nicht an meiner Lieblingsschwester vergreifen.“
Tevins Blick wurde noch finsterer. „Sie ist nicht deine Schwester.“
Nun lachte Teddy leise. „Vielleicht nicht so wie du, da hast du Recht.“ Als er Tevins Blick sah, der noch finsterer wurde, brach er in Gelächter aus. „Oh Himmel!“, rief er aus, „Das mache ich öfter!“
„Recht hat er aber.“, merkte ich an, „Als Bruder kann man dich wirklich schlecht bezeichnen, wenn wir eine Beziehung führen.“, erklärte ich auf Tevins fragenden Blick, „Teddy hat mir nur ein Küsschen gegeben, wie man ihn guten Freunden eben gibt.“
„Und gute Freunde flüstern dir auch zu, dass sie Sehnsucht nach dir hatten, ja?“
Nun lachte auch ich leise. „Irgendwann erfährst du vielleicht, was Teddy mir gezeigt hat.“, entgegnete ich.
„Ich will es jetzt wissen.“, entgegnete Tevin gereizt, „Es hat mir ganz danach ausgesehen, als hätte er sich an dich ran gemacht. Und zwar ganz gewaltig.“
„Das hat er nicht.“, beschwichtigte ich ihn, „Vertrau mir einfach.“
Er seufzte leise. Dann fiel sein Blick auf meine Lippen, bevor er plötzlich das Gesicht verzog. „Heißt das... ich hab Veit auch indirekt geküsst?“
Ich öffnete den Mund, um zu antworten, hielt dann aber inne. „Du hast Diana heute auch geküsst, oder?“
Er hob eine Braue. „Natürlich.“
Ich rieb mir über den Mund. „Igitt.“
„Was hast du denn gegen sie?“
„Ich mag sie nicht.“
„Weil ich mit ihr zusammen bin?“
„Weil sie so ist, wie sie ist.“, entgegnete ich, „Naja, gut. Und auch, weil du mit ihr zusammen bist.“
Er lächelte leicht. „Eifersüchtig?“
„So sehr wie du vor wenigen Minuten.“ Ich zögerte. „Naja, etwas mehr.“
Mit einem Mal erklang der Soundtrack von Saw II, weshalb ich sofort zu Teddy hoch sah, der sein Handy aus der Tasche holte und abhob.
„Ja?“ Er wartete kurz. „Muss das sein? Ich bin grad bei Vivi.“ Kurze Pause, dann ein tiefes Seufzen. „Wenn es sein muss. Ich mach mich auf den Weg. Bis gleich.“ Murrend legte er auf und steckte das Handy ein, bevor er aufstand. Tevin und ich taten es ihm gleich. „Das waren meine Eltern.“, erklärte er, „Unerwarteter Besuch der schrecklichen Zwillinge. Sie will, dass ich sofort nach hause komme.“ Er verzog das Gesicht.
„Verstehe. Wir können ja dann ein andern mal etwas machen. Vielleicht Eis essen gehen oder so. Oder wir gehen ins Kino.“
„Klar. Samstag?“
„Super.“
„Uhrzeit?“
„Wie immer.“
„Okay, ich kümmer mich um den Film.“
„Ich bringe dich noch zur Tür.“
Er winkte ab. „Ich bin hier praktisch zuhause. Lass nur.“ Er umarmte mich nochmal zum Abschied und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. „Gib Tevin einen Kuss von mir und verhütet. Keine Kinder vor der Ehe.“
„Teddy!“
Leise lachend löste er sich von mir und drückte mir noch ein Küsschen auf den Mund. „Wir sehen uns in der Schule. Übermorgen.“ Er wand sich zum gehen.
„Okay. Bis dann. Grüß deine Familie von mir.“
„Mach ich.“, antwortete er an der Tür, lächelte uns noch kurz zu und schloss dann hinter sich die Tür.
Wenige Augenblicke später legte Tevin von hinten die Arme um mich und küsste mich aufs Ohr. „Wie wäre es, wenn wir es uns ein wenig in deinem Bett bequem machen?“
Ich lächelte zu ihm auf, löste mich von ihm und legte mich mit ihm ins Bett, wo er mich sofort wieder an sich zog und einfach festhielt. Ich kuschelte mich an seine Brust.
„Und er hat wirklich nichts versucht?“, fragte er irgendwann plötzlich nach.
Ich lachte leise, sah zu ihm auf und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. „Hat er nicht.“
„Hmmm...“ Er sah auf meinen Mund, legte sanft seine Lippen auf meine, bevor er wieder zu mir aufsah. „Bist du ganz sicher?“
„Hundertprozentig.“
„Ich hab seine Hand aber hier gesehen.“ Er legte mir eine Hand auf den Bauch.
„Er hat mir etwas gezeigt.“
Ein Murren. „Und du wirst mir nicht erzählen was, richtig?“
„Sehr richtig.“ Ich legte ihm die Hände in den Nacken, als er mich auf den Rücken drehte und sich über mich beugte.
„Vielleicht hat er genossen, was er dir gezeigt hat.“
„Hat er nicht.“, entgegnete ich, „Sei unbesorgt und vertrau mir. Teddy will nichts von mir was über Freundschaft hinaus geht.“
Die Hand auf meinem Bauch glitt zu meiner Seite. „Er wäre gern dein Bruder.“
„Ich wäre gern seine Schwester.“
Er hob eine Braue. „Bin ich nicht gut genug?“
Ich lachte leise. „Also... ich weiß ja nicht wie du das siehst, aber ich kenne keinen Jungen, der mit seiner Schwester im Bett liegt und rummacht.“
„Wir machen doch gar nicht rum.“
„Das würdest du aber gerne, oder?“
„Verdammt, ja.“ Seine Nasenspitze stieß leicht an meine. „Das erste mal in meinem Leben bin ich von ganzem Herzen glücklich darüber, dass du nicht meine richtige Schwester bist.“ Ein federleichter Kuss, als wolle er sich langsam heran tasten. „Allerdings ist es etwas neu für mich das alles mit dir zu tun.“
„So? Hört sich an, als hättest du genau das hier schon einmal getan.“
Er grinste. „Nicht exakt dasselbe.“, wich er aus, „Aber mit dir wird es immer etwas anderes sein.“ Noch ein federleichter Kuss, diesmal etwas länger. „Du kennst mich besser als alle anderen. Da muss ich nicht aufpassen, was ich tue oder sage. Du weißt immer, was und wie ich etwas meine.“
„Und bei Diana ist das anders?“
Ein leises Seufzen. „Ich hab geahnt, dass du das fragst.“ Eine kurze Pause, in der sein Mund leicht über meine Wange glitt. „Ja, bei ihr ist das anders. Ich muss möglichst direkt sagen was ich meine, sonst interpretiert sie alles mögliche darein. Bei dir muss ich mir da keine Sorgen machen.“
Ein warmes lächeln. Dann noch ein Kuss, diesmal etwas fester und noch länger als der vorige. Vergessen war das Gespräch. Er löste sich nur noch einmal, nur ganz kurz, um mir in die Augen zu sehen und nochmal zu lächeln. Dann taten wir genau das, was er gerne tun wollte.
Es war schön einfach nur da zu liegen und von ihm geküsst zu werden. Ebenso schön war es, als er sich ganz über mich schob, sodass ich sein Gewicht spüren konnte, seine Wärme. Sein Kuss war erst vorsichtig. Anders, als die vorigen Küsse. Ich wusste, diesmal wollte er bedächtig vorgehen. Er wollte mich nicht einfach küssen, er wollte es richtig tun. Und, bei Gott, er tat es richtig. Mir war bereits schwindelig, als seine Zunge meine Unterlippe berührte. Meine Hand, die sich irgendwann in seinen Schopf gegraben hatte, zog ihn etwas enger an mich. Ich erinnerte mich wage an den Kuss in der Küche, der etwa genauso leidenschaftlich gewesen war, wie dieser hier.
Als er sich eine gefühlte Ewigkeit von mir löste, sagte er etwas, was ich in meinem ganzen Leben nie vergessen würde.
„Ich liebe dich... Vilija. Ich liebe dich.“
Es war nur ein flüstern, doch ich hörte es so deutlich, als hätte er es mir direkt ins Ohr gesagt. Dann küsste er mich bereits wieder... und ich verlor mich in ihm.
Es waren nun zwei Wochen vergangen, seit ich mit Tevin die Beziehung eingegangen war. Veit schien nicht einmal den Hauch einer Idee zu haben, dass es so war und Teddy war wie immer. Jede Nacht hatten Tevin und ich miteinander verbracht, waren Arm in Arm eingeschlafen und genau so wieder aufgewacht.
Dementsprechend positiv überrascht sah ich ihn nun an, als er mir die Neuigkeit überbrachte, die sich bereits in meiner Klasse verteilte.
„Das ist kein Witz, oder? Sag mir, dass das kein Witz ist.“, bat ich ihn.
Er lächelte mich warm an. „Ich mein es Ernst. Unser Lehrer hat uns gerade das OK gegeben. Schon alles organisiert, wir müssen nur noch bezahlen.“
Begeistert schrie ich auf und sprang ihm in die Arme. „Ihr fahrt wirklich mit? Oh Tevin!“
Er lachte sanft über meine Begeisterung und hielt mich fest. „Ja, meine Klasse begleitet eure Klasse.“
„Meinst du, wir dürfen im selben Zelt schlafen? Ich meine, wir sind Geschwister.“
„Ganz bestimmt.“ Er rieb seine Nase lächelnd an meiner, wie wir es früher schon immer getan hatten. „Freust du dich?“
„Und wie! Gott, das ist so schön! Zwei Wochen lang zu Fuß unterwegs und überall Möglichkeiten allein zu sein.“
Er grinste mich an, lehnte seine Stirn an meine. Hätten wir das nicht auch früher bereits getan, wären unseren Mitschüler bestimmt neugierig gewesen.
„Ich kann es kaum abwarten.“, meinte er leise.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie zwei Schüler und neugierig ansahen. Als ich herüber sah, stellte ich fest, dass ich sie nicht kannte. Sie mussten also neu sein. Als sie meinen Blick sahen, liefen sie eilig weiter.
„Glaubst du wir sind zu auffällig?“, fragte ich ihn halblaut und lehnte mich an ihn.
„Wir machen nichts, was wir nicht vorher schon getan haben.“, raunte er zurück und vergrub sein Gesicht in meinem Haar. „Wir tun es nur aus einem anderen Grund.“ Er machte eine kurze Pause. „Da kommt dein Lover.“
„Du klingst ja sehr begeistert.“
„Ich mag ihn immer noch nicht.“
„Und ich verstehe einfach nicht warum.“
Als Veit neben mir auftauchte, löste ich mich von Tevin und ließ mich von ihm in die Arme ziehen und küssen.
„Ich hab da so meine Gründe.“, entgegnete Tevin, als wäre Veit nicht anwesend.
„Zum Beispiel?“, hakte ich nach und sah zu ihm auf, während Veit mich an sich drückte.
„Wie lange kennst du ihn nochmal?“
Ich sah ihn finster an. Tatsächlich war das immer noch ein Punkt über den wir uns stritten. „Fang nicht wieder damit an.“ Mein Blick fiel auf Diana, die hinter ihm langsam zu uns kam. „Dein Bluthund ist im Anmarsch. Es wundert mich, dass sie nicht schon vorher nach dir gesucht hat.“
„Bluthund?“, hakte er nach und sah demonstrativ auf Veit. „Sagt das Mädchen mit der Klette.“, entgegnete er dann amüsiert.
Im nächsten Moment wand er sich bereits an Diana, die in genau dem selben Moment neben ihm auftauchte, als hätte er genau gewusst, wann sie neben ihm sein würde. Er beugte sich lächelnd zu ihr herab und drückte ihr einen Kuss auf den Mund.
„Ich brauche zumindest keine Absätze um größer zu sein.“, murmelte ich vor mich hin und sah zu Veit auf. „Was hast du so gemacht?“, wollte ich von ihm wissen und blendete das Gespräch zwischen Tevin und Diana aus.
„Ach nicht viel.“, entgegnete er, „Ich hab mit Theodore gesprochen.“
Ich hob eine Braue, als er seinen richtigen Namen aussprach. „Theodore?“
„Er sagte, er mag es nicht, wenn ich ihn Teddy nenne. Offenbar bist du die einzige, die das tut.“
„Gabriela, Tevin und ich.“, ergänzte ich, „Und meine Eltern. Ich bin mir sicher, du bekommst das Privileg auch bald.“ Ich legte ihm die Arme um die Schultern. „Wir haben schon Donnerstag.“, bemerkte ich dann.
„Ja, das haben wir.“
Ich biss mir leicht auf die Unterlippe. „Wir fahren schon Montag nach den Ferien los. Ist bei dir schon alles geregelt?“
„Jap. Schade nur, dass ich dich in den Ferien nicht begleiten darf.“
Ich sah es mit gemischten Gefühlen. Einerseits war ich traurig darüber, weil ich ihn so gern hatte. Andererseits freute ich mich, weil nun Teddy mitkommen konnte. Und das hieß, dass ich Zeit mit Tevin verbringen konnte, da Teddy nichts dagegen hatte.
„Es ist schon schade.“, stimmte ich zu, „Aber sehen wir es positiv. Wir sitzen nicht die ganze Zeit aufeinander.“
„Ich weiß, ich weiß.“ Sanft berührten seine Lippen meinen Mund. „Aber ich wäre trotzdem gerne bei dir.“, murmelte er an meinem Mund, bevor er mich innig küsste.
Er vertiefte den Kuss jedoch nicht. Das tat er in der Schule selten und ich konnte auch verstehen warum. Seine Fantasien machten ihn wahnsinnig.
„Wie wäre es, wenn du Morgen zur Abwechslung bei mir übernachtest.“
„Vergiss es!“
Einen Moment blinzelte Veit verwirrt, sah dann aber zu Tevin auf, der ihn finster ansah.
„Glaub mir, Veit, ich werde alles tun, damit sie nicht zu dir kommt, darauf kannst du Gift drauf nehmen.“
„Wie möchtest du sie denn daran hindern?“, wollte Veit darauf wissen, „Willst du sie an ihr Bett ketten?“ Sein Mundwinkel zuckte.
„Wenn es sein muss werde ich sie auch an mich ketten.“
Was ihm wahrscheinlich sogar gefallen würde. „Tevin, jetzt spiel dich nicht so auf.“, meinte ich und verdrehte die Augen. „Es ist doch nur eine Übernachtung.“
Seine Augen verengten sich ein wenig. „Denk nicht mal dran.“
Ich brauchte einen Moment, bis ich begrifft, dass er nicht die Übernachtung meinte. „Mach dir keine Sorgen.“, meinte ich deshalb und lächelte leicht.
Er atmete kurz durch, musterte uns einen Augenblick und wand sich dann aber einfach ab. Diana sah ihn skeptisch mit hochgezogener Braue an.
„Was?“, wollte er wissen.
„Was war das gerade?“
„Sie ist meine Schwester. Ich bewahre sie vor Dingen, vor denen ich sie als Bruder bewahren muss.“
„Als Bruder?“, hakte sie nach.
„Bitte, Diana.“ Er klang leicht genervt. „Deine Vermutung ist totaler Schwachsinn und das weißt du auch. Wir haben schon dutzend mal darüber gesprochen. Welcher Junge geht schon mit seiner Schwester ins Bett? Das ist verboten.“
„Wenn du ihr richtiger Bruder wärst.“
Er schloss die Augen und lehnte die Stirn an ihre. „Wie oft muss ich es dir denn noch sagen? Ich habe nichts mit meiner Schwester. Und ich werde auch nie etwas mit meiner Schwester haben.“
Sie schien nicht zufrieden, jedoch weitestgehend besänftigt zu sein. Dann warf sie mir einen finsteren und eifersüchtigen Blick zu, bevor sie sich auf die Zehenspitzen stellte, Tevin die Arme um den Hals legte und zu sich herunter zog, um ihn demonstrativ leidenschaftlich zu küssen.
Ich zog die Nase kraus, wand den Blick ab und sah zu Veit auf. „Zu Teddy?“, fragte ich ihn.
Er nickte nur.
Als wir gingen hörte ich Tevin hinter mir leise aufstöhnen.
Nur nicht die Kontrolle verlieren. Wenn sie weg ist gehört er dir ganz allein. Vergiss nicht was er gesagt hat. Du bist das wichtigste in seinem Leben, ohne dich könnte er nicht leben. Und er liebt dich.
Ja, dachte ich mir und spürte, wie mir etwas leichter ums Herz wurde. Er liebt mich.
Als ich nach der Schule zu Fuß mit Tevin nach hause ging, schien er immer noch etwas verstimmt zu sein.
„Alles okay?“, fragte ich ihn und griff nach seiner Hand.
Er zögerte ein wenig, seufzte dann aber und verflocht seine Finger mit den meinen. „Mir gefällt es nicht, dass du bei Veit übernachten möchtest.“
„Es ist doch nur eine Übernachtung.“
„Er will dir sicher an die Wäsche oder so.“
Ein Mundwinkel zuckte. „Es passiert schon nichts.“
„Er wird’s trotzdem versuchen. Wahrscheinlich wird er auch versuchen dich zu verführen.“
„Ich hab schon mit ihm gesprochen. Ich sagte ihm, ich bin noch nicht so weit und er respektiert das.“
„Und was war das an dem Abend bei uns?“
Tatsächlich hatte ich die blöde Idee ihm davon zu erzählen. „Ich sagte doch, dass er selbst gemerkt hat, dass ich zu große Angst hatte und deshalb aufgehört hat. Er wird schon nichts dergleichen versuchen.“
„Mir gefällt das trotzdem nicht.“
„Mir gefällt es auch nicht, wenn du bei Diana übernachtest.“, erklärte ich mit einem tiefen Atemzug, „Und ich beschwere mich auch nicht.“
„Mit Diana ist das auch etwas anderes.“
Ich hob skeptisch die Braue. „Warum sollte es was anderes sein? Du gehst mit ihr, ich gehe mit ihm. Es ist die gleiche Situation.“
Er zögerte. „Ich habe ja schon vorher bei ihr übernachtet.“
Nun zog ich die Brauen zusammen. „Ach und wenn ich vorher bei Veit übernachtet hätte-“
„Das hätte ich nicht zugelassen.“
„Tevin, er ist mein Freund. Ich darf doch bei meinem Freund übernachten.“
„Ich kann ihn nicht leiden.“
„Das ist kein Argument.“
„Er will dir an die Wäsche!“
„Und Diana dir nicht?“
Er warf mir aus dem Augenwinkel einen kurzen Blick zu, schwieg aber. Ein ungutes Gefühl beschlich mich.
„Ihr... habt es schon gemacht, oder? Miteinander geschlafen.“
Als er seufzte, zog sich mein Hals zusammen, mein Herz schmerzte ein wenig. Nunja, ein wenig war noch untertrieben. Es tat höllisch weh.
Wortlos entzog ich ihm meine Hand, senkte den Blick und ging eilig vor. Tevin fluchte leise und eilte hinterher.
„Vilija, warte. Ich.... Ich habe nicht mit ihr geschlafen.“, versuchte er zu erklären.
„Und das soll ich dir jetzt einfach so glauben?“, zischte ich und ging kurz darauf die Stufen zu unserer Veranda hinauf, bevor ich das Haus betrat.
„Warte doch.“, bat Tevin und folgte mir, „Ich habe dich nicht angelogen.“
Das Haus war bis auf die Geräusch von Tevin und mir mucksmäuschenstill. Dad war auf der Arbeit und Mom war auf einer Aufführung von Cyntias Klasse. So konnte Tevin mir ungehindert folgen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob man uns hörte oder nicht.
Und er folgte mir bis zu meinem Zimmer. Als ich die Tür hinter mir zuziehen wollte, hielt er sie fest, indem er die Hand um den Rand schloss und daran zog, damit sie offen blieb.
„Bitte, Vilija.“, bat er erneut, „Ich habe wirklich nicht mit ihr geschlafen.“
„Das glaube ich dir nicht.“, entgegnete ich und zog etwas kräftiger an der Tür.
Sie bewegte sich nur wenige Milimeter. Doch mit einem Mal schien Tevin mit den Füßen abzurutschen. Haltsuchend griff er fester nach der Tür, die nun widerstandslos zufiel. Seine Finger wurden zwischen Tür und Türrahmen eingeklemmt und da er von der Wucht mitgerissen wurde, stieß er gegen die Tür, was noch zusätzlichen Druck auf seine Finger ausübte. Ich hörte ein grässliches Knacken, während Tevin aufschrie. Sofort ließ ich die Tür los, woraufhin Tevin seine Hand wegzog und, den Geräuschen nach zu urteilen, zu Boden fiel. Eilig schob ich vorsichtig die Tür auf und sah ihn bewusstlos am Boden liegen. Seine Finger bluteten. Vor Schreck schlug ich die Hand vor den Mund, stürzte zu ihm und besah seine Finger. Die Wunde war tiefer als ich dachte und einige Knochen ganz offensichtlich gebrochen. Wahrscheinlich war er vor Schmerz ohnmächtig geworden. Zumindest vermutete ich es.
„Oh Gott.“ Tränen rannen über meine Wangen. „Was mach ich nur? Oh Gott, Tevin!“ Was mach ich, was mach ich, was mach ich? Ein Arzt, er braucht einen Arzt. „Drew!“
Sofort sprang ich auf und holte mein Handy aus der Tasche. Mom hatte uns gesagt, wir sollen seine Nummer für den Notfall immer im Handy haben.
Er nahm quasi sofort ab.
„Vilija?“, meldete er sich.
„Du musst sofort herkommen.“, begann ich sofort, „Tevin ist verletzt. Es sieht so aus, als seinen seine Finger gebrochen. Und er liegt bewusstlos am Boden. Es war ein Unfall, Drew. Ich wollte es nicht, wirklich.“
„Was ist passiert? Warte mal kurz.“ Er unterhielt sich kurz mit jemandem. „Ich komme mit einem Krankenwagen.“, meinte er dann an mich. Im Hintergrund hörte ich schnelle Schritte. „Erzähl, was ist passiert?“
„Ich hab ihm aus Versehen die Finger in der Tür eingeklemmt. Es war wirklich ein Unfall.“
„Wie hat er sich dabei die Finger gebrochen?“
„Er wollte sie aufhalten, ich wollte sie zuziehen. Ich glaube, er ist mit den Füßen abgerutscht. Dann ist die Tür zugeflogen und er ist dagegen geknallt, weil er noch die Tür festgehalten hat. Seine Finger waren dazwischen.“ Ich kniete mich zu Tevin und legte seinen Kopf auf meinen Schoß, während ich besorgt seine Finger beobachtete. „Er blutet so viel.“
„Wir sind gleich da. Bleib bei ihm, vielleicht wacht er wieder auf. Du sagtest er sei ohnmächtig.“
„Ja. Ich glaube, wegen der Schmerzen.“
„Bist du sicher? Ist er vielleicht mit den Kopf gegen die Tür gestoßen?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht.“
„Und wenn ich mich recht erinnere wird ihm doch immer schwindelig, wenn er sein eigenes Blut sieht, richtig?“
„Ihm wird auch immer ganz schlecht, aber er wird nie ohnmächtig.“
„Ja. Aber es könnte sein... wenn alle drei Faktoren auf einmal auftreten... daran könnte es liegen. Bleib bei ihm.“, wiederholte er, „Ich hab einen Ersatzschlüssel.“
Mom hatte ihn den für den Notfall gegeben. „Okay.“ Ich schniefte. „Ich bleib bei ihm.“
„Gut. Bis gleich.“
Er legte auf... und kam wenige Minuten später mit zwei Sanitätern und einer Liege die Treppe hinauf. Sofort untersuchte er die Hand.
„Okay.“, murmelte er, „Rauf mit ihm und dann ab ins Krankenhaus. Direkt in den OP, ich fahr mit.“
Als sie Tevin auf die Liege hoben, stand ich auf und hielt mich an Drews Arm fest. „Ich wollte das nicht.“, wiederholte ich weinend, „Es war ein Unfall.“
„Ich weiß.“ Er drückte mir einen leichten Kuss auf die Schläfe. „Komm mit. Er wird dich sicher sehen wollen, wenn er später aufwacht.“
Wortlos begleitete ich ihn, als sie Tevin in den Krankenwagen brachten. Dann begann meine Wartezeit. Sie brachten ihn, wie Drew befohlen hatte, direkt in den OP. Außerdem wurden Mom und Dad benachrichtigt.
Eine Stunde später saß ich bei Tevin am Bett und streichelte über das Handgelenk seiner verletzten Hand. Mom sagte, sie käme sobald die Aufführung vorbei sei. Dad kam leider nicht aus dem Büro, weil er noch ein wichtiges Meeting hatte, das er, so sehr er es auch gewollt hätte, leider nicht verschieben oder verpassen konnte. Er würde jedoch sofort kommen, sobald das Meeting vorbei war.
Als die Tür geöffnet wurde, sah ich sofort auf und blickte Drew verweint entgegen. Er schloss leise hinter sich die Tür und kam ans Bett, woraufhin ich mir die Tränen von den Wangen wischte. Die Schuldgefühle saßen tief, ebenso wie der Schock dafür verantwortlich zu sein.
„Mach dir keine Sorgen.“, meinte Drew aufmunternd und legte mir eine Hand auf den Schopf. „Die Finger werden einwandfrei verheilen.“
„Wie groß ist der Schaden?“, wollte ich wissen.
„Sein Zeigefinger, sein Mittelfinger und sein Ringfinger sind am mittlerem Glied gebrochen.“, begann er, „Außerdem ist sein Fleisch bis auf den Bruch offen. Aber mit Schienen, Nadel und Faden konnte ich alles verschließen und richten. Die Brüche sind sauber, nur wenige Knochensplitter haben sich irgendwie gelöst. Ich hab sie alle rausgeholt. In zwei Wochen ist alles verheilt. Man wird kaum was davon sehen können.“
Die Tränen flossen immer noch. „Ich hab das wirklich nicht gewollt.“
„Ich weiß. Ist schon gut.“ Sein Pieper meldete sich. „Ich muss jetzt wieder gehen. Wenn etwas ist, sag der Krankenschwester Bescheid. Sie wird ihm auch ein paar Schmerzmittel geben, wenn er wieder wach ist.“
Ich nickte und wischte mir erneut die Tränen von den Wangen.
„Gut. Ich sehe später nochmal nach ihm. Bis dann.“
„Bis dann.“
Er sah mich nochmal aufmunternd an, drückte mir einen Kuss auf den Schopf und ging dann hinaus. Nur wenige Augenblicke später wurde die Tür wieder geöffnet. Als ich Diana sah, hätte ich beinahe gewürgt.
„Oh mein Gott, Tevin!“, rief sie aus und stürzte zu ihm ans Bett. Dann sah sie mich böse an. „Warum hast du das gemacht?“, wollte sie finster wissen.
„Es war ein Unfall.“, entgegnete ich darauf.
„Oh, ich bitte dich. Du willst ihn doch nur auf dich aufmerksam machen. Ich kann dir sagen, dass das nach hinten losgehen wird.“
„Du tickst doch nicht mehr richtig.“, murmelte ich nur und sah zu Tevin auf.
„Er gehört mir. Du solltest dir das merken. Wenn du dich an ihn ran machst, bekommst du es mit mir zu tun, kapiert?“
„Du würdest sowieso nichts daran ändern können.“, schnappte ich zurück, „Ich verstehe nicht im Mindesten was er so toll an dir findet.“
Sie warf sich die Haare zurück. „Ich bin eben eine Schönheit.“
„Wenn man auf pinke Barbies steht.“
Sie grinste böse. „Nun, Tevin scheint es ja offensichtlich zu gefallen.“
Dieser regte sich langsam und stöhnte leise auf. Sofort sprang ich von dem Stuhl auf auf dem ich gesessen hatte und beugte mich über ihn.
„Tevin?“, hauchte ich und spürte erneut die Tränen in mir aufsteigen.
Im nächsten Moment schob Diana mich zur Seite. „Liebling? Geht es dir gut?“
Er öffnete flatternd die Augen und blinzelte einige Male. „Diana.“, bemerkte er nuschelnd.
„Ich bin da, Liebster. Geht es dir gut? Hast du Schmerzen?“
Er kniff die Augen ein wenig zusammen, blinzelte erneut. „Wo ist... Vilija?“
„Oh, du meinst das Biest, dass dir das angetan hat?“
„Angetan?“, hakte er verwirrt nach, „Wovon sprichst du?“
„Von deiner Hand.“
„Wo ist sie?“
„Deine Hand?“
„Nein.“ Er wurde ungeduldig. „Vilija.“ Er begann sich umzusehen und entdeckte mich beinahe sofort. Erleichtert entspannte er sich. „Zum Glück. Ich hab schon gedacht du wärst zuhause geblieben.“ Vorsichtig kämpfte er sich in eine sitzende Position, woraufhin ich sofort nach den Knöpfen an der Seite des Bettes griff und das Kopfende etwas höher stellte. „Danke.“
Ich lächelte leicht, doch dann begann meine Unterlippe zu zittern. „Tun deine Finger weh? Drew sagt, die Schwester soll dir Schmerzmittel geben.“
„Oh bitte.“, entgegnete er, woraufhin ich auf den entsprechenden Knopf drückte, um eine Schwester zu rufen. „Ist mit dir alles in Ordnung?“
„Du liegst hier mit gebrochenen Fingern im Bett des Krankenhauses und fragst mich wie es mir geht?“
Er hob eine Braue. „Es sind ja nur Finger.“
„Deiner rechten Hand. Wenn es irgendwie schlimmer gewesen wäre- Ich meine-“
„Hey.“, unterbrach er mich sanft, „Komm her.“
Dann brach der Damm. Ich brach in Tränen aus und stürzte mich in seine Arme, die er so gut es ging ausgebreitet hatte. Er hielt mich fest in den Armen, während ich mich an seiner Brust aus heulte.
„Es tut mir so leid.“, weinte ich, „Ich wollte das nicht.“
„Das weiß ich doch. Und es sind nur Finger, Vilija. Es passiert schon nichts. Sie tun zwar höllisch weh, aber das verheilt wieder.“
„Ich weiß. Drew sagt, sie werden einwandfrei verheilen, aber- Es tut mir so schrecklich leid.“
„Ist schon gut.“ Er streichelte mir sanft über den Rücken. „Es ist ja eigentlich nicht deine Schuld.“
„Ich wollte die Tür doch zuziehen. Es ist meine Schuld.“
„Ich hab sie festgehalten. Außerdem hätte ich wahrscheinlich sofort sprechen sollen statt-“ Er unterbrach sich selbst und seufzte leise. „Diana, könntest du uns bitte kurz allein lassen?“
Einen Moment war es gefährlich still. „Vergiss es.“, zischte sie dann plötzlich.
„Ich möchte doch nur kurz mit ihr reden.“
„Das kannst du auch so.“
„Es ist aber etwas privates. Etwas wichtiges privates.“
„Trotzdem werde ich dich nicht mit diesem... Flittchen allein lassen.“
Erneut wurde es still. Tevin war erstarrt, hielt mich aber weiterhin fest an sich gedrückt.
„Was hast du gerade gesagt?“, wollte er dann ruhig wissen.
„Ich sagte,“ Sie schlug einen Ton an, der mir überhaupt nicht gefiel. „dass ich dich nicht mit diesem Flittchen allein lassen werde.“
Er atmete tief durch, hielt einen Moment den Atem an und atmete dann bedächtig wieder aus. „Diana, du weißt, dass ich dich liebe. Aber trotzdem werde ich es nicht einfach so hinnehmen, wenn du Vilija als Flittchen beleidigst.“ Während er sprach wurde er immer lauter, bis er sie schließlich anbrüllte. „Es ist mir vollkommen egal, wie wenig du sie leiden kannst und wie eifersüchtig du auf sie bist, obwohl ich dir, weiß Gott wie oft, gesagt habe, dass da nichts läuft. Solltest du sie noch ein einziges mal derart beleidigen, dann knall ich dir eine, dass dir hören und sehen vergeht!“
Die Stille, die sich im Zimmer ausbreitete war so angespannt wie Tevin, der mich keinen Moment lockerer festgehalten hatte. Seine gesunde Hand hatte sich sogar in mein Oberteil gekrallt, als müsse er sich bereits jetzt zurück halten seine Drohung wahr zu machen. Ich lag einfach nur ganz ruhig an seiner Brust und hörte schweigend weg, als Diana plötzlich begann ihn anzuschreien. Ich hatte das Gefühl, dass es sich eigentlich gut anfühlen müsste, dass sich die beiden nicht so gut verstanden. Doch aus irgendeinem Grund fühlte ich mich schlecht, obwohl ich diesen Streit nicht einmal heraufbeschwört hatte. Tevin hatte nur allein mit mir reden wollen und Diana hatte ihm den Gefallen nicht getan uns allein zu lassen. Konnte ich also sagen, dass ich nicht der Grund für den Streit war?
Plötzlich wurde die Tür geöffnet und die Krankenschwester kam herein.
„Hören Sie bitte auf zu schreien, wir sind hier in einem Krankenhaus. Ich bitte Sie den Patienten nicht mehr als nötig unter Stress zu setzen, das beschleunigt seinen Puls und ist in Verbindung mit den Medikamenten nicht gut für ihn. Wenn Sie also nicht in der Lage sind sich zusammen zu reißen, dann muss ich Sie bitten zu gehen.“ Sie sagte es in einem strengen Tonfall, sah dabei aber eher aus, als wäre es Routine für sie. Als sie Diana jedoch einen strengen Blick zuwarf, wagte diese keinen Einspruch darauf, drehte sich um und verließ einfach das Zimmer. Die Krankenschwester dagegen kam zu uns ans Bett und stellte einen kleinen Becher auf Tevins Tischchen. „Das hier ist ein schmerzlinderndes Medikament. Sollte es gegen die Schmerzen nicht helfen, sagen Sie bitte Bescheid, dann geben wir Ihnen ein anderes. Wie fühlen Sie sich?“
Tevin seufzte tief und ließ mich ein wenig los. „Mir ist etwas schlecht und meine Hand tut wie verrückt weh, aber sonst geht’s mir gut.“
„In Ordnung. Ich sage Dr. Wyler, dass Sie wach sind, damit er sie untersuchen kann. Ihre Eltern haben auch angerufen. Sie sind auf dem Weg hierher.“
„Dankeschön.“
Ohne ein weiteres Wort nickte sie kurz und verließ den Raum. Tevin setzte sich ein wenig weiter auf und griff nach dem kleinen Becher, um das Schmerzmittel zu nehmen. Er verzog das Gesicht, als er es schluckte und stellte dann den Becher zurück, bevor er sich an mich wand.
„Hast du keine Schuldgefühle?“, fragte ich ihn plötzlich, „Weil du sie anlügst, meine ich.“
Er hielt mitten in der Bewegung inne. „Naja... schon... ein wenig.“
Unsicher sah ich auf meine Hände herab. „Ich fühle mich ein wenig unwohl mit dem ganzen.“
„Was meinst du?“, fragte er vorsichtig.
„Es fühlt sich nicht richtig an Veit so zu hintergehen.“ Ich machte eine Pause, sah unsicher auf die Decke. „Ich fühle mich schlecht, weil ich untreu bin. Ich meine, Veit gibt sich solche Mühe und ich...“
Tevin regte sich nicht, gab keinen Laut von sich.
„Ich hab das Gefühl, ich nutze ihn aus, aber das will ich gar nicht. Ich weiß auch nicht, wie lange ich es noch durchhalte. Da sind diese wahnsinnigen Schuldgefühle, weil ich ihm untreu bin. Ich sehe mit an, wie du Diana immer und immer wieder belügst, damit das hier nicht auffliegt und wir zwei streiten uns ständig wegen Veit oder Diana.“ Es sprudelte alles einfach aus mir heraus, obwohl es nichts mit seiner Situation zu tun hatte. „Es ist alles so kompliziert. Ich wünschte, alles wäre einfacher.“
„Soll ich mit Diana darüber reden?“, fragte er leise.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich will nicht der Grund für eure Trennung sein.“
„Dann... möchtest du mit Veit darüber sprechen?“
Ich knabberte an meiner Unterlippe. „Ich will ihn nicht verletzen.“
Es gab nur noch zwei Möglichkeiten. Entweder wir machten weiter wie bisher, oder wir beendeten das, was wir eine Beziehung nannten.
Tevin schluckte. „Willst du damit sagen, dass... dass du... damit aufhören willst?“
„Ich weiß nicht.“, murmelte ich, „Ich glaube schon.“
Ich sah, wie sich seine Gesunde Hand in die Decke krallte. „Du... verlässt mich?“
Mein Mundwinkel zuckte ironisch. „Wir hatten im Grunde doch gar nichts. Wir haben uns geküsst... einander Nähe gegeben... Es war... nicht wirklich ernst.“
„Es ist mir todernst.“ Ich hörte, wie sein Atem ein wenig schneller wurde.
„Sieh mal Tevin. Im Grunde tust du das doch nur, weil du ständig daran denken musst und Diana nicht verlieren willst. Ich bin quasi eine Nebenrolle. Ich... spiele keine so große Rolle.“ Ich habe es gewusst, aber es auszusprechen tat mehr weh, als ich dachte.
„Das stimmt nicht.“, warf Tevin ein, „Du bist wichtig. Ich weiß, es war keine sonderliche gute Lösung eine geheime Beziehung zu führen, aber im Moment war es nun mal die einzige, die mir eingefallen ist. Ich brauche dich.“
„Du hast mich doch. Mehr als alle anderen.“
„Aber... Ich... Es ist nicht genug.“, brachte er hervor, „Ach verdammt. Vilija, ich will mit dir zusammen sein. Wirklich.“
„Aber du kannst dich von Diana nicht trennen.“
Er verzog das Gesicht. „Ich liebe sie.“
Er liebte sie mehr als mich. „Und deshalb denke ich, dass sie die einzige in deinem Leben sein sollte. Sowie Veit der einzige in meinem Leben sein sollte.“ Als ich zu ihm aufsah, stellte ich fest, dass er hilflos und verzweifelt auf die Decke starrte.
„Warum?“, fragte er dann.
„Weil ich einfach nicht damit leben kann deine Beziehung zu zerstören und Veit so zu hintergehen. Das hat er nicht verdient.“
Er schloss die Augen. Ich senkte dagegen kurz den Blick, bevor ich wieder zu ihm aufsah.
„Ich muss jetzt gehen.“, murmelte ich.
Sofort sah er zu mir auf. „Was? Warum?“
„Ich wollte noch mit Teddy reden und morgen gehe ich ja schon zu Veit.“
„Bleib noch, bitte!“
„Warum?“
Er zögerte ein wenig. „Einfach so. Ich möchte nicht allein sein.“
„Mom und Dad kommen doch bald. Und du wirst heute sicher auch noch entlassen.“
„Bitte, Vilija. Verlass mich nicht.“
Ich sah überrascht in sein verzweifeltes Gesicht.
„Ich will dich nicht verlieren.“ Er hatte Tränen in den Augen.
„Ich bin doch immer noch deine Schwester.“, entgegnete ich und wiederholte seine eigenen Worte.
„Es tut mir leid. Bitte. Verlass mich nicht.“
Mein Blick glitt auf die Decke. Überallhin, nur nicht wieder in sein todtrauriges Gesicht. „Ich muss. Ich kann das nicht weiter machen. Veit ist mir wichtig. Und dir ist Diana wichtig.“ Ich hasste es, das auszusprechen. „Wir werden einfach so weiter machen wie vorher.“ Denn das hier hatte ich mir nie gewünscht. „Wir sehen uns später.“
Dann eilte ich hinaus. Ich hörte noch, wie er mich noch darum bat zu bleiben, doch ich ignorierte es und verließ eilig das Krankenhaus. Sobald ich an der Straße ankam, spürte ich die Tränen über meine Wange fließen und machte mich eilig auf den Weg zu Teddy, während ich eifrig seine Nummer eintippte. Beim dritten Tuten hob er ab.
„Ja.“, meldete er sich und lachte kurz.
„Hast du gerade Zeit?“, fragte ich ihn mit belegter Stimme.
Ich konnte regelrecht hören, wie seine gute Laune verschwand. „Alles okay? Was ist passiert?“
„Kann... Kann ich zu dir kommen?“
„Natürlich. Komm nur her. Ich hab Gabriela zu besucht, aber wenn es dich stört...“ Eine Stimme ertönte im Hintergrund. Dann unterhielt Teddy sich kurz, bevor er wieder mit mir sprach. „Okay, sie geht nach hause.“
„Tut mir leid.“
„Ist schon okay. Es stört sie nicht.“
„Sicher?“
„Ja, es ist schon in Ordnung.“
„Okay. Dann bis gleich.“
„Bis gleich.“
Ich legte auf, zog kurz die Nase hoch und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, während ich in den Bus einstieg, der gerade vor mir hielt. Es dauerte etwa eine Viertelstunde, bis ich bei Teddy war. Ich wartete schweigend darauf, dass die Tür geöffnet wurde, als mein Handy plötzlich klingelte. Langsam holte ich es heraus und sah auf das Display. Eine unbekannte Nummer. Ich drückte sie weg. Ich hob generell nicht ab, wenn die Nummern unbekannt waren. Im nächsten Moment öffnete Teddy bereits die Tür und trat beiseite, damit ich herein kommen konnte. Er sah besorgt aus und ging direkt voraus in sein Zimmer. Dort angekommen ließ ich mich einfach in sein Bett fallen, griff nach dem Teddybär, den ich ihm mal geschenkt hatte und drückte ihn an mich, während ich mich seitlich auf das Bett fallen ließ. Teddy setzte sich zu mir und sah weiterhin besorgt auf mich herab.
„Was ist passiert?“, fragte er.
Dann kam es wieder hoch. „Ich hab mit Tevin Schluss gemacht.“ Und ich brach in Tränen aus.
Teddy legte sich hinter mich, legte sanft die Arme um mich und hielt mich einfach fest, während ich weinte. Fünf Minuten später klopfte es an der Tür. Theodores Mutter streckte den Kopf herein.
„Da ist ein Anruf für dich.“, meinte sie an ihren Sohn.
„Ich kann grad nicht.“, entgegnete dieser.
„Bist du sicher? Es ist Tevin.“
„Ich bin mir sicher.“
„Na gut.“ Sie schloss die Tür wieder und ich hörte durch die Tür, wie sie Tevin sagte, Teddy habe gerade keine Zeit. Warum hat er hier angerufen?
Weitere Zehn Minuten später hatte ich mich langsam wieder beruhigt und lag einfach nur in Teddys Armen. Sanft drehte er mich zu sich herum und drückte mich an sich, woraufhin ich mein Gesicht an seiner Brust verbarg.
„Warum habe ich das getan, Teddy?“, fragte ich ihn mit verweinter Stimme.
„Sag du es mir.“
Ich zog die Nase hoch. „Ich hab ihm gesagt, ich wolle Veit nicht hintergehen und seine Beziehung kaputt machen. Ich hab gesagt, ich könne so nicht weiter machen. Ich bin Veit fremd gegangen, Teddy. Nie im Leben wollte ich jemandem fremd gehen.“
„Verstehe. Also hast du mit Tevin Schluss gemacht, ja?“
Ich nickte. „Er liebt Diana. Er liebt sie mehr als mich. Und Veit ist mir wichtig. Außerdem... das zwischen Tevin und mir... war nichts... besonderes. Nichts ernstes.“
Er drückte mich etwas fester an sich. „Es tut mir so leid, Vilija.“
„Weißt du, das schlimmste ist, dass er mich noch gebeten hat ihn nicht zu verlassen. Er wollte all das, weißt du? Er will mit mir zusammen sein. So lange habe ich mir gewünscht, dass er mir das sagt.“
„Aber nicht unter diesen Umständen.“
„Er sagte sogar, dass er mich liebt.“ Ich schnappte nach Luft. „Er hat schon öfter gesagt, dass er mich liebt. Vier mal. Und er will mit mir zusammen sein. Aber er liebt Diana mehr als mich.“
Teddy streichelte mir sanft übers Haar. „Ich werde immer für dich da sein, Vilija.“
Dann begann ich wieder zu weinen. „Oh Teddy. Ich bin so froh, dass ich dich habe.“
Es war mal wieder spät abends, als ich mich entschloss nach hause zu gehen. Wie immer brachte Teddy mich bis vor die Tür.
„Möchtest du noch mit rein?“, fragte ich ihn, wie jedes mal.
Er lächelte leicht. „Heute nicht. Aber nächstes mal. Wir sehen uns ja morgen in der Schule.“
„Okay. Bis morgen.“
Er drückte mir noch ein kleines Küsschen auf den Mund und wartete dann, bis ich hinein gegangen war, bevor er ging. Mit einem schweren Seufzen drehte ich mich um und wollte bereits hoch gehen, als ich Dad in der Wohnzimmertür stehen sah. Schnell sah ich auf die Uhr.
„Ich bin noch pünktlich.“, meinte ich dann und sah wieder zu ihm.
„Ich weiß.“, entgegnete er und atmete kurz durch, „Ich möchte bitte mit dir sprechen.“
Zaghaft kam ich herüber und folgte ihm ins Wohnzimmer, wo wir uns auf die Couch setzten.
„Worum geht es?“, fragte ich vorsichtig.
Es schien, als würde er nach Worten suchen. „Ich denke, ich sollte dir als erstes sagen, dass... also...“ Er stoppte kurz. „Tevin ist zusammen gebrochen.“
Mein Herz setzte ein Schlag aus.
„Es geht ihm gut. Aber er soll bis morgen noch im Krankenhaus bleiben.“
„Was... Warum...“
„Er ist psychisch etwas angeschlagen. Man hat ein paar Tests mit ihm gemacht und festgestellt, dass er offensichtlich Symptome zeigt, die zu Kindern passen, die sehr früh von ihren Eltern verlassen wurden.“ Er zögerte etwas. „Ich habe seinem Arzt von seiner Vergangenheit erzählt. Es scheint als habe Tevin alles sehr stark verdrängt, aber es kommt gerade alles wieder hoch. Sie haben ihm ein paar Medikamente gegeben und morgen sollte er wieder stabil sein.“
„Bin ich der Grund dafür?“ Bitte nicht... Alles nur das nicht.
„Nein. Du hast an nichts Schuld, Vilija. Es ist seine derzeitige Situation. Es wäre früher oder später sowieso passiert. Du... hast es nur etwas beschleunigt. Du liegt Tevin sehr am Herzen.“
Ich liebe dich, Vilija.
„Und das ist das zweite Thema, worüber ich gerne mit dir sprechen möchte. Tevin hat wahnsinnige Angst davor, dass du ihn plötzlich links liegen lässt.“
Ich schluckte hart. Tevin.
Levantin
Stunden zuvor
Hektisch eilte ich durch die Krankenhausflure und suchte Tevins Zimmer. Ich hatte mit dem Schlimmsten gerechnet, als das Krankenhaus plötzlich angerufen hatte. Eine halbe Stunde später war ich bereits etwas erleichterter, dass es nichts allzu schlimmes war. Nun klopfte ich kurz an Tevins Zimmertür, bevor ich öffnete und herein kam. Tevin war allein. Violeta würde aber sicher auch bald kommen.
„Hallo Tevin.“, begrüßte ich ihn, schloss hinter mir die Tür und ging zu ihm herüber.
„Hallo Dad.“, entgegnete er halblaut und... bedrückt.
„Wie geht’s deiner Hand?“, fragte ich ihn besorgt und warf einen Blick darauf.
„Alles in Ordnung. Andrew hat die Knochen geschient und die Wunde genäht. Ich kann wohl auch schon in ein paar Stunden entlassen werden.“ Sein Blick war auf das Fenster gerichtet, als wäre er nicht wirklich hier.
„Was ist los?“
Er schluckte schwer. „Vilija, hat- Wir hatten-“ Erneut schluckte er und kniff die Augen zusammen. „Ich... habe mich in sie verliebt. Aber... ich liebe auch Diana, also... hab ich ihr eine... geheime Beziehung vorgeschlagen. Das war letzte Woche.“
Ich sah überrascht auf ihn herab. Damit hatte ich definitiv nicht gerechnet. Er schien so glücklich mit Diana und hatte nicht den Eindruck gemacht, als wäre er in Vilija verliebt. Wenn ich jedoch genauer drüber nachdachte, erinnerte ich mich daran, wie sie sich in den letzten Tagen immer wieder angesehen hatten und sich wieder überraschend nahe gekommen waren. „Eine geheime Beziehung?“, hakte ich nach.
„Ja. Wir- Nun, genau genommen ich wollte die Beziehung geheim halten... Ich wollte mich nicht von Diana trennen. Also habe ich Vilija gefragt, ob... sie damit einverstanden wäre.“
„Aber Tevin, das... das kannst du doch nicht machen. Du gehst deiner eigenen Freundin fremd und bringst Vilija in eine sehr unangenehme Situation.“
„Ich weiß. Jetzt weiß ich es auch. Ich habe nicht darüber nachgedacht, was es für Folgen haben könnte.“ Er schwieg einen Moment, rang nach Beherrschung und schluckte erneut. „Jedenfalls haben wir es bis heute durchgehalten. Sie hat Veit nicht verlassen und ich habe Diana nicht verlassen. Aber dann... haben wir wieder gestritten. Das haben wir ständig, aber heute... da ist es ein wenig aus dem Ruder gelaufen und dann ist das hier passiert.“ Er deutete auf seine verletzte Hand. „Anfangs konnte ich damit noch leben und hab mich schon in Sicherheit gewagt, dass Vilija es wieder versuchen möchte. Aber dann... Sie hat gesagt, sie könne das nicht weiter machen. Sie kann Veit nicht hintergehen und meine Beziehung zerstören.“ Tränen rannen aus seinem Augenwinkel an seinem Gesicht herab. „Ich möchte mit ihr zusammen sein. Das will ich unbedingt, aber... sie hat mich verlassen. Ich hab gedacht, sie würde bei mir bleiben, komme was wolle, aber sie hat mich verlassen.“
Ich seufzte tief und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Versuch dich in ihre Lage zu versetzen, Tevin. Es mag sein, dass Veit ihr wichtig ist. Vielleicht liebt sie ihn auch ein wenig.“
Er riss die Augen auf und sah mich entsetzt an. Ich drückte seinen Arm.
„Ich sagte ein wenig. Ein wenig ist nicht die Welt. Wie gesagt, mag das vielleicht sein. Und ganz sicher liebt sie dich noch von ganzem Herzen, aber... fremd zu gehen ist etwas falsches. Du betrügst den Menschen, den du liebst und dem du eigentlich nur gutes wünschst. Vilija kann das einfach nicht. Ich bin erstaunt, dass sie überhaupt zugesagt hat, aber wie du weißt, war der Absturz darum umso größer. Glücklicherweise seid nur ihr beide die Verletzen. Schlimmer wäre es gekommen, wenn Veit und Diana auch noch davon erfahren hätten.“
Er verzog das Gesicht.
„Vilija hat sich etwas ganz anderes erhofft, wünscht sich auch etwas völlig anderes. Das weiß ich, ohne mit ihr darüber zu reden. Sie wünscht sich eine Beziehung mit dir ganz allein ohne Einschränkungen. Und du hast sie zu... einer Art Konkubine gemacht. Sie war für dich gut, aber nicht gut genug, einfach nur die zweite Wahl und das verletzt sie. Das möchte sie Veit nicht auch antun, weil er es ganz offensichtlich ernst mit ihr meint.“
Seine Hand begann zu zittern. „Ich will das nicht.“, meinte er, „Ich will nicht, dass sie ihm gehört. Ich hab Angst, dass er sie mir wegnimmt.“
„Das kann er nicht. Vilija ist trotz allem immer noch deine Schwester und-“
„Aber wenn sie alt genug ist, kann sie ausziehen.“, unterbrach er mich und sah leidend zu mir. „Ich will sie nicht verlieren.“
„Irgendwann muss du sie loslassen.“
„Nein! Ich kann nicht.“ Seine Hand krallte sich in die Decke. „Sie ist der einzige Mensch, der mich versteht. Der einzige Mensch, bei dem alles einfach... einfach und richtig ist.“
„Und trotzdem zieht du Diana ihr vor. Und ab da musst du eine Grenze ziehen. Du liebst Diana, du bist mit ihr zusammen. Sie ist das Mädchen die du ausgesucht hast. Vilija ist deine Schwester, für dich die zweite Wahl, das kleinere Übel. Sie ist für dich ein wichtiger Mensch, aber du zeigst, dass Diana dir wichtiger ist. Dann musst du Vilija auch dementsprechend ziehen lassen.“
„Ich kann sie nicht gehen lass, Dad. Ich kann nicht.“
„Tevin, du musst. Wenn du dich nicht für sie entscheidest, dann musst du sie gehen lassen.“
Er begann zu weinen. „Ich kann nicht. Ich will nicht. Bitte.“
„Dann musst du Diana verlassen. Du musst dich für eine von beiden entscheiden.“
Er schüttelte den Kopf. Es überraschte mich, wie kindlich diese Geste war. Mit einem Seufzen schloss ich die Augen.
„Tevin-“
„Ich kann sie nicht gehen lassen.“, unterbrach er mich sofort. Sein Atem ging schnell, seine Hand krallte sich fester in die Decke.
Ich atmete langsam aus und drückte sanft seinen Arm. „Warum?“
„Ich... habe Angst davor. Wenn sie mich verlässt... stehe ich wieder ganz allein da.“
„Aber du hast doch Violeta, mich und Diana.“
Er schüttelte den Kopf. „Das ist nicht das gleiche. Vilija ist für mich wie ein Licht, wie eine Kerze in einer riesigen dunklen Höhle.“
Das einzige, was ihm Halt gibt.
Ein wenig verwirrt hörte ich weiter zu.
„Wenn die Kerze gelöscht wird...“ Er zögerte. „Dann stehe ich ganz allein im Dunkeln da. Im Nichts.“
Er hat Angst im Dunkeln.
Deshalb hatte er angefangen bei Vilija zu übernachten. Nun machte das langsam Sinn. Einfach alles. Vilija war wahrscheinlich das einzige Kind in seinem Alter auf dem Flughafen gewesen. Von Erwachsenen verlassen war sie wahrscheinlich die einzige, von der er dachte, er könnte ihr vertrauen. Das war ihm vielleicht nicht bewusst. Später dann hatte er mit in ihrem Bett geschlafen, war immer bei ihr geblieben. Weil er Angst hatte allein zu sein. Weil er Angst hatte verlassen zu werden.
„Ruh dich ein wenig aus.“, meinte ich irgendwann an ihn, „Ich werde eben mit deinem Arzt sprechen.“
„Sprichst du mit Vilija?“, bat er mich dann, „Sag ihr, dass sie mich nicht verlassen darf. Bitte.“
„Ich werde mit ihr reden.“
Vilija
Heute
Wie erstarrt saß ich neben meinem Vater und dachte über das nach, was er mir soeben gesagt hatte. Ich habe gewusst, dass Tevin Angst hatte mich zu verlieren, doch das es so schlimm war, hätte ich nicht einmal zu träumen gewagt.
„Verstehst du, wie wichtig du ihm bist?“, fragte Tėtis mich.
Eine Kerze in einer riesigen dunklen Höhle.
„Ja.“, antwortete ich, plötzlich heiser geworden. „Aber... Warum? Ich meine... Mir ist klar, dass er mich liebt. Aber trotzdem hat er sich für Diana entschieden. Wie kann ich ihm dann so wichtig sein?“
„Das ist ein Aspekt, den ich auch nicht so ganz verstehe. Vielleicht ist die Liebe, die er zu dir empfindet, eine andere als die, die er für Diana empfindet.“
„Du meinst... er liebt mich nicht in diesem Sinne?“
„Nicht im selben wie Diana zumindest. Es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass er selbst nicht weiß, was genau nun die wahre Liebe ist. Aber ebenso besteht auch die Wahrscheinlichkeit, dass er es doch weiß, aber diese beiden Arten von Liebe nicht unterscheiden kann, sondern sich nur der Intensität bewusst ist. Verstehst du, was ich meine?“
„Ja. Es ist ähnlich wie bei Teddy und mir. Er dachte auch er wäre in mich verliebt, aber es ist nur sehr tiefe Zuneigung auf freundschaftlicher Ebene, die er mit Liebe verwechselt hat.“
„Es ist nicht ganz das gleiche. Was bei dir und Theodore besteht könnte durchaus noch zu Liebe werden. Was Tevin aber für dich empfindet ist weitaus tiefer. Es ist ihm selbst nicht bewusst wie tief und was er empfindet. Wie du selbst weißt, war er bis vor wenigen Wochen noch fest davon überzeugt, dass du für ihn nur eine Schwester bist.“
Ich verzog ein wenig das Gesicht.
„Für mich scheint sein Gefühl zum Teil aus grenzenloser Verehrung zu bestehen. Du warst da, als er niemanden hatte. Du warst immer da. Du warst selbst dann da, wenn ihr euch gestritten habt. Immer.“
Ein schweres Schlucken meinerseits. „Ist... Tevin... geisteskrank?“
„Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Er empfindet nur etwas, was er nicht versteht. Und solange er es nicht versteht, können wir es auch nicht verstehen. Außerdem wird er wahrscheinlich eine Therapie machen. Aber es gibt da etwas, um das ich dich bitten möchte. Ich verstehe es vollkommen, wenn du es nicht tun kannst, aber ich möchte es dir wenigstens sagen.“
„Was? Hilft es ihm?“
„Es wird ihm helfen. Du musst nicht sehr viel tun, ich möchte nur, dass du...“ Er zögerte. „Wie bereits gesagt hat Tevin Angst dich zu verlieren.“
„Aber er wird mich nicht verlieren. Ich könnte ihn nie endgültig verlassen.“
„Das habe ich nie behauptet. Ich möchte nur, dass du versuchst Tevin zu geben was er braucht.“
Ich möchte, dass du mir ab jetzt sagst, was du gern hättest.
Es war Wochen her, dass Tevin mir das gesagt hatte. Wie könnte ich ihm etwas verweigern, um das er mich gebeten hatte? Allerdings... „Ich kann ihm wahrscheinlich nicht alles geben.“
„Ich weiß. Und das werde ich auch nicht verlangen. Ich verlange gar nichts. Ich bitte dich nur es zu versuchen. Wenn es nicht geht, rede mit mir, ich werde mit Tevin reden. Wenn du möchtest, setzen wir uns auch zusammen. Okay?“
Ich nickte.
„Gut. Jetzt rede du mit mir. Dir geht es schlecht, nicht wahr?“
„Ja. Ich... Ich liebe Tevin. Von ganzem Herzen.“
Er nickte. Das wusste er bereits.
„Und doch habe ich Schluss gemacht. Es fühlt sich so widersprüchlich an. Ich habe das aufgegeben, worum ich so gebeten habe.“
„Nein.“, widersprach Dad, „Du hast das aufgegeben, was dir weh getan hat. Du hattest nie, worum du gebeten hast. Du wünschst dir mit Tevin eine Beziehung zu führen, oder nicht?“
„Ja.“
„Was für eine Beziehung?“
„Eine... ganz normale Beziehung.“, antwortete ich verwirrt.
Er nickte erneut. „Weitere Partner schließt das aus. Auf beiden Seiten. Es war nicht das, was du wolltest. Es sah dem nur ähnlich. Du hast nichts falsche gemacht, Vilija. Du hättest vielleicht nicht sofort zustimmen sollen, aber du hast nichts falsch gemacht. Du bist wahrscheinlich mit falschen Erwartungen daran gegangen.“
Ich atmete tief durch. „Das ist alles so kompliziert.“
Er lachte leise. „Ich weiß. Aber es wird bald ein wenig besser. Jetzt geh ins Bett.“
Mit einem Nicken stand ich auf und ging in den Flur.
„Ach und, Vilija?“
Ich trat an die Wohnzimmertür. „Ja?“
„Muss ich mit Veit reden? Wegen morgen?“
Röte stahl sich in mein Gesicht. „Nein. Es ist alles in Ordnung.“
„Ihr werdet nicht den selben Fehler machen wie Violeta und ich.“
Ich wurde noch roter. „Nein.“
„Gut. Gute Nacht.“
„Schlaf gut.“
Mit diesen Worten wand ich mich endgültig ab und ging eilig hinauf.
Als ich am nächsten Tag in die Schule kam, wartete Teddy am Eingang auf mich und lächelte mich an.
„Guten Morgen, Sonnenschein.“, begrüßte er mich lächelnd.
„Morgen Teddy.“
„Wo sind denn Veit und Tevin?“
„Tevin wurde noch nicht entlassen. Das erkläre ich dir später. Was mit Veit ist weiß ich nicht, er war nicht im Bus.“
„Mmmmh... verstehe. Wie war es gestern noch?“
Ich seufzte tief. „Wie kommt es, dass du es schaffst die Themen, die ich später mit dir besprechen möchte, genau dann anzuschneiden, wenn ich es verschiebe?“
Er grinste mich an. „Ich habe zwar keine Ahnung was du meinst, aber ich finde es gut.“
Lachend schlug ich ihm gegen die Schulter. „Es war ganz... passabel. Dad hat mit mir gesprochen.“
„So? Worum ging es?“
„Um Tevin natürlich.“ Ich seufzte. „Dad sagt, er hat wahnsinnige Angst davor, dass ich ihn verlasse.“
„Aber du hast ihn doch verlassen.“
„Nicht diese Art. Ich habe mich von ihm... getrennt. Aber ich bin ja immer noch für ihn da. Er hat Angst, dass ich ihn endgültig verlasse. Obwohl wir im selben Haus wohnen und unsere Zimmer direkt nebeneinander sind, bin ich in der Lage mich vollkommen von ihm abzuschotten. Ich brauche im Grunde nicht mehr als meinen Zimmerschlüssel und eine Portion Ignoranz und das weiß er auch.“
„Dann ging es ihm tatsächlich nur deshalb so schlecht, weil du ihn... ignoriert hast?“
„So sieht's aus.“, stimmte ich zu, „Dad sagt, Tevin ist zusammen gebrochen. Nach einigen Tests im Krankenhaus. Teddy, er beschreibt mich als ein Licht in einer riesigen dunklen Höhle. Abgesehen von mir ist nur er in der Höhle. Und Tevin hat Angst im Dunkeln.“
Teddy blinzelte überrascht. „Wow. Dann bist du ihm ja wirklich richtig wichtig.“
„Ich war ja wirklich immer da, wie Dad sagt. Seine Eltern haben ihn verlassen... Es war zu seinem eigenen Schutz, aber sie haben es getan. Und dann... hat er mich gesehen, weißt du? Er... hat mir vertraut, weil ich in seinem Alter war. Weil ich nicht erwachsen war. Und wie er erwartet hat, war ich der Schlüssel, den er gesucht hat. Ich habe ihn nie allein gelassen. Er war immer bei mir.“
„Du bist also etwas wie... ein Teil seiner Existenz?“
„Das wäre etwas hart ausgedrückt, denke ich.“
„Also ich finde, das passt gut. Und es klingt irgendwie romantisch.“ Er grinste mich an.
„Das ist ein ernstes Thema.“
„Ich weiß. Also... was ist deine Rolle?“
„Ihm so viel geben, wie ich ihm geben kann.“
„Das... ist... krass. Du hast dich...“ Er sah sich kurz um. „Du hast dich gerade erst von ihm getrennt und dann... musst du ihm trotzdem alles geben? Weiß dein Vater Bescheid?“
„Ja, Tevin hat ihm alles erzählt.“
„Danach hat Levin ihm sicher noch ins Gewissen geredet.“
„Wahrscheinlich.“ Ich atmete kurz durch und bemerkte Diana, die ein paar Meter entfernt wartete. „Sie hat mich gestern als Flittchen bezeichnet.“, bemerkte ich plötzlich.
„Hm? Was? Wer?“ Verwirrt folgte er meinem Blick und entdeckte Diana. Dann drehte er sich wieder zu mir um. „Sie ist nur eifersüchtig.“
„Weh getan hat es trotzdem.“
„Nimm es dir nicht zu Herzen. Oder ist noch etwas passiert?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Tevin hat sie danach angeschrien und dann haben sie sich gestritten, bevor sie von der Krankenschwester rausgeworfen wurde.“
„Sie hat es in Gegenwart von Tevin gesagt?“
„Ja.“
„Ich hab gedacht, sie hätte wenigstens ein bisschen im Kopf.“, murmelte er.
Ich kicherte. „Da ist ja wieder jemand sehr freundlich.“
„Für dich immer.“
„Charmeur.“
„Ich geb mir alle Mühe. Läuft das jetzt eigentlich mit der Orgie?“
„Teddy!“ Ich schlug ihm gegen die Schulter, woraufhin er mich lachend in die Arme zog.
„Ich hab dich auch lieb, Vivi.“
„Du bist ein Idiot.“, lachte ich.
„Deshalb liebst du mich doch.“
„Vollidiot.“
„Liebeshäppchen.“
Ich lachte noch mehr. Wenig später kam der nächste Bus und Veit traf zu uns. Er lächelte mich warm an, zog mich an sich und gab mir einen langen Kuss, bevor er meine Hand nahm.
„Guten Morgen.“, begrüßte er mich gut gelaunt.
„Guten Morgen.“
„Der Tyrann von einem Bruder nicht da?“
Ich boxte ihn leicht. „Nein. Er liegt im Krankenhaus.“
Sofort verschwand das Lächeln. „Warum?“
„Wir... hatten einen Unfall... und er ist zusammen gebrochen. Später. Deshalb sollte er bis heute dort bleiben. Mein Vater holt ihn um 9 Uhr ab, dann bringt er ihn her.“
„Verstehe. Was war das für ein Unfall?“
Ich seufzte leise. „Ich habe ihm aus Versehen die Hand zwischen meiner Zimmertür eingeklemmt und ihm dabei drei Finger gebrochen und alle drei noch schwer verletzt.“
Er blinzelte überrascht. „Erinnere mich daran, dass ich dich nie wütend mache.“
„Das war ein Unfall!“
Er grinste mich an und gab mir noch einen Kuss, bevor er mich an der Hand sanft auf den Schulhof zog. „Heißt das, er ist in der Pause wieder da?“
„Ja, warum?“
„Ich werde jede Minute eingehend mit dir verbringen, solange er nicht da ist, um dich für sich zu beanspruchen.“
Ich lachte leise. „Hat er doch gar nicht. Du hast doch jede Pause mit mir verbracht.“
„Trotzdem werde ich die Zeit mit dir allein jetzt genießen.“ Wieder zog er mich an sich und küsste mich ein weiteres mal. Er ignorierte sogar Teddys Kommentare und küsste mich so lange, bis wir in den Unterricht mussten.
In der Pause stand ich mit Veit, Teddy und Gabriela auf der Wiese und unterhielt mich lachend mit ihnen, bis Teddy, der mir gegenüber stand, plötzlich etwas hinter mir entdeckte und verstummte.
„Dein Bruder ist da.“, bemerkte er dann und blinzelte etwas.
„Er sieht aus, als sei er ziemlich durch den Wind.“, fügte Gabriela hinzu.
„Außerdem ist er direkt auf dem Weg hierher.“
Keine zehn Sekunden später packte Tevin mich am Handgelenk und zog mich hinter sich her.
„Ich muss mit dir sprechen.“, meinte er einfach nur und beachtete die anderen gar nicht erst.
Er zog mich in eine Ecke des Schulhofes, in der nicht so oft Schüler waren und wo man auch nicht sehr schnell gesehen wurde. Dort sah er sich schnell um, drehte sich zu mir und riss mich einfach in seine Arme. Sein Herz raste und sein Atem ging hektisch, obwohl er sich kein bisschen angestrengt hatte.
„Tevin, geht es dir gut?“, fragte ich ihn besorgt.
„Es tut mir leid.“, brachte er statt einer Antwort hervor, „Es tut mir alles leid. Bitte... verlass mich nicht. Bitte.“ Er drückte mich so fest an sich, dass es fast weh tat und ich etwas schwerer Luft bekam. Dennoch ließ ich es über mich ergehen und lehnte mich sogar ein wenig an ihn.
„Tevin, du musst-“
„Bitte“, unterbrach er mich sofort, als hätte er Angst, ich könnte ihn abweisen. „Bitte nicht. Ich brauche dich. Ich- Ich liebe dich. Verlass mich nicht, Vilija. Bitte.“
„Ich... werde dich nicht allein lassen.“
Die Anspannung in seinem Körper ließ nicht annähernd nach.
„Ich werde Veit nicht verlassen.“, erklärte ich vorsichtig und legte ihm eine Hand auf den Oberarm. „Ich werde keine Beziehung mit dir führen.“
Sein Atem stockte. „Vilija-“
„Du bist mit Diana zusammen.“, unterbrach ich ihn, „Ich werde nicht mit dir zusammen sein, wenn du mit ihr zusammen bist.“
Er regte sich nicht. Nicht einmal ein bisschen.
„Tevin?“
„Wenn ich mit ihr Schluss machen würde...“, hob er langsam an, „Würdest du dann... mit Veit Schluss machen? Würdest du mit mir zusammen sein wollen?“
„Nein.“
Er zuckte zusammen. „Warum?“
„Du weißt, dass ich auf dich gewartet habe. Ich habe darum gebeten, dass du mir so ein Angebot machst. Eine Beziehung mit dir war mein größter Wunsch. Ich habe mich damit abgefunden sie nicht zu bekommen und bin nun mit Veit zusammen. Und ich bin ganz glücklich mit ihm.“ Soweit es ohne Tevin ging. „Er ist mit mir zusammen, obwohl er weiß, dass ich ihn nicht von ganzem Herzen liebe und es auch nie tun werde. Ich möchte ihn nicht verletzen. Die Zeit, in der wir die geheime Beziehung hatten, hat mir klar gemacht, dass Diana dir nun mal wichtiger ist als ich.“ Obwohl du Dad, und dieser dann mir, davon überzeugt hast, dass ich dir doch wichtiger bin, als Diana. „Du liebst sie. Offensichtlich mehr als mich. Ich möchte dich nicht von jemandem trennen, der dir wichtiger ist als ich.“
Ich wusste, dass es nicht stimmte, was ich sagte. Dass ich ihm wirklich wichtiger war als Diana. Doch an der Art wie er immer an Diana gehangen hatte, hatte jeder, ohne Ausnahme, sehen können, dass sie ihm wichtiger war als ich. Ohne das Gespräch mit Dad war ich genau davon überzeugt. Also sprach ich so mit ihm, wie er seine Gefühle zeigte.
Diana kam an erster Stelle. Dann kam ich.
Also kam Veit bei mir an erster Stelle. Auch wenn es weh tat.
„Vilija, du bist mir hundert mal wichtiger als Diana.“ Als Tevin das sagte, war seine Stimme traurig, rau und bedrückt, als würde er dutzende Gefühle unterdrücken und sich nicht trauen auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen. „Tausendmal wichtiger. Ich kann nicht sagen, wie wichtig du mir bist. Diana reicht nicht einmal ansatzweise daran heran.“
„Trotzdem ist sie bei dir immer an erster Stelle.“, entgegnete ich erfahrungsgemäß.
„Nein.“, widersprach er schnell, „Bei allem was ich tue, wenn es um sie oder dich geht, versuche ich es so zu handhaben, dass du bei mir bist. Bisher war mir nur nicht klar, dass ich dich auch als Schwester verlieren kann.“
Ich schüttelte den Kopf. „Aber das tust du doch nicht. Ich könnte dich nie vollständig verlassen. Du bist ein Teil meines Lebens, Tevin. Du bist ein Teil meiner Vergangenheit, meiner Gegenwart und wirst auch ein Teil meiner Zukunft sein, das verspreche ich dir.“
Er vergrub sein Gesicht in meinem Haar. „Das reicht mir nicht. Du gehörst mir. Ich... Ich will nicht, dass du mit Veit zusammen bist. Ich bin es, mit dem du zusammen sein solltest.“
Das so direkt aus seinem Mund zu hören war eine Überraschung für mich. Was soll ich nur tun?
„Tevin, ich... ich... Ich kann nicht.“ Zaghaft versuchte ich mich von ihm zu lösen.
Sofort zog er mich verzweifelt an sich, ließ mich nicht gehen.
„Lass mich bitte los.“, bat ich ihn und begann mich ein wenig zu winden.
„Warte, Vilija. Bitte, ich... muss nachdenken.“
„Ich kann das wirklich nicht tun, Tevin. Veit bedeutet mir etwas.“
„Warte. Still, ich... Sag sowas nicht.“
„Es geht wirklich nicht.“
„Still. Ich muss... nachdenken.“
Etwas verwirrt tat ich ihm diesmal den Gefallen und wartete, während er offenbar nachdachte. Dann schien ihm etwas klar zu werden. „Es ist egal, was ich tue, oder? Du wirst... Veit vorziehen, richtig?“
Ich schluckte hart. „Ja.“
Seine Reaktion war ein Geräusch, das sich anhörte, als hätte man ihm gerade in die Magengrube geschlagen. „Ich will das nicht. Vilija, bitte... ich tue alles.“
Verlockendes Angebot, aber... Ich schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Dann... Werde ich...“ Er schwieg eine Weile, schien mit sich selbst zu ringen. „Ich werde Diana verlassen.“
„Was?“ Überrascht sah ich zu ihm auf.
„Ich werde sie verlassen. Und dann werde ich um dich kämpfen.“
Meine Augen wurden groß. Dann wurden sie noch größer, als er sich herab beugte, um mich zu küssen. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, dass mein Herz begann schneller zu schlagen und mein Atem sich beschleunigte. Meine Augenlider wurden schwerer, ich schmolz dahin. So kam ich irgendwie nicht umhin den Kuss zu erwidern. Tevin seufzte auf, legte mir eine Hand in den Nacken und küsste mich leidenschaftlicher. Wie eine Süchtige krallte ich meine Finger an seinem Rücken in sein Oberteil und drückte mich an ihn, während ich mich auf die Zehenspitzen stellte, um ihm noch etwas näher zu kommen. Eine große Hand legte sich warm auf meinen Hintern. Die andere glitt ebenfalls herab und glitt unter mein Shirt. Mein Atem stockte als er meine Haut berührte, doch die Hand glitt nicht höher als bis zu meinem Bauch, von dem sie dann über meine Seite zu meinem Rücken glitt und wieder zurück.
Es schien mir, als hätten wir uns bereits eine Ewigkeit geküsst, als ich plötzlich ein Luftschnappen hörte, woraufhin jemand zischend dem Atem ausstieß. Tevin schien es nicht gehört zu haben und küsste mich einfach weiter.
Soll ich es auch einfach ignorieren?
„Tevin!“
Ich zuckte bei Evelyns tadelndem Schrei zusammen und löste mich von Tevin, der ebenfalls überrascht aufsah und zu seiner besten Freundin sah.
„Ev.“, kam es ihm verblüfft über die Lippen.
„Was tust du da?“, wollte sie von ihm wissen und deutete auf mich.
„Ich...“ Er sah auf mich herab und dann wieder zu ihr auf. „Ich hab dir doch alles erzählt.“
„Ja, aber- Du kannst doch nicht einfach auf dem Schulhof mit ihr rummachen. Was ist, wenn Diana es sieht? Hast du etwa vergessen, was sie macht, wenn du ihr fremd gehst?“
Tevin presste die Lippen aufeinander und ließ den Blick ein wenig gleiten, bis er wieder bei mir ankam. Dann sah er wieder zu Evelyn auf. „Ich habe vor mit ihr Schluss zu machen.“, erklärte er ihr dann.
Nun tauchte hinter ihr Teddy auf, der sich suchend umsah. Als er mich erblickte hob er überrascht die Brauen. „Aha.“, bemerkte er, „Mit ihr reden, ja?“, neckte er Tevin.
„Was willst du denn jetzt auch noch hier?“, wollte Tevin etwas verärgert wissen und zog die Brauen zusammen als er Gabriela hinter ihm sah.
„Ich hab Vilija gesucht. Fummelst du an ihr herum?“
Tevin war einen Moment etwas verwirrt, zog dann aber die Hand unter meinem Shirt fort und legte sie auf meine Hüften, drückte mich aber weiterhin leicht an sich.
„Warum suchst du mich?“, wollte ich von Teddy wissen.
„Naja... Diana hat nach dir gefragt, weil sie Tevin noch nicht gesehen hat.“ Sein Blick glitt prüfend über uns zwei. „Ihr hattet ziemlichen Spaß, oder?“
Ich warf ihm einen finsteren Blick zu.
„Warum hast du vor Diana zu verlassen?“, ging Evelyn dazwischen und sah Tevin fragend an.
Dieser seufzte tief und legte das Kinn auf meinen Schopf. „Für Vilija.“
„Hey, warte mal.“, warf ich ein und trat einen Schritt von ihm weg. „Ich hab gesagt, ich will nicht der Grund für eine Trennung sein.“
„Du willst mit ihr Schluss machen?“, hakte Teddy nach, „Bist du wahnsinnig? Sie macht Hackfleisch aus dir.“
„Ich werde mit ihr Schluss machen.“, meinte Tevin darauf, „Wenn das der einzige Weg ist, um mit Vilija zusammen zu sein-“
„Ich habe dir bereits gesagt, dass ich dann nicht mit dir zusammen sein will.“, entgegnete ich und hob abwehrend die Hände, als er mich wieder an sich ziehen wollte. „Nein. Ich werde nicht der Grund für die Trennung sein, verstanden?“
„Dann sag ich ihr etwas anderes.“
„Werde nicht noch zum Lügner!“ Ich stemmte die Hände in die Hüften. „Du wolltest sie haben, statt mich. Jetzt hast du sie.“
„Aber ich will dich.“, warf er ein, „Das sage ich dir doch die ganze Zeit.“
„Zu spät. Ich bin glücklich mit Veit.“
„Aber du hast doch-“
„Es war ein Fehler, Tevin.“, unterbrach ich ihn verzweifelt, „Der ganze geheime Kram... ein Fehler. Das hätten wir nicht tun dürfen.“
Ich wusste nicht, was ich nun von ihm erwartet hatte, doch er blieb einfach nur still stehen und starrte mich stumm an. Ich konnte sehen, dass er die Zähne zusammen biss. Außerdem ballte er die Hände zu Fäusten. Dann entspannte er sich wieder und sein Gesicht schien irgendwie blass zu werden. Einen Moment kniff er die Augen zu, sah dann aber zu Boden. Letzten Endes drehte er sich einfach weg und ging ohne ein weiteres Wort davon.
Ich hatte ihn ernsthaft verletzt.
„Teddy?“
Er erkannte bereits an meiner Stimme, welch ein Kummer das bei mir auslöste und eilte sofort zu mir, um mich in seine Arme zu ziehen. „Ist schon gut.“, tröstete er mich und dirigierte meinen Kopf an seine Brust, während ich mich einfach nur an ihn lehnte und die Augen schloss. „Ich bin da.“
„Was habe ich getan?“ Hatte ich nicht vor ihm so viel zu geben, wie ich konnte? Tja... das habe ich ja gut hingekriegt.
„Du hast ihm einen eindeutigen und ziemlich dicken Korb gegeben.“
„Tut es immer so weh?“
Er lehnte seine Wange an meinen Schopf. „Nur, wenn man die Person eigentlich liebt. Oder wenn man sie sehr gern hat, aber dann ist der Schmerz nicht annähernd so groß.“
„Was mache ich nur?“
„Was hast du denn vor?“
„Ich weiß es nicht. Ich.. Ich übernachte heute bei Veit.“
„Okay.“
„Ist es falsch?“
„Aber nein.“ Er rieb mir aufmunternd über Rücken und Schultern, wobei mir auffiel, wie kalt mir plötzlich war. „Nein. Er ist dein Freund. Du kannst so oft bei ihm übernachten, wie es dir beliebt. Du musst dich deshalb auch vor niemandem rechtfertigen. Der einzige Grund, den du dafür brauchst ist der, dass er dein Freund ist. Das ist schon Grund genug. Tevin wird einfach damit zurecht kommen müssen.“
Ich hörte jemandem seufzen. „Ich werde mal mit ihm reden.“, meinte dann Evelyn, „Vielleicht kriege ich ihn ja dazu etwas vernünftiger zu sein.“
„Und ich hole Veit.“, fügte Gabriela hinzu.
„Okay.“, stimmte Teddy zu. Dann wartete er noch kurz bis beide weg waren, bevor er mir das Haar aus dem Gesicht strich und zu mir herab sah. „Möchtest du ihm davon erzählen?“
„Er soll davon nichts erfahren. Ich will ihn nicht verletzen.“
„Und was sagst du ihm stattdessen?“
„Einen Teil der Wahrheit. Dass ich Tevin einen Korb gegeben habe. Aber ich werde nicht sagen, wie es dazu kam, dass ich ihm einen Korb geben musste. Veit ist mir wichtig geworden.“ Und wenn ich das zu Teddy sagte, dann stimmte es definitiv. So war es früher auch bei Tevin gewesen.
„Okay.“
Liebevoll streichelte er mir über die Wange. Dann küsste er diese und drückte mich wieder an sich. Die darauffolgende Stille hielt etwa drei Minuten. Dann tauchte Veit auf, der besorgt zu mir eilte.
„Vilija? Was ist passiert? Gabriela sagte, ich solle schnell mit zu dir kommen, weil es dir schlecht ginge.“ Besorgt nahm er mein Gesicht in seine Hände, während Teddy sich sanft von mir löste. „Hat es irgendwas mit Tevin zu tun? Er sieht ziemlich übel aus.“
Das machte es nur noch schlimmer. Ich schluchzte auf und drückte mein Gesicht an seine Brust, woraufhin er mich hilflos in die Arme schloss.
„Was ist denn los?“
„Sie hat ihm einen Korb gegeben.“, antwortete Teddy, als er merkte, dass ich nicht in der Lage war zu antworten. „Das hat ihn verletzt. Und zwar sehr. Und das wiederum verletzt sie.“
„Ein Korb? Aber- Warum? Ich verstehe die Welt nicht mehr.“
„Liebling.“ Das war nun Gabriela, die zu uns eilte. Sie war etwas außer Atem. „Tevin hat grad... Er hat...“ Sie verstummte kurz und rang nach Atem. „Er hat gerade nicht nur mit Diana Schluss gemacht.“, begann sie erneut, „Er hat sie regelrecht vor allen anderen bloß gestellt. Eigentlich war er richtig grausam. Er hat sie in der Luft zerfetzt und hinterher noch in den Mixer gesteckt. Da bekommt man den Eindruck, dass er sie hassen würde. Aber er war doch mit ihr zusammen, also-“
Sie unterbrach sich selbst, während ich mich fester an Veit krallte. Ob Tevin meinetwegen sauer war und alles nun an Diana ausließ? Das war wahrscheinlich.
„Kann mir bitte mal jemand erklären was hier los ist?“, fragte Veit verwirrt, „Warum hat Vilija ihm einen Korb gegeben und warum hat Tevin mit Diana Schluss gemacht? Ich fühle mich als wäre ich auf einer Party gewesen und bin der einzige, der am nächsten Morgen einen Filmriss hat. Alle wissen Bescheid, nur ich nicht.“
Teddy seufzte tief, schien ihn nicht zu beachten. „Was ist mit Diana?“, fragte er dann, „Wie hat sie reagiert?“
„Wie Diana eben. Sie hat ihn angeschrien und versucht ihn ebenso bloßzustellen. Dabei stellt sie sich nur noch mehr bloß, weil sie es mit intimen Dingen versucht. Aber dabei bemerkt man, dass sie sich offenbar kaum für ihn persönlich interessiert hat. Das hat Tevin irgendwie getroffen. Jedenfalls ist sie dann in Tränen ausgebrochen und aufs Mädchenklo gerannt.“
Veit atmete kurz durch. „Werden meine Fragen noch beantwortet? Ich will wissen was los ist.“
„Kümmer du dich um Vilija.“, entgegnete Teddy nur, „Hast du noch gesehen was Tevin gemacht hat?“
„Evelyn hat auf ihn eingeredet, aber er hat sie einfach ignoriert. Nachdem Diana weggelaufen ist, hat er Ev stehen lassen und hat sich verzogen. Glaubst du, er handelt so, weil er Liebeskummer hat?“
Lange atmete mein bester Freund aus und schüttelte den Kopf. „Nein. Ich vermute, dass da etwas ganz anderes hinter steckt.“ Er sah zu mir und strich mir liebevoll über den Schopf. „Etwas... größeres.“ Nun sah er zu Veit auf und schien endlich auf seine Fragen antworten zu wollen. „Was für Gefühle hast du für Vilija?“, fragte er dann jedoch plötzlich.
„Was?“ Er schien geschockt von der Frage.
„Was für Gefühle du für Vilija hast.“, wiederholte Teddy ungeduldig.
„Warum fragst du?“
„Weil es im Moment von Bedeutung ist. Also?“
Veit schwieg eine Weile, bevor er sich schließlich zu einer Antwort zwang. „Ich... habe sie wirklich sehr gern. Sie ist mir sehr sympathisch und... irgendwie auch ans Herz gewachsen.“
„Liebst du sie?“
„Ich... Ich...“ Er wurde nervös.
„Ja oder nein?“
Es blieb eine Weile still. Dann ließ Veit die Schultern ein wenig hängen. „Nein.“, antwortete er dann, „Sie ist mir zwar wichtig, aber... ich liebe sie nicht.“
Es war, als hätte jemand ein unendlich schweres Gepäck von meinen Schultern genommen.
„Gut. Dann wird dich wahrscheinlich nicht verletzen, was ich dir jetzt erzählen werde.“ Zaghaft griff er nach meinen Armen. „Komm her, Kleines.“
Ich ließ es zu, dass er mich an sich zog und lehnte mich an seine Brust. Mein Leben lang hatte ich bereits so oft Trost bei ihm gesucht, dass ich mich allein von dieser Geste bereits beruhigte. Ich musste nur von ihm gehalten werden, musste mich nur an ihn lehnen und schon fiel mir das Atmen bedeutend leichter. Er schien selbst in kalten Winternächten warm zu sein und seine Stimme hatte bereits als Kind eine beruhigende Wirkung auf mich gehabt. Er war der perfekte beste Freund.
Und er erzählte all die Dinge für mich, weil ich gerade nicht in der Lage dazu war. Allerdings tat er das mit einer Grobheit, die mich erahnen ließ, dass er Veit nicht besonders gut gesinnt war. Warum?
Als Teddy fertig war, war es unglaublich still. Als ich vorsichtig zu Veit herüber sah, stellte ich fest, dass er leise vor sich hinlächelte.
Äh... Moment... Ich blinzelte verwirrt. „Warum grinst du so?“, fragte ich ihn verwundert und mit noch verweinter Stimme.
„Weil mein Plan aufgegangen ist.“, antwortete er und lächelte gleich etwas mehr, wobei er die Hände in die Hosentaschen schob.
Nun hatte auch Teddy den Faden verloren. „Plan?“
„Ja. Als ich Vilija das erste mal gesehen habe, saß sie allein im Bus und sah traurig aus dem Fenster. Man hat sofort gesehen, dass sie Liebeskummer hatte, auch wenn sie es nicht zugegeben hat. Ich wollte sie lächeln sehen. Glücklich lächeln. Also hab ich es mir zum Ziel gemacht sie glücklich zu machen.“
Ich verstand nur Bahnhof. „Ich verstehe nicht.“
Offensichtlich begeistert, wovon auch immer, wippte er grinsend auf den Füßen vor uns zurück. „Naja... es hat ein bisschen gedauert, bis ich raus gefunden habe, warum du so unglücklich warst.“ Ein paar Stunden, wenn man gernauer darüber nachdachte. „Es war deine einseitige Liebe zu Tevin. Das hieß für mich, um dich glücklich zu machen, muss ich Tevin dazu bringen sich in dich zu verlieben.“
Entweder ich war total dämlich oder mein Gehirn funktionierte nicht richtig. Fakt war, es machte immer noch nicht Klick bei mir. Teddy dagegen schien langsam zu verstehen.
„Ich gehe mal davon aus, dass du dich anfangs einfach nur mit ihr anfreunden wolltest, als du sie gefragt hast, ob sie mit dir frühstückt.“, sinnierte er.
Veit nickte. „Ja. Ich wusste da ja noch nicht, was sie unglücklich macht.“
„Also bist du ihr näher gekommen um es heraus zu finden.“ Teddy hob eine Braue. „Deshalb bist du mit ihr zusammen gekommen?“
„Natürlich nicht. Da wusste ich es schon. Ich hab es mir zusammen gereimt, als sie mir von Tevin und sich erzählt hat.“
„Du hast ihm davon erzählt?“, fragte Teddy mich verwirrt.
Ich blinzelte ein paar Mal. „Ja, aber da waren wir schon zusammen.“
Veit schüttelte den Kopf. „Nicht das. Ich meine vorher. Du sagtest mir, du würdest Distanz zwischen dir und Tevin schaffen, um ihn und Diana nicht zu stören.“
„Ach das.“, murmelte Teddy leise und rollte mit den Augen. „Das ist ja schon Schnee von gestern.“
„Aber so hat alles angefangen.“
Nun war ich total raus. „Wie war das noch gleich?“
„In dem Gespräch habe ich herausgefunden, dass du Tevin... magst.“, erklärte Veit.
„Oh.“
„Was ist das jetzt für ein Plan?“, fragte Teddy gereizt, „Du wusstest was nötig war, um sie glücklich zu machen und weiter?“
„Ich habe mir diesen Plan ausgedacht.“ Teddy wollte ihn bereits gereizt unterbrechen, doch Veit hob einfach die Hand. „Das kommt ja jetzt.“ Also blieb Teddy still. „Die Tatsache, dass es Tevin so gestört hat, wenn Vilija ihn ignoriert, hat eigentlich schon klar gemacht, dass sie ihm mehr bedeutet, als eine Schwester. Er brauchte nur einen Schubs in die richtige Richtung, um es selbst zu kapieren.“
Es wurde still und wenig später stöhnte Teddy auf.
„Du wolltest ihn eifersüchtig machen, richtig?“
Nun zeigte Veit sein strahlendstes Lächeln. „Ganz genau. Ich hab ihn eifersüchtig gemacht, Vilija ein wenig gegen ihn aufgebracht und Tevin dann noch ein wenig angestachelt, als alles ruhiger wurde.“
In meinem Kopf ratterte es, obwohl er noch so angeschlagen von meinem Nervenzusammenbruch war, weshalb ich nicht richtig denken konnte und kaum verstand, was er da sagte.
„Okay...“, meinte Teddy, „Was war der Schritt nach der Eifersucht?“
„Oh... Naja... Danach musste ich eigentlich nur noch darauf warten, dass Tevin alles kapiert und versteht. Was natürlich bedeutet, dass er sich bewusst ist, dass er Vilija liebt und sie haben möchte.“
Endlich machte es Klick. Veit hatte Tevin geradezu dazu gezwungen sich seiner Liebe klar zu werden. Aber... „Warum hast du das alles gemacht?“, fragte ich verwirrt.
„Um dich glücklich zu machen.“, antwortete er direkt.
„Aber... warum?“
Er schwieg eine Weile und zuckte dann mit den Schultern. „Einfach so.“ Wir starrten ihn an. „Na gut, ich war ein bisschen egoistisch und wollte das zeichnen. Du hast ein so schönes Gesicht, da dachte ich mir, dass dein Lächeln wundervoll sein muss. Ich brauche nur einen Moment, in dem du glücklich mit Tevin zusammen bist.“
„Du tust all das... für ein Bild?“, fragte Gabriela perplex.
„Nicht irgendein Bild.“, entgegnete Veit, „Ein Bild von ihr. Im Laufe der Zeit ist mir all das natürlich noch wichtiger geworden, weil sie mir wirklich ans Herz gewachsen ist.“
„Aber warum tust du all das für ein Bild?“, fragte Teddy verwirrt.
Veit schwieg eine Weile und dachte nach. „Habt ihr mal was von Timothy Relyt gehört?“
Es war Gabriela, die antwortete. „Ja, das ist dieser Künstler aus Atlanta, den noch niemand zu Gesicht bekommen hat. Timothy Relyt ist aber nicht sein richtiger Name. Es ist ein Pseudonym, damit er unbekannt bleibt. Er ist ein fantastischer Künstler, spezialisiert sich auf Bilder von Menschen, ist aber noch nicht allzu bekannt, was sich aber sicher bald ändern wird.“
Er lachte leise. „Freut mich, dass du das so optimistisch siehst. Mein Manager sieht das viel negativer.“
Gabriela machte große Augen. „Du bist... Nein. Nein, das kann nicht sein.“
„Tatsächlich ist es so. Ich bin Timothy Relyt und... naja... Vilija ist meine neue Kollektion. Der Übergang von Unglück in Glück.“
Teddy entspannte sich langsam, wurde dann aber wieder etwas starr. „Du hast all das für Geld getan?“
„Nein.“, widersprach er sofort, „Das würde ja bedeuten, dass ich nur für Geld zeichne. Das ist nicht mein Ziel. Ich versuche Menschen zu erreichen. Deshalb zeichne ich sie. Vilija war mir wirklich von Anfang an sympathisch. Ich wollte sie nicht so traurig sehen. Nicht nur, weil ich sie lächelnd zeichnen wollte, sondern weil es mir einfach nicht gefiel, sie so traurig zu sehen. Sie darf natürlich alle Bilder sehen, bevor ich sie ausstelle. Und auch das tue ich nur, wenn sie ihr Einverständnis gibt. So oder so werde ich mein Ziel erreicht haben. Sie soll glücklich sein. Mit Tevin.“
Wieder entspannte Teddy sich. Dann seufzte er leise und legte sein Kinn auf meinen Schopf. „Dann ist ja alles gut. Soll jemand Tevin holen, damit ihr euch vertragen könnt?“
„Nein.“, antwortete ich.
Er hob den Kopf und sah mich verwundert an. „Warum denn nicht?“
„All das ändert nichts an dem, was passiert ist. Diana war ihm wichtiger als ich. Und das, obwohl er wusste, dass er mich liebt.“
„Aber er will doch jetzt mit dir zusammen sein.“
„Er wird auch darum kämpfen. Das hat er mir gesagt. Und er wird kämpfen müssen. Ich habe nicht vor ihm einfach zu vergeben, dass er mich links liegen gelassen hat.“
Er antwortete nicht. Er zog mich einfach nur etwas enger an sich und vergrub das Gesicht in meinem Haar.
Trotz all dem, was Veit mir gesagt hatte, wollte ich trotzdem bei ihm schlafen. Als ich nach hause kam, war Tevin bereits da. Er saß bei Mom und Dad im Wohnzimmer, sagte aber nichts.
„Ich bin da.“, meldete ich mich an der Wohnzimmertür.
„Wie war die Schule?“, wollte Dad wissen.
Ich rückte den Träger meiner Schultasche auf meiner Schulter zurecht und schürzte die Lippen. „Es hätte besser sein können.“ Ich sah auf die Uhr. „Veit holt mich in zwei Stunden ab.“
Dad erhob sich von seinem Platz und deutete mit einem Kopfnicken auf die Treppe. „Ich komme mit hoch.“
Unsicher begann ich auf meiner Unterlippe herum zu knabbern und ging, gefolgt von Dad, hinauf in mein Zimmer, wo ich meine Tasche beiseite stellte und mich auf die Couch setzte. Dad stand einen Moment schweigend in der Mitte meines Zimmers, bevor er meinen Drehstuhl zu sich zog und sich damit mir gegenüber setzte.
„Was ist passiert?“, wollte er wissen.
Ich rieb mir über den linken Oberarm. „Ich hab Tevin einen Korb gegeben.“
Verwundert zog er die Brauen zusammen, woraufhin ich tief durchatmete und ihm alles erzählte. Bei der Geschichte mit Veit rutschten seine Brauen eine Etage höher, bevor er sie schließlich wieder zusammen zog. Am Ende nickte er nur und stand auf.
„Nun gut.“, meinte er dann, „Violeta hat mir geraten mich nicht allzu sehr in eure Beziehung einzumischen. Aber eins muss ich dir noch sagen.“
„Was denn?“
„Wie auch immer das alles endet, ich werde immer für dich da sein, okay?“
Mir traten Tränen in die Augen. „Danke Dad.“
Er lächelte warm. „Hab viel Spaß bei Veit.“
„Den werden wir hoffentlich haben. Und... erzähl Tevin bitte nichts von... der Sache mit Veit.“
„Bist du sicher?“
„Ja.“
„Na gut.“ Er kam herüber und küsste mich auf die Stirn. „Jetzt pack deine Sachen. Am besten gleich für die nächsten beiden Wochen. Dann stehst du morgen nicht unter Zeitdruck.“
„Mach ich.“
„Ich schicke Veit direkt hoch, wenn er kommt.“
„In Ordnung.“
Er küsste mich ein weiteres mal auf die Stirn und verließ dann mein Zimmer, woraufhin ich noch eine Weile sitzen blieb und auf den Tisch starrte. Es war ein Moment, indem ich einfach nicht dachte. Ich saß einfach nur da und fühlte mich... leer. Dann fiel mir ein, was Dad mir erst vor wenigen Minuten gesagt hatte und sprang auf, um zu packen.
Anderthalb Stunden später klopfte es dann an meiner Tür.
„Herein.“, rief ich einfach nur, da ich gerade meine Kleidung im Koffer sortierte.
Ich rechnete mit Veit, doch es war Tevin der herein kam. Als ich ihn sah, ließ ich die Arme sinken und legte das Shirt, das ich zusammenfalten wollte, beiseite.
„Was gibt’s?“, fragte ich ihn halblaut und wich dann seinem Blick aus.
„Dad spricht gerade mit Riley. Er fragt, ob wir beide im selben Bett schlafen. Er hat nicht mehr so viel Platz. Wenn wir beide uns ein Bett teilen, dann würde es noch passen. Sonst bucht Dad ein Hotelzimmer mit fünf Einzelbetten. Für jeden von uns eins.“
Ich zögerte eine Weile und seufzte leise. Dann zuckte ich hilflos mit den Schultern. „Was denkst du darüber?“
„Mir macht es nichts aus.“, antwortete er zögerlich, „Ich war mir nur nicht sicher, wie du darüber denkst, sonst hätte ich sofort gesagt, dass wir das Bett teilen.“
Nachdenklich rieb ich mir den Nacken und nickte schließlich. „Naja, warum nicht. So spart Dad das Geld für das Hotel.“
„In Ordnung.“ Sein Blick glitt über die Kleidung, die praktisch im ganzen Zimmer verteilt war. „Soll ich dir helfen?“
Ich ließ die Schultern hängen. „In etwa einer halben Stunde kommt Veit und ich bin noch nicht fertig mit packen. Und dann muss ich das hier alles wieder aufräumen.“
Wortlos ging er zu dem nächstbesten Kleidungsstück und hob es auf. „Was möchtest du denn alles mitnehmen?“
„Ich weiß nicht.“ Ich faltete das Shirt zusammen, dass ich beiseite gelegt hatte. „Ich hab schon die Hälfte. Ich brauche noch etwa drei Oberteile und zwei Hosen.“
Er sah sich ein wenig um, warf einen Blick in meinen Schrank und suchte dann ein paar Sachen zusammen, die er mir dann reichte. „Die hier sind schön. Und vielleicht solltest du noch einen Pullover und eine Jacke mitnehmen, falls es kalt wird oder regnet.“
„Stimmt.“
Ich ging zu meinem Schrank und suchte jeweils einen Pulli und eine Jacke aus. Dann faltete ich mit Tevin alles zusammen und sortierte es im Koffer ein. Zu guter letzte packte sammelte ich mit ihm noch die herumliegende Kleidung ein und ließ mir von ihm noch dabei helfen den Koffer zu schließen. Als ich fertig war standen wir schweigend nebeneinander.
„Ich hab gehört, wie du Diana abserviert hast.“, bemerkte ich irgendwann.
Er zuckte zusammen, dann verfinsterte sich sein Gesicht. „Ach ja?“
„Ja. Gabriela hat es uns erzählt. Sie sagt, du hättest Diana bloß gestellt?“
„Ich hab ihr nur meine Meinung gesagt.“
„Deine Meinung?“
„Sie... war auf jedes Mädchen eifersüchtig, mit dem ich auch nur gesprochen habe. Sie hat nicht nur dich gehasst, sondern auch Evelyn, obwohl die einen Freund hat. Und du ja auch.“ Er schwieg einen Moment. „Ich hab ihr gesagt, dass mir das auf die Nerven geht. Außerdem hab ich ihr gesagt, dass ich es nicht mag, dass sie wegen jeder Kleinigkeit an die Decke geht und mich behandelt, als wäre ich ihr Eigentum. Und dann wollte sie immer, dass ich bei ihr übernachte.“ Er setzte das Wort mit den Fingern in Anführungszeichen und seufzte leise. „Sie hat mich eingeengt, bedrängt. Sie wollte mich ganz für sich allein und das war mir zuviel.“
Mein Mundwinkel zuckte ironisch. „Du willst mich doch auch für dich allein.“
„Aber nicht so.“, warf er ein, „Ich würde dich niemals derart bedrängen. Es hat mich nie gestört, wenn du dich mit Freunden triffst oder mit Jungs unterhältst.“
„Abgesehen von Veit.“
Er biss die Zähne aufeinander. „Das ist was anderes.“
„Inwiefern?“
„Du willst mehr von ihm, als nur mit ihm reden. Du willst nicht nur mit ihm befreundet sein.“
„Das ist mir klar, aber im Grunde ist er auch nur ein Junge.“
„Aber nicht wie Teddy. Veit ist... irgendwie komisch.“
„Was meinst du überhaupt damit.“
Er knirschte mit den Zähnen. „Erinnerst du dich an den Kuss, in der Küche? An dem Tag, an dem das Gewitter war und Veit hier übernachtet hat.“
„Ja, ich erinnere mich.“
Er zögerte eine Weile. „Veit hat mich dazu... quasi angestiftet. Er sagte, ich solle dich küssen, um ihm zu beweisen, dass du... das ich keine Gefühle in dieser Richtung für dich hege, sondern nur ein Bruder sein wollte.“
Dieser hinterhältige... Und es hat auch noch funktioniert...
„Du bist nicht böse?“
„Hm? Was? Ach so, nein. Wie kommst du darauf?“
„Ich weiß nicht. Ich dachte, du wärst enttäuscht oder so.“
„Nein, ich bin... überrascht. Positiv überrascht.“
Er antwortete nicht. „Ich denke, ich werde dann mal wieder runter gehen. Dad wartet auf eine Antwort.“
„Okay.“
Wortlos wand er sich ab und ging hinunter, woraufhin ich mir mit der Hand durchs Haar fuhr und seufzte. Dann begann ich noch schnell eine Tasche für die Übernachtung zu packen. Ich war gerade fertig, als es an meiner Tür klopfte.
„Herein.“
Die Tür wurde geöffnet und Veit streckte den Kopf herein. „Hallo, schöne Frau.“, begrüßte er mich lächelnd.
Unwillkürlich erwiderte ich das Lächeln und ging zu ihm herüber, um mich an ihn zu schmiegen. „Hey.“
„Schon alles gepackt?“
„Bin gerade fertig geworden.“
„Dann hab ich wohl ein gutes Timing, oder?“
„Und wie.“ Ich lächelte ihn an, woraufhin er mich mit einem Kuss belohnte. „Wir können uns direkt auf den Weg machen.“, fügte ich dann noch hinzu und erwiderte den Kuss.
Statt einer Antwort legte er mir eine Hand in den Nacken und hielt mich dort sanft fest, um mich leidenschaftlicher zu küssen. Irgendwann lächelte er an meinen Lippen und löste sich wieder von mir.
„Ich freue mich schon auf heute Abend.“
„Darf ich fragen warum?“
„Darfst du nicht.“
„He.“
Er grinste mich amüsiert an und gab mir einen kleinen Klaps auf den Hintern. „Na los, nimm deine Tasche. Meine Eltern freuen sich schon dich kennen zu lernen.“
„Wissen sie über alles Bescheid?“
Er wusste sofort, was ich meine. „Sie finden mich sehr selbstlos.“
„Ach ja?“
„Ja.“
„Aber ein bisschen egoistisch bist du trotzdem.“
Er grinste nur noch mehr und wackelte mit den Brauen. „Ich sehe es als eine Belohnung deinerseits an.“
„Na, wenn es weiter nichts ist.“ Ich hob meine Tasche auf und schulterte sie, um mich mit ihm auf den Weg zu machen. Bevor ich das Haus verließ, machte ich einen Zwischenstopp an der Wohnzimmertür. „Wir gehen dann jetzt.“, verkündete ich.
„Habt viel Spaß.“, wünschte mir Mom.
„Pass auf mein Mädchen auf.“, forderte Dad dann ernst an Veit, „Wenn sie weinend nach hause kommt, ist deine Nummer die erste Nummer, die ich anrufen werde.“
„Ich gebe mir alle Mühe, Sir.“, entgegnete Veit und warf mir einen kurzen Blick zu. „Ihr Wohlergehen liegt auch mir am Herzen.“
„Wann kommst du wieder?“, fragte Cyntia und eilte zu mir.
„Ich bin morgen wieder da.“, antwortete ich lächelnd und tätschelte ihr liebevoll den Kopf. „Dann verabschiede ich mich ordentlich von dir.“
„Okay.“
„Dann bis morgen.“, meinte Dad und lächelte mich warm an. „Hab viel Spaß.“
„Werde ich, danke.“
Mit einer letzten Verabschiedung an alle und einem schweigendem Tevin verließ ich mit Veit das Haus und machte mich mit ihm auf den Weg.
Unterwegs unterhielten wir uns nicht viel, was eher meiner Nervosität zuzuschreiben war, die immer größer wurde, wenn ich daran dachte, dass ich seine Eltern kennen lernen würde.
„Mach dir keine Sorgen.“, beruhigte er mich und drückte sanft meine Hand, die er den ganzen Weg gehalten hatte. „Sie mögen dich jetzt schon.“
Ich stöhnte leise auf und folgte ihm, als er die Auffahrt eines hübschen hellblauem Hauses hinauf ging.
„Bereit?“, fragte er mich an der Tür.
„Nein.“, jammerte ich.
Das hinderte ihn jedoch nicht daran die Tür zu öffnen und mich sanft hinter sich hinein zu ziehen. „Wir sind da!“, rief er ins Haus.
Seine kleine Schwester war die erste Person die auftauchte. Schüchtern stand sie im Rahmen einer Tür und lugte an dem Holz vorbei. „Hallo Veit.“, begrüßte sie ihn zaghaft und hob die Hand, um zu winken.
„Hallo Belle.“, begrüßte er sie lächelnd, „Das hier ist Vilija.“ Er legte mir eine Hand auf den Rücken und schob mich ein wenig vor. „Möchtest du sie nicht auch begrüßen?“
Ich lächelte sie freundlich an, hockte mich hin und hielt ihr die Hand hin. „Hallo Annabell.“, begrüßte ich sie freundlich.
Zaghaft trat sie etwas näher und streckte mir ihre Hand entgegen. Da sie noch etwas zu weit entfernt war, überbrückte ich die zwei Meter mit einigen kleinen Schritten und nahm vorsichtig ihre Hand.
„Freut mich dich kennen zu lernen.“, meinte ich dabei, „Du trägst da ein wirklich hübsches Kleid.“ Es hatte dieselbe Farbe wie ihre Augen.
„Dankeschön.“
„Sind Mom und Dad nicht da?“, fragte Veit.
Sie sah zu ihm auf. „Sie sind im Garten. Mom kümmert sich um die Blumen und Dad repariert den Gartenzaun.“
„Okay. Wartest du kurz?“, fragte er mich dann, „Ich sag ihnen Bescheid, dann können wir etwas essen.“
„In Ordnung.“
Er gab mir noch einen Kuss, bevor er sich abwandte und den Flur hinunter ging. Ich sah mich ein wenig um und bemerkte ein Portrait, von einer wunderschönen Frau und einem Mann, der Veit unglaublich ähnlich war. Das mussten seine Eltern sein. Sie hatte langes wunderschönes schwarzes Haar. Er hatte Kastanienbraunes Haar. Veit und Annabell hatten ihre Augen von ihrer Mutter. Ihr Vater hatte Augen von einem so strahlendem blau, dass es mich nicht wunderte, dass die zwei geheiratet hatten. Ich konnte kaum wegsehen.
„Da bin ich wieder.“ Zwei Arme legten sich um meine Taille. „Du hast es also gesehen, ja?“
„Es ist schwer zu übersehen.“, entgegnete ich, „Hast du das gemalt?“
„Nein, das war vor meiner Zeit. Das war mein Onkel.“
„Die zwei sehen so... wunderschön aus.“
Er lachte leise. „Findest du?“
„Ja.“
„Nun... auf dem Bild tun sie es wirklich. Aber sie sind heute um einiges älter.“ Mit einem Seufzen ließ er mich los und ergriff meine Hand. „Kommst du?“
Ich ließ mich von ihm mit ziehen und folgte ihm durch eine Tür in die Küche. Sie war nett in hellen Tönen eingerichtet, die mich etwas an unsere eigene Küche erinnerte.
„Mom und Dad kommen gleich.“, erklärte er und begann mit Annabell den Tisch zu decken.
Etwas unsicher stand ich nur daneben und sah zu. Kurz darauf ertönte ein glockenklares Lachen aus dem Flur und wenige Augenblicke später betraten zwei Personen den Raum, die nur ein bisschen älter aussahen, als das Paar auf dem Bild. Veits Eltern. Seine Mutter sah mich mit einem strahlenden Lächeln an und reichte mir die Hand.
„Willkommen.“, begrüßte sie mich, „Ich bin Aneta. Fühl dich doch ganz wie zuhause.“ Sie hatte einen interessanten Akzent, den ich nicht so genau ein ordnen konnte.
„Hallo.“, entgegnete ich nervös, „Ich bin Vilija.“
Dann trat Veits Vater neben seine Frau und griff nach meiner Hand. „Reese mein Name. Veit hat schon ziemlich viel von dir erzählt.“ Er legte seiner Frau eine riesige Hand auf die Hüfte. Die andere umschloss warm meine Hand.
„Äh... hat er?“ Unsicher blickte ich zu meinem Freund, der uns am Tisch sitzend nur lächelnd beobachtete.
„Ja. Er prahlt ständig davon wie nett und schön du bist. Natürlich hat er uns gleich dutzende Bilder gezeigt, die er von dir gemalt hat.“ Aneta sah ihren Sohn liebevoll an. „Sie sind oben in seinem Malzimmer.“
Er hatte ein Zimmer extra für seine Bilder?
„Ich hab den Tisch gedeckt.“, bemerkte Veit und ging zum Kühlschrank. „Mom hat gestern extra einen Kuchen gebacken.“, informierte er mich, während er besagten Kuchen aus dem Kühlschrank holte. „Magst du Kirschstreuselkuchen?“
Ich stöhnte leise. „Ich liebe ihn.“
„Ich sagte doch, sie wird ihn mögen.“, bemerkte Reese amüsiert und führte seine Frau zu einem Stuhl, den er ihr zurecht zog.
Aneta rollte nur mit den Augen, setzte sich und nahm seine Hand, als er sich neben ihr niederließ. „Ja hast du. Aber du weißt, dass ich meinen Backkünsten gegenüber immer skeptisch sein werde.“
Ich lächelte leicht und setzte mich neben Veit. „Meine Mutter ist auch immer etwas unsicher wenn sie kocht. Besonders dann, wenn sie sich an Dads Rezepten versucht.“
„Ach ja? Warum gerade dann?“
Veit schmunzelte, stellte den Kuchen auf den Tisch und schnitt ihn zurecht.
„Mein Vater ist Litauer.“, erklärte ich, „Er kocht oft litauische Gerichte. Die Zubereitung ist bei einigen Gerichten etwas... anstrengend, langwierig und schwierig. Mom hat immer Angst, dass sie irgendwas falsch macht oder es falsch würzt.“
„Klingt ein bisschen so, als sei dein Vater der Küchenchef.“
Ich nickte. „Ja. Besonders was das Frühstück betrifft.“
„Ich glaube, Veit hat da mal was erwähnt.“, bemerkte Reese, „Ihr esst morgens immer warm?“
„Ja. Besonders im Winter. Da ist es schön etwas warmes im Magen zu haben, das einen wärmt, wenn man raus geht. Wenn es im Sommer zu warm wird, essen wir manchmal auch kalt.“
„Und wie war das zu Weihnachten? Da hat er auch irgendwas erzählt. Ihr trefft euch alle, richtig?“
„Traditionell trifft sich eigentlich die ganze Familie bei einer Person, aber wir sind so viele, das würde eigentlich nicht passen. Dieses Jahr tun wir es aber.“ Ich zögerte ein wenig. „Eigentlich wird das Treffen auf drei Tage verteilt, bei denen alle ihre Anreisen so planen, dass jeder jeden mal sieht. Diese Treffen finden immer bei drei verschiedenen Personen statt. Letztes Jahr war ich in Alaska, dann in New York und einige waren bei uns. Dieses Jahr jedoch fliegen wir alle nach Litauen zu meinem Onkel Dovydas. Er hat ein ganzes Restaurant für einen ganzen Tag gemietet. Wir reisen bereits am Tag davor an, treffen uns dann früh morgens am Restaurant, essen Frühstück, Mittag- und Abendessen und am dritten Tag reisen wir wieder ab.“
„Wie viele seid ihr denn?“
„Ich weiß es nicht.“, gab ich zu und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. „Ich bin mir bisher nicht einmal sicher, ob ich alle Namen auswendig kenne. Oft kommen auch Freunde und Partner der Familienangehörigen mit. Ich wollte Veit fragen, ob er nicht Lust hat mitzukommen.“
Dieser lächelte warm und gab mir ein Stück Kuchen.
„Ich weiß noch nicht.“, antwortete Aneta, „Ich nehme an, ihr reist nach Heiligabend?“
„Ja. Heiligabend verbringen wir alle unter uns.“
Aneta nickte und dachte nach. Dann sah sie zu Reese auf. „Kommt nicht deine Schwester zu Besuch?“
„Ja.“ Er verzog ein wenig das Gesicht. „Sie bringt Elenoir und ihren neuen Mann mit.“
„Ich denke, das können wir Veit ersparen, oder? Ich meine, er kann sicher noch warten, bis sie da ist, um sie zu sehen, aber dann... Wir werden dann sehen müssen, wann ihr fliegt.“, meinte sie dann an mich.
„Kein Problem. Dad kann den Flug sicher so buchen, dass es kein Problem sein wird. Ich frage auch noch einen sehr guten Freund, ob er mitkommen möchte.“
„Wo übernachtet ihr dann eigentlich?“, fragte Veit neugierig und nahm Platz. „Ich meine, es können wohl kaum alle bei eurem Onkel übernachten.“
„Nein. Ähm... Onkel Dovydas besitzt ein Hotel. Eine ganze Kette, um genau zu sein.“
Prompt verschluckte er sich. „Kein wunder, dass er so viel Geld hat.“, bemerkte er, als er sich wieder beruhigt hatte, „Ich dachte schon euch würde Gold durch die Adern fließen.“
„Was macht dein Vater eigentlich beruflich?“, fragte Reese neugierig.
„Er ist Geschäftsmann.“
Fragend sah er mich an.
„Nun... Er ist Stellvertretender Geschäftsleiter der Firma Devonsons.“
Aneta blinzelte ihren Mann nachdenklich an. „Diese Firma sagt mir irgendwas.“
„Mein Bruder arbeitet dort.“, antwortete er, bevor er wieder zu mir sah, „Und dein Vater ist der Stellvertretende Geschäftsleiter?“
„Ja. Er hat sich hoch gekämpft. Dabei hat er sich auch mit seinem Chef angefreundet. Die beiden kennen sich gut.
„Für welche Zweige ist er zuständig?“
Nachdenklich sah ich an die Decke. „Autodesign, Computertechnik, Immobilien und Kommunikation. Er reist relativ viel. Morgen fährt er mit Tevin, Teddy, Evelyn und mir nach Kansas City. Vor zwei Monaten war er in Reykjavik.“
„Dann kommt er bestimmt viel herum.“
Ich lächelte warm. „Ja, das tut er. Und er bring mir immer etwas mit. Er hat mir mal einen Glücksbringer aus Japan mitgebracht. Und einen Jadeanhänger aus China. Letztes Jahr war er in Indien. Er hat mit eine Fußkette mit lauter Glöckchen mitgebracht.“
„Sehr interessant.“, bemerkte Aneta, „Und was macht deine Mutter?“
„Sie malt Bilder. Wie Veit.“ Ich lächelte ihn an.
Er lächelte warm zurück.
Spätabends ging zog Veit mich sanft die Treppe hinauf und in sein Zimmer. Dort angekommen nahm er mir die Tasche ab und legte sie beiseite, während ich mich begann umzusehen. Rechts von der Tür stand ein Schreibtisch und daneben ein breites Bücherregal voll mit Magas und Zeichenlehrbüchern. Außerdem konnte ich auch einige Zeichenblöcke ausmachen. Gegenüber des Regals stand ein großes Bett, auf dem problemlos drei Personen Schulter an Schulter liegen konnten. Daneben stand ein kleiner Nachtschrank mit Nachtlicht und einem Bild von seiner Familie. Einige Meter weiter, dazwischen war ein großes Fenster, dass bis zum Boden ging und auf einen Balkon führte, stand ein breiter Kleiderschrank, daneben eine Staffelei und noch ein Regal mit Malutensilien, dutzenden Stiften, Kohle, Kreide und mehrere Zeichenblöcke. Direkt links von der Tür und damit zwischen der Tür und dem Malregal stand ein Zeichentisch. Ich war beeindruckt von all den Dingen die er im Zimmer hatte und staunte umso mehr, als ich das Bild über seinem Bett sah. Das war ich.
„Wow.“, kam es mir sprachlos über die Lippen.
Ich lag auf den Ellenbogen gelehnt auf der grünen Wiese im Park. Die Sonne schien und ich lächelte ihn warm an, wobei ich wegen dem Sonnenlicht ein Auge leicht zukniff. Meine Augen leuchteten regelrecht und mein Haar glänzte. Der Himmel war makellos blau.
„Ich finde es macht sich dort ziemlich gut.“, bemerkte er und betrachtete das große Bild. Wo hatte er es gemalt? Es war so riesig... „Gefällt es dir?“
„Es ist... Wahnsinn. Ich... Wow.“
Lächelnd zog er mich mit sich zu seinem Bett und ließ sich dort mit mir sinken. „Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich dich ein bisschen beschäftige.“
„Warum sollte es?“, fragte ich amüsiert lächelnd und ließ mich von ihm nach hinten aufs Bett schieben.
„Ich weiß nicht.“, entgegnete er und schob ein wenig mein Shirt hoch, um meinen Bauch zu streicheln. „Vielleicht hast du keine Lust, oder du findest mich nicht mehr attraktiv.“
Ich lachte auf. „Komm her, du langweiliger unattraktiver Bursche und küss mich.“
Leise lachend kam er zu mir herunter und küsste mich. „Freches Biest.“
Alle weiteren frechen Antworten wurden mit seinem nächsten Kuss vernichtet.
Am nächsten Morgen machte ich mich ziemlich schwer damit aufzustehen. Veit hatte mich die halbe Nacht wachgehalten. Nicht, dass ich mich beschweren würde, doch nun musste ich nun mal mit den Konsequenzen in Form von Müdigkeit leben.
Lange gähnend streckte ich mich neben ihm und kuschelte mich an seine Schulter.
„Bist du schon wach?“, nuschelte er verschlafen.
„Mhmmm.... Ich sollte langsam aufstehen. Dad wollte so früh los wie möglich.“
Murrend drehte er sich auf die Seite und schlang die Arme um mich. „Schlaf noch ein bisschen.“, bat er dann, „Dann hab ich noch mehr von dir.“
Leise lächelnd drückte ich ihm einen Kuss auf die Schulter und löste mich langsam von ihm. „Ich muss aufstehen. Sonst kommt er noch her oder so.“
Er grunzte nur und schien sogar zu müde um die Augen zu öffnen. „Komm wieder her.“
„Ich werde jetzt duschen gehen.“, entgegnete ich nur darauf und stand auf, um mir ein paar Sachen zusammen zu suchen. Dann zog ich ihm nach kurzem zögern die Decke weg und wickelte mich darin ein.
„He.“, beschwerte er sich halbherzig und hob den Kopf. „Was willst du mit der Decke?“
„Falls mir jemand entgegen kommt.“, antwortete ich, „Vielleicht solltest du dir etwas anziehen, falls jemand rein schaut.“
Er schnaufte und grinste mich an. „Wie wäre es, wenn du mir die Decke zurück gibst und dir selbst etwas anziehst.“
Ich rollte amüsiert mit den Augen und verließ sein Zimmer. Ich meine noch zu hören, wie er mich erneut ein freches Biest nannte. Leicht lächelnd ignorierte ich es und betrat eine halbe Stunde später frisch geduscht und umgezogen das Bad, wobei ich die Decke über meiner Schulter trug. Veit hatte sich eine Shorts angezogen, lag aber immer noch im Bett und döste vor sich hin. Gerade als ich ihm die Decke wieder hinlegte, hob er den Arm und zog mich zu sich ins Bett. Dann brachte er mich mit einer geschickten Bewegung unter sich und lächelte auf mich herab.
„Da haben wir ja den Übeltäter.“, bemerkte er lächelnd.
„Wie sieht die Strafe aus?“
„Das ist eine Überraschung.“ Mit einem Funkeln in den Augen senkte er den Kopf, um mich zu küssen.
Eine weitere Stunde später schafften wir es endlich gemeinsam nach unten zum Frühstücken. Veit hatte geduscht und sich frische Sachen angezogen. Nun ging er direkt an den Kühlschrank und begann mir eine warme Mahlzeit zu machen. Ein Omelette mit extra viel Schinken. Ich verschlang es geradezu ausgehungert und lobte ihn mehrmals für seine Kochkünste. Sobald auch der letzte Krümel vertilgt war, holte er meine Tasche und verließ mit mir das Haus. Seine Eltern waren arbeiten, seine Schwester bei einer Freundin.
„Arbeiten sie viel?“, fragte ich neugierig.
„Fünf Tage in der Woche. Statt Samstag haben sie den Montag frei.“, antwortete er, „Eigentlich würde ich jetzt auf Annabell aufpassen, aber ich hab meinen Eltern schon gesagt, dass ich dich stattdessen nach hause bringe.“
„Sehr aufmerksam von dir.“
Mit einem Lächeln legte er mir einen Arm um die Taille und schulterte meine Tasche. „Ich wünschte ich könnte mitkommen.“
„Ich finde es wirklich schade. Aber ich muss zugeben, dass es nicht allzu schlimm für mich ist, weil stattdessen ja Teddy mitkommt.“
Er seufzte tief. „Ja. Was machst du mit Tevin?“
„Ich weiß noch nicht. Alles ist so furchtbar kompliziert geworden.“
„Du könntest auch einfach nachgeben.“
„Und ihn einfach so davon kommen lassen? Nein, das wäre unfair. Er soll sich genauso anstrengen wie ich.“
„Ah, du willst Vergeltung.“
„Sozusagen.“
„Und es reicht nicht, dass du trotz allem mit mir zusammen bist und bei mir übernachtest?“
Ich wurde etwas langsamer und sah zu ihm auf. „Ich hätte mich sowieso nicht daran hindern lassen. Zumindest nicht von ihm.“
„Glaubst du, er denkt, wir hätten...“
„Ich weiß es nicht. Eigentlich hat er mich gebeten es nicht zu tun, aber ich glaube, dass er denkt, dass das Versprechen quasi aufgehoben ist. Wenn ich mit dir schlafen möchte, dann tue ich es auch.“ Ich sah wieder nach vorn und starrte auf den Gehweg.
„Tatsächlich?“ Er schien ziemlich überrascht.
„Ja.“, antwortete ich vorsichtig, „Warum fragst du?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht weil du total in ihn verliebt bist.“
Ich seufzte tief. „Sicher. Aber ich denke, um ihm einen Schock zu verpassen, würde ich mit ja antworten, wenn er fragt, ob wir es getan haben.“ Ich wusste, er sah auf mich herab.
„Bist du dir sicher, das du das machen möchtest?“
Ich schwieg eine Weile, bevor ich mit Ja antwortete.
„Warum?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich möchte, dass er weiß, dass ich... mich nicht von alledem beeinflussen lasse.“
„Nun ja, wie du meinst. Sag mir aber Bescheid, wenn du ihm die Wahrheit gesagt hast.“
„Okay.“
Als wir wenig später bei mir ankamen sah er etwas traurig aus. Ich blieb mit ihm vor der Tür stehen und sah zu ihm auf.
„Da wären wir.“
Sein Blick hing am Boden, eine Hand hatte er in der Hosentasche und mit der anderen hielt er meine. „Okay. Telefonieren wir zwischendurch?“
„Alle drei Tage?“
„Klingt gut.“ Er sah zu mir auf und lächelte leicht. „Und du schreibst mir, wenn du da bist?“
„Und wenn ich wieder losfahre.“
Das Lächeln vertiefte sich. „Ich vermisse dich jetzt schon.“ Mit diesen Worten lehnte er seine Stirn an meine und schloss die Augen.
„Als Freundin oder als feste Freundin?“, fragte ich leise.
„Als Freundin... und ein bisschen als feste Freundin.“
Ich lachte leise und gab ihm noch einen Kuss. „Du kannst jederzeit anrufen. Nur nicht mitten in der Nacht.“
„Ich werde darauf zurückkommen.“ Nun gab er mir den Kuss, den er jedoch länger hielt, als den, den ich ihm gegeben hatte. Deutlich länger. Als er sich dann von mir löste, fühlte es sich etwas seltsam an. „Ich stelle mich schon mal darauf ein in zwei Wochen Single zu sein, falls du dich bis dahin mit Tevin vertragen hast.“
Ich verzog das Gesicht. „Das hört sich schrecklich an.“
„Ich weiß.“ Er begann zu grinsen. „Mach mich glücklich und such mir eine Freundin.“
Lachend löste ich mich von ihm. „Diana ist jetzt Single.“
Er ächzte. „Nicht dein Ernst. Da laufe ich dir lieber sinnlos hinterher.“
„Wie auch immer. Ich muss jetzt rein.“
„Okay. Bis dann.“
„Bis dann.“
Er gab mir noch einen letzten Kuss, bevor er mich ganz gehen ließ und ich rein ging.
„Ich bin wieder da!“, rief ich ins Haus.
„Wurde aber auch Zeit.“, beschwerte sich Teddy und kam in den Flur. „Wir warten schon zwei Stunden.“
„Tut mir leid, wir hatten keine Zeit vereinbart, zu der ich zuhause sein sollte.“
Während ich das sagte, kam er auf mich zu und riss mich in seine Arme, als er bei mir war. „Ist mir doch egal.“, nuschelte er und drückte mich an sich.
Etwas unsicher von seinem unüblichem Verhalten legte ich leicht die Arme um ihn. „Alles in Ordnung?“
„Nein.“
Bevor ich jedoch näher nachfragen konnte, kam Dad aus dem Wohnzimmer.
„Holst du direkt deinen Koffer?“, fragte er, „Oder möchtest du noch etwas warten?“
„Nein, wir können direkt los.“, antwortete ich.
„Okay.“ Er drehte sich ins Wohnzimmer. „Tevin, bringst du deinen und Evelyns Koffer schon mal zum Wagen? Ich hole meinen und stell sie dann in den Kofferraum.“
„Klar, mach ich.“
„Ihr könnt ja unter euch ausmachen, wer vorn sitzt.“
„Also ich sitze bei Teddy.“, warf ich sofort ein. Dieser ließ es nur widerwillig zu, dass ich mich von ihm löste. „Kommst du mit hoch?“
Er zuckte mit den Schultern und folgte mir nach oben. Er sah so traurig aus.
„Was ist los?“, wollte ich in meinem Zimmer von ihm wissen.
Er starrte ein wenig auf den Boden. „Gabriela.“, antwortete er etwas später, „Sie... Sie hat eine Affäre. Sie geht mir fremd. Eine Woche nachdem wir zusammen gekommen sind hat sie schon damit angefangen.“
„Oh nein, Teddy.“
Ohne Umschweife ging ich zu ihm herüber und schlang die Arme um ihn, woraufhin er sein Gesicht an meine Halsbeuge drückte und leise weinte. Keine fünf Sekunden später drückte er mich dann zusätzlich wieder an sich, klammerte sich an mich fest.
„Es tut mir so leid.“ Ich legte ihm eine Hand in den Nacken. „Aber warum hat sie das getan?“
„Ich weiß es nicht. Ich habe es erst heute rausbekommen. Ich- Ich wollte sie besuchen, bevor wir fahren und...“ Er machte eine kurze Pause, in der er mich etwas enger an sich drückte. „Da lag sie mit ihm im Bett. Dann war er es der mir alles erzählt hat und sie hat einfach nur genickt.“
„Das hast du nicht verdient.“
Als es an der Tür klopfte, lösten wir uns voneinander, wobei er sich auf mein Bett setzte und das Gesicht in die Hände stützte, während ich an die Tür ging.
„Wo bleibt ihr?“, fragte Dad.
„Tut mir leid. Wir kommen gleich.“
Er sah an mir vorbei. „Ist alles in Ordnung mit ihm?“
„Er hat da was erfahren.“, antwortete ich darauf, „Das nimmt ihn sehr mit.“
„Verstehe. Wir warten unten.“
„Zwei Minuten.“
„Gut. Beeilt euch, ja?“
„Machen wir.“
„Gibst du mir schon mal deinen Koffer?“
„Ja, Moment.“ Ich holte ihm kurz meinen Koffer, woraufhin er ihn mir abnahm. „Bin dann gleich unten.“
„Gut.“
Damit wand er sich ab und ging wieder hinunter, woraufhin ich wieder zu Teddy ging und mich neben ihn setzte.
„Was hast du gemacht, als du sie gesehen hast?“, fragte ich ihn vorsichtig, „Nachdem sie es dir erklärt haben?“
„Ich hab ihr gesagt, sie solle sich nicht mehr bei mir blicken lassen, dass es vorbei ist und sie mich vergessen soll.“
Ich lehnte mich leicht an ihn. „Ach, Teddy. Du findest sicher jemanden, der viel besser zu dir passt.“
„Ich... Ich hab sie wirklich geliebt, weißt du?“
„Ja... Ich weiß.“ Ich rieb ihm über den Rücken.
„Ich hab ihr gegeben, was sie wollte und sie... Warum? Ich verstehe das einfach nicht. Hab ich irgendwas falsch gemacht? Wenn ja, was?“
„Mach dich deshalb nicht verrückt. Du bist ein toller Mann. Und zwar so wie du bist. Du hast nichts falsch gemacht.“
„Aber warum hat sie das dann getan?“
„Das war ihr Fehler. Sie hätte es nicht tun dürfen. Ich weiß nicht, warum sie es getan hat. Aber es war falsch von ihr.“
„Ich... Ich verstehe nicht warum.“
„Das weiß nur sie. Komm jetzt. Der Urlaub wird dir sicher gut tun. Ablenkung ist genau das richtige, glaub mir.“
„Ach ja?“
„Ja. Bei mir hat es gut geholfen.“
Er murrte leise. „Du hast dich betrunken.“, erinnerte er mich.
„Sicher. Aber ich hab auch Veit näher kennen gelernt. Außerdem habe ich mich bei dir sowieso immer gut gefühlt. Immer wenn ich bei dir war, hast du mir geholfen alles zu vergessen.“
Unter seinen Händen sah ich, dass er leicht lächelte. „Du warst schon immer schlecht in Twister.“
„Deine Schwester ist so wahnsinnig gelenkig. Nimmt sie Ballettunterricht?“
„Ja und das weißt du.“
Ich rollte mit den Augen und stand auf. „Na komm.“, ermunterte ich ihn und nahm seine Hand. „Da wartet jemand auf uns.“
Mit einem tiefen Seufzen ließ er sich von mir auf die Beine ziehen und folgte mir nach unten. Dad, Tevin und Evelyn standen bereits im Flur und warteten geduldig.
„Da sind wir.“, informierte ich sie lächelnd, „Und wir sind fertig.“
„Gut.“ Dad lächelte mich warm an. „Dann verabschiede dich noch-“
Er wurde von Cyntia unterbrochen, die mit einem Aufschrei in den Flur und direkt auf mich zu gerannt kam.
„Von deiner Schwester.“, beendete Dad sanft seinen Satz.
„Ich hab gedacht, ich würde dich verpassen.“, rief diese aus und drückte sich an mich.
„Ach was.“, warf ich ein, „Ich gehe doch nicht ohne mich von meiner Schwester zu verabschieden.“ Ich versuchte sie hochzuheben, brauchte etwa drei Versuche und hievte sie dann auf meine Hüfte. „Meine Güte, du wirst immer größer.“, bemerkte ich dann mit gehobenen Brauen. „Wie auch immer.“ Liebevoll legte ich die Arme um sie und drückte sie an mich. „Ich bin ja bald wieder da. Amüsier dich so lange so gut du kannst und treff dich ruhig ein bisschen öfter mit Freunden. Jeder braucht einen Freund, wie ich ihn habe, weißt du?“
„Meinst du Veit?“ Verwirrt sah sie zu mir auf.
„Quatsch. Ich rede von Teddy.“
Nun sah sie zu meinem besten Freund und lächelte. „Au ja!“, rief sie dann aus, „So einen möchte ich auch haben.“
Das zauberte meinem besten Freund ein leichtes Lächeln ins Gesicht. „Dann musst du dich ein bisschen anstrengen.“, bemerkte er dann und tätschelte ihr den Kopf. „Wir beste Freunde sind nicht so leicht zu finden, weißt du? Und wir machen schrecklich viel Arbeit.“
Ich lachte amüsiert auf. „Wenn er wirklich ein bester Freund ist, dann wird er aber auch von selbst dafür sorgen, dass du mindestens genauso viel Arbeit machst, wie er, ob du willst oder nicht. Sie mischen sich in alles ein, treten dir in den Hintern wenn nötig und wenn du mal richtig schlechte Laune hast, kannst du sie sogar als Stressball benutzen. Sie werden dir immer zur Seite stehen und am Ende seid ihr beide glücklich.“
Sie sah Teddy verträumt an. Beinahe zu verträumt. Dann sah sie zu mir auf. „Meinst du so einen finde ich?“
„Ganz bestimmt. Halte nur immer die Augen offen und sei immer für deine Freunde da, lass dich aber nicht von ihnen... ausnutzen. Du verstehst?“ Lächelnd gab ich ihr einen Eskimokuss und stellte sie dann wieder auf den Boden. „Wo ist Mom?“
„Sie ist draußen und gießt die Blumen im Vorgarten.“, antwortete Dad.
„Okay.“ Ich sah nochmals zu Cyntia herab. „Sei brav, ja? Ich hab dich schrecklich lieb.“ Nochmals drückte ich sie kurz an mich und ging dann mit den anderen nach draußen. Am Auto drückte ich Mom dann einmal herzlich.
„Habt viel Spaß.“, wünschte sie uns.
„Werden wir haben.“, entgegnete ich lächelnd.
„Pass auf dich auf.“
Dann wand sie sich an Tevin, woraufhin ich mich mit Teddy auf die Rückbank setzte. Da ich in der Mitte saß, setzte Tevin sich wenig später auf meine andere Seite, während Evelyn sich nach vorn auf den Beifahrerplatz setzte. Während der Fahrt unterhielt ich mich leise mit Teddy über Nichtigkeiten und machte Späße mit ihm. Die ganze Zeit lang musste ich mich dazu zwingen Tevin nicht anzustarren. Dieser hatte sich vor gelehnt und unterhielt sich mit Evelyn. Ab und zu brachte Dad ein Kommentar mit ein, konzentrierte sich aber weitestgehend auf den Verkehr.
Ich musste eingeschlafen sein. Müde lehnte ich mich an eine Schulter und seufzte verschlafen, als ich den Arm bemerkte, den man mir um die Taille gelegt hatte.
„Vilija. Teddy.“
Unter mir murrte jemand. „Noch fünf Minuten.“, murmelte Teddy verschlafen.
„Kommt, wacht auf. Wir sind da.“ Das musste Dad sein.
Widerwillig öffnete ich die Augen und wagte es mich verschlafen zu strecken. Im Auto schlafen war anstrengend. Ich gähnte lange und sah dann zu Teddy auf, der immer noch schlief. Er war es, der mir den Arm um die Taille gelegt hatte.
„Teddy.“, murmelte ich mit vom Schlaf rauer Stimme. „Aufwachen. Da wartet ein Bett auf dich.“
„Ich will nicht.“, murmelte er, „Lass mich schlafen.“
Als Dad die Tür neben ihm öffnete, rutschte er ein wenig zur Seite und öffnete widerwillig die Augen.
„Na komm, Teddy. Drei Minuten, dann kannst du ins Bett.“
„Wie lange waren wir unterwegs?“, fragte ich, während Teddy aus dem Auto kletterte und sich müde an das Auto lehnte.
„Wir haben mehrere Pausen gemacht, wie du weißt, und unterwegs gegessen. Seit du das letzte mal wach warst sind wir etwa 5 Stunden unterwegs gewesen.“
„Und wie spät ist es jetzt?“
„22 Uhr.“
Ich rieb mir die Augen, nahm Teddys Hand und zog ihn hinter mir her zum Haus. Nebenbei zog ich mein Handy aus der Tasche und schrieb Veit eine SMS.
Sind gerade angekommen. Vermisse dich. Hoffe dir geht es besser als mir, bin hundemüde.
Kuss
Vilija
Verschlafen steckte ich das Handy wieder ein und gähnte, bevor ich das Haus betrat. Eine Katze war das erste, was ich sah. Als nächstes verließ ein Junge gerade die Küche und sammelte die Katze auf. Er lächelte mich freundlich an, als er mich sah.
„Hi. Du bist Vilija, richtig? Dein Bruder und die andere sind schon oben. Ich bin Nathaniel, Cathleens Freund.“, stellte er sich vor.
„Das hättest du wohl gern.“, ertönte daraufhin eine bekannte Stimme, schob ihn beiseite und nahm ihm die Katze aus den Händen.
„Ich dachte, wir hätten alles geklärt.“
„Geklärt ist noch lange nichts. Du hast dich lediglich erklärt.“ Sie wand sich an uns und lächelte mich an. „Freut mich sehr, dich wiederzusehen, Vilija.“, begrüßte sie mich.
Nathaniel sah sie sehnsüchtig an, was sie offensichtlich nicht bemerkte – oder gekonnt ignorierte.
„Freut mich auch. Auch wenn es im Moment nicht den Eindruck macht.“, antwortete ich ihr.
„Schon in Ordnung, immerhin ist es spät und ihr seid lang unterwegs gewesen. Komm, ich zeig euch das Zimmer. Tevin hat sich schon hingelegt.“
Sie schüttelte Nathaniel ab, der ihr eine Hand auf die Hüfte gelegt hat und ging voraus die Treppe hoch.
„Viel Glück.“, raunte ich ihm zu, bevor ich mit Teddy an der Hand hinauf ging und Cathleen zu einem Zimmer folgte.
„Hier kann dein Freund schlafen. Theodore, richtig?“ Sie sah meinen besten Freund fragend an.
„Ja.“, antwortete dieser und rieb sich ein Auge. „Wo ist das Badezimmer?“
„Gleich da vorn die linke Tür.“ Sie deutete auf die besagte Zimmertür. „Levin hat dir dein Gepäck schon ins Zimmer gestellt.“
„Okay, danke. Gute Nacht, Vivi.“ Er gab mir einen kleinen Kuss auf die Wange und schlurfte dann hinüber ins Bad.
„Schlaf gut, Teddy.“, antwortete ich ihm noch und folgte dann Cathleen zum Zimmer von mir und Tevin.
Dieser lag tatsächlich schon im Bett, schien aber noch ein wenig zu lesen. Als er uns hörte, sah er von dem Buch auf.
„Das hier ist euer Zimmer.“, erklärte Cathleen, „Da vorn ist dein Koffer.“ Sie deutete auf die linke Seite des Zimmers. „Du kannst die Sachen ruhig in den Schrank räumen und dann auch deinen Koffer hinein stellen. Frühstück gibt es morgen um 10 Uhr, damit ihr ausschlafen könnt.“
„In Ordnung. Danke.“
„Gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
Mit einem letzten Lächeln wand sie sich ab und ging wieder nach unten. Ich dagegen ächzte leise und ging zu meinem Koffer, um ihn auszuräumen.
„Wie kommt es, dass du müde bist?“, fragte Tevin verwundert, „Du hast doch so lange im Auto geschlafen.“
„Im Auto schlafen ist nicht besonders erholsam.“, antwortete ich darauf.
Mein Handy vibrierte. Ich zog es aus meiner Hosentasche und öffnete die SMS, die angekommen war.
Ward ihr wirklich so lange unterwegs? Ich hoffe, du hast ein bisschen schlafen können. Wie geht es dir? Seid ihr gut angekommen?
Schlaf dich gut aus, ich will dich gesund und munter zurück haben.
Kuss
Veit.
Mit einem leichten Lächeln antwortete ich ihm schnell.
Wir sind mit dem Auto durch mehrere Staaten gefahren. Natürlich dauert das lange.
Ja, ich habe geschlafen, aber im Auto ist das nicht sehr angenehm. Abgesehen von meiner Müdigkeit geht es mir aber sehr gut und wir sind auch gut angekommen.
Wünsche dir eine schöne gute Nacht.
Kuss Kuss
Vilija.
Als ich mein Handy wieder einsteckte hörte ich Tevin leise seufzen.
„Ich werde mich jetzt mal hinlegen. So eine Autofahrt zerrt an einem, obwohl man nur im Wagen sitzt und sonst nichts tut.“
Ich warf ihm einen kurzen blick zu. „Ist okay.“
„Wann kommst du ins Bett?“
Nun blickte ich ihn direkt an, während er das Buch zur Seite legte und es sich gemütlich machte. „Ich gehe noch kurz ins Bad, sobald Teddy fertig ist. Dann lege ich mich auch hin.“
„Gut. Soll ich warten?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Wenn du möchtest.“
„Okay.“
Als Teddy an unserer noch offenen Tür vorbei schlurfte, sah ich kurz herüber, schnappte mir eine Boxershorts und ein Shirt aus meinem Koffer und ging dann zur Tür. „Ich gehe dann eben.“
„Ist gut.“
Im Bad gönnte ich mir eine kurze Dusche und fragte mich, wie Tevin sich dabei fühlte. Fühlte er sich wohl? War er nervös? Unsicher? Vielleicht hatte er Schuldgefühle. Aber weshalb? War es ihm unangenehm? Freute er sich? Ich wusste es nicht.
Eine Viertelstunde später kam ich wieder ins Zimmer. Tevin war noch wach und lag auf der Seite. Leise schloss ich hinter mir die Tür und kam zum Bett herüber.
„Kannst du nicht schlafen?“, fragte ich zaghaft und schlug die Decke zurück.
Tevin zögerte ein wenig und drehte sich zu mir, als ich mich ins Bett legte. „Ich hab nur nachgedacht.“, antwortete er irgendwann und beobachtete, wie ich mein Kissen zurecht knetete und es mir dann gemütlich machte.
„Worüber?“
„Ich... Eigentlich möchte ich dich nicht weiter damit belästigen.“
Sprach er über uns? „Was meinst du?“
„Du... und ich.“
Er sprach wirklich über uns. „Kannst du verstehen, warum ich so gehandelt habe?“
Sein Blick wanderte ein wenig umher, während er nachdachte. „Ich versuche es zu verstehen. Die einzige plausible Erklärung die mir einfällt ist, dass du dich in Veit verliebt hast und ihn nicht mehr aufgeben möchtest.“
Ich seufzte ein wenig und kuschelte mich in die Decke. „Es ist genau so, wie ich es gesagt habe. Ich bin glücklich mit Veit und möchte ihn nicht verletzen.“ Ich hatte nicht gelogen, sondern nur die Information zurück gehalten, dass ich Veit nicht verletzen würde. „Ich habe ihn sehr gern.“
„Hast du... mit ihm... geschlafen?“
Da war die Frage, auf die ich seit Stunden nervös wartete. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen und drehte den Kopf ein wenig weg, als ich ihn anlog. „Ja, habe ich.“ Mein Herz begann zu Pochen. Ich hasste es, ihn anzulügen.
Er hielt den Atem an. Dann schluckte er schwer. „Und... wie war es?“
Ich zögerte etwas, dachte über die Frage nach. „Möchtest du das wirklich wissen?“
„Sag es mir.“
„Na gut, also... Ich... Ich fand es schön. Mit ihm.“
Schwer atmete er aus und atmete dann tief durch. Als ich zu ihm sah, öffnete er gerade wieder die Augen. „Willst du es... nochmal tun? Mit ihm?“
Er klang dabei so gequält, dass es mir den Hals zuschnürte. Plötzlich kam ich mir so falsch vor. Ich hatte ihm ein Versprechen gegeben und nun tat ich so, als hätte ich es gebrochen. Wahrscheinlich verdiente ich die Schmerzen in meiner Brust, als ich Tevins Gesichtsausdruck sah. Als ich ihm nicht antwortete, schloss er wieder die Augen.
„Schon gut. Das will ich wahrscheinlich wirklich nicht wissen.“, bemerkte er dann, „Ich... wünsche dir eine gute Nacht.“
„Danke.“ Irgendwie schaffte ich es den Blick von ihm zu reißen und mich auf die andere Seite zu drehen. „Dir auch.“
Ich hatte das Gefühl nicht lange geschlafen zu haben, als mich irgendwas langsam aus dem Schlaf holte. Als ich ein wenig blinzelte, stellte ich fest, dass es noch stockdunkel war. Außerdem bemerkte ich, wie Tevin sich hinter mir bewegte. Hinter mir? Nein Moment, ich hatte mich gedreht. Er lag jetzt vor mir und schien näher gerückt zu sein. War er noch wach? Oder war er ebenfalls aufgewacht?
Fakt war, er war plötzlich unter meiner Decke, rückte noch enger heran und schob ganz vorsichtig einen Arm unter meinen Kopf, als habe er Angst mich zu wecken. Sobald mein Kopf an seiner Schulter lag, legte er mir den anderen Arm um die Taille und zog mich an sich. Bei all dieser Nähe zu ihm wurde mir ganz warm und ein heftiges Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus.
Ich schaffte es nur wenige Momente mich zurückzuhalten. Dann seufzte ich leise, gab nach und legte die Arme um ihn, während ich mich an ihn kuschelte. Er war so herrlich warm, roch so gut und... war einfach Tevin.
Er atmete leise etwas erleichtert auf, drückte mich sanft an sich und lehnte seine Wange an meine Stirn. „Was soll ich nur tun?“, murmelte er dann so leise, dass ich das Gefühl hatte, es mir eingebildet zu haben.
Dann schlief ich wieder ein.
Als ich am nächsten Tag aufwachte, schlief Tevin immer noch tief und fest, hielt mich dabei fest umschlungen und drückte mich an sich. Ein paar Momente lang blieb ich regungslos liegen und genoss seine Nähe. Dann löste ich mich so vorsichtig wie möglich von ihm, um ihn nicht zu wecken und stand auf, um mich anzuziehen. Ich wollte mir gerade ein Shirt überziehen, als ich bemerkte, dass Tevin mir zusah. Ich erschreckte mich so sehr, dass ich zusammen zuckte und aufschrie.
„Tevin!“, rief ich dann aus, „Du kannst mir doch nicht so einen Schrecken einjagen.“
Sein Mundwinkel zuckte. „Tut mir leid.“ Sein Blick glitt über meine noch nackten Beine, bevor sie wieder hinauf glitten, um zu beobachten, wie ich mir mein Shirt anzog.
Ich drehte ihm dabei den Rücken zu. „Was machst du heute so?“
„Ich weiß noch nicht. Vielleicht gehe ich mit Evelyn in die Stadt. Und du?“
„Ich gehe auf jeden Fall mit Teddy in die Stadt. Er braucht dringend ein bisschen Ablenkung.“
Etwas besorgt setzte er sich auf. „Was hat er denn?“
„Ein gebrochenes Herz. Gabriela ist ihm mehrfach fremd gegangen. Er hat sie dabei erwischt und ihr Kerl hat dann alles erklärt. Sie hat nicht einmal etwas gesagt. Gar nichts.“ Ich schnappte mir eine Hose und zog sie mir über, wobei ich mich aufs Bett setzte, damit ich nicht das Gleichgewicht verlor. „Er ist total fertig.“
„Deshalb war er so schlecht gelaunt, als er bei uns ankam.“
„Wahrscheinlich.“ Zu guter Letzt zog ich noch Socken an und sprang wieder auf die Beine. „Ich gehe jetzt frühstücken.“
„Komme auch gleich.“, entgegnete Tevin darauf nur.
Im Flur begegnete ich Evelyn, die ebenfalls auf dem Weg nach unten war.
„Guten Morgen.“, begrüßte ich sie und lächelte sie freundlich an. Obwohl sie Tevins beste Freundin war, kannten wir uns nicht sehr gut.
„Morgen.“, murrte sie.
Okay... offenbar ein Morgenmuffel. „Gut geschlafen?“
Sie sah mich nur an.
„Wie geht es deinem Freund?“
„Frag seine neue Freundin.“
„Oh... Tut mir leid.“
Sie zuckte mit den Schultern und seufzte leise. „Ist schon eine Weile her.“
„Was ist passiert?“
„Er hielt es für besser sich von drei Tussen gleichzeitig begatten zu lassen, als zu meinem Geburtstag zu kommen.“
Ich biss mir auf die Unterlippe. „Tut mir leid.“
Sie winkte ab. „Wie gesagt, ist schon eine Weile her. Was ist mit deinem Freund?“
Ich zögerte etwas. „Ihm geht’s gut.“
„Reibt er sich triumphierend die Hände, weil Tevin dich nicht bekommen hat?“
Ich blinzelte und begann dann zu kichern, als ich es mir vorstellen musste. „Nein.“
Sie lächelte schräg. Dann sah sie mich ernst an. „Nimm Tevin nicht zu hart dran. Er ist bis über beide Ohren in dich verliebt.“
Mein Herz begann zu hämmern. „Ich hab mit ihm darüber gesprochen.“
„Wie auch immer. Tut ihm nur nicht weiter weh. Ich mache mir Sorgen um ihn.“
„Sorgen? Warum?“
„Ich habe Angst vor dem, was passiert, wenn er sich plötzlich wieder allein fühlt.“
Eine Kerze in einer riesigen dunklen Höhle. Und wenn sie erlischt, stehe ich ganz allein da.
Oh Tevin...
„Er schafft das schon.“, entgegnete ich, mehr zu mir selbst, als zu Evelyn.
„Das hoffe ich. Er schuldet mir noch fünf Dollar.“
Verwirrt sah ich zu ihr herüber. „Fünf Dollar?“
„Ja. Ihm fehlte ein bisschen Geld. Ist aber nicht weiter wichtig. Besten Freunden leiht man ja gerne mal was.“
Wenn ich nicht schon vorher gewusst hätte, dass sie ein bisschen schräg drauf war, würde ich mich jetzt umdrehen und mich bei Tevin verkriechen.
In der Küche saß Teddy auf einem Stuhl und stocherte mit seinem Löffel lustlos in seinem Essen herum. Ich holte mir ebenfalls eine Portion vom Herd und setzte mich neben ihn.
„Guten Morgen, Teddy.“, begrüßte ich ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Hast du gut geschlafen?“
„Das war die schrecklichste Nacht meines Lebens.“, entgegnete er, „Ich hab kein Auge zu getan. Die meiste Zeit zumindest.“
Evelyn setzte sich ihm gegenüber. „Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“
„Ein einsachtzig großer brünetter Typ mit braunen Augen namens Mikael.“
Evelyn zog die Nase kraus. „Mistkerl. Reichen ihm drei Tussen nicht?“
Das reichte um zu verstehen, dass es wohl ihr Ex war.
„Entweder deine Süße war zu weich oder sie hat dich nicht geliebt.“, meinte sie dann, „Mikael steht auf weiche Mädchen. Und auf den Reiz des Verbotenen.“ Erneut zog sie die Nase kraus.
„Kennst du Gabriela?“
„Oh nein. Gabriela? Meinst du das ernst? Sie war deine Freundin?“
„Ja.“
„Das tut mir leid. Sie ist so... nett.“
Teddy seufzte nur und starrte auf seine Mahlzeit.
„Iss.“, bat ich ihn, „Du wirst die Energie brauchen.“
„Warum?“, fragte er und sah zu mir auf.
„Ich möchte mit dir in die Stadt. Du warst noch nie hier.“
„Ich glaube, das ist keine so gute Idee.“, warf Evelyn ein, „Der schnucklige Junge von gestern hat gesagt, dass es heute regnen soll.“
„Schnuckelige- Du meinst Nathaniel?“
Evelyn nickte. „Meinst du, er ist Single?“
„Er hat es auf Cathleen abgesehen. Seiner Meinung nach sind sie schon zusammen.“
Nachdenklich tippte Evelyn sich an das Kinn und sah an die Decke. Dann zuckte sie mit den Schultern. „Mal sehen wie lange das hält. Er ist heiß!“
„Und total verliebt in Cathleen.“, warf Teddy ein, „Du wirst ihr doch wohl nicht den Freund ausspannen.“
Evelyn grinste nur leise vor sich hin und begann zu essen. Ich tat es ebenfalls. Kurz darauf kamen Nathaniel und Cathleen herein. Sie hielt ihre Katze auf dem Arm und streichelte sie hingebungsvoll. Nathaniel hatte ihr einen Arm um den Körper gelegt. Seine Hand lag auf ihrer Hüfte.
„Guten Morgen.“, begrüßte Cathleen uns freundlich, jedoch nicht ganz so gut gelaunt.
„Guten Morgen.“, entgegnete ich, „Alles okay?“
Sie verzog das Gesicht. „Ein gewisser jemand weiß nicht, wann es genug ist.“ Demonstrativ sah sie Nathaniel finster an, was er gekonnt ignorierte und ihr einen Stuhl zurecht rückte. Sie setzte sich auf einen anderen. Er seufzte leise und nahm neben ihr Platz.
Wenige Augenblicke später kam auch Tevin herein, der sich den Platz auf meiner anderen Seite ergatterte. „Morgen.“, begrüßte er uns lächelnd.
Die anderen murmelten ein verstimmtes „Morgen“, woraufhin er sich verwundert alle ansah.
„Was ist denn mit euch los? Eine Grimasse nach der anderen.“
„Du müsstest doch eigentlich auch eine tragen.“, stichelte Evelyn.
Tevin zuckte nur mit den Schultern.
„Evelyn hat mir übrigens gesagt, dass es heute regnen soll.“, bemerkte ich dann an ihn.
„Tatsächlich?“ Er sah seine beste Freundin verwundert an, die daraufhin auf Cathleen deutete, die wiederum zustimmend nickte. „Schade. Dann war's das wohl mit der Stadt.“
„Was machen wir stattdessen?“, fragte mich Teddy.
„Wir können... ins Kino gehen.“, schlug ich vor, „Ich meine da läuft gerade-“ Als mir einfiel, dass der einzige Film, den ich sehen würde, eine Schnulze war, unterbrach ich mich. „Lieber nicht. Wie wäre es mit Hallenbad?“, schlug ich dann vor.
Er dachte einen Moment darüber nach und nickte dann. „Klingt gut. Warst du schon mal in dem hier in Kansas City?“
„Ja.“ Es dauerte einen Moment, bis ich mich erinnerte. „Sie haben viele Rutschen, vier Springtürme, ein paar Saunas, ein Ruhebecken, Babybecken, Gymnastikbecken und ein Wellenbad. Und natürlich ein normales Schwimmbecken.“
„Gut. Ich hab Lust auf einen Saunabesuch. Kommst du mit rein?“
Ich zögerte einen Moment. „Na gut.“
„Und dann gehen wir rutschen.“
Teddy brachte seinen Teller weg und machte sich bereits auf den Weg nach oben, woraufhin ich schnell aufstand, unterwegs zur Spüle den Rest meiner Mahlzeit aufaß und ihm dann folgte.
„Ich wäre ja noch für eine Runde Wellenbad.“, bemerkte ich.
„Und danach können wir ja Wetttauchen machen.“
Ich stöhnte auf. „Das ist nicht fair. Du kannst die Luft viel Länger anhalten als ich.“
„Dafür kannst du schneller schwimmen.“
„Ruhen wir uns danach im Ruhebecken aus? Das Wasser ist immer so schön warm. Und Salzwasser soll gut für die Haut sein.“
„Klar.“
„Gut. Ich frag gleich jemanden, ob man uns fährt.“
„Gut.“
Mit diesem Wort verschwand er in seinem Zimmer, woraufhin ich in das Zimmer von Tevin und mir ging, um mir da eine kleine Tasche fertig zu machen. Ich ließ mir von Cathleen ein paar Handtücher geben und packte mir neben meinem Bikini noch mein Portemonnaie und eine Haarbürste ein. Als ich Riley fragte, ob man uns fahren könnte, entschieden sich Tevin, Evelyn, Cathleen und Nathaniel dann noch dazu auch mitzukommen.
„Dann nehmen wir wohl zwei Autos.“, bemerkte Riley, „Ich frage mal Rika, ob sie nicht den anderen Wagen fährt.“
„Danke.“
Als das geklärt war, setzte ich mich mit Teddy ins Wohnzimmer, um zu warten. Lange dauerte es zum Glück nicht. Ich saß etwa 10 Minuten mit Teddy auf der Couch und hatte ihm an ihn gelehnt tröstlich die Arme um die Taille gelegt.
Als es dann soweit war verteilt wir uns in den beiden Autos. Kurz bevor wir losfuhren, rief Riley jemanden an und schien zu fragen ob sie nicht auch Lust auf das Hallenbad hätten, es seien noch zwei Plätze frei. Als er wenig später auflegte stieg er nochmal aus, um Rika etwas zu sagen.
„Rima und Darven kommen auch mit.“, informierte er mich und Teddy, als er sich wieder in den Wagen setzte. Die anderen vier saßen bei Rika. „Rika fährt schon mal vor, aber die anderen warten dann da.“
„Okay.“
„Wohnen noch mehr deiner Verwandten oder Familienfreunde hier?“, fragte Teddy zaghaft.
„Luca und Alexandra wohnen mit ihrer Tochter Cordelia hier ganz in der Nähe.“, erklärte ich.
„Cordelia hat heute allerdings Tanzunterricht.“, bemerkte Riley.
„Und sie und Cathleen können sich nicht ausstehen.“, fügte ich hinzu.
„Verstehe.“
Die Fahrt zu Janis und Lilita war nicht lang. Wir hatten sogar Zeit kurz rein zu gehen und uns ein wenig zu unterhalten, während Rima und Darven sich fertig machten. Die beiden waren ein sehr interessantes Zwillingspaar. Fünf Minuten später ging es dann auch schon weiter.
„Wer ist noch alles dabei?“, fragte Rima, die sich den Beifahrerplatz ergattert hatte, und drehte sich zu uns um.
„Tevin, Evelyn, Cathleen und Nathaniel.“, antwortete ich.
„Wer ist Evelyn?“, fragte Darven verwundert.
„War das nicht eine Freundin von Tevin?“, überlegte Rima laut.
„Ja. Seine beste Freundin, um genau zu sein.“, stimmte ich zu, „Wie ist eure neue Schule so?“
„Sehr interessant.“, antwortete Darven, „Rima hat sich ziemlich heftig verguckt.“
„Hab ich gar nicht.“, protestierte diese, „Er ist nur so... so... nett und... aufmerksam und...“
„Ja, ja, ja.“, unterbrach Darven sie, „Das sagt sie immer. In Wahrheit ist sie total in ihn verschossen. Hey, soll ich Jesse anrufen und fragen, ob die nicht auch Lust haben ins Hallenbad zu gehen.“
Rima murrte. „Du bist so gemein.“
Ich lachte leise. „Also, mich würde es schon interessieren für wen Rima sich interessiert.“
Darven wackelte mit den Brauen und zückte sein Handy. „Gib mir zwei Minuten.“
„Woher hast du überhaupt Jesses Nummer?“, fragte Rima verstimmt.
„Ich hab ihn gefragt.“ Er sah zu mir und Teddy. „Jesse ist der beste Freund von Rimas Schwarm. Zu ihrem Glück ist er in festen Händen.“
„Sehr festen.“, stimmte Rima zu, „Er und seine Freundin sind nicht einen Moment zu trennen, wenn es sich vermeiden lässt.“
Als Darven sein Handy ans Ohr hob, sah Rima ihn ungläubig an. „Du tust es tatsächlich?“
Er grinste sie an. Dann hob offenbar jemand ab. „Hey Jesse.“, begrüßte er diesen, „Ich wollte fragen ob du und Trace nicht Lust habt ins Hallenbad zu kommen.“
Ich verkniff mir bei Rimas Grimasse ein amüsiertes Grinsen und sah zu Teddy auf. „Bin ich froh, dass es bei uns nie den Anlass gab so etwas zu machen.“
Sein Mundwinkel hob sich ein wenig. „Stimmt. Du warst zu sehr damit beschäftigt in meinem Zimmer auf und ab zu gehen.“
Mein Mundwinkel zuckte. „Ich bin froh, dass du mich trotz allem nicht aufgegeben hast.“
Rima blinzelte uns an. „Seid ihr... zusammen?“
„Nein.“, entgegnete ich, „Teddy ist und bleibt für immer mein allerbester Freund.“
„Hast du denn gerade einen Freund?“
„Er heißt Veit.“, entgegnete ich, „Und er ist Künstler.“
„Sie blufft nur.“, bemerkte Teddy, „Sie ist bis über beide Ohren in Tevin verknallt.“
Darven blieb der Mund offen stehen. „In Tevin?“
„Ja. Sie ist nur zu stur, um sich jetzt auf ihn einzulassen.“
„Was heißt jetzt?“, fragte Rima verwirrt.
Teddy brauchte die gesamte Fahrt zum Hallenbad, um es den beiden zu erklären. Riley seufzte.
„Ihr zwei solltet die Zeit nutzen, die ihr habt.“, riet er uns als wir ausstiegen, „Ehe ihr euch verseht habt ihr kaum noch welche.“
„Wie meinst du das?“, fragte ich verwundert.
Er sah zu Rika, die bei den anderen auf uns wartete. „Rika und ich hätten uns mehrere Male beinahe für immer verloren.“
Er rieb sich über die Brust, als würde sie schmerzen. Rika, die in der Zeit zu uns herüber sah, machte ein besorgtes Gesicht und kam herüber.
„Alles okay?“, fragte sie und legte fest die Arme um ihn.
Seine Antwort war ein Kuss, bei dem er sie eng an sich zog und fest umschlang. „Alles gut.“, murmelte er zwischen zwei Küssen, „Du bist hier. Alles gut. Außerdem glaube ich, dass wir Slane mal wieder besuchen müssen.“
„Mom, Dad, hört auf damit.“, beschwerte sich Cathleen, als sie mit den anderen herüber kam. „Macht mir zuhause ein neues Geschwisterchen, wenn ich nicht da bin.“
Rika lachte auf, gab Riley noch einen letzten Kuss und löste sich dann von ihm. Darven und Rima warfen sich daraufhin einen amüsierten Blick zu. Ich wollte mich gerade an Teddy wenden, um ihm etwas zu sagen, als mein Blick plötzlich bei Tevin hängen blieb. Er sah mit unergründlichem Blick zu mir herüber, während Evelyn offenbar versuchte ihm etwas zu sagen.
Es war einer dieser bezaubernden Momente, von denen ich dachte, dass sie nur in Büchern existierten. Es schien, als sei er das einzige, das ich wahrnahm. Wie er mich ansah, einfach nur da stand. Unsere Blicke hielten einander fest.
Dann fuchtelte Evelyn mit ihrer Hand vor seinen Augen herum, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
„Ich rede mit dir.“, merkte sie empört an.
„Tut mir leid.“, entgegnete er sofort, „Was sagtest du?“
Ich dagegen schüttelte kurz den Kopf, um ihn frei zu bekommen und sah dann zu Teddy. Dieser hatte mich offenbar beobachtet und lächelte mich nun wissend an.
„Wollen wir dann rein?“, fragte ich in die Runde, „Jesse und Trace können wir ja drinnen treffen.“
„Wen?“, fragte Nathaniel verwirrt.
Teddy winkte ab und schob mich voran. „Wir gehen einfach schon mal, ihr lahmen Enten.“
„He.“, protestierte Rima und eilte hinterher.
Die anderen folgten, nachdem sie sich kurz von Rika und Riley verabschiedet hatten.
„Kann man hier Gruppentickets kaufen?“, fragte ich neugierig und sah auf die Preisliste. „Das wäre sicher billiger, als wenn jeder einzeln bezahlt.“
„Ja, gibt es.“ Cathleen deutete auf eine Zeile sehr weit unten. „Zwischen 5 Personen bis 15 Personen.“ Sie rechnete kurz die Preise durch und nickte dann. „Ja, das ist besser.“
„Gut.“
So warfen wir das nötige Geld zusammen und bezahlten das Gruppenticket, bevor wir uns aufteilten, um uns umzuziehen.
„Dieser Teddy sieht ziemlich niedlich aus.“, bemerkte Cathleen, während wir uns umzogen.
Ich blinzelte sie überrascht an. „Naja, das ist er auch. Er ist der beste beste Freund, den ich haben könnte.“
„Und er ist Single.“, fügte Evelyn hinzu.
„Oooh! Vilija, warum bist du nicht mit ihm zusammen.“
„Das haben wir mal versucht.“, gab ich zu, „Aber er ist eher ein Bruder für mich.“
„Ah, die Sache.“ Rima nickte. „Sowas kenne ich.“
Als wir fertig waren, schlossen wir unsere Taschen weg und gingen dann mit jeweils einem Handtuch in die Halle.
„Was ist mit Nathaniel?“, fragte ich neugierig, „Du warst doch mal mit ihm zusammen, richtig?“
Cathleen seufzte. „Ja, aber... es ist nicht mehr wie früher. Ich hab mich verändert... er auch und... dann war da noch diese Sache mit Ophelia.“ Sie zog die Nase kraus, sah dann aber etwas bedrückt zu Boden. „Ich weiß einfach nicht, ob ich ihm trauen kann.“
„Verstehe.“
„Also, wenn es dir hilft, dann stelle ich ihn gerne für dich auf die Probe.“, bot Evelyn böse lächelnd an.
Cathleen schmunzelte. „Tu was du nicht lassen kannst.“
„Das wird ein Spaß.“
„Wo sind die Jungs überhaupt?“, fragte Rima und sah sich um.
„Ich weiß nicht. Lass uns lieber schon mal ein paar Liegen frei halten.“, schlug ich vor.
So machten wir uns auf den Weg zu den Liegen und zogen einige zusammen, damit wir nebeneinander liegen konnten. Rima zählte kurz durch und nickte.
„Genug?“, fragte ich sie amüsiert.
„Jep.“
Dann hörte ich Tevin lachen und drehte mich suchend in die Richtung um. Sie sahen sich gerade ebenfalls suchend um, woraufhin ich begann mit den Armen zu wedeln.
„Wir sind hier hinten!“, rief ich herüber.
Tevin fand mich sofort und lächelte leicht. Dann eilten die Jungs mit Zweien, die mir noch unbekannt waren, zu uns herüber. Tevin hatte uns zwar als erste gefunden, aber Teddy war als erste bei uns. Sobald er mich erreichte, hob er mich hoch, warf mich über seine Schulter und lief an allen anderen vorbei.
„Lass uns ins Wasser.“, schlug er nur vor.
Ich bekam gerade noch einen überraschten Schrei über die Lippen, als er mit mir absprang, bevor wir bereits im Becken landeten. Unterwasser ließ er mich los, damit wir wieder an die Oberfläche schwimmen konnten, wo ich ihn dann lachend mit Wasser bespritzte, bevor ich mich daran machte an den Beckenrand zu schwimmen.
„Hey, sei doch nicht feige!“, rief Teddy amüsiert aus, holte mich ein und zog mich ins Wasser, als ich es verlassen wollte.
„Teddy!“, protestierte ich daraufhin lachend.
„Du wolltest mich ablenken, oder nicht?“
„Oh, du-“ Ich bespritzte ihn erneut mit Wasser. „Du bist so fies.“
Er lachte nur, drückte mich kurz an sich und stieg dann selbst aus dem Wasser.
„He!“, protestierte ich erneut, „Ich dachte, ich soll dich ablenken!“
Hastig folgte ich ihm aus dem Wasser zu den anderen, die sich jeweils eine der Liegen ausgesucht hatten. Zwei waren noch leer. Auf halbem Wege sprang ich Teddy auf den Rücken, woraufhin er amüsiert meine Beine festhielt, damit ich nicht rutschte, und mich den Rest des Weges trug. Bei den Liegen setzte er mich dann ab und zog mich hinter sich her, als er sich auf eine der freien Liegen setzte. Das hatte zur Folge, dass ich auf seinem Schoß landete, wie er es wahrscheinlich geplant hatte.
„So.“, sagte er zufrieden und schlang die Arme um mich. „Das hier ist Vilija.“, stellte er mich dann den beiden fremden Jungs vor.
Der eine von ihnen pfiff anerkennend. „Also, das nenne ich hinreißend.“
Der andere, deren Augen in einem unglaublichem Türkis leuchteten, stieß ihm in die Seite. „Du hast Jessamy wieder, du Idiot.“
„Ich hab auch nicht vor sie so schnell zu verlassen, wie du weißt, aber, halloooo! Sieh dir mal diese Kurven an.“ Er legte den Kopf schräg und lehnte sich etwas zur Seite, was mich intuitiv dazu veranlasste die Arme vor der Brust zu verschränken. „Ganz schön heiß, das muss einfach gesagt werden.“
Der andere rollte mit seinen türkisen Augen und sah mich entschuldigend an. „Er kann es einfach nicht lassen. Nimm es ihm nicht übel. Eigentlich ist er kein so schlechter Kerl. Besonders, wenn seine Freundin da ist.“ Bei dem Wort sah er seinen Freund bedeutungsvoll an.
Dieser winkte ab. „Ich weiß ich weiß. Lass mich doch ein bisschen gucken. Ich mach ja nichts weiter.“
„Soll ich Jessamy später davon erzählen?“
„Der nette ist Trace.“, stellte Teddy vor, „Der andere, der dich gerade so angemacht hat, ist Jesse.“ Er brachte seinen Mund neben mein Ohr. „Und so wie Tevin aussieht, landet er gleich im Wasser.“, flüsterte er mir zu.
Überrascht sah ich zu Tevin herüber und stellte fest, dass er Jesse finster ansah. Sehr finster.
Dieser sah zu Trace. „Du weißt, dass ich nie etwas tun würde. Warum lässt du mich nicht ein bisschen gucken? So einen Körper sieht man nicht alle Tage.“
Trace schlug ihm gegen den Hinterkopf. „Das machst du nur so oft, bis Jessamy dir einen über zieht, Dummkopf.“
„Wenn Jessamy da ist, nehme ich keine andere Frau wahr.“
„Da ist was dran.“, bemerkte Darven, der es sich neben Rima gemütlich gemacht hatte. Diese himmelte ganz offensichtlich Trace an.
Jesse sah wieder zu mir und lehnte sich etwas mehr zur Seite, um mehr sehen zu können. „Sag mal, Vilija... musst du für diese Figur irgendwas tun, oder hast du einfach nur einen fantastischen Stoffwechsel?“
Ich zögerte. „Eine Mischung aus beidem. Ich mache viel mit Teddy, esse nicht zu viel und mein Stoffwechsel macht den Rest.“
„Wow.“ Er lehnte sich noch etwas zur Seite.
Tevin setzte sich auf. „Du kannst jetzt langsam aufhören Vilija zu begaffen.“
Trace räusperte sich. „Jesse, du solltest das vielleicht wirklich lassen.“
Jesse wiederum, der den drohenden Ton in Tevins Stimme nicht gehört zu haben schien, seufzte nur winkte ab. „Was ist so schlimm am Gucken?“
Evelyn rollte mit den Augen. „Fünf... vier...“
Unter Tevins Auge zuckte tatsächlich ein Muskel.
„drei... zwei...“
„Jesse...“, versuchte Trace es nochmal.
„eins...“ Ev hielt sich eine Hand vor die Augen, als Tevin aufstand.
Ohne ein Wort zu verlieren packte er Jesse am Nacken, nahm ihn in den Schwitzkasten und zog ihn hinter sich her zum Becken. Etwas überrascht sah ich ihm erstaunt hinterher, als Tevin ihn einfach hinter sich her zog und schließlich ins Wasser warf. Alle anderen brachen in Gelächter aus. Alle... außer Teddy und mir. Evelyn schien das gleichgültig zu sein.
„Tevin ist ganz schön temperamentvoll geworden.“, merkte sie nebenbei an und warf mir einen Blick zu. „Besonders was Vilija betrifft.“
„Warum?“, fragte Cathleen verwundert und sah von Tevin zu ihr und wieder zurück.
„So ist die Liebe.“, entgegnete Ev und streckte sich ein wenig. „Besonders, wenn man so frustriert ist wie er.“
Rima seufzte leise und sah wieder zu Trace, der im selben Augenblick zu ihr sah. Hastig wand sie den Blick wieder ab, sah dann aber erneut zu ihm.
Als Tevin sich wieder auf seinen Platz setzte, schien er etwas entspannter, gleichzeitig jedoch auch irgendwie erschöpft.
Evelyn stieß ihn leicht an. „Doch nicht mehr so gute Laune?“
Er murrte. „Halt die Klappe.“
Ich seufzte tief und sah zu Teddy auf. „Gehen wir in die Sauna?“
„Klar.“
„Ich komme mit.“, meinte Rima und stand auf, wobei sie Trace fragend ansah. „Du auch?“
„Warum nicht.“, entgegnete dieser.
Darven grinste in sich hinein. „Behalte die zwei im Auge, Vilija, sonst fangen sie wieder an zu knutschen.“
Abrupt wurde Rima rot und wand sich ein wenig ab. Trace dagegen nahm wie selbstverständlich ihre Hand und zog sie sanft mit sich, als er mir und Teddy folgte, der mir eine Hand auf die Hüfte gelegt hatte.
„Willst du dich wirklich nicht auf Tevin einlassen?“, fragte er, als wir weit genug entfernt waren.
Ich seufzte tief. „Nein.“
„Wie lange willst du ihn zappeln lassen?“
„Ich weiß nicht.“ Ich machte eine kurze Pause. „Wie geht es dir?“
Sein Seufzen klang ziemlich unglücklich. „Ich fühle mich wie von einer Walze überrollt.“ Als er das sagte, zitterte die Hand an meiner Hüfte.
Ich drückte sie sanft. „Das wird schon.“
Er atmete kurz durch und nickte dann nur.
Im nächsten Moment trat Rima neben mich. „Sag mal, Vilija?“
„Ja?“
„Du hast doch einen Freund, richtig?“
„Ja.“
„Und er ist Künstler, sagtest du?“
„Ja. Warum?“
„Denkst du, er kann mir einen Gefallen tun?“
„Ganz bestimmt. Worum geht’s denn?“
„Um meinen Kunstkurs. Ich bin zeichnerisch nicht so begabt, weißt du? Dank Trace bin ich bei den Bildhauern. Jedenfalls sollen wir eine Skizze für unsere nächste Skulptur anfertigen.“
„Du hast keine Idee, was du zeichnen sollst, richtig?“
„Ja.“
„Ich werde mich später mit ihm darüber unterhalten, okay? Dann gab ich ihm deine Adresse und er kann dir dann etwas zu schicken.“
„Vielen Dank. Aber sag ihm, dass es nichts aufwendiges sein soll. Etwas... leichtes. Sonst merkt mein Lehrer noch etwas.“
„Und die Bildhauerei?“
„Oh, das klappt ziemlich gut. Es ist viel leichter als zeichnen.“
„Wenn Veit das hören würde.“, lachte ich halblaut, „Er ist ein fantastischer Zeichner.“, begann ich dann zu schwärmen, „Er zeichnet Dinge aus dem Gedächtnis, die dann hinterher aussehen, als seien es Fotografien.“
„Sie ist nur so hin und weg, weil er sie gezeichnet hat.“, merkte Teddy amüsiert an, „Obwohl ich schon sagen muss, dass er wirklich gut ist.“
Jedes Mal, wenn ich Veit beim Zeichnen zusah, schlug mein Herz etwas schneller.
Ich ging mit Rima in die Umkleidekabine vor der Sauna und zog mich mit ihr aus, bevor wir uns in weiße Handtücher wickelten. Dann gingen wir in den Flur, der in die einzelnen Saunas führte, und warteten auf Teddy und Trace, die nicht lange auf sich warten ließen. Wir suchten und fanden eine Sauna, die leer war und setzten uns.
„Na, Vilija.“, hob Teddy einige Zeit später an, „Wird dir schon ganz heiß?“ Er wackelte gespielt anzüglich mit den Brauen, weshalb ich begann zu lachen und ihn leicht anstieß.
„Wenn du so nahe bei mir sitzt, Teddy, wird mir immer ganz heiß.“
„Und ich hab nicht einmal jemanden, dem ich es erzählen kann, um ihn zu ärgern.“, seufzte er daraufhin, „Veit würde wahrscheinlich grinsen und Tevin würde fragen, warum du dann nicht mich genommen hast.“
„Wie wahr.“
„Wie wäre die Antwort auf die Frage?“, fragte Rima neugierig, die ziemlich nahe bei Trace saß und sich offenbar immer wieder davon abhalten musste ihn zu berühren.
Diesem schien es ähnlich zu gehen.
Haben die zwei ein Glück... „Teddy ist mein allerbester Freund.“, erklärte ich, „Ich könnte nie.... nie auf diese Art eine Beziehung mit ihm führen.“
„Und trotzdem hattest du deinen ersten Kuss mit mir.“, bemerkte Teddy lächelnd, „Welch Ironie.“
„Ja, nicht wahr? Ich weigere mich darüber nachzudenken, bei welchen Dingen du sonst noch der erste in meinem Leben warst.“
Erneut wackelte er mit den Brauen. „Ich sag ja, bei uns geht’s heißt her.“
Als Trace etwas Wasser aufgoss, atmeten wir alle tief durch.
„Was ist mit euch beiden?“, fragte ich dann Rima und Trace, „Seid ihr ein Paar?“
„So in der Art.“, antwortete Trace, „Es ist etwas kompliziert.“
„Warum?“
Rima stöhnte auf. „Unsere Schule ist einfach... Die Schüler sind so...“ Sie schrie leise auf, um ihrer aufkeimenden Wut Luft zu machen. Das brachte Trace zum lachen.
„Die Schüler tratschen mehr als alte Frauen.“, erklärte er dann, „Sie machen aus allem was sie hören Gerüchte, die sie maßlos ausschmücken, bis es nicht mehr geht. Der Tag nach unserem ersten Date, zum Beispiel, war ziemlich schrecklich. Irgendjemand hat uns wohl im Eiscafé gesehen. Aus mir wurde dann Jesse und aus einem harmlosen nachhause bringen wurde ein längerer Aufenthalt, den ich nicht weiter definieren möchte.“
„Schrecklich. Ich kann Gerüchte nicht leiden.“, bemerkte ich daraufhin und lehnte mich zurück. „Wie sieht die Temperatur aus?“
„85°C.“, antwortete Teddy daraufhin.
Ich wischte mir über die Stirn, während sich Stille ausbreitete. Lange saß ich einfach nur mit geschlossenen Augen da, während Rima und Trace begannen leise miteinander zu flüstern. Dann hörte ich Schmatzgeräusche. Überrascht öffnete ich die Augen, wischte mir den Schweiß von den Liedern und sah zu den beiden herüber, die, so wie Darven prophezeit hatte, tatsächlich knutschen.
Ich lächelte darüber und räusperte mich wenig später dezent. „Wollt ihr das nicht auf später verschieben?“, fragte ich sie dann.
Trace zuckte zusammen, löste sich von Rima und sah zu mir auf. „Oh... entschuldigt.“ Er räusperte sich ebenfalls und sah zu Rima herab, die sich ihr Haar zurück strich und ebenfalls von ihm abließ. Sie schien etwas... traurig? Weil der Kuss unterbrochen wurde?
„Verbringt ihr nicht viel Zeit miteinander?“, fragte Teddy, als es ihm offenbar ebenfalls auffiel.
Rima seufzte tief. „Das gestaltet sich schwerer, als ich dachte.“ Ein kurzes Zögern. „Dad hat seit Owen eine gewisse Abneigung gegen potenzielle Freunde.“
Owen... Ihr Exfreund. Sie hatte ihn sehr geliebt und wurde schließlich einfach von ihm verlassen. Ganz ohne Grund.
„Deshalb erlaubt er es nicht, dass ich Trace besuche und wenn er dann bei uns ist, darf ich nicht mit ihm in mein Zimmer gehen, damit Dad alles im Auge behalten kann.“ Leicht glitt sie mit der Hand über Trace' Brust, seufzte vor sich hin.
Im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet und Darven steckte den Kopf herein, bevor er ihn wieder wegzog und rief: „Ich hab sie gefunden!“
Kurz darauf kam der Rest von unserer Gruppe herein. Als Nathaniel die Sauna betrat, hob ich amüsiert die Brauen. Evelyn hatte sich zu ihm gesellt und flüsterte ihm gerade etwas ins Ohr. Er sah sie perplex an, antwortete aber nicht. Ich lächelte still vor mich her, lehnte mich zurück. Jesse hatte ein Mädchen an seiner Seite, die schüchtern an ihn rückte. Wenn ich sie beschreiben müsste, würde ich sagen, sie sei schön wie ein Engel, wäre da nicht die Brandnarbe, die ihre linke Gesichtshälfte verunstaltete.
„Liebes, darf ich dir Vilija vorstellen?“, fragte er sie liebevoll und deutete auf mich. „Sie ist Tevins Schwester. Daneben ist Theodore.“
Sie hob die Hand und winkte. „Hallo.“ Ihre Stimme war leicht, wie eine frische Brise und so schön, wie sie selbst. „Ich bin Jessamy.“
„Freut mich dich kennen zu lernen.“, entgegnete ich lächelnd.
„Mich ebenfalls.“, fügte Teddy hinzu.
Trace und Jesse selbst hatten nicht untertrieben. Er sah seine Freundin pausenlos an, hielt sich fest, gab ihr kleine Küsse, himmelte sie an. Ich konnte die Liebe zu ihr geradezu in seinen Augen leuchten sehen.
Entspannt schloss ich die Augen, als jemand wieder Wasser aufgoss.
Teddy
Gemütlich saß ich im Whirpool gegenüber von Vilija und beobachtete, wie sie und Tevin sich nicht ansahen. Sie versuchte angestrengt sich mit Rima zu unterhalten, die neben ihr saß, doch diese hatte nur Augen für Trace, der sich mit Jesse unterhielt. Dieser vergnügte sich nebenbei mit Jessamy, die sich wiederum mit Cathleen unterhielt.
Als Vilija einsah, dass es sinnlos war mit Rima zu sprechen, ließ sie ihren Blick über die anderen gleiten, vermied dabei aber eifrig zu Tevin zu sehen.
„Man sollte die zwei aneinander ketten.“, bemerkte Evelyn neben mir, „Anketten und erst losmachen, wenn sie eingesehen haben, dass sie zusammen gehören.“
Mein Mundwinkel zuckte. „Stehst du etwa auf Fesselspiele?“
Sie lachte leise. „Kommt darauf an wer gefesselt wird.“
Mit gehobener Braue sah ich zu ihr herüber. „Tatsächlich?“
„Ich werde dir nicht verraten, wer der Gefesselte in meiner Fantasie ist.“ Sie zwinkerte mir zu.
„Damit kann ich gut leben.“ Mein Blick glitt wieder zu Vilija und Tevin. „Irgendwie verstehe ich Vilija ja. Tevin hat ihr viele Schmerzen bereitet.“
„Er quält sich deshalb. In meinen Augen ist Vilija nur stur.“
„Sie ist verletzt.“, entgegnete ich, „Ich denke, sie hat auch Angst.“
„Angst wovor?“ Sie setzte sich etwas auf und sah zu mir herüber. „Tevin liebt sie abgöttisch.“
Sein Blick glitt gerade wieder zu Vilija, die aufstand und sich zu Nathaniel beugte, der offenbar versuchte Cathleens Aufmerksamkeit zu bekommen.
„Vor Enttäuschung und Schmerz.“, antwortete ich Evelyn.
Jemand stieg in den Whirpool, weshalb alle etwas zusammenrücken mussten. Ich seufzte etwas verärgert, als ich sah, dass Vilija deshalb keinen Platz mehr hatte. Diese war frustriert und wollte mich offenbar etwas fragen, als Tevin sie an den Hüften zu sich zog und auf den Schoß nahm. Sie blieb einen Moment starr und sah zu ihm auf. Tevin sah jedoch bereits wieder an die Decke und hielt sie einfach nur fest.
„Sie sind ein so schönes Paar.“, bemerkte Evelyn.
Ich rieb mir über mein schmerzendes Herz. „Das sind sie.“
Sie schwieg einen Moment. „Das mit Gabriela tut mir wirklich leid. Mikael ist ein gnadenloser Mistkerl.“
„Das ist keine Entschuldigung. Zu so etwas gehören zwei. Gabriela war einverstanden und hat auch nichts unternommen, um mich zu halten.“
„Verstehe.“
Als Vilija Tevin offenbar ansprach, sah er aus dem Augenwinkel zu ihr herab. Nach einem kurzen Gespräch zog er sie ganz sich herab, sodass sie regelrecht auf ihm lag, und legte die Arme um ihre Taille.
„Worüber reden die beiden?“, fragte Evelyn.
„Ich weiß nicht. Vielleicht über ihre Beziehung.
„Meinst du, das hat damit zu tun, dass sie mit Veit geschlafen hat?“
Geschockt setzte ich mich auf und sah sie entsetzt an. „Was?!“
Überrascht zuckte sie zusammen und sah zu mir auf. „Hat sie es dir etwa nicht erzählt?“, fragte sie verwundert, „Sie haben es getan, als sie bei Veit übernachtet hat.“
Ohne Umschweife stand ich auf und ging zur Treppe des Whirpools. „Vilija!“
Auch sie zuckte überrascht zusammen und setzte sich auf. „Ja?“
„Komm mit.“
Verwirrt stand sie auf und folgte mir, als ich den Whirpool verließ und in eine ruhigere Ecke ging. Dort drehte ich mich zu ihr um, verschränkte die Arme und sah sie finster an.
„Gibt es etwas, das du mir sagen möchtest?“
Das schien sie noch mehr zu verwirren, dachte aber ernsthaft nach. „Mir fällt nichts ein.“, entgegnete sie dann unsicher.
Ich seufzte schwer. „Gar nichts?“
Langsam schüttelte sie den Kopf.
„Warum muss ich von einer Frau, die ich kaum kenne, erfahren, dass du mit Veit geschlafen hast?“
Sie riss die Augen auf.
„Ich dachte, wir erzählen uns alles.“
Schnell schüttelte sie den Kopf. „Das ist- Ich habe nicht-“ Ihre Schultern sackten herab. „Ich habe Tevin angelogen.“
„Ihn angelogen?“, wiederholte ich skeptisch.
„Er... Er hat gefragt, ob wir es getan haben und ich habe ja gesagt. Ich-ich wollte ihm damit nur zeigen, dass ich mich von alledem nicht beeinflussen lassen.“
Ich stöhnte auf und rieb mir übers Gesicht. „Und was tust du, wenn ihr irgendwann zusammen seid? Willst du dann so tun, als wärst du keine Jungfrau mehr? Oder willst du es ihm sagen und in Kauf nehmen, dass er sauer werden könnte?“
Der Schrecken in ihren Augen verriet mir, dass sie nicht so weit gedacht hatte. „Ich-ich weiß nicht. Ich habe nicht- Ich meine, ich wollte nicht-“ Sie rang mit den Händen und bekam feuchte Augen. „Ich wollte doch nur...“
„Ich verstehe das schon.“ Ein Seufzer kam mir über die Lippen, bevor ich die Arme ausbreitete.
Ohne Zögern kam sie herüber und warf sich in meine Arme. „Tut mir leid, dass ich dich wieder mit meinen Problemen nerve.“
„Das tust du nicht.“
„Aber hier geht es gerade um dich, nicht um mich.“, protestierte sie und sah zu mir auf.
Leicht lächelte ich auf sie herab. „Was ist eine bessere Ablenkung, als mich um dich zu kümmern?“
„Eine neue Freundin?“ Sie grinste mich an.
Ich lachte leise. „Ich würde mich trotzdem um dich kümmern. Du bist mir sehr wichtig.“
Mit einem Seufzen lehnte sie sich an meine Brust. „Du mir doch auch.“
Eine Weile hielt ich sie noch fest und streichelte ihr über den Rücken. Irgendwann löste ich mich schließlich von ihr. „Hunger?“
Nachdenklich rieb sie sich über den Bauch. „Ja, etwas.“
„Dann lass uns was essen gehen.“ Liebevoll nahm ich sie an die Hand und ging in Richtung Café. „Ich lade dich ein.“
Sie seufzte leise. „Womit habe ich mir dich nur verdient?“ Ich kann mir ein Leben ohne dich schon nicht mehr vorstellen. Du bist einfach... wie ein Teil von mir.“
Verlegen senkte ich den Blick. „Jetzt übertreibst du aber, oder?“
„Nein.“ Licht schmiegte sie sich an meinen Arm. „Ich liebe dich, Teddy.“
Abrupt blieb ich stehen und sah sie erschrocken an.
Schnell wedelte sie mit der Hand vor ihrem Gesicht. „Wie einen Bruder, meine ich.“
Erleichtert ließ ich etwas die Schultern sinken. „Das musst du sagen. Ich hatte gerade wahrscheinlich den Schock meines Lebens.“
„Tut mir leid. Kommt nicht wieder vor.“
Sanft drückte ich ihre Hand. „Ich liebe dich auch... wie eine Schwester.“
„Danke, dass du da bist.“
„Danke, dass du da bist.“ Liebevoll tätschelte ich ihr den Kopf. „Na komm, setzen wir uns da vorn hin. Was möchtest du essen? Ich gehe es kaufen.“
Vilija
Drei Tage später ließ ich mich nach einem langen Tag ins Bett fallen und schnaufte müde. Schoppen gehen war so eine Sache. Mit Teddy und Tevin machte es furchtbar viel Spaß. Aber ich hätte nie gedacht, dass Evelyn so viele Dinge kaufen würde, ganz zu schweigen von ihrer Ausdauer, die sie an den Tag legte. Meine Füße schmerzten so sehr, dass ich das Gefühl hatte, sie würden morgen noch weh tun. Und meine Arme...
„Nicht einschlafen.“, ermahnte mich Tevin, als er herein kam und seine zwei Taschen abstellte. „Gleich gibt es noch Abendessen.“
„Wenn ich liegen bleiben darf, dann verzichte ich freiwillig.“
Leise lachend ließ er sich neben mir nieder und streckte sich dort aus. „War es so schlimm heute?“
„Nein. Aber es war so anstrengend. Meine Füße tun weh. Und meine Arme. Und die Beine. Überhaupt, alles an mir tut weh. Sogar mein Kopf.“ Er schmerzte, seit wir gegen 14 Uhr eine kurze Essenspause gemacht hatten. Es pochte unaufhörlich und schien nicht damit aufhören zu wollen.
„Soll ich dir Aspirin holen?“
„Ich will einfach nur schlafen.“, nuschelte ich in die Decke, bevor ich mein Gesicht zu Tevin drehte. „Ich fühle mich wie überfahren.“
Sorge stand in seinem Gesicht. „Ich hole dir Aspirin. Und dann bekommst du eine Massage.“ Ohne zu Zögern stand er auf und ging hinaus.
Mir sackte beinahe die Kauleiste herunter. Tevin massierte einfach göttlich. Ich hatte mir mal die Schultern verspannt, woraufhin er mir eine Stunde lang die Schultern massiert hatte.
Als Tevin zurück kam, half er mir auf und gab mir die Aspirin, sowie ein Glas Wasser. Sobald ich sie geschluckt hatte, nahm er mir das Glas ab und stellte es zur Seite.
„So. Jetzt zieh am Besten dein Shirt aus und leg dich auf den Bauch.“
Da ich Tevin trotz allem vertraute, hatte ich kein Problem damit mein Shirt auszuziehen und mich auf den Bauch zu legen. Einen Moment war alles still. Dann spürte ich sein Gewicht, als er sich vorsichtig auf meine Hüften setzte, um sich jeder Zone gleich gut zu widmen. Dann schob er sanft meine Haare beiseite, öffnete den Verschluss meines BHs und begann mich zu massieren.
10 Minuten später lag ich nur noch stöhnend da und genoss die Massage in vollen Zügen. Nachdem meine Rückenmuskulatur entspannt war, widmete er sich dem Rest. Arme, Beine, sogar Füße und Hände massierte er gekonnt. Als er fertig war setzte er sich rechts von mir auf den Boden, direkt am Bettrand und legte den Kopf direkt vor mir auf die Matratze.
„Besser?“
„Mhmm.“, machte ich darauf nur entspannt.
„Müde?“
„Sehr.“
Federleicht strichen seine Fingerspitzen über meine Wange. „Hast du keinen Hunger?“
„Ich bin einfach nur müde.“
Augenblicke lang war es still, woraufhin ich die Augen öffnete und in Tevins verträumtes Gesicht sah, der auf meine Lippen herab blickte.
„Nicht.“, flüsterte ich.
„Vilija-“
„Bitte, Tevin.“
„Ich...“ Er sah mir kurz in die Augen, ließ den Blick dann aber wieder zu meinen Lippen gleiten. „Ich kann nicht anders.“
Ohne auf meine Proteste zu reagieren, hob er den Kopf und legte seine Lippen auf meine. Einen Moment lang konnte ich einfach nichts tun. Tevin, die Person, die ich vom ganzen Herzen liebte, saß bei mir am Bett und küsste mich. Das war eines meiner Herzenswünsche. Und dennoch schob ich ihn von mich und drehte das Gesicht weg. Mein Herz weinte, angesichts dieses Verlusts, doch ich konnte... ich wollte ihm noch nicht verzeihen. Außerdem war da noch das Problem mit meiner Jungfräulichkeit.
Was mache ich denn nur?
Bevor ich den Gedanken vertiefen konnte, drehte Tevin mich sanft auf den Rücken, schob sich über mich und küsste mich erneut.
„Ich kann das nicht weiter ignorieren.“, flüsterte er an meinem Mund, „Ich liebe dich, Vilija. Stoß mich nicht fort.“
„Aber, Tevin, ich bin mit Veit-“
Ohne Umschweife erstickte er die nächsten Worte mit einem Kuss, sodass mir die Luft wegblieb.
„Hör auf an ihn zu denken!“, befahl er mir, „Denk an mich. Denk an das hier und jetzt.“
„Nein, ich-“
Erneut unterbrach er mich mit einem Kuss. „Mein.“, kam es ihm dann über die Lippen, „Du bist mein.“
Seine Lippen glitten warm zu meinem Ohr, dann hinab zu meinem Hals. Seine Hände legten sich heiß auf meine Taille, hielten mich fest, als ich versuchte ihn von mich zu schieben.
„Wehre dich nicht. Bitte.“ Irgendwie schaffte er es, trotz seiner Leidenschaft wie ein geschlagener Junge zu klingen. „Lass mich bei dir liegen.“
„Tevin. Bitte... nicht.“ Es brach mir das Herz ihn so flehen zu hören. Tränen traten mir in die Augen. „Hör auf damit.“
Als er die Tränen hörte, sah er mit großen Augen zu mir auf und ließ von mir ab, als habe er sich verbrannt. „Großer Gott... Es... Es tut mir leid. Ich wollte nicht... Vilija, es tut mir leid.“ Hektisch stand er vom Bett auf und zog die Decke über mich, schien Angst davor zu haben, mich zu berühren. „Ich sollte besser runter gehen. Ich sag ihnen, dass du eingeschlafen bist.“
Ohne auf eine Antwort zu warten drehte er sich um und hastete hinaus.
Einen Moment lag ich regungslos da, während mir ein paar Tränen über die Wangen liefen. Dann stand ich auf, zog mich um und legte mich mit meinem Handy in der Hand ins Bett. Eine Weile lag ich einfach nur da und schluckte schwer, während ich darüber nachdachte.
Er liebt mich wirklich, ging es mir durch den Kopf. Bisher hatte ich es nie wirklich glauben wollen, aber... Er liebt mich tatsächlich.
Ich wischte mir die Tränen von den Wangen und begann hektisch auf das Display meines Handys zu tippen.
Ruf mich bitte an, sobald du kannst.
Ich muss mit jemandem reden und Teddy kann gerade nicht.
Ich wünschte, du könntest mich jetzt in die Arme nehmen.
Vilija
Die Nase hochziehend schickte ich die SMS an Veit und wartete. Es dauerte nur 3 Minuten, bis mein Handy begann zu vibrieren.
„Ja?“, meldete ich mich.
„Was hast du, Kleines?“, fragte Veit besorgt und mit sanfter Stimme. „Ist etwas passiert?“
Als wäre er ein Beruhigungsmittel, begann ich mich langsam zu entspannen und rollte mich im Bett zusammen. „Tevin hat mich gerade geküsst.“
Es war still. Kurz darauf hörte ich ein paar Geräusche im Hintergrund. Dann das Klicken einer Tür. Wenig später seufzte er leise.
„Erzähl. Was bedrückt dich?“
Erneut traten mir Tränen in die Augen, als ich mich daran erinnerte, wie Tevin mich angefleht hatte, mich nicht von sich zu stoßen. Mit zitternder Stimme erzählte ich Veit davon und was mich dabei so bedrückte. Wie sehr es schmerzte. Als ich endete schwieg Veit eine ganze Weile.
„Du weißt, du kannst mich verlassen.“, erinnerte er mich etwas später halblaut, „Du weißt... es stört mich nicht.“
„Aber-“
„Vilija.“ Seine Stimme war sanft und warm. „Du liebst ihn. Ich verstehe deine Beweggründe, abgesehen von der Sache mit dem Sex, aber ich möchte nicht, dass du dich quälst.“
„Aber... Was ist mit dir? Ich... will dir nicht weh tun.“
Er lachte leise auf. „Das tust du nicht und das weißt du auch. Ich sehe mich... als dein Zierfisch. So nebenbei... ich hab da gestern sogar ein nettes Mädchen kennen gelernt. Wenn es dich nicht stört, dann... naja... würde ich mich gerne mit ihr treffen.“
Ich blinzelte überrascht. Es war vielleicht egoistisch, doch mir war gar nicht in den Sinn gekommen, dass Veit vielleicht ein anderes Mädchen als mich wollen würde. Dann erschien es mir jedoch ganz logisch, da er ja sogar scherzhaft angeboten hatte, ich könne ihm ja eine Freundin suchen.
„Vilija?“
„Nein.“, entgegnete ich, „Es würde mir nichts ausmachen. Ich freue mich für dich.“ Mein Herz begann zu pochen. Wenn er nun ein Mädchen gefunden hatte... „Heißt das, wir sind jetzt getrennt?“
„Ich kann noch weiter deinen Zierfisch spielen, wenn du möchtest.“
Ich zog die Brauen zusammen. „Meinen was?“
„Deinen Zierfisch. So tun, als wäre ich dein Freund.“
Ich schüttelte den Kopf, wohl wissend, dass er es nicht sah. „Aber das bist du doch.“
„Ja, aber im Grunde spielen wir das ganze ja nur. Wegen Tevin.“
Irgendwie hatte er sogar Recht. Aber irgendwie auch... nicht. „Aber... trotz allem habe ich bei dir übernachtet. Also...“
Er zögerte etwas. „Ja. Das werde ich wahrscheinlich nie vergessen, wenn du in meiner Gegenwart bist.“
„Veit!“
Leises Lachen ertönte durch den Lautsprecher des Handys. „Ich liebe es, wenn du meinen Namen so aussprichst. Geht es dir besser?“
Ich seufzte tief. „Etwas. Aber ich weiß nicht, was ich tun soll.“
„Was meinst du?“
„Du sagst, ich kann ruhig mit Tevin zusammen sein, richtig?“
„Das würde ich mir für dich wünschen, ja.“
Ich zögerte einen Moment. „Nun ja... Ich hab ihm ja erzählt wir hätten... Sex.“
„Ja.“
„Nun...“ Ich warf einen unsicheren Blick zur Tür, als könnte Tevin jeden Augenblick herein kommen. „Ich bin immer noch Jungfrau.“, erinnerte ich Veit dann etwas leiser, „Was soll ich denn machen?“
„Sag ihm die Wahrheit.“, entgegnete er prompt.
„Aber... was, wenn er sauer wird?“
Einen Moment war es still. Dann brach er laut in Gelächter aus.
Ich verzog das Gesicht. „Ich weiß nicht, was so witzig daran ist.“
„Vilija.“ Er beruhigte sich etwas. „Glaub mir, er wird mehr erleichtert sein, als sauer. Wahrscheinlich wird er die Augen schließen und Gott dafür danken, dass du es nicht getan hast. Dann wird er es wild mit dir treiben.“
Meine Wangen wurden heiß. „Veit!“
Er kicherte. Er kicherte tatsächlich. „Sollte er schlecht im Bett sein, dann hast du noch eine Chance bei mir.“
Ich konnte ihn sogar vor mir sehen, wir er mir zuzwinkerte, als er mir das sagte. „Ich wusste gar nicht, dass du so ein Casanova bist.“
„Du weißt so einiges noch nicht von mir.“
„Ich sollte jetzt aufhören.“ Da waren Schritte auf der Treppe. „Ich rufe dich morgen nochmal an um dir zu erzählen, wie die Tage bisher waren.“
„Ist gut. Und es stört dich wirklich nicht, wenn ich mich mit jemandem treffe?“
„Nicht im Geringsten. Viel Spaß und viel Glück.“
„Danke. Bis morgen, Kleines.“
„Bis dann.“
Ich wartete noch eine Sekunde und legte dann auf. In dem Moment, in dem ich es auf den Nachttisch legte, klopfte es vorsichtig an der Tür.
„Ja?“
Die Tür wurde geöffnet und Teddy steckte den Kopf herein. „Hey.“
Mein Lächeln verschwand langsam. Er hatte wieder diesen traurigen Blick. „Komm her.“
Ich klopfte neben mir aufs Bett, woraufhin er herein kam und sich zu mir aufs Bett warf, um mich in die Arme zu ziehen und an sich zu drücken.
„Ist etwas passiert?“, fragte ich besorgt und legte die Arme um ihn.
Er schnappte nach Luft, hielt den Atem an und drückte das Gesicht an meine Schulter. Es hörte sich an, als würde sein Herz brechen.
„Teddy?“
„Nichts.“, entgegnete er gepresst, „Es ist nichts passiert. Ich... brauche das hier einfach nur.“
„Okay.“
Eine Weile schwieg er vor sich hin. Dann schloss er leise seufzend die Augen. „Erzähl mit etwas aus deiner Kindheit. Irgendwas, egal ob ich es weiß oder nicht. Vielleicht etwas, wobei ich anwesend war. Oder etwas von dir und Tevin, als ihr klein ward.“
Nachdenklich sah ich an die Decke und lächelte, als ich mich an etwas erinnerte. „Da wüsste ich etwas...“
Staunend sah ich hinauf in den Himmel und blinzelte, als eine der kalten Flocken auf meinem Lid landete. Wie immer, wenn es begann zu schneien, stand ich mitten im Garten, die Arme ausgestreckt.
„Was tust du da?“, fragte Tev hinter mir.
„Ich fange Schnee.“, antwortete ich.
„Schnee?“
„Ja.“
„Warum?“
Ich lächelte ihn an, bevor ich wieder in den Himmel sah. „Einige Schneeflocken sind Tränen von Engeln.“, antwortete ich, „Wenn ich eine Träne fange, dann wird mir ein Wunsch erfüllt.“
„Was für einen Wunsch?“ Neugierig trat er neben mich.
„Irgendeinen. Er muss nur von tiefstem Herzen kommen.“
„Von tiefstem Herzen.“, wiederholte er und sah auf seine Hände. Dann trat er einen Schritt beiseite und streckte die Arme so aus wie ich, wobei er das Gesicht gen Himmel hob. „Was ist... wenn der Wunsch nicht von tiefstem Herzen kommt?“
„Dann geht er nicht in Erfüllung.“
„Aber ich habe doch eine Träne gefangen.“
„Ja. Dann geht ein anderer in Erfüllung. Ein Wunsch, an den du nicht direkt gedacht hast.“
Ich schloss die Augen und wartete. Kurz darauf spürte ich es. Eine Flocke, die direkt auf meiner Wange landete. Sie fühlte sich kälter an als die anderen und schien nicht sofort zu schmelzen. Ohne zu zögern ging ich im Kopf meinen allergrößten Wunsch durch und öffnete dann wieder die Augen.
„Was ist, wenn dieser Wunsch schon in Erfüllung gegangen ist, obwohl ich es nicht weiß?“, fragte Tevin besorgt.
„Dann werden die Engel dafür Sorgen, dass du es siehst.“
„Was wünschst du dir, wenn du eine Träne fängst?“
Lächelnd trat ich zu ihm und nahm ihn in die Arme. „Ich habe mir gewünscht, dass du glücklich bist.“ Und dieser Wunsch kam von tiefstem Herzen.
Ich musste eingeschlafen sein. Als ich aufwachte war es noch dunkel. Tevin lag direkt neben mir, mein Kopf an seiner Schulter. Etwas überrascht von der Position hob ich den Kopf und sah auf zu Tevin. Er schlief tief und fest.
Ich habe mir gewünscht, dass du glücklich bist.
Mein Traum... es war eine Erinnerung an früher. Es war der erste Winter, den Tevin bei uns verbracht hatte. Anfangs hatte er gehofft, seine Mutter würde ihn zurück holen. Doch als das nicht passierte wurde er traurig und hörte auf zu lächeln. Ich erinnerte mich daran, dass ich ihm überall hin gefolgt war, so wie er mir überall hin gefolgt war. Mit der Zeit begann er dann wieder zu lächeln... und zu lachen.
Du liebst ihn.
Ich möchte nicht, dass du dich quälst.
Ich würde mir das für dich wünschen.
Ich seufzte leise, als ich daran dachte, was Veit mir gesagt hatte und strich Tevin eine Strähne aus der Stirn.
Sag ihm die Wahrheit. Er wird erleichtert sein.
„Ich liebe dich.“, flüsterte ich.
Als ich Tevin über die Wange streichelte, zog er leicht verärgert die Brauen zusammen, drehte sich in meine Richtung und schlang die Arme um mich, um sich an mich zu kuscheln. Ich lächelte leise vor mich hin und sah ihm weiterhin ins Gesicht.
Eine Kerze in einer riesigen dunklen Höhle.
Ich streckte mich ein wenig und legte meine Lippen auf seine.
Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben.
Sanft legte ich ihm eine Hand in den Nacken, um ihn etwas enger an mich zu ziehen.
Ich liebe dich... Vilija.
Langsam regte er sich. Die Hand auf meinem Rücken glitt in mein Kreuz.
„Vilija?“, kam es ihm verschlafen über die Lippen.
„Es tut mir alles so leid.“ Liebevoll streichelte ich ihm über die Wange. „Dabei habe ich mir doch so gewünscht, dass du glücklich bist.“
Als er auf mich herab sah, leuchteten seine Augen kurz auf. „Du erinnerst dich daran?“
„Eine Zeit lang habe ich es vergessen. Ich kann kaum glauben, dass das passiert ist. Es tut mir alles so leid.“ Ich drückte ihm erneut einen Kuss auf die Lippen.
„Aber...“ Er blinzelte, war noch nicht ganz wach. „Was ist mit Veit?“
„Denk nicht an ihn.“, wiederholte ich seine Worte, „Denk an das hier... und jetzt. Ich habe so viel Mist gebaut. Das tut mir so leid.“
Als ich ihm erneut einen leichten Kuss auf auf den Mund drückte, sah er wie benebelt auf mich herab. „Heißt das...?“
„Vergib mir, was ich getan habe, ja? Vergib mir, dass ich mein Versprechen gebrochen habe.“
„Dein... Versprechen?“
„Erinnerst du dich nicht?“
„Meinst du... das mit... Veit?“
„Nein. Deshalb muss ich dir noch etwas beichten, aber nein. Ich spreche von einem viel älteren Versprechen.“
Er zog leicht die Brauen zusammen. „Was meinst du?“
Ich lehnte meinen Kopf an seine Brust und schloss die Augen. „Du bist ein Teil meines Lebens. Du bist ein Teil meiner Vergangenheit, meiner Gegenwart und wirst auch ein Teil meiner Zukunft sein.“
„So alt ist es doch gar nicht?“
Ich lächelte leise vor mich hin. „Doch. Du weißt es nur nicht mehr.“
Seine Hand glitt von meinem Kreuz in meinen Nacken. „Und... nun?“
„Sei ein Teil meines Lebens.“, bat ich und sah wieder zu ihm auf. „Sei ein Teil meiner Zukunft.“
„Vilija.“
„Ich liebe dich.“
Er schloss die Augen und lehnte seine Stirn an meine. Dann zog er mich ganz an sich und vergrub das Gesicht an meinem Hals. So blieb er einige Minuten liegen, bevor er den Kopf wieder hob und auf mich herab sah.
„Was war es, was du mir beichten wolltest?“
Ich biss mir leicht auf die Unterlippe. „Versprich mir bitte, dass du nicht sauer sein wirst. Und erinnere dich daran, dass ich mich dafür entschuldigt habe, dass ich Mist gebaut habe.“
Er nickte langsam. „Gut.“
„Ich... habe gar nicht... mit Veit geschlafen.“
Lange sah er nur auf mich herab. Dann schloss er erleichtert die Augen und atmete durch. „Dem Himmel sei Dank. Aber... Warum sagst du mir das jetzt? Ich meine... warum nicht später? Oder vorher?“
„Mir ist so einiges klar geworden. Veit und Teddy waren nicht ganz unschuldig.“
Er sah mich fragend an.
„Ich hatte mit Veit ein Gespräch.“ Ich winkte ab. „Teddy hat mich an unsere Kindheit erinnert. An die Zeit damals.“ Ich glitt mit den Fingern durch das Haar in seinem Nacken. „Ich hab mich an die Zeit mit ihm erinnert. Und somit an die Zeit, in der du und ich langsam älter wurden. Da wurde mir klar, was ich zerstört habe. Ich habe ganz vergessen, was wir zusammen hatten. Du und ich. Und das tut mir leid.“
Er kam etwas näher. „Was du zerstört hast?“
„Die Vertrautheit.“, entgegnete ich, „Die geteilten Betten. Die Geborgenheit. Die Sicherheit. Vor allem hätte ich beinahe dich zerstört.“
„Als ich dich heute mit Tränen in den Augen gesehen habe, dachte ich, ich müsse sterben.“, gestand er leise, „Ich dachte, ich hätte dich verletzt, weil ich dich gegen deinen Willen geküsst habe. Für mich ist eine ganze Welt zusammen gebrochen. Ich dachte... du würdest mich deshalb hassen.“
„Du hast mich nicht verletzt. Ich habe nicht ertragen, dass du mich angefleht hast.“
Seine Miene wurde ganz weich, bevor er schließlich den Kopf ganz zu mir senkte und seine Lippen auf meine legte.
Als ich morgens aufwachte, fühlte ich mich so gut, wie seit Monaten nicht mehr. Verschlafen streckte ich mich in Tevins Armen und kuschelte mich dann wieder an ihn.
„Ich glaube, wir müssen langsam aufstehen.“, bemerkte ich und sah zu ihm auf.
Er murrte, schien noch zu schlafen.
„Tevin.“ Liebevoll streichelte ich ihm übers Gesicht und küsste ihn verspielt auf die Nasenspitze.
Sein linkes Lid hob sich ein paar Millimeter, um mich anzusehen. „Hmmm?“
„Wachst du auf?“, hauchte ich ganz leise.
Einen Moment sah er mich noch so an. Dann zog sich sein Mundwinkel in die Höhe. Im nächsten Moment lag ich plötzlich auf dem Rücken und er lag auf mir, den Kopf an meinem Hals vergraben und knabberte verspielt an meiner Haut. Ich schrie überrascht auf und brach in Gelächter aus.
„Tevin!“
Noch ehe ich wieder Luft holen konnte, küsste er mich leidenschaftlich und ließ eine Hand über meine Seite wandern, während die andere sich in meinen Nacken schob.
Irgendjemand klopfte an der Tür. Da Tevin sich nicht von mir löste, schob ich ihn sanft ein Stück zurück, woraufhin er sich leicht von mir löste.
„Ja?“, rief ich halblaut und lachte dann auf, als Tevin begann meinen Hals zu küssen.
Teddy sah herein und hob eine Braue. „Habt ihr etwa Sex?“
„Nein.“, entgegnete ich.
„Gleich.“, führte Tevin daraufhin aus.
„Tevin!“
Teddy grinste mich amüsiert an. „Levin ist unten. Ich lass euch lieber allein.“
Als Teddy grinsend das Zimmer verließ, widmete Tevin sich wieder meinem Hals, während ich versuchte unter ihm hervor zu kommen.
„Tevin, Dad ist unten.“, erinnerte ich ihn und versuchte ihn wegzuschieben.
„Und? Wenn wir runter kommen sagen wir einfach, du hättest noch geschlafen und ich wollte dich nicht wecken.“ Seine Hände schlüpften unter mein Shirt und streichelten meinen Bauch. „So weich...“
Ich erschauderte, während sich mein Atem beschleunigte. „T-T-Tevin.“
Er schob mein Shirt etwas hoch und legte die Wange auf meinen Bauch. „Ich möchte schon lange wissen, wie du dich anfühlst.“, bemerkte er, „Aber... nicht nur hier.“ Er schob das Shirt höher, glitt mit den Händen über meine Rippen. „Du schläfst immer noch mit Unterwäsche, hm?“
„N-n-nur, wenn jemand bei mir schläft.“
Er küsste meinen Bauch, spielte an meinem Bauchnabel und begann sich langsam eine Spur hinauf zu küssen, während er mir das Shirt auszog.
„T-Tevin?“
„Hm?“
„Was... hast du vor?“
„Nichts, was du nicht willst. Versprochen.“ Als er seine Lippen nun wieder auf meine legte, gab ich den Widerstand auf und schmiegte mich an ihn.
Eine Stunde später, nachdem Tevin mich ein bisschen verwöhnt hatte, ging ich frisch geduscht und umgezogen hinunter in die Küche, wo Dad mit Riley am Tisch saß. Tevin hat noch etwas länger unter der Duschen gestanden und zog sich noch an.
„Hallo Dad.“, begrüßte ich ihn und warf mich in seine Arme, kaum, dass er sich zu mir umgedreht hatte.
„Hey, Kleines.“, begrüßte er mich amüsiert, „Alles gut?“
„Ja.“ Ich drückte mich etwas an ihn und erinnerte mich daran, wie ich das früher immer getan hatte, weil er so gut roch. Er trug immer noch dasselbe Aftershave. Ich konnte ihn mir gar nicht mit einem anderen vorstellen. „Ich hab dich sehr lieb, Tėti.“
„Ich dich auch.“ Liebevoll streichelte er mir über den Schopf. „Du hast so gute Laune.“
Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und erhob mich wieder. „Tevin und ich müssen dir etwas sagen.“
Er hob eine Braue. „Ihr seid zusammen.“
„Woher...“ Ich blinzelte, enttäuscht, weil ich es ihm nicht mehr sagen konnte und nun nicht wusste, wie seine erste Reaktion darauf war. „Hat Teddy-“
„Nein. Ich war schon hier, als ihr noch geschlafen habt und hab euch im Bett liegen sehen.“ Lächelnd trank er einen Schluck von seinem Kaffee. „So wie ihr da gelegen habt, liegen nur verliebe Pärchen. Oder du und Theodore, aber das zählt nicht.“
Im nächsten Moment kam Tevin herein, der sofort zu mir sah und herüber kam, um mich an sich zu ziehen.
„Hallo Dad.“, begrüßte er unseren Vater und lächelte ihn an.
„Hallo Tevin.“
„Was sagst du dazu?“, wollte ich dann von ihm wissen und nahm Tevins Hände ein meine. „Bist du damit... einverstanden?“
Er lächelte mich warm an. „Natürlich bin ich das.“ Während er das sagte, stand er auf und trat vor uns, wobei er Tevin ins Gesicht sah. „Aber es gibt da noch etwas, das ich dir sagen muss, Tevin. Am besten unter vier Augen.“
„Kein Problem.“, entgegnete dieser und löste sich von mir, woraufhin Dad ihm einen Arm um die Schultern legte und mit ihm die Küche verließ.
„Du weißt, dass ich dich liebe, wie meinen eigenen Sohn.“, hörte ich ihn dabei sagen, „Ich habe dich aufgezogen, als wärst du mein eigenes Kind. Doch solltest du wissen, dass, wenn du Vilija weh tust, ich...“
Mehr verstand ich nicht, da er offenbar die Wohnzimmertür hinter sich geschlossen hatte. Überrascht blinzelnd wand ich mich von der Tür ab und sah zu Riley, der am Tisch saß und mich schmunzelnd ansah.
„Guten Morgen, Riley.“, begrüßte ich ihn und nahm Platz.
Er stand daraufhin auf. „Morgen, Vilija. Möchtest du Frühstück? Während du mit Tevin beschäftigt warst, hat Levin etwas gekocht.“
„Oh, ich sterbe vor Hunger.“ Da ich am gestrigen Abend nichts mehr gegessen hatte, war mein Magen so leer, wie ein Fass ohne Boden. „Was hat er gekocht?“
Lächelnd stand Riley auf und ging an den Herd.
Jahre zuvor
„Tevin?“
Es war dunkel und der Regen prallte hart an das Fenster.
„Tev.“
Blitze erhellten den Raum. Der Donner brüllte laut über dem Haus.
„Tevin...“
Ängstlich stand ich bei meinem neuen Bruder am Bett und schüttelte leicht seine Schulter.
„Tevin.“
Tränen standen mir in den Augen, doch Tevin bewegte sich keinen Millimeter. Als erneut ein Blitz erschien und Donner ertönte, begann ich zu wimmern.
„Tevin!“
„Mmmh?“ Müde öffnete er die Augen und blinzelte mich an. „Was ist?“
„Ich hab Angst.“
Scheinbar schockiert davon riss er die Augen auf und setzte sich auf. „Was hast du denn?“
„Es gewittert. Die Blitze machen mir Angst. Und es ist so laut.“
„Ach was... Komm her, du kannst bei mir schlafen.“ er rückte beiseite und schlug die Decke zurück. „Ich beschütze dich, versprochen.“
Ich zog ängstlich die Nase hoch und krabbelte zu ihm ins Bett. „Hast du denn keine Angst?“
„Nein.“ Er lächelte leicht, legte sich zu mir und deckte uns zu, bevor er die Arme um mich legte. „Daddy hat mir immer gesagt, dass es blitzt und donnert, wenn einer der Götter unterwegs ist.“
„Aber es gibt doch nur einen.“
Er schüttelte den Kopf. „Es gibt viel viel mehr. Thor und Freya und Odin und noch viele mehr.“
Schniefend wischte ich mir die Tränen von den Wangen. „Wer?“
„Odin ist der Gott des Krieges und Freya die Göttin der Fruchtbarkeit.“
Ich rümpfte die Nase.
„Thor ist der Gott des Donners. Oder so. Er lässt es auch blitzen und donnern. Das bedeutet, dass er mit seinem Pferdewagen unterwegs ist. Er ist ganz laut, weißt du? Und er trommelt dabei. Das ist der Donner. Zumindest glaube ich, dass es so war. Ich erinnere mich nicht mehr genau daran.“
„Aber er ist so laut dabei.“
„Das ist nur die Trommel und der Wagen. Davor brauchst du keine Angst haben.“
„Bist du dir sicher?“
„Ganz sicher.“
„Okay. Darf ich trotzdem bei dir schlafen.“
„Ja. Gute Nacht, Vivi.“
„Gute Nacht, Tev.“
Heute
Nachdenklich sah ich aus dem Fenster und knabberte an meiner Unterlippe. Teddy, der zwischen mir und dem Fenster saß, hob eine Braue.
„Alles okay?“, wollte er besorgt wissen.
„Hm?“ Ich sah überrascht zu ihm auf. „Ach so, ja.“
Hinter mir schnaufte Tevin im Tiefschlaf. Amüsiert drehte ich mich zu ihm um und strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht, die ihm an der Nase kitzelte. Als ich die Hand zurück zog, folgte er ihr einen Moment und lehnte sich dann wieder zurück.
„Du hast ihn ja um deinen kleinen Finger gewickelt.“, bemerkte mein bester Freund beeindruckt, „Er ist richtig handzahm, oder?“
„Das war er schon immer.“, entgegnete ich und nahm Tevins Hand in meine.
„Was hast er eigentlich zu der Nachricht gesagt?“
„Welche Nachricht?“
„Na, dass du mit Veit geschlafen hast.“
Mit einem Mal bremste das Auto scharf ab, sodass ich einen Moment an den Gurt gedrückt wurde. Zum Glück befanden wir uns auf einer Landstraße. Und glücklicherweise waren wir momentan auch die einzigen auf dieser Straße. Als sich nun Dad zu uns umdrehte, wünschte ich mir, es wären ein paar Leute unterwegs, die als Zeugen dienen konnten.
„Was hast du getan?“, fragte er.
Tevin, der wegen der Vollbremsung aus dem Schlaf gerissen wurde, rieb sich gähnen ein Auge und sah Dad verständnislos an. „Wer hat was?“
Evelyn befand sich, wie durch ein Wunder, immer noch im Tiefschlaf und bekam nichts von alledem mit.
„Ich habe nichts getan.“, beruhigte ich Dad, „Das ist ein Missverständnis.“
„Du hast mit Veit geschlafen?“
Oh oooh. „Dad, es ist nicht so gewesen, wie es sich anhört.“
„Wie lange kennst du diesen Jungen?“
„Dad, bitte...“
„Erzähl mir nicht, er sei der Richtige. Ich würde es wissen, wenn du den richtigen Jungen gefunden hättest.“
„Dad.“
Teddy räusperte sich. „Levantin-“
„Für dich immer noch Mr. Kemmesies, verstanden?“
„Dad, das ist doch Teddy. Du hast ihm selbst gesagt, dass-“
„Das spielt für mich jetzt keine Rolle. Du wirst nicht wieder bei Veit übernachten.“
„Aber- Dad!“
„Also, ich finde die Idee ganz gut.“, warf Tevin ein.
„Ihr zwei werdet auch getrennt schlafen.“, entgegnete unser Vater, „Keine geteilten Betten.“
„Dad, bitte. Ich bin noch Jungfrau.“
„Wir werden später darüber reden, wenn deine Mutter dabei ist.“
„Dad.“
„Ruhe jetzt.“ Er atmete kurz durch und fuhr weiter. „So weit kommt es noch, dass ich es zulasse, das jemand mit meinem Mädchen schläft.“, murmelte er dann eher zu sich selbst und sah aufgebracht auf die Straße. „Später wird sie noch schwanger und bekommt Kinder.“ Ein halblautes Murren. „Dann will sie wahrscheinlich auch noch heiraten.“ Er schüttelte den Kopf. „So weit kommt's noch. Sie bleibt schön brav bei mir, wo ich sie im Auge habe.“
Hoffnungslos seufzend lehnte ich mich an Tevin und machte es mir an seiner Schulter bequem. Als es wenig später begann zu regnen, fiel mein Blick an die vorbeigleitende Landschaft.
„Erinnerst du dich daran, wie ich das erste mal bei dir übernachtet habe?“, fragte ich ihn leise und griff nach seiner Hand.
„Wie könnte ich das vergessen? Du hast mir einen wahnsinnigen Schrecken eingejagt, als du sagtest, du hättest Angst.“, entgegnete Tevin liebevoll und lehnte seine Wange an meine Stirn. „Du hast am ganzen Leib gezittert wie Espenlaub.“
„Du hast mir versprochen mich zu beschützen.“
Leise lachte er und vergrub das Gesicht in meinem Haar. „Natürlich. Man beschützt nun mal seine Schätze.“ Als er den Kopf wieder an meine Stirn lehnte, gähnte er ein wenig. „Jetzt schlaf etwas. Die Fahrt wird lang dauern.“
Levantin
Es war schon spät, als ich an einer Raststätte Halt machte. Die vier Kinder schliefen tief und fest. Müde von der langen Fahrt und etwas geschafft von der Neuigkeit, die Theodore herausgerutscht war, stieg ich aus und schloss hinter mir leise die Autotür. Ein Kaffee würde nun sicher gut tun.
Auf dem Weg in das Raststättenrestaurant holte ich mein Handy hervor und wählte unsere Hausnummer. Es klingelte nicht einmal 2 Sekunden lang.
„Levin?“
Ich lächelte warm. „Hallo, Liebling. Wie spät es ist es bei dir?“
Einen Moment war es still. „22:00 Uhr. Wo seid ihr?“
„Kurz vor Phoenix. Ich wecke gleich die Kinder und esse etwas mit ihnen.“
„Hast du schon geschlafen?“
„Noch nicht.“
„Ihr solltet dir Nacht dort verbringen.“
„Im Auto schläft es sich schlecht.“ Ich betrat das Restaurant und ging an die Theke. „Einen doppelten Espresso, bitte.“, bestellte ich kurz. „Ich werde die Nacht durchfahren und mich zuhause aufs Ohr legen. Du kannst mir ja Gesellschaft leisten.“
Sie lachte leise, was in meinen Ohren wie Musik klang. „Oh, und ob ich dir Gesellschaft leisten werde. Wie waren die letzten Tage?“
„Vilija und Tevin haben sich vertragen.“ Ich bezahlte den Espresso und machte mich auf den Weg hinaus. „Sie sind unzertrennlich.“
„Du klingst nicht begeistert.“
„Oh, das bin ich. Sehr sogar. Ich mache mir nur ein paar Sorgen um Vilija.“
„Ist etwas passiert?“
„Nun... Theodore ist da unterwegs was rausgerutscht. Er sagte, sie hätte mit Veit geschlafen.“
Einen Moment blieb es still. „Wo ist das Problem? Wir beide waren jünger, als wir im Bett gelandet sind.“
„Das ist etwas anderes.“, murrte ich verstimmt.
„Wo ist denn der Unterschied?“
„Ich bin nicht dein Vater.“
Sie brach in Gelächter aus. „Oh Gott sei Dank.“
„Ich will nicht, dass mein kleines unschuldiges Mädchen mit jemandem schläft. Ich will nicht, dass sie schwanger wird, auszieht und heiratet.“ Am Auto blieb ich stehen und beobachtete Vilija und Tevin durch die Fensterscheibe. Tevin hatte die Arme um sie geschlungen und sie lag gemütlich an seiner Brust. „Sie ist noch so jung.“
„Sie ist 17 Jahre alt. Sie wird bald 18.“
„Viel zu jung.“, entgegnete ich mürrisch, „Sie sollte warten, bis sie mindestens 25 ist. Vielleicht auch 30.“
„Ach, Levin. Als ich so alt war, war Vilija schon auf der Welt.“
„Das ist immer noch etwas anderes.“ Verstimmt murrend trank ich einen Schluck Espresso, stellte ihn auf dem Dach des Wagens ab und öffnete eine der Autotüren. „Kinder! Aufwachen!“
Vilija murrte müde und verzog leicht das Gesicht, das sie verschlafen an Tevins Brust vergrub. Tevin, der etwas verrutscht war, weil er an besagter Tür gelehnt hatte, öffnete ebenso müde die Augen und hob den Kopf.
„Sind wir schon da?“
„Noch nicht.“, entgegnete ich, „Wir machen eine Pause. Ihr solltet etwas essen.“
„Ich hab keinen Hunger.“, nuschelte Vilija.
„Dann vertrete dir wenigstens die Beine. Evelyn, aufwachen.“ Ich öffnete die Beifahrertür.
„Waaaas?“ Sie blinzelte einige Male, erkannte die Raststätte und streckte sich müde. „Pause?“
„Ja.“, kam es von Theodore, der sich gerade abschnallte und selbst die Tür öffnete.
„Na komm, Vilija.“, ermunterte Tevin seine Schwester, „Du musst doch bestimmt auch auf Toilette.“
Diese murrte und hob nun doch den Kopf. „Ich hab Durst.“
„Na komm, dann steigt aus. Geht rein und bestellt euch etwas. Hier hast du das Geld. Ich warte hier draußen.“ Ich reichte Tevin ein paar Scheine und wartete, bis alle ausgestiegen waren. „Ich bin gleich da vorn auf der Bank.“ Ich deutete auf besagte Bank, die einige Meter entfernt war.
„Okay.“ Vilija gähnte müde und streckte sich kurz, bevor sie sich zu ihrem besten Freund umdrehte. „Kommst du, Teddy? Ich hab Lust auf einen Burger.“
„Wie kannst du jetzt an einen Burger denken?“, fragte dieser, „Ich nehme einen Salat.“
„Salat klingt gut.“, stimmte Evelyn zu.
Tevin rümpfte die Nase. „Ich denke, ich werde eine Waffel nehmen.“
Verschlafen und dennoch gut gelaunt gingen sie ins Restaurant, woraufhin ich mich mit dem Kaffee auf die Bank setzte.
„Sie ist zu jung.“, wiederholte ich schließlich besorgt, während ich Vilija hinterher sah.
„Du machst dir zu viele Sorgen.“, entgegnete Violeta weich, „Bald ist sie erwachsen.“
„Sie ist immer noch mein kleines Mädchen.“
„Papá?“
„Was gibt's, mano saldus?“
„Du siehst so müde aus.“
„Ich habe nicht gut geschlafen.“
Eine kleine Hand auf meiner Stirn. „Bist du krank?“
„Nein, mir geht’s gut.“
„Warum hast du dann schlecht geschlafen?“
Liebevoll zog ich Vilija auf meinen Schoß und legte die Arme um sie. Sie verschwand beinahe in der Umarmung, so klein war sie noch. „Wie geht es deinem Bein?“
„Gut. Mein Knie tut kaum noch weh.“
Ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen. „Gut.“
„Bist du böse auf Tevin? Es war nicht seine Absicht, wirklich. Er war nur zu schnell, als er mich getickt hat.“
„Ich weiß. Ich mache mir nur Sorgen um ihn.“
„Warum? Ihm geht es doch gut.“
„Ja, aber er guckt oft traurig, weißt du?“
Einen Moment schwieg sie und dachte nach. Dann lächelte sie mich an. „Ich mache ihn wieder glücklich. Das habe ich ihm versprochen. Dann musst du dir auch keine Sorgen mehr machen.“
Schon damals hatte sie sich um Tevin gekümmert. Kein Wunder, dass das Band zwischen ihnen so eng war.
„Tevin wird ihr gut tun.“, prophezeite Violeta beruhigend, „Mach dir keine Sorgen um die beiden.“
„Ich bezweifle das nicht.“, entgegnete ich, „Ich frage mich nur was passiert, wenn wir Tevin sagen, dass ich seit kurzem in Kontakt mit seiner Mutter stehe. Ich will die zwei nicht auseinanderreißen.“
„Die beiden sind stark.“
„Es würde Vilija das Herz brechen, wenn er zu seiner Mutter geht.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Vilija endgültig verlassen würde. Er würde zurückkommen.“
„Ja... Du hast Recht.“ Das hoffte ich inständig.
Vilija
Pappsatt und wieder etwas wacher verließ ich mit den anderen drei das Restaurant und hielt Ausschau nach Dad. Er saß auf der Bank, die er uns gezeigt hatte, und sah nachdenklich auf den Boden. Er schien uns nicht zu bemerken, als wir näher kamen und reagierte auch nicht, als ich ihn ansprach. Schließlich stellte ich mich hinter ihn und nahm ihn in die Arme, wie ich es früher gern getan hatte.
„Daddy?“
„Hm?“ Er klang wie in Gedanken versunken.
„Alles okay?“
Ein paar Sekunden schwieg er. Dann hob er den Kopf, woraufhin ich mich von ihm löste und er aufstand. „Ja, alles gut.“ Er lächelte mich an und tätschelte mir den Kopf. „Wollen wir weiter, oder wollt ihr noch ein bisschen herumtoben?“
„Ich bin zwar wach, aber müde.“, entgegnete ich und sah zu den anderen.
Diese nickten zustimmend.
„Ich hab die meiste Zeit der Fahrt zwar geschlafen, fühle mich aber wie überfahren.“, bemerkte Teddy und rieb sich geschafft über die Wange. „Auto fahren ist sooo anstrengend.“
Dad hob eine Braue. „Ach was.“ Es schien fast so, als würde er meinen besten Freund für das verantwortlich machen, was zwischen mir und Veit angeblich passiert war.
„Dad, wegen der Sache mit Veit...“, hob ich an und sah zögerlich auf seine Schulter.
Er schwieg wartend und trank einen Schluck von seinem Kaffee. Da er dampfte, musste es ein neuer sein.
„Es ist ein Missverständnis. Ich habe nicht mit Veit geschlafen.“
Keine Reaktion.
„Tevin, Teddy und sogar Veit selbst können bezeugen, dass das nur ein Bluff war, weil... ich sauer auf Tevin war. Ich weiß, es war falsch. Und ich tue so etwas auch nie wieder. Sei nur bitte nicht sauer auf Teddy. Er hat mit alledem nichts zu tun.“
Da Dad immer noch nicht darauf reagierte, sah ich zu ihm auf. Er blickte stumm zurück. Schließlich schnalzte er mit der Zunge und wand sich zum Wagen.
„Steigt ein.“
„Willst du denn nichts dazu sagen?“, fragte ich verdutzt, während ich ihm mit den anderen folgte.
„Nein.“
„Aber... warum?“
„Du hast einen Fehler gemacht und sagst, dass du daraus gelernt hast. Was soll ich noch dazu sagen?“
„Vielleicht, dass du Teddy nicht böse bist?“
Er trank einen Schluck von seinem Kaffee und schien trotz des Koffeins unendlich müde zu sein. „Bin ich nicht.“ Er machte eine kurze Pause. „Die Fahrt war lang und anstrengend und wir sind noch nicht am Ziel. Es war ein kleiner Schock, als es Theodore so heraus gerutscht ist. Das ist alles.“
Im Vorbeigehen tätschelte er meinem besten Freund den Kopf und ging dann zu einem Mülleimer, wo er seinen Kaffee leer trank und den Becher weg warf.
„Na los, Kinder. Steigt ein. Die Fahrt geht weiter.“
Hallo Veit.
Wir sind immer noch auf dem Weg nach hause.
Tėtis benimmt sich seltsam und ich weiß nicht warum.
Erst dachte ich, er wäre sauer wegen der Sache mit Teddy, von der ich dir erzählt habe. Er sagt aber, er sei nicht sauer sondern nur müde und erschöpft.
Ich kenne ihn, deshalb weiß ich, dass das nicht alles ist.
Ich mache mir Sorgen.
Glaubst du, ich soll ihn darauf ansprechen? Ich meine, er ist mein Dad. Oder denkst du, ich soll das Mamytė überlassen?
Ich weiß nicht was ich tun soll.
Vilija.
Als wir endlich zuhause ankamen, fühlte sich mein Körper schwer an und irgendwie ungelenk. Da es so spät war, übernachtete Teddy bei uns und würde nach hause gehen, sobald er aufwachte. Mit Evelyn war es das gleiche, obwohl sie nur zwei Häuser weiter wohnte.
„Darf ich bei dir schlafen?“, fragte Tevin, als wir im oberen Geschoss ankamen.
„Klar.“, entgegnete ich und ergriff seinen Arm. „Gute Nacht Teddy. Ich hoffe, es macht dir nichts aus für diese Nacht ein Bett mit Evelyn zu teilen.“
„Nein nein.“, entgegnete dieser.
Evelyn ging einfach nur müde hinter ihm her. Tevin und ich dagegen betraten mein Zimmer und zogen uns schläfrig um. Wie früher war er schneller fertig als ich, was einfach daran lag, dass er sich nur bis auf die Boxer auszog, während ich mit einem Shirt und einer Boxer ins Bad verschwand und diese anzog. Als ich zurück ins Zimmer kam, lag Tevin bereits in meinem Bett auf dem Bauch und schien zu schlafen. Als ich jedoch die Tür hinter mir schloss, öffnete er die Augen und sah mir entgegen. Sofort machte er Platz neben sich, sodass ich mich problemlos neben ihn legen konnte. Sofort machte ich es mich bei ihm gemütlich, während er die Arme um mich legte und an sich zog. Im nächsten Moment lagen seine Lippen auf meinen.
„Gute Nacht.“, flüsterte er an meinem Mund.
Etwas träge erwiderte ich den Kuss. „Gute Nacht.“
Wenige Augenblicke später schliefen wir bereits tief und fest.
Levantin
Liebevoll drückte ich Violeta an mich und küsste sie aufs Ohr, woraufhin sie sich an meine Brust schmiegte und leise seufzte, wie ein zufriedenes Kätzchen. Trotz meiner Erschöpfung fand ich einfach keinen Schlaf und hing mit meinen Gedanken bei dem Telefonat, dass ich vor zwei Tagen geführt hatte.
„Hör auf nachzudenken.“, murmelte sie.
Ich lächelte in ihr Haar. „Woher weißt du, dass ich nachdenke?“
„Ich bitte dich. Ich kann es beinahe hören.“
„So? Worüber denke ich denn nach?“
„Bei Tevins Mutter.“
Schweigend streichelte ich ihr sanft den Rücken. Ich liebte diese seidig weiche Haut. „Sie sagt, sie würde in ein paar Wochen herkommen, um Tevin zu sehen.“
Meine Stimme war rau. Tief im Innern hatte ich Angst, dass sie Tevin mitnehmen würde. Immerhin war er so etwas wie mein Sohn. Violeta würde sicher weinen, wenn das passierte. Oh, und wie sie weinen würde. Ganz zu schweigen von Vilija. Cyntia könnten wir einreden, dass Tevin nur eine Reise machen würde, was im Prinzip sogar so wäre.
„Glaubst du, sie nimmt ihn mit?“, fragte Violeta besorgt und sah zu mir auf. „Sie ist seine Mutter und... hat sie das Recht ihn mitzunehmen?“
„Nun, er ist 18 Jahre, also darf er das selbst entscheiden.“, entgegnete ich und streichelte ihr beruhigend übers Haar. „Ich weiß nicht, was passieren wird.“
Stumm lehnte sie ihre Wange an meine Brust. „Er ist immer noch mein kleiner Junge.“
Ich lächelte schräg. So etwas ähnliches hatte ich ihr bezüglich Vilija gesagt. „Ja.“, stimmte ich zu und erinnerte mich an den Moment, als ich Tevin das erste Mal sah. Verwirrt, allein und einsam. Ob er wohl überhaupt in der Lage wäre Vilija zu verlassen?
Vilija
Lautes Klopfen an der Tür holte mich aus dem Schlaf. Es war noch dunkel und ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es erst 4 Uhr morgens war. Verschlafen seufzte ich auf und kletterte mühselig aus dem Bett, um an die Tür zu gehen.
„Ja?“, murrte ich, als ich sie öffnete.
Es war Teddy. Sein Haar war zerzaust, seine Wangen gerötet, die Lippen geschwollen. „Tut mir leid-“ Er räusperte sich schnell. „Tut mir leid, dass ich dich wecke.“
Blinzelnd fiel mir auf, dass er seine Shorts falsch herum trug und sie gefährlich tief saß. „Äh...“
„Hast du zufällig... naja... ein... Kondom?“
Perplex blinzelte ich ihn an. „Wie bitte?“
Sein Hals färbte sich rot. „Na... ein Kondom.“
„Hast du etwa... Willst du... Mit Evelyn?“
„Vilija, hast du jetzt eins oder nicht?“, fragte er ungeduldig und trat von einem Bein auf das andere.
Hinter mir regte sich Tevin und murmelte im Schlaf vor sich her. Es klang, als würde er gleich aufwachen. Hastig ging ich zum Nachttisch und holte ein paar Kondome heraus. Ich hatte nur welche, weil Dad darauf bestand, dass ich welche hatte, seit ich mit Veit zusammen gewesen war. An der Tür hielt ich sie Teddy hin.
„Das dürfte reichen, oder?“
Er atmete erleichtert auf und drehte sich bereits um. „Danke. Du hast was gut bei mir.“
„Seid nicht zu laut, ja?“
„Das gleiche gilt für dich und Tevin.“
„Touché.“
Im nächsten Moment verschwand er im Gästezimmer, woraufhin ich die Tür hinter mir schloss und zurück ins Bett eilte.
„Was war los?“, fragte Tevin müde und sah mit Schlafzimmerblick zu mir auf.
„Das war Teddy.“, entgegnete ich leise und rückte an ihn heran.
„Was wollte er?“
Ich zögerte.
„Vilija?“
„Er hat nach Kondomen gefragt.“
Er hob eine Braue. „Kondome.“, wiederholte er langsam, „Wofür...“ Da dämmerte es ihn, weshalb er abrupt die Augen aufriss und sich aufsetzte. „Will er etwa mit Ev ins Bett?“
„Leg dich wieder hin.“, beschwerte ich mich.
„Aber er kann doch nicht-“
Als er aufstehen wollte, schlang ich die Arme um seine Hüften und hielt ihn fest. „Bleib hier. Du kennst doch Teddy.“
„Ja, aber Ev ist meine beste Freundin.“
„Teddy ist auch mein bester Freund. Was ist dein Problem?“
„Ich will nicht, dass sie einen Fehler macht.“
Ich zog die Brauen zusammen. „Was für einen Fehler?“
„Das erkläre ich dir gleich, ich muss jetzt erst-“
Ich zog etwas an ihm, sodass er zurück ins Bett fiel. „Lass die beiden doch. Du kennst Evelyn und ich kenne Teddy. Was soll denn schon schief laufen?“
Er seufzte tief und rieb sich über die Stirn.
„Teddy braucht etwas Aufmunterung und Evelyn ist sicher auch einsam. Was ist so falsch daran?“
„Ev ist noch Jungfrau.“, entgegnete er ruhig, „Sie sagte immer, sie möchte ihr erstes Mal mit dem Jungen, mit dem sie alt werden will.“
„Und? Vielleicht ist Teddy ja ihr Typ. Außerdem ist er auch noch Jungfrau.“
„Ach ja?“
„Ja.“
„Wie bist du dir so sicher?“
„Wie bist du dir so sicher?“
Sein Mundwinkel zuckte. „Es ist Evelyn. Sie schwor sich keinen Sex vor der Hochzeit zu haben.“
„Und Teddy erzählt mir alles. Und ich meine wirklich alles.“
Er hob fragend eine Braue. „Alles?“
„Ja.“
„Auch solche... Männersachen?“
„Alles. Ohne Ausnahme.“ Ich zuckte mit den Schultern. „So wie ich ihm alles erzähle.“
„Tatsächlich?“
„Ja. Zu ihm gehe ich sogar immer, bevor ich zu dir gegangen bin.“
„He.“ Ein leichter Schleier von Trauer und Schmerz zeigte sich in seinem Gesicht. „Immer?“
„Nun ja, fifty fifty, würde ich sagen. Kommt immer ganz auf das Thema an.“
Er legte die Arme um mich. „Hast du ihm welche gegeben?“
„Was?“
„Kondome.“
„Oh... Ja.“
Er zögerte einen Moment, zog mich etwas enger an sich. „Du... hast also welche.“
Mein Gesicht wurde heiß als ich nickte. „Ja.“
Sein Blick glitt auf meine Lippen. „Wollen wir... Wasserbomben daraus machen?“
Ich verschluckte mich beinahe an meiner eigenen Spucke. „Tevin!“, lachte ich dann laut und drückte mein Gesicht an seinen Hals.
Eine seiner Hände glitt über meinen Rücken, hinab zu meinem Hintern. „Wir können sie natürlich auch für ihren eigentlichen Zweck testen.“, flüsterte er an meinem Ohr, bevor er begann an meinem Hals zu knabbern.
Immer noch etwas kichernd legte ich meinen Kopf auf seine Brust. „Ich glaube nicht, dass ich dafür schon bereit bin.“
„Okay.“ Liebevoll küsste er mich auf die Stirn.
„Schlaf jetzt weiter.“
Schmunzelnd kuschelte ich mich an ihn, während er die Decke ordentlich über uns ausbreitete. Es war eine Weile still, während wir langsam in den Schlaf glitten. Das tat zumindest ich.
„Sag mal... Wie weit bist du eigentlich mit Veit gegangen?“, fragte Tevin, als ich kurz davor war einzuschlafen.
„Tevin!“ Ich kniff ihm leicht in die Seite. „Das tut nichts zur Sache. Schlaf, Liebling. Ich bin müde.“
Seine Brust vibrierte unter mir, als er leise lachte und die Arme um mich legte. „Süße Träume.“
Ich träumte von verschneiten Nächten, die ich mit Tevin im Garten verbrachte.
Es war etwa Mittag, als ich langsam aufwachte. Irgendetwas berührte mich immer wieder an der Nasenspitze. Verschlafen murrend zog ich die Brauen zusammen und drehte mich weg. Jemand lachte.
„Vilija.“, säuselte mir daraufhin jemand ins Ohr, „Aufstehen.“ Die nächsten Worte waren nicht mehr als ein Hauchen. „Es gibt da etwas worüber ich unbedingt mit dir reden muss.“
„Später.“, nuschelte ich darauf nur und seufzte, als ich Tevins Wärme neben mir ausmachte.
Als ich mich an ihn kuschelte, legte er instinktiv die Arme um mich, während er im Schlaf vor sich hin murmelte. „Lass sie in Ruhe, sie gehört mir.“
Ob er das wirklich träumte oder nicht konnte ich nicht genau sagen.
„Es ist wichtig.“, entgegnete die andere Stimme, die ich momentan nicht zuordnen konnte, weil ich mich noch im Halbschlaf befand.
„Später.“, wiederholte ich nur träge.
Die Stimme seufzte tief und schwieg einen Moment. „Veit ist unten.“, hob er dann an, „Ich bin also nicht der einzige, der gern mit dir reden würde.“
„Die Sprechstundenzeit beginnt erst später.“, bemerkte Tevin an meiner Stelle, „Vilija steht gerade nicht zur Verfügung.“
„Es ist wichtig.“
„Es muss warten.“
Ich seufzte tief und löste mich widerwillig von Tevin, drehte mich um und sah in Teddys Gesicht. Er sah so aus wie letzte Nacht. Zerzaustes Haar, gerötete Wangen, geschwollene Lippen.
„Brauchst du schon wieder Kondome?“, fragte ich verschlafen.
Seine Wangen röteten sich etwas mehr. „Nein.“ Schüchtern rieb er sich den Nacken. „Können wir vielleicht woanders-“
„Nein.“, unterbrach ihn Tevin und schlang von hinten die Arme um mich. „Sie bleibt hier.“ Während er das sagte, vergrub er das Gesicht in meinem Haar.
„Worum geht’s denn?“, fragte ich ihn und rieb mir gähnend das rechte Auge.
„Wie du dir denken konntest, habe ich mit Evelyn geschlafen.“, begann er nervös.
„Ja. Das war dein erstes Mal.“
Er nickte, schien in Gedanken. „Sie sagte, es sei auch für sie das erste Mal.“
„So etwas sagte Tevin mir auch.“
„Nun... Ich will diese Worte nicht anzweifeln und ich habe auch nicht sehr viel Erfahrung, aber...“ Er zögerte. „Ich glaube, sie war gar keine Jungfrau.“
„Wovon redest du?“, fragte nun auch Tevin.
„Ich weiß nicht, es war irgendwie... Wie soll ich sagen? Sie hat nicht geblutet und...“ Würde man eine Tomate neben ihn halten, wäre es schwer die zwei zu unterscheiden. „Sie sagte sie hätte auch keine Schmerzen gehabt.“
„Vielleicht warst du einfach nur aufmerksam genug.“, bemerkte ich und kuschelte mich bereits wieder an Tevins Arm, den er mir wie ein Kissen unter den Kopf geschoben hatte.
„Nein, eigentlich war ich sogar ziemlich miserabel, glaube ich.“ Er machte eine kurze Pause, in der er nachdenklich auf meine Decke sah. „Weißt du, sie... äh... hat sich auch gar nicht so angefühlt.“
Ich blinzelte ihn verdutzt an. „Hä?“
„Na, du weißt schon.“ Schüchtern zog er die Knie an und versteckte seine Wangen dahinter. „Wenn ich... nunja... Wenn wir... du weißt schon. Es hat sich nicht so angefühlt, als wäre sie... nun... Jungfrau.“
„Woher weißt du das?“
„Na, es heißt doch sie seinen.... mmmh... eng.“ Langsam begann er meinen Blick zu meiden. „Es war irgendwie nicht so... wie ich dachte. Ich meine... mmmh... Ich weiß nicht. Fakt ist jedenfalls, dass ich mich frage, ob sie nicht vielleicht doch schon... na... Sex hatte. Also... Verkehr.“
Unsicher strich ich mir ein paar Strähnen hinters Ohr und drehte mich zu Tevin, der sich zur selben Zeit etwas aufrichtete und Teddy verwundert ansah.
„Evelyn hat nie jemanden unter ihre Gürtellinie gelassen.“, erklärte er, „Es ist schon merkwürdig, was du erzählst, aber... nein, sie muss Jungfrau gewesen sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mich angelogen hat.“
Teddy beruhigte sich langsam wieder etwas und seufzte leise auf. „Gut. Dann habe ich mich wohl nur vertan. Ich meine, es war mein erstes Mal. Wahrscheinlich war meine Vorstellung davon nur etwas... falsch.“
„Schon in Ordnung.“, entgegnete ich und rückte etwas näher zu ihm. „Wie war es?“, fragte ich dann ganz leise.
Wieder wurde er rot. „Unbeschreiblich. Du verpasst da was.“, flüsterte er zurück.
Ich lachte leise, lehnte ich zurück und kuschelte mich dann ins Kissen. „Ist Veit wirklich unten?“, fragte ich ihn dann, „Oder war das nur ein Vorwand, um mich zu wecken?“
„Nein, er ist wirklich unten. Momentan bringt er Cyntia wieder das Zeichnen bei. Er hat Bilder mitgebracht. Und Violeta hat ihm erlaubt ihre Malutensilien zu benutzen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Packst du heute Abend?“
„Ja.“ Einen Moment lag ich noch faul im Bett. Dann streckte ich mich genüsslich und seufzte tief. „Na gut, dann wollen wir mal. Lass uns duschen gehen, Tev.“
„Das war der sinnvollste Satz, den du heute gesagt hast.“, neckte mich dieser und küsste mich kurz.
Teddy dagegen schmunzelte amüsiert und erhob sich. „Ich werde dann wieder-“
„Ah, hier bist du.“, ertönte in dem Moment Evelyns Stimme. Halb bekleidet, sie trug Teddys Shirt und eine Panty, kam sie herein und berührte Teddy an der Schulter. „Du warst plötzlich weg.“
„Tut mir leid.“, entgegnete er, „Ich wollte gerade zurück kommen.“ Er klang irgendwie seltsam. So sanft und... irgendwie... zärtlich. „Du wolltest mir noch erklären, was das mit dir und Nathaniel war.“
Sie rollte mit den Augen, schnappte sich seine Hand und zog ihn hinter sich her aus dem Zimmer. „Ich sagte doch, es war alles inszeniert und gespielt.“, hörte ich sie sagen, bevor sie die Tür hinter sich zu zog.
Verdutzt sah ich zu Tevin auf, der ebenso überrascht zur Tür sah. Ich erinnerte mich daran, dass sie versucht hatte Nathaniel zu verführen, da Cat sich nicht sicher war, ob er es ernst mit ihr meinte. Das Ergebnis war, dass Ev sich ihm regelrecht an den Hals werfen musste – sie hatte es wirklich getan und ihn dabei so heftig geküsst, dass er keine Luft mehr bekommen hatte – und ihm dabei fast den Arm ausgekugelt hatte, damit er ansatzweise eine Reaktion zeigte. Diese bestand allerdings darin, dass er sie auf den Boden warf und wie von der Tarantel gestochen aus dem Zimmer rannte, um ihr zu entkommen. Es war spät und wie ich von Cat wusste, war er zu ihr ins Zimmer gekommen, um sich dort vor Ev zu verstecken. Cat schien glücklich mit diesem Ergebnis gewesen zu sein.
Nun war ich überrascht davon, wie zufrieden Teddy und Evelyn waren.
„Sie sind... glücklich.“, bemerkte Tevin vorsichtig, „Zusammen. Ich hab Ev noch nie so gesehen.“
Ich folgte seinem Blick zur geschlossenen Tür. „Ja. So ist Teddy mir auch irgendwie neu. Ich meine, Gabriela hat er auf Händen getragen, aber so hat er sie nie angesehen.“
Wenn ich so drüber nachdachte, hatte ich die zwei des öfteren zusammen reden sehen. Bis zu diesem Streit kurz vor der Abfahrt. Ich wusste nicht worum es ging, aber das war der Grund für meine Befürchtung einer von ihnen könnte Einwände gegen ihre Schlafplätze haben.
Ich muss dringend mit Teddy reden.
„Lass uns aufstehen, dein Freund wartet.“
Ich kicherte amüsiert. „Er hat übrigens ein Mädchen kennen gelernt.“
„Ach ja?“
„Ja.“ Ich stand auf und streckte mich erneut, während Tevin aufstand, und ging dann mit ihm ins Bad. „Ich glaube, er mag sie.“
„Klingt doch vielversprechend.“
„Ja, nicht wahr? Ich freue mich für ihn.“
„Für wen?“, ertönte in dem Moment von der Treppe Veits Stimme, als ich mit Tevin das Bad erreichte.
Überrascht blieb ich stehen und lächelte ihn an. „Hallo Veit.“
Er lächelte zurück und breitete die Arme aus, als ich zu ihm ging, um ihn zu drücken. „Hey. Wie geht’s dir?“
„Fabelhaft.“
Seine Hand glitt einen Moment liebevoll über meinen Rücken, bevor ich Tevin räuspern hörte.
„Sie ist jetzt meine Freundin.“, bemerkte er und kam herüber, um mich an sich zu ziehen. „Und ich denke, es wäre in deinem Interesse, wenn du von jetzt an die Finger von ihr lassen könntest.“
Das brachte Veit zum Lachen, bis ihm die Tränen kamen. „Keine Sorge, Tevin. Vilija gehört dir. Ich erhebe keinerlei Ansprüche auf sie. Es ist nur eine Sache der Gewohnheit sie so zu berühren. Das vergeht bestimmt.“
„Hoffen wir es für dich.“ Er klang alles andere als erfreut und ich verstand warum.
„Veit.“, hob ich an, „Möchtest du nicht unten warten? Tevin und ich würden noch gerne Duschen und-“
„Schon verstanden.“ Veit wackelte anzüglich mit den Brauen und zwinkerte Tevin zu. „Es macht sie ganz wahnsinnig wenn du an ihrem Hals knabberst.“, informierte er ihn dann mit Theater reifem Flüstern.
Tevin, der sich in dem Moment offenbar nicht entscheiden konnte, ob er Veit schlug oder ihm für die Info dankte, regte sich einen Moment nicht, den ich nutzte, um ihn Richtung Bad zu schieben.
„Wir tun nicht das, was du denkst.“, entgegnete ich und lächelte Veit zu, „Wir duschen nur.“
„Ah. Duschen. Ja. Klar.“ Er rollte mit den Augen.
„Veit.“
Er zwinkerte mir zu, ehe ich mit Tevin im Bad verschwand, da er mir kurz und knapp hinein zog.
„Genug mit ihm geflirtet.“, murrte er und schloss hinter mir ab, ehe er zur Dusche ging, die Temperatur einstellte und das Wasser aufdrehte, damit es warm war, wenn wir hinein stiegen.
Nicht ein einziges Mal sah er zu mir.
„Bist du eifersüchtig?“, fragte ich überrascht.
„Nein.“
Ich schürzte die Lippen. „Du bist eifersüchtig.“
„Nein.“, wiederholte er stur.
„Sieh mich an.“
Einen Moment hielt er inne, bevor er zu mir sah und eine Braue hoch zog. „Ich bin wirklich nicht eifersüchtig.“
Wortlos ging ich zu ihm herüber und schlang die Arme um ihn. „Das will ich hoffen. Du bist der einzige für mich.“
Er seufzte leise und drückte mich an sich. „Na gut. Vielleicht bin ich eifersüchtig.“
„Warum?“
„Warum?“, wiederholte er ungläubig, „Er hat dich nackt gesehen!“
„Tust du doch gleich auch.“
„Ja, aber er hat dich vor mir nackt gesehen.“
Ich lachte herzhaft auf und zog mir mein Shirt aus. Tevin sah daraufhin finster auf meinen BH.
„Außerdem habt ihr noch andere Dinge getan. Das gefällt mir nicht.“
„Wir hatten Bedürfnisse.“ Ich schob mir die Shorts hinunter. „Er hat mich quasi auf unsere Beziehung vorbereitet.“
„Ach...“ Tevins Blick folgte meinen Händen, als sie zu meinem Rücken glitten, um den BH zu öffnen. „Hat er das?“
„Sozusagen.“ Ich meinte eine Art Krächzen zu hören, als ich mir den BH auszog und warf Tevin einen Blick zu, der den Blick direkt auf meine Brüste hielt. „Mein Gesicht ist hier oben.“
Sofort hob er den Blick. „Hm?“
„Ich bin wirklich froh, wenn ich dir gefalle, aber-“
Als ich mich unterbrach hob er fragend eine Braue. „Ich glaube, gefallen ist etwas untertrieben. Soll ich dir helfen? Wir wollen ja nicht, dass du das Gleichgewicht verlierst, wenn du dir den Slip ausziehst.“ Während er das sagte, kam er herüber und streckte bereits die Hände aus... denen ich prompt einen Klaps verpasste.
„Nein.“, warnte ich ihn, „Das tue ich selbst.“
Wieder diese hoch gezogene Braue, dieser fragende Blick.
„Veit hat mit ähnlichen Dingen angefangen.“ Ich ging um ihn herum, zog mir den Slip aus und stieg unter die Dusche. „Dann blieb für nichts mehr Zeit.“
„Was ich absolut nachvollziehen kann.“, hörte ich ihn murmeln, bevor er Sekunden später bei mir unter der Dusche stand. „Soll ich dich einseifen?“
„Du darfst mir den Rücken schrubben.“
Seine Hände legten sich auf meine Taille. „Nur den Rücken?“
„Nur den Rücken.“
„Tust du mir einen Gefallen?“
Ich sah zu ihm auf. „Natürlich. Soll ich dir den Rücken schrubben?“
„Gern.“ Er lächelte schräg. „Könntest du... wenn wir allein sind und... intim... Könntest du vielleicht versuchen Veit... nicht zu erwähnen?“
„Oh.“ Das war wahrscheinlich tatsächlich angebracht. „Natürlich. Tut mir leid.“ Sein nasses Haar klebte ihm an der Stirn, woraufhin ich es beiseite strich.
„Sie sind wieder zu lang.“, bemerkte er und griff nach der Seife. „Ich lasse sie mir heute wahrscheinlich von Mom schneiden.“
„Mir gefällt die Länge.“, entgegnete ich und griff nach meinem Shampoo.
Er murrte kurz. „Ja?“
„Ja. An der Seite könnten sie etwas kürzer sein, aber der Pony steht dir. Wenn du einen Scheitel hast zumindest. Ein rechter Scheitel sieht bestimmt gut aus.“
Als er nicht antwortete, wusch ich mir das Haar aus und sah zu ihm auf. Er beobachtete mich, während er sich einseifte. Als er sich den Schaum abspülte, tauschten wir dann Shampoo gegen Seife. Nun, er gab mir zumindest die Seife. Er hatte sein eigenes Shampoo. Es wäre wohl etwas peinlich, wenn sein Haar nach exotischen Blumen roch.
Als ich mir zwei Minuten später den Schaum abspülen wollte, zog Tevin mich an sich, weshalb ich abrupt nach Luft schnappte. Es war eine Sache von ihm umarmt zu werden, wenn wir angezogen waren. Es war etwas anders von ihm umarmt zu werden, wenn ich Schlafkleidung trug. Doch von ihm berührt zu werden, wenn ich mit ihm unter der Dusche stand... Das war kein Vergleich zu dem Rest.
Die Hände ließ er artig auf meinem Rücken liegen, während er sich herab beugte und mich küsste. Einen Moment war mir schwindelig von all den Reizen. Mit Tevin war all das etwas völlig anderes als mit Veit. Als der Schwindel dann erst einmal vorüber war, stellte ich fest, dass ich mich an Tevin festhielt, indem ich ihm die Arme um den Hals gelegt hatte. Ich seufzte leise und schmiegte mich an ihn, während er die Hände züchtig über meinen Rücken und meine Arme gleiten ließ.
Wenige Minuten später, viel zu früh wie ich fand, löste er sich wieder von mir und lehnte die Stirn an meine, während er mir in die Augen sah.
„Versprich mir, dass es für dich keinen anderen mehr geben wird.“, flüsterte er.
„Ich versprech's nur, wenn du mir dasselbe versprichst.“
Er lächelte schräg und gab mir einen weiteren Kuss. „Nicht eine einzige. Das schwöre ich.“
„Dann wird es auch für mich keinen weiteren mehr geben.“
Eine gefühlte Stunde lang hörte er nicht auf mich zu küssen.
„Da bist du ja endlich.“, jubelte Veit, als ich mit Tevin ins Wohnzimmer kam. „Ich dachte, ihr wolltet nur duschen.“
Ich rollte mit den Augen und ließ mich von Tevin auf seinen Schoß ziehen, als er sich in den Sessel setzte. „Wir haben geduscht, Veit.“
Cyntia zog die Brauen zusammen. „Was sollten sie denn sonst im Badezimmer tun?“
„Zähne putzen.“, entgegnete Veit prompt, „Oder...“ Er dachte einen Moment nach. „Sich wiegen. Und sich die Haare machen. Sich mit Bodylotion eincremen.“
„Bodylotion?“ Die Kleine sah ihn verwirrt an.
„Ja. Wenn eine Frau älter wird tut sie das gern, damit sie ganz weiche Haut bekommt.“
„Ist Mommy deshalb so lange im Bad?“, fragte sie Tevin und mich.
Nun... solange Dad da war war sie nie allein im Bad, also... „Ja.“, antwortete ich schnell, „Sie cremt sich ganz gründlich ein, putzt sich die Zähne und lässt sich von Dad die Haare machen. Sehr sorgfältig.“
Einen Moment dachte sie darüber nach. „Ach so.“, kam es ihr dann über die Lippen. „Aber dann läuft die Dusche immer so lange.“
„Sie wechseln sich ab.“, erklärte Tevin, „So wie... Vilija und ich. Erst geht sie und ich putze mir die Zähne und... dann gehe ich und sie macht sich fertig.“
Das schien ihr Erklärung genug, weshalb sie nickte und aufstand. „Ich mache jetzt Hausaufgaben.“, verkündete sie dann und eilte hinaus.
„Zähne putzen? Bodylotion?“, wiederholte ich dann und sah Veit skeptisch an.
„Fällt dir etwas besseres ein?“, entgegnete er und seufzte leise. „Ich kann ihr ja schlecht sagen, dass ihre Eltern in der Dusche-“
„Sag es nicht.“, unterbrach ich ihn sofort und legte mir die Hände auf die Ohren. „Das will ich gar nicht hören.“
Tevin lachte unter mir.
„Du willst das doch genauso wenig hören.“, bemerkte ich und sah zu ihm auf.
„Nicht unbedingt das, aber der Gedanke an uns zwei ist was anderes.“
Als er mir einen kleinen Kuss gab, entspannte ich mich ein wenig.
„Wann packt ihr eigentlich?“, fragte Veit dann neugierig.
„Heute.“, antwortete ich und lächelte ihn an, während ich Tevin mit den Händen durchs Haar fuhr.
„Hast du vorher noch Zeit?“, fragte er und lächelte schräg, als er uns beobachtete.
„Ich denke schon, warum?“
„Ich würde euch gerne malen.“
Tevin sah ihn verstört an. „Was?“
„Ich möchte euch malen. Der Abschluss meiner Kollektion.“
Perplex sah Tevin zu mir auf, als ich begann über seinen Blick zu kichern.
„Veit ist Künstler.“, erklärte ich und lehnte mich an ihn. „Ich bin seine neue Kollektion.“
Misstrauisch sah er zwischen mir und Veit hin und her. „Seine neue Kollektion?“, wiederholte er skeptisch.
„Der Übergang von Unglück in Glück. Oder von Trauer in Glück.“, antwortete Veit, „Als ich sie das erste Mal gesehen habe, sah sie gerade traurig aus dem Fenster des Busses. Und sie ist so verdammt schön.“ Einen Moment sah er an die Decke, bevor er wieder zu Tevin sah. „Ich dachte mir, das wäre sicher eine gute Idee. Ich habe die Bilder sogar dabei, damit Vilija sie sehen kann.“
„Ich... verstehe nicht so recht. Du wusstest am Anfang doch nichts von dem Grund ihrer Trauer.“
„Nein. Das wurde mir erst etwas später klar. Aber ich wollte ihr helfen glücklich zu werden. Das ist mir ja gelungen, wie ich sehe.“
Einen Moment sah Tevin ihn finster an. „Dafür musstest du mit ihr zusammen kommen? Oder mit ihr ins Bett gehen?“
Veit grinste ihn frech an. „Nein, aber das war ein willkommener Nebeneffekt.“
Als Tevin aufstehen wollte, hielt ich ihn am Hals fest und zog ihn zu mir. „Tevin!“, rief ich dabei auf und warf Veit einen warnenden Blick zu.
„Sag so etwas... nie wieder.“, warnte Tevin ihn wütend.
Ich rollte mit den Augen und küsste Tevin auf die Wange. „Er meint es doch nicht böse.“
Er schnaubte daraufhin nur und wand den Kopf ab. „Idiot.“
Leise seufzend sah ich wieder zu Veit. „Wann hattest du denn vor mich zu zeichnen?“
„Sobald du Zeit hast.“
„In Ordnung. Und die Bilder? Du sagtest, du hättest sie dabei?“
Lächelnd senkte er ein wenig den Blick. „Ja. Sie... Sie sind im Kunstraum deiner Mutter.“
„Darf ich sie sehen?“
„Natürlich.“ Er zwinkerte mir zu und stand auf, woraufhin ich ebenfalls aufstand und Tevin hinter mir herzog, als ich Veit hinauf folgte.
„Er sollte aufhören mit dir zu flirten.“, grummelte Tevin schlecht gelaunt und drückte meine Hand.
„Du musst nicht eifersüchtig auf ihn sein. Wie bereits gesagt, ich bin mit dir zusammen, nicht mit ihm.“
Er murrte. Kurz darauf betraten wir dann Moms Kunstraum. Neugierig beobachtete ich Veit dabei, wie er zu einem abgedeckten Stapel Gemälde ging und das oberste herunter nahm.
„Bereit?“, fragte er mich.
Ich zögerte kurz, nickte dann aber, woraufhin er das Tuch beiseite zog. Tevin stöhnte hinter mir leise auf. „Große Güte.“
Es verschlug mit den Atem. Es musste der erste Augenblick sein, indem Veit mich gesehen hatte. Von außen sah er mich im Bus sitzen und traurig hinaus sehen. Damals... als ich Tevin so stark ignoriert hatte, dass es keinem von uns gut ging. Ich hatte Ringe unter den Augen und war etwas blass.
„Das sieht großartig aus.“, bemerkte ich staunend, „Was ist das nächste?“
Vorsichtig legte er das Gemälde beiseite und nahm das nächste hervor. Es war eine Abbildung von mir am Handy. Hinter mir erkannte ich den Park und erinnerte mich an den Moment. Veit hatte mich gezeichnet. Dann hatten wir uns geküsst und wurden von Tevins Anruf unterbrochen. Ich sah ein wenig verärgert auf, hatte rosige Wangen und etwas geschwollene Lippen vom Kuss. Trotz allem lag da ein gewisser Schmerz in meinen Augen.
Tevin schluckte schwer und zog mich in seine Arme. „Das nächste.“
Diesmal sah man mein Profil. Ich erkannte, dass ich mich auf dem Gemälde auf dem Schulhof befand. Ich sah irgendwohin. Da lag Sehnsucht und immer noch Schmerz in meinem Blick. Die Ringe unter den Augen waren nicht mehr so tief, doch ich war immer noch etwas blass.
„Wann war das?“, fragte ich halblaut.
„Kurz nach Theodores Geburtstag.“, antwortete Veit, „Wir standen auf dem Schulhof und haben uns geküsst. Dann sah Teddy Tevin, hat dich davon informiert und du hast ihn angesehen.“
Nun erinnerte ich mich. Der Tag nach dem Fiasko mit meinem Handy.
„Das nächste.“
Als ich es sah, hielt Tevin überrascht den Atem an. Ich befand mich wieder in der Schule und saß gemütlich auf unserem Stammplatz im Gras und hielt eine Strähne meines Haars in der Hand, während ich etwas erzählte. Ich hatte einen verträumten Ausdruck im Gesicht und ein sehr sanftes Lächeln zierte meine Lippen.
„Du hast mir damals davon erzählt, wie Tevin dich als Kind getröstet hat, weil du geweint hast.“, erklärte Veit, „Du hast an ihn gedacht, als du erzählt hast.“
„Warum habe nicht schon viel früher gesehen, wie viel du für mich empfindest?“, fragte Tevin so leise, dass ich es kaum verstand.
„Das nächste Bild.“, bat ich leise.
Der Anblick der sich mir bot, brachte mich zum Grinsen. Ich stand in der Küche, eine Tasse Kakao in der Hand. Tevin stand neben mir und sah auf mich herab, während ich mit glasigen Augen in meine Tasse sah. Man konnte mir ansehen, dass er mich geküsst hatte, man sah es sogar Tevin an. Veit musste es damals sofort gewusst haben.
„Ich konnte den Rest des Abends an nichts anderes denken.“, bemerkte Tevin halblaut.
Sanft lehnte ich mich mit dem Rücken an ihn. „Das nächste.“
Dieses Bild ließ mich abrupt inne halten. Ich wusste sofort von welchem Tag es war. Ich lag im Bett und sah jemanden erschrocken an. Auf dem Bild sah man es nicht, doch es war Tevin, den ich ansah. Man sah noch Veits Arm, der hinter mir lag, seine Hand auf meiner Schulter. Der Schmerz in meinem Gesicht schien viel größer, als der vorige. Ich wusste warum. Kurz zuvor hatte ich mich damit abgefunden, dass ich Tevin nie würde haben können, also hatte ich mich für Veit entschieden.
Tevin, der sich an den Moment wohl noch ziemlich gut erinnern konnte, drückte mich etwas fester an sich und küsste mich auf die Schläfe. „Das nächste.“, brachte er dann hervor und seufzte leise
Auf diesem Bild lächelte ich ihn zwar begeistert, doch immer noch etwas traurig an. Es musste derselbe Tag sein. Der Moment, als ich ihn geweckt hatte nachdem ich mit Tevin die geheime Beziehung begonnen hatte.
„Nächstes.“, bat ich leise.
Ich stand mit Tevin eng umschlungen auf dem Schulhof, hielt jedoch noch eine gewisse Distanz zu ihm.
„Das war an dem Tag, an dem ihr den Unfall hattet.“, bemerkte Veit.
Der Tag, an dem Tevin ins Krankenhaus musste. Ich schluckte schwer.
Als Tevin das nächste Bild sah, hielt er den Atem an. Es war der Tag, an dem er aus dem Krankenhaus gekommen war und ich ihm den Korb gegeben hatte. Ich stand weinend auf dem Rasen, während Teddy mich in den Armen hielt um mich zu trösten. Selbst jetzt schmerzte mir noch das Herz, als ich mich daran erinnerte.
„Es tut mir leid.“, flüsterte ich ihm zu und drückte seine Hände.
„Das nächste Bild.“, bat Tevin mit rauer Stimme.
Auf diesem stand ich mitten in meinem Zimmer, ein Shirt in der Hand. Die Ringe unter den Augen waren verschwunden und ich war nicht mehr so blass wie zu Beginn. Außerdem sah man keinen Schmerz mehr in den Augen. Nur Sehnsucht.
„Das war bevor ich bei dir übernachtet habe.“, bemerkte ich überrascht.
„Ja.“ Veit lächelte schräg. „Die Nacht war wirklich schön.“
Hätte ich Tevin nicht festgehalten, hätte er ihn mit Sicherheit geschlagen.
„Nächstes, nächstes!“
Wortlos legte er das Bild beiseite und zeigte uns das nächste... und bisher letzte Bild. Der letzte Moment, den wir als Paar hatten, kurz nach unserem Kuss, bevor ich das Haus betrat. Ich war aufgeblüht, konnte man sagen., doch irgendwas fehlte noch. Das hinderte mich nicht daran zu ihm auf zu lächeln. Ich strahlte fast.
„Heute soll das letzte entstehen.“, verkündete Veit lächelnd, „Gefallen sie dir?“
„Ja.“, antwortete ich und schluckte einige Male. „Sie sind umwerfend.“
„Und ich darf sie alle ausstellen?“
„Natürlich.“
Er lächelte begeistert. „Fantastisch.“ Dann hielt er inne und betrachtete uns einen Moment. „Irgendwas fehlt noch.“, bemerkte er dann und zog die Brauen zusammen.
Ich sah ihn verwundert an. „Wie bitte?“
Tevin sah ebenfalls zu mir, betrachtete mich einen Moment.
„Du siehst nicht so glücklich aus, wie ich es auf meinem Bild gern hätte.“, bemerkte Veit dann nachdenklich, „Irgendwas fehlt.“
Tevin lachte leise. „Oh, das ist nicht schwer.“, bemerkte er dann, drehte mein Gesicht zu sich und gab mir einen Kuss.
Sogleich war mir, als hätte ich keine Luft mehr in den Lungen. Ich war mir sicher, er küsste mich nur so leidenschaftlich, weil Veit zusah. Dennoch... ich schmolz dahin, hielt mich atemlos an ihm fest.
„Nein nein.“, hörte ich Veit sagen, „Das ist Leidenschaft. Ich brauche Liebe.“
Tevin löste sich von mir und sah zu Veit auf. „Wie bitte?“
„Liebe.“, erklärte Veit an, „Ist hier der Schlüssel zum Glück. Man muss es an ihrem Gesicht ablesen können, wie man auf anderen Bildern ihren Schmerz gesehen hat.“
Unsicher sah Tevin auf mich herab.
„Man muss es auch in deinem Gesicht sehen können.“, fügte Veit hinzu.
Da kam mir eine Idee. „Tevin?“
„Ja?“
Ich löste mich etwas aus seiner Umarmung, um mich zu ihm umdrehen zu können. „Erinnerst du dich an dem Tag, an dem du die Hoffnung daran, dass deine Eltern dich abholen, aufgegeben hast?“
Verwundert sah er auf mich herab. „Das ist schon Jahre her.“
„Erinnerst du dich?“
Einen Moment dachte er nach. „Nicht mehr so genau.“
Ich lächelte schräg. „Ich hab dich den halben Tag gesucht und dann irgendwann im Baumhaus gefunden. Da wurde es bereits dunkel.“
„Ja. Du warst traurig, weil du dachtest, ich sei dir aus dem Weg gegangen.“, erinnerte er sich und lächelte schräg.
„Stimmt.“ Einen Moment schloss ich amüsiert die Augen, sah dann aber wieder zu ihm auf. „Jedenfalls hast du an unserem Tisch gesessen und todtraurig hinaus in die Sterne gestarrt, als hättest du alles Schöne in deinem Leben verloren.“
„Du hast gefragt warum ich so traurig bin.“
Ich nickte. „Und du hast mir erzählt, dass du ganz allein bist, weil deine Eltern dich nicht wollen. Du sagtest, dass du nicht für immer bei uns bleiben könntest und irgendwann gehen müsstest, weil du ja kein Teil unserer Familie wärst.“ Als ich mich daran erinnerte, stiegen mir Tränen in die Augen. „Du sagtest, es gäbe niemanden, der dich in seinem Leben haben wollte und du würdest deshalb auch den Rest deines Lebens allein verbringen, weil die nicht wollen würde.“
Sanft wischte er mir die Träne von der Wange. „Ja. Du hast irgendwas gesagt. Es hat sich angefühlt, als hättest du eine Kerze angezündet und mit einem mal war alles klar.“
„Was habe ich gesagt, Tevin?“
Er seufzte leise. „Ich weiß es nicht mehr.“
Ich lächelte schräg, während mir noch eine Träne über die Wange rollte. „Tevin.“, wiederholte ich die Worte von damals, „Du bist nicht allein. Du warst es auch nie, nachdem du mich gefunden hast. Du bist ein Teil meines Lebens. Du bist ein Teil meiner Vergangenheit, meiner Gegenwart und wirst auch ein Teil meiner Zukunft sein. Du bist nicht allein und wirst es auch nie wieder sein. Dafür werde ich den Rest meines Lebens sorgen, denn du bist ein wichtiger Teil davon.“
Die Gefühle, die sich in seinem Gesicht spiegelten, erinnerten mich an den kleinen Jungen, der das erste Mal seit langer Zeit wahrgenommen hat, dass er geliebt wurde. Der kleine Junge, der in dem Moment begonnen hatte zu lieben, obwohl ihm das Herz zerschmettert wurde.
„Vilija.“, hauchte er, „Wie konnte ich das nur vergessen?“ Liebevoll zog er mich in seine Arme, schloss die Augen und lehnte seine Stirn an meine. „Ich liebe dich.“, flüsterte er mir dann zu, „Ich liebe dich. Es tut mir so leid. Ich weiß nicht, wie ich das vergessen konnte.“
„Ich liebe dich auch.“
Vier Stunden später konnte ich genau dieses Bild von Tevin und mir auf einer Leinwand betrachten.
Eine Woche später sollte die Ausstellung der Gemälde in einem der bekanntesten Kunstmuseen der Stadt stattfinden.
Doch vorher hatten wir noch eine Klassenfahrt zu überstehen.
„Es ist so heiß.“
Ich schnaufte nur und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Diana trank bereits die erste Flasche Wasser leer, obwohl ihr nur drei pro Tag gehörten und wir erst seit kurzem hier waren.
„Wann steht denn das Zelt?“, fragte sie genervt.
„Wie wäre es, wenn du helfen würdest?“, fragte ich daraufhin gereizt und half Teddy, als er das gesammelte Holz für ein nettes Lagerfeuer stapelte.
„Helfen? Tickst du noch richtig? Sieh dir diese Fingernägel an.“ Sie streckte mir ihre Hände entgegen, an denen Kunstnägel hingen, die gefühlte zwei Zentimeter lang waren. „Ich werde sie mir abbrechen, wenn ich auch nur versuchen sollte den beiden zu helfen.“ Sie deutete auf Tevin und Veit, die sich beide mit dem Zelt abmühten.
Ich hatte Tevin erpressen müssen, damit er nur ansatzweise kameradschaftlich mit Veit umging, doch es funktionierte. Evelyn, die die letzte in unserer Gruppe war, war noch bei unserem Lehrer, um unsere heutige Ration an Essen zu holen.
Unsere Klassen waren in Sechsergruppen unterteilt. Wir hatten drei Zelte pro Gruppe. Da in meiner Gruppe jedoch drei Mädchen und drei Jungs waren, hatte unser Lehrer Tevin und mir gestattet im selben Zelt zu schlafen. Evelyn, die sich das Zelt mit Diana teilen musste, tat mir von ganzer Seele leid, obwohl ich davon ausging, dass Diana es sei wird, die es bereuen wird, sich in diese Gruppe gedrängelt zu haben. Ursprünglich hatten wir nämlich vor einen Freund von Tevin mitzunehmen.
„Wann habt ihr das Lagerfeuer fertig?“, fragte Diana, „Ich habe Hunger.“
„Nun, dein Essen wirst du dir selbst machen dürfen.“, entgegnete Teddy und sah sich nach etwas um, womit er das Feuer machen konnte.
„Da vorn.“, bemerkte ich und deutete auf eine der Tasche, die unser Lehrer uns mitgegeben hatte.
Neben der Tasche mit Essen, die Evelyn mitbringen würde, hatten wir noch eine Tasche mit Wasserflaschen, die Tasche für die Wanderung, in der auch die Dinge für Lagerfeuer waren, und drei Taschen für die Zelte bekommen, in die nichts weiter als die Zelte selbst und die Schlafsäcke kamen. Da jeder außerdem seine Kleidung und andere Dinge mit sich trug, die er mitgebracht hatte, trug jeder mindestens zwei Taschen. Heute, am ersten Tag, würde wir erst einmal die Lage checken, indem wir ein nettes Lager aufschlugen und uns die Dinge ansahen, die wir bekommen hatten. Unter anderem die Karte mit unserer Route.
Jede Gruppe hatte ihre eigene Route und ein Funkgerät, falls etwas passierte. Mit den Handys hatte man hier keinen Empfang. Die Gruppen hatten die Aufgabe mit den gegebenen Ressourcen über die gegebene Route zum Ziel zu wandern, dass sich einige Meilen von uns entfernt befand.
Ich hatte mich schon sehr auf diesen Ausflug gefreut, denn es war mal etwas anderes, als die Ausflüge an den Strand oder in irgendwelche Urlaubsgegenden. Einen großen Nachteil gab es jedoch. Es war wirklich heiß. Ich schwitzte schon, seit ich den Bus verlassen hatte.
„Gibst du mir die Karte?“, bat ich Teddy, als er die Anzünder und ein Feuerzeug heraus holte.
„Klar.“, entgegnete er und holte besagte Karte heraus, um sie mir zu reichen.
Als Tevin und Veit quasi im selben Moment mit dem ersten Zelt fertig waren, kam Tevin herüber und setzte sich neben mich.
„Wie sieht's aus?“, fragte er und folgte meinem Blick auf die Karte.
„Es ist weit.“, bemerkte ich, „Wir sind hier.“ Ich deutete auf das eine Ende, der eingezeichneten Route. „Ich schätze das sind... vielleicht... 150 Meilen.“
„150?“, wiederholte Diana ungläubig, „Die sollen wir bis Sonntag gelaufen sein?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Das müsste doch zu schaffen sein. Wenn wir an einem Tag 25 Meilen wandern, dann ist das kein Problem. Und 25 Meilen sind gut zu schaffen, denke ich.“
„Mit dem Gepäck könnte das schwer werden.“, merkte Tevin an und besah sich die Route. „Wir müssen einige Pausen mit einberechnen. Ist das da ein See?“ Er tippte auf eine blaue Fläche, an der unsere Route vorbei lief.
„Ja. Wenn wir uns ran halten, können wir sicher ein bisschen schwimmen gehen.“ Ich grinste ihn an und wackelte mit den Brauen.
In dem Moment kam Evelyn bei uns an und seufzte tief. „Das meiste ist Fleisch.“, erklärte sie, „Filets und grobe Stücke, die man gut über dem Lagerfeuer braten kann.“
„Und das andere?“
„Obst. Und Gemüse.“ Sie holte eine Plastikbox hervor, die nur etwa zu einem Drittel gefüllt war. „Das ist das Abendessen für eine Person. In so einer Box ist dann unsere Tagesration. Da sind drei Fächer.“
„Hat man dir gesagt, wie wir das Essen und Trinken bekommen?“, fragte Teddy, der gerade den Anzünder im Feuer platzierte, um ihn anzuzünden.
„Sie melden sich morgen früh über das Funkgerät um zu erfragen wo wir sind. Dann kommen sie mit einem Wagen und bringen es uns.“
„Klingt wie ein Survivaltraining, nicht wie ein Zeltausflug.“, bemerkte Veit, der sich nun an das zweite Zelt machte.
Tevin seufzte schwer und stand auf, um ihm widerwillig zu helfen, nachdem ich ihm einen auffordernden Blick zugeworfen hatte.
„Das soll auch eine Art Survivaltraining sein.“, bemerkte Teddy, der vorsichtig auf die kleine Flamme pustete. „Irgendjemand hat das vorgeschlagen und diverse Sicherheitsvorkehrungen gleich mit vorgestellt. Mr. Dawson fand die Idee ziemlich gut.“
„So wie einige andere.“, stimmte ich zu.
Diana, die herzlich wenig begeistert war, schnaubte nur und trug ihre Tasche in das bereits stehende Zelt.
„Du könntest auch ruhig mit uns absprechen, welches Zelt du bekommst.“, bemerkte Teddy gereizt und warf ihr einen finsteren Blick zu.
„Als wenn es einen Unterschied machen würde, ob ich nun dieses Zelt nehmen oder das, was noch nicht steht.“, entgegnete sie giftig und schob ihr Haar zurück.
Evelyn rollte mit den Augen und beobachtete dann Teddy dabei wie er das Holz vorsichtig auf der Flamme stapelte, ohne sie zu löschen. Ich dagegen war damit beschäftigt auszurechnen, wie lange wir am Tag gehen mussten, um rechtzeitig am Zielt zu sein und eventuell einen Tag am See zu ergattern.
„Wenn wir 9 Stunden am Tag wandern...“, sinnierte ich, „Und dabei 30 Meilen schaffen... Dann hätten wir Zeit zum Schwimmen und wären pünktlich am Ziel.“
„Schwimmen?“, wiederholte Evelyn überrascht.
„Wir kommen an einem See vorbei.“, erklärte Teddy kurz.
„Ach, schön. Dann können wir uns auch waschen.“
Diese Möglichkeit hatten wir nämlich nicht, da wir ja kein fließendes Wasser zur Verfügung hatten.
„Ich freue mich jetzt schon auf den Schweißgeruch.“, bemerkte Diana angewidert, „Ich hoffe ihr habt alle ein gutes Deo und genug dabei.“
Keiner beachtete sie. Stattdessen jubelte Evelyn mit Teddy über das nun fabelhaft entfachte kleine Feuer.
„Klasse.“, lobte sie ihn begeistert.
„Dann könnt ihr ja schon mal das Essen machen.“, schlug ich vor und griff nach meiner Flasche, um etwas zu trinken.
„Was machst du da eigentlich?“, fragte Evelyn, während sie die Boxen heraus holte. Fünf... von sechs. Wir meinten es ernst, als wir sagten, Diana könnte sich ihr Essen selbst machen.
„Das ist die Karte mit der Route.“, antwortete ich und erklärte ihr kurz was wir bisher daraus entnehmen konnten. „Ich wollte gerade darüber nachdenken wo wir am besten Pause machen könnten. Allerdings erkennt man so etwas auf einer Karte ja schlecht.“
Sie nickte verständlich. „Stimmt.“
„Wie auch immer. Ich gehe dann mal den beiden Jungs zur Hand.“
„Klar.“ Sie nahm die Karte entgegen, als ich sie ihr reichte, und legte sie in ihre Tasche zurück, woraufhin ich aufstand und zu Tevin und Veit ging, die sich mit dem Zelt ziemlich abmühten.
„Kommt ihr zurecht?“, fragte ich die beiden.
„Ja.“, antwortete Veit.
„Gibst du mir den Hering da vorn herüber?“, bat Tevin, der gerade ein Band stramm zog und an die Erde hielt.
Ich brachte es ihm herüber. „Nehmen wir das Zelt oder Veit und Teddy?“
„Von mir aus können es die anderen beiden haben.“, entgegnete Tevin.
„Ich bin übrigens dafür, dass ab morgen jeder das eigene Zelt auf und ab baut.“, schlug Veit vor und warf Diana einen verärgerten Blick zu.
Ich nickte. „Klingt gut. Evelyn wird ihr sicher die Hölle heiß machen, wenn sie alles allein tun muss.“
„Wie siehts mit der Route aus?“, fragte Tevin und warf mir einen fragenden Blick zu.
„Ich dachte mir, wenn wir 9 Stunden wandern und 30 Meilen schaffen, müssten wir es schaffen zu schwimmen und pünktlich zu sein.“
Er lächelte schräg. „Klingt gut. So haben wir dann einen ganzen Tag am See, richtig?“
„Ja. Er liegt auch schön in der Mitte unserer Route, so haben wir einen Tag mitten in der Woche, an dem wir uns entspannen können.“
„Wunderbar.“ Veit lächelte begeistert. „Gut gemacht.“
Ich verbeugte mich theatralisch. „Kann ich helfen?“
„Nein, wir kommen zurecht.“, entgegnete Tevin, „Du kannst ja schon mal nachsehen, was noch so in der Wundertüte ist.“
Ich lachte leise über die Bezeichnung und ging zu der Tasche, die uns bei der Wanderung helfen sollte. Neben der Karte und den Dingen zum Feuer machen befand sich dort auch ein Kompass, das besagte Funkgerät mit einer Liste der Lehrer, die für die Gruppen zuständig waren und deren Sender am Funkgerät.
„Yeah, wir haben Mr. Dawson!“, jubelte ich begeistert.
Die anderen freuten sich ebenfalls, was sich bei Diana in Grenzen hielt, da sie damit beschäftigt war sich die Nägel zu feilen.
„Sender 3.“, murmelte ich vor mich her und stellte den Sender am Funkgerät ein. „Test.“, sprach ich dann hinein, „Mr. Dawson, können Sie mich hören?“
Ich wartete einen Moment, dann kam eine Antwort.
„Klar und deutlich, Vilija. Wie geht’s bei euch voran?“, fragte er.
„Sehr gut. Wenn sie in drei Tagen Lust auf eine Runde schwimmen haben, sollten sie den Tag bei uns verbringen.“
Teddy lachte leise und schien sich schon darauf zu freuen.
„Das ließe sich bestimmt einrichten.“, entgegnete unser Lieblingslehrer, „Ich melde mich heute Abend nochmal, bevor ich schlafen gehe. Gibt es Fragen?“
Ich sah die anderen fragend an. „Fragen Leute?“
Evelyn streckte die Hand nach dem Funkgerät aus, woraufhin ich es ihr reichte. „Evelyn hier.“, meldete sie sich, „Ich wollte fragen, wann morgen früh die Tagesration ausgeteilt wird.“
„Ich melde mich gegen 7 Uhr.“, antwortete er, „Falls ihr noch schlafen solltet und keiner antwortet, versuche ich es eine halbe Stunde später nochmal. Um 8 Uhr fahren wir los, um die Rationen auszuteilen. Wann genau wir sie euch geben hängt davon ab, wie weit es zu euch ist. Ich trage das Funkgerät übrigens immer mit mir herum, also müsst ihr mit eurer Antwort zwischen 7 und 8 Uhr nicht warten, bis ich mich melde.“
„In Ordnung.“
„Sonst noch Fragen?“
„Können wir die Gruppenmitglieder noch ändern?“, fragte Teddy eher sich selbst als Mr. Dawson.
Dennoch gab Evelyn die Frage weiter.
„Nur in besonderen Fällen, wenn ihr mit der Person gar nicht mehr zurecht kommt und es so eure Wanderung behindert. Das tun wir allerdings wirklich nur in Ausnahmesituationen, da ihr eure Gruppe selbst zusammen gestellt habt.“
Veit murrte, als er das hörte, während er sich mit Tevin an das dritte Zelt machte.
„Gibt es sonst noch Fragen?“, fragte Mr. Dawson geduldig.
Wir schwiegen.
„Nein.“, antwortete ich dann, als Evelyn mir das Funkgerät zurück gab, „Wenn wir noch Fragen haben sollten, melden wir uns.“
„In Ordnung. Dann wünsche ich euch bis heute Abend noch einen schönen Tag.“
„Vielen Dank. Ihnen auch.“
„Danke sehr. Over and out.“
„Ich wette, er wartet schon die ganze Zeit darauf, das zu sagen.“, bemerkte Teddy amüsiert und drehte ein Spieß, an dem ein Filet hing.
Wir lachten amüsiert. Dann sah ich nach, was sich noch in der Wundertüte befand.
„Das wars.“, bemerkte ich seufzend, „Die Karte, ein Kompass, Anzünder, ein Feuerzeug, das Funkgerät und eine Liste mit den Lehrern.“
„Okay.“, entgegnete Evelyn, die ebenfalls ein Filet grillte.
Wenige Minuten später waren Tevin und Veit fertig und brachten ihre Sachen in die Zelte.
„Soll ich deine Tasche mitnehmen?“, fragte Tevin aufmerksam.
„Nein, ich mach schon.“, entgegnete ich, stand auf und brachte mit ihm die Taschen in unser Zelt. „Ah, hier drinnen ist es nicht so heiß.“, bemerkte ich erleichtert und setzte mich auf den Boden.
„Ja. Da werden wir sicher gut schlafen können.“
„Ich wette, heute Nacht wird es sogar richtig kalt. Die Chance für Veit und Teddy miteinander zu kuscheln.“
Tevin lachte leise und setzte sich zu mir. „Ich bin froh, dass ich mir das Zelt mit dir teile.“
„Das dürfen wir sicher nur wegen unserem Status als Geschwister.“
„Das denke ich auch. Wie auch immer.“
Ohne Vorwarnung beugte er sich vor und küsste mich liebevoll. Es dauerte nur wenige Sekunden bis aus dem unschuldigen Kuss ein leidenschaftliches Geknutsche wurde. Weitere Sekunden später lagen wir bereits und hielten uns eng umschlungen.
„Haben die jetzt vor zu vög-“
„Ich glaube nicht.“, unterbrach Teddy Evelyn, „Soweit ich weiß haben die zwei auch keine Kondome dabei.“
„Woher weißt du Sowas?“, fragte Veit verstört.
„Sowas weiß man eben.“, entgegnete Teddy daraufhin.
Ich versuchte die Stimmen auszublenden und schmiegte mich eng an Tevin, als er mit einer Hand über meine Seite glitt und mich mit seiner Zunge neckte.
„Jetzt haben wir ganz viel Zeit für uns.“, flüsterte er an meinem Mund und knabberte an meiner Unterlippe.
„Wenn da nicht die anderen vier wären.“, entgegnete ich amüsiert, woraufhin er leise seufzte.
„Ja. Die müssen wir auch noch los werden.“
Ich begann zu lachen, woraufhin er mich anlächelte und meinen Hals küsste. Als ich ihm daraufhin mit der Hand durchs Haar fuhr, schmiegte er sich sanft an mich und drückte mich leicht an sich. Er mochte es wohl immer noch, wenn ich ihm mit der Hand durchs Haar ging. Oder in den Nacken.
„Tevin?“
„Hm?“ Träge legte er seinen Kopf auf meine Schulter, während ich mit seinem Haar im Nacken spielte.
„Wie... heißt du eigentlich?“
„Tevin McCourtney.“, antwortete er mit geschlossenen Augen, als würde er jeden Moment einschlafen.
„Nein, ich meine... Wie heißt du wirklich?“
Er schwieg so lange, dass ich dachte, er sei tatsächlich eingeschlafen. Dann hob er den Kopf und sah mir in die Augen. „Warum fragst du?“
„Ich weiß nicht. Neugierde, denke ich.“
„Ich weiß es nicht.“, antwortete er dann, „Es ist so lange her. Und ich habe den Namen nie benutzt.“
Ich strich ihm ein Haar Strähnen aus dem Gesicht. „Vermisst du deine Eltern eigentlich?“
„Manchmal.“ Nachdenklich fuhr er mit dem Daumen meine Augenbraue nach. „Ich weiß nicht einmal wie sie heißen.“
„Vermisst du auch deinen Dad?“
„Wie meinst du das?“
„Ich meine... Nach dem du weißt, was er deiner Schwester angetan hat... Konntest du ihm das verzeihen?“
Wieder schwieg er eine Weile, während er darüber nachdachte. „Als Kind habe ich nicht verstanden, was er getan hat.“, antwortete er dann, „Ich habe nicht verstanden, was passiert ist. Ich denke, deshalb gab es für mich nie einen Grund ihm irgendwas zu verzeihen. Es gab einfach nichts, was es zu verzeihen gäbe.“
„Tevin? Vilija?“, meldete sich Teddy zaghaft am Eingang, „Seid ihr noch angezogen?“
Ich begann zu kichern. „Ja, Teddy, sind wir.“
Daraufhin streckte dieser den Kopf herein. „Die ersten Stücke Fleisch sind gleich fertig. Habt ihr Hunger?“
Ich sah Tevin fragend an.
„Ja.“, antwortete dieser, „Wir kommen gleich.“
„Okay.“ Mit diesem Wort zog er den Kopf wieder zurück und ging zu den anderen, wie ich annahm.
„Denkst du... sie suchen dich?“, fragte ich Tevin leise.
Dieser hatte nicht einen Moment den Blick von mir genommen. „Ich weiß es nicht.“
„Was wäre wenn?“
„Ich bin mir nicht sicher, ob dich darüber nachdenken möchte.“, entgegnete er und schloss einen Moment die Augen. „Ich glaube, ich würde mir nur unnötig Hoffnung machen und mich damit selbst verletzen.“
„Verstehe.“ Ich reckte den Hals und gab ihm einen sanften Kuss. „Gehen wir essen?“, fragte ich ihn dann leise.
Er seufzte leise. „Noch ein paar Minuten.“, entgegnete er dann und erwiderte den Kuss zärtlich. „Nur ein paar.“
Zwei Stunden später, als wir alle am Feuer saßen und aßen – mit Ausnahme von Diana, die in ihrem und Evelyns Zelt saß und schmollte – meldete sich das Funkgerät, woraufhin ich es hervorholte.
„Guten Abend, Mr. Dawson.“, meldete ich mich.
„Sind alle wohlauf?“, erkundigte er sich.
Aus irgendeinem Grund hatte ich vor Augen, wie er genüsslich in einer Hängematte lag und sich sonnte, während er so ins Funkgerät sprach.
„Uns geht’s gut, ja.“, antwortete ich lächelnd.
„Schön zu hören. Ich werde mich gleich schlafen legen, also werde ich nicht zu erreichen sein. Gibt es noch irgendwelche Fragen, die ihr stellen möchtet?“
Ich sah die anderen kurz an, die daraufhin nur den Kopf schüttelten. „Nein, haben wir nicht.“
„In Ordnung. Dann wünsche ich euch eine gute Nacht. Schlaft schön.“
„Vielen Dank. Ihnen auch eine gute Nacht.“
„Bis morgen früh. Over and out.“
Ich kicherte leise, als er es sagte. „Findet ihr es nicht auch komisch, wenn er das sagt?“, fragte ich die anderen und steckte das Funkgerät weg.
Evelyn nickte amüsiert, während sie von ihrem Fleisch abbiss.
„Es hat was.“, entgegnete Veit lächelnd.
„Mr. Dawson ist mit Abstand der wahrscheinlich coolste Lehrer den ich kenne.“, bemerkte Teddy, der den Arm um Evelyns Schultern gelegt hatte. „Und der lockerste. Auch wenn er ziemlich streng werden kann.“
Wir nickten zustimmend.
Wenig später streckte ich mich dann gähnend und stand auf. „Ich lege mich dann mal hin. Kommst du auch gleich?“, fragte ich Tevin.
„Ja, warte kurz.“ Er trank noch einige Schlücke Wasser und stand dann ebenfalls auf, nachdem er sie in der Tasche verstaut hatte. „Gute Nach, Ev. Nacht, Teddy.“
„Gute Nacht ihr zwei.“, antwortete Teddy und hob die Hand von Evelyns Schulter. „Schlaft gut.“
„Danke, ihr auch.“, entgegnete ich.
„Gute Nacht.“, rief Veit uns noch hinterher.
„Nacht.“, stimmte Evelyn schließlich mit ein und gähnte ebenfalls. „Ich würde ja auch schlafen gehen, aber ich hab keine Lust mich mit ihr auseinanderzusetzen.“
„Ich hab Mitleid mit ihr.“, bemerkte ich und sah von Evelyn zu ihrem Zelt, in dem Diana schmollte, während ich mit Tevin zu unserem Zelt ging.
„Mit wem?“, wollte dieser wissen und hielt mir den Eingang vom Zelt auf.
„Danke.“ Ich wartete bis er ebenfalls im Zelt war und den Reißverschluss zu zog. „Mit Evelyn.“, antwortete ich dann und zog mir das Shirt aus. „Ich meine... Diana ist eine Diva. Ich bin mir sicher, dass sie Evelyn den ganzen Spaß an der Reise verderben wird.“
„Ev ist hart im Nehmen.“, entgegnete Tevin und begann sich seine Schuhe auszuziehen, während ich nach meiner Schlafkleidung suchte. „Wenn es zu schlimm mit ihr wird, dann können wir ja immer noch mit Mr. Dawson sprechen.“
Seufzend legte ich mein Schlafshirt und die Shorts auf meinen Schlafsack, in dem zwei Decken und ein Kissen lagen. Eine Decke, auf der ich lag, und eine Decke zum Zudecken, damit ich, um näher bei Tevin zu liegen, den Reißverschluss offen lassen konnte. „Du hast Recht. Aber es muss doch sicher auch schwer für Diana sein, oder?“
„Bekommst du jetzt auch Mitleid mit ihr?“, fragte er überrascht und zog meine Füße zu sich, um auch mir die Schuhe auszuziehen.
Ich lachte leise, da er mich dafür ein Stück über den Boden ziehen musste. „Nein, das nicht.“, entgegnete ich und wackelte mit den Zehen, als er mir die Schuhe ausgezogen hatte und die Socken folgten. „Ich habe nur versucht mich in ihre Lage zu versetzen.“
„Das ist nicht nötig.“ Liebevoll küsste er mir die Fußrücken, bevor er meine Beine auf den Boden legte und sich das Shirt auszog. „Sie wusste von Anfang an, dass sie in unserer Gruppe unerwünscht ist. Trotzdem hat sie sich geweigert in eine andere Gruppe zu gehen.“
„Du hast ja Recht.“ Ich seufzte tief. „Wieder einmal.“ Dann raffte ich mich auf mir die Hose auszuziehen.
„Hmmm...“ Hungrig glitt sein Blick über mich. „Willst du sofort schlafen?“, fragte er dann halblaut und entledigte sich ebenfalls seiner Hose.
„Nun... vielleicht nicht sofort.“ Ich zog mir die Schlafsachen an und schob dann meine Beine zwischen die beiden Decken in meinem Schlafsack. „Du etwa?“
Seine Antwort bestand darin, dass er seinen Schlafsack so nahe an meine schob wie möglich, sich hinein legte, und dann zu mir herüber griff, um mich an sich zu ziehen und zu küssen.
„In einer Stunde vielleicht.“, antwortete er dann schließlich und ließ eine Hand unter mein Shirt wandern.
Ich hatte so das Gefühl, dass ich es nicht mehr lange tragen würde.
Es war das Funkgerät, das mich irgendwann morgens aus dem Schlaf riss.
„Guten Morgen. Dawson hier. Ist schon jemand wach?“
Ich murrte müde und tastete verschlafen nach meiner Hose, in der das Funkgerät steckte. „Morgen.“, nuschelte ich dann hinein.
„Ah, Vilija. Hab ich dich geweckt?“
„So ungefähr.“ Ich streckte mich und warf Tevin einen kurzen Blick zu. Ich lag auf ihm und war mit ihm in beide Schlafsäcke und den Decken eingepackt. Es war tatsächlich ziemlich kalt geworden.
„Ich werde gegen 8 Uhr bei euch sein, um euch die Rationen für den heutigen Tag zu bringen.“
„Okay.“
„Da ihr wahrscheinlich viel wandern werdet, ist es ratsam alles zu essen, was ihr bekommt. Nicht sparen, ihr braucht die Energie.“
„Verstanden.“
„Gut. Ich nehme an, ihr seid noch da, wo wir euch abgesetzt haben?“
„Ja. Wir gehen heute los.“
„Okay. Dann bis in einer Stunde.“
„Bis dann.“
Sobald ich diese Worte gesagt hatte, nahm Tevin mir das Funkgerät aus der Hand, warf es zu meiner Hose und rollte sich mit mir herum, sodass er über mir lag. Keine Sekunde später lagen seine Lippen an meinem Hals und seine Hände an meiner nackten Haut.
Nur eine Viertelstunde später lag ich atemlos in seinen Armen, während er, das Kinn auf meiner Brust gebettet, zufrieden zu mir aufsah.
„Guten Morgen.“, begrüßte er mich schließlich.
„So darf der Morgen gerne öfter beginnen.“, bemerkte ich, woraufhin er mir einen heißen Kuss gab, der mir erneut den Atem nahm.
„Du siehst so sexy aus, wenn du mich so verschlafen ansiehst.“, entgegnete er und sah auf mich herab. „Da fallen mir dutzende Dinge ein, die ich gerne mit dir tun würde.“
„Wir müssen aber aufstehen.“, murmelte ich daraufhin und streckte mich unter ihm.
Ich konnte beobachten, wie seine Augen augenblicklich dunkler wurden. „Wir haben doch Zeit bis um 8.“
„Was bestimmt nicht mehr lange dauert. Außerdem sind wir zwei noch die einzigen die wach sind und ich glaube, es wäre sehr sehr unangenehm, wenn Mr. Dawson uns so sehen würde.“
Sein Mundwinkel zuckte. „Von mir aus darf ruhig jeder wissen wie sehr ich dich liebe.“
„Du meinst, wie sehr du mich begehrst.“
„Nein, ich spreche von Liebe.“ Ein kleiner Kuss auf meine Nasenspitze. „Sollte irgendjemand rein platzen, würde ich ihn, vorausgesetzt es ist ein Kerl, erst einmal schlagen.“
Meine Augen weiteten sich ein wenig.
„Niemand außer wird dich je wieder nackt sehen.“, erklärte er dann, „Wenn doch, hat er den Schlag verdient.“
„Und mein Gynäkologe?“
Verdutzt sah er mich an. „Das ist ein Kerl?“
„Ja. Dr. Stavistan ist ein Mann.“
Er zögerte etwas. „Na gut, der darf.“, grummelte er dann unwillig, „Aber nur weil das sein- Nur weil er es tun muss.“, korrigierte er sich hastig und verzog das Gesicht. „Männliche Gynäkologen sollten verboten werden.“
Ich brach in Gelächter aus. „Weißt du Tevin...“ Einen Moment musste ich die Augen schließen. „Männliche Gynäkologen sind viel sanfter als weibliche. Deshalb bin ich froh, dass meiner ein Mann ist, keine Frau.“
„Sie freut sich auch noch darüber.“, murmelte er verstimmt und seufzte schwer. „Was heißt hier sanfter?“
„Sie sind vorsichtiger.“, entgegnete ich, „Weil sie Angst haben den Frauen weh zu tun.“
„Ah. Verstehe.“ Einen Moment dachte er darüber nach. „Dann muss ich zugeben, dass ich froh bin, dass du einen … vorsichtigen Gynäkologen hast.“
Erneut zuckte mein Mundwinkel. „Schön, dass wir da einer Meinung sind. Jetzt lass uns aufstehen.“
Murrend ließ er es zu, dass ich aufstand und mich anzog, während er noch eine Weile liegen blieb. Er regte sich erst, als ich das Zelt verließ. Ich streckte mich genüsslich und ging dann zum Zelt von Teddy und Veit herüber.
„Teddy!“, rief ich halblaut und klopfte leicht am Zelteingang. „Veit!“
Irgendwas Raschelte im Zelt, bevor jemand leise verschlafen stöhnte.
„Teddy! Veit!“
Ein verschlafendes Murren, dann erneut ein Rascheln, bevor der Reißverschluss aufgezogen wurde und Teddy den Kopf heraus streckte.
„Was ist denn?“, fragte er müde und rieb sich über die Wange.
Hinter ihm sah ich Veit, der tief und fest zu schlafen schien.
„Mr. Dawson ist gegen 8 Uhr hier und bringt das Essen.“
Er seufzte leise, drehte sich um und stieß Veit an. „He, Veit! Wach auf.“
„Ich wecke die anderen beiden.“
Verschlafen winkte er ab und griff nach seiner Tasche, bevor er inne hielt, und Veit einen kleinen Tritt gegen die Hüfte verpasste. „Schlafmütze, aufwachen! Wir müssen Holz sammeln.“
„Hm? Was?“ Noch fast am Schlafen hob Veit blinzelnd den Kopf. „Was willst du mit Holz?“
„Feuer machen.“
„Was willst du denn in Brand setzen?“ Müde ließ er sich wieder ins Kissen sinken.
Amüsiert lächelnd ging ich weiter zum nächsten Zelt und klopfte auch hier vorsichtig. „Evelyn!“
Alles blieb still.
„Ev!“
„Wir sollten uns irgendwas ausdenken.“, bemerkte Tevin, der gerade aus unserem Zelt kam. „Irgendwas, damit es nicht so kompliziert ist. Kannst du nicht ins Zelt gehen?“
Ich zögerte etwas, zog dann aber den Reißverschluss auf. „Evelyn.“
Sie murrte. „Noch fünf Minuten.“
„Ich dachte, du möchtest vielleicht wissen, dass Mr. Dawson gegen 8 Uhr hier ist.“
„Ja, danke.“
Ich seufzte leise und zog den Reißverschluss wieder zu. „Was schwebt dir vor?“, wollte ich dann von Tevin wissen und trat mit ihm zur erloschenen Feuerstelle.
„Du könntest ja morgens die Mädchen wecken und... ich wecke die Jungs.“
„Willst du denn jedes Mal von Mr. Dawson geweckt werden?“
Er zögerte. „Stimmt. Wir sollten uns damit abwechseln, wer das Funkgerät über Nacht hat.“
Ich nickte zustimmend. „Das dachte ich mir. Ich denke, heute Nacht sollten Teddy und Veit es nehmen.“
„Okay.“ Er streckte sich etwas und sah dann auf, als Teddy und Veit aus dem Zelt kamen. „Morgen.“, begrüßte er die zwei und sah Veit, wie immer, mit einem finsteren Blick an.
„Morgen.“, entgegnete die zwei verschlafen.
„Wir gehen Feuerholz sammeln.“, verkündete Teddy, ehe er mit Veit im Wald verschwand.
Müde gähnend setzte ich mich zu Tevin zur Feuerstelle und rieb mir den Rest Schlaf aus den Augen. „Okay. Wenn Mr. Dawson um 8 hier ist, gibt es sicher so gegen halb neun Essen. Dann... können wir bis 10 Essen und dann abbauen, was sicher auch nochmal eine halbe Stunde dauert.“
„Es dauert wohl mehr alles zusammen zu packen, als das abbauen der Zelte. Wenn alle ihre eigenen Zelte abbaut, geht das viel schneller.“, merkte Tevin an und zog mich zu sich.
„Stimmt. Trotzdem, ich denke 11.30 ist keine so unrealistische Zeit. Dann sollten wir ungefähr dann losgehen.“
„Klingt gut.“
Ich lächelte leicht, als er seine Wange an meine Schläfe lehnte, und griff nach seiner Hand.
„Hast du eigentlich Badesachen dabei?“
„Nein.“ Ich lachte leise. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass wir an einem See vorbei kommen.“
„Ich auch nicht. Ich … kann dir ja eine Shorts leihen und dann nimmst du einfach einen BH oder so.“
„Ich denke, das werde ich machen.“, stimmte ich zu und lehnte mich an ihn.
Kurz darauf kam Teddy mit dem Arm voll Holz zurück.
Violeta
Schläfrig lag ich an Levins Brust und malte mit meinem Finger kleine Kreise darauf, während er ein Tablet in der Hand hielt und sich einige geschäftliche Daten ansah.
„Wie siehts aus?“, fragte ich ihn neugierig und sah auf das Tablet.
Er seufzte tief. „Wie soll ich sagen? Wir haben zu wenig Personal. Ich sage der Personalleitung ständig, dass ich mehr Leute brauche, aber er sagt, wenn sich keiner bewirbt, kann er mir auch keine schicken.“ Er rieb sich über den Mund. „Viele machen momentan Überstunden.“
Levantin achtete immer sehr genau darauf, dass die Angestellten in seinen Abteilungen genug Zeit für ihre Familie hatten. Die Überstunden machten daher nur Angestellte, die auch bereit waren sich die Zeit zu nehmen.
„Einer meiner Mitarbeiter hat sich vor kurzem überarbeitet.“
„Hat er gekündigt?“
„Nein. Ich habe ihn in den Urlaub geschickt. Die monatliche Bilanz fängt allerdings langsam an zu sinken. Bald haben wir mehr Ausgaben als Einnahmen.“ Das Klingeln seines Handys schnitt ihm die nächsten Worte ab, woraufhin er das Tablet beiseite legte, sich etwas aufsetzte und das Handy vom Nachttisch angelte. „Ja?“, meldete er sich.
Er horchte einen Moment, stand dann aber auf und steuerte das angrenzende Bad an. „Eine Stunde ist in Ordnung. Bis dann.“
„Gibt's Probleme?“
Leicht gequält lächelte er mich an. „Das war Tevins Mutter. Sie würde gerne mit ihrem Mann zu Besuch kommen. Es ist dir doch Recht, oder?“
„Warum nicht?“ Dennoch hatte ich Angst. Innerlich sträubte ich mich dagegen diese Frau in unser Haus zu lassen, aus Angst, sie könnte uns unseren Jungen wegnehmen.
„Kommst du mit duschen?“, fragte Levin und lächelte mich anzüglich an.
„Mmmmh... na gut.“
Eine Stunde später stand ich mit ihm in der Küche. Er hielt mich in seinen Armen, wobei ich meine Hände in seine Gesäßtaschen geschoben hatte.
„Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass Tevin mit ihr gehen würde.“, beruhigte er mich sanft, „Er liebt Vilija über alles und weiß, dass es ihr das Herz brechen würde.“
„Ich weiß, aber... Sieh doch, er hätte die einmalige Chance zu erfahren woher er kommt und wer seine Eltern sind.“
Unschlüssig sah Levin auf mich herab und wirkte so traurig wie ich. „Hoffen wir einfach, dass er das Richtige tut.“
Als es im nächsten Moment an der Tür klingelte, lösten wir uns voneinander. Etwas unruhig ging ich mit ihm in den Flur, ging dann aber weiter ins Wohnzimmer, während er die Tür öffnete. Ich saß auf der Couch, als er mit dem Paar herein kam und stand freundlich lächelnd auf.
Tevin war seinen Eltern sehr ähnlich. Beide hatten brünettes Haar, die Augen hatte er von seiner Mutter und den Mund von seinem Vater. Die Züge hatte er ebenfalls von ihm, ebenso wie die Körpergröße. In allem anderen kam er scheinbar nach seiner Mutter. Er lächelte wie er, kniff auf dieselbe Art die Augen zusammen.
„Es freut mich wirklich sehr, Sie kennenzulernen.“, begrüßte sie mich freundlich und schüttelte begeistert meine Hand. „Ich bin so froh, dass sie meinen Jungen aufgenommen und erzogen haben, wie ihren eigenen Sohn.“
Ich lächelte zurück. „Er ist so etwas wie unser Sohn geworden.“, entgegnete ich dann und deutete auf die Couch. „Setzt euch doch.“
„Natürlich.“, stimmte ihr Mann zu und schob seine Frau zur Couch. „Mein Name ist übrigens Florim Amanar und das ist Daciana Amanar.“
„Natürlich. Möchten Sie etwas trinken?“
„Nein danke.“
„Gut. Ach, ich bin Violeta und... Levantin kennen Sie ja bereits.“
Daciana lächelte ihn an. „Ja, wir sind bereits bekannt.“
Levin setzte sich mit mir dem Paar gegenüber.
„Ist mein Sohn gerade da?“, fragte sie dann sehnsüchtig.
„Tut mir leid, sie sind gerade auf einer Klassenfahrt.“, erklärte ich entschuldigend.
„Sie?“, hakte Florim verwundert nach.
„Tevin und Vilija, unsere Tochter.“, erklärte Levin.
Florim zögerte einen Moment und sah seine Frau an. „Du hast ihm den Namen Tevin mitgegeben?“
Diese nickte. „Ja. Tevin McCourtney. Wissen Sie, sein eigentlicher Name ist Breda. Breda Dorin Amanar.“
„Was für interessante Namen.“, bemerkte ich überrascht, „Woher kommen Sie eigentlich?“
„Wir sind aus England, kommen aber ursprünglich aus Rumänien.“, antwortete Florim leicht lächelnd.
„Ru... Rumänien?“, hakte ich überrascht nach.
Daciana winkte ab. „Ja. Das ist nichts weiter.“
„Was hatte es mit diesem... Aidan auf sich, von dem Sie Tevin erzählt haben.“
„Breda.“, korrigierte sie, „Ich habe in der Tat einen Bruder Namens Aidan.“, begann Sie dann, „Ich habe ihn gebeten Breda zu holen, doch leider... Sein Flieger kam nie am rumänischen Flughafen an. Es stürzte ab, bevor es Rumänien überhaupt erreichte. Deshalb fiel sein Flug aus und Breda blieb am Flughafen allein.“ Tränen traten in ihre Augen. „Hätte ich das damals gewusst, wäre ich bei ihm geblieben. Als ich das mit dem Flug von Aidan erfahren habe, hatte ich solche Angst um meinen Jungen. Wie geht es ihm? Wie hat er sich gemacht?“
„Nun...“ Levin zögerte ein wenig. „Es geht ihm sehr gut. Jetzt, wo er mit Vilija zusammen ist, ist er so glücklich, wie noch nie. Allerdings hat er die Ereignisse aus seiner Kindheit nie richtig verarbeiten können.“
„Vilija ist so etwas wie ein... ein... wie hat er es beschrieben?“ Hilfesuchend sah ich zu Levin.
„Wie eine Kerze, in einer großen dunklen Höhle.“, beendete er meinen Satz.
„Es gab uns sehr zu denken, als er es gesagt hat, wo er doch Angst im Dunkeln hat. Und als er dann mit Vilija zerstritten war...“ Ich unterbrach mich selbst.
Levin drückte liebevoll meine Hand. „Er war kaum wiederzuerkennen. Aber jetzt strahlt er nahezu voller Lebensfreude.“
Daciana lächelte liebevoll, während ihr eine Träne über ihre Wange rollte. „Hörst du das Florim? Er ist glücklich hier.“
Dieser lächelte etwas traurig. „Ja, ich habe es gehört.“ Dann sah er wieder zu uns auf. „Wie lange ist er auf dieser Klassenfahrt?“
„Bis Sonntag.“
„Okay.“ Er nickte gemächlich. „Wir werden uns ein Hotel nehmen, bis er wieder da ist. Dann würden wir ihn gerne sehen.“
„Natürlich.“, entgegnete ich verständnisvoll, „Levin wird sie anrufen, sobald sie wieder da sind.“
Erneut rollte Daciana eine Träne über ihre Wange. „Ich fasse es immer noch nicht, dass wir ihn wieder gefunden haben. Ich glaube, ich werde es erst dann wirklich glauben, wenn ich unseren Breda in den Armen halte.“
Florim küsste seine Frau lange auf die Schläfe und drückte ihre Hand. Innerlich zerriss es mir das Herz. Diese zwei Menschen wussten Jahre lang nicht, was mit ihrem Sohn passiert war, wie es ihm ging, wo er war. Und nun stellten sie fest, dass er eine neue Familie hatte, die ihn liebte und die er liebte.
Oh Tevin...
Vilija
Ächzend wich ich einem Ast aus und blieb stehen, um kurz zu verschnaufen. Nie hätte ich gedacht, dass mein Gepäck so schwer werden würde.
„Wie lange ist es noch?“, fragte Evelyn und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Ich holte eine Flasche Wasser heraus. „Nicht mehr weit.“
Ich trank ein paar Schlücke Wasser und sah dann auf die Karte. Als ich mich zu den anderen umdrehte, sah ich Teddy mit Evelyn Händchen halten. Er flüsterte ihr gerade etwas zu, dass sie erröten ließ. Veit war gerade dabei Diana etwas zu zu zischen, als hätte sie ihn verärgert. Tevin dagegen sah stumpf zur Seite, als würde er über irgendwas nachdenken.
„Alles in Ordnung, Tevin?“, fragte ich ihn etwas besorgt. Ich sah ihn selten so in Gedanken verloren.
„Hm?“ Verwundert sah er zu mir. „Wie bitte?“
„Ist alles okay?“
„Ja. Was sollte denn sein?“ Sanft lächelte er mich an, trat zu mir und betrachtete die Karte. „Wir sind etwa hier, oder?“ Er deutete auf einen Punkt, relativ nahe am Anfang der Route.
„Nein, wir sind schon etwas weiter. Ungefähr hier, denke ich.“
Überrascht, dass wir bereits so weit gekommen waren, sah er zurück. „Oh. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass wir so lange gelaufen sind.“
„Genauer betrachtet sind wir auch gar nicht so lange unterwegs gewesen.“, entgegnete ich, „Wir haben allerdings einige Meilen schnell hinter uns gebracht. Ich halte bereits nach einer Stelle Ausschau, an der wir gut eine Pause machen könnten.“
Diana schnaufte. „Das wird aber auch Zeit. Habt ihr eine Vorstellung davon wie anstrengend es ist, wenn man alle paar Meter umknickt?“
Skeptisch warf ich einen Blick auf ihre Schuhe. „Du bist wahrscheinlich die einzige Person weit und breit, die mit Absatzschuhen in den Wald geht.“ Dann machte ich Anstalt weiter zu gehen. „Ich glaube nicht, dass wir noch lange suchen müssen.“
Als Tevin mir folgte, nahm er liebevoll meine Hand, nachdem ich die Flasche und die Karte weggesteckt hatte.
„Ist wirklich alles in Ordnung?“, fragte ich ihn und sah zu ihm auf. „Du hast eben so... abwesend gewirkt.“
„Ich habe bloß etwas nachgedacht, das ist alles.“
„Na gut. Ich vertraue darauf, dass du es mir erzählst, wenn etwas nicht stimmt.“
„Natürlich.“ Er gab mir einen warmen Kuss auf die Schläfe.
Als wir abends das Lager aufgeschlagen hatten und uns um das Lagerfeuer versammelten, stöhnte ich erleichtert auf und streckte mich.
„War das ein Tag.“, murmelte ich geschafft und lehnte mich an Tevin. „Ich könnte sofort einschlafen.“
„Ach ja?“, hakte er amüsiert nach und küsste mich leicht aufs Ohr. „Mir fiele was ein, das dich davon überzeugen könnte, noch etwas länger wach zu bleiben.“
Mein Mundwinkel zuckte. „Das da wäre?“, fragte ich mit hochgezogenen Brauen.
„Das Abendessen.“, entgegnete unschuldig, „Du musst ja bei Kräften bleiben.“
„Das Abendessen.“, wiederholte ich, „Nichts anderes, ja?“
„Nun, ich weiß ja nicht was du denkst.“ Er rollte mit den Augen, doch seine zuckenden Mundwinkel verrieten ihn. „Ich dachte nur an das Essen.“
„Oh, ja natürlich. Ich werde dann noch essen und dann sofort schlafen gehen.“
Sein leises lachen schüttelte mich ein wenig durch. „Vilija.“, tadelte er mich dann halblaut.
„Was denn?“
„Hör auf damit.“
„Womit? Ich tue doch gar nichts.“
„Gib mir einen Kuss.“
„Warum?“ Ich legte den Kopf in den Nacken, um ihn anzusehen. „Ich dachte, wir wollen nur essen.“
Erneut zuckte sein Mundwinkel. „Du bist eine böse Kreatur.“
Nun war ich es die lachte. Sein Blick wurde weicher, sanfter. Liebevoll gab er mir einen kurzen Kuss, bevor er zu Evelyn sah, die begann das Essen zu grillen. Teddy, der das Zelt aufgebaut hatte, lag so neben ihr, dass sein Kopf auf ihrem Schoß lag, und döste vor sich hin, was ihr das kochen etwas erschwerte. Veit hatte die Beine angezogen, die Arme darauf gebettet und das Kinn auf diese gelegt, während er in die Flammen sah und über irgendwas nachdachte. Diana feilte ihre Fingernägel, von denen zwei abgebrochen waren.
Als ich wieder zu Tevin auf sah, legte ich ihm die Arme um den Hals, woraufhin er auf mich herab lächelte.
„Ich hab mich umentschieden.“, erklärte ich, „Ich hätte doch gern einen Kuss.“
„Ach so?“ Er senkte den Kopf so weit, dass er seine Stirn an meine lehnen konnte und sich unsere Nasenspitzen berührten. „Wie kommt es zu dieser glorreichen Entscheidung?“
„Nun... Du bist hier der heißeste Snack weit und breit. Und ich hab Hunger.“
Erneut begann er zu lachen, diesmal deutlich lauter, und küsste mich innig.
Als seine Hand über meine Seite auf meinen Rücken glitt, hörte ich Diana stöhnen.
„Jetzt mal ehrlich. Habt ihr keine bessere Freizeitbeschäftigung?“
Seufzend löste Tevin sich von mir. „Wenn es dich so stört, denn geh schlafen. Dich zwingt keiner in unserer Gruppe zu sein.“
„Ganz im Gegenteil.“, murrte Veit genervt, „Du zwingst uns dich in der Gruppe zu dulden.“
Diana verdrehte daraufhin nur die Augen und widmete sich einem anderen Fingernagel. „Als würde ich euch dazu zwingen.“
„Ich will euch ja nicht den Spaß verderben, aber könntet ihr vielleicht etwas leiser sein?“, ging Evelyn dazwischen, als Teddy leise vor sich hin murrte und sich etwas wand.
Als Tevin daraufhin lange ausatmete, zog ich ihn einfach zu mir herab, um ihn zu küssen. Etwas besänftigt zog er mich enger an sich und erwiderte den Kuss.
Als wir am dritten Tag den See erreichten, brachen wir alle in Freude aus. Alle, sogar Diana, warfen ihre Sachen ab, zogen sich bis auf die Unterwäsche aus und liefen ins Wasser. Da sich dort sogar ein Steg befand, machten Veit und Teddy sogar Bomben ins Wasser. Ich lachte amüsiert auf, als sie mich dabei nass spritzten und hielt mir eine Hand vor das Gesicht, damit ich kein Wasser in die Augen bekam. Tevin, der beinahe hinter mir gewesen ist, als ich ins Wasser gelaufen bin, schwamm zu Evelyn herüber und flüsterte ihr etwas zu, das sie zum Lachen brachte. Im selben Moment packte mich wohl einer der anderen Jungs am Knöchel, denn jemand zog mich nach unten ins Wasser. Als ich wieder auftauchte, grinste Teddy mich amüsiert an, weshalb ich ihn als Täter identifizierte und nass spritzte. Die Folge war eine ausgiebige Wasserschlacht voll Lachen und Geschrei. Diana dagegen zog einsam ihre Runden und genoss allein das Wasser.
„Ich glaube, so langsam sollten wir die Zelte aufbauen.“, bemerkte Evelyn irgendwann und sah hinauf in den Himmel.
Es wurde zwar noch nicht dunkel, aber es sah ganz so aus, als wäre es die Uhrzeit zu der wir die Zelte sonst auch aufstellten.
„Ich mach unser Zelt.“, bot Tevin an, küsste mich kurz und schwamm dann bereits zum Ufer.
Teddy und Veit sahen sich nur kurz an, bevor Veit nickte und ebenfalls zum Ufer schwamm. Evelyn und Diana schienen sich jedoch nicht so schnell einig zu sein.
„Ich bau doch nicht das Zelt auf.“, widersprach Diana.
„Du hast es bisher weder auf- noch abgebaut.“, regte Evelyn sich auf, „Entweder du baust es auf, oder du kannst im Freien übernachten.“
Diana lachte auf. „Und wo schläfst du dann?“
„Das lass mal schön mein Problem sein.“, fauchte Ev zurück und schwamm zu Teddy, der sogleich begann sie zu beruhigen.
Ich beobachtete die drei eine Weile, zog mich dann aber zurück ans Ufer und begann etwas Feuerholz zu sammeln.
Theodore
Nachdem Evelyn sich beruhigt hatte schwammen wir, wie die anderen Jungs, ans Ufer. Als mir dabei auffiel, dass nur noch Diana im Wasser war, sah ich mich suchend um.
„Wo ist Vilija?“, fragte ich überrascht.
Tevin sah überrascht auf. „Sie war doch noch im Wasser.“
„Ja, aber... da ist sie nicht mehr.“ Prüfend sah ich zum See, um mich zu vergewissern, dass ich sie nicht übersehen hatte.
Tevin folgte meinem Blick und sah sich dann, so wie ich sogleich, suchend um. „Veit?“, rief er dann dem Künstler zu, der wenige Meter weiter mit dem Zelt kämpfte.
„Ja?“, rief dieser zurück.
„Hast du Vilija gesehen?“
„Im Wasser, oder nicht?“
„Nein.“
Einen Moment war es still, dann trat er hinter dem Zelt hervor und sah sich um. „Dann weiß ich es nicht.“
Sorge breitete sich in mir aus. Tevin legte die Zeltstange, die er in der Hand hielt, beiseite und schien sich auf die Suche zu begeben.
„Vilija?!“, rief er wenig später und verschwand hinter einigen Bäumen.
„Hoffentlich geht es ihr gut.“, bemerkte Evelyn.
„Hoffentlich.“, stimmte ich zu und wischte mir einen Tropfen von der Nase. „Wir sollten uns umziehen.“, bemerkte ich dann, als sie begann zu zittern.
„Und wo?“
„Oh... nun...“ Erneut sah ich mich um. „Veit, wie lange brauchst du noch für das Zelt?“
„Bin gleich fertig. Noch einen Moment.“
Ich machte mich mit Evelyn bereits auf den Weg die Taschen zu holen, als Veit uns zu rief, dass das Zelt stand. Fünfzehn Minuten später verließ ich mit Ev frisch angezogen das Zelt und sah mich verdutzt um, als ich bemerkte, dass weder Tevin, noch Vilija zurück waren.
„Wo bleibt er denn?“, fragte ich mich und rieb mir den Nacken.
Evelyn wollte gerade etwas sagen, als sich das Funkgerät an Vilijas Hose meldete.
„Hey, ist einer von euch da?“, er tönte Mr. Dawsons Stimme.
Seufzend ging ich zu der Hose herüber und nahm das Funkgerät. „Hallo Mr. Dawson.“
„Ah, gut. Habt ihr schon euer Lager aufgeschlagen?“
„Sowas in der Art.“, entgegnete ich und besah mir das fast fertige Zelt von Vilija und Tevin.
Plötzlich kam Evelyn eine Idee. „Vielleicht möchten die zwei ja nur etwas mehr Privatsphäre.“
Ich starrte sie an. „Oh... Gott, Evelyn!“
„Was denn?“
Frustriert stöhnte ich auf, als ich sogleich die Bilder vor Augen hatte. „Musstest du das unbedingt sagen?“
„Ich denke, sie werden nur knutschen oder so. Vielleicht ein bisschen fummeln.“
„Ev.“
Sie lachte amüsiert auf, küsste mich liebevoll auf die Wange und nahm dann das Funkgerät. „Haben Sie Lust vorbei zu kommen?“, fragte sie unseren Lehrer, „Der See ist sehr entspannend.“
„So weit seid ihr schon gekommen?“, fragte er überrascht.
„Ja. Vilija hat uns ziemlich angespornt. Ich wette, in ihrem früheren Leben ist sie mal Sklaventreiberin gewesen.“
Ich lachte amüsiert auf. „Niemals. Sie hätte sich eher zu den Sklaven gesellt und ihnen geholfen, statt sie zu foltern.“
„Oh, nun... da ist was dran.“, stimmte Ev mir zu.
„Nun... Warum nicht? Wenn ich mich recht erinnere habt ihr vor zwei Nächte dort zu bleiben, richtig?“
„Drei.“, korrigierte Evelyn ihn, während ich begann Tevins Arbeit zu beenden. „Vilija hat nochmal nachgemessen und festgestellt, dass der Teil nach dem See um ein Drittel kürzer ist. So schaffen wir den Teil gut in zwei Tagen, statt geplanten drei.“
„Wow. So wie ich das gerade sehe seit ihr sogar dem Ziel am nächsten. Weiter so, ihr sechs. Ich bin stolz auf euch.“
„Vielen Dank. Ich werde es Tevin und Vilija ausrichten, sobald sie zurück sind.“
„Zurück?“
„Oh, nun...“ Evelyn räusperte sich, bevor sie kurz und knapp die Situation schilderte, wobei sie gekonnt ausließ, was sie vermutete. „Vielleicht reden die zwei über irgendwas wichtiges oder so.“
Veit, der gerade unser Zelt verließ, in dem er sich, wie Ev und ich, umgezogen hatte, streckte sich kurz und wand sich dann an den Wald. „Ich werde die zwei mal suchen.“
„Und da geht der dritte.“, bemerkte ich, „Ob wir ihn je wiedersehen?“
Evelyn lachte leise darüber.
„Nun, ich denke, ich werde in einer halben Stunde bei euch sein.“, verkündete Mr. Dawson.
„In Ordnung. Over and Out.“
„Hey.“, beschwerte er sich, „Das sage ich.“
Das brachte uns beide zum lachen.
Fünf Minuten später, als Tevin und Vilijas Zelt gerade stand, kam Veit mit rotem Gesicht aus dem Wald und hüstelte in seine Faust.
„Hast du die zwei gefunden?“, fragten Evelyn und ich zugleich.
Er deutete daraufhin nur hinter sich, wo ein schlecht gelaunter Tevin und eine zerzauste Vilija mit Feuerholz auftauchten. Evelyn versteckte ihr Grinsen hinter ihrer Hand, während ich mich umdrehte und tief durchatmete, um nicht zu lachen.
„Also... wer macht das Feuer?“, fragte Evelyn.
„Wir nicht.“, entgegnetet Tevin, ließ das Holz fallen, legte Vilijas Holz dazu und zog sie zurück in den Wald.
„Tevin!“, protestierte sie überrascht, folgte ihm aber gemächlich.
„Ach ja... die Liebe.“, bemerkte ich daraufhin nur und warf Evelyn ein Lächeln zu.
Diese zwinkerte mir kurz zu und eilte dann Tevin und Vilija hinterher. „Hey ihr zwei!“, rief sie, „Ihr solltet hier bleiben und euch etwas anziehen!“
Veit begann wortlos das Holz zu stapeln und rieb sich über seinen Kiefer, der sich verdächtig blau färbte.
„Bist du gestürzt?“, fragte ich und setzte mich zu ihm, um zu helfen.
„So ähnlich.“, entgegnete er knapp.
„So ähnlich.“, wiederholte ich, „Was ist einem Sturz denn so ähnlich?“
Noch ehe er antworten konnte, rauschte ein noch aufgeregterer Tevin an uns vorbei, der eine atemlose Vilija hinter sich herzog und fluchend die Taschen holte, bevor er sich mit ihr in das Zelt verzog. Etwas überrascht folgte ich den zwei einfach nur mit meinen Blicken und sah dann skeptisch zu Evelyn auf.
„Er ist wohl in Not.“, meinte diese daraufhin nur und zuckte mit den Schultern, bevor sie zum Ufer den Sees ging. „Hey, Diana! Du solltest dir was anziehen, Mr. Dawson ist auf dem Weg hierher.“
Sie winkte nur gemächlich ab und zog sich provokativ sogar den BH aus. Evelyn drehte sich daraufhin gereizt um und stapfte zu uns.
„Oh, Gott, ich könnte sie schlagen.“, regte sie sich auf.
„Du könntest sagen, es sei Notwehr.“, entgegnete ich daraufhin.
„Notwehr wogegen?“
„Ich würde mich auch wehren, wenn jemand versucht mich derart zu provozieren.“
Sie hob eine Braue. „Du würdest mich also schlagen, wenn ich mir provokativ den BH ausziehe?“
Einen Moment zögerte ich. „Jeden... außer dich.“, korrigierte ich dann, „Dir würde ich nie etwas zuleide tun.“
„Oh bitte.“, beschwerte sich Veit, „Wenn ihr auch noch in Not geratet, verschwindet in den Wald, wie Vilija und Tevin es vorhatten.“
„Tevin!“, rief Vilija direkt danach aus, woraufhin wir alle zum Zelt herüber sahen.
„Die tun doch nicht etwa das, von dem ich denke, dass sie es tun, oder?“, fragte Evelyn dann in die Stille hinein.
Als Antwort verließen die beiden frisch gekleidet das Zelt. Die Tatsache, dass Tevin immer noch schlechte Laune an den Tag legte, beruhigte uns paradoxerweise ungemein. Als die zwei sich zu uns setzten, zog Tevin Vilija ganz dicht an sich und sorgte dafür, dass sie zwischen seinen Beinen aß. Den Grund dafür wollte ich wahrscheinlich nicht wissen.
Als fünf Minuten später das Feuer brannte, begannen wir entspannt das Fleisch zu grillen, während Tevin einfach nur Vilija festhielt und Veit finster ansah.
„Hast du keinen Hunger?“, fragte Vilija ihn besorgt und sah zu ihm auf.
„Nein.“, entgegnete er halblaut.
„Du musst etwas essen.“
Er schnaufte. „Später vielleicht.“, meinte er dann und lehnte seine Stirn an ihre Schulter.
Kurz darauf erschien Diana, die mit beiden Armen ihren Oberkörper zu verdecken versuchte. „Hat jemand... ähm... meinen BH gesehen?“
„Nope.“, entgegnete Evelyn desinteressiert.
„Du solltest dich mit dem Umziehen beeilen.“, bemerkte Veit, „Mr. Dawson ist bestimmt gleich da.“
Abrupt riss sie die Augen auf und hastete zu ihrer Tasche. „Und wo soll ich mich umziehen?“
„Wir sind mitten im Wald.“, entgegnete Evelyn, „Es gibt hier viele Bäume, hinter denen man sich verstecken kann.“
Ich warf ihr einen langen Blick zu. „Meinst du nicht, das war etwas... gemein?“
„Hoffentlich.“
Ein leises Seufzen kam mir über die Lippen. „Ich verstehe ja, dass du genervt von ihr bist...“
„Das ist noch untertrieben.“
Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da fuhr plötzlich ein Geländewagen an einigen Bäumen vorbei und hielt an. Mr. Dawson war angekommen.
Vilija
Nachdenklich starrte ich ins Feuer, während ich mein Fleisch grillte. Ich hoffte ehrlich, dass Tevin nicht allzu wütend war. Deshalb fühlte ich mich fürchterlich.
„Guten Abend, Kinder.“, begrüßte uns Mr. Dawson.
„Guten Abend.“, entgegnete ich halblaut.
Tevin murrte sein Antwort.
„Was ist denn mit euch?“, hörte ich ihn fragen, als er sich zu uns ans Feuer setzte. Als ich ihm einen kurzen Blick zu warf, stellte ich fest, dass er alle fragend ansah.
„Diana nervt.“, entgegnete Evelyn.
Veit warf nur Tevin und mir einen Blick zu.
„Mit mir ist alles in Ordnung.“, meinte Teddy und drehte sein Fleischspieß.
„Und ihr zwei?“ Nun meinte er definitiv Tevin und mich.
Tevin seufzte tief, hob den Kopf von meiner Schulter und setzte sich neben mich, woraufhin ich meinen Kopf an seine Schulter lehnte.
„Wir hatten ein paar Meinungsverschiedenheiten.“, erklärte er dann und spielte mit einer Strähne meines Haars.
Meinungsverschiedenheiten war noch relativ nett ausgedrückt. Und das nur, weil ich niemandem gesagt hatte, dass ich Feuerholz sammeln gegangen bin. Er hatte sich furchtbare Sorgen gemacht und mich beinahe angebrüllt, als er mich gefunden hatte.
„Was, wenn dir etwas passiert wäre und wir dich nicht gesucht hätten, weil wir davon ausgingen, dass du schon zurecht kommst? Du würdest wahrscheinlich stundenlang irgendwo liegen. Und das in Unterwäsche, mitten im Wald!“
„Mir ist doch nichts passiert.“
„Aber es hätte etwas passieren können.“
Ich seufzte leise und legte Tevin eine Hand auf den Oberarm.
„Verstehe.“, meinte Mr. Dawson schließlich und sah wieder zu Veit. „Und dein Gesicht?“
„Bin gestolpert.“, murmelte er.
Tevin hatte ihn geschlagen, weil Veit wieder mit mir geflirtet und offenbar versucht hatte, mir zu nahe zu kommen.
„Musstest du ihn wirklich schlagen?“, fragte ich Tevin leise und sah zu ihm auf.
Er sah nur stumm zurück und hob eine Braue.
„Ach, komm schon.“
„Ich traue ihm nicht.“, entgegnete er schließlich genauso leise, „Jedenfalls nicht, wenn es um dich geht.“
Mit einem kurzen Murren hob ich den Kopf von seiner Schulter, um mein Fleisch zu drehen. „Und du willst wirklich nichts essen?“
„Nein.“
„Nicht mal ein bisschen?“
Er schüttelte den Kopf.
Seufzend wand ich mich wieder an mein Fleisch.
„Wo ist eigentlich euer drittes Zelt?“
„Diana weigert sich es aufzubauen und Evelyn weigert sich alles allein zu machen.“, erklärte Teddy und legte Ev einen Arm um die Schultern. „Ich kann sie gut verstehen, denn Diana macht keinen einzigen Finger krumm, wenn es sich vermeiden lässt. In den letzten Tagen hat sie einfach nichts gemacht außer ihr Fleisch zu braten. Und das hat sie nur getan, weil wir uns weigern alles für sie zu tun, während sie sich entspannt ihre Fingernägel feilt.“
„Verstehe. Sie behindert euch also ziemlich, wenn ich das richtig sehe.“
„Ganz genau.“
„Ich werde mal mit ihr sprechen.“
Als mein Fleisch kurz darauf fertig war, begann ich ein anderes Stück zu grillen und an dem fertigen zu knabbern. Als Tevin weiterhin nur vor sich her starrte, lehnte ich mich wieder an ihn und hielt ihm mein Fleisch hin.
„Nun iss schon was.“, bat ich ihn, „Wenigstens ein bisschen.“
„Aber-“
„Bitte.“
Er warf mir kurz einen Blick zu, seufzte dann aber und biss ab. Zur Belohnung küsste ich ihn auf die Wange. „Warum bist du nur so hartnäckig?“, fragte er eher sich selbst, als mich.
„Weil du mir wichtig bist.“, entgegnete ich und biss ebenfalls von dem Fleisch ab.
Er hielt einen Moment inne, legte mir dann aber einen Arm um die Taille. „Ich bin nur etwas müde.“, erklärte er.
„Dann essen wir etwas schneller und gehen dann schlafen.“
„Okay.“
„Wie wäre es, wenn du dein Fleisch auch grillen würdest.“, schlug ich neckisch vor, „Dann sind wir schneller fertig.“
„Dafür müsste ich dich loslassen.“ Er sagte es, als wäre es der Weltuntergang.
Einen Moment sah ich ihn sprachlos an, dann lächelte ich warm und gab ihm einen richtigen Kuss. Mr. Dawson verschluckte sich an seinem Wasser. Als er begann zu husten, löste ich mich von Tevin und sah überrascht zu unserem Lehrer. Als er sich wieder beruhigt hatte, schloss er einen Moment die Augen und atmete kurz durch, bevor er mit hochgezogener Braue zu uns sah.
„Habt ihr euch gerade... geküsst?“
Ich blinzelte überrascht. „Ja.“
Skeptisch sah er uns an.
„Die beiden sind ein Paar, Mr. Dawson.“, erklärte Veit amüsiert, „Wussten Sie das etwa nicht?“
Scheinbar irgendwie erschöpft, atmete er aus und schloss erneut die Augen. „Nein. Das bedeutet auch, dass ihr nicht im gleichen Zelt schlafen dürft.“
„Warum?“, fragte Tevin verwirrt, „Ich meine... als Geschwister-“
„Das wäre ein Grund, weshalb zwischen euch nichts laufen kann. So habe ich es den anderen Lehrern erklärt.“, unterbrach Mr. Dawson ihn ruhig, „Wenn rauskommt, dass ich zwei Schüler verschiedenen Geschlechts im selben Zelt schlafen lasse, während die Gefahr besteht, dass sie... Verkehr haben, dann bekomme ich Probleme.“
„Wir schlafen ja nicht miteinander.“, entgegnete ich mit hochrotem Kopf.
„Oh, ich glaube euch, wirklich. Ich habe vollstes Vertrauen. Allerdings weiß ich nicht, wie sehr euch die anderen Lehrer vertrauen.“
Tevin und ich sahen uns einen Moment an.
„Und wenn Sie denen einfach nicht sagen, dass wir zusammen sind?“, fragte ich und sah wieder zu Mr. Dawson. „Wir können ja sagen, wir hätten es vor Ihnen verheimlicht oder sie hätten nichts dergleichen mitbekommen.“
„Ich verstehe, dass ihr nur ungern in verschiedenen Zelten schlafen möchtet. Das habe ich schon mit einigen anderen Paaren gehabt. Aber denen musste ich auch sagen, dass sie getrennt schlafen müssen.“ Er sah uns einen Moment schweigend an. „Ob sie es auch tun...“ Abschätzend wackelte er mit dem Kopf. „Ihr wisst ja, wie pubertäre Jugendliche so sind. Allerdings habt ihr mich selbst eingeladen die nächsten beiden Nächte hier bei euch zu bleiben. Und bei so einem See lass ich mir das bestimmt nicht entgehen.“
„Aber Tevin kann allein nicht schlafen.“, warf ich zaghaft ein, „Ohne mich.“
„Nun werdet ihr albern.“
„Nein, wir meinen das ernst.“ Zögerlich warf ich Tevin einen Blick zu. „Als ich ihn eine Weile ignoriert habe, musste er allein schlafen.“
„Heißt das, zuhause schläft er auch bei dir?“, fragte Mr. Dawson überrascht.
„Ja. Das tut er, seit er bei uns wohnt.“, gab ich zu.
„Wie alt ward ihr denn damals?“
„Ich war sechs.“, antwortete Tevin für mich und reichte mir den Rest von meinem Fleisch, von dem er gegessen hatte. „Vilija war fünf.“
„Und ihr kamt später nicht auf die Idee getrennt zu schlafen? Oder eure Eltern?“
„Oh doch.“, fuhr ich fort und schluckte. „Aber Tevin hat Angst im Dunkeln, deshalb hat er sich immer zu mir geschlichen. Oder ich konnte nicht schlafen und ging zu ihm. Irgendwann haben unsere Eltern nur noch geseufzt und zugelassen, dass wir direkt ins selbe Bett gingen. Sie haben es nicht gut geheißen, aber sie haben es auch nicht verboten. Vor einigen Wochen musste Tevin dann aber allein schlafen, weil ich ihn ignoriert habe. Es war eine schwierige Phase.“ Allein der Gedanke daran war ermüdend und frustrierend. „Nur drei Tage später war Tevin völlig ausgelaugt, hatte nicht einmal Appetit. Er konnte nicht schlafen, nicht essen, hatte keinen Humor. All solche Dinge.“
„Und wie ging es dir?“
„Schrecklich.“, entgegnete ich schulterzuckend.
„Sie hat jeden Tag geweint.“, bemerkte Teddy, „Und hat sich jeden Tag bei mir beschwert. Das war die anstrengendste Zeit mit ihr, die ich je hatte.“
„Ich liebe dich auch, Teddy.“ Ich grinste ihn an, woraufhin er amüsiert zurück grinste.
„Bis in alle Ewigkeit.“
Veit buhte uns aus.
„Du bist ja nur neidisch.“, bemerkte Tevin lachend.
„Eigentlich müsstest du sie aus buhen.“, warf Veit ein, „Immerhin ist sie deine Freundin.“
„Teddy gehört zur Familie.“ Tev zuckte mit den Schultern.
„Ich fühle mich geehrt.“ Theatralisch verbeugte sich mein bester Freund einige Male, woraufhin wir alle in Gelächter ausbrachen.
„Jetzt aber mal im Ernst.“, hob ich an, „Tevin und ich können einfach nicht getrennt schlafen.“
„Versucht es doch mal.“, entgegnete Mr. Dawson, „Tevin schläft bei den beiden Jungs und Evelyn schläft bei dir.“
„Dann hat Diana ja ihr eigenes Zelt.“, protestierte Evelyn sofort.
„Wenn sie es aufbaut, schläfst du natürlich bei ihr im Zelt. Und Theodore kann ja dann bei Vilija schlafen. Ich glaube kaum, dass die zwei etwas miteinander tun, wenn ihr ja beide vergeben seid.“
„Vilija?“, hob Teddy vorsichtig an.
„Ja?“ Ich sah zu ihm herüber.
„Du... hast doch Schlafsachen dabei, oder?“
„Teddy!“
Er begann zu lachen, weshalb ich ihm einen kleinen Stoß mit meinem Fuß verpasste.
„Natürlich habe ich Schlafsachen dabei.“
„Du hast sie nur noch nicht benutzt.“, bemerkte Tevin leise.
„Oh, fall du mir noch in den Rücken.“, beschwerte ich mich.
Er grinste mich leicht an und gab mir einen Kuss.
Als wir eine halbe Stunde später aufgegessen hatten, holte Tevin seine Sachen aus unserem Zelt und brachte sie in das von Veit und Teddy. Da Diana sich außerdem dazu herab gerungen hatte ihr Zelt aufzubauen, brachte Teddy seine Sache zu mir ins Zelt. Müde und erschöpft lag ich so etwas später im Schlafsack und versuchte zu schlafen... vergeblich.
„Teddy?“, hob ich leise an.
„Hm?“, murrte er im Halbschlaf.
„Mir ist etwas kalt.“
Unverständlich nuschelte er irgendwas hin und her und rückte dann herüber, um mich in die Arme zu nehmen. „Besser?“
„Ja. Danke.“
„Schlaf.“, murmelte er darauf nur, „Ich bin müde.“
Also schloss ich die Augen und wartete darauf, dass ich einschlief, doch ein seltsames Gefühl der Leere ließ mir einfach keine Ruhe. Irgendwann kuschelte ich mich etwas enger an Teddy. Einige Zeit später drehte ich mich in seinen Armen in der Hoffnung eine Position zu finden, in der ich einschlief. Mitten in der Nacht begannen dann die Grillen zu zirpen, weshalb ich beinahe aufgestöhnt hätte vor Frust. Meine Augen brannten vor Müdigkeit, ich war nahezu zu erschöpft, um mich zu bewegen und dennoch brachte mein Körper es nicht zu Stande sich auszuruhen. In mir war irgendwas, das einfach nicht ruhig wurde.
„Teddy?“, murmelte ich halblaut und drehte mich wieder zu ihm. „Teddy...“
„Mh?“
„Ich kann nicht schlafen.“
„Mach die Augen zu.“, nuschelte er verschlafen.
„Das bringt nichts.“
Er seufzte kurz auf, schwieg einen Moment, als würde er wieder tief und fest schlafen und zog mich dann einfach etwas enger an sich. „Ich weiß auch nicht, was ich da machen kann. Versuch es einfach.“
Leise seufzend und frustriert, weil ich wusste, dass ich sowieso nicht einschlief, lehnte ich meinen Kopf an seine Brust und schloss die Augen. Irgendwann begannen die Vögel zu zwitschern und eine gefühlte halbe Stunde später wurde es heller. Letztendlich gab ich es auf, löste mich vorsichtig von Teddy und zog mich um, bevor ich das Zelt verließ und zum Steg schlich. Die Sonne ging gerade erst auf.
Etwa eine Stunde später tauchte Veit aus seinem Zelt auf, streckte sich und gähnte kurz, bevor er sich über die Augen rieb und im Wald verschwand. Wahrscheinlich ging er Holz sammeln. Nur etwa zwei Minuten später kam auch Tevin heraus, der alles andere als ausgeruht war. Er stand gerade mal einen Moment da, da drehte er sich bereits wieder um und ging zurück ins Zelt.
Als nächstes kam Mr. Dawson, der so ausgeschlafen schien, als hätte er in einem fünf Sterne Hotel übernachtet.
„Ah, Vilija.“, bemerkte er überrascht, als er mich sah, „Du bist ja schon auf.“
Ich murrte nur unmotiviert.
„Was ist denn los?“ Etwas besorgt kam er herüber und hockte sich vor mich.
„Ich konnte nicht einschlafen.“, entgegnete ich halblaut und schloss die Augen, weil mir die Lider zu schwer wurden. „Ich bin so müde.“
„Dann leg dich noch etwas hin.“
„Ich hab die ganze Nacht herum gelegen.“
Dann kam Teddy heraus, der ebenfalls hellwach schien, und sah sich suchend um. Als er mich sah, verzog er das Gesicht und kam herüber.
„Konntest du nicht mehr schlafen?“, fragte er besorgt.
„Nein.“
„Seltsam.“, murmelte er, „Wenn du bei mir übernachtet hast, ging es doch immer.“
„Das hilft mir jetzt auch nicht weiter.“, murrte ich.
„Ist Tevin wach?“, fragte Mr. Dawson.
„Ich sehe mal nach.“
Damit eilte Teddy zu Veits Zelt herüber und sah hinein. Kurz darauf kam Tevin heraus und sah zu mir herüber. Ohne Zögern stand ich auf und ging müde zu ihm, wobei er mir entgegen kam und erleichtert in seine Arme zog, als ich nahe genug war.
„Konntest du schlafen?“, fragte Mr. Dawson ihn.
„Nein.“, entgegnete er, „Veit hat deshalb auch nicht so viel Schlaf abgekriegt.“
Dieser kam mit den Armen voll Holz zurück und gähnte ein wenig, bevor er begann es zu stapeln. Als Tevin mich so in den Armen hielt, schien dieses Etwas in mir zur Ruhe zu kommen, die Leere, die mich am Schlafen hinderte, füllte sich. Müde lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter, schloss genießend die Augen...
„Hey.“
Verdutzt hob ich den Kopf und blinzelte, als Tevin mich leicht anstieß. „Hm?“ Ich musste eingeschlafen sein. Einfach so.
„Mr. Dawson sagte, wir sollen uns etwas hinlegen. Teddy tauscht gerade wieder unsere Sachen aus und ich darf nächste Nacht wieder in unserem Zelt schlafen.“
„M-hm...“, murrte ich daraufhin zustimmend.
„Na komm. Legen wir uns hin.“
Da er mir den Vortritt ließ, lag ich bereits zwischen den Decken im Schlafsack, während er sich noch auszog. Als er sich zu mir legte, deckte er uns sorgfältig zu und zog mich an sich. Beinahe sofort schlief ich ein.
Als ich Stunden später aufwachte, war ich schon spürbar ausgeschlafener und streckte mich lange, ehe mich mich an Tevin kuschelte, an deren Brust ich lag. Er murrte leise im Schlaf und zog mich dichter an sich, während er sein Gesicht halb in meinem Haar vergrub. Ich lächelte ein wenig darüber und drückte ihm einen Kuss auf das Schlüsselbein.
„Warum bist du schon wach?“, beschwerte er sich halbherzig.
„Warum schläfst du noch?“, fragte ich zurück und streichelte ihm über die Brust. „Gib mir einen Kuss.“
Leicht lächelnd hob er den Kopf und sah auf mich herab. „Es ist mitten am Tag.“
„In Moskau ist es bestimmt mitten in der Nacht.“, entgegnete ich und folgte mit dem Finger einer unsichtbaren Linie auf seiner Schulter. „Nur ein Kuss... bitte.“
Amüsiert senkte er den Kopf und küsste mich warm, ehe er mit der Hand über meine Seite fuhr. Ich seufzte erleichtert auf und drängte mich dichter an ihn, woraufhin er begann mein Shirt hochzuschieben.
Eine Viertelstunde später, die ziemlich heiß und anstrengend war, weil ich mir alle Mühe gegeben hatte leise zu sein, lag ich atemlos in Tevins Armen, der mir einen sanften Kuss auf die Stirn gab.
„Vilija.“, begann er wenig später.
„Hm?“
„Ich möchte mit dir schlafen.“
Wenig überrascht sah ich zu ihm auf, gab ihm einen kurzen Kuss. „Ich bin noch nicht soweit.“
Einen Moment zögerte er, lächelte mich dann aber warm an. „Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch.“
Einen innigen Moment lang drückte er nochmals seine Lippen auf meine, bevor er sich von mir löste und eine Shorts über zog. „Komm, lass uns ein wenig schwimmen.“
„Schwimmen?“, wiederholte ich, „Ich bin froh, wenn ich stehen kann.“, murmelte ich dann.
Er lachte leise und kam nochmals zu mir herunter. „Wenn du dich nicht selbst anziehst, zieh ich dich an und trage dich zum See.“
„Du bist abscheulich.“, murrte ich und griff unmotiviert nach einem BH und einem Slip, der nicht allzu aufreizend war.
„Hast du keine andere Unterwäsche?“, fragte Tevin zögerlich, als er mir zusah. „Findest du das nicht ein wenig... knapp?“
„Das ist die züchtigste Unterwäsche, die ich dabei habe.“, entgegnete ich ehrlich.
Er zögerte ein wenig. „Ich leihe dir eine Shorts von mir.“
Mein Mundwinkel zuckte, während er sich abwand und mir eine seiner Shorts heraussuchte. Zehn Minuten später ging ich Hand in Hand mit ihm zum Steg, wo Mr. Dawson saß und den anderen beim Schwimmen zusah.
„Hallo, Mr. Dawson.“, begrüßte ich ihn und bemerkte, dass er, wie die Jungs, nur eine Shorts trug.
„Ah, hallo, ihr zwei. Habt ihr ausgeschlafen?“, besorgt sah er zu uns auf.
„Ja, haben wir.“, antwortete Tevin zufrieden und legte mir einen Arm um die Taille. „Danke, dass sie uns erlaubten haben wieder im selben Zelt zu schlafen.“
„Ich hatte nicht geahnt, dass eure Abhängigkeit voneinander so stark ist. Ihr sagtet mir zwar, ihr könntet nicht schlafen, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass ihr tatsächlich keinen Moment Schlaf findet.“
„Es ist okay.“, warf ich ein, „Es klang auch sehr seltsam, wie ich zugeben muss.“
Tevin nickte zustimmend und küsste mich auf die Schläfe. „Na los, jetzt lass uns ins Wasser gehen.“
„Warum bist du so scharf darauf mit mir ins Wasser zu gehen?“
Er grinste mich an und knabberte an meinem Ohr. „Da bist du ganz nass.“, flüsterte er, „Und dort hinten sieht man uns nicht so gut.“
„Oh!“, rief ich aus, „Oh, Tevin!“ Ich boxte ihm gegen die Schulter, ehe ich mich von ihm löste. „Ich werde mit Teddy reden. Da gibt es ein paar Themen, über die ich unbedingt mit ihm sprechen muss.“
Unglücklich murrte Tev vor sich hin, ehe ich ins Wasser sprang und zu Teddy schwamm, der mit Evelyn irgendein seltsames Spiel spielte. Dasselbe Spiel hatte sie mal mit Tevin gespielt. Ich hatte die Regeln nie verstanden.
„Teddy.“, meldete ich mich, als ich nahe genug war.
Er wand sich von Ev ab und sah zu mir herüber. „Hey. Geht’s dir besser?“
Evelyn schwamm herüber. „Habt ihr ausgeschlafen?“, fragte sie besorgt.
„Ja, haben wir, es geht uns gut.“, antwortete ich und sah Teddy fragend an. „Hast du vielleicht ein paar Minuten? Wir haben eine Weile nicht mehr miteinander gesprochen.“
„Klar.“ Er lächelte mich auf diese Art an, mit der er mich immer ansah, bevor wir allein Zeit miteinander verbrachten. Bevor er jedoch mit mir wegschwamm, sah er Evelyn vorsichtig an. „Es stört dich ja nicht, oder?“
„Keineswegs.“, entgegnete sie lächelnd, „Ich gehe einfach zu Tevin.“
„Klasse.“
Damit gab er ihr einen kleinen Kuss und schwamm mit mir dann an eine Stelle, die sich einige Meter vom Steg entfernt befand. Hier befanden sich am Ufer einige Steine, auf die wir uns problemlos rauf setzen konnten. Begeistert saßen wir einen Moment schweigend da und genossen es nach einiger Zeit wieder allein zu sein.
„Die anderen glauben, du und Tevin hättet irgendwas intimes im Wald gemacht.“, bemerkte er irgendwann, „Ich kann mir das ehrlich gesagt nicht vorstellen. Für so etwas ist Tevin zu vorsichtig.“
Ich zog ein Bein an und schlang meine Arme darum, wobei ich meinen Kopf auf mein Knie bettete. „Er hat sich Sorgen um mich gemacht.“, entgegnete ich dann, „Große Sorgen offenbar. Wir haben uns ein wenig gestritten.“
„Ihr hattet Streit? Weil er sich Sorgen gemacht hat?“
„Ja. Er sagte, ich hätte jemandem sagen sollen wohin ich ginge, oder überhaupt, dass ich wegging. Er meinte auch ich hätte jemanden mitnehmen sollen.“
„Er geht doch auch allein Holz sammeln.“
„Ja, aber er sagt immer Bescheid. Er hat sich Sorgen gemacht, dass mir etwas passieren könnte und stundenlang hilflos im Wald liege. In Unterwäsche.“
„Oh. Verstehe. Das gibt tatsächlich Anlass zur Sorge. Hat sich das denn geklärt?“
„Mehr oder weniger. Ich hatte ihn gerade beruhigt, indem ich ihm versprochen habe nicht nochmal in Unterwäsche oder ohne Bescheid zu geben Holz zu sammeln, als Veit aufgetaucht ist.“ Ich seufzte leise und lehnte mich an Teddys Schulter. „Er sagte, dass man sich wunderte, wo wir waren und hat mich eine Weile einfach nur angesehen, wie er es damals gemacht hat. Dann hat er mir ein Kompliment darüber gemacht, dass mir die Unterwäsche ziemlich gut stand und... da ist Tevin ausgerastet. Er sagte, Veit solle aufhören mich so anzugaffen und solche Sprüche für sich behalten. Als Veit dann so mutig war ihn auch noch so anzugrinsen und zu sagen, da wäre nichts, was er nicht schon gesehen hätte, hat Tevin ihn geschlagen. Ich glaube, er hätte ihn sogar verprügelt, wenn ich nicht dazwischen gegangen wäre.“
„Das erklärt warum er so schlecht gelaunt war.“ Lässig legte Teddy mir einen Arm um die Schultern und drückte mich tröstlich an sich. „Veit bewegt sich auf dünnem Eis, weißt du. Du weißt so gut wie ich, dass Tevin immer schon... besitzergreifend war. Und dir gegenüber hatte er von immer einen ausgeprägten Beschützerinstinkt. Eine Kombination von beidem ist nicht unbedingt gesund für andere Kerle.“
Ich lachte leise. „Wenn du es so formulierst macht das alles sogar Sinn.“
„Ich bin und bleibe nun mal einzigartig und helfe dir in jeder Situation gerne aus.“
„Vielen Dank. Aber jetzt zu dir.“
„Zu mir?“ Er sah mich überrascht an. „Was ist mit mir?“
„Du und Evelyn? Jetzt mal ehrlich, ich habe in den Ferien nichts bemerkt. Entweder ihr habt es gut geheim gehalten oder ich bin eine furchtbare Freundin und habe dich nicht verdient.“
Eine Mischung aus Belustigung und Begeisterung legte sich in sein Gesicht, ehe er mir einen liebevollen kleinen Kuss gab. „Du bist die beste Freundin, die ich haben kann. Glaube nie, daran würde sich etwas ändern können.“ Dann drückte er mich nochmal an sich. „Tatsächlich trifft es keine deiner Vermutungen. Zwischen Ev und mir hat es fürchterlich gefunkt und die Chemie hat einfach so gut gepasst. Als ich mich das erste mal allein mit ihr war... Ich weiß nicht. Ich hatte ein gebrochenes Herz.“ – Ich drückte sanft seine Hand, woraufhin er mir ein leichtes Lächeln schenkte. – „Und trotzdem fühlte ich mich so...“
„Lebendig?“
„Ja. Naja, zum Teil. Lebendig und... als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich war einfach hin und weg. Aber ich wollte es nicht versuchen. Ich war... zu verletzt. Und dann hat sie sich noch an Nathaniel ran gemacht. Ich hab einen Abend stundenlang wachgelegen und konnte an nichts anderes denken, als an sie. Teilweise ziemlich nackt.“
„Teddy!“, rief ich lachend aus, was ihm eine bezaubernde Röte ins Gesicht trieb.
„Also... Nun... Ich hatte Probleme zu schlafen.“, erklärte er und konnte sich ein verlegenes Grinsen nicht verkneifen. „Und ich konnte ihr nicht fern bleiben. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass es ihr genauso ging wie mir. Ich dachte, sie könnte einfach nicht anders fühlen als ich, also... Nun...“ Er räusperte sich kurz, während ich ihn gespannt ansah.
„Nun?“
„Kurz vor unserer Abreise bin ich nachts in ihr Zimmer geschlichen.“
„Du bist... Grundgütiger! Du bist ja verdorbener als ich dachte.“
Tatsächlich kicherte er leise. „Ich habe festgestellt, dass meine Vermutung richtig war.“, erzählte er dann weiter, „Wir haben immer wieder mal geredet, aber haben uns nicht getraut etwas zu versuchen. Sie hat es nicht versucht, weil sie dachte, ich würde Gabriela noch nachtrauern. Ich habe es nicht versucht, weil ich dachte, ich sei nicht ihr Typ oder so...“
„Verstehe. Und weiter? Was war in der Nacht?“
Er zögerte ein wenig. „Nun ja. Wir haben rumgemacht. Ziemlich heftig sogar. Und wir haben gefummelt.“ Mit einem Seufzen sah er auf in den Himmel. „Meine Güte, in der einen Nacht bin ich mit ihr schon weiter gegangen als mit Gabriela in unserer ganzen Beziehung. Und es war irgendwie... perfekt. Irgendwie... zu perfekt. Ich dachte mir, irgendwo müsse ein Haken sein und... dann ist mir Nathaniel eingefallen und ich...“ Er unterbrach sich selbst und beobachtete Evelyn ein wenig, wie sie mit Tevin ein wenig umher schwamm. „Ich habe ihr einige Dinge an den Kopf geworfen, die ich nie hätte sagen dürfen.“, erklärte er dann voll Reue, „Ich war noch verletzt und irgendwie … ich weiß nicht. Der Gedanke, dass sie sich an Nathaniel ran machte und dennoch mit mir knutschte, das...“
„Es war vom Prinzip her das gleiche, was du mit Gabriela erlebt hast.“
„Ja.“, gab er leise zu, „Deshalb haben wir so gestritten.“
„Und als wir dann bei uns waren? Was ist in der Nacht passiert? Ich meine... ihr habt miteinander geschlafen!“
Bei dieser Bemerkung begann er zu grinsen wie ein kleiner Junge. „Oh, das war... Also, weißt du... Wir haben uns nahezu in der Luft zerfetzt, bevor wir eingeschlafen sind. Aber dann... mitten in der Nacht...“
Er machte immer mehr den Eindruck eines Jungen, der einen Ausflug in einen Freizeitpark gemacht hatte und nun davon erzählte. Seine Augen funkelten, seine Wangen röteten sich vor Eifer... und dann war da noch dieser Blick, der allerdings nicht zu dem kleinen Jungen passte. Dieser Blick voller Hingabe und... Zuneigung. Liebe.
„Wir sind beide einfach aufgewacht und... haben uns angesehen. Es war so... seltsam, beinahe magisch, ich kann es nicht anders erklären. Wir fingen einfach beide an zu reden. Ich sagte, es täte mir leid, was ich gesagt habe und sie erklärte die Sache mit Nath. Es war, als hätten wir beide gewusst, dass der andere es nicht so meinte und den Streit nicht will und... wir selbst auch nicht. Dann... nun ja... Ich hab sie in die Arme genommen, weil sie ein paar Tränen vergossen hat und dabei...“ Er zögerte ein wenig, wobei sich seine Lider ein wenig senkten. „Sie fühlt sich einfach so toll an. Ich musste sie einfach anfassen und küssen. Wir haben bestimmt eine Stunde einfach nur rumgemacht, bevor ich zu dir gegangen bin, weil sie anfing-“
„Okay, warte.“, unterbrach ich ihn amüsiert und mit roten Wangen. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich jedes einzelne Detail wissen möchte. Zumindest nicht was dieses Thema betrifft.“
„Gott, Vilija.“ Er sah auf mich herab. „Du verpasst wirklich etwas.“
„Woher weißt du, dass ich noch nicht mit Tevin geschlafen habe?“
„Oh, bitte.“ Er legte den Kopf etwas schräg und grinste. „Man sieht es dir an. Ihr habt vielleicht Sex, wie vor etwa einer halben Stunde.“
Prompt wurde ich noch roter. „Hat man es gemerkt?“
„Oh, ihr ward leise, keine Sorge. Aber ihr... Tut mir leid, wenn ich das so sage, aber ihr saht so verdammt befrie-“
„Okay, okay.“, unterbrach ich ihn erneut, „Verstanden. Weiter. Warum weißt du, dass wir nicht... du weißt schon.“
„Glaub mir. Wenn es soweit ist, dann merkst du es. Man hat hinterher eine gewisse... Ausstrahlung. Wenn du genauer wissen willst, was ich meine, dann kann ich die Nacht auch bei Ev verbringen.“
Ich brach in Gelächter aus, woraufhin er leise lächelte. „Nein danke, Teddy. Tu mir den Gefallen und bleib bei Veit.“
„Verdammt. Und ich dachte, ich hätte jetzt eine Ausrede.“
„Du kannst natürlich nachts herüberschleichen, wenn Mr. Dawson schon schläft.“, bemerkte ich dann, „Du weißt ja, was er über pubertäre Jugendliche gesagt hat.“
Er schien tatsächlich darüber nachzudenken. Dann kam ihm ein anderer Gedanke. „Sag mal... Warum haben du und Teivn... Warum habt ihr eigentlich noch nicht miteinander geschlafen?“
„Ich bin noch nicht bereit dafür.“, antwortete ich und folgte seinem Blick zu unseren Partnern, die nun, ähnlich wie Teddy und ich, am Ufer waren und redeten.
„Nicht bereit?“, hakte Teddy verwundert nach.
„Ja. Ich weiß nicht, ich... Ich habe Angst davor.“
„Warum? Wegen der Schmerzen?“
„Nein. Ich weiß, dass Tevin sehr aufmerksam sein wird. Es ist eher... Was, wenn... wenn es uns nicht gefällt?“
Ungläubig sah er mich an.
„Ich meine, vielleicht bin ich nicht gut, oder er ist nicht gut oder-“
„Vilija.“, unterbrach er mich, „Als Jungfrau ist man eigentlich nie wirklich gut. Ich hab mich gefühlt wie ein hilfloser Junge, als sie da lag und...“ Er unterbrach sich selbst. „Jedenfalls glaube ich nicht, dass man am Anfang gut sein kann. Ich meine, man weiß ja nur theoretisch wie das geht und... und so.“
„Ja, aber was, wenn ich so richtig schlecht bin? Vielleicht will er mich ja dann nicht mehr oder... oder... vielleicht passt er einfach nicht. Vielleicht ist er zu groß oder er ist zu grob. Vielleicht hat er Vorlieben, die ich nicht mag oder... ich weiß nicht.“
„Wenn er Vorlieben hat, dann weiß er doch selbst noch nichts davon.“, bemerkte er skeptisch, „Du machst dich wahnsinnig. Tevin wird dich auch immer lieben, egal wie schlecht du im Bett bist. Was ich für ziemlich unwahrscheinlich halte, wenn ich daran denke, wie er vorletzte Nacht geschrien hat. Was hast du gemacht? Ihn gefoltert?“
„Oh Gott.“ Peinlich berührt legte ich den Kopf in den Nacken.
„Ich muss schon sagen, ich kann verstehen, dass Veit ihn so neckt. Ich würde ihn auch necken, wenn Evelyn nicht wäre. Es ist amüsant zu sehen, wie eifersüchtig er wird.“
„Findest du?“
„Ja. Ich denke ab und zu darüber nach, wie er wohl heute reagieren würde, wenn wir so eine Nummer abziehen wie damals in eurem Flur, als ich dir etwas zeigen wollte und er einfach aufgetaucht ist.“
Ich lachte amüsiert und stieß ihn leicht an. „Das war wirklich witzig. Du hättest sein Gesicht sehen sollen als er uns gesehen hat. Ich könnte schwören, er hielt dich für schwul, bis du mit Gabriela zusammen gekommen bist.“
„Na schönen Dank.“, murmelte er und hob eine Braue. „Wie auch immer. Hast du schon eine Geburtstagsgeschenk für Tevin?“
„Noch nicht, aber ich habe schon eine Vorstellung davon.“
„Und zwar?“
„Es ist... etwas kitschig.“
„Erzähl schon.“
„Ich... dachte da an zwei Ketten. Die eine träg er, die andere trage ich. An meiner Kette hängt ein Anhänger mit einem Herz, mit Ketten und einem Schloss und er... hat den Schlüssel.“
„Das ist wirklich kitschig.“
„Erst dachte ich an zwei Herzhälften. Aber irgendwie möchte nichts davon wirklich passen.“
„Wie wäre es mit... Einem Herz, an dem sich Ketten befinden und... nun, eigentlich zwei Herzen, die aneinander gekettet sind. Und jeder von euch trägt eins.“
„Aber das hört sich so an, als wären wir widerwillig zusammen.“
Nachdenklich sah er auf das Wasser. „Dann... Adern.“
„Was?“
„Adern.“, wiederholte er, „Als wärt ihr... zusammen gewachsen.“
„Das klingt widerwärtig... Adern...“ Obwohl es sinngemäß ziemlich gut passte. „Als wären wir... zusammen gewachsen.“, wiederholte ich dann und erinnerte mich an diese Unruhe, die mich immer dann befiel, wenn Tevin nicht bei mir war. Sogar jetzt, obwohl er in meiner Nähe war. Und dann war da dieses Gefühl der Leere, als würde irgendwas fehlen. Als wäre er... ein Teil von mir. „Oh, Teddy, du bist ein Genie!“, rief ich aus und rutschte ins Wasser. „Ich hab die Idee.“
„Welche?“, wollte er wissen und folgte mir schnell. „Wohin willst du?“
„Ich bitte Veit mir eine Skizze dafür anzufertigen.“
„Warum tust du das nicht selbst?“
„Weil Veit ein Auge dafür hat Dinge so darzustellen, wie die Gefühle stehen. Ich zeichne Dinge, wie sie wirklich sind.“
„Nun, wo du Recht hast. Aber was genau soll er denn nun zeichnen?“
„Ein Herz, deren Inneres Leer ist. Das Gegenstück, das Innere des Herzens, ist eine Seele. Und die hat Tevin.“
„Wow, du bist ja richtig romantisch.“
„Du bist eine ziemlich gute Inspiration.“
„Gib es zu, in Wahrheit liebst du mich abgöttisch.“
„So sehr wie keinen anderen Menschen.“, lachte ich daraufhin und begann mit ihm um die Wette zu schwimmen.
Einige Stunden später saßen wir alle am Lagerfeuer und grillten unser Mittagessen, während wir uns ausgelassen unterhielten. Nur Diana machte nicht mit, da sie zu sehr damit beschäftigt war ihre Zehnägel zu lackieren.
„Oh, da fällt mir ein.“, hob ich plötzlich an und richtete meinen Spieß auf Teddy. „Erinnerst du dich noch daran, wie du damals mit mir einen DVD Abend gemacht hast? Wir wollten Saw gucken.“
Einen Moment dachte er nach, brach dann aber in schallendes Gelächter aus. „Das müssen wir dringend wiederholen!“, rief er dann aus.
„Was ist passiert?“, fragte Evelyn neugierig und grinste Teddy an.
„Wusstest du, dass Vilija Angst vor Puppen hat?“
Tevin lachte leise. „Das liegt daran, dass sie als Kind Chucky die Mörderpuppe gesehen hat. Unsere Tante hat ihr eine Puppe geschenkt und Vilija warf sie aus dem Fenster.“
Alle begannen herzlich zu lachen, während ich ein wenig rot wurde.
„Ich sags dir.“, hob Teddy an, „Jedes Mal wenn jemand gefoltert oder getötet wurde hat sie aufmerksam hingesehen und nicht einmal mit der Wimper gezuckt vor Angst. Aber sobald die kleine Puppe auf den Dreirad angerollt kam hat sie sich an mich gekuschelt und gewimmert wie ein kleines Kind.“
Erneut lachten wir herzlich, während ich noch roter wurde und Tevin mich an sich zog. Mr. Dawson schien sich genauso zu amüsieren wie wir, während er einfach nur da saß und zuhörte.
Plötzlich spürte ich Tevins Mund an meinem Ohr und hielt inne, um verstehen zu können, was er mir sagen wollte.
„Wenn ich Veit in ein Puppenkostüm stecke, werde ich ihn dann endlich los?“, fragte er mich halblaut auf Litauisch.
Ich brach in so herzliches Gelächter aus, dass mich alle ansahen. Selbst Diana sah von ihren knallpinken Zehen auf, um mich überrascht anzusehen, während ich Tevin einen liebevollen Hieb auf die Schulter gab, ehe er mich amüsiert ansah.
„Das ist mein voller Ernst.“, versuchte er es gespielt ernst, „Wenn mich das ans Ziel führt kaufe ich mir das Kostüm und Sekundenkleber.“
Da er immer noch Litauisch sprach war ich die einzige, die ihn verstand und daher auch die einzige, die lachte.
„Du bist unmöglich.“, lachte ich in dergleichen Sprache.
Sobald ich mich ein wenig beruhigt hatte begannen wir zu essen, was Teddy dazu veranlasste über Situationen bei Mahlzeiten zu sprechen, die ich mit ihm verbracht hatte.
„Deshalb isst du keine Fischstäbchen.“, bemerkte Tevin einmal und sah mich erheitert an.
„Tu mal nicht so als wäre das bei dir was anderes.“ Ich deutete mit dem Daumen auf ihn und sah zu den anderen. „Er isst tatsächlich nur das, was ich esse. Sobald ich angefangen habe die Fischstäbchen zu verschmähen hat er seine auch nicht mehr angerührt.“
„Sie schmecken dann nun mal nur halb so gut.“, verteidigte Tevin sich geschickt“
„Und was ist mit Marzipan? Du hast Marzipan geliebt, bis dir klar geworden isst, dass ich ihn nicht ausstehen kann.“
Er rollte mit den Augen. „Das mit dem Marzipan war so eine Sache.“, fing er dann an und warf Ev einen Blick zu, als wüsste sie Bescheid. „Erinnerst du dich an den Tag, an dem mir das klar geworden ist?“, fragte er mich mit lachenden Augen.
„Du bist hier die Person mit dem Supergedächtnis.“, entgegnete ich, „Ich weiß nur noch, dass du hinterher furchtbar traurig warst.“
„Was heißt hier Supergedächtnis? Du erinnerst dich an Dinge, von denen ich behaupten würde, sie seien nie passiert.“
Nach kurzem Gelächter klärte Tevin uns auf. „Es war so, dass ich Vilija damals zum allerersten Mal ein Geschenk machen wollte.“
„Oh mein Gott.“, brach es da plötzlich aus mir heraus, „Jetzt weiß ich es wieder.“
Er hob den Finger an seinen Mund. „Ich habe wochenlang mein Taschengeld gespart und darüber nachgedacht, was ich ihr schenken könnte. Ich meine, ich war 9 und sie wurde in wenigen Tagen 8. Damals war ich nicht sehr kreativ.“
„Beim Wolkenbilderraten bist du immer noch furchtbar schlecht.“, bemerkte Evelyn.
Tevin grinste kurz, ehe er fortfuhr. „Dann bin ich mit Tėtis einkaufen gegangen und habe diese wunderschöne Marzipanrose beim Bäcker gesehen.“
„Hast du sie ihr gekauft?“, fragte Mr. Dawson neugierig.
„Das hätte ich getan.“, entgegnete Tevin, „Allerdings hatte ich dann doch nicht genug Geld dafür. Also bin ich im Supermarkt in die Backwarenabteilung gegangen und habe mit Tėtis ganz viel Marzipan und rote Lebensmittelfarbe gekauft.“
Ich biss mir leicht auf die Unterlippe, weil ich wusste, wie es ausging.
„Ich hab den ganzen Tag mit ihm in der Küche gestanden um so eine verflixte Rose aus Marzipan zu machen. Am Ende sah sie gar nicht mal schlecht aus. Es sah zwar aus wie Unkraut, aber es hatte die richtige Farbe.“
Kichernd lehnte ich mich an ihn.
„Am nächsten Tag war es dann soweit. Vilija hatte Geburtstag. Ich habe es mir ganz kitschig vorgestellt, dass ich mit ihr in den Garten gehe, ihr den Marzipanunkraut gebe und sie mich ganz begeistert umarmt. Am Anfang sah es sogar sehr vielversprechend aus. Bis ich ihr den Marzipan gegeben habe. Sie hat die Nase gerümpft und es angewidert angesehen. Dann hat sie aber gelächelt und gesagt: Das ist sehr nett von dir Tev, aber das ist das schrecklichste Geschenk, das ich je bekommen habe.“
„Und es tut mir so leid.“, warf ich hinterher und lachte leise.
„Ich habe stundenlang geheult.“, merkte er noch an, „Bis Vilija mich in die Arme genommen hat und sagte, dass das schönste Geschenk das Erlebnis sei, dass ich ihr etwas geschenkt habe. Danach war ich im 7. Himmel.“
Begeistert von der Anekdote gab ich ihm einen langen Kuss und entschuldigte mich erneut für die unsanfte Abfuhr, die ich ihm damals erteilt habe.
„Oh, bitte.“, rief Teddy nur wenige Sekunden später aus, „Knutschen könnt ihr auch später noch.“
Veit buhte uns amüsiert aus und ich hätte schwören können, dass es Evelyn war, die mit einer Serviette nach uns warf.
„Hört auf so viel Liebe zu verteilen.“, bat Veit lachend, „Hier ist so viel davon in der Luft, dass da kaum noch Platz für Luft ist.“
„Von welcher Liebe redest du bitte?“, fragte Evelyn daraufhin, „Ich sehe hier nichts weiter als unglaublich viele Hinweise darauf wer von beiden heute Nacht lauter schreit.“
„Ich wette es wird Tevin.“, rief Veit laut aus.
„Ach was.“, widersprach Teddy, „Wenn jemand am lautesten schreit, dann Vilija. Sie hat ein ziemlich gutes Organ.“
„Ich tippe allerdings auch auf Tevin.“, meinte Evelyn daraufhin, „So angesäuert wie er gestern war muss Vilija irgendwas wieder gut machen.“
„Oh, Leute, ich bitte euch.“, unterbrach Tevin die Diskussion, begann dann aber zu grinsen, „Jeder hier weiß doch, dass Vilija lauter schreien wird.“
„Oh, na warte, du...“ Ich biss ihm liebevoll in die Schulter. „Ich zeig dir heute Abend, wer hier lauter schreit.“
„Du wirst es demonstrieren, hm?“
„Fordern Sie mich nicht heraus, Tevin McCourtney.“
Er stieß herausfordernd mit seiner Nasenspitze an meine. „Sonst was, hm? Keine Berührungen? Keine Küsse?“
„Sonst muss ich dir leider gestehen, dass Veit mir ein paar Dinge beigebracht hat, die ich dir noch gar nicht gezeigt habe.“
Teddy begann zu johlen, während Mr. Dawson tatsächlich applaudierte.
„Der Punkt geht definitiv an Vilija.“, bemerkte er dabei.
Tevin, dessen Miene sich bei Veits Namen ein wenig verfinstert hatte, grinste mich böswillig an. „Ach, musst du das?“, fragte er dann.
Ich nickte zustimmend. „Ja, muss ich.“
Daraufhin zog er mich ein paar Zentimeter näher an sich und flüsterte mir etwas ins Ohr. Hinterher war ich knallrot und sah ihn mit offenem Mund an, während er mich triumphierend angrinste.
„Das wagst du dich nicht.“, hörte ich mich sagen.
„Und ob ich das tue.“
„Nein.“
Er grinste etwas mehr.
„Nein. Tevin... nein.“
„Wir werden sehen.“, entgegnete er daraufhin nur gut gelaunt, stand auf und ging pfeifend in den Wald.
„Was hat er gesagt?“, wollte Evelyn neugierig wissen.
„Nichts, was für eure Ohren bestimmt ist.“, entgegnete ich daraufhin Feuerrot und biss von meinem Fleisch ab.
„Vilija, denk an die Strategie, die ich dir beigebracht habe.“, erinnerte mich Tevin amüsiert.
Ich begann zu grinsen. „Du hättest sein Gesicht sehen sollen!“
Einige Tage später
Nervös nestelte ich am Saumen meines Shirts herum, während ich darauf wartete, dass Teddy damit fertig war mein Geschenk für Tevin einzupacken. Ich war viel zu nervös um das zu tun.
Es hatte ein wenig gedauert, doch nach einer ausgiebigen Suche hatten wir einen Goldschmied gefunden, der mein Geschenk in Realität umsetzen konnte. Ich fühlte mich schrecklich, weil ich nicht zuhause war um Tevin bereits früh am Morgen zu gratulieren, allerdings musste ich die Nacht einfach bei Teddy verbringen, um Tevins Geschenke vorzubereiten. Zum einen waren da die Ketten. Zum anderen wollte ich Tevin meine Jungfräulichkeit schenken.
Teddy fand das furchtbar kitschig, aber ich dachte mir, dass Tevin sicher gerührt sein würde.
„So, fertig.“, verkündete er in diesem Moment und riss mich aus den Gedanken. „Wenn das kein Kunstwerk ist, dann geh ich morgen in Unterwäsche zur Schule.“
Neugierig hastete ich zu ihm und lächelte als ich das Geschenk sah. „Das hast du wirklich wunderschön gemacht.“, lobte ich begeistert.
Obwohl er ein Junge war brachte er erstaunliche Dinge mit Geschenkpapier zustande. Noch ein Grund dafür, dass ich ihn gebeten hatte das Geschenk für mich einzupacken.
„Ja ja. Jetzt nimm es schon und verzieh dich zu Tevin.“, entgegnete er amüsiert, „Sonst ist er noch beleidigt, weil du zu spät zum Kuchen kommst.“
Am Vorabend hatte er mir eine SMS geschrieben, in der er darauf bestand, dass ich um 15 Uhr zum Kuchen da sein sollte. Heute jedoch hatte ich verschlafen, weil ich mit Teddy bis spät in die Nacht über mein Vorhaben bezüglich meiner Jungfräulichkeit gesprochen hatte.
„Glaub mir, ich war auch total nervös.“, hatte er gesagt, „Das ist normal.“
„Nun ja, du bist aber nicht ich und Evelyn ist auch nicht Tevin.“ Ich hatte tief geseufzt und mich an ihn gelehnt. „Was, wenn es ihm nicht gefällt?“
„Dann stimmt irgendwas mit ihm nicht. Jetzt hör auf dir darüber Gedanken zumachen und überleg dir lieber eine Strategie, wie du ihn dazu bringen willst es auch wirklich zu tun. Nicht das er denkt, du würdest es nicht wollen.“
„Ich kann es ihm doch sagen.“
In dem Moment hatte er mich skeptisch angesehen. „Glaub mir, wenn es soweit ist, wirst du kein Wort darüber verlieren können.“
Das hatte mich nur noch nervöser gemacht, was dazu geführt hatte, dass wir erst um 5 Uhr morgens Schlaf gefunden hatten.
„Du hast Recht.“, sagte ich nun und schnappte mir die Tasche, in der ich meine Sachen hatte, bevor ich aufstand, ihn fest umarmte und das Geschenk nahm. „Ich ruf dich morgen an und sag dir wie er reagiert hat.“
„Aber nicht zu früh.“, entgegnete er, „An einem Samstag würde ich doch gerne ausschlafen.“
„Okay. Bis morgen.“
Ich gab ihm noch einen letzten Schmatzer und lief dann hastig hinunter, wo ich mich knapp bei den Eltern verabschiedete und dann hinaus zur Bushaltestelle lief. Ich brauchte etwa 40 Minuten, da ich den einen Bus verpasste und der andere Verspätung hatte. Als ich atemlos zuhause ankam, war es bereits 15:30 Uhr.
„Eine halbe Stunde zu spät.“, murmelte ich und atmete kurz durch. „Ich denke, er wird es mir nicht übel nehmen. Immerhin sind es nur 30 Minuten.“
Ich sammelte mich einen Moment und betrat dann das Haus.
„Ich bin wieder da!“, rief ich heiter, warf meine Tasche beiseite und begab mich sofort auf die Suche nach Tevin.
Mein erster Halt war die Küche, wo ich dann überrascht inne hielt, weil ich Schluchzen aus dem Wohnzimmer vernahm. Es klang wie Mom.
Was ist passiert?
„Mamytė?“, rief ich verwundert und ging zur Wohnzimmertür, hielt Tevins Geschenk in beiden Händen. „Tėtis?“
Die beiden saßen auf er Couch. Cyntia war nicht zu sehen, ebenso wenig wie Tevin. Dad hielt sie tröstend in den Armen, während sie weinte. Irgendwas war nicht richtig, lief gründlich verkehrt.
„Was ist passiert?“, fragte ich vorsichtig und ließ mich zaghaft in den Sessel sinken. „Mom hat doch nicht etwa wieder... ein Kind-“
Als Dad den Kopf schüttelte zog ich verwirrt die Brauen zusammen. „Es geht um Tevin.“, entgegnete er dann mit belegter Stimme.
Wenn selbst er so traurig reagierte, dann... Mein Magen verkrampfte sich. „Was... Was ist mit ihm?“
Er atmete tief durch und drückte Mom etwas fester an seine Brust. „Er hat seine Eltern kennen gelernt.“
Einen Moment fühlte ich mich, als würde ich fallen. Alles in mir zog sich vor Angst zusammen.
„Sie waren schon eine Weile in Amerika und konnte nicht länger bleiben, also haben sie ihm angeboten sie zu begleiten.“
Schmerz schnürte mir die Kehle zu, machte es mir schwer zu atmen. „Er ist noch hier, oder? Er... er ist doch nur oben, richtig?“
Ohne auf eine Antwort zu warten sprang ich auf und lief die Treppe hinauf. Verzweifelt eilte ich zu seinem Zimmer, hielt dort einen Moment inne und riss dann die Tür auf. Es war leer. Nicht etwa im Sinne von menschenleer. Nein, es war verlassen. Es stand nicht wie gewohnt ein Bild von uns auf dem Nachttisch und sein Laptop stand nicht auf seinem Schreibtisch. Sein Kleiderschrank war noch offen und etwa die Hälfte seiner Kleidung war weg. Tränen schossen mir in die Augen und das Geschenk fiel dumpf zu Boden.
Im nächsten Moment lief ich nach unten ins Wohnzimmer. „Wo ist er?“, wollte ich wissen und blieb Tränen überströmt vor meinen Eltern stehen.
„Er hat seine Eltern nach England begleitet.“
Es drehte sich alles. „Nein.“, hauchte ich, „Das... das würde er nie tun. Er... Er würde mich nicht verlassen. Er würde nicht gehen, erst Recht nicht ohne sich zu verabschieden.“
„Sie sind vor einer Viertelstunde gefahren.“, brachte er leise hervor.
Einen Moment stand ich schweigend da, konnte nicht glauben, was er mir da sagte. „Warum?“, wollte ich dann wissen, „Warum habt ihr ihn gehen lassen?“
Mom wurde von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt und Dad liefen Tränen über die Wangen. „Es war seine Entscheidung.“, erklärte er dann, „Er wollte es so.“
„Das kann nicht sein!“, rief ich aus, versuchte mich gegen den Schmerz zu wehren, der mein Herz vor Angst zum rasen brachte. „Das kann einfach nicht stimmen.“
„Er ist alt genug selbst zu entscheiden. Und es sind seine Eltern.“
„Aber warum habt ihr ihn gehen lassen? Warum habt ihr nichts unternommen?“
„Das haben wir doch versucht!“, widersprach er.
„Irgendwas hättet ihr doch tun können.“ Hilflos schlang ich die Arme um mich, versuchte die Leere, die sich in mir ausbreitete, zu ignorieren. „Warum nicht?“
„Weil wir nicht konnten!“ Fest kniff er die Augen zusammen, versuchte sich zu beherrschen. „Er wollte gehen.“ Er holte tief Luft und sah dann traurig zu mir auf. „Es tut mir so leid.“
Texte: © Copyright 2013 – Alle Inhalte, insbesondere Texte sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, einschließlich der Vervielfältigung, Veröffentlichung, Bearbeitung und Übersetzung, bleiben vorbehalten, Lisa Irmer
Tag der Veröffentlichung: 16.03.2013
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