Cover

Prolog


Ich sah mich neugierig auf meiner neuen Schule um und stellte fest, dass sie viel besser aussah als meine Letzte, obwohl sie beide in der selben Stadt waren. Nachdem ich mich im Sekretariat gemeldet hatte, ging ich direkt in meine Klasse, die glücklicherweise ruhiger und anständiger war als meine Letzte.
Neue Schule, neues Glück

, dachte ich mir und setzte mich, nachdem der Lehrer mich vorgestellt hatte, auf den einzigen freien Platz.
„Wie war nochmal dein Name?“, hakte der Junge neben mir nach.
Ich sah zu ihm und lächelte zaghaft. „Ich bin Kendra. Und du?“
„Derek.“ Er lächelte mich an. „Nett dich kennen zu lernen. Wohnst du hier?“
Ich nickte.
„Warum bist du dann auf dieser Schule? Ich meine, es gibt noch viele andere Schulen.“
„Ich weiß. Ich war vorher auf einer anderen Schule in der Stadt, aber meine Mutter fand, dass sie viel zu unruhig ist und ich da sowieso nichts lerne. Also hat sie mich hier her geschickt. Sie ging selbst hier auf die Schule.“
„Verstehe. Du wohnst also schon länger hier?“
Ich nickte. „Bin hier aufgewachsen.“
„Ich hab dich noch nie gesehen.“
„Ich bin ja auch nicht hier in diesem Viertel aufgewachsen. Meine Eltern haben ein nettes Haus am Stadtrand.“
„Dauert es dann nicht sehr lange, bis du hier bist?“
„Mit dem Bus dauert es etwa eine Stunde.“
„Dann musst du wohl ziemlich früh aufstehen.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Das muss ich sowieso.“
„Ach ja?“
Ich nickte.
„Warum?“
Ich wollte gerade antworten, als der Lehrer Derek ermahnte und ihm sagte, er solle still sein. Ich wurde etwas rot, entschuldigte mich leise bei ihm und konzentrierte mich dann auf den Unterricht.
Wenig später waren wir gerade dabei eine schwierige mathematische Rechnung zu lösen, als es an der Tür klopfte. Sofort sahen alle auf.
„Herein.“, meldete sich der Lehrer, den mit der Junge neben mir als Mr Gibson vorgestellt hatte.
Ein dunkelhaariger Junge kam herein und blieb an der Tür stehen. „Entschuldigen sie bitte die Störung. Unser Overhead Projektor hat den Geist aufgegeben. Haben Sie hier einen, den wir uns ausleihen können?“
Ich starrte ihn an. Die Meisten arbeiteten bereits weiter, aber ich konnte einfach nicht weg sehen. Er hatte stechende graue Augen und war schlank gebaut. Sein Haar war relativ kurz und erreichte gerade so sein Ohr. Es schimmerte braun im Licht, war jedoch schwarz, wo das Licht es nicht erreichte.
„Nimm ihn ruhig mit. Aber bring ihn bitte zum Ende der Stunde wieder.“
Er nickte und ging auf die andere Seite des Klassenzimmers zum Projektor. Als er ihn hinaus schob, fiel sein Blick auf mich, woraufhin er meinen einen Augenblick erwiderte und dann wieder nach vorn sah, da er den Projektor beinahe gegen die Wand geschoben hätte.
Ich hörte, wie einige Mädchen begannen zu flüstern. Er fluchte leise rettete den Projektor jedoch mit einem geschickten Schlenker nach links.
Ich beugte mich ein wenig zu Derek herüber. „Wer ist das?“, fragte ich ihn leise.
„Das ist Kaden. Halte dich lieber von ihm fern.“, flüsterte er zurück.
„Warum?“
„Er flirtet mit jeder Frau, die ihm über den Weg läuft und sobald er mit ihr im Bett war, lässt er sie fallen und sieht sie nicht einmal an.“
Ich blinzelte überrascht. Er hatte gar nicht so ausgesehen.

Dating


4 Wochen später


Tief seufzend ging ich durch den Schulflur und hielt meine Bücher vor mir fest umschlungen. Heute morgen war meine Tasche kaputt gegangen, weshalb ich nun alles so mit mir herum schleppen musste. Ich war fast an der Klasse, als ich mit jemandem zusammenstieß. Ich taumelte kurz, ließ automatisch meine Sachen los und sah seufzend darauf herab. Als ich aufsah, blickte ich direkt in dunkelgraue Augen.
„Entschuldigung.“, murmelte ich und kniete mich hin, um meine Sachen aufzuheben.
Kaden kniete sich ebenfalls hin und half mir dabei. „Hast du keine Tasche?“
Ich wurde etwas rot. „Die ist kaputt gegangen.“
„Und da kaufst du dir keine neue?“
„Sie ist heute morgen kaputt gegangen.“
Er sah zu mir auf und hob eine Braue. Ich hob darauf nur die Schultern, nahm meine Sachen entgegen und stand wieder auf. Er stand ebenfalls auf, woraufhin ich an ihm vorbei ging, um noch rechtzeitig zur Klasse zu kommen.
„Warte mal.“
Ich blieb überrascht stehen und drehte mich zu Kaden um. „Was gibt’s denn noch?“
„Du hast deinen Zirkel vergessen.“ Er reichte mir den besagten Gegenstand, woraufhin ich ihn entgegen nahm und in die Tasche steckte.
„Danke.“
„Nicht dafür. Aber besorg dir eine neue Tasche. Beim nächsten mal komme ich noch zu spät zum Unterricht.“
Ich sah ihn entrüstet an, während er sich nur umdrehte und weiter ging. Als es zur Stunde klingelte, drehte ich mich abrupt um und eilte den Flur entlang zur Klasse. Ich kam drei Minuten zu spät, entschuldigte mich kurz bei meinem Lehrer und setzte mich neben Derek. Er sah mich aus dem Augenwinkel an, woraufhin ich nur eine wegwerfende Bewegung machte. Er zuckte darauf mit den Schultern und folgte wieder dem Unterricht.

Als es zur Frühstückspause klingelte, suchte ich meine Sachen zusammen und verließ dann die Klasse. Dann ging ich zu meinem Spind, der drei Gänge weiter war. Als ich in den besagten Gang einbog, stieß ich wieder mit jemandem zusammen, woraufhin meine Sachen wieder zu Boden fielen. Ich seufzte tief, entschuldigte mich leise und kniete mich hin um meine Sachen wieder zusammen zu suchen. Die Person, in die ich herein gelaufen war, tat es mir gleich.
„Warum wundert es mich nicht, dass du es bist.“
Ich sah abrupt auf und wurde tiefrot, als ich Kaden erkannte.
„Naja, wenigstens hat die Pause diesmal gerade erst angefangen, hm?“, meinte er, ohne mich anzusehen. Er achtete peinlich genau darauf, in welcher Reihenfolge er meine Sachen aufhob. Als er schließlich zu mir aufsah, hielt er alles sortiert in den Händen. Die Bücher nach Größe, Ordner und Hefte nach Fach und Farbe. „Hier.“
„Äh... danke.“, gab ich zurück und stand mit ihm auf.
Er schürzte die Lippen, schien zu überlegen. „Komm mal mit.“
Ich zögerte etwas, während er an mir vorbei und den Flur hinunter ging. Schließlich folgte ich ihm und landete an seinem Spind. Er öffnete ihn, kramte kurz darin herum und hielt kurz darauf eine schwarze Tasche in der Hand.
„Hier, die brauche ich nicht mehr.“, meinte er und reichte sie mir.
Ich sah ihn verdutzt an. „Du schenkst sie mir? Einfach so?“
Er grinste schräg. „Dafür hab ich was gut bei dir, hm?“
Ich sah ihn einen Augenblick nur an, bevor ich schließlich auf die Tasche sah und sie zaghaft entgegen nahm. „Dankeschön.“
„Kein Problem. Ich wäre sie sowieso nicht losgeworden.“
Ich zog die Brauen zusammen. „Warum? Man kann sie doch wegwerfen,“
„Sie ist makellos. So etwas wirft man nicht einfach weg, hm?“ Er schien dieses Geräusch zu mögen. „Soll ich dir kurz helfen?“
„Äh... nein danke. Geht schon.“ Ich nahm meine Sachen unter den Arm und öffnete die Tasche, während er mir amüsiert dabei zu sah. Als die Sachen drohten runter zu fallen, rollte er mit den Augen und nahm mir die Sachen ab. Ich hielt daraufhin die Tasche auf, während er die Sachen hinein tat. Sobald alles in der Tasche war, zog ich den Reißverschluss zu und schulterte sie. „Nochmal Danke.“
„Sag mal... hättest du Lust, mit mir zu frühstücken?“
Ich sah ihn überrascht an. „Oh.“
„Oh?“
„Nun... ich hab Derek versprochen heute mit ihm zu frühstücken.“
Seine Miene verfinsterte sich. „Ah. Derek. Verstehe.“
Ich zog die Brauen zusammen.
„Ich muss dann auch wieder.“ Damit schob er sich – deutlich grober als zuvor – an mir vorbei und verschwand um die nächste Ecke.
Ich sah ihm verwundert hinterher und ging dann in die Cafeteria, wo ich mir etwas zu Essen holte und dann nach Derek suchte. Letzten Endes fand ich ihn mit Kaden an der Tür zum Schulhof. Es sah so aus, als würden sie sich streiten. Ich zögerte kurz, ging dann aber zu den beiden herüber.
„Gibt es ein Problem?“, wollte ich wissen, woraufhin die beiden abrupt abbrachen und zu mir sahen.
„Nein.“, meinte Derek und lächelte mich an. „Alles in Ordnung. Kaden hat nur etwas missverstanden.“
Dieser machte ein abfälliges Geräusch und sah zwischen mir und Derek hin und her. „Ich habe nichts missverstanden, Derek

.“ Er sprach den Namen aus, als wäre es ein Schimpfwort.
„Wie geht’s eigentlich Grace?“
Ich sah, wie Kaden die Hand zur Faust ballte. Sein Blick war alles andere als freundlich. Derek grinste nur, legte mir einen Arm um die Schultern und ging mit mir weg. Ich warf Kaden noch einen Blick zu und zog die Brauen zusammen, als ich sah, dass er hinaus ging. Ich sah zu Derek, der leise vor sich hin grinste.
„Was hat er eigentlich … missverstanden?“, wollte ich von ihm wissen.
Er winkte ab. „Ach, nicht so wichtig.“
„Hmmm...“ Ich sah auf die Hand, die neben mir von meiner Schulter hing und fragte mich, warum er mir den Arm um die Schultern gelegt hatte.
„Kendra?“
Ich sah wieder zu ihm auf und blickte direkt in seine Augen. Mir war vorher nie aufgefallen, dass sie braun waren. „Hm?“
„Sag mal... hättest du Lust, mal mit mir ein Eis essen zu gehen?“
Ein Lächeln breitete sich in meinem Gesicht aus. „Ja klar. Gerne.“

Ich seufzte leise und ging dann nach unten. Es war jetzt 15:35 Uhr. Derek würde gleich da sein.
„Wo gehst du denn hin?“
Ich sah auf. Mein drei Jahre älterer Bruder Taylor sah mich misstrauisch an. „Ich geh mit Derek Eis essen.“
Er hob eine Braue. „Eis essen, ja? Wie alt ist er?“
Ich seufzte erneut, diesmal tiefer. „17.“
„Ist er schwul?“
„Taylor!“
„Ist er, oder ist er nicht?“
„Um Gottes Willen, nein!“
„Sieht er gut aus?“
„Äh... ja.“
Seine Augen wurden ein wenig kleiner. „Ist er ordentlich? Höflich, zuvorkommen? Ist er überhaupt nett

?“
„Ja, ist er. Du lernst ihn doch gleich kennen.“
„Wie ist sein Nachname?“
Es klingelte. Ich zögerte noch etwas, ging dann aber zur Tür und öffnete sie. Wie ich es mir schon dachte, war es Derek.
„Da bin ich.“, meinte er und lächelte mich an.
Ich hörte einen Pfiff von Taylor. „Nun... komm noch kurz rein.“, meinte ich an Derek, „Da äh... will dich jemand kennen lernen.“
Er hob eine Braue und trat ein. Ich schloss hinter ihm die Tür und stellte mich dann neben Derek.
„Derek, das ist Taylor, mein Bruder. Taylor, das hier ist Derek.“
Derek reichte ihm die Hand, die Taylor höflich ergriff. Einen Moment lang traute ich ihm sogar zu, Derek die Hand zu zerquetschen.
„Wie ist dein Nachname?“, wollte Taylor wissen, als er die – zum Glück unversehrte – Hand wieder losließ.
„Gregson.“, gab Derek zurück, „Derek Gregson.“
„Gloria ist deine Schwester, oder?“, hakte Taylor nach.
Derek nickte. „Ja.“
„Können wir jetzt gehen?“, fragte ich dazwischen und sah Taylor bittend an.
Ich atmete erleichtert auf als er nickte und drehte mich bereits um.
„Ach und Derek.“, meldete er sich nochmal.
Derek drehte sich an der Tür zu ihm um. „Ja?“
Ich folgte seinem Blick zu Taylor.
„Wage es dich ja nicht, meine Schwester anzufassen. Kapiert?“
„Äh... Ja.“
„Viel Spaß, Kiddy.“
Ich wurde rot und nickte nur schnell, bevor ich mit Derek die Auffahrt hinunter ging.
„Was war das gerade?“, wollte Derek verwundert wissen und sah zu mir herüber.
Ich zuckte mit den Schultern. „So ist er eben. Er ist mein großer Bruder und passt sehr gut auf mich auf. Es wundert mich nur, dass er nicht gesagt hat, er würde dich kalt machen, wenn du mich anfasst.“
Er sah mich zweifelnd an. „Kalt machen?“
Ich erwiderte seinen Blick ernst. „Vor einem Jahr wollte mich mein Date schon bei dem ersten Treffen küssen. Obwohl es nur bei einem Versuch blieb, hat Taylor ihm den Arm gebrochen.“
Nun sah er mich ungläubig an. „Und woher weiß er es?“
„Ich habe es ihm gesagt. Hinterher war ich natürlich wütend, weil er ihm den Arm gebrochen hat. Zu mir sagte er nur, er würde mit ihm sprechen. Vom Arm brechen hatte er nichts gesagt.“
„Du bist seltsam.“
„Warum?“
„Weil du es zulässt, dass dein Bruder so etwas tut.“
Ich schüttelte den Kopf, hielt inne und zuckte dann mit den Schultern. „Ich kann froh sein, ihn zu haben. Zwei Wochen später hat der selbe Junge versucht mich zu vergewaltigen. 24 Stunden später lag er im Krankenhaus. Und er sah nicht gut aus.“
„Er hat was?


Ich sah ihn fragend an. „Wer?“
„Dieser Junge.“
Nun zog ich die Brauen zusammen. „Er hat versucht mich zu vergewaltigen.“
Derek sah mich fassungslos an. „Ist das dein Ernst?“
Die rechte Braue hob sich. „Sehe ich so aus, als würde ich Witze machen?“
„Ich nehme an, dein Bruder hat ihn verprügelt.“
Ich legte den Kopf schräg. „Sieht er so böse aus?“
„Nein. Ich meine nur... du sagtest...“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Hat er nicht.“
Er atmete auf.
„Es war Taylors bester Freund.“
Er sah mich aus dem Augenwinkel heraus an. Dann schüttelte er sich kurz und sah wieder nach vorn. „Glaubst du, Taylor bricht mir den Arm, wenn ich einen Arm um dich lege?“
„Nein.“, gab ich zurück., „Er wird dir nur die Nase brechen.“
Nun sah er direkt zu mir herüber. „Ist das dein Ernst?“
Ich sah ernst zurück. „Ja.“
Er schwieg einen Augenblick. Dann zuckte er mit den Schultern und legte mir einen Arm um die Tallie. Ich hob eine Braue, folgte dann aber seinem Blick nach vorn und lächelte leise.
„Mit dem Kuss warte ich besser noch, bis zum zweiten Date. Vielleicht kann dein Bruder mich dann eher leiden.“
„Ich weiß es nicht. Du willst mich wirklich küssen?“
„Wurdest du mal geküsst?“
„Ja.“
„Ach ja? Wer war es?“
Ich zögerte ein wenig. „Taylors bester Freund.“
Wieder sah Derek zu mir herab. „Der beste Freund deines Bruders?“
„Ja. Er war ein wenig angetrunken. Es war an meinem Geburtstag. Ich war draußen frische Luft schnappen. Er war draußen um sich etwas zurück zu ziehen. Wir haben uns unterhalten. Naja... Ich hab mich an ihn gelehnt. Wir kennen uns schon sehr lange. Es hat ihm nichts ausgemacht. Irgendwann hat er mich angesehen und gefragt, ob ich müde bin. Ich sah ihn an, schüttelte den Kopf und... dann hat er mich geküsst. Danach wünschte er mir alles Gute zum Geburtstag und sagte, dass sei sein Geschenk gewesen. Er hatte vorher mit Taylor darüber gesprochen. Er schien nichts dagegen zu haben. Solange es nur bei einem

Kuss bleibt. Um Taylor zu ärgern küsst er mich jetzt immer, wenn er zu Besuch kommt.“ Ich lachte ein wenig.
„Ist da etwa jemand verliebt?“, neckte Derek mich amüsiert.
„Was? Nein. Niemals. Er sieht zwar gut aus, ist fantastisch und alles, aber verlieben? Nein. Außerdem hat er eine Freundin.“ Ich lächelte vor mich hin und sah wieder nach vorn. Wenig später setzte er sich mit mir an eine Eisdiele und reichte mir die Karte. Ich nahm sie entgegen und studierte sie eine Weile. Nach kurzem Zögern nahm ich ein Erdbeereis und bestellte mir dazu noch einen heißen Kakao. Ich bekam nicht mehr mit, was er bestellte, da eine mir nur allzu bekannte Person neben mir auftauchte.
„Kendra?“, meinte er überrascht, „Was machst du denn hier?“
Ich sah zu ihm auf. „Oh. Hey Andrew. Was machst du

denn hier?“
„Ich hab zuerst gefragt.“
„Ich bin mit Derek hier.“ Ich deutete auf den Genannten. „Und du?“
„Ich? Ich hab dich gesucht.“
Ich sah ihn überrascht an. „Ach ja?“
Er nickte, nahm sich den nächstbesten Stuhl und setzte sich. „Taylor schickt mich. Ich soll aufpassen.“
Ich sah ihn sprachlos an. „Äh...“
Derek sah mich verdutzt an. „Ist das...“
Ich nickte. „Das ist Taylors bester Freund. Andrew Wyler.“
Drew zwinkerte mir zu. „Hast du mich vermisst?“
„Das tu ich doch immer.“, neckte ich ihn, „Wie geht’s Abby?“
Er schürzte die Lippen. „Sie ist etwas... bedrückt. Cora ist krank.“
„Oh. Wart ihr schon beim Arzt?“
Er nickte. „Sie bekommt jetzt Medikamente.“
Ich nickte ebenfalls. „Wann trefft ihr euch denn wieder?“
Er schürzte die Lippen. „Eigentlich wollte ich mich jetzt mit ihr treffen. Aber... naja, nachdem ich ihr die Situation erklärt habe-“ Er unterbrach sich und starte auf etwas hinter mir. Dann stand er abrupt auf. „Bin gleich wieder da.“ Ich sah ihm verwirrt hinterher und beobachtete, wie er zu einer Frau ging, die offenbar etwas suchte. Als sie ihn entdeckte, begann sie zu lächeln und ging auf ihn zu. Als ich wieder zu Derek sah, stellte ich fest, dass er die Beiden prüfend beobachtete. Er seufzte leise und wand sich wieder an mich.
„Also.“, meinte er und begann wieder zu lächeln. „Wo waren wir stehen geblieben?“

Es war ein schönes Date. Derek war aufmerksam und brachte mich zum lachen. Andrew nahm sich mit Abby einen anderen Tisch, an dem er uns im Blick hatte. Das Date wurde jedoch jäh unterbrochen, als es plötzlich begann zu regnen. Ich sah überrascht in den Himmel und stand abrupt auf. Derek tat es mir gleich. Ich war froh, dass er schon bezahlt hatte, als wir uns auf den schnellen Weg zu mir machten. Dort angekommen standen wir eine Weile unter der Veranda vor der Tür und sahen in den Regen. Irgendwann merkte ich, wie Derek mir zaghaft einen Arm um die Tallie legte.
„Ich weiß, ich sagte, ich würde erst versuchen, dich beim zweiten Date zu küssen.“, meinte er halblaut.
Ich sah zu ihm auf. Er war näher gekommen.
„Aber ich würde dich trotzdem gern küssen.“
Ich sah ihn sprachlos an. Bevor jedoch irgendwas passieren konnte, öffnete jemand die Tür. Wir sahen abrupt dort hin, woraufhin Derek leise aufatmete. Es war nicht Taylor. Es war nur meine Mom.
„Oh, hallo Kendra.“, meinte sie lächelnd, „Was macht ihr da draußen? Wollt ihr euch erkälten? Kommt rein.“
Ich warf Derek einen Blick zu, lächelte und ging hinein, woraufhin er mir nach kurzen zögern folgte.
„Schatz, du bist ja ganz nass. Und du auch.“ Sie schüttelte den Kopf. „Setzt euch ins Wohnzimmer. Alle beide.“
Derek zog bei dem Tonfall den Kopf ein. Ich dagegen zog ihn sanft am Arm hinter mir her ins Wohnzimmer, wo ich mich mit ihm auf die Couch setzte und darauf wartete, dass Mom den heißen Kakao brachte. Das tat sie immer, wenn ich durchnässt nach hause kam.
„Das war meine Mom.“, erklärte ich Derek.
Er nickte. „Das habe ich mir bereits gedacht.“ Sein Blick wanderte durchs Zimmer, wobei er sich mit dem nassen Ärmel ein paar Tropfen aus dem Gesicht wischte, die dort noch hingen. „Es ist... groß hier.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Mein Vater mag es so. Im Laufe der Jahre haben wir alle dazu beigetragen, dass wir einen beträchtliche Sammlung an DVDs haben. Und eine Musik-CD Sammlung haben wir auch.“
„Habt ihr zufällig auch eine Bildersammlung?“
Ich blinzelte verdutzt. „Wir haben mehrere Familienalben. Und verschiedene Alben von Ferien, Urlauben, Geburtstagen– Hallo Taylor.“
„Hey Kleines. Hat der Regen euch einen Strich durch die Rechnung gemacht?“ Er setzte sich in den Sessel zu meiner Rechten und griff nach der Fernbedienung, wobei er den Blick über mich wandern ließ. „Du bist ja nass bis auf die Knochen. Wo ward ihr denn ganz? Toronto? Edinburgh? Reykjavik?“
Ich kicherte. „Nein. Wir waren nur drüben bei Belmondo.“
„Man, das muss ein Regen sein.“ Er lehnte sich zurück, machte es sich in dem Sessel gemütlich und schaltete den Fernseher ein. Seine Miene wurde abrupt finster, als nur schwarzweiße Punkte zu sehen waren. „Ich hasse Satellitenfernsehen. Warum kauft Dad nicht einfach Kabelfernsehen, wie jeder normale Mensch?“
Ich lachte noch mehr. „Vielleicht, weil Satellitenfernsehen sonst immer funktioniert?“
Taylor schnaubte. „Ich verstehe es wirklich nicht. Er kauft einen hochwertigen Fernseher, einen hochwertigen DVD-Player, eine hochwertige Satellitenschüssel, ja sogar einen Kassettenrecorder, den wir nicht einmal brauchen, hält es aber nicht für nötig, einen Kabelanschluss zu bezahlen.“
Ich brach in Gelächter aus und kugelte mich auf der Couch zusammen.
„Ja, lach nur, du Kichererbse. Irgendwann wirst du hier an diesem Platz sitzen und genau das selbe sagen.“
„Taylor!“, lachte ich, „Hör auf, ich kann nicht mehr!“
„Womit soll ich aufhören? Ich kann mich schlecht auf den Boden legen und dich das Bestattungsinstitut anrufen lassen. Ich meine, hey. Du brauchst mich noch.“
Ich viel vor lachen fast von der Couch.
„Es reicht langsam, Kichererbse. Sonst fange ich wieder an dich Kidneybohne zu nennen.“
Jetzt brach sogar Derek in Gelächter aus.
„Ach du meine Güte. Jetzt habe ich auch noch zwei von der Sorte. Mom! Kendra hat angefangen eine ansteckende Krankheit zu entwickeln!“
„Wie kommst du denn darauf?“, rief sie aus der Küche zurück.
„Sie hat ihren Besuch mit dem Lachfieber angesteckt!“
Als Mom mit dem Kakao herein kam, lachte sogar sie ein wenig und stellte drei Tassen Kakao auf den Couchtisch.
„Vielen Dank!“, meinte Taylor begeistert und setzte sich abrupt auf. „Ist der heiß? Ach was, natürlich ist der heiß.“
Ich kam langsam zur Ruhe, konnte mich jedoch nur schwer beherrschen. Ich ließ es zu, dass Mom mich in eine Decke einwickelte, und trank langsam meinen Kakao, während sie das selbe mit Derek tat.
„Taylor sieh doch bitte nach, ob du etwas hast, was dem jungen Mann hier passt.“
Prompt verschluckte sich dieser am heißen Kakao. „Ah! Verdammt ist das heiß!“
Ich prustete los, verteilte dabei ungewollt Kakao im Wohnzimmer und fing wieder an zu lachen.
„Kendra!“, rief Mom aus, „Jetzt ist hier überall Kakao.“
„Ent-schul-dige Mom.“, lachte ich, „Ich-ich mach das wieder weg.“
Immer noch leise lachend, stellte ich den Kakao ab, stand auf und ging in die Küche um ein Tuch zu holen. Draußen regnete es in Strömen und ab und zu zuckte ein Blitz am Himmel. Als ich mit einem Tuch aus der Küche kam, ging Taylor gerade nach oben. Offenbar um etwas für Derek zu holen. Mom kam gerade wieder herunter und hielt ein paar Sachen von mir in der Hand. Ein langes T-Shirt und eine Jogginghose.
Im Wohnzimmer setzte ich mich wieder auf meinen Platz und beugte mich über den Tisch um ihn abzuwischen.
„Du hast eine seltsame Familie.“, bemerkte Derek, der Mom verwundert ansah, als sie meine Sachen neben mich legte.
„Zieh das an, Schatz.“, meinte sie zu mir.
Ich seufzte tief, starrte die beiden Sachen kurz an und stand dann auf. Ich verzog mich mit meinen Sachen ins Gästebad, das in der unteren Etage war und zog mich da schnell um. Natürlich hatte Mom dabei direkt an frische Unterwäsche gedacht. Die nasse Wäsche brachte ich direkt in den Waschraum und ging dann wieder ins Wohnzimmer, wo ich abrupt stehen blieb. Derek hatte sich gerade das nasse T-Shirt ausgezogen und trug bereits eine Hose von Taylor. Dieser stand am Regal mit dem DVDs und grübelte angestrengt.
„Wofür bist du? Fluch der Karibik

oder Gesetz der Rache

?“, fragte er in den Raum.
Mein Blick klebte an Derek, der mit Taylors T-Shirt in den Händen inne hielt und meinen Bruder irritiert ansah. „Äh... Gesetz der Rache. Den kenne ich nicht. Was ist das für ein Film?“
„Ein Thriller oder so. Die Hauptperson ist Kiddys Lieblingsschauspieler. Gerald Butler. Sie hat mich mal dazu gezwungen, mir mit ihr den Film P.s. Ich liebe dich

anzusehen.“
„Gezwungen? Du bist doch der Ältere.“
„Das mag zwar sein, aber wenn Kiddy es drauf anlegt, wickelt sie einen um ihren kleinen Finger.“
Ich blinzelte verdutzt und sah zwischen Derek und Taylor hin und her. Als mein Bruder sich umdrehte um Derek anzusehen, fiel sein Blick auf mich.
„Wie lange stehst du schon da?“, wollte er von mir wissen.
Ich legte mir einen Finger an die Lippen, während ich mich zwang nicht zu Derek zu sehen, als er sich überrascht zu mir umdrehte. „Seit du ihn gefragt hast, ob ihr Fluch der Karibik

oder Gesetz der Rache

sehen wollt.“
Mein Bruder fluchte leise, während ich mich auf meinen Platzt setzte und aus dem Augenwinkel zu Derek herüber sah. Ich biss mir auf die Unterlippe und konzentrierte mich dann auf meinen Kakao. Ich bekam kaum mit, dass Taylor einen Film einlegte. Als der Film begann, sah ich abrupt auf und begann zu grinsen.
„Hach, ich liebe diesen Typen.“, meinte ich lächelnd.
Mein Bruder lachte leise, setzte sich neben mich, legte mir einen Arm um die Schultern und zog mich an sich. „Ich dich auch, Kleines.“
Ich kicherte, kuschelte mich an ihn und trank genüsslich meinen Kakao, während ich mit den Anderen den Film sah. Ich bemerkte nicht, wie ich gegen Ende des Filmes einschlief, wachte dann aber abrupt auf, als Taylor vorsichtig aufstand.
„Entschuldige.“, meinte er als er bemerkte, dass er mich geweckt hatte.
Derek schien ebenfalls zu schlafen, denn ich hörte ein leises Schnarchen aus seiner Richtung. Ich hörte, wie Taylor die CD weglegte und dann zu Derek herüber ging.
„Hey.“, meinte er halblaut, „Hey, aufwachen. Nur weil meine Schwester dich mag, kannst du nicht einfach hier im Wohnzimmer übernachten.“ Einen Augenblick lang war es still. Dann hörte ich ein verschlafenes murren und eine Berührung an meinem Hintern. Dann war ein Klatschen zu hören.
Ich zuckte zusammen und sah müde zu den Beiden herüber. Derek saß aufrecht auf der Couch und sah Taylor verdutzt an. Seine Hand glitt zu seiner Wange, die überraschend rot geworden wurde.
„Du solltest irgendwann auch mal nach hause gehen.“, erklärte Taylor Derek.
„Und wofür war der Schlag?“, fragte Derek darauf.
„Du hast zwar geschlafen aber...“ Taylor zuckte mit den Schultern. „Ich hab dir gesagt, du sollst meine Schwester nicht anfassen.“ Er zog die Brauen zusammen. „Ich muss noch mit Drew sprechen. Aber vorher... Ich bin nicht wirklich erpicht darauf, dass du hier schläfst.“
Derek rieb sich noch einen Augenblick über die Wange. Dann stand er auf und schlurfte zur Tür. „Dann... bis irgendwann.“
„Tschüss.“
Nachdem Derek gegangen war, wand Taylor sich an mich. Er zog mich sanft an sich, um mich auf die Arme zu heben. Ich seufzte müde und kuschelte mich an ihn.
„Warum hast du ihn geschlagen?“, wollte ich nuschelnd von ihm wissen.
„Er hat dich angefasst.“
Ich murrte. „Ich hab ihn gern.“
„Mit ihm stimmt etwas nicht.“
„Du kennst ihn nicht.“
Er seufzte leise. „Ich weiß. Aber wenn er es ernst mit dir meint, dann soll er sich an die Regeln halten. Wenn er dich anfasst, mach ich ihn kalt, Kendra.“
„Du kannst doch nicht jeden verprügeln, der mich umarmt.“
„Nein. Aber ich kann jedem den Arm brechen, der dich küsst.“
Ich schlug ihm schwach gegen die Schulter. „Taylor.“
„Ach, Kiddy.“ Er legte mich in mein Bett, legte sich zu mir und hielt mich umschlungen. „Ich möchte doch nur, dass du nicht an den falschen gerätst. Ich war mal genauso. Ich weiß, woran man solche Leute erkennt. Mit ihm ist irgendwas, das weiß ich.“
„Ich finde ihn ganz in Ordnung.“
Wieder seufzte Taylor. Er streichelte mir mit einer Hand übers Haar und küsste mich auf die Stirn. „Das heißt aber nicht, dass ich mich zurückhalten werde.“
„Hmmm.“
Ich merkte noch, wie er mir das Haar aus dem Gesicht strich, bevor ich wieder einschlief.

Ich wurde von dem Schrillen klingeln meines Weckers wach und tastete blind danach. Als ich ihn endlich ertastet hatte, versuchte ich es per Knopfdruck zum schweigen zu bringen. Als es mir nicht gelang, öffnete ich müde die Augen und richtete mich langsam auf. Es war drei Tage her, dass Derek zu Besuch war. Zwei Tage später, hatte er eine gebrochene Nase. Ich hatte mit Taylor darüber gesprochen, woraufhin er mir alles nochmal erklärt hatte. Derek sollte sich an die Regeln halten, wenn er es ernst mit mir meinte. Dann würde nichts passieren.
Eine Stunde später verließ ich das Haus und ging zu meinem Fahrrad. Ich dachte in letzter Zeit viel an Derek. Er brachte mich zum Lächeln, munterte mich auf und hörte mir bei vielen Dingen zu. Ich konnte nicht definieren, wie sehr ich ihn mochte.
An der Schule angekommen, stellte ich mein Fahrrad an die vorgesehenen Ständer und schloss es ab. Auf dem Weg zur Klasse hing ich wieder in Gedanken, sodass ich den Jungen nicht kommen sah. Ich stieß mit ihm zusammen, landete auf meinen vier Buchstaben und sah verdutzt auf.
„Du schon wieder.“
Ich blinzelte verwirrt in Kadens Augen. „Was?“
„Wie kommt es, dass ich nur mit dir zusammen stoße? Bist du halbblind, oder so?“
Ich zog die Brauen zusammen. „Nein. Ich... Ich hab nicht aufgepasst.“ Etwas schwerfällig, weil ich meine Tasche auf meinem Rücken vergessen hatte, stand ich auf und fiel fast wieder hin, weil ich zu viel Gewicht auf dem Rücken hatte. „Oh.“, rutschte es aus mir heraus, als ich erneut auf meinem Hintern landete.
Kaden zog eine Braue hoch, zögerte etwas und reichte mir dann seine Hand. Ich ergriff sie zaghaft und ließ mir von ihm aufhelfen, wobei mir etwas in seinem Gesicht auffiel. Ich zog die Brauen zusammen.
„Ist etwas passiert?“, fragte ich unwillkürlich.
„Was?“
Ich deutete auf sein rechtes Auge und seine linke Wange. „Du hast eine blaues Auge und einen Bluterguss auf der Wange.“
Er hob die Hand an sein Auge und wand den Blick ab. „Das ist nichts.“ Damit schob er sich an mir vorbei und verschwand um die nächste Ecke.
Ich sah ihm verwundert hinterher, ging dann aber weiter zur Klasse. Derek war noch nicht da. Er kam immer ein wenig später als ich.
Mir fiel wieder Kadens blaues Auge ein. Ob er sich wohl geprügelt hat? Dabei machte er einen ganz ruhigen Eindruck. Er schien kein Mensch zu sein, der sich prügelte.
Aber was weiß ich schon?

Ich seufzte. Ich weiß gar nichts über ihn. Nur das er offenbar immer nur das eine von Frauen möchte.

Was schade war. Ich schüttelte den Kopf. Kaden war arrogant. Ich mochte ihn nicht.
Dachte ich.

„Kendra.“
Ich sah zu Derek auf. „Ja?“
„Hättest du Lust mit mir ins Kino zu gehen? Ich hab gehört, es soll ein richtig guter Film laufen.“
Ich wollte gerade etwas sagen, als hinter mir plötzlich ein Mädchen nach Kaden rief. Ich drehte mich verwirrt um. Kaden selbst, der drei Tische weiter saß, sah abrupt von seinem Essen auf und sah das Mädchen überrascht an. Dann begann er zu lächeln. Ich hielt den Atem an. Er sah trotz des blauem Auges einfach umwerfend aus.
„Happy Birthday!“, rief das Mädchen durch die Cafeteria und eilte auf Kaden zu.
Dieser wurde etwas rot, fing sie auf als sie ihm in die Arme sprang und umarmte sie herzlich. Sie küsste ihn auf die unversehrte Wange und lächelte ihn offenbar von ganzem Herzen an. Als er sie so ansah, schien sein Gesicht ganz weich zu werden. Sie zog die Brauen zusammen, berührte ihn an der blauen Wange und dem Auge, während sie etwas zu ihm sagte. Kaden atmete aus, erwiderte etwas und erzählte ihr etwas, während er ihr das Haar aus dem Gesicht strich.
„Kendra?“
Ich blinzelte und sah wieder zu Derek. „Hm?“
„Hättest du Lust?“
Ich öffnete den Mund, schloss ihn wider und nickte dann lächelnd. „Gerne. Wann?“
Er lächelte erleichtert. „Wie wäre es mit heute Abend?“
„Äh... Ja okay. Sagen wir um-“
„Nein. Teresa, lass das, ich-“
Wieder drehte ich mich zu Kaden und dem Mädchen um und blinzelte, als ich feststellte, dass er direkt hinter mir stand. Das Mädchen stand lächelnd hinter ihm. Sie ging ihm gerade bis zum Kinn. Sie flüsterte ihm etwas zu, woraufhin er ihr einen finsteren Blick zuwarf.
„Du bist Kendra, oder?“, wollte sie dann von mir wissen.
Ich nickte und zog die Brauen zusammen. Derek seufzte tief.
„Kaden möchte dich etwas fragen.“
„Möchte ich nicht.“, warf er ein, „Das ist eine ganz ganz schlechte Idee.“, zischte er ihr dann zu.
„Du hast heute Geburtstag.“, zischte sie zurück und sah dann wieder zu mir. „Also, er möchte fragen, ob du heute auf seine Party kommen möchtest.“
Kaden atmete frustriert aus und sah durch die Cafeteria. Ich sah die Beiden mit offenem Mund an.
„Sie ist heute mit mir verabredet.“, erklärte Derek spitz.
Ich wollte gerade etwas sagen, als Kaden bereits wieder mit dem Mädchen sprach.
„Hörst du? Sie hat keine Zeit, also lass uns wieder zurück gehen.“
„Nun warte doch mal.“ Sie stieß ihm das Ellenbogen in die Seite, woraufhin er schmerzhaft das Gesicht verzog. „Oh, entschuldige! Das tut mir so leid.“
„Lass uns einfach wieder an den Tisch gehen.“
„Ich... kann Derek doch mitnehmen.“
Kaden sah mich starr an. Das Mädchen lächelte breit.
„Das ist super!“, meinte sie begeistert, „Seit heute Abend um 20 Uhr da.“
Ohne weitere Worte abzuwarten, schob sie Kaden wieder zurück, während Derek mich entrüstet ansah.
„Ich dachte, du möchtest mit mir ins Kino gehen.“, meinte er als die Beiden außer Hörweite waren.
„Ja, aber... Wir können ja morgen gehen und heute auf die Geburtstagsparty gehen.“, gab ich zurück und sah auf mein Essen herab.
Er atmete schwer aus. „Ich bin nicht sonderlich erpicht darauf, dahin zu gehen. Und morgen habe ich keine Zeit. Deshalb wollte ich heute mit dir gehen.“
„Aber ich würde schon gerne auf den Geburtstag gehen.“
„Aber ohne mich.“
„Aber... Derek. Ich möchte den Abend mit dir verbringen.“
„Auf dem Geburtstag eines Jungen den ich nicht leiden kann?“
„Ich... Ich... Also... Er hat ja Geburtstag und... er hat mir auch einen Gefallen getan, also-“
„Einen Gefallen?“, unterbrach er mich.
Ich nickte. „Ja.“
„Was für einen Gefallen?“
Ich hob meine Tasche hoch. „Die hab ich von ihm. An dem Tag, an dem meine Tasche kaputt gegangen ist.“
„Einfach so?“, hakte er nach.
Ich stellte sie wieder auf den Boden. „Warum nicht?“
„Es ist Kaden.“, gab er zurück, als wäre es Grund genug. „Er verschenkt nicht einfach irgendwelche Sachen, ohne etwas dafür zu verlangen.“
Ich seufzte. „Kannst du nicht trotzdem mitkommen?“
„Du willst immer noch dahin?“
„Warum denn nicht?“, fragte ich zurück, während ich mich fragte, warum Derek ihn so wenig leiden konnte.
Er rückte zu mir herüber und nahm meine Hand. „Ich habe Angst um dich Kendra.“
Mir blieb der Mund offen stehen.
„Du weißt nicht, was er schon alles getan hat. Man sagt, er habe schon einige Mädchen vergewaltigt. Aber weil man ihm nichts nachweisen konnte, kann er weiter leben ohne auch nur eine Buße dafür zahlen zu müssen.“
„Ab-Aber … Ich wollte mich doch nur damit für die Tasche bedanken.“
Er atmete frustriert aus, lehnte sich zurück und ließ meine Hand los. „Ich werde nicht zu diesem Geburtstag gehen.“ Mit diesen Worten wand er sich wieder seinem Essen zu.
Ich senkte leise seufzend den Kopf und tat es ihm nach, während ich darüber nachdachte, ob ich nun zu Kaden oder mit Derek ins Kino gehen sollte.

Als ich drei Stunden später Zuhause ankam, hatte ich mich immer noch nicht entschieden. Ich fluchte leise vor mich hin und ging direkt hinauf in mein Zimmer, wo ich mich unkonzentriert an meine Hausaufgaben setzte. Als ich um 17 Uhr immer noch daran saß, sah Taylor hinein und kam zu mir herüber.
„Warum brauchst du heute so lange?“, wollte er verwundert wissen und sah mir über die Schulter.
„Ich kann mich nicht konzentrieren.“, gab ich zurück und ließ meinen Kopf auf meinen Armen sinken. „Kaden hat heute Geburtstag und ich wurde eingeladen mit Derek dahin zu gehen. Aber der möchte lieber mit mir ins Kino gehen. Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll. Zu Kaden, der Geburtstag feiert oder zu Derek, der mit mir ins Kino gehen möchte?“
Taylor hob eine Braue. „Wer ist Kaden?“
„Ach, das ist so eine Junge auf meiner Schule. Er ist eine Klasse über mir. Derek sagt, er würde zu der Sorte Mann gehören, die Frauen nur ins Bett bekommen wollen und ihnen dann nicht einmal eines Blickes würdigen. Aber als meine Tasche in der Schule kaputt gegangen ist, hat er mir eine neue geschenkt, also möchte ich zu seiner Geburtstagsparty gehen. Aber ich möchte auch mit Derek ins Kino gehen. Morgen hat er keine Zeit.“
Er schürzte die Lippen und hob eine Braue. „Du hast wohl vergessen, dass du heute auch keine Zeit hast.“
Ich sah ihn verdutzt an.
„Wir gehen doch heute Abend alle zusammen essen. Nachdem wir den Film im Kino gesehen haben, den Mom so unbedingt sehen möchte.“
Ich fasste mir an den Kopf. „Das hab ich ganz vergessen!“
Er zerzauste mir grinsend das Haar und küsste mich auf die Stirn. „Am besten du sagst beiden ab.“
„Da gibt es nur ein kleines Problemchen.“
Er sah mich fragend an.
„Ich habe Kadens Nummer nicht.“
„Oh. Na dann...“ Er schürzte die Lippen. „Komm mit, wir fahren kurz hin.“
Ich blinzelte irritiert. „Was?“
„Du musst ihm sagen, dass du nicht kannst.“
„Aber... ich habe nicht mal ein Geschenk.“
Er dachte eine Weile nach. Dann winkte er ab. „Ich lass mir was einfallen. Mach dich fertig. Ich sag Mom und Dad, dass sie schon mal losfahren können. Wir fahren direkt nach dem Besuch bei Kaden ins Kino.“
Ich seufzte und nickte.
„Die Hausaufgaben kannst du ja später noch machen.“
Er lächelte mich an und verließ das Zimmer. Daraufhin ließ ich alles so liegen wie es war, stand auf und begann mich umzuziehen. Dann legte ich noch ein wenig Make up auf. Das tat ich selten und auch nur zu besonderen Anlässen. Und für meine Familie war es ein besonderer Anlass zusammen ins Kino und danach essen zu gehen. Als ich fertig war, ging ich hinunter, wo Taylor bereits wartete.
„Da bist du ja. Hast du alles?“, wollte er von mir wissen und hielt mir die Tür auf.
Ich nickte und hielt die Handtasche hoch, in der ich mein Handy, mein Portmonee, meine Kamera und Taschentücher hatte. „Ja. Alles dabei.“
Er schloss hinter mir die Tür, schloss ab und stieg mit mir in sein Auto. „Okay. Erzähl, wo wohnt er?“
Ich grübelte kurz und nannte ihm dann die Adresse. Dann holte ich mein Handy aus der Handtasche um Derek eine SMS zu schreiben, in der ich ihm erklärte, warum ich nicht kommen konnte. Seine Antwort kam fünf Minuten später. Er fand es in Ordnung und freute sich, mich morgen in der Schule wieder zu sehen. Kurz darauf hielt der Wagen wieder an. Es brach bereits langsam die Dämmerung an und in dem Haus vor dem wir gehalten haben war Musik zu hören. Noch bevor ich etwas machen konnte, stieg Taylor aus dem Auto und öffnete mir die Tür. Ich lächelte ihn dankbar an und ging mit ihm zur Haustür, wo ich klingelte und mit Taylor hinter mir wartete.
Ich sah ihn über meine Schulter hinweg leicht besorgt an. „Glaubst du, er wird mir böse sein?“
Er sah mich zweifelnd an. „Er wird es schon verstehen, Kiddy.“
Ich seufzte und drehte mich wieder um. Direkt darauf wurde die Tür geöffnet. Ein Junge, den ich nicht kannte, rief jemand anderem noch etwas zu, bevor er sich zu mir umdrehte und eine Braue hob.
„Hallo.“, begrüßte er uns, wobei er das o lang zog und mich anzüglich an sah, bevor er begann zu grinsen. „Kennen wir uns?“
„Äh nein.“, erwiderte ich zögernd.
Er grinste etwas mehr, nun eher freundlich. „Dann also eine Freundin von unserem Geburtstagskind.“ Er drehte sich um. „Hey Kade! Da ist noch ein Gast für dich!“ Er sah mich nochmal kurz an. „Sie ist zwar in Begleitung aber ziemlich hübsch!“
Es dauerte nur einen Augenblick, bis Kaden an der Tür war. „Du musst nicht lauter als die Musik sein, damit man dich versteht. Bei deinem Gekrächze würde sogar Dudley aufwachen.“, neckte er den Jungen vor mir leicht grinsend.
„Ich wollte mir nur sicher sein, dass du mich auch hörst, kleiner Bruder.“
„Ja ja.“ Kaden schob seinen Bruder beiseite und lächelte leicht als er mich sah. „Hey.“
Ich lächelte zurück. „Hallo Kaden. Ähm... Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“
Eine leichte Röte stieg ihm ins Gesicht. „Dankeschön.“ Dann sah er zu Taylor. „Ähm... Hallo. Wir kennen uns, glaube ich, noch nicht.“
Taylor reichte ihm an mir vorbei die Hand. „Ich bin Taylor. Kendras Bruder.“
„Ich bin Kaden. Äh... ein Mitschüler.“
„Sie hat mir schon ein bisschen von dir erzählt.“
„Oh.“ Er sah etwas zögernd wieder zu mir. „Also... Kommt ihr rein oder...?“
„Ich... kann heute leider nicht.“, gab ich zurück, „Ich hatte es total vergessen. Ich gehe heute mit meiner Familie ins Kino und dann essen.“
Er sah etwas enttäuscht aus. „Ach so. Verstehe.“
„Aber ich wollte auf jeden Fall einmal da gewesen sein.“, fuhr ich fort, „Ich wusste allerdings nicht, was ich dir- äh.“ Ich unterbrach mich, als Taylor mir um meine Tallie herum etwas in die Hand drückte. Ich sah darauf herab und blinzelte überrascht als ich eine Mundharmonika sah. Ich sah zu Kaden auf, der überrascht auf den Gegenstand in meiner Hand sah. „Also... Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“
Er sah zu mir auf, schluckte und sah wieder auf die Mundharmonika. „Ich... Bist du... Ich meine- Das kann ich nicht annehmen.“
Ich blinzelte verwundert. „Warum? Es ist ein Geschenk. Zum Geburtstag.“
„Das- Nein. Also- Ich kann das nicht annehmen.“
Ich sah unsicher zu Taylor, der mich nur anlächelte. Dann sah ich wieder zu Kaden. „Ich... verstehe nicht so richtig. Ich schenke es dir.“
„Kade? Warum dauert das so lange?“
Neben ihm tauchte eine junge Frau auf, die ihm etwas ähnlich sah. Er sah noch einen Augenblick auf die Mundharmonika und sah sich dann über die Schulter zu der Frau, die von mir zu Kaden und wieder zurück sah.
„Wer sind die?“, wollte sie dann wissen als sie Taylor sah.
Sie hatte die selben Augen wie Kaden. Und das selbe Haar. Sie war aber ein wenig dunkler als Kadens, was mich erheblich wunderte.
„Das ist Kendra. Sie ist auf meiner Schule. Und das ist ihr Bruder Taylor.“, erklärte Kaden der Frau, „Ähm... Das ist Veronica, meine Schwester.“
Ich hob die Hand. „Hallo.“
Sie sah mich etwas verblüfft an, lächelte dann aber freundlich. „Es freut mich dich kennen zu lernen. Dich auch.“ Sie reichte erst mir, dann Taylor die Hand, die er an meiner Tallie vorbei ergriff.
„Mich ebenfalls.“, erwiderte er. Sein Tonfalls ließ mich ein wenig stutzen.
„Wieder zu dir Brüderchen.“ Veronica sah wieder zu Kaden. „Warum dauert das alles so lange? Deine Freunde warten. Und Logan kann gehen, wenn er nicht aufhört mich anzufassen.“
Kaden sah seine Schwester entrüstet an. Dann eilte er ins Haus, woraufhin sie ihm verwirrt hinterher sah und sich dann wieder an uns wand.
„Nun ja... Warum kommt ihr nicht rein?“, wollte sie von uns wissen.
Ich sah wieder zu Taylor, der daraufhin für mich antwortete und Veronica alles erklärte. Sie verstand die Situation sofort und bedauerte, dass wir nicht bleiben konnten.
„Wir können ja morgen nochmal eine kleine Party machen.“, schlug sie vor, „Unsere Eltern sind für ein paar Tage nicht da, sonst hätte Kaden jetzt ein großes Problem. Wann habt ihr Zeit?“
„Morgen gehen wir zu Großmutter.“, meinte Taylor an mich, „Mom möchte, dass du dabei bist.“
Ich nickte. „Und übermorgen bin ich mit Derek verabredet.“
Veronica sah mich erschrocken an. „Derek? Derek Gregson?“
„Ja.“
„Ach du meine Güte. Wen hat Kaden da denn mitgebracht?“ Sie fasste sich an den Kopf.
„Wie bitte?“, wollte Taylor wissen.
Sie schüttelte den Kopf. „Nicht so wichtig. Also... ich weiß nicht, wie lange Kaden noch braucht.“
„Ist schon okay.“, gab ich zurück, „Könntest du ihm... das hier gegeben? Er wollte es nicht annehmen, aber es ist ein Geschenk.“
Sie sah auf die Mundharmonika und sah sie verdutzt an. „Wundert mich nicht.“ Sie nahm sie mit zusammen gezogenen Brauen entgegen. „Er hat auch einen guten Grund dafür.“ Sie schwieg einen Augenblick lächelte uns dann aber wieder an. „Also... ich sag ihm, dass ihr dann gegangen seit. Ich möchte euch nicht länger aufhalten.“
„Ist schon in Ordnung.“, gab Taylor zurück., „Kommst du, Kiddy?“
Ich zögerte noch etwas, drehte mich dann aber zu Taylor um und stieg zu ihm in den Wagen.
„Warum hat er ein blaues Auge?“, wollte er nachdenklich wissen, „Und einen Bluterguss auf der Wange?“
„Ich weiß es nicht.“, gab ich zurück, „Ich habe ihn heute morgen gefragt, aber er sagte, es sei nichts.“
Es wurde still im Auto, woraufhin Taylor kurz darauf das Radio anschaltete, jedoch leise genug, dass man sich noch verstehen konnte. Ich seufzte leise und lehnte mich an die Autotür, während ich aus dem Fenster sah.
„Was meinte seine Schwester, als sie sagte, wen er da mitgebracht habe?“, fragte er irgendwann.
Ich seufzte leise. „Ich weiß es nicht. Ich kenne Kaden nicht so gut. Aber er und Derek können sich nicht leiden.“
„Sag noch mehr solche Dinge über Kaden und ich fange noch an ihn zu mögen.“
Ich sah Taylor verwirrt an. „Warum?“
„Mit diesem Derek stimmt etwas nicht, Kiddy.“
Ich atmete lange aus. „Du kennst ihn nicht.“
„Du doch auch nicht.“
„Aber besser als du. Und Kaden kenne ich weniger.“
Er sah mich kurz von der Seite an, sah dann aber wieder auf die Straße.
„Ich habe dir doch gesagt, dass Derek mir erzählt hat, dass Kaden nur das eine von Frauen möchte. Er sagt, Kaden flirtet mit ihnen und sobald er mit ihnen im Bett war, sieht er sie nicht einmal mehr an.“
Mein Bruder sah nachdenklich auf die Straße. „Woher weißt du, dass es stimmt?“, wollte er dann wissen.
Ich sah ihn mit offenem Mund an. „Willst du damit sagen, Derek lügt mich an?“
„Ich möchte dir damit sagen, dass nicht alles stimmt, was man dir sagt. Vielleicht ist es nur ein Gerücht, dass er gehört hat. Und Gerüchte müssen nicht immer stimmen.“
Ich schnaubte und sah wieder aus dem Fenster.
„Kiddy, ich kenne Gloria, seine Schwester. In der Szene in der sie lebt, ist sie als Matratze bekannt. Es gefällt mir nicht, wenn du dich mit ihrem Bruder triffst.“
„Nur weil seine Schwester so ist, heißt es doch nicht, dass er auch so ist!“, rief ich empört aus.
„Ich möchte dich nur warnen Kendra. Ich kenne Gloria schon sehr lange. Das ist kein einfacher Charakterzug an ihr. Es liegt an ihrer Erziehung, dass sie so geworden ist. Ihre Eltern haben sie falsch erzogen.“
„Taylor, hör auf damit.“
Irgendwas an meinem Tonfall brachte ihn dazu zu mir zu sehen. Er sah danach sofort wieder auf die Straße und atmete langsam durch.
„Ich habe einfach Angst um dich, okay? Versprich mir, dass du auf dich aufpasst.“
Ich seufzte leise und nickte. „Ich verspreche es dir.“
„Gut. Und was Kaden angeht-“
„Ich weiß. Wenn er mich anfasst, machst du ihn kalt.“
Er lachte leise. „Das sowieso. Aber ich wollte etwas anderes sagen.“
Ich sah zu ihm herüber.
„Er hat eine hübsche Schwester.“
Unwillkürlich musste ich lächeln und sah auf die Straße. Kaden sah auch nicht schlecht aus.

Als ich den Schulhof betrat, hatte die Stunde bereits begonnen. Ich lief quer über die Wiese, sprang über das kurze Beet und eilte ins Gebäude, wo ich durch die Gänge rannte. Als ich um eine Ecke rannte, wäre ich beinahe mit jemandem kollidiert, konnte uns aber noch rechtzeitig retten, indem ich meine rechte Schulter nach hinten zog und mich quasi um ihn herum drehte. Hinter ihm blieb ich stehen und sah zu ihm, während er sich zu mir umdrehte.
„Du bist ein bisschen spät dran, oder?“
Ich konnte nicht antworten. Mir blieb der Atem weg. Es war Kaden. Und er sah nicht gut aus. Sein Bluterguss auf der Wange sah aus, als hätte man noch einmal darauf geschlagen und die rechte Seite seines Kiefers war ebenfalls blau gefärbt. Sein Auge sah schon etwas besser aus, doch die Braue darüber war offenbar verletzt. Und er hielt sich sichtbar schmerzhaft die linke Seite.
„Ist alles in Ordnung?“, wollte ich von ihm wissen.
Er drehte den Kopf weg. „Geh weiter. Du bist schon zu spät.“
„Du aber auch.“
Er winkte ab. „Kein Grund für dich noch später zu kommen.“
„Wurdest du verprügelt?“
Er bewegte sich nicht. „Das geht dich nichts an. Verschwinde.“ Damit ging er weiter und ließ mich stehen. Ich stand noch einen Augenblick so da, erinnerte mich jedoch dann an die Uhrzeit und eilte weiter.

„Warum bist du heute so spät gekommen?“
Ich setzte mich mit Derek an unseren Stammplatz und rieb mir über die Schläfe. Als ich die Klasse zur Pause verlassen wollte, hatte jemand die Tür zu geworfen und ich bekam sie mit voller Wucht an den Kopf.
„Ich habe den Bus verpasst.“, nuschelte ich.
„Und wie geht’s deinem Kopf?“ Das fragte er nun zum vierten Mal.
„Er tut wahnsinnig weh.“
„Soll ich dir eine Schmerztablette besorgen.“
Ich atmete lange aus. „Nein. Es ist schon in Ordnung.“
Er nahm mich vorsichtig am Kinn und drehte mein Gesicht zu sich. „Ich glaube, du bekommst da eine Beule. Sieht ziemlich schlimm aus. Ich sollte dich ins Krankenzimmer bringen.“
„Das ist nicht nötig.“, entgegnete ich und schob seine Hand beiseite.
„Kendra?“
Ich sah auf, als ein Junge aus meiner Klasse neben mich trat und mich entschuldigend ansah. „Ja?“
„Ich wollte mich entschuldigen. Ich hab die Tür zugeworfen. Ich wusste nicht, dass du dahinter stehst.“
Ich machte eine wegwerfende Bewegung. „Halb so wild.“
„Das sieht aber ziemlich böse aus.“, gab er zurück und sah auf meine Stirn.
Ich presste die Lippen aufeinander und lehnte mich nach vorn. Sobald ich zuhause war, würde ich mir von Taylor einen Pony schneiden lassen.
„Vielleicht solltest du ins Krankenzimmer gehen.“, schlug der Junge vor.
Ich stöhnte. „Mir geht’s gut, okay? Ich brauche keine Tabletten und ich muss auch nicht ins Krankenzimmer.“
Ein Mädchen, dass in der Klasse zwei Plätze weiter saß, setzte sich zu uns und sah mich leicht besorgt an. „Hallo Kendra. Die Beule da sieht ziemlich schlimm aus. Möchtest du eine Aspirin?“
Ich stöhnte, sprang auf und ging mit eiligen Schritten hinaus auf den Schulhof. Kaum machte ich fünf Schritte, stieß ich schon mit jemandem zusammen. Unglücklicherweise stieß meine Stirn dabei an das Kinn der anderem Person.
Ich stöhnte vor Schmerz auf, hielt mir die Stirn und fluchte leise, während mir vor Schmerz Tränen in die Augen kamen. Die Person, mit der ich zusammen gestoßen bin reagierte ähnlich.
„Verflucht nochmal, pass doch mal auf!“, riefen wir zugleich aus und sahen uns dann verwundert an.
„Das darf doch wohl nicht wahr sein.“, meinte Kaden aufgebracht, „Verfolgst du mich, oder was?“
„Ich dich verfolgen?“, gab ich zurück, „Warum sollte ich? Ich flüchte nur vor von Sorge besessenen Mitschülern.“ Während ich das sagte, rieb ich mir die schmerzende Stirn und wischte mir die Tränen aus den Augen.
Kaden fluchte leise. „Du fängst doch jetzt nicht an zu heulen, oder?“
„Nein, natürlich nicht.“, antwortete ich schnippisch, merkte jedoch wie meine Stimme zitterte. Verdammt nochmal

.
Kaden sah mich entsetzt an. „Ni-nicht weinen.“, meinte er panisch, „Fang jetzt nicht an zu weinen.“
„Ich weine nicht, du Idiot.“, gab ich zurück, spürte jedoch den Beweis dafür, dass ich es doch tat, an meiner Wange. Leise fluchend wischte ich die Träne weg.
Kaden sah sich hilflos um. „Hör auf zu weinen. Verflucht nochmal, lass das.“ Er sah wieder zu mir und sah wortwörtlich entsetzt aus, als er die Beuel an meiner Stirn sah. „Verdammt, jetzt weiß ich wieder, warum ich nie eine Beziehung eingegangen bin. Hör auf zu heulen.“ Er sah abwechselnd von meiner Stirn zu meinen Augen. „Bin ich das gewesen?“
Ich schüttelte den Kopf, schloss dann aber gequält die Augen, als der Schmerz durch meine Schläfen zuckte. „Nein. Ich habe eine Tür an den Kopf bekommen.“, gab ich zurück und verdammte mich dafür, dass sich meine Stimme so verweint anhörte.
„Hör mal, ich wollte dich nicht anrempeln, okay? Du warst nur so plötzlich da und ich konnte nicht mehr ausweichen. Ich sag was du willst, aber hör endlich auf zu heulen.“
Als ein Mädchen aus der Parallelklasse heraus kam und uns sah, blieb sie abrupt stehen. Dann sah sie, dass ich weinte und sah Kaden finster an. „Was hast du gemacht?“, wollte sie sofort wissen.
Er sah verwirrt zu ihr. „Was?“
„Was hast du ihr angetan?“, fragte sie erneut.
„Ich habe nichts getan.“, gab Kaden zurück und sah wieder zu mir.
„Kendra?“, wand sich das Mädchen darauf an mich, „Hat er irgendwas gemacht?“
Ich schüttelte nur den Kopf und ging an Kaden vorbei. Das Mädchen verstand es offenbar falsch und schimpfte mit ihm, während er kläglich versuchte sich zu verteidigen. Teilweise verhielt er sich dabei relativ grob. Ich beachtete es nicht mehr und setzte mich weit entfernt von den beiden auf eine Bank. Ich war froh, dass es Sommer war.
Ich zog meine Nase hoch und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Irgendwann fand mich Derek.
„Mein Gott, ich dachte schon, ich finde dich nicht mehr.“, meinte er erleichtert und setzte sich zu mir. „Geht es dir schon besser?“
Ich nickte. „Ja.“, log ich. Mein Kopf tat noch mehr weh als vorher.
Er legte mir einen Arm um die Schultern und zog mich an sich, woraufhin ich meinen Kopf an seine Schulter lehnte. „Ich habe mir ganz schön Sorgen um dich gemacht.“
„Mir geht’s gut.“, murmelte ich.
Er erwiderte nichts. Stattdessen saßen wir einfach nur zusammen auf der Bank und genossen die Wärme der Sonne. Als es zum Unterricht klingelte, standen wir auf und machten uns auf den Weg. Derek musste allerdings in eine andere Klasse als ich.

Mit einem Schmunzeln auf den Lippen setzte er sich auf seinen Platz. Sein bester Freund kam kurz nach ihm.
„Und? Wie läuft’s mit ihr?“, wollte er wissen.
Er grinste seinen Freund an. „Ich bin mir sicher, dass es nicht mehr lange dauert. Noch eine Woche, dann hab ich sie. Du kannst schon mal die Party planen.“
„Und du bist dir sicher, dass sie kommt?“
„Sie frisst mir schon fast aus der Hand. Natürlich wird sie dann kommen. Lade ruhig so viele Leute ein wie du willst. Aber nicht bei mir.“
Sein bester Freund nickte verständlich. „Ein Kollege von mir hat 'n Partykeller. Und das Schlafzimmer seiner Eltern soll ziemlich gemütlich sein.“
Mit einem dreckigen Grinsen nickte er und sah nach vorn als der Lehrer die Klasse betrat.

Bad Party


Drei Tage später sah ich Derek völlig verblüfft an. Er wurde zu einer Party eingeladen und bat mich mitzukommen.
„Ist das dein Ernst?“, wollte ich von ihm wissen.
Er nickte lächelnd. „Es gibt niemanden, mit dem ich lieber hingehen würde.“
Ich biss mir leicht auf die Unterlippe.
„Es würde mich wirklich sehr freuen.“
Ich druckste noch eine Weile herum, bevor ich schließlich zusagte. Er lächelte mich daraufhin glücklich an und küsste mich auf den Mundwinkel. Im selben Moment lief Kaden an uns vorbei. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf sein Gesicht und bekam eine Gänsehaut. Die Blutergüsse waren beinahe gänzlich verschwunden, doch er sah ziemlich schlecht gelaunt aus, als er den Blick von uns ab wand. Er hatte nicht viel mit mir gesprochen und war immer abweisend gewesen. Ab und zu wurde er ziemlich grob. Ich fragte mich, ob er zu jedem so war.
„Derek?“, meldete ich mich kurz darauf.
„Ja?“ Er stand nahe bei mir und betrachtete mich.
„Warum hatte Kaden Blutergüsse im Gesicht?“
Er zuckte mit den Schultern und wand den Blick von mir ab. „Hat sich wohl mit irgendwelchen Jungs geprügelt. Das macht er öfter.“
„Ach ja?“ Ich sah fragend zu ihm auf. „Warum?“
„Ist wohl so üblich in der Szene, in der er sich herum treibt.“
Ich zog die Brauen zusammen. „Was für eine Szene?“
Er warf mir einen kurzen Blick zu. Dann wand er ihn seufzend wieder ab. „Ich weiß nicht genau was es für eine ist. Ich weiß nur, dass es illegal ist.“
„Oh.“
„Komm, wir gehen ein bisschen an die frische Luft.“ Mit diesen Worten nahm er mich an der Hand und verließ mit mir das Schulgebäude. „Weißt du eigentlich wie schön du bist?“
Ich spürte, wie ich rot wurde und senkte ein wenig den Kopf. „Danke.“
Er lachte leise und legte mir einen Arm um die Tallie. In den letzten drei Tagen war er sehr aufmerksam zu mir gewesen. Er brachte mich nach hause, brachte mich zum lachen und war sehr liebevoll zu mir. Ab und zu hätte er mich beinahe geküsst, doch dann kam immer etwas dazwischen.
Als Derek einen Platz gefunden hatte, den er akzeptabel fand, setzte er sich mit mir und zog mich an sich. Ich lehnte mich mit einem leisen Seufzen an ihn und genoss seine Nähe. Warum nur musste ich in solchen Momenten immer an Kaden denken?
Ich schüttelte leicht den Kopf und lehnte ihn an Dereks Schulter. „Prügelst du dich eigentlich manchmal?“
„Nein.“, gab er direkt zurück, „Ich kann Prügeleien nicht leiden.“
Leicht lächelnd kuschelte ich mich an ihn. „Gut. Ich kann sie auch nicht leiden.“
Er lächelte auf mich herab. Dann verschwand das Lächeln langsam. „Ich würde dich gerne küssen.“
Ich senkte den Blick. Waren wir schon soweit? Was würde Taylor wohl sagen, wenn er es erfährt? Ich merkte wie mein Ohr zuckte. Er wäre natürlich wütend und würde Derek den Arm brechen. Oder den Kiefer.
Noch ehe ich den Gedanken weiter verfolgen konnte, zog Derek mich bereits am Kiefer zu sich. Wenige Zentimeter vor meinem Gesicht, hielt er jedoch inne.
„Derek, Mann! Wir suchen dich schon die ganze Zeit!“, ertönte hinter mir eine Stimme.
Frustriert schloss Derek die Augen und lehnte seine Stirn an meine, bevor er den Kopf hob. „Was ist denn?“
„Ach, du warst gerade beschäftigt.“
Er hob eine Braue. „Jetzt hast du uns schon unterbrochen. Was gibt’s?“
„Wir müssten da mal mit dir sprechen.“
Nun zog er die Brauen zusammen, entspannte sich dann aber kurz darauf wieder und stand auf. „Ich bin gleich wieder da, Liebes.“
Ich nickte und sah ihm noch kurz hinterher, als er mit drei anderen Jungs Richtung Schulgebäude ging. Einem von ihnen gab er einen kleinen Klaps auf den Hinterkopf. Ich schmunzelte ein wenig über die Geste und sah vor mir auf den Rasen. Ich seufzte leise und schloss die Augen. Die Sonne wärmte mich auf angenehme Weise. Kurze Zeit später öffnete ich sie wieder und sah instinktiv nach links.
Etwa zehn Meter entfernt saß Kaden auf einer Bank und starrte vor sich hin, die Hände in den Hosentaschen begraben. Als würde er meinen Blick spüren, hob er den Kopf und sah zu mir. Einen Moment starrte er mich an. Dann wand er den Blick wieder ab. Ich sah mich nach Derek um und als ich ihn nirgendwo sah, stand ich auf und ging zu Kaden herüber, um mich zu ihm zu setzen.
„Was willst du?“, wollte er grob wissen.
„Mit dir reden.“, gab ich zurück.
„Such dir einen Anderen zum reden.“
Ich zog die Beine an, schlang die Arme darum und legte meinen Kopf in seine Richtung darauf. „Alles in Ordnung?“
„Alles bestens.“
Mein Blick fiel auf seinen Kiefer. Dann fiel mir etwas anderes auf, was mich dazu brachte, die Hand zu heben uns sein Haar beiseite zu streichen. Er entzog sich mir sofort. Dennoch hatte ich den Bluterguss gesehen, der sich an der Seite seines Halses entlang zog.
„Was ist passiert?“, wollte ich besorgt wissen.
„Das geht dich nichts an. Verschwinde.“
Ich ließ nicht locker. „Hat man dich gewürgt?“
„Du nervst. Verzieh dich.“
„Erst, wenn du auf meine Frage antwortest.“
Entnervt drehte er sich zu mir. „Wie wäre es damit? Wenn du nicht gehst, mach ich Derek so wütend, dass er mir am liebsten den Hals umdreht.“
Ich zog die Brauen zusammen. „Wo ist dein Vorteil?“
„Schätzchen, dass wäre der Grund, weshalb er wütend auf mich wird.“
„Ich verstehe nicht.“
„Das ist mir egal. Jetzt hau endlich ab.“ Etwas blitzte in seinen Augen auf, woraufhin er schräg grinste. „Außer du hast Lust auf ein Stelldichein.“
Ich hob abrupt den Kopf. „Wie bitte?“
„Weißt du noch? Der Grund, weshalb Derek wütend wird.“
Jetzt verstand ich. „Vergiss es.“
„Dann zieh Leine.“
Ich schluckte. Würde er das wirklich tun? „Dann beantworte meine Frage.“
Sein Grinsen verblasste langsam. Stattdessen zuckte er mit den Schultern. „Wie du willst. Wenn du nicht gehen willst.“
Er zog mich am Nacken zu sich und drückte seine Lippen grob auf meine. Ich stieß ihn abrupt von mir weg und sah ihn entgeistert an. Eine ausdruckslose Maske sah zurück. Seine Augen sahen irgendwie trostlos aus.
„Jetzt geh weg.“, meinte er und wand sich wieder ab.
Ich zögerte etwas, stand dann aber auf und ging zurück. Beinahe wäre ich stehen geblieben. Derek stand an der Bank und sah Kaden wütend an, die Hand zur Faust geballt. Ich ging eilig zu ihm herüber.
„Du bist ja schon wieder da.“, meinte ich überflüssigerweise.
Er sah finster zu mir herab. „Was hast du mit dem zu tun?“
Ich legte ihm beschwichtigend die Hände auf die Brust. „Ich wollte nur mit ihm reden.“
„Das hat aber anders ausgesehen.“
„Ich wollte wirklich nur mit ihm reden. Ich hab ihm eine Frage gestellt und er wollte, dass ich gehe.“
„Ja, sicher.“
„Derek.“, murrte ich, „Du weißt doch, dass ich nichts mit ihm zu tun habe. Er sagte, wenn ich nicht gehe, tut er etwas, dass dich wütend machen würde. Ich wusste doch nicht, dass er mich dann küssen würde.“ Das war wenigstens die halbe Wahrheit.
Er seufzte tief und zog mich an sich. „Tut mir Leid. Es macht mich nur wahnsinnig ihn mit dir zu sehen.“
Mit geschlossenen Augen schmiegte ich mich an ihn und atmete seinen Duft ein. Er roch gut. Sein Gesicht vergrub er in meinem Haar und streichelte mir sanft über den Rücken. So standen wir eine Weile einfach nur da. Irgendwann lehnte er seine Wange an meine Schläfe und drehte mein Gesicht zu sich. Ich hatte das Gefühl, dass mein Herz beinahe stehen bleiben würde. Als er mich dann endlich küsste, dachte ich, mein Herz würde mir aus der Brust springen. Er war ganz sanft und vorsichtig, als könnte ich zerbrechen oder verschwinden.
Ich erwiderte den Kuss zaghaft und kam ihm ein wenig entgegen. Da ihn das wohl ermutigte, zog er mich im Nacken näher an sich und wurde etwas leidenschaftlicher. Es war einfach wunderschön.
Bis es zum Unterricht klingelte. Er löste sich langsam von mir und hielt mich noch ein paar Sekunden lang fest, wobei er seine Stirn an meine lehnte.
„Wir... sollten zum Unterricht gehen.“, meinte er halblaut.
Ich lehnte mich ein wenig an ihn. „Ich denke schon.“
Er sah mir in die Augen und begann zu lächeln. „Sehen wir uns später? Ich bringe dich nach hause.“
Ich lächelte zurück. „Das wäre super.“
„Gut. Dann bis später.“
Er gab mir noch einen Kuss und ging dann wieder hinein. Ich stand noch einen Augenblick da und eilte dann ebenfalls hinein.
Mein Herz schlug Purzelbäume.

Wie der Wind fegte ich durchs Haus und suchte etwas, womit ich mich beschäftigen konnte. Taylor sah mich bereits misstrauisch an, während ich mit einem Lächeln ständig ins Wohnzimmer ging, mir alles durchsah und dann wieder hinaus ging, nur um kurz darauf wieder herein zu kommen.
„Okay. Raus damit. Was ist mit dir los?“, wollte Taylor wissen und zog mich am Handgelenk zu sich auf die Couch.
Ich ließ mich neben ihn fallen und sah auf meine Hände. „Nun... Derek hat mich heute geküsst.“
Er drückte ein wenig fester zu.
Nahezu flehend sah ich zu ihm auf. „Taylor bitte. Ich wollte es. Ich habe tagelang darauf gewartet. Tu ihm nicht weh. Ich... ich glaube... ich glaube, ich liebe ihn.“
Seine Augen verengten sich ein wenig. „Du glaubst, ja? Woher weißt du, dass es wirklich so ist?“
„Ich weiß nicht.“ Unsicher senkte ich den Blick.
Auch er wand sich ab und sah unruhig im Zimmer umher. „Mir gefällt das nicht, Kendra. Er ist... nicht gut. Besonders nicht für dich.“
„Er hat bisher nicht einmal auch nur den Eindruck erwecken lassen, er würde was schlimmes machen.“
„Sowas sieht man auch nicht.“ Zaghaft sah ich wieder zu ihm auf. „Ich sage dir, wenn er dir auch nur ein einziges Mal weh tut, dann...“
„Das wird er nicht.“, widersprach ich.
Er sah zu mir herab. „Das weiß man nie so genau, Kleines.“
Ich ließ meinen Kopf an seine Schulter fallen, woraufhin er den Arm um meine Schultern legte und mich an sich zog. „Ich will ihn dir nicht verderben.“ Er schwieg kurz. „Gut, eigentlich will ich das schon, aber... Naja, was heißt aber.“
Finster sah ich zu ihm auf.
„Ja ja. Also, was ich sagen will... ich möchte, dass du weißt, dass ich immer für dich da sein werde. Und nur fürs Protokoll, ich habe schon von Anfang an gesagt, dass er nicht gut ist. Und wenn er dir weh tut.“ Er zögerte ein wenig.
„Sag es einfach, Taylor. Schlimmer als ein Kieferbruch kann es ja nicht werden.“
Seine Augen wurde scheinbar ein wenig dunkler. „Wenn er dir wirklich weh tut Kiddy, dann kannst du ihn im Krankenhaus besuchen. Wenn ich das dann noch zulasse.“
„Taylor!“
Mit einem Seufzen zog er mich einfach enger an sich und sah zum Fernseher, während er die Fernbedienung nahm. „Na dann sehen wir mal, ob was anständiges läuft.“ Damit schaltete er es ein und zappte durch die Kanäle.

Völlig übermüdet schlurfte ich am nächsten Morgen über das Schulgelände zum Eingang. Ich war so müde, dass ich ständig jemanden anrempelte, ohne es überhaupt wirklich zu bemerken. Jedes Mal nuschelte ich eine verschlafene Entschuldigung und schlurfte dann weiter. An meinem Spind brauchte ich sieben Anläufe um das Schloss zu öffnen, bevor ich es aufgab und meinen Kopf dagegen lehnte. Irgendwann begann ich ihn leicht dagegen zu schlagen, damit mir die Kombination wieder einfiel, doch es brachte einfach nichts. Mit einem tiefen Seufzer probierte ich dann weiter herum.
„Du siehst ja aus wie 'ne Leiche.“
Nach einem kurzen Moment, in dem ich erst einmal realisieren musste, dass man mit mir sprach, sah ich überrascht auf und sah in Kadens Gesicht.
„Charmant.“, gab ich darauf nur zurück und sah wieder auf das Schloss herab, um weiter zu probieren.
„Alles in Ordnung oder funktionieren deine Gehirnzellen nicht mehr?“
„Wohl eher letzteres.“
Er schwieg überrascht, da es wohl eigentlich ironisch gemeint war. Doch mir war es tatsächlich ernst. Ich war so müde, dass ich beinahe am Spind gelehnt einschlief.
„Du solltest schlafen, bevor du hier noch umkippst und jemanden noch mit dir selbst begräbst und vielleicht sogar erdrückst.“, meinte er halblaut.
„Kann nicht. Muss gleich zum Unterricht. Mir will nur nicht diese Kombination einfallen. Und da sind meine Bücher drinnen.“
Mit einem Seufzen schob er mich beiseite, beachtete nicht, dass ich stolperte und öffnete in wenigen Augenblicken das Schloss. Ich dagegen war auf meinem Hintern gelandet und blinzelte zu ihm hoch. Als er zu mir sah, stellte er verdutzt fest, dass ich auf dem Boden saß.
„Was machst du da unten?“, wollte er verwirrt wissen und wartete, bis ich langsam aufgestanden war.
„Ich bin gefallen, als du mich weg geschubst hast.“
„Ich hab dich nicht geschubst. Ich hab dich geschoben.“
Lange ausatmend griff ich nach den Büchern in meinem Spind und murrte, als sie mir sofort wieder aus der Hand rutschten, da ich ganz vergessen hatte, dass es noch eine Schwerkraft gab, die allem und jedem ein gewisses Gewicht gab. Leise ächzend kniete ich mich hin und stopfte die Bücher nacheinander in meine Tasche. Gerade als ich in meinen Spind griff, um mich hoch zu ziehen, wollte Kaden ihn jedoch bereits wieder schließen und klemmte meine Hand ein. Ich schrie vor Schmerz auf und riss meine Hand hinaus, wobei ich mir schmerzhaft die Haut aufschürfte.
„Entschuldige.“, murmelte er, „Das war nicht meine Absicht.“
Da mein Gehirn offenbar nicht richtig funktionierte, pustete ich wie eine Blöde auf die Wunde und hoffte, dass der Schmerz nachließ.
„Kendra? Alles okay? Ist etwas passiert?“
Ich sah auf, als Dereks Stimme ertönte und verstand erst, als er bei mir stand, was er überhaupt gefragt hatte. „Ach so. Äh, ich bin etwas übermüdet. Ich hab mir gestern Abend den Magen verdorben und mich in der Nacht am laufenden Bande übergeben. Taylor wollte, dass ich zuhause bleibe, aber wir schreiben demnächst eine Arbeit, also kann ich nicht einfach dem Unterricht fern bleiben. Deshalb bin ich hergekommen und hab den Spind nicht aufgekriegt. Dann kam Kaden und hat mich gefragt was los ist und dann wollte er den Spind auf machen. Dann saß ich plötzlich auf dem Boden, weil er mich zur Seite geschoben hat und ich dabei gestolpert bin und dann-“
„Kendra, hol doch mal Luft.“, unterbrach Derek mich besorgt und half mir vorsichtig auf, wobei er mir die Tasche abnahm, „Atme jetzt einmal tief durch und beruhige dich.“
Mit geschlossenen Augen tat ich worum er bat und sah ihn dann wieder an.
„Gut. Jetzt ganz langsam. Was ist passiert, nachdem du gestolpert bist?“
„Ich hab auf dem Boden gesessen. Dann bin ich aufgestanden und hab meine Bücher genommen, aber dann sind sie mir herunter gefallen, also hab ich mich hingekniet und hab sie eingesteckt und als ich mich an meinem Spind hochziehen wollte, wollte Kaden ihn gerade zumachen, also hat er unbeabsichtigt meine Hand eingeklemmt und als ich sie weggezogen habe, hab ich sie mir am Metall aufgeschürft.“
„Redest du öfter so ganz ohne Punkt?“, wollte Kaden abgeneigt wissen, „Oder liegt das an deinem nächtlichen Erbrechen?“
„Kaden, verzieh dich.“, zischte Derek feindselig.
„Streitet bitte nicht.“, nuschelte ich darauf müde.
Derek wand sich von Kaden ab. „Zeig mir mal deine Hand.“
Ohne zu zögern reichte ich ihm diese, während Kaden verächtlich schnaubte und ging.
„Was ist mit ihm?“, fragte ich verwundert und sah ihm hinterher. Hatte er schon immer so einen hübschen Hintern? Ich schüttelte über den Gedanken hektisch den Kopf und sah fragend zu Derek.
„Hatte heute Nacht wohl keine Frau im Bett. Komm mit, ich bring dich ins Krankenzimmer. Und dann gehst du wieder nach hause. Du siehst krank aus.“
„Ich kann nicht nach hause.“, jammerte ich, folgte ihm jedoch brav ins Krankenzimmer.
„Du gehst nach hause, und wenn ich dich dahin bringen muss. Keine Widerrede.“
„Aber Derek, ich-“
„Ich sagte, keine Widerrede.“, unterbrach er mich sanft.
Da ich keine große Lust mehr hatte zu sprechen, gab ich mich geschlagen und schmollte. Als Derek es bemerkte, seufzte er leise und zog mich in seine Arme. Da die Stunde bereits begonnen hatte, waren bis auf wenige Nachzügler alle in ihren Klasse, weshalb der Gang bis auf Derek und mir vollkommen leer war.
„Ich will nicht, dass du irgendwo einschläfst, umkippst und dich dabei wahrscheinlich noch verletzt.“
„Oder jemanden mit meinem Körper begräbst und ihn zerquetscht, ja ja ja.“
Verwirrt zog er die Brauen zusammen. „Was?“
„Ach nichts.“
„Du solltest wirklich dringend nach hause.“, fuhr er fort, „Dir geht es nicht gut. Du wirst schon ein wenig grün im Gesicht. Hast du gefrühstückt?“
„Ein wenig.“, antwortete ich.
„Ich mache mir wirklich Sorgen, Kendra. Verstehst du das?“
Mit einem Murren bejahte ich die Frage.
„Wirst du dich ohne Wiederworte von mir nach Hause bringen lassen?“
Ich wollte bereits wieder widersprechen, doch als ich seinen bittenden Blick sah, murrte ich wieder und bejahte leise. Als kleine Belohnung drückte er mir einen Kuss auf die Lippen, bevor er mir in die Augen sah und seine Stirn an meine lehnte.
„Danke.“
Ein Seufzten entwich mir. Kurz darauf löste Derek sich wieder von mir und ging weiter. Im Krankenzimmer war die Schwester gerade dabei einige Utensilien zu sortieren. Sie sah auf, als sie uns hörte und sah uns fragend an.
„Was ist denn passiert?“, fragte sie, als sie herüber kam.
„Sie hat sich an ihrem Spind die Hand aufgeschürft.“, erklärte Derek, „Außerdem möchte ich darum bitten, sie nach hause bringen zu dürfen. Sie hat mir gesagt, sie habe sich gestern Abend den Magen verdorben und hätte sich daraufhin die ganze Nacht übergeben. Sie hat keinen Schlaf bekommen und es scheint ihr noch nicht besser zu gehen.“
Die Schwester, die sich bereits um meine Hand kümmerte, hörte aufmerksam zu und sah mir nach Beendigung der Zusammenfassung ins Gesicht. Dann nickte sie zustimmend.
„Sie sieht wirklich nicht gut aus. Ich werde bei ihr anrufen, damit man sie abholt. Sie sollte nicht nach hause gehen. Es könnte etwas passieren. Besser, man holt sie mit einem Wagen ab.“
Derek nickte einsichtig. „Verständlich.“
„Pass bitte kurz auf sie auf, während ich den Anruf tätige. Nicht, dass sie uns noch umkippt.“ Mit diesen Worten verließ die Schwester das Zimmer.
Liebevoll zog Derek mich zu einer Liege und hob mich darauf, sodass ich darauf saß und er vor mir stand. Müde rückte ich ganz an den Rand der Liege und schlang die Arme um ihn, während ich mich an ihn lehnte. Mit einem Kuss auf die Stirn legte er ebenfalls die Arme um mich und streichelte mir den Rücken. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis die Krankenschwester wieder da war.
„Dein Bruder hat sich sofort auf den Weg gemacht.“, informierte sie mich.
Ich zog die Brauen zusammen. „Er muss doch arbeiten.“
„Als ich bei dir zuhause niemanden erreicht habe, habe ich die Nummer eingegeben, die für Notfälle aufgeschrieben wurde. Das scheint dann wohl die Nummer deines Bruders zu sein. Du kannst in den Unterricht, Derek.“
Dieser nickte und küsste mich schnell auf die Lippen, bevor er das Krankenzimmer verließ. Es überraschte mich nicht, dass Taylor nur fünf Minuten brauchte, bis er hier war. Er war wahrscheinlich gerast wie ein Irrer.
„Kiddy? Alles okay mit dir?“, wollte er wissen und kam sofort zu mir herüber, um mich zu begutachten. „Ich hab dir doch gesagt, du solltest besser zuhause bleiben. Was ist mit deiner Hand passiert?“
Ich seufzte leise. „Das war ein Unfall mit meiner Spindtür.“
Er wand sich an die Schwester, die von ihren Dokumenten aufgesehen hatte, als Taylor wie ein Wahnsinniger zu mir gestürmt war. „Ich nehme sie dann jetzt mit nach hause.“
Die Schwester nickte. „Sorgen Sie dafür, dass sie es warm hat und geben Sie ihr warme Milch und Zwieback. Das ist gut für den Magen. Und sie braucht viel Schlaf.“
Er nickte und legte mir einen Arm um die Tallie, als ich von der Liege aufstand. „Wo ist denn deine Tasche?“
Blinzelnd sah ich mich um, entdeckte sie jedoch nirgendwo. „Ich glaube, sie ist noch an meinem Spind.“
Besorgt begleitete er mich, als ich zum Spind ging. Als ich im entsprechenden Gang ging, blieb ich verdutzt stehen. Kaden kniete gerade an meiner Tasche und schien darin herum zu wühlen. Dann begriff ich, dass er tatsächlich sortierte, bevor er den Reißverschluss zu zog und sie ordentlich an die Wand unter meinem Spind lehnte. Als er damit offenbar zufrieden war, schloss er die Spindtür und hakte mein Schloss wieder ein, bevor er das Rad einmal drehte, offenbar damit zufällig irgendeine Zahl eingegeben war. Er schien uns nicht bemerkt zu haben und machte einen Schritt von den Sachen weg, um sie kurz zu begutachten. Dann zögerte er ein wenig, schüttelte den Kopf und ging dann eilig davon.
„War das nicht Kaden?“, wollte Taylor wissen, „Der Junge, der Geburtstag hatte? Mit der hübschen Schwester?“
Ich nickte. „Ja, das war Kaden.“ Langsam ging ich mit meinem Bruder zu meinem Spind und nahm meine Tasche, die er mir sofort wieder abnahm.
„Warum geht er an deine Tasche?“, fragte er neugierig weiter.
„Er hat wohl wieder meine Sachen sortiert. Das hat er schon einmal gemacht.“
„Und warum?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht macht das Chaos in meiner Tasche ihn ja verrückt oder so.“ Mein Kopf tat weh. „Können wir jetzt nach hause? Ich bin so müde.“
„Ja.“
Er führte mich zu seinem Auto, dass er so nahe wie möglich am Eingang geparkt hatte und hielt mir die Tür auf. Man sah, dass er es eilig gehabt hatte, denn er hatte schräg über zwei Parkplätze geparkt und stand mit einem Reifen sogar auf dem Bürgersteig.
„Wenn du immer so parkst, bekommst du sicher bald Post.“, neckte ich ihn, als er ins Auto stieg, sich anschnallte und den Motor startete.
„Ich bekomme höchstens ein Ticket, Kleines. Mach dir keine Sorgen.“
Müde schloss ich die Augen, als er rückwärts auf die Straße fuhr und mich nach Hause brachte. Kurz darauf schlief ich so tief, dass ich nicht einmal merkte, wie er mich aus dem Auto hob und in mein Zimmer trug.

Wenige Tage später betrat ich mit Derek das Haus in dem die Party stattfand. Er hatte mir einen Arm um die Tallie gelegt und zog mich nun ein wenig enger an sich. Einige drehten sich nach uns um als wir herein kamen. Der eine oder andere schüttelte den Kopf, als sei etwas nicht in Ordnung. Ich kannte niemanden. Außer Derek.
„Komm wir gehen ins Wohnzimmer. Möchtest du etwas trinken?“ Derek schob mich sanft neben sich her in ein Zimmer das beinahe zum bersten voll war. Ich konnte nicht einmal die Möbel erkennen und irgendwo lief Musik, die hier jedoch nicht zu laut zu hören war..
„Ich trinke nicht, danke.“, gab ich zurück und hielt mich an seinem Arm fest, damit ich nicht verloren ging. „Es ist ein wenig voll.“
Nach einem kurzen Zögern nickte er und verließ mit mir wieder den Raum. „Dann gehen wir runter. Das Haus hat einen Partykeller.“
Er lächelte mich leicht an als er das sagte und stieg mit mir die Stufen herab. Der Keller war riesig. Es war dunkel und die einzige Beleuchtung war eine Discokugel, die in der Mitte des Raumes aufgehängt wurde. Hier war die Musik am lautesten, wie ich feststellte. Und hier war es beinahe so voll wie im Wohnzimmer.
„Hast du Hunger?“, fragte Derek, während er sich mit mir einen Weg durch die Menge bahnte.
„Ein wenig.“, entgegnete ich wahrheitsgemäß.
Ich war mir nicht sicher, aber einen Moment dachte ich Kadens Gesicht in der Menge gesehen zu haben. Kurz darauf erblickte ich ihn nochmal. Er winkte jemandem zu und sagte etwas, dass ich wegen der Musik nicht verstehen konnte. Wenig später stand ein Junge vor ihm. Er sah aus wie sein Bruder, aber ich war mir nicht sicher. Obwohl er hier auf einer Party war, schien er nicht gerade in bester Laune zu sein und sah sich mit seinem Bruder um, als würde er jemanden suchen. Er hielt einen Jungen an, der an ihm vorbei ging und fragte ihn etwas, woraufhin dieser kopfschüttelnd weiter ging.
Dann tauchte Derek wieder neben mir auf. Ich habe nicht einmal bemerkt, dass er weg war.
„Hier hast du etwas Nudelsalat.“
Ich sah überrascht auf die Schüssel die er mir in die Hand drückte und lächelte ihn dankbar an. „Dankeschön.“
„Das mache ich doch gerne.“
„Hey Gregson!“, ertönte plötzlich eine Stimme rechts von uns.
Ich sah überrascht dort hin und blickte in das Gesicht von Kadens Bruder.
„Was?“, wollte Derek grob wissen.
„Hast du Debora gesehen?“
Nach einem kurzen Zögern sah er sich um. „Nein. Warum?“
„Weil wir sie suchen. Wir haben sie seit einer Stunde nicht mehr gesehen. Hast du eine Idee, wo sie sein könnte?“, fragte Kadens Bruder weiter.
„Nein und es ist mir eigentlich auch egal. Ihr müsst auf sie wohl einfach besser aufpassen.“
Ich konnte sehen, wie sich sein Kiefer anspannte. „Wenn du sie siehst, sag ihr, sie soll sofort zu uns kommen.“
„Ja ja.“ Derek wollte sich bereits wieder abwenden, hielt dann jedoch inne. „Habt ihr mal in den Schlafzimmern nachgesehen?“
Abrupt verdüsterte sich der Blick von Kadens Bruder und er rief seinen Bruder zu sich.
„Was? Hat sie jemand gesehen?“, wollte dieser wissen und sah sich leicht besorgt um.
„Nein, aber hast du in den Schlafzimmern nachgesehen?“
„Nein warum sollte ich?“
Kurz schwiegen sie. Dann fluchten sie und Kadens Bruder eilte zur Treppe. Kaden dagegen hatte mich hinter Derek entdeckt und starrte mich an. Ich wusste nicht was, aber irgendwas schien ihn aufzuwühlen. Er wand den Blick ganz plötzlich von mir ab und sah sich angestrengt um, bevor er uns wieder in der Menge allein ließ.
„Wer ist Debora?“, fragte ich Derek neugierig.
Mit hochgezogener Braue sah er zu mir. „Warum? Ist das wichtig?“
„Wenn sie sie suchen vielleicht schon.“, gab ich zurück.
Warm lächelte er mich an. „Die beiden werden sie schon finden, keine Sorge.“
„Aber wer ist sie?“
Er sah einen Moment auf meinen Salat und sah dann zaghaft wieder zu mir herauf. „Sie ist eine von Kadens Freundinnen. Zwei Jahre jünger als er und darf eigentlich nicht hier sein.“
Ich schluckte. „Oh.“
Er zuckte mit den Schultern. „Er sucht sie wahrscheinlich nur, weil er kein Ärger von ihrem Vater bekommen möchte. Vergiss es jetzt einfach. Denk nicht mehr dran. Iss deinen Salat, er ist schon kalt genug.“
Ich lächelte schräg und begann zu essen, während er mich durch die Menge bugsierte, um ein Plätzchen zu finden, an dem wir etwas Platz hatten. Er fand ihn zehn Minuten später, als ich aufgegessen hatte und die Schüssel auf einen Tisch in der Nähe stellte.
Er seufzte leise küsste mich kurz und sah dann zu den tanzenden. „Wollen wir tanzen?“
Zögernd sah ich zu ihm auf. „Tanzen?“
Lächelnd sah er herab. „Tanzen.“
Mein Blick glitt zu den Tanzenden, woraufhin ich unsicher wieder zu ihm herauf sah. „Ich tanze nicht gerne.“
„Nur einen kurzen Tanz. Für mich.“
Mit einem Seufzen sah ich erneut zu den Tanzenden und nickte schließlich ergeben. „In Ordnung. Ein Tanz.“
Begeistert küsste er mich erneut und zog mich in die Menge, wo er mich dann eng an sich zog und sich rhythmisch zur Musik bewegte. Trotz meiner leichten Abneigung gegenüber Tanzen, tanzte ich eigentlich ziemlich gut. So kam es, dass Derek einfach nicht aufhören wollte und wir vielleicht eine Stunden tanzten, bevor ich aufhörte, weil ich nicht mehr konnte. Mit einem Lächeln und der Aussage er hole etwas zu trinken verschwand er dann wieder. Wenig später kam er mit zwei Bechern zurück und drückte mir einen davon in die Hand, während er selbst aus dem anderen trank. Ich dagegen schnupperte vorsichtig und verzog das Gesicht, als ich den Alkohol roch.
„Ich trinke kein Alkohol.“, rief ich ihm über die Musik hinweg zu und gab ihm den Becher zurück.
Er sah mich überrascht an. „Ich dachte das wäre ein Scherz gewesen.“
Ich schüttelte den Kopf. „Können wir hoch gehen. Mir ist so warm.“
Mit einem Nicken legte er mir wieder einen Arm um die Tallie und drängte sich mit mir durch die Menge zur Treppe. Im Erdgeschoss schien es jedoch noch voller zu sein, woraufhin er mir kurz etwas sagte, was ich jedoch nicht verstehen konnte und mich die nächste Treppe hinauf schob. Hier war es deutlich leerer und ruhiger. Ich seufzte leise und lehnte mich mit geschlossenen Augen an die Wand. Einen Moment blieb ich einfach so stehen und öffnete überrascht die Augen, als Derek sich an mich lehnte. Schräg lächelte er auf mich herab und küsste mich sanft. Ich spürte ein seltsames Gefühl in der Magengegend und erwiderte den Kuss bereitwillig. Derek wurde langsam immer leidenschaftlicher und glitt mit der Hand über meine Tallie hinab zu meiner Hüfte, bevor er seine Hände auf mein Hinterteil legte, um mich dort an sich zu ziehen. Als plötzlich jemand laut an uns vorbei ging, löste Derek sich von uns und sah die Person finster an. Dann wand er sich wieder zu mir, während ich realisierte, dass jeder vorbei kommen könnte und uns hier sehen würde.
„Komm. Wir können hier rein.“ Dereks Stimme war ein wenig rau als er mir das sagte.
Bevor ich jedoch etwas erwidern konnte, zog er mich bereits sanft durch eine Tür, wenige Meter von uns entfernt. Er schloss die Tür hinter uns, während ich feststellte, dass wir in einem Schlafzimmer waren.
„Hier sind wir... beinahe ungestört.“, meinte Derek mit einem Lächeln, „Die Meisten klopfen, bevor sie rein kommen. Aber das kommt eigentlich selten vor.“
Mit diesen Worten schob er mich sanft zu Bett herüber und setzte sich dort mit mir.
„Was hast du vor?“, wollte ich zögernd von ihm wissen.
Er sah mich überrascht an. „Ich möchte dich Küssen. Und ein wenig kuscheln, wenn du nichts dagegen hast.“ Zaghaft beugte er sich zu mir herüber, scheinbar bereits aufzuhören, falls ich es wollte.
Da ich mich nicht wehrte, begann er mich erneut zu küssen und zog mich mit der Zeit immer enger an sich. Es dauerte nicht lang, bis er mich wieder so leidenschaftlich küsste, wie vor der Tür und bevor ich auch nur daran denken konnte, wie es wohl weiter gehen würde, schob er mich schon langsam auf das Bett zurück und bewegte sich über mich. Seine Küsse wurden immer fordernder und seine Hände glitten unter meine Kleidung.
„Derek.“, unterbrach ich ihn und sah zu ihm auf.
Statt den Blick zu erwidern, küsste er sich zu meinem Hals herüber. „Hm?“
„Nicht-nicht so schnell. Das geht mir zu schnell.“
Er knabberte an der Haut an meinem Hals. „Hab keine Angst. Ich weiß was ich tue.“
Er glitt an mir herunter und schob mein T-Shirt hoch, um mich auf den Bauch zu küssen. Als ich versuchte, es wieder herunter zu ziehen, nahm er sanft meine Hände in seine und hielt sie neben mir fest.
„Derek lass das.“, bat ich ihn zaghaft.
Mit einem beruhigendem Lächeln sah er zu mir auf. „Es ist doch alles in Ordnung. Ich tue dir schon nicht weh.“
„Ich will nicht.“
Langsam kam er wieder zu mir herauf. „Soll ich dein T-Shirt anlassen?“
Hektisch nickte ich.
„In Ordnung. Das ist in Ordnung.“ Er küsste mich erneut und streichelte meine Hände. „Kendra?“
„Ja?“
„Ich glaube ich habe mich in dich verliebt. Wahrscheinlich schon vor einer ganzen Weile.“ Ich schluckte hart und sah stumm zu ihm herauf. Sein Blick landete auf meinen Lippen „Du musst nichts dazu sagen. Es reicht mir, dass du es weißt.“
Mein Herz schlug mir bis zum Hals und schien ein Wettrennen zu veranstalten. Als Derek mich dann erneut küsste, kam es mir so vor, als würde es noch schneller schlagen. Die Sorgen von eben waren wie vergessen und ich erwiderte willig seinen Kuss. Seine Hände glitten wieder über meine Hüften, diesmal jedoch hinauf zu meiner Tallie, während ich ihm im Nacken an mich zog. Als er jedoch seine Hände auf meine Brüste legte, wurde mir wieder ein wenig unwohl.
Er erstickte jedes meiner Worte mit einem tiefen Kuss und ließ seine Hände eingehend über meine Brust wandern, bevor er sie wieder herab gleiten ließ, um sie unter mein T-Shirt zu schieben. Erneut versuchte ich zu protestieren, doch er erstickte es wieder mit einem Kuss. Langsam begann ich mich unter ihm zu winden, doch er schien es falsch zu verstehen. Heiser stöhnte er über mir auf und ließ die Hände zu meiner Hose gleiten. Ich schrie an seinem Mund auf und versuchte meinen Kopf wegzudrehen.
„Derek, hör auf. Ich will das nicht.“, protestierte ich sofort und griff nach seinen Händen.
Er hielt sie mit einer Hand an den Handgelenken über meinen Kopf und küsste sich über meine Wange zu meinem Ohr. „Es ist etwas schönes, Kendra. Warum sollten wir es nicht tun? Lass mich dir diese Erinnerung schenken.“
„Ich will nicht, Derek. Hör auf damit.“, rief ich aus und wand mich weiter unter ihm, während er schwerfällig und mit nur einer Hand meine Hose öffnete. „Lass das. Hör auf!“
„Komm schon, Kendra. Du willst es doch auch, das habe ich doch gemerkt.“ Er küsste mich erneut auf den Mund.
„Ich will es nicht.“, widersprach ich und begann zu weinen, als er meine Hose hinunter schob. „Hör endlich auf damit!“
„Jetzt verderbe mir doch nicht den ganzen Spaß, Kleines. Ich bin ganz vorsichtig. Versprochen.“
„Derek, hör auf!“ Ich hörte gerade einen weiteren Reißverschluss, als plötzlich die Tür geöffnet wurde.
Ich sah abrupt dort hin und blickte Kadens Bruder entgegen.
„Ich störe wohl.“, murmelte er und wollte sich bereits wieder umdrehen, als er mich erkannte und inne hielt.
„Sei still Kendra.“, flüsterte Derek bevor ich etwas sagen konnte, hielt mir eine Hand auf den Mund und beugte sich so über mich, dass man mein Gesicht nicht sehen konnte. „Du machst alles kaputt.“ Dann sah er zu Kadens Bruder. „Verzieh dich.“
Heiße Tränen rannen mir über die Wange, als er sich umdrehte und das Zimmer wieder verließ. Mies gelaunt wand Derek sich wieder an mich.
„Das wäre wegen dir beinahe daneben gegangen.“, tadelte er mich.
„Ich will auch nicht mit dir schlafen!“, schrie ich ihm ins Gesicht, als er die Hand wegnahm.
„Sei still, verdammt nochmal.“ Mit diesen Worten machte er sich wieder an seiner Hose zu schaffen.
„Lass das Derek. Bitte.“, versuchte ich es weiter und zerrte an meinen Armen.
Tatsächlich hielt er inne. Doch bevor ich auch nur hoffen konnte, er würde aufhören, zog er meinen Gürtel von meiner Hose und fesselte meine Hände ans Bett. Dann setzte er sich auf und sah mich lange an.
„Weißt du... wenn du mitgemacht hättest, dann müsste ich das jetzt nicht tun.“ Während er das sagte, glitten seine Hände an meinen Bauch hinauf. „Es wäre wirklich schön für dich geworden.“
Er brach sein Versprechen und schob mir das T-Shirt über die Arme hinauf bis zu meinen Handgelenken. Ich weinte bereits ununterbrochen und flehte ihn an endlich aufzuhören. Er antwortete, indem er das, was er mit dem T-Shirt getan hatte, mit meinem BH tat und dann begann meinen Körper zu küssen. Ich zerrte vergeblich an meinen Armen, schrie ihn an und wand mich unter ihm, während er einfach weiter machte. Gerade als er meine Hose weiter herunter ziehen wollte, wurde die Tür erneut geöffnet. Diesmal hatte Derek nicht einmal die Chance nachzusehen wer es war. Die Tür wurde sofort wieder geschlossen und Derek von mir herunter gerissen. Während ich mich weinend auf die Seite drehte, hörte ich Kadens wütenden Stimme und das Geräusch von Fäusten auf einem Körper. Irgendwann war es plötzlich still und ich hatte bereits Angst, dass Derek Kaden überwältigt hatte. Doch dann wurde der Gürtel um meinen Handgelenken gelockert und ich konnte die Arme an meinen Körper ziehen.
„Ist schon gut, Kendra.“ Kadens Stimme war ganz sanft und zitterte vor Sorge. „Er ist ohnmächtig. Er tut dir jetzt nichts mehr.“
Überwältigt von dem Glück ihn hier zuhaben, drehte ich mich zu ihm um und klammerte mich an ihn, während ich an seiner Brust weinte. Da ich immer noch mein T-Shirt und meinen BH an den Handgelenken hatte, hatte ich meine Arme um seinen Hals geschlungen, um möglichst nahe an ihn heran rücken zu können.
„Ich hatte solche Angst.“, weinte ich und schluchzte vor Erleichterung.
Langsam atmete er aus und legte tröstend die Arme um mich. Irgendwann wurde die Tür einen Spalt geöffnet und ich hörte die Stimme seines Bruders.
„Ist alles in Ordnung bei euch?“, wollte er leise wissen.
„Ja. Ich bring sie gleich raus.“, gab Kaden zurück.
Ich fragte nicht, was er damit meinte, doch als er mich wieder losließ und sanft an den Armen nahm, bekam ich wieder Panik. „Lass mich nicht allein. Bitte.“
„Schon gut.“, flüsterte er beruhigend, „Ist schon gut. Ich bleibe bei dir.“ Sanft drückte er meinen Kopf an seine Brust und streichelte mir übers Haar, bis ich ein wenig ruhiger wurde. Dann schob er mich ein paar Zentimeter von mich weg, um mir ins Gesicht zu sehen. „Ich werde dich jetzt wieder anziehen. Wenn dir etwas unangenehm ist, dann sag es mir sofort.“
Ich nickte und lehnte schweigend an ihm, während er mir erst meinen BH und dann mein T-Shirt wieder anzog. Dann half er mir zaghaft auf und zog mir sowohl Unterwäsche als auch Hose wieder hoch. Zu guter Letzt machte er mir wieder den Gürtel um die Hüften und sah sich dann kurz um, bevor er mich sanft auf das Bett setzte.
„Warte kurz. Ich gehe nur kurz an die Tür, in Ordnung?“
Ich nickte und schlang die Arme um mich, während ich ihn dabei beobachtete, wie er über etwas hinweg stieg und zur Tür ging. Er öffnete sie nicht weit und sah hinaus.
„Hol mal von irgendwo eine Decke. Sie zittert ununterbrochen und es ist kalt draußen.“
Sein Bruder antwortete ihm. „Bleib du besser an der Tür. Ich brauche nicht lange.“
Kaden schloss die Tür wieder, kam jedoch noch nicht zurück. Zwei Minuten später wurde sie wieder geöffnet und jemand reichte etwas herein. Leise bedankte Kaden sich, schloss die Tür und kam zu mir herüber, während er die Decke, um die er gebeten hat, auseinander faltete und mich dann darin einwickelte.
„Damit du nicht frierst.“, erklärte er fürsorglich. Er vergewisserte sich, dass ich gut eingepackt war und hob mich dann hoch, bevor er in Richtung Tür ging. „Ich bringe dich nach hause. Sieh nicht auf den Boden.“
Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und hielt den Blick auf sein Kinn gerichtet. An der Tür klopfte er kurz, da er die Hände voll hatte und trat heraus, als sie ihm geöffnet wurde. Es war sein Bruder.
„Ich kümmere mich um ihn.“, meinte dieser mit einem Blick ins Zimmer, „Pass nur auf das Auto auf. Und Kaden.“
Auf dem Weg zur Treppe hielt Kaden inne und drehte sich zu seinem Bruder um. „Ja?“
„Versuch dich zu beeilen. Wir haben nur noch eine halbe Stunde. Debora ist auf dem Weg nach hause und ich schaff es zu Fuß sicher noch rechtzeitig, aber wenn du sie noch nach hause bringst... Beeil dich.“
„Mach ich.“
Die beiden nickten sich noch einmal zu, bevor Kaden die Treppe hinunter ging. Irgendjemand hielt ihm die Haustür auf und er ging einen Moment durch die Kälte der Nacht, bevor er an einem Auto stehen blieb. Schwerfällig öffnete er die Tür des Rücksitzes und legte mich vorsichtig hinein. Ich sah ihm dabei ins Gesicht. Als er es bemerkte, erwiderte er den Blick, wobei ich feststellte, dass er wieder einen blauen Fleck am Kiefer hatte.
„War das Derek?“, flüsterte ich und kämpfte meine Hand unter der Decke hervor um den Fleck zu berühren.
Er senkte den Blick. „Er musste mehr einstecken als ich.“, gab er leise zurück, „Ich bin geübter als er.“
Ich zuckte zusammen, da mir einfiel, wie Derek mir sagte, Kaden würde sich ständig prügeln. Ihm fiel auf, dass ich zusammen zuckte und steckte meine Hand wieder unter die Decke.
„Versuch zu schlafen. Ich fahre vorsichtig.“
Er wartete, bis ich genickt hatte, bevor er sich langsam zurück zog.
„Kaden.“
Abrupt hielt er inne und streckte sich wieder zu mir aus. „Ja?“
Lange zögerte ich und sah ihn einfach nur an. Dann sah ich ihm in die Augen. „Danke. Für alles.“
Er senkte den Blick. „Ich hätte dich ja schlecht von ihm vergewaltigen lassen können.“, entgegnete er ein wenig grob.
Mit diesen Worten zog er sich erneut zurück und drückte vorsichtig die Tür zu, bevor er sich ans Steuer setzte. Tatsächlich fuhr er vorsichtig und langsam zu mir, nachdem ich ihm meine Adresse genannt hatte. Das Surren des Autor wirkte beruhigend, was wahrscheinlich der Grund dafür war, dass ich nach wenigen Augenblicken tief und fest eingeschlafen war.

Kadens harte Schale

Ich wurde davon wach, dass ich eine Treppe hinauf getragen wurde und öffnete langsam die Augen.
„Kaden?“, nuschelte ich verschlafen.
„Schlaf weiter, Kiddy.“, antwortete Taylor liebevoll.
„Wo ist Kaden?“, wollte ich wissen und sah an ihm vorbei.
„Er muss gleich wieder los. Jetzt schlaf weiter. Du siehst ihn doch bald in der Schule wieder.“
Egal wie sehr ich dagegen ankämpfte. Meine Augen fielen wieder zu. „Aber ich muss mich doch bei ihm bedanken. Er hat mich vor Derek gerettet.“
„Montag ist wieder Schule, Kleines. Jetzt schlaf.“ Er hatte mein Zimmer betreten und wickelte mich aus der Decke heraus, bevor er mich in mein Bett legte und mit meiner eigenen Decke zudeckte.
„Ich möchte zu Kaden.“, nuschelte ich.
„Sch sch sch. Schlaf Kendra.“
Ich öffnete wieder die Augen und sah zu ihm auf. „Aber-“
„Kendra-“
„Ich will ihn sehen Taylor. Bitte.“
Er seufzte leise. „Ich werde nachsehen, ob er noch da ist.“
„Danke.“
Mit einem matten Lächeln küsste er mich auf die Stirn und verließ dann leise mein Zimmer. Ich lag wartend in meinem Bett und weigerte mich einzuschlafen, bis ich Kaden gesehen hatte. Allerdings dauerte es ziemlich lange. Ich hatte die Hoffnung gerade aufgegeben, als ich plötzlich Schritte auf der Treppe hörte. Ich schluckte leise und wenig später wurde die Tür wieder geöffnet.
„Dein Bruder sagte, du möchtest mich sehen.“, ertönte Kadens sanfte Stimme.
Er schloss leise die Tür hinter sich und kam zu mir ans Bett, weshalb ich mich aufsetzte. Ohne groß darüber nachzudenken zog ich ihn zu mir herab, woraufhin er sich neben mich setzte und ich die Arme um ihn schlang. Ich rückte ganz nahe an ihn heran und drückte ihn so fest an mich wie ich konnte.
„Derek hat mir so viele schlimme Dinge über dich erzählt.“, murmelte ich und verbarg mein Gesicht an seiner Brust, „Aber ich weiß nicht, ob er gelogen hat. Ich wünsche mir, dass er mich angelogen hat, Kaden.“
„Lass uns Montag darüber sprechen. Du solltest jetzt erst einmal schlafen. Dein Vater hat die Polizei angerufen und erstattet Anzeige.“
„Ich bin dir so dankbar, dass du mich vor ihm gerettet hast.“
„Du hast dich bereits bedankt, Kendra.“ Er sagte das so sanft, dass ich ihn am liebsten nie wieder losgelassen hätte.
„Kannst du nicht hier bleiben?“
Er erstarrte. „Das geht nicht.“, meinte er plötzlich hektisch geworden, „Ich bin schon zu spät dran. Meine Geschwister machen sich sicher schon Sorgen.“
„Dein Bruder weiß doch, dass du mich nach hause gebracht hast.“
„Ja aber- … Ich muss jetzt nach hause, Kendra. Wir sehen uns Montag wieder. Schlaf dich aus.“ Während er das sagte, löste er sich von mir und stand auf. „Wir können Montag darüber reden. Schlaf jetzt.“
„Aber- Kaden warte noch.“
„Ich muss jetzt gehen.“, widersprach er.
Als er zur Tür ging, sprang ich aus dem Bett auf und eilte zu ihm herüber. „Eine Sache noch.“
Er drehte sich zu mir um. „Kendra ich-“
Noch bevor er zu ende reden konnte, zog ich sein Gesicht zu mir herab und küsste ihn auf den Mund. Er war so überrascht, dass er nicht reagierte. Mein Herz machte einen Hüpfer, als ich merkte wie weich seine Lippen wirklich waren. Und es machte noch einen Hüpfer, als Kaden mein Gesicht in seine Hände nahm. Leider jedoch, um mich ganz sanft von sich zu schieben.
„Du musst dich nicht bedanken.“, meinte er deutlich, „Und ich muss jetzt wirklich nach hause.“
Einen Moment schien er hin und hergerissen, löste sich dann aber von mir und eilte aus meinem Zimmer. Ich sah ihm noch eine Weile nach und legte mich dann wieder ins Bett.
 
In dieser Nacht schlief ich nicht gut. Ständig träumte ich von Derek und wachte aus dem Traum auf. Mein Schlaf zog sich dabei in die Länge wie ein Kaugummi, bis ich irgendwann um 15 Uhr nicht mehr schlafen wollte und ins Bad ging. Dann ging ich müde in die Küche und setzte mich an den Küchentisch, wo ich den Kopf auf meine Arme legte und beinahe eingeschlafen wäre, wenn mein Vater nicht herein gekommen wäre.
„Wie geht es dir Kendra?“, wollte er liebevoll wissen und setzte sich neben mich.
„Grauenhaft.“, murrte ich und lehnte mich an ihn. „Ich will nie wieder schlafen.“
Er lachte leise. „So gerne wie du schläfst bezweifle ich, dass du es auch nur eine Nacht ohne Schlaf aushältst.“
Erneut murrend stand ich auf und machte mir ein kleines Frühstück, mit dem ich mich dann wieder an den Tisch setzte und nur darin herum wühlte.
„Du solltest essen, statt es zu Brei zu verarbeiten.“, bemerkte mein Vater amüsiert, „Wenn du unbedingt Brei essen möchtest, kann ich Trina bitten dir Babybrei zu kaufen.“
Ich ächzte. „Ich esse doch kein Babybrei.“
„Als du klein warst, warst du ganz hin und weg davon.“
„Damals waren meine Geschmacksknospen wohl noch nicht ausgeprägt genug.“
Abermals lachte er und küsste mich auf die Schläfe. „Nimm dir einen Apfel und eine Banane und geh ins Wohnzimmer. Taylor hat offenbar Mordgedanken.“
Mit einem tiefen Seufzer stand ich auf und nahm mir sowohl eine Orange, als auch einen Apfel und eine Banane aus unserem Obstkorb und verdrückte mich damit ins Wohnzimmer, wo ich Taylor die Orange in den Schoß rollen ließ, bevor ich mich neben ihn setzte und an ihn lehnte.
„Die Polizei wird sich sicher um ihn kümmern.“, meinte ich an ihn und schälte meine Banane, während er einfach nur auf die Orange starrte. „Es gibt drei Zeugen. Ich als Opfer, Kaden und sein Bruder. Wir werden wahrscheinlich alle gegen ihn aussagen. Also muss er verurteilt werden.“
„Glaubst du ehrlich es reicht mir, wenn er für ein paar Monate hinter Gittern kommt?“, hakte Taylor düster nach.
„Kaden hat ihn ganz schön verprügelt.“, bemerkte ich, „Und sein Bruder hat auch irgendwas mit ihm gemacht.“
Mein Bruder biss die Zähne zusammen. „Er hätte dich beinahe vergewaltigt, Ken. Weißt du was passiert wäre, wenn Kaden und sein Bruder nicht nach ihrer Schwester gesucht hätten?“
Ich zog die Brauen zusammen. „Schwester? Ich dachte, sie haben nach einer Debora gesucht.“
Er nickte. „Ja. Sie ist Kadens jüngere Schwester. Hat er dir das nicht gesagt?“
„Nein. Ich habe ihn aber auch nicht gefragt. Derek sagte mir, sie sei eine von Kadens Freundinnen.“
Taylor hob eine Braue. „Sagt Derek, ja? War das nicht der Junge, der dich um ein Haar vergewaltigt hätte?“, hakte er sarkastisch nach.
Ich biss mir leicht auf die Unterlippe und begann meine Banane zu essen. „Du hast ja Recht. Aber warum sollte Derek Lügen über Kaden verbreiten?“
„Sagte Derek nicht auch, Kaden würde Frauen nur schöne Augen machen, mit ihnen schlafen und sie dann verschmähen?“
„Ja.“
„Hat Derek einmal ein Mädchen angesehen?“
Entsetzt sah ich zu ihm auf. „Taylor, jetzt häng ihm das nicht an.“
„Nimm ihn nicht in Schutz, Kiddy.“
„Das will ich auch gar nicht, aber ich möchte nicht, dass du ihm alles anhängst, was er Kaden angehängt hat.“, widersprach ich direkt.
„Ist schon gut, Kiddy.“ Er küsste mich auf den Scheitel und begann seine Orange zu schälen. „Hast du gut geschlafen?“
„Nein. Taylor, ab heute hasse ich Schlafen. Ich will nie wieder schlafen.“
Er sah mich mit gehobener Braue an. „Das sagst gerade du. Warum hast du schlecht geschlafen?“
Ich senkte den Blick und spürte, wie mich eine Gänsehaut überkam. Im Flur klingelte derweilen das Telefon, was von meinem Vater unterbrochen wurde, indem er abnahm.
„Ich möchte nicht darüber reden.“, murmelte ich leise.
„Hat es mit gestern zu tun?“
Ich nickte zaghaft, woraufhin er seine Orange sofort links liegen ließ und mich in seine Arme zog, während ich langsam meine Banane aß.
„Kendra.“, ertönte die Stimme meines Vaters aus dem Flur.
„Ja?“, meldete ich mich in Taylors Armen.
„Du hast nächsten Montag einen Termin beim Gericht. Du sollst eine Aussage machen. Dein Freund Kaden und sein Bruder sind auch eingeladen und Derek ist auch da.“
Ich nickte. „Gut.“
„Soll ich dich begleiten?“, bot Taylor an.
Ich schüttelte den Kopf. „Ist schon gut. Ich kann allein dahin.“
„Bist du dir sicher?“
Ich nickte. „Daddy?“
„Ja, Kleines?“, kam es erneut aus dem Flur.
„Um wie viel Uhr ist der Termin?“
„Um 15 Uhr. Du kannst nach der Schule nach hause kommen und danach dahin gehen.“
„In Ordnung.“
Als es an der Tür klingelte, horchte ich auf, während Dad sie öffnete.
„Oh hallo Andrew.“, begrüßte mein Vater den Neuankömmling.
Ich drehte mich um und sah über die Rückenlehne hinweg in den Flur.
„Hallo Mr Jayson. Schön sie wiederzusehen.“, begrüßte Drew meinen Vater freundlich, „Taylor hat mir erzählt was gestern passiert ist und... Also... Ich dachte mir, weil ich Arzt bin-“
„Schon in Ordnung Andrew. Komm einfach rein.“
Drew sah so umwerfend aus wie eh und je, als er mit leicht gerötetem Gesicht ins Wohnzimmer kam. Ich lächelte ihn begeistert an.
„Hallo Andrew.“
Er lächelte zurück. „Hey Kiddy.“ Taylor und er waren die Einzigen die mich so nannten. Nun kam er zu mir herüber und küsste mich vor meinem Bruder auf den Mund. „Wie geht’s dir?“, wollte er dann wissen und ignorierte Taylors übliches Murren wegen dem Kuss.
Ich seufzte leise. „Nicht so gut wie ich es möchte.“, gab ich zurück und setzte mich wieder richtig hin, als er sich neben mir nieder ließ.
„Hat er dir weh getan oder dich irgendwie verletzt? Körperlich meine ich.“
Ich schüttelte langsam den Kopf. „Er hat nur meine Handgelenke festgehalten und... später mit meinem Gürtel gefesselt.“, flüsterte ich und spürte die Tränen in den Augen. „Das hat ein wenig weh getan aber sonst war er sehr... vorsichtig.“
„Darf ich mal deine Handgelenke sehen?“
Ohne zu zögern hielt ich sie ihm hin, woraufhin er sie sich vorsichtig ansah.
„Alles heil. Aber was hast du hier an der Hand gemacht?“
Sein Blick war auf die noch verheilenden Wunde gefallen, die ich mir an meinem Spind zugezogen hatte. Ich lachte leise und erzählte es ihm kurz, während Taylor, der wohl die Tränen gehört hatte, sanft über meinen Rücken streichelte.
„Verstehe.“, meinte Drew schließlich, „Verheilt aber gut. So wie es bei dir immer der Fall ist.“ Er lächelte mich aufmunternd an und drückte mir einen kleinen Kuss auf die Stirn. Als dann sein Handy klingelte, löste er sich mit einem Seufzen und holte es heraus. Nach einem kurzen Blick auf das Display hob er ab. „Hallo Cady.“
„Dass er bei den vielen Frauen nicht den Überblick verliert.“, murmelte Taylor amüsiert hinter mir.
Andrew, der das gehört hatte, warf ihm ein Sofakissen ins Gesicht. „Ja ich weiß was du meinst.“
Da es wohl etwas sehr privat wurde, stand er auf und verließ das Zimmer. Ich sah mit gehobener Braue zu Taylor, der jedoch nur mit den Schultern zuckte und zum Fernseher sah.
„Muss wohl wichtig sein.“, meinte er dabei und lehnte sich zurück.
Ich zuckte darauf nur mit den Schultern und lehnte mich an ihn.
Wenig später kam Andrew wieder herein, setzte sich jedoch nicht. „Ich muss jetzt leider wieder gehen. Die Freundin des Zwillings, des Mannes meiner besten Freundin hat ein ziemliches... Problem und braucht ärztliche Hilfe. Professionell ärztliche Hilfe.“
„Und ich brauche dich nicht?“ Ich zog einen Schmollmund. „Dann geh.“
Er lachte tief, kam herüber an die Rückenlehne und zog mich an sich. „Ich brauche dich wahrscheinlich mehr als du mich. Du hast ja deinen Bruder, deinen Vater, deinen neuen Freund und wahrscheinlich noch reihenweise andere Männer, die sich darum streiten, wer mit dir zusammen sein darf.“
Ich lachte leise. „Du spinnst doch. Da streitet sich gar keiner wegen mir.“
„Gib mir einen Kuss, dann beweise ich dir, dass es Männer gibt, die sich deshalb streiten.“
Taylor knurrte missgelaunt und warnte ihn sogar noch, als er mir näher kam. Andrew sah aus dem Augenwinkel zu ihm und wackelte mit den Augenbrauen.
„Stört es dich, wenn ich ihn ein wenig ärgere?“, wollte er leise wissen.
„Kein Problem, wenn ich danach die Hälfte von dem Gewinn abbekomme.“
Erneut lachte er leise und küsste mich. Lange. Wie damals, an meinem Geburtstag. Mein Gott. Wenn er in meinem Alter wäre, nicht so ein Aufreisser und Single... dann könnte ich mehr tun als das hier nur ein bisschen genießen, kam es mir in den Kopf. Dann lachte ich, als Taylor Andrew von mir wegschubste.
„Verdammt nochmal, hör auf meine Schwester zu küssen.“, meinte er aufgebracht und zog mich eng an sich.
„Ach Taylor.“, meinte ich lächelnd, „Ich hab dich lieb.“
Dieser knurrte nur wieder, hielt mich fest, als seien seine Arme Ketten und ignorierte Andrew schlecht gelaunt. Als er der Meinung war, dass ich eng genug bei ihm saß und mich nicht mehr bewegen konnte, nahm er die Fernbedienung und schaltete den Fernseher an.
„Ich sag dann bis nächstes mal, Kleines.“, meinte Taylors bester Freund und lächelte mich warm an.
Als er sich nochmal zu mir beugte, zog Taylor mich mit einem Ruck weg. „Wenn du sie jetzt oder gleich noch einmal küsst, Drew, dann schlag ich dich noch.“
„Ich wollte sie doch nur auf die Stirn küssen.“, lachte Drew leise, „Aber gut. Bis dann Taylor.“
Seine Antwort war ein weiteres Knurren und Drew tätschelte mir noch zum Abschied das Haar, bevor er ging. Zehn Minuten später wurde Taylors Griff langsam lockerer, woraufhin ich mich zu ihm umdrehte um die Arme um ihn schlang.
„Danke, dass du immer für mich da bist.“, meinte ich aufrichtig.
„Und das dankst du mir, in dem du dich vor meinen Augen von Drew küssen lässt?“, hakte er nach.
Ich lächelte zu ihm auf. „Du weißt, dass er das nur tut, um dich zu ärgern.“
„Das heißt nicht, dass es mich weniger stört. Irgendwann ertrage ich es nicht mehr.“
Langsam verschwand mein Lächeln und ich lehnte meine Wange an seine Schulter. „Und wenn ich mal einen Freund habe?“
„Das ist etwas anderes. Andrew ist nicht dein Freund. Er ist vergeben, ein Herzensbrecher und was das schlimmste von allem ist, er ist mein allerbester Freund. Wenn du Gefühle für ihn entwickelst... Ich weiß nicht, was ich dann tun soll, weißt du?“
„Taylor, ich kenne Drew doch. Er ist nicht mehr als ein guter Freund. Und ich weiß, dass er Hals über Kopf in Abby verliebt ist. Vor einer Woche hat er mir gesagt, dass er mit ihr einen Ausflug in ein Ferienhaus machen möchte, dass er von seinem Vater bekommen hat. Das hat er bisher noch nie gemacht, weißt du?“
„Ich weiß, dass er sie liebt. Gott, ich weiß sogar wie sehr er sie liebt.“
„Er hat noch nicht einmal mit ihr geschlafen, um ihr zu zeigen, dass er mehr als nur Sex von ihr möchte.“
Er zog die Brauen zusammen und sah verwundert zu mir herab. „Woher weißt du das denn jetzt schon wieder?“
Ich wurde ein wenig rot. „Äh... Ich hab da ein langes Gespräch mit ihm gehabt. Er wollte ein paar Tipps und ich musste da halt ein paar Sachen wissen also hab ich auch gefragt.“
Sein Blick wand sich abrupt wieder ab. „Ich frage nicht weiter.“
Mit einem Lächeln legte ich die Arme um seinen Hals und küsste ihn auf die Wange. „Du bist der beste große Bruder den ich haben kann.“
„Das will ich doch hoffen. Sonst gehst du mir noch fremd. Mit Kadens Bruder oder so.“
Nun kicherte ich und kuschelte mich an ihn. „Er kann dir nicht das Wasser reichen.“
„Hat er etwa keine Hände?“
Ich brach lauthals in Gelächter aus, was ihn dazu veranlasste auf mich herab zu lächeln.
„Gott, ich liebe dieses Geräusch.“
 
„Kendra.“
Ich murrte verschlafen.
„Du musst aufstehen. Du musst zur Schule.“
Müde nuschelte ich etwas ins Kissen und drehte mich weg.
„Steh auf. Ich fahr dich auch hin.“
„Geh weg. Lass mich schlafen.“
Man zog mir die Decke weg, woraufhin ich sofort die Beine anzog und murrte. „Ich will nicht. Ich will schlafen.“
„Schlafen kannst du später immer noch.“
„Kann ich nicht. Dann bin ich schon in Ohnmacht gefallen oder so.“
„Wohl eher die Ohnmacht, weil Kaden, dein großer Retter, zur Stelle ist. Jetzt steh auf.“
Ich zog mir das Kissen über den Kopf, woraufhin Taylor es mir einfach wegzog und mich auf die Arme hob. Sofort kuschelte ich mich an ihn, lehnte meinen Kopf an seine Schulter und seufzte leise.
„Wann bist du gestern eingeschlafen?“, wollte er besorgt wissen.
„Weiß nicht. Vielleicht um 4 Uhr.“
„Kiddy, wir haben 6 Uhr. Du musst wach werden, okay? Ich bring dich ins Bad und dann duscht du erst einmal. Dann bist du wach. In Ordnung?“
„Ich bin so müde, Taylor.“
„Ich weiß. Komm, ich bring dich jetzt ins Bad.“ Damit setzte er sich in Bewegung und kurz darauf stellte er mich vorsichtig ab. „Verlange nicht von mir, dass ich dich ausziehe und unter die Dusche stelle. Ich warte vor der Tür.“'
Ich nickte müde und zog mir bereits das T-Shirt aus, als er das Bad verließ. Eine Viertelstunde später öffnete ich, in einem Handtuch gewickelt, die Tür und schlang direkt die Arme um Taylor, als er mich stützen wollte. Mit einem leisen Seufzer hob er mich hoch, brachte mich ins Zimmer und wartete wieder vor der Tür. Ich zog mich an, öffnete die Tür und dann trug er mich noch in die Küche. Er fütterte mich sogar, trug mich und meine Schultasche in sein Auto und gab mir tatsächlich Geld aus seinem Portmonee, weil er vergessen hatte, Dad danach zu fragen und ich ja Frühstück brauchte. Dann fuhr Taylor mich zur Schule und musste mich dort sanft wecken, da ich im Auto eingeschlafen war. Müde und völlig verschlafen verabschiedete ich mich von ihm, nahm meine Tasche und machte mich auf den Weg ins Gebäude. Natürlich stieß ich wieder mit jemandem zusammen und fiel hin. Als ich blinzelnd aufsah, blickte ich in Kadens Gesicht, das verwundert zu mir herab sah.
„Du... siehst müde aus.“, bemerkte er und half mir auf. „Konntest du nicht schlafen?“
Benebelt von der Müdigkeit schüttelte ich den Kopf. „Albträume.“
Er seufzte tief und wich nicht von meiner Seite, als ich zu meinem Spind ging, um meine Bücher zu holen. Dabei musste er wieder die Zahlenkombination eingeben und verstaute die Bücher sogar, sauber sortiert, in meiner Tasche, die er mir dann einfach abnahm.
„Vielleicht solltest du es mit einer Schlaftablette versuchen.“, meinte er und begleitete mich langsam zu meiner Klasse.
„So etwas nehme ich nicht.“, gab ich zurück.
„Wie lange hast du heute geschlafen?“, wollte er wissen.
Ich blinzelte kurz. „Zwei Stunden.“
Keine Reaktion war, dass er sich mit der Hand durchs Haar fuhr und murrte. „Heute ist Montag. Morgen kannst du dich ausschlafen.“ Nach einem Moment des Schweigens fluchte er leise. „Heute ist der Gerichtstermin.“
Ich winkte ab. „Ich kann in der Pause sicher ein bisschen schlafen.“
„Willst du fasten? Oder willst du, dass Derek weiterhin unbestraft durch die Gegend spaziert?“, entgegnete er gereizt, „Ich kauf dir 'nen Kaffee.“ Ich stolperte. „Einen starken Kaffee. Schwarz. Oder vielleicht einen Espresso.“
„Ich trinke keinen Kaffee.“
„Nun, da wirst du nicht drum rum kommen. Entweder du trinkst ihn, oder ich flöße ihn dir ein.“
„Wie willst du das denn machen?“
„Weißt du, wie Menschen ernährt werden, wenn nirgendwo ein Krankenhaus ist und er ohnmächtig ist?“
Ich sah geschockt zu ihm auf. „Das tust du nicht.“
„Wenn nötig schon.“
„Warum?“
„Weil du bei deiner Aussage klar denken musst. Sonst kommt er noch ohne Strafe oder einer kleinen Geldstrafe davon. Die Beamten müssen merken, wie sehr es dir zu schaffen macht.“
„Ich kauf mir einfach ein paar Dextro Energie.“
„Red keinen Unsinn, davon wird ja nicht einmal ein kleines Kind wach. Geschweige denn du.“
Ein Murren meinerseits.
Er betrat mit mir meine Klasse, doch als ich mich auf meinen Platz setzen wollte, griff er mich am Oberarm und zog mich ein paar Plätze weiter. Obwohl da eigentlich gerade jemand saß, zog er ihn einfach am Stuhl weg, zog einen leeren Stuhl heran und setzte mich darauf.
„Was soll das? Bist du blöd oder so? Das ist mein Platz.“, beschwerte sich der Junge.
„Heute musst du wo anders sitzen.“, entgegnete Kaden schlecht gelaunt.
„Hat dich ein Mädchen abblitzen lassen, oder was hat dich gebissen? Zieh ab, Kaden.“, meinte sein Nachbar.
„Ich sorge einfach nur dafür, dass sie nicht neben Derek sitzen muss, verstanden? Wenn du was dagegen hast, dann sag es ihm, nicht mir.“ Er wand sich an mich. „Komm ihm nicht zu nahe, verstanden? Er hat so etwas schon oft abgezogen. Er wird versuchen dich weich zu kochen, bis du ihm verzeihst und dann versucht er es nochmal. Kapiert?“
Ich zuckte zusammen, weil er sich so grob anhörte, nickte jedoch. „Mach ich.“
„Wenn irgendwas ist, meine Klasse ist gegenüber. Zöger nicht, mir Bescheid zu sagen. Dann sind mir die Schulregeln egal.“
Ich zog die Brauen zusammen. „Das kannst du nicht machen.“
„Ich kann und ich werde.“
„Dann werde ich nicht zu dir kommen.“
Finster sah er auf mich herab. „Kein anderer weiß, wie man dich vor ihm schützt. Überleg es dir gut, wen du heute bei dir haben möchtest. Morgen ist zwischen uns alles wie vorher.“
Sprachlos sah ich zu ihm auf, während er einem Mitschüler mit Prügel drohte, als er versuchte mich von dem Platz wegzuziehen. Dann senkte ich den Blick. Hatte Derek so richtig gelegen, mit dem, was er sagte? War Kaden wirklich ein Schlägertyp? Warum war er gerade so aggressiv?
„Wir sehen uns in der Pause.“, meinte Kaden noch an mich, bevor er mir die Tasche hinstellte und ging.
Direkt nachdem er die Klasse verlassen hatte, betrat Derek den Raum und setzte sich auf seinen Platz. Er sah ziemlich mitgenommen aus. Sein rechtes Auge war blau, sein Kiefer blau und dick und seine linke Augenbraue von trockenem Blut verkrustet. Außerdem schien seine Lippe aufgeplatzt zu sein. Sie blutete bereits wieder, als würde er sie nicht in Ruhe lassen können. Einige Schüler sahen ihn entsetzt an, während ich den Blick starr auf den Tisch vor mir richtete. Wenig später betrat der Lehrer die Klasse und sagte dem Jungen, dem ich ungewollt seinem Platz genommen hatte, er solle sich neben Derek setzen und nicht so einen Aufstand machen.
 
Als es zur großen Pause klingelte, eilte ich so schnell es ging aus der Klasse, bog sofort nach rechts ab und lief jemandem in die Arme. Dieser jemand hielt mich fest, damit ich nicht fiel, woraufhin ich aufsah und mal wieder in Kadens Gesicht sah.
„Ist das ein Hobby oder so? Andere Leute anzurempeln.“
Ich spürte wie ich etwas rot wurde. „Nein. Ich hab dich nicht gesehen.“
Er murmelte etwas vor sich hin, nahm mich dann am Oberarm und führte mich den Flur entlang zum Schulhof. Dort angekommen setzte er mich auf eine Bank und befahl mir dort auf ihn zu warten und mich nicht zu rühren, bis er wieder kam. Ich war sowieso zu müde, um ihm zu widersprechen, also nickte ich nur und sah ihm nach, als er zurück ins Gebäude ging.
„Kendra!“, ertönte es plötzlich rechts von mir, woraufhin ich überrascht dorthin sah.
Ich blinzelte ein paar Mal, bis ich Tabither erkannte und sprang auf, um sie zu umarmen. „Mein Gott, wo kommst du denn her?“, wollte ich von meiner gleichaltrigen Freundin wissen und sah sie lächelnd an.
„Von zuhause natürlich. An unserer-“ Sie schüttelte den Kopf. „Du bist ja jetzt nicht mehr auf der Schule. Also, an meiner Schule werden Bauarbeiten gemacht und deshalb haben wir heute frei bekommen.“
„Bauarbeiten?“, hakte ich verwundert nach.
„Ja. Naja, was heißt Bauarbeiten. Sie fliesen alle Flure neu, weil vorgestern ein Schüler überall den Boden völlig zerstört hat. Gestern hatten wir auch frei. Soweit ich weiß, sind die Bauarbeiter fast fertig. Sie müssen die Fliesen raus holen, den Boden neu machen und dann neue Fliesen legen. Du weißt schon.“
Nickend sah ich einen Moment an ihr vorbei, bevor ich wieder zu ihr auf sah. „Wie geht’s deinem Bruder?“
Schräg lächelnd sah sie leicht zu Boden. „Ihm geht’s immer besser. Er kann bereits wieder seinen Arm bewegen. Mit dem Bein klappt es noch nicht so gut. Aber er kann sich aufsetzen.“
Tabbys Bruder hatte vor vier Monaten einen Motorradunfall. Er fuhr gerade um eine Ecke, als ihm ein PKW direkt in die Seite raste. Beinahe sämtliche Knochen auf der rechten Seite waren gebrochen, doch wie durch ein Wunder war seine Wirbelsäule völlig unbeschadet davon gekommen. Die Person, die hinter ihm gesessen hatte, hatte es genauso schwer getroffen wie ihn.
„Letztes Wochenende haben sie sich nochmal seine Knochen angesehen.“, fuhr Tabither fort, „Sie verheilen alle wunderbar und schön gerade. Der Doktor hat wirklich ganze Arbeit geleistet. Allerdings wollte ein Knochen im Fußgelenk nicht richtig und sie mussten es... behandeln.“ Sie atmete kurz durch und sah zu mir auf. „Ich habe dir ja erzählt, dass der Knöchel regelrecht zersplittert ist. Er wollte nicht richtig zusammenwachsen, also musste sie ihn komplett entfernen und haben ihm einen künstlichen Knochen eingebettet.“
„Das klingt furchtbar.“, kam es mir über die Lippen, woraufhin sie nur matt lächelnd den Kopf schüttelte.
„Er hat zum Glück nur sehr wenig Schmerzen. Im Gegensatz zu-“ Sie schluckte hart und ihre Unterlippe zitterte leicht. „Waren hätte beinahe sein Bein verloren. Sie mussten ihm den Unterschenkelknochen ersetzen und den Oberschenkelknochen mit Metallschienen verstärken. Sein Ringfinger wird versteift bleiben, aber die anderen sind gerettet. Er hat eine Narbe, direkt hinterm Ohr, die hier am Hals entlang verläuft.“ Sie fuhr mit ihrem Finger an der Seite ihres Halses herab. „Hier am Schlüsselbein endet sie.“ Sie tippte sich an den Punkt, an dem das Schlüsselbein auf die Schulter traf. „Auf der Seite sind seine Haare jetzt ganz kurz. Sie sind gerade ein paar Millimeter nachgewachsen.“ Sie schluchzte. „Was hat er sich auch dabei gedacht, ohne Helm zu fahren. Beide. Diese Idioten.“
Ich nahm sie in die Arme. „Ist schon gut, Tabby. Bald geht es ihnen besser. Sag mir noch...Ist Waren schon aufgewacht?“
Tabbys Bruder war wenige Tage nach der OP wieder zu sich gekommen, doch Waren lag seitdem im Koma. Als Tabby dann aber nickte, wurde mir leichter ums Herz.
„Er wollte mich sofort sehen. Er wusste, wer ich war, aber er hatte vergessen wie ich aussehe. Mir blieb fast das Herz stehen, als ich herein kam und er mich so angesehen hat, als sei ich eine Fremde. Er hat gefragt, wer ich bin und als ich es ihm gesagt habe... er hat sofort angefangen zu lächeln, obwohl er wahnsinnige Schmerzen haben musste. Es war wenige Tage nach der OP an seinem Bein. Er versuchte sich mit Hilfe seines gesunden Armes aufzusetzen, doch ich hab ihm angesehen was für Schmerzen er hatte und hab ihn sofort wieder runter gedrückt. Als er endlich aufgegeben hatte, hat er stattdessen mich zu sich gezogen und geküsst. Ich hatte ihn so vermisst, Kendra.“
„Ich weiß. Aber die beiden machen doch gute Fortschritte.“, sprach ich ihr zu und löste mich langsam von ihr, um ihr ins Gesicht zu sehen.
Tapfer lächelte sie mich an. „Du hast Recht. Die beiden sind jetzt auch im selben Zimmer und reißen die ganze Zeit Witze.“
„Siehst du? So schlecht kann es ihnen wohl nicht gehen. Wenn ein Mann Witze reißen kann, geht’s ihm gut. Also mach dir keine Sorgen um deine beiden Idioten.“
Leise lachend wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Dann sah sie auf, atmete tief durch und lächelte wieder von Herzen. „Waren hat mir einen Heiratsantrag gemacht.“
Ich kippte beinahe aus den Latschen. „Oh... Gott. Wie wars? Hast du Ja gesagt? Hast du ihm einen Korb gegeben? Und hatte er einen Ring? Wenn ja, wie sieht er aus?“
„Für mich war es wundervoll. Jeremiah war gerade nochmal zur Untersuchung, also waren Waren und ich allein im Zimmer. Er hat mit geschlossenen Augen dagelegen und mir zugehört. Ich hab ihm aus seinem Lieblingsbuch vorgelesen, weil er meine Stimme so gern hört. Irgendwann nahm er mir seufzend das Buch aus der Hand, setzte sich trotz Schmerzen auf und zog mich zu sich ans Bett. Er hat eine richtige wunderschöne Rede gehalten, meine Hände festgehalten und mir die ganze Zeit in die Augen gesehen. Als er mich dann fragte, ob ich seine Frau werden wolle, hab ich angefangen zu weinen und bin ihm in die Arme gefallen.“ Sie lachte leise. „Ich hatte in dem Moment ganz vergessen, dass seine Rippen noch schmerzempfindlich waren, und bin vom Bett gefallen, als er vor Schmerz schrie. Er meinte, wenn ich ihn nicht will, solle ich ihn nicht gleich umbringen. Ich könne auch einfach Nein sagen. Ich hab mich wieder zu ihm ans Bett gesetzt, ihn geküsst und sagte, ich würde keinen anderen heiraten wollen. Dann...“ Nun wurde sie rot und lächelte verlegen. „Naja. Die Krankenschwester hat ihn dabei unterbrochen mir das Oberteil auszuziehen.“
Erneut zog ich sie an mich und umarmte sie, diesmal aus Freude. „Das ist so schön. Ich freue mich so für euch. Ihr müsst mich unbedingt zur Hochzeit einladen.“
„Ich bestehe darauf, dass du meine Trauzeugin wirst.“, entgegnete sie, „Aber es wird noch sehr lange dauern.“
„Nehmt euch so viel Zeit wie ihr braucht.“
Erneut löste ich mich von ihr und lächelte sie an. Als dann der Blick auf jemanden hinter mir fiel, sackte ihr Unterkiefer eine Etage tiefer. „Mein Gott. Wer ist das?“
Verwundert drehte ich mich um und sah Kaden mit zwei Bechern auf uns zukommen. „Trink das.“, meinte er und drückte mir eine davon in die Hand. „Sonst schläfst du noch im Stehen ein.“
Ich schnupperte zaghaft daran und verzog dann das Gesicht. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich keinen Kaffee trinke.“
„Das ist auch keiner. Es ist ein Espresso.“
Ich rollte mit den Augen. „Den trinke ich auch nicht.“
„Nun... dann hast du Pech. Jetzt trink ihn. Du musst später wach sein.“
„Aber-“
„Kein aber.“
„Ich-“
„Kendra.“
„Aber-“
„Jetzt trink ihn einfach.“
Tabby sah zwischen uns hin und her und zog kritisch die Brauen zusammen. „Ken, ich gebe ja zu, dass er umwerfend gut aussieht, aber meinst du nicht, er ist etwas grob zu dir? Ich dachte immer, du stehst auf nettere Typen.“
Kaden zog eine Braue hoch und sah sie skeptisch an, während ich rot wurde und mich an Tabither wand.
„Wir- ... Ich- ... Er- … Also-“
„Wir sind nicht zusammen.“, meinte Kaden und sagte damit das, was ich sagen wollte. „Und das werden wir auch nie sein.“
„Ach nein?“, hakte Tabby nach und sah ihn verwundert an. „Dann tut es mir leid. Es hat einen Moment so ausgesehen. Und weil du dir Sorgen um sie machst, dachte ich mir-“
„Ich habe mir keine Sorgen gemacht.“, unterbrach er nun sie, „Ich sorge nur dafür, dass sie später wach ist. Ihr klarer Kopf wird benötigt.“
Sie schürzte die Lippen und sah zu mir. Ich dagegen wand mich ein wenig ab und trank einen Schluck, um nichts sagen zu müssen.
„Na endlich.“, brach es aus Kaden heraus, als er sah, dass ich den Espresso trank. Dann schnaubte er amüsiert, angesichts der Grimasse die ich zog.
„Das ist widerlich.“, meinte ich.
„Trink aus.“, gab er zurück und sah wieder zu Tabither. „Und wer bist du, wenn ich fragen darf? Ich hab dich hier noch nie gesehen.“
„Mein Name ist Tabither. Kendra und ich sind beste Freundinnen, seit wir zusammen im selben Sandkasten gespielt haben. Und ich sag dir, wenn ich höre, dass du ihr weh tust, dann hast du ein Problem, verstanden?“
„Das solltest du jemand anderem sagen.“, entgegnete er nüchtern, „Derek hat weitaus schlimmeres getan, als sie nur zu verletzen. Da wir gerade von ihm sprechen.“ Er sah sich um. „Wo ist dieser verdammte-“ Mit einem Mal unterbrach er sich selbst und sah auf etwas hinter mir. „Ich bin gleich wieder da.“, meinte er dann und ging an mir vorbei.
Als ich ihm nach sah, entdeckte ich ein Mädchen auf der Wiese, die offenbar auf ihn wartete. Sie war ein paar Jahre jünger als ich und hatte ebenso dunkle Haare wie Kaden.
„Der sieht wirklich heiß aus, Kendra.“, bemerkte Tabby.
„Er ist eigentlich auch sehr nett.“, gab ich zurück und fragte mich, wer das Mädchen war.
„Warum versuchst du es nicht mit ihm?“
Ich sah sie matt an. „Er hat kein Interesse.“
Skeptisch hob sie eine Braue. „Das sah gerade aber anders aus.“
„Er will nur, dass ich zum Gerichtstermin wach genug bin, um alles nüchtern zu schildern.“
„Gerichtstermin?“
Mit einem Seufzen setzte ich mich auf die Bank und trank noch etwas von dem scheußlichen Getränk. „Ich... Also... Es war letzten Freitag. Ich war mit Derek zusammen und er hat mich gebeten ihn auf eine Party zu begleiten. Wir waren unten im Partykeller und haben getanzt. Kaden und sein Bruder waren auch da. Sie haben ihre Schwester gesucht.“ Ich machte eine Pause. „Irgendwann brauchte ich Luft und bin mit Derek wieder hoch gegangen. Da war es brechend voll geworden, also sind wir noch eine Etage höher gegangen. Dort war es leerer und ruhiger. Ich bin ganz offen. Derek und ich haben ziemlich viel rumgeknutsch und wurden von jemandem unterbrochen, der an uns vorbei ging. Derek wollte, dass wir ungestört sind und ist mit mir in ein Schlafzimmer. Nunja... kurz und knapp... er hat versucht mich zu vergewaltigen.“
Wie vom Blitz getroffen sah sie zu mir herab und setzte sich dann neben mich, bevor sie mich an sich riss. „Oh Gott, Kendra! Das muss schrecklich gewesen sein.“
„Ich hatte furchtbare Angst.“, gestand ich ihr, „Aber... dann kam Kaden.“
„Was?“
„Kaden hat ihn von mir runter gerissen und K.O. geschlagen. Dann hat er mich zu seinem Auto getragen und nach hause gebracht.“ Ich spürte erneut die Röte, als ich daran dachte, wie ich ihn geküsst hatte.
„Erzähl mir alles.“
Und das tat ich. Es sprudelte förmlich aus mir heraus und ich war gerade fertig und völlig rot, als Kaden zurück kam. Er sah mich kritisch an und hob eine Braue, als er sich an Tabby wand.
„Was ist mit ihr? Sie hat doch kein Fieber, oder?“, wollte er wissen und sah nervös zu mir.
„Nein. Sie ist nur verlegen.“
Nun sah er misstrauisch aus. „Verlegen? Weshalb?“
Schmunzelnd sah sie ihn lange an, doch er sah es nicht. Sein Blick haftete an mir. „Ich sage es mal so. Der Grund für die Verlegenheit ist gerade anwesend.“
Er schnaubte. „Das sie wegen dir verlegen wird, ist nun wirklich mal was. Ich dachte, ihr kennt euch so gut.“
„Oh, das tun wir auch.“
„Kendra?“
Ich sah zu Kaden auf. „Hm?“
„Hattest du nicht noch Fragen an mich?“
Verwirrt sah ich ihm ins Gesicht. „Fragen?“
„Du sagtest etwas davon, dass Derek dir Gerüchte über mich erzählt hat.“
Ein paar mal zu ihm herauf blinzelnd, dachte ich nach, bevor es mir wieder einfiel. „Oh! Richtig.“, kam es kurz darauf von mir, „Er sagte unter anderem, dass du dich gern prügelst. Und... naja... als du mir Freitag sagtest, du seist geübter als er und ich habe dich so oft mit blauen Flecken gesehen...“
Sein Kiefer spannte sich an. „Das Einzige, was ich dir darüber sagen werde ist, dass ich mich garantiert nicht gern prügle. Den Rest erspare ich dir besser.“
Ich nickte langsam. „Nun... also... Er sagte auch, du würdest mit jeder Frau flirten die dir über den Weg läuft und sobald du mit ihnen im Bett warst, lässt du sie fallen und siehst sie nicht einmal an.“
Lange sah er mich an, bevor er etwas sagte. „Kendra, sag mir... wie oft habe ich an dieser Schule bereits ein Mädchen angesehen?“
Damit war ich überfragt. Ich hatte oft gesehen, dass er ein Mädchen ansah. Entweder aus der Ferne, oder weil sie mit ihm sprach. „Ich... weiß es nicht.“
„Ich bin nicht so herzlos wie er. Es ist deine Sache, was du ihm glaubst. Selbst wenn er die Wahrheit sagen würde, wäre es nicht ziemlich bescheuert von mir, dem zuzustimmen? Ich meine, falls es dir noch nicht aufgefallen ist, mit dir war ich nicht im Bett. Würde ich damit nicht meine Chancen bei dir senken?“
Mir blieb der Mund offen stehen.
„Es ist ganz klar, dass ich es abstreite. Ich kann sagen was ich will. Egal wen du fragst, jeder wird dem zustimmen was Derek gesagt hat. Er war es nämlich, der das Gerücht erst in Umlauf gebracht hat.“
Ich senkte den Blick. Natürlich hatte er Recht. In all den Tagen, die ich bereits auf dieser Schule war, habe ich bereits so einige Mädchen darauf angesprochen. Sie sagten alle dasselbe. Und für Kaden war es alles andere als schmeichelhaft.
„Sonst noch Fragen?“, fragte Kaden leicht gereizt.
„Wer ist Debora?“, brach es darauf aus mir heraus.
Er sah mich verdutzt an. „Debby? Warum?“
Ich öffnete den Mund, um zu antworten, schloss ihn dann jedoch wieder. Als ich es erneut versuchen wollte, sah ich Veronica auf uns zueilen.
„Kade!“, rief sie ihrem Bruder zu. Sie war ziemlich außer Atem.
Er erkannte die Stimme sofort und drehte sich zu ihr um. „Was gibt’s, Roni? Warum bist du nicht zuhause?“
Sie schüttelte den Kopf. „Timothy schickt mich. Sam hat ihn gerade angerufen. Warst du in letzter Zeit unvorsichtig?“
Er sah sie an, als hätte sie einen schlechten Witz gemacht. „Nein. Ich bin immer vorsichtig. Warum?“
„Ich weiß nicht. Sam wollte mit dir reden und Timothy sagte, Sam habe sich ziemlich aufgelöst angehört.“
„Ich werde gleich zurück, rufen.“ Er griff an seine Hosentasche, fluchte dann jedoch. „Ich habs Zuhause vergessen. Kein Wunder, dass sie mich nicht erreicht hat.“
„Du kannst meins nehmen, wenn es wichtig ist.“
Er zögerte. „Nun ja. Wenn Sam aufgelöst ist, scheint es wichtig zu sein. Die wissen, dass ich jetzt in der Schule bin und würden mich nur anrufen, wenn es wirklich dringend ist.“
Veronica nickte kurz, zog ihr Handy aus der Hosentasche und gab es Kaden, der mit einem Blick auf Tabby und mir einige Meter weg ging.
„Wer ist Sam?“, wollte Tabby von mir wissen.
„Ich weiß es nicht.“, gab ich zurück.
„Und Timothy?“
„Kein Schimmer.“
„Timothy ist unser Bruder.“, antwortete Veronica, „Sam ist ziemlich gut mit Kade befreundet.“
Kaden begann sich mit jemandem zu unterhalten, wobei einige Wortfetzen zu mir herüber drangen.
„... du nicht aufgepasst? … keine Sorgen ... regle das schon … komm später vorbei … Termin machen … nicht so schlimm … dich auch, bis dann.“
Er legte auf, kam zu uns herüber und gab Veronica das Handy. „Es gab einen kleinen Unfall und sie ist darin verwickelt.“
„Sie?“, hakte Tabby nach.
Kaden sah sie gleichgültig an. „Sam. Eine sehr gute Freundin von mir.“ Er sah wieder zu Veronica. „Kannst du irgendwie dafür sorgen, dass Hector nicht da ist, wenn ich nach hause komme?“
Sie nickte. „Kein Problem. Ich gehe dann wieder.“
Er verabschiedete sich kurz von ihr und wand sich dann wieder an mich. „Also. Was war jetzt mit Debby?“
Verwirrt sah ich zu ihm auf.
„Du wolltest mir sagen, warum du wissen möchtest, wer Debby ist.“
„Oh. Nun, Derek sagte, sie sei... also... sie sei eine deiner... Freundinnen.“
Er zog die Nase kraus. „Er sollte sich bessere Ideen einfallen lassen. Debby ist meine jüngere Schwester. Und ich habe keine feste Freundin, falls du das auch fragen wolltest. Ich habe keine Affären und habe seit etwa drei Tagen kein Mädchen mehr geküsst.“
Tabby hob eine Braue. „Aber du hast eine geküsst.“
„Ja. Kendra hat mich geküsst. Davor war es etwa zwei Wochen her und das war auch Kendra.“
Nun sah Tabither mich vorwurfsvoll an. „Ich dachte, du warst mit diesem Derek zusammen.“
„War ich auch.“, murmelte ich.
„Sie wollte nicht geküsst werden.“, bemerkte Kaden, „Ich wollte nur Derek wütend machen.“ Er wand sich an mich. „Noch mehr Fragen?“
„Woher waren die blauen Flecken, die du immer hast?“
Er ließ sich neben der Bank ins Gras sinken und stützte sich ab, um sich ein wenig nach hinten lehnen zu können. So wie er das Gesicht gen Sonne hielt, sah er wirklich gut aus. Doch er antwortete nicht auf meine Frage.
„Nun ja. Ich muss jetzt wieder gehen. Ich hab Waren versprochen ihn heute zu besuchen.“ Ein Lächeln breitete sich in Tabithers Gesicht aus. „Er möchte mit mir essen und ich bin neugierig wie er das anstellen möchte.“
Ich stand mit ihr auf und umarmte sie nochmal. „Ich wünsch euch beiden viel Glück.“
„Das können wir sicher gut gebrauchen, danke.“
Damit drehte sie sich um und ging, woraufhin ich mich wieder setzte und unwillkürlich zu Kaden herab sah. Mit geschlossenen Augen hielt er das Gesicht in die Sonne. Sein Haar schimmerte braun, doch wie immer sah es schwarz aus, wo das Licht nicht hinkam. Einfach fantastisch. Trotz der blauen Flecken. Dann fiel mir ein blauer Fleck auf, der vorher nicht dagewesen ist. Als er sich nach der Party nochmal von mir verabschiedet hatte, hatte er nur einen Bluterguss am Kiefer. Jetzt war da einer an der Schulter. Ich sah es nur ganz knapp, da sein Shirt den Rest überdeckte. Von Neugierde gepackt beugte ich mich etwas herunter und zog das Shirt beiseite. Sofort sah Kaden mich verwundert an. Als er bemerkte, was ich mir ansehen wollte, zog er meine Hand beiseite.
„Was soll das werden?“, wollte er wissen und hielt mein Handgelenk fest im Griff.
„Du hast da noch einen blauen Fleck. War der vorher auch schon da? Ist der von der Prügelei mit Derek?“, wollte ich wissen, „Ich hab ihn vorher gar nicht gesehen, aber er scheint nur ein bisschen schlimmer auszusehen, als der an deinem Kiefer. Wurdest du an dem Tag nochmal geschlagen?“
Er biss die Zähne aufeinander und wand den Blick ab. „Das hat dich nicht zu interessieren.“
Ich zog die Brauen zusammen. „Tut es aber.“
„Dann tut es das eben. Ich werde dir nicht noch mehr darüber erzählen.“
„Du hast mir gar nichts darüber erzählt.“
„So soll es auch bleiben.“
„Aber du sagtest, du beantwortest meine Fragen.“
„Ich hab nicht gesagt, dass ich alle beantworte.“
Ich sah ihn einen Augenblick verletzt an. Dann riss ich mich von ihm los, stand auf und ging hinein. Das letzte, was ich noch von ihm hörte, bevor ich außerhalb der Hörweite war, war ein tiefes Seufzen, bevor er leise etwas vor sich hinmurmelte. Ohne mich umzudrehen, ging ich durch die Cafeteria und setzte mich zu ein paar Klassenkameraden.
„Was ist denn mit dir los?“, wollte Cloey wissen und sah mich abschätzend an. „Du siehst ja aus wie eine Leiche.“
„So fühle ich mich auch.“, gab ich zurück und stützte meinen Kopf in meine Hände. „Dir scheint's besser zu gehen.“
Sie schnaubte. „Der Schein trügt.“
„Was ist los?“
Sie hob eine Braue und sah mich erneut abschätzend an. „Warum sollte ich es dir sagen?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich zwinge dich nicht dazu. Ich biete dir lediglich an es mir zu sagen. Ich würde einfach zuhören und nur etwas sagen, wenn du es möchtest.“
Einen Moment starrte sie mich regelrecht an, als überlege sie, ob ich es wert war. Dann sah sie mit einem Seufzen auf den Tisch vor sich und begann zu erzählen.
 
Als ich Abends wieder nach hause kam, fühlte ich mich einfach schrecklich. Derek bekam vier Monate auf Bewährung. Am liebsten würde ich mich übergeben, doch wenn ich würgte, kam nichts.
„Ich lass das nicht zur Gewohnheit werden.“, meinte Kaden mit zusammen gebissenen Zähnen, als er mir die wenigen Stufen der Veranda herauf half.
Er hatte sich gnädigerweise bereits erklärt mich nach hause zu bringen, nachdem man festgestellt hatte, wie schlecht es mir nach der Verhandlung ging. Nun schien er es zu bereuen.
Als er mit mir vor der verschlossenen Tür stand, kramte ich einen Schlüssel aus meiner Handtasche und schloss auf. Alles war dunkel und still als ich das Haus betrat. Im nächsten Moment fand ich mich auf dem Boden wieder, da meine Beine nachgegeben hatten.
„Und da kippt sie auch noch um.“, murmelte Kaden verärgert, „Das war das letzte mal, dass ich dich nach hause bringe.“
Ich murrte und hielt mich an Kadens Arm fest, als er mir aufhalf. „Mir ist so übel.“
„Ich weiß. Das hast du auf dem ganzen Weg hierher gesagt. Was meinst du, warum wir erst jetzt hier sind? Wir wären eigentlich schon vor zwei Stunde hier, aber du dachtest ja ständig, du müsstest dich übergeben.“
„So fühlt es sich auch an.“, jammerte ich und hielt mir mit einem Arm den Bauch.
„Wo ist eure Küche?“
Schwächlich deutete ich in Richtung Küche, woraufhin er mich dorthin brachte, das Licht einschaltete und mich auf die Sitzbank in der Sitzecke setzte. Ich bemerkte nur wage, wie er die Schränke durchsuchte, da mein Kopf träge auf dem Tisch lag. Wie durch eine Glasscheibe hörte ich Geschirr klappern, Schranktüren auf und zu schlagen. Nach einer gefühlten Ewigkeit, setzte er sich neben mir, hob meinen Kopf an und zwang mich geradezu etwas ziemlich abscheuliches aus einer Tasse zu trinken.
„Gott, Kaden. Hör auf damit, sonst breche ich gleich wirklich.“, jammerte ich vergeblich, nachdem ich die Hälfte der Tasse ausgetrunken hatte.
„Trink das jetzt aus, dass hilft deinem Magen und hör auf so zu jammern, wie ein kleines Kind.“
Als ich mich beim letzten Viertel weigerte den Mund zu öffnen, hielt er mir die Nase zu und schüttete den Rest in meinen Mund, als ich Luft holte. Ich wollte es bereits wieder ausspucken, doch er hielt mir Mund und Nase zu. Ich würgte das Zeug runter und schob ihn dann weg, was zur Folge hatte, dass ich auf der anderen Seite von der Bank rutschte und auf den Boden fiel. Kaden stellte die Tasse beiseite und wollte mir aufhelfen, doch ich schob seine Hände beiseite.
„Lass mich. Ich will nicht mehr aufstehen. Es dreht sich alles.“
Er schnaufte stur. „Stell dich nicht so an.“ Doch statt mich dazu zu bringen aufzustehen, hob er mich hoch und trug mich aus der Küche. Ich hörte nur noch ein KLICK vom Lichtschalter, bevor ich weg dämmerte.
 
Vor Schmerz stöhnend wachte ich am nächsten Morgen auf und blickte direkt auf Holz. Ich blinzelte einige Male und fühlte mich unfähig mich zu bewegen. Dann bemerkte ich, dass ich auf etwas warmen lag, etwas sehr gemütlichem, und blinzelte erneut ein paar Mal. Ich hatte Angst meinen Kopf zu bewegen, aus Sorge, es könnte sich wieder alles drehen. Mein Magen rührte sich nicht.
Plötzlich ertönte rechts von mir ein Stöhnen, als hätte jemand große Schmerzen, die jedoch wieder abklangen.
„Mein Gott. Mein Kopf.“, murrte dieser Jemand.
Einen Moment sah ich eine Hand, die gehoben wurde, dann jedoch wieder aus meinem Blickfeld verschwand. Müde schloss ich wieder die Augen und hoffte wieder einzuschlafen.
„Wo bin ich? Verdammt... diese Schmerzen.“
Ihm schien es genauso zu gehen, wie mir. Fast mein ganzer Körper tat weh.
„Und was zum-“ Er verstummte abrupt. Kurz darauf spürte ich eine vorsichtige Hand an meiner Schulter. „Kendra. Wach auf. Es ist morgen.“
Noch bevor ich reagieren konnte, wurde die Tür geöffnet. Innerlich zählte ich bis fünfundzwanzig, bevor ich die Stimme meines Bruders vernahm.
„Was zur Hölle tut ihr da?“
„Schlafen.“, kam es mürrisch von mir, „Lass mich schlafen.“
„Ihr seht ja beide aus, als hättet ihr ein Wrestling hinter euch.“
„So fühlt sie sich wohl auch.“, meinte die Stimme rechts von mir.
Nur sehr langsam konnte ich sie einordnen. Und als es mir gelang, riss ich abrupt die Augen auf und sah zu ihm auf.
„Was tust du hier?“, wollte ich entsetzt von ihm wissen.
Er zog die Brauen zusammen und sah mich nachdenklich an. „Wenn ich das wüsste, würde ich es dir sagen.“
„Und warum liegt ihr auf dem Boden?“, wollte Taylor wissen.
Verdutzt sah ich mich um. Tatsächlich lagen wir einen halben Meter neben dem Bett. Auf Kopfhöhe stand
eben Kadens Kopf mein Nachttisch.
Plötzlich hörte ich die Stimme meines Vaters. „Taylor, lass die beiden. Die bleiben besser hier. Nach dem, was ich gestern gesehen und gehört habe, würde es mich nicht wundern, wenn sie sich mindestens fünf Knochen gebrochen haben.“
Es blieb einen Moment still und ich versuchte mich aufzurichten. Mir blieb die Luft weg, als meine Rippen auf der linken Seite plötzlich schmerzten.
„Ich ruf Andrew an.“, murmelte Taylor.
„Da-Dad?“, rief ich zaghaft und drehte mich schmerzhaft zur Tür.
Er erschien im Türrahmen. „Was ist, mein Kind?“
„Was ist passiert?“
Nachdenklich sah er sich im Zimmer um, und nickte dann. „Kaden hat dich nach dem Termin nach hause gebracht und dir wohl irgendwas zu trinken gegeben.“
„Daran erinnere ich mich noch. Ich bin von der Bank gefallen und Kaden hat mich aufgehoben.“
„Stimmt.“, meinte Kaden neben mir, „Ich hab dich aus der Küche getragen. Und durch den Flur zur Treppe. Ab da weiß ich nichts mehr.“
Mein Vater schnalzte mit der Zunge. „Ihr ward fast oben. Du bist mit dem Schuh an einer Stufe hängen geblieben, die wir reparieren müssen und bist dann mit Kendra die Treppe hinunter gefallen. Ich hab nur noch gesehen, dass du sie fluchend aufgehoben hast und sie nochmal hoch getragen hast. Dann bist du in ihr Zimmer gegangen und hast plötzlich wieder geflucht.“
„Daran erinnere ich mich.“, bemerkte Kaden, „Du hast um dich geschlagen, wie eine Verrückte.“, meinte er dann finster an mich gewand.
„Es war ziemlich laut und so wie das Zimmer aussieht, scheinst du wirklich mit ihr gerungen zu haben. Ich nehme an, du bist gefallen und mit dem Kopf auf dem Tisch aufgeschlagen. Zum Glück nicht so stark, dass du verletzt worden bist. Ich hab kurz rein gesehen, aber im Dunkeln sah es nur halb so schlimm aus.“
Als ich aus dem Augenwinkel zu Kaden sah, stellte ich fest, dass er mich ziemlich böse ansah.
„Hey, ich hab geschlafen.“, verteidigte ich mich.
„Muss ein ziemlich schlimmer Schlaf gewesen sein.“, bemerkte er darauf und versuchte aufzustehen. „Lieber Himmel, mir tut alles weh. Was hast du gemacht?“
„Woher soll ich das wissen? Mir geht’s nicht besser. Ich hab Schmerzen an Stellen, von denen ich nicht wusste, dass sie weh tun können.“
Direkt darauf tauchte Taylor neben Dad auf. „Drew ist unterwegs. Dauert vielleicht fünf Minuten, so wie der immer rast.“
„Taylor?“
Er sah zu mir. „Ja?“
„Trägst du mich ins Bett?“
Amüsiert hob er die Braue und sah auf das Bett, dass nicht einmal einen Meter von mir entfernt war. Leise lachend kam er dann zu mir herüber, hob mich schwerfällig hoch und verließ mit mir das Zimmer, statt mich ins Bett zu legen. „Du brauchst ein Frühstück, Kiddy.“
„Mir tut aber alles weh.“
„Willst du etwa verhungern?“
Murrend gab ich mich geschlagen und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. „Ich hab das Gefühl ich würde sterben.“
„Glaub mir, das fühlt sich schlimmer an.“
„Du hast ja gar keine Ahnung, wie ich mich fühle.“
„Sei still.“ Er setzte mich in der Küche auf die Bank und begann Frühstück zu machen. Etwas später erschien Kaden in der Tür.
„Ich sollte besser nach hause gehen.“, meinte er und stützte sich etwas an der Tür ab. „Meine Geschwister fragen sich sicher wo ich bin.“
„Warte noch, bis Andrew dich untersucht hat.“, meinte ich darauf, „Er ist ein guter Arzt.“
„Ich brauche keinen Arzt. Ich... ich muss nach hause. Ich hätte nicht hier bleiben dürfen.“ Er verzog ganz kurz das Gesicht, machte sich dann aber auf den Weg hinaus.
Taylor sah ihm kurz verwundert hinterher, wand sich dann aber ab und stellte mir ein Frühstück vor die Nase. „Wenn er nicht will, dann will er nicht.“
Ich seufzte leise. „Ich weiß... Ich denke, er wird bei sich etwas essen.“
„Hoffen wir es doch. Du gehst heute jedenfalls nicht in die Schule. Verstanden?“
Ich nickte ergeben.

Der Blick hinter die Maske




Als ich eine Woche später wieder Drews Erlaubnis hatte zur Schule zu gehen, war Kaden weit und breit nirgendwo zu sehen. Wenig später erfuhr ich aus einen Gespräch, das ein paar Mädchen neben mir führten, warum das so war.
„Es ist wirklich kaum zu fassen, dass er es schon wieder getan hat.“, meinte eine von ihnen, „Und dann auch noch die Neue.“
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie ein anderes Mädchen den Kopf schüttelte. „Ich hab gehört, diesmal soll es wieder Vergewaltigung gewesen sein. Kendra tut mir wirklich leid.“
„Ob wir mit ihr darüber sprechen sollen?“, fragte ein drittes Mädchen.
„Nein, das wühlt sie sicher zu sehr auf.“, warf ein viertes Mädchen ein.
„Es wundert mich aber, dass Kaden sich trotz allem noch in die Schule traut.“, gab das zweite Mädchen zu bedenken, „Derek muss wirklich sehr mit ihm gerungen haben, wie es aussieht.“
„Wirklich eine Heldentat sie vor ihm zu retten.“, stimmte das vierte Mädchen zu, „Aber soweit ich weiß, hat sie sich von ihm getrennt, weil die Vergewaltigung sie so zugesetzt hat. Es heißt, sie ertrage seine Berührungen nicht.“
„Wie kann Kaden nur so etwas tun?“, wollte nun das erste Mädchen wissen, „Einfach ein Mädchen vergewaltigen, dass er so gut wie gar nicht kennt.“
„Einfach... ekelhaft.“, stimmte das dritte Mädchen zu.
Während ich ihnen zuhörte, wechselten meine Gefühle von Verwirrung zu Entsetzen. Irgendjemand hatte ihnen davon erzählt und ich bin mir ganz sicher, dass es Derek war. Außerdem hatte er ihnen auch noch falsche Informationen gegeben und sich selbst als Helden dargestellt, obwohl er es war, der die Tat begannen hatte. Doch, wie kam er bloß damit durch?
In der Mittagspause ging ich mit meinem Mittagessen hinaus und setzte mich still auf eine Bank. Von Kaden hatte ich nicht ein einziges Mal gehört und gesehen hatte ich ihn auch noch nicht. Ich machte mir Sorgen um ihn und gerade als ich aufstehen wollte, um ihn zu suchen, sah ich wie er einige Meter von mir entfernt auf eine Bank zu ging und sich dort setzte. Er hatte nicht viel dabei. Eine kleine Portion Kartoffelbrei, eine Bratwurst und eine kleine Flasche Wasser. Nach einigem Zögern stand ich auf und ging zu ihm herüber.
„Kaden?“, hob ich zaghaft an, „Wie geht es dir?“
Er sah nur kurz zu mir auf, als müsse er nur kurz sicher gehen, dass ich es war, hielt das Gesicht jedoch so, dass ich es nicht sehen konnte. „Verzieh dich.“
Unsicher trat ich von einem Bein auf das andere. „Hast du noch Schmerzen?“
„Lass mich allein.“
„Aber....“ Ich zögerte kurz.
„Bitte Kendra. Geh einfach. Es ist schon genug passiert.“
Verwundert sah ich ihn an. „Was meinst du?“
Er zögerte einen Moment, sah dann aber zu mir auf, woraufhin ich vor Schreck beinahe mein Tablett losgelassen hätte. Sein Gesicht war mit blauen Flecken übersät, seine Unterlippe war an zwei Stellen aufgeplazt, seine Nase schien gebrochen zu sein und an seiner Stirn verheilten einige Wunden. An seiner rechten Braue waren ebenfalls zwei kleine Verletzungen und seine Wange war aufgerissen, sein rechtes Auge leicht angeschwollen und leicht verfärbt. Offenbar hat er wieder ein blaues Auge gehabt.
„Ist das Antwort genug?“, wollte er wissen, „Jetzt geh, du hast mir schon genug Probleme gemacht.“
„Wer- … Wer war das?“
Er schloss die Augen. „Kendra, ich sags noch ein letztes mal. Verschwinde und lass mich allein, sonst vergesse ich mich.“
Betroffen senkte ich den Kopf, drehte mich um und setzte mich wieder auf die Bank, auf der ich zuvor gesessen hatte. Diesmal schob ich mein Essen jedoch lustlos hin und her, statt zu essen. Warum war er jetzt plötzlich wieder so grob zu mir? Vielleicht machte er mich dafür verantwortlich, was die Mädchen über ihn redeten. Ich wusste es nicht.
Tief durchatmend überlegte ich, was ich wohl nun tun sollte. Derek war der einzige Freunde, den ich an dieser Schule gehabt habe. Was Kaden war, wusste ich immer noch nicht, doch nun schien er überhaupt nichts mit mir zu tun haben zu wollen. Und wer hatte ihn wieder so verletzt? Hatte er sich geprügelt? Oder wurde er verprügelt? Vielleicht hatte er auch einen Unfall. Ich würde es wahrscheinlich nie erfahren.
 
Das Haus war leer, als ich nach hause kam, woraufhin ich meine Tasche einfach neben der Tür fallen ließ, ins Wohnzimmer ging und mich dort auf die Couch fallen ließ. Wieder und wieder spielte sich vor meinen Augen ab, was Kaden zu mir gesagt hatte. Und nach jeder Wiederholung fühlte ich mich schlechter, schäbiger. Das war nur drei Tage her, doch mit jeder Wiederholung, begann es weh zu tun und tat immer mehr weh. Ich hatte versucht mit ihm darüber zu reden, doch er schickte mich einfach weg. Grob war in dem Falle noch untertrieben, wenn ich versuchte sein Verhalten zu beschreiben. Mit einem Murren drehte ich mein Gesicht ins Sofakissen.
Trotz allem war es ein angenehmer Tag. Die Sonne schien, doch es war relativ kühl, da es langsam auf den Winter zu ging. Der Wind wehte immer stärker und morgens wurde es zunehmend kälter. Ich konnte den Winter eigentlich ganz gut leiden, doch die Kälte war mir nicht besonders lieb.
Nach einer guten halben Stunde stand ich begleitet von einem Seufzen auf und ging mit meiner Tasche hinauf in mein Zimmer, wo ich mich kurz umzog und einen kleinen Zettel schrieb, auf dem ich erklärte, dass ich spazieren ginge. Nachdem ich mir meine Handtasche geschnappt hatte, legte ich ihn in der Küche auf den Tisch und ging dann schweigend hinaus. Vor der Tür wurde ich von einem heftig wehendem Wind empfangen und machte mich gelassen auf den Weg zum Park. Auf dem Weg dorthin sah ich langsam dunkle Wolken aufziehen, doch ich dachte mir nichts dabei und fand mich eine Stunde später mitten im Park auf einer Bank sitzend wieder.
Ich beobachtete die vorbeigehenden Passanten, während die Sonne sich langsam dem Horizont näherte und die Wolken immer näher kamen.
„Solltest du nicht zuhause sein?“
Ich zuckte vor Schreck zusammen und sah nach rechts, von wo die Stimme gekommen war. „Gott, Kaden. Du hast mir einen Schrecken eingejagt.“
Er zuckte mit den Schultern.
„Was tust du hier?“
„Ich bin unterwegs. Musste was besorgen. Beantwortest du auch meine Frage?“
Ich sah wieder nach vorn und murrte. „Ich bin nur spazieren. Meinen Eltern habe ich einen Zettel geschrieben, also wird es nicht so schlimm sein.“
„Aber allein? Um diese Uhrzeit? Und bei diesem Wetter?“
Wie um seine Worte zu unterstreichen, begann es langsam zu nieseln. Ich seufzte nur leise, stand auf und ging in die Richtung, die von ihm weg führte. Ich wollte nicht, dass er wieder grob zu mir war. Es tat einfach weh. Und gerade weil er so grob zu mir war, wunderte es mich, dass er mir folgte.
„Du solltest nach hause gehen.“, meinte er.
„Was ich tue ist mein Ding. Mach es doch wie vorher und kümmere dich um deinen Kram.“
Der Regen wurde stärker und ich spürte, wie ich begann zu zittern, versuchte es jedoch so gut wie möglich zu unterdrücken, während ich meine Tasche an mich drückte. Nach eine Weile, in der wir nur nebeneinander her gegangen sind, legte er mir schließlich mit einem leicht genervtem Seufzen seine Jacke über die Schultern und nahm mir meine Tasche ab.
„Hier, es nervt, wenn deine Zähne so laut klappern.“, murrte er halblaut, „Ich trage einfach so lange deine Tasche.“
Überrascht von diesem erneuten Sinneswandel sah ich zu ihm auf und blinzelte einige Male, als sich Tropfen in meinen Wimpern verfingen.
„Danke.“, wisperte ich dann, sah nach vorn und zog die Jacke ein wenig enger um mich. Sie war noch schön warm und roch nach ihm.
„Warum bist du ausgerechnet hier hin gegangen?“, fragte Kaden plötzlich.
Ich sah kurz zu ihm auf, zuckte dann aber mit den Schultern. „Ich mag den Park. Die Bäume. Und die Geräusche. Er ist sehr schön.“
Einen Moment sah er mich einfach nur stumm an, bevor er ein wenig das Gesicht verzog. „Meine Güte, du zitterst ja immer noch.“
Mit diesen Worten legte er mir einen Arm um die Schultern und drückte mich etwas an sich, wobei er mir den Arm rieb, als wolle er ihn aufwärmen. Allein von seiner Nähe wurde mir wärmer, weshalb ich schnell aufhörte zu zittern.
„Du solltest wirklich lieber nach hause gehen.“
Als zusätzlich ein Donnern ertönte, zog ich kurz die Schultern hoch und nickte. „Ja, du hast Recht. Ich sollte besser gehen.“
„Zieh dir dann etwas warmes an. Hab gehört heute soll es wirklich ziemlich kalt werden.“
Ich nickte und sah zu ihm auf. „Beantwortest du mir noch eine Frage.“
Kurz zögerte er noch, nickte dann aber. „Eine. Nur eine.“
Schnell überlegte ich, welche von den vielen Fragen ich ihm stellen sollte und entschied mich dann für die, die ich im Moment am wichtigsten fand. „Warum bist du abwechselnd grob und nett zu mir?“
Abrupt wurde seine Miene ausdruckslos. „Das... Das ist kompliziert.“
Ohne ein weiteres Wort fallen zu lassen drehte er sich um und ging. Ich sah ihm noch lange hinterher, drehte mich dann aber um und schaffte es genau vier Schritte zu machen, bevor man mir von hinten eine Hand auf den Mund drückte und ins Gebüsch zog. Ich schrie, gedämpft von der Hand, auf und griff danach, hielt dann aber vor Angst inne, als ich eine sehr vertraute Stimme an meinem Ohr vernahm.
„Wenn du weiter versuchst zu schreien, erwürge ich dich. Verstanden?“
Ich wusste sofort, dass er nicht bluffte und nickte hektisch. Ich gab keinen Laut von mir, als er die Hand weg nahm, keuchte aber erschrocken auf, als er mich plötzlich zu Boden zog. Heftig wehrte ich mich gegen seinen Griff, trat nach ihm und versuchte verzweifelt aus seinem Griff zu entkommen. Als er mich schließlich in einer Position hatte, in der ich mich nicht bewegen konnte, brach doch ein Schrei aus mir heraus, während er begann mir die Kleidung vom Leib zu reißen.
„Nicht! Bitte nicht! Hör auf!“, rief ich verängstigt und wehrte mich weiter.
Es wurde kalt an den Beinen und ich hörte das Geräusch eines Reißverschlusses, bevor ich kurz darauf den wahnsinnigen Schmerz zwischen den Beinen verspürte, vor dem ich so viel Angst hatte. Ich schrie vor Schmerz auf, wehrte mich so gut es ging, doch das schien ihm nur noch mehr zu gefallen.
Ich schloss weinend und schluchzend die Augen, konnte plötzlich kaum atmen, als sich eine Hand um meinen Hals schloss und griff sofort nach der besagten Hand. Er war grob, brutal und schien einfach nicht zum Ende zu kommen, während ich um jedes bisschen Luft kämpfte und die Augen zukniff, um ihm nicht ins Gesicht sehen zu müssen.
Mit einem Mal verschwand das Gewicht von mir, die Hand wurde von meinem Hals gerissen und der Schmerz begann langsam zu einem dumpfen Pochen abzuklingen. Ich kugelte mich wie ein Embryo zusammen, zog die Jacke fest um mich und begann so sehr zu weinen, wie ich es noch nie getan hatte.
„Ich sagte dir, du sollst deine dreckigen Finger von ihr lassen!“
Das war das Einzige was ich hörte, bevor ich langsam in die Bewusstlosigkeit sank.
 
Kaden
Von Sorge erfüllt beugte ich mich zu Kendra herab und tastete nach ihrem Puls, während Derek vor Schmerz stöhnte. Ich musste mich stark zurückhalten, um nicht noch ein paar mal auf ihn einzutreten.
Die Luft wurde mir knapp, als ich feststellte, dass Kendra tatsächlich unbewusst versuchte, sich in meiner Jacke zu verstecken. Die Tatsache, dass sie sich nicht bewegte, sagte mir, dass sie wohl bewusstlos sein musste. Hätte ich sie nicht gesucht, weil ich noch ihre Tasche hatte und sie meine Jacke, hätte Derek sie wahrscheinlich sogar getötet. Dieser Gedanke jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken, während ich Kendra vorsichtig hochhob und mit ihr auf den Weg trat, auf dem nun keine Menschenseele mehr zu finden war. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden was für Konsequenzen es haben würde, eilte ich mit ihr zu meinem Wagen, legte sie auf den Rücksitz und fuhr so schnell ich konnte nach hause. Dort zögerte ich kurz und atmete leise auf, als ich feststellte, dass mein Vater nicht zuhause war.
„Hoffentlich ist Veronica zuhause.“, murmelte ich leise und stieg aus.
Kurz darauf eilte ich mit Kendra auf dem Arm die Auffahrt hinauf und betrat das Haus. Jason musste meinen Wagen gehört haben, denn als ich nun in den Flur trat, stand er beinahe mitten im Weg, misstrauisch an das Treppengeländer gelehnt.
„Wo warst du noch so lange? Du kannst froh sein, dass Hector noch nicht da ist.“, tadelte er mich, doch die Sorge war trotzdem zu hören. „Und wer ist das, zur Hölle? Die ist ja fast nackt. Ich hätte nie gedacht, dass du die erste Frau, die du nackt siehst, gleich mit nach hause nimmst.“
Ich atmete langsam auf. „Das ist Kendra.“
„Ist das nicht die Kleine von Derek?“
„Nicht mehr.“
„Ach stimmt. Sie wäre ja beinahe von ihm vergewaltigt worden. Was ist jetzt mit ihr? Warum hast du sie hergebracht?“
„Heute wurde sie wirklich von Derek vergewaltigt.“ Mit diesen Worten ging ich an ihm vorbei die Treppe hinauf. „Ist Veronica da?“
„Nein. Sie ist beim Arzt, sich durch checken lassen. Er muss gestern ziemlich grob gewesen sein.“
Ich schnaubte nur und betrat mein Zimmer, wo ich Kendra sofort in mein Bett legte und ein Shirt und eine Shorts aus meinem Schrank suchte.
„Willst du sie jetzt umziehen?“, hörte ich Jason an meiner Zimmertür.
„Geh raus und mach die Tür zu.“, meinte ich darauf nur, „Es reicht, wenn einer sie so sehen muss.“
„Ich wette, du schaffst es nicht einmal sie auszuziehen, ohne zu kollabieren.“
Mein Blick fiel auf Kendra. Jason hatte Recht, als er sagte, dass sie die erste Frau war, die ich nackt sah. Und die Tatsache, dass es ausgerechnet sie war, brachte meine Hände zum Zittern.
„Ich schaff das schon.“, brachte ich hervor und kniete mich vorsichtig neben sie ans Bett.
„Ich werde zur Sicherheit trotzdem hier bleiben. Wenn du umkippst, werde ich sie einfach umziehen. Du bist viel zu schüchtern und verklemmt für sowas.“
Ich schluckte hart und begann zaghaft ihr meine und ihre Jacke auszuziehen. Ohne zu achten wo sie landeten, warf ich sie auf den Boden und erstarrte, als ich nun Kendras Oberkörper erkennen konnte. Ihre beiden Oberteile waren zerrissen worden, waren vorn beinahe nur noch ein paar Fetzen, ihr BH in der Mitte durchtrennt. An ihre Hose und ihre Unterhose wollte ich erst gar nicht denken. Die fehlten bereits, als ich Derek von ihr herunter gerissen hatte.
„Hol mir bitte ein Handtuch.“, brachte ich halblaut hervor, woraufhin Jason den gewünschten Gegenstand holte.
Vorsichtig zog ich Kendra auch die zerrissenen Kleidungsstücke aus und trocknete sie schwer atmend und vorsichtig ab. Als meine Hand einen Moment vom Handtuch rutschte und ihre Haut berührte, erstarrte ich sofort und zog die Hand zurück, als hätte ich mich verbrannt. Jason lachte leise hinter mir.
„Du musst sie sowieso anfassen. Oder möchtest du sie mit Kneifzangen anziehen?“, neckte er mich.
Verkrampft schluckte ich erneut und trocknete sie weiter ab, bevor ich mich steif neben sie setzte und sie unbeholfen anzog, wobei ich versuchte sie so wenig wie möglich zu berühren. Als ich es endlich geschafft hatte, deckte ich sie schnell mit meiner Decke zu und trat so weit von ihr weg wie ich konnte.
„Hut ab, kleiner Bruder. Du hast es geschafft. Du hast eine Frau aus und wieder angezogen, ohne umzukippen oder wie zur Salzsäule erstarrt einfach nur noch da zu sitzen und nichts zu tun.“ Er klopfte mir auf den Rücken und im selben Augenblick fiel unten die Tür zu. „Das muss Veronica sein.“, meinte er leise.
Ich nickte. „Ich werde nach ihr sehen.“
Mit diesen Worten stürzte ich nahezu aus meinem Zimmer.
 
Kendra
Als ich langsam wieder zu mir kam, war es schön kuschelig und warm. Im ersten Moment dachte ich, alles sei nur ein furchtbarer Traum gewesen und ich sei noch zuhause. Doch dann fiel mir dieser Himmlische Geruch nach Kaden auf und ich wäre beinahe davon überzeugt gewesen, im Himmel zu sein. Allerdings öffnete ich dann die Augen und blickte in ein völlig fremdes Gesicht. Er stand einige Meter weit entfernt an eine Tür gelehnt, doch sein Blick war fest auf mich gerichtet, als würde er aufpassen.
Ich schrie vor Schreck leise auf, setzte mich auf und zog die Decke, mit der ich zugedeckt war, bis unters Kinn hoch.
„Schön das du wach bist. Keine Angst, ich komm nicht näher.“
Ich schluckte leise und sah mich zaghaft um. „Wo bin ich?“
„Das ist Kadens Zimmer. Ich verstehe zwar nicht warum, aber er hat dich hergebracht?“
Als ich plötzlich aus dem unteren Geschoss lautes Gebrüll hörte, zuckte ich heftig zusammen. Der Fremde verzog ein wenig das Gesicht und schloss die Augen, als würde er leiden.
„Ich glaube nicht, dass Kaden möchte, dass du sowas mitbekommst.“, meinte er, „Er muss wohl nicht nachgedacht haben, als er dich herbrachte.“ Kurzes Gebrüll unterbrach ihn, doch er redete weiter, als es wieder still wurde. „Er hat dir sicher nie davon erzählt. Er erzählt niemandem davon, ebenso wenig wie Roni, Debby, Grace, Tim oder ich.“
Ein letztes Mal ertönte Gebrüll, bevor man hörte, wie etwas dumpf zu Boden fiel. Der Fremde seufzte leise, hörte einen Moment hin und verließ dann vorsichtig das Zimmer. Einige Minuten später hörte ich schwere Schritte im Flur.
„Sie hat es gehört, also kann es sein, dass sie schon weiß, was passiert ist.“, hörte ich die Stimme des Fremden, „Ganz abgesehen davon hat sie dich schon im schlimmeren Zustand sehen müssen. Aber jetzt mal ehrlich. Der Schönste warst du sowieso nie.“
„Halt die Klappe.“
Ich krallte beim Klang von Kadens Stimme die Finger in die Decke und hielt den Atem an, als die Tür wieder geöffnet wurde. Kaden wurde von dem Fremden gestützt, der wahrscheinlich ebenfalls sein Bruder war, und kam mit schweren Schritten auf das Bett zu. Eifrig rückte ich so dicht an die Wand wie ich konnte, damit er Platz hatte, als sein Bruder ihn in sein Bett legte. Kaden atmete sofort erleichtert auf und hielt die Augen geschlossen, während ich auf sein Gesicht starrte. Sein Kiefer wies einen frischen Bluterguss auf, sein rechtes Auge schwoll ein wenig an und verfärbte sich. Außerdem hielt er sich die Seite, als würde sie Schmerzen. Oder hielt er sich den Bauch? Vielleicht auch beides. In jedem Fall schien er Schmerzen zu haben.
Plötzlich öffnete er ein wenig die Augen und sah zu mir hinauf. „Sieh weg.“, meinte er murrend und drehte das Gesicht weg. „Reicht es nicht, dass du es gehört hast?“
„Mach dir keine Sorgen um ihn.“, meinte sein Bruder, „Er hat sowas schon oft überstanden.“
„Wer... wer war das?“, wollte ich wissen und sah zu Kadens Bruder auf.
„Ich denke... ich lass euch besser allein. Ihr solltet euch beide ausruhen.“, meinte er nur darauf und sah zu Kaden herab. „Ich hol dir noch ein Kühlkissen für dein Auge. Dann werde ich auf Veronica warten.“
Kaden nickte nur, woraufhin sein Bruder das Zimmer verließ. Dann fiel mir plötzlich auf, dass Kaden noch seine nassen Sachen trug und ein wenig zitterte.
„Entschuldige. Dir muss kalt sein.“, murmelte ich und legte die Decke über ihn. Dabei fiel mir auf, dass ich meine Sachen nicht mehr trug. Als ich sie als kleinen Haufen zerrissenem Stoff auf dem Boden fand, wurde mir etwas unwohl. „Wer von euch hat mich umgezogen?“, fragte ich mit belegter Stimme und sah auf Kaden herab, der immer noch zitternd die Augen geschlossen hatte.
„Ich. J-J-Jason ist aber dabei gewesen, falls ich- falls ich... egal. Vergiss es.“
Einen Moment zögerte ich, zog dann aber die Decke runter, woraufhin er die Augen einen Spalt öffnete, um mich verwundert anzusehen. Dann wurden sie etwas größer, als ich begann seine beiden Oberteile, sein Pullover und sein Shirt, hochzuschieben, um es ihm auszuziehen.
„Was machst du da?“, krächzte er.
„Du musst aus den nassen Sachen raus.“, antwortete ich darauf und warf die Oberteile auf den Boden, nur um dann inne zu halten, als mein Blick auf seinen Oberkörper fiel.
Mein Mund blieb mir offen stehen und ich vergaß zu atmen. Die Haut war braun gebrannt, als wäre er oft in der Sonne und er war trainiert, als würde er regelmäßig ins Fitnesscenter gehen. Irgendwie schien er jedoch nicht der Typ fürs Fitnesscenter zu sein. Als plötzlich die Zimmertür auf ging, sahen wir beide verdutzt dort hin. Es war Kadens Bruder, der verwundert zu uns sah und ein Kühlkissen in der Hand hielt.
„Bin ich ungelegen?“, wollte er wissen und sah zwischen Kadens Körper, seinen Sachen und mir hin und her.
„N-n-nein. Sie... Wir haben nicht- Sie wollte mich nur...“, stotterte Kaden.
„Ausziehen? Ja, das sehe ich.“
„Seine Sachen sind nass.“, warf ich ein, woraufhin Kaden schnell nickte. „Ich wollte sie ihm nur ausziehen, damit er nicht so friert.“
Kadens Bruder kam zu uns herüber und drückte Kaden das Kühlkissen in die Hand. „Das wollte ich auch machen, aber da du das wohl übernehmen möchtest... da im Schrank sind seine Sachen.“ Er deutete kurz auf einen Schrank und ging bereits wieder in Richtung Tür. „Ich wünsche euch eine... erholsame Nacht.“
Tatsächlich lachte er noch, als er die Tür hinter sich schloss. Eine Weile saß ich reglos neben Kaden im Bett, unfähig irgendwas zu tun. Als Kaden dann wieder begann zu zittern, fiel mir wieder ein, dass er es war, der gerade darunter am meisten litt und zog die Decke noch weiter runter. Ich wurde puderrot als ich ihm die Hose auszog und wollte dann zu seinem Schrank gehen. Meine Beine schienen jedoch zu schwach dafür zu sein, was bedeutete, dass sie ihren Dienst versagten, sobald ich stand.
„Alles okay?“, hörte ich Kaden fragen, der sich auf die Ellenbogen stützte, um auf mich herab zu sehen.
„Ja. Ich- Ähm... Alles okay.“
Ich zog mich an dem Bettgestell hoch und setzte mich auf die Bettkante, plötzlich müde und etwas außer Atem.
„Leg dich einfach wieder hin. Die Decke ist ja trocken.“
Nach kurzem Zögern kroch ich auf die andere Seite des Bettes und deckte ihn zu, bevor ich mich neben ihn legte.
„So meine ich das nicht, als ich sagte, du sollst dich wieder hinlegen.“, meinte er plötzlich.
Verwundert sah ich zu ihm auf. „Was meinst du?“
„Du hast mir die ganze Decke gegeben.“, bemerkte er, „Es wird kalt hier drinnen. Komm mit hier drunter, dann bleibt dir warm.“
Erneut zögerte ich etwas, kuschelte mich dann aber neben ihm unter die Decke ein und rückte etwas enger an ihn heran, um ihn zu wärmen. Er wurde tatsächlich etwas rot im Gesicht, als ich meinen Kopf an seiner Schulter bettete und einen Arm vorsichtig um seinen Brustkorb legte.
„Dann wird dir schneller warm.“, murmelte ich, um mich zu erklären.
„Danke.“
„Ich muss mich bei dir bedanken. Du hast mich schon wieder vor Derek gerettet.“
„Es war Zufall. Du... ich hatte noch deine Tasche. Und du hattest noch meine Jacke. Außerdem hätte Derek dich beinahe erwürgt.“ Er nahm das Kühlkissen von seinem Auge und sah es sich ein wenig an. „Es war wahrscheinlich ein Fehler dich mit her zu nehmen, aber- Hey, wofür war das?“ Er sah mich verwundert an und rieb sich die Schulter, auf die ich ihn geschlagen hatte.
„Es war schon richtig von dir, mich mit zu dir zu nehmen. Zuhause hätte Taylor wahrscheinlich nur wieder Mordpläne geschmiedet, meine Eltern hätten mich bemuttert und Drew hätte mich von oben bis unten untersucht.“
„Das ist allemal besser als hier.“ Er sah sich ein wenig um.
„Kaden?“
„Hm?“
„Wer war das eben? Der, der dich unten... geschlagen hat.“
Er seufzte leise und wich meinem Blick aus. „Das... das war Hector. Er... Er ist mein... Erzeuger.“
„Du wirst von deinem Vater geschlagen?“, hakte ich entsetzt nach, „Aber... warum?“
„Einfach so weil er Lust hat. Er sucht sich irgendeinen Grund aus und schlägt mich dafür. Oder Timothy... oder Jason.“
„Und Veronica rührt er nicht an?“
Sein Blick wurde düster. „Doch. Aber er schlägt sie nicht.“
„Ich verstehe nicht.“
„Du solltest das nicht wissen. Es ist-“ Er hielt abrupt inne, als ich ihm eine Hand an die Wange hielt und mich über ihn beugte.
„Du kannst ruhig mit mir sprechen. Niemand wird etwas erfahren. Und ich werde dich auch nicht bemuttern.“
Dunkelgraue Augen bohrten sich in meine, während er wohl darüber nachdachte, wie viel er mir erzählen konnte. Schließlich seufzte er leise und senkte den Blick.
„Er tut dasselbe mit ihr, was Derek bei dir getan hat.“, meinte er schließlich.
„Er... vergewaltigt sie?“, hakte ich atemlos nach.
„Ja. Grace musste das auch durchmachen, aber als sie alt genug war, zog sie aus. Veronica könnte auch ausziehen, aber... sie möchte uns nicht mit ihm allein lassen. Außerdem hätte er dann nur noch Debora und sie... sie ist doch so jung. Gerade mal vierzehn Jahre alt.“
„Derek sagte mir, sie sei zwei Jahre jünger als du.“
Er schnaubte. „Er redet nur Unsinn. Du kannst mir glauben, wenn ich dir sage, dass meine Schwester vierzehn Jahre alt ist.“
„Ich glaube dir ja.“, warf ich ein, „Ich war nur... ein wenig verwirrt. Du bist jetzt siebzehn, richtig?“
„Achtzehn. Ich hatte immerhin Geburtstag.“
„Oh ja. Stimmt. Dann könntest du doch auch ausziehen?“
Er schüttelte den Kopf. „Nicht bis Debora alt genug ist. Sie ist die Einzige, die noch zu jung ist.“
„Das heißt, ihr wollt alle zusammen ausziehen?“
„Ja.“
„Warum sagt ihr nichts der Polizei?“
Er murrte kurz, drehte sich in meine Richtung auf die Seite und zog mich an sich. Ich spürte, wie ich rot wurde, legte ihm die Arme um die Tallie und lehnte meine Wange sachte an seine Brust.
„Hector ist selbst bei der Polizei. Da Derek überall erfolgreich das Gerücht verbreitet hat ich würde mich mit jedem Prügeln, wird er natürlich behaupten, dass ich das getan hätte. Außerdem weiß er etwas, das mich für eine ganze Weile hinter Gittern bringen könnte.“
Abrupt wurde ich starr in seinen Armen. „Was meinst du damit?“
„Keine Sorge, ich habe niemanden umgebracht. Es ist etwas ganz simples. Vertrau mir einfach. Es ist besser, wenn du davon nichts weißt.“
Ich seufzte leise. „Warum hast du ständig Geheimnisse vor mir?“
„Nenn mir einen Grund um sie dir zu offenbaren und ich sage dir alles was du wissen möchtest.“
„Ich mag dich.“
Er lachte leise. „Kendra, das ist für mich ein Grund es dir nicht zu sagen. Oder glaubst du, ich ziehe dich gern in etwas mit rein, das für dich gefährlich werden könnte?“
„Es ist etwas gefährliches?“
„Nur für die, die sich nicht auskennen.“
„Hört sich an, als würdest du irgendwas schmuggeln.“
Wieder lachte er leise. „Nein. Nein, das nicht. Jetzt mach dir keine Gedanken mehr darum und schlaf. Du musst müde sein.“
„Nein, bin ich nicht.“ Ich gähnte kurz. „Was ist mit deiner Mutter?“
„Sie ist bei Deboras Geburts gestorben.“
„Das tut mir leid. Damals warst du erst vier, richtig?“
„Ja.“
„Erinnerst du dich noch an sie?“
„Nur an ganz wenig. Sie hat mir früher Geschichten vorgelesen, bis ich eingeschlafen bin.“
„Das hat mein Dad immer für mich gemacht.“ Ich sah zu ihm auf. „Vermisst du sie?“
„Naja... Nach dem, was Grace mir erzählt hat... bin ich irgendwie froh, dass ich sie nicht richtig kennen lernen konnte.“
„Was hat sie dir erzählt?“
„Ich möchte jetzt nicht darüber reden. Ein anderes mal vielleicht, aber nicht jetzt.“
Einen Moment sah ich noch zu ihm hinauf, bevor ich mich an ihm hochzog und einen vorsichtigen Kuss auf die Lippen drückte. Wie beim letzten mal war er überrascht und wurde starr, wehrte sich aber nicht. Seine Lippen waren genauso weich wie damals, was mir ein Seufzen entlockte, bevor ich mich langsam von ihm löste.
„Danke nochmal.“
Er sah mit undefinierbarem Blick zu mir herab und sah mir dabei in die Augen, als würde er etwas suchen. Schließlich schüttelte er langsam den Kopf und wand den Blick ab.
„Ich habe dir letztes Mal schon gesagt, dass du dich nicht bedanken musst.“
„Aber ich möchte mich bedanken.“
Sofort sah er wieder zu mir herab. „Heißt das, dass du... mich... küssen... möchtest?“
Sofort wurde ich wieder rot und senkte schüchtern den Blick. „Naja... schon. Ja.“
Er schwieg daraufhin eine Weile und gerade als ich es mir bequem machen wollte, legte er mir eine Hand in den Nacken und zog mich zu sich. Ich sah überrascht zu ihm auf und hielt unwillkürlich den Atem an, als er sich unsicher näherte. Er streifte sachte einige Male meine Lippen, bevor er sich überwinden konnte, mich vorsichtig zu küssen. Mein Herz klopfte wie verrückt, in meinem Bauch brachen tausende von Schmetterlingen aus und ich bekam kaum Luft, während ich meine Hand in seinem Schopf vergrub und so eng an ihn rückte, wie ich konnte. Ich war vollkommen benebelt von diesem Gefühl. Als er dann noch ein wenig seinen Mund öffnete, hatte ich das Gefühl mein Herz würde stehen bleiben oder ich würde ersticken. Ich spürte wie seine andere Hand zu meiner Tallie glitt und langsam auf meinen Rücken rutschte, als es plötzlich an der Tür klopfte und sofort geöffnet wurde.
Vor Schreck ließ Kaden sofort von mir ab und drehte sich atemlos um, wobei ich halb auf ihn rutschte und mich an ihm festhielt, um langsam wieder zu mir zu kommen.
„Veronica.“, kam es Kaden über die Lippen, „Ich dachte, du wärst bei Jason.“
„War ich auch.“, entgegnete Veronica und betrachtete mich eine Weile. „Er hat mir gesagt, dass du jemanden hergebracht hast, also bin ich hergekommen. Ich wusste nicht, dass ich stören würde.“
„W-w-was gibt es denn?“ Kaden hatte sich wohl noch nicht beruhigt.
„Ich möchte mit dir reden.“
„Dann rede doch.“
Seufzend lehnte sie sich an die Wand und zog die Tür zu. „Timothy hat sich ein bisschen schlau gemacht. Wir alle sind alt genug um auszuziehen, also könnten wir Debora mitnehmen. Sie ist immerhin unsere Schwester. Wir müssten nur... einen Antrag auf das Sorgerecht einreichen.“
„Das wäre viel zu teuer. Das Geld aufzutreiben-“
„Dürfte weder für dich, noch für mich schwer sein.“
Kaden zögerte ein wenig und warf mir kurz einen Blick zu, bevor er sich aufsetzte und wieder zu Veronica sah. „Ich dachte, bei dir gibt es gerade eine Flaute.“
„Das ist nichts, was man nicht mit ein Motivation ändern könnte. Ich werde mit Lewis sprechen. Und so nebenbei... Ich hab gehört du hättest Willson den Titel vor der Nase weggeschnappt.“
„Das war nichts großes.“
„Ich weiß. Aber mit Willson ist nicht zu spaßen. Pass besser auf.“
Er nickte kurz und Veronica verließ das Zimmer. Ich fühlte mich irgendwie fehl am Platz, bis Kaden sich wieder hinlegte und mich an sich zog.
„Irgendwann werde ich dir alles erklären.“, meinte er halblaut, „Jetzt schlaf.“
Müde schloss ich die Augen und kuschelte mich an ihn, bevor ich schließlich in den Schlaf sank.
 
Am nächsten morgen hörte ich mehrere Stimmen, als würden sich mehrere Leute unterhalten. Vor mir war irgendwas warmes und jemand hatte mir eine Hand auf den Schopf gelegt. Langsam wurden die Stimmen klarer, bis ich verstand, was gesprochen wurde.
„Er wacht sicher gleich auf.“, hörte ich Veronica sagen, „Sie sollte nach hause gebracht werden, bevor er aufsteht.“
„Er ist im Wohnzimmer eingeschlafen.“, warf der Junge von gestern ein. „Wenn wir runter gehen, wird er es sicher hören und aufwachen.“
„Jemand muss ihn ablenken.“ Das war die Stimme von Kadens anderem Bruder. Ich war mir sicher, dass der Junge von gestern dieser Jason war. Dann musste dieser Junge Timothy sein.
„Und wie sollen wir das anstellen?“, fragte Veronica.
„Heute ist Freitag, richtig?“, kam es von der Person vor mir, die ich nun als Kaden identifizierte. „Heute geht er doch wieder in die Kneipe.“
„Kade, sie muss in die Schule.“, warf Jason ein.
„Sie wurde vergewaltigt, Jason.“, entgegnete Veronica, „So kann sie nicht in die Schule. Derek wird sicher dort sein. Wir müssen sie nach hause bringen. Dort muss sie ihrer Familie alles erklären und dann bekommt der Widerling eine Anzeige, die ihn hoffentlich endlich hinter Gittern bringt.“
„Wir sollten uns beeilen, sonst ist er wach, bevor wir einen Plan haben.“, stellte Timothy fest.
„Wie hoch ist das Risiko, dass er hoch kommt?“, hörte ich plötzlich eine fremde Frauenstimme fragen.
„In den letzten Monaten kam er nur selten hoch, weil gerade keiner unten ist.“, antwortete Kaden, „Da gerade alle hier oben sind, könnte es sein, dass er hochkommt. Man weiß es nie.“
„Ja, es kommt immer darauf an, in welcher Laune er ist.“, stimmte Timothy zu, „Ist er aggressiv, sucht er einen von uns Jungs. Ist er mal wieder... geil, dann sucht er Veronica. Sonst ist er arbeiten oder hängt vor dem Fernseher und betrinkt sich.“
„Tut mir leid, dass ich dich damit allein gelassen habe, Roni.“, kam es von der fremden Stimme.
„Ich weiß. Ich bin froh, dass du es nicht mehr ertragen musst.“ Hört sich an, als sei es Grace. „Du solltest aber auch schnell wieder verschwinden, sonst packt er die Gelegenheit beim Schopf. Dich hat er immer vorgezogen.“
„Du hast Recht. Ich werde gleich gehen. Ihr solltet alle Debora nehmen und einen Ort suchen, an dem ihr euch verstecken könnt, bis die Verhandlung vorbei ist.“
Kaden hob plötzlich die Hand von meinem Schopf. „Ich glaube, sie wacht auf.“
„Du hättest sie wirklich nicht herbringen sollen.“, meinte Timothy, „Es ist sogar für sie gefährlich hier.“
„Ich wollte sie nur so schnell wie möglich von Derek wegbringen.“, verteidigte sich Kaden.
„Jetzt ist es passiert.“, ging Grace dazwischen, „Ich denke, ich werde auch wieder ins Geschäft einsteigen. Dann lastet auf euren Schultern nicht mehr so eine Last.“
„Lass dich nicht erwischen, wie letztes Mal.“, mahnte sie Jason.
„Mach dir keine Sorgen, kleiner Bruder. Diesmal passe ich auf, dass ich nicht in Ronis Gebiet gerate. Außerdem hab ich jetzt das hübsche Baby hier. Vollkommen unauffällig.“
Langsam öffnete ich die Augen und blickte direkt in die Runde der Devons Geschwister. Debora schien jedoch nicht dabei zu sein. Grace erkannte ich daran, dass ihr Gesicht mir unbekannt war. Sie hielt eine wunderschöne Maske in der Hand und lächelte Jason schräg an.
„Damit erkennt man mich nicht so schnell.“
„Und deine Haare?“, wollte Timothy wissen, „Die sind so rot wie noch nie.“
Da hatte er Recht. Die waren nicht zu verbergen und so auffällig wie ein Baum auf einer großen weiten Wiese.
„Ich werde sie mir färben. Das rot wird sowieso langweilig. Es wird Zeit für mein hübsches braun, für das unsere Familie so bekannt ist.“ Wie um zu erklären was sie meinte, griff sie nach einer Strähne von Veronicas Haaren.
„Du lässt es also rauswaschen?“, hakte Veronica nach.
„Ja.“ Sie sah auf ihre Uhr und sah dann zu Kaden, wobei ihr Blick auf mich fiel. „Deine Freundin hat hübsche Augen.“, bemerkte sie.
Kaden sah sofort zu mir herab und lächelte matt, als er feststellte, dass ich wach war. „Guten Morgen.“
„Morgen.“, murmelte ich, „Wie geht’s dir?“
„Besser. Wir bringen dich nach hause so bald es geht.“
Ich nickte. „Ich weiß.“
Nun wurde sein Blick etwas unsicher.
„Wie viel hast du gehört?“, wollte Jason von mir wissen.
„Es ist egal wie viel sie gehört hat.“, warf Kaden ein, „Ich hätte es ihr sowieso irgendwann erzählt.“
„Er meint es nicht böse, Kade.“, meinte Veronica sanft, „Es ist nur gut zu wissen, wie viel sie gehört hat, damit wir ihr nicht alles erklären müssen, was sie vielleicht schon weiß. So ist es leichter mit ihr umzugehen.“
„Und wenn nötig, können wir es ihr auch noch genauer erklären.“, fügte Timothy hinzu.
Kaden seufzte leise und sah mich fragend an.
„Nun... das erste was ich gehört habe ist, dass Veronica sagte, jemand würde sicher gleich aufwachen.“
„Das war doch, als du die Hand auf ihren Kopf gelegt hast, oder?“, wollte Timothy von Kaden wissen.
„Scheint sie geweckt zu haben.“, bemerkte Jason.
Als plötzlich Geschrei von unten zu hören war erstarrten alle und sahen zur Tür.
„Debby.“, rief Veronica aus und stürzte zur Tür heraus.
„Warte, ich helfe dir.“ Jason eilte ihr hinterher.
Grace machte ein finsteres Gesicht und ballte die freie Hand zur Faust. Fragend sah ich zu Kaden auf, da ich nicht verstand was los war. Er seufzte leise, als er meinen Blick sah und wand den Blick ab. Auch Timothy und Grace mieden meinen Blick, sahen dann aber zur Tür, als Jason gute fünf Minuten später mit Debora wieder ins Zimmer kam. Als ich sie sah, verstand ich sofort was passiert war. Ihr Shirt war zerrissen, der BH in der Mitte durchgerissen. Der Knopf ihrer Hose war offen und an ihren Handgelenken konnte ich Blutergüsse erkennen.
Als Debora Grace entdeckte, stürzte sie sofort auf sie zu und ließ sich von ihr trösten. Ich dagegen krallte meine Finger in Kadens Arm, der mir einen Arm um den Körper legte und vorsichtig an sich zog.
„Wollte er sie-“
Kaden nickte auf meine unausgesprochene Frage und ertrug den Schmerz, den ich unbeabsichtigt verursachte, als ich mich an ihn drückte. Plötzlich sah ich wieder zu ihm auf.
„Wo ist Veronica?“
Nun verzog Kaden das Gesicht. „Das erklärt sich von selbst. Ich werde dich jetzt mit Grace runter bringen. Dann fahre ich dich nach hause.“
Langsam nickte ich und lehnte mich vorsichtig an ihn. „In Ordnung.“
Ich sah, wie sein Hals etwas rot wurde, als ich ihm eine Hand auf die Brust legte. Timothy begann plötzlich leise zu lachen, wobei die angespannte Atmosphäre sich lockerte. Debby hörte auf zu weinen und sah Kaden verwundert an, so wie Grace, während Jason in Timothys Lachen einstimmte. Als ich zu Kaden aufsah, stellte ich fest, dass er rot geworden war, weshalb ich ihn ziemlich verwundert ansah.
„Kendra, du musst wissen, dass Kaden noch nie von einer Frau, die nicht seine Schwester war, vertraut berührt wurde.“, bemerkte Jason.
Einen Moment verstand ich nicht, was er mir sagen wollte. Dann fiel mein Blick auf meine eigene Hand, die auf seiner Brust lag, die immer noch nackt war.
„Oh.“
Timothy konnte es sich nicht verkneifen ein wenig mehr zu lachen, als er sah, dass auch ich ein wenig rot wurde. Einige Augenblicke, nachdem ich die Hand weggenommen hatte, räusperte Kaden sich kurz und stand auf.
„Ich würde mich jetzt gerne anziehen.“, meinte er, während er zu seinem Schrank ging.
„Unterwäsche trägst du ja schon, also werden wir nicht traumatisierter sein als vorher.“, bemerkte Grace trocken.
„Lassen wir ihn trotzdem besser mit ihr allein.“, meinte Jason darauf und nahm Grace liebevoll am Arm. „Komm, Debby. Lass uns in dein Zimmer gehen, dann kannst du Grace deine neuen Sachen zeigen, bevor sie geht.“
„Okay. Passt du danach auf, während ich dusche?“, bat seine jüngste Schwester zaghaft.
„Mach ich, keine Sorge.“ Jason streichelte ihr sanft übers Haar, während er mit ihr, Grace und Timothy im Schlepptau das Zimmer verließ.
Kaden atmete erleichtert auf und zog ein Shirt aus dem Schrank, dass er sich sofort überzog. Dann streifte er sich eine Hose über, bevor sein Blick auf mich fiel.
„Ich... Ich hab leider nichts, was du anziehen könntest.“ Er sah in seinen Schrank. „Meine Hosen sind zu groß.“
„Hast du einen Gürtel?“
Sofort legte sich Röte in sein Gesicht. „Ja. Äh... einen Moment.“
Er durchsuchte die Kommode neben dem Schrank und förderte einen Gürtel zutage, bevor er eine Hose aus seinem Schrank suchte und noch einen Pullover heraus zog.
„Ich kann dir noch Socken geben, aber meine Schuhe sind dir wahrscheinlich zu groß. Deine sind wohl noch... Hier, zieh das an.“
Ohne den Satz zu beenden legte er mir die Wäsche neben mir aufs Bett, woraufhin ich begann mich anzuziehen. Die Sachen waren alle viel zu groß, auch wenn die Hose nicht ganz so weit war, wie ich dachte. Sie schien enger zu sein, als die anderen. Als ich den Pullover anzog, schien der jedoch noch größer zu sein, als er aussah. Ich zog noch schnell das Paar Socken an, dass er mir gab und krempelte dann Hosenbeine und Ärmel hoch, bevor ich schließlich aufstand.
„Dankeschön.“
Er hielt abrupt in der Bewegung inne und sah nervös zu mir. „Willst du mich jetzt wieder küssen?“
Einen Moment sah ich ihn sprachlos an, verstand aber dann, worauf er hinaus wollte. Seit er mich das erste mal vor Derek gerettet hatte, hatte ich ihn jedes mal geküsst, wenn ich mich bedankte.
„Vielleicht.“, antwortete ich und sah an mir herunter, bevor ich mich umsah. „Wo ist meine Handtasche.“
„Im Wagen.“, murmelte er und hielt mir seine Jacke hin. „Es ist kalt draußen, und ich mag es nicht, wenn du frierst.“, erklärte er mit gesenktem Blick, als ich ihn verwundert ansah.
Mir wurde ganz warm ums Herz, als mir klar wurde, dass er in Wahrheit warmherzig, statt grob und unglaublich fürsorglich, statt fies und gemein war. Vorsichtig half er mir in seine Jacke und zog sie dann zu, während ich sie zurecht rückte.
„Bist du so grob und gemein, um dich zu schützen?“, wollte ich von ihm wissen.
Er verkrampfte sich ein wenig, schluckte leise und sah dann zaghaft zu mir auf, nur um sich erleichtert wieder zu entspannen, als er mein fragendes Gesicht sah, dass nichts böses zeigte.
„So ist es leichter, Andere aus meinem Leben raus zu halten. Es ist gefährlich.“
„Wenn jemand wüsste, was hier passiert, würde man etwas dagegen unternehmen.“ Als ich das sagte, legte ich ihm eine Hand an die Wange. „Ihr hättet ein schönes Leben in einer Pflegefamilie gehabt, ohne all das hier. Ein glückliches Leben.“
„Wir haben vieles durchdacht. Unser Vater ist zwar ein mieses Schwein, aber dumm ist er nicht. Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen. Wirklich. Aber im Moment können wir nichts tun.“
„Was passiert, wenn du weggehst? Oder woanders übernachtest?“
„Sobald er mich sieht, schlägt er mich grün und blau. So wie letztes Mal.“
„Du meinst, als du bei mir geschlafen hast, weil du ohnmächtig geworden bist?“
Er nickte langsam. „Ja.“
Ich erinnerte mich daran, wie er ausgesehen hatte und spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen.
„K-K-Kendra, nicht... nicht weinen. Bitte. Ich kann damit nicht umgehen. Du- Mach dir keine Sorgen, okay?“
„Du hast etwas besseres verdient.“
Sichtbar gerührt von meiner Reaktion zog er mich sanft in seine Arme und drückte mich sachte an sich. „Es ist seltsam.“, meinte er dann plötzlich, „Mein Leben ist die absolute Hölle. Ich werde verprügelt, sobald mein Vater mich sieht, ich muss es ertragen, wie er meine Schwester und meine Brüder misshandelt und komme aus dieser Situation nicht einmal raus. Aber wenn ich dich sehe, scheint alles plötzlich so einfach zu sein. Jedes mal, wenn du in meine Nähe kommst, fühle ich mich, als hätte er mich nie angerührt, als habe es all das nie gegeben. Wenn du dann wieder gehst ist es, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen.“
„Kaden, du musst hier weg. Bitte.“
Seine Hand glitt sanft über mein Haar. „Hör auf zu weinen. Ich fühle mich schlecht, wenn du wegen mir Tränen vergießt.“
„Aber-“
„Erst einmal muss ich dich hier weg bringen.“ Mit diesen Worten drückte er mich sanft von sich und nahm meine Hand. „Ich bringe dich nach hause. Hier ist es zu gefährlich. Du musst ganz leise sein.“ Während er das sagte, zog er mich ganz sanft hinter sich her aus seinem Zimmer.
Schnell wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und sah mich aufmerksam um. Die Wände waren einigermaßen sauber, die wenigen Bilder an der Wand hingen schief und von einem Zimmer fehlte die Tür. Als ich einen Blick hinein erhaschte, sah ich Timothy auf dem Rücken in seinem Bett liegen, ein Buch in der Hand und den Arm hinterm Kopf verschränkt. Zwei Türen weiter lehnte Jason mit gesenktem Kopf am Türrahmen, schien zu warten und sah auf, als er uns hörte.
„Soweit ich es beurteilen kann, ist er noch an Veronica dran.“, informierte er Kaden.
Dieser nickte. „Kümmerst du dich hinterher um sie?“
„Ja. Ich werde Debora gleich zu Timothy bringen. Er hat ihr versprochen mit ihr in den Park zu gehen.“
„In Ordnung. Bis dann.“
„Bis dann. Komm nicht zu spät.“
Erneut nickte Kaden und ging mit mir eine Treppe hinunter. Er war vorsichtig, wobei er meine Hand nicht einen Moment losließ. Kurz darauf hörte ich Geräusche aus dem Wohnzimmer und wurde blass. Veronica bat ihren Vater endlich aufzuhören, so wie ich es bei Derek getan hatte.
Vom Fuß der Treppe waren es nur noch wenige Schritte zur Tür. Draußen sah er kurz zu dem Fenster neben der Tür, biss die Zähne zusammen und ging dann vorsichtig voran, wobei er das Fenster nicht aus den Augen ließ.
„Sieh nicht hin.“, meinte er halblaut, woraufhin ich meinen Blick auf seinen Rücken heftete und mich dazu zwang den Blick nicht abzuwenden.
An Kadens Wagen öffnete er mir die Beifahrertür, bevor er sich ans Steuer setzte und den Wagen einschaltete. Sofort parkte er rückwärts aus und fuhr los, ohne zurück zu sehen.
„Hast du eigentlich einen Führerschein?“, fragte ich, um die Stimmung etwas zu lockern.
„Nein.“
Entsetzt sah ich ihn an. „Was?“
„Ich habe keinen Führerschein.“, antwortete er.
„Wo hast du dann fahren gelernt?“
„Von Jason und einem Freund von ihm. Grace hat mir auch etwas beigebracht. Nebenbei haben sie auch Veronica unterrichtet. Und Timothy, ein Jahr später. Debora bringen wir es auch bald bei.“
„Aber... Wurdest du noch nie angehalten?“
„Nein. Ich kenne alle Verkehrsregeln und halte mich meistens auch daran. Warum sollte man mich dann anhalten?“
„Aber... aber...“
„Kendra, wenn ich genug Geld hätte, würde ich mir einen Führerschein besorgen, glaub mir. Aber ohne Geld müssen wir so zurecht kommen, verstehst du? Wenn Hector einen Ausraster hat, ist ein Auto der einzige Weg, um uns vor ihn zu schützen. Zu Fuß wären wir nicht schnell genug, wegen Debora. Besonders zu der Zeit, als sie noch kleiner war. Und einem Auto kann er nicht so schnell folgen.“
„Verstehe. Aber was ist, wenn einer von euch erwischt wird.“
„Werden wir nicht.“
„Aber was ist wenn.“
Er lächelte leicht gequält. „Kendra, solange das nícht passiert, müssen wir nicht darüber nachdenken, oder? Glaub mir, wir werden nicht erwischt.“
„Wieso bist du dir da so sicher?“
Sein Lächeln verblasste. „Ich weiß es einfach. Vertrau mir. Bitte. Vertrau mir einfach.“
„Okay.“
Er atmete erleichtert auf.
„Lässt du dich wenigstens von Drew untersuchen? Er ist wirklich ein guter Arzt. Ich werde ihn auch ein wenig bearbeiten, damit du nichts bezahlen musst und er hält dicht. Versprochen.“
„Ich weiß nicht so recht.“
„Du musst mir vertrauen. So wie ich dir vertraue.“
„Ich vertraue dir. Wirklich. Aber ich kenne diesen … Drew nicht.“
„Andrew Wyler. Er ist Chefarzt im Krankenhaus. Er ist wirklich gut, Kaden. Und er ist Taylors bester Freund, so wie er auch einer meiner besten Freunde ist.“
Er sah kurz zu mir herüber, dachte eine Weile nach und nickte schließlich. „In Ordnung. Ich werde mich von ihm untersuchen lassen. Unter einer Vorraussetzung.“
„Und die wäre?“
„Verlasse nie wieder allein das Haus.“
Verdutzt sah ich ihn an. „Warum?“
An einer roten Ampel blieb er stehen und sah ernst zu mir. „Wegen Derek. Ich möchte nicht, dass sowas nochmal passiert.“
„Aber wie komme ich dann zur Schule? Taylor kann mich nicht jeden morgen fahren.“
„Erst einmal bleibst du zuhause.“
„Aber die Prüfungen stehen kurz bevor. Ich kann jetzt nicht zuhause bleiben.“
„Ich werde jemanden in deiner Klasse bitten, mir seine Notizen zu kopieren und bringe sie dir dann vorbei. Deine Eltern werden Derek sicher nochmal anzeigen und wenn er bis in zwei Wochen noch nicht hinter Gittern ist, werde ich dich von zuhause abholen und in die Schule fahren. Ich bringe dich dann auch wieder zurück einverstanden?“
„Und wenn ich weg möchte, während keiner Zuhause ist?“
„Ruf mich einfach an, sobald du allein gelassen wirst. Ich komme so schnell es geht vorbei, okay?“
Langsam entspannte ich mich und nickte. „Einverstanden.“
„Gut.“ Er kramte sein Handy aus der Tasche und tippte darauf herum. „Hier ist meine Nummer.“ Er reichte mir sein Handy und fuhr weiter, als die Ampel auf grün sprang.
„Wo ist meine Handtasche?“, wollte ich von ihm wissen.
„Auf dem Rücksitz.“
Als ich nach hinten sah und nach meiner Tasche griff, schrie ich erschreckt auf und zog sie sofort wieder zurück.
„Was? Was ist los?“, wollte Kaden sofort wissen und fuhr rechts ran.
„Da hat irgendwas nach meiner Hand geschlagen.“
„Nach deiner Hand geschlagen?“, hakte er nach und sah ebenfalls nach hinten. „Da ist doch nichts.“ Als er nun ebenfalls nach meiner Tasche griff, erkannte ich, was es gewesen ist. „Was zum... Wie kommt die denn hier rein?“
Ohne zu zögern beugte er sich ein wenig vor und griff hinter meinen Sitz, bevor er sich wieder in seinen Sitz lehnte. In seiner Hand hielt er eine kleine Katze, gerade alt genug, um die Welt um sich herum zu erforschen, doch noch zu jung, um allein zu überleben. Doch sie schien willig zu sein es zu versuchen, so wie sich in Kadens Daumen biss und seine Hand angriff.
„Ganz schön angriffslustig, das kleine Ding.“, bemerkte er, „Ich werde sie im Tierheim abgeben.“
„Im Tierheim?“, hakte ich nach, „Aber da kümmert man sich doch kaum um sie.“
„Was soll ich sonst tun? Behalten kann ich sie nicht.“
Sofort streckte ich nach ihr die Hände aus, woraufhin er sie mir wortlos reichte. Es dauerte einen Moment, bis wir sie von Kadens Daumen gelöst hatten, aber sie nahm dafür sofort meinen Daumen als Ersatz. Kaden dagegen holte unterdessen meine Tasche vom Rücksitz, suchte mein Handy heraus und nahm dann sein Handy entgegen, um seine Nummer in meinem Handy einzuspeichern, bevor er es zurück legte und meine Handtasche dann in den Fußraum des Beifahrersitzes legte.
„Wird dein Vater damit einverstanden sein?“, wollte Kaden von mir wissen, als er mich mit der Katze sah, und fuhr weiter.
„Ich denke schon. Meine Eltern sind unglaublich nett. Du wirst sie sicher mögen.“
„Naja, deinen Vater kenne ich ja schon.“
„Ach ja?“
„Ja. Er hat sich kurz mit mir unterhalten, als ich dich damals von der Party nach hause gebracht habe.“
„Ach so. Und Taylor?“, fragte ich neugierig weiter.
„Ihn kenne ich nur flüchtig.“, antwortete er kühl.
„Er sagte dir, er macht dich kalt, wenn du mir weh tust, oder?“
„Ja. Aber ich kann ihn gut verstehen.“
Mit einem leisen Seufzen erkannte ich, dass wir in meine Straße einbogen. Gekonnt glitt er in eine Parklücke, stieg aus und öffnete mir wenige Sekunden später die Autotür, bevor er mir heraus half. Im selben Augenblick, in dem er die Autotür zuwarf, wurde die Haustür geöffnete und Taylor kam heraus direkt auf uns zu. Er sah kurz auf meinen Hals, schien etwas zu entdecken, dass ihm alles erklärte und sah Kaden finster an.
„Was hast du mir ihr gemacht?“, wollte er sofort wissen und packte ihn grob am Kragen.
„Taylor!“, rief ich aus und packte ihn am Arm, wobei die Katze aus meiner Hand rutschte und sich an meiner Tasche festkrallte. „Hör auf, er hat mir nichts getan.“
Ohne mich zu beachten beförderte er Kaden auf die Motorhaube seines Wagens und wollte bereits ausholen, als ich mich über Kaden warf und Taylor böse anfunkelte.
„Geh runter von ihm.“, brachte er aufgebracht hervor.
„Nein.“
„Kendra. Geh sofort runter von ihm.“
„Er hat nichts getan.“
„Woher sind dann die blauen Flecken?“
„Ich werde es dir drinnen erklären, aber lass ihn erst los.“
Er sah mich stur an.
„Lass ihn los, Taylor.“
„Wo sind deine Sachen?“
„Ich werde dir alles erklären. Jetzt lass ihn los. Bitte. Er hat mir wirklich nichts getan. Im Gegenteil.“
Langsam lockerte er seinen Griff und trat einen Schritt von Kaden weg, wobei er diesen jedoch im Auge behielt. Ich dagegen atmete erleichtert auf und sah auf Kaden herab.
„Alles in Ordnung? Hat er dir weh getan?“, wollte ich von ihm wissen und zog seinen Kragen vorsichtig herunter, um ihn mir anzusehen.
„Nein. Alles okay. Er war etwas grob, das ist alles.“
„Tut mir leid.“
„Ist schon in Ordnung. Er hat sich halt Sorgen um dich gemacht.“ Vorsichtig, damit ich nicht runter fiel, rutschte er unter mir von der Motorhaube und half mir ebenfalls herunter.
Taylor zog mich sofort von ihm weg und bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung ins Haus zu gehen, woraufhin er Richtung Tür ging.
„Taylor, es ist alles in Ordnung. Lass mich los.“, meinte ich leicht aufgebracht.
„Ich lasse dich erst los, wenn ich weiß, was passiert ist.“
Ohne Wiederworte ließ ich mich von ihm ins Haus bringen und sah Kaden entschuldigend an.
„Mom, Dad! Kendra ist wieder da!“, rief Taylor, als wir im Flur waren.
„Oh, Gott sei dank!“, hörte ich meine Mutter aus der Küche, bevor sie in den Flur eilte und mich in ihre Arme riss. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Tu das nie wieder, hörst du? Ich hatte solche Angst um dich.“
„Mom, es geht mir gut.“
„Komm, setzt dich ins Wohnzimmer, ich mache euch erst einmal einen heißen Kakao.“
„Danke.“
Taylor dagegen rollte mit den Augen und schob sowohl mich, als auch Kaden, ins Wohnzimmer, wo er sich mit mir auf die Couch setzte und Kaden sich in einen Sessel setzte.
„So, jetzt will ich aber wissen, was passiert ist.“
„Deine Schwester wurde von Derek vergewaltigt.“, antwortete Kaden prompt.
Taylor wurde sofort starr.
„Taylor bitte.“, meinte ich darauf, „Reg dich nicht auf. Kaden hat mich vor ihm gerettet. Ich weiß nicht, was er gemacht hat, ich bin ohnmächtig geworden, aber er hat mich mit zu sich genommen, mir frische Sachen gegeben und dafür gesorgt, dass ich mich ausruhen konnte.“ Wenigstens war das nicht gelogen. Den Rest würde ich ihm vielleicht in drei Monaten erzählen, wenn er danach fragte. „Er hat sich um mich gekümmert. Und er hat mir wirklich nichts getan.“ Außer, dass er mich nackt gesehen hatte. Das war das Einzige, was mir nicht gefiel, doch Taylor würde ich es bestimmt nicht auf die Nase binden und immerhin hat Kaden nur gute Absichten im Sinn gehabt.
Mein Bruder rieb sich über den Mund und ballte seine Hand zur Faust, bevor er sie wieder entspannte. Er dachte lange darüber nach, bevor er langsam ausatmete und zu Kaden sah. „Was hast du gemacht, als sie ohnmächtig war?“, wollte er wissen.
„Ich habe Derek verprügelt, bis er sich nicht mehr bewegen konnte, hab Kendra in den Sachen eingepackt, die sie noch trug und sie so schnell es ging zu mir nach hause gebracht. Es hat in Strömen geregnet, also habe ich sie umgezogen und ins Bett gelegt, damit ihr warm wurde und sie sich nicht erkältet.“, erklärte Kaden ohne Umschweife.
Taylor sah ihn aufmerksam an. „Inwiefern hast du sie umgezogen?“
„Das tut doch nichts zur Sache.“, warf ich ein, „Mir geht es gut.“
„Du wurdest vergewaltigt.“, entgegnete Taylor mit einem finsteren Blick in meine Richtung. „Wie kommst du darauf, dass es dir dann wieder gut geht?“
„Verdammt Taylor, ich bin kein Porzellanpüppchen! Kaden hat sich ausreichend um mich gekümmert und ich bin dank ihm auch nicht traumatisiert. Hör auf emotional Amok zu laufen und entspann dich wieder! Deine Wut bringt uns doch auch nicht weiter.“
„Du bist meine Schwester verdammt! Ich habe mir Sorgen um dich gemacht! Soll ich jetzt ganz relaxt herum sitzen, während du vergewaltigt wurdest?“
„Nein, aber du könntest etwas weniger wütend sein und vielleicht Andrew anrufen, damit er mich untersuchen kann.“ Während ich das sagte, schlug ich meinem Bruder gegen die Schulter und kämpfte mich aus seinen Armen, um zu Kaden zu gehen, und mich auf seinen Schoß zu setzten. „Es tut mir wirklich leid, dass du so in Empfang genommen wirst.“, meinte ich halblaut an ihn.
„Es ist doch nicht so schlimm. Ich kann deinen Bruder wirklich verstehen. Ich wäre auch ausgerastet, wenn mit Debora so etwas passieren würde.“
Taylor warf uns beiden noch einen kurzen, aber sehr finsteren Blick zu, bevor er aufstand und das Zimmer verließ. Ich lehnte mich daraufhin an Kadens Brust und legte meinen Kopf an seine Schulter, woraufhin er zaghaft die Arme um mich legte.
„Danke, dass du mich nach hause gebracht hast.“, meinte ich irgendwann.
„Hör auf dich für alles zu bedanken.“, tadelte er mich sanft.
„Ich werde mich für alles bedanken, dass du für mich tust.“
Er atmete langsam aus und wurde sofort starr, als ich ihm eine Hand an die Wange lehnte.
„Kaden?“
„Ja?“
Ich zögerte etwas. „Darf... darf ich dich küssen?“
Er sah zu mir herab, sein Blick war unsicher und etwas schüchtern. Kurz schluckte er und legte mir dann sanft eine Hand in den Nacken, um mich sachte an sich zu ziehen. Wie gestern Abend streifte er meine Lippen mit seinen, sah mir diesmal aber in die Augen. Wenig später schloss er sie und legte seinen Mund ganz auf meine Lippen. Sofort begann mein Bauch zu kribbeln, mein Herz begann zu rasen und mein Atem ging schneller. Ohne es wirklich zu bemerken vergrub ich meine Hand in seinem Haar und zog ihn enger an mich, was ihm ein heiseres Stöhnen entlockte. Automatisch öffnete er seinen Mund, weshalb mein Herz beinahe aus meiner Brust sprang. Seine Hand legte sich auf meinen Oberschenkel, wo er mich zaghaft zu sich zog, während seine andere Hand noch auf meinem Rücken lag und mich dort festhielt.
Der Kuss hielt einige Minuten. Ich hatte das Gefühl fast zu ersticken, während mein Herz einen Weg aus meiner Brust suchte. Doch dann hörte ich das vertraute Seufzen meines Lieblingsarztes und löste mich augenblicklich von Kaden. Drew hatte sich gerade auf die Couch gesetzt und machte es sich gemütlich, während er die Fernsehzeitschrift aufschlug.
„Lasst euch von mir nicht stören.“, meinte er nebenbei, „Ich kann mit der Untersuchung auch warten.“
„Äh...“, kam es mir, rot vor Scham, über die Lippen, bevor ich den Kakao bemerkte, der vor Kaden und mir auf dem Tisch stand. „Wo kommen die Tassen her?“
Kaden rutschte unter mir unsicher hin und her. „Deine Mutter hat sie eben herein gebracht.“
„Eben? Wann eben?“
„Ich weiß nicht genau. Vor einer Ewigkeit.“
Andrew begann zu lachen, woraufhin wir ihn überrascht ansahen. „Ich bin erst seit fünf Minuten hier, war in der Küche und vor zwei Minuten hat sie euch den Kakao gebracht.“, erklärte er lachend.
Ich rang mit den Händen. „Ich hab es gar nicht bemerkt.“
Kadens Mundwinkel zuckte leicht, doch auch in seinem Gesicht sammelte sich Röte. „Du warst auch abgelenkt.“
Ich murrte. „Ärger mich nicht. Das ist nicht fair.“
„Ist gut, das reicht jetzt.“, ging Drew sanft dazwischen, „Soll ich mit dir in dein Zimmer gehen, Kendra?“
Ich zögerte ein wenig. „Kann Kaden mitkommen?“
„Natürlich. Wenn du das möchtest.“
Vorsichtig rutschte ich von Kadens Schoß und nahm ihn an der Hand, als wir Andrew in den Flur, die Treppe hinauf und in mein Zimmer folgten.
„Wie beim letzten Mal, musst du dich so weit ausziehen, wie du es aushältst.“, erklärte Andrew in meinem Zimmer, stellte seine Arzttasche neben dem Bett ab und stellte Kaden einen Stuhl hin.
Schnell zog ich mir die Jacke und den Pullover aus und wollte bereits das T-Shirt ausziehen, hielt dann aber inne. „Kann... kann ich mir noch schnell etwas anderes anziehen?“, bat ich ihn.
„Klar. Ich warte eben vor der Tür.“
Sobald Andrew das Zimmer verlassen hatte, fiel mein Blick kurz auf Kaden, der aus dem Fenster sah. Dann ging ich zum Schrank, zog mich aus, um mir andere Unterwäsche anzuziehen und ging dann zur Tür, um sie einen Spalt zu öffnen.
„Du kannst wieder rein kommen.“, informierte ich Drew, bevor ich zu meinem Bett ging.
Andrew schloss hinter sich sorgfältig die Tür und kam zu mir, woraufhin sein Blick sofort auf meinen Hals fiel.
„Weißt du, dass du an deinem Hals ein Würgemal hast?“, wollte er wissen und berührte ihn vorsichtig.
„Ich kann es mir denken. Derek hat mich beinahe erwürgt und Taylor hat es auch schon so komisch angesehen.“
„Verstehe. Hast du Schmerzen am Hals, oder am Nacken?“ Vorsichtig betastete er die Nacken- und Halsregion, wobei ich ihm sagte, wann ich Schmerzen hatte und wann nicht. Er untersuchte mich beinahe von Kopf bis Fuß, bevor er schließlich inne hielt.
„Was ist?“, wollte ich unsicher wissen.
„Nun... Du wurdest vergewaltigt.“
Ich zog die Brauen zusammen. „Ich weiß.“
„Damit möchte ich sagen, dass... also... Es gibt da noch eine Region, die ich untersuchen müsste, aber ich möchte dir nicht näher treten, als du möchtest. Möchtest du also, dass ich dich dort untersuche, oder soll das ein Gynäkologe machen?“ Er deutete auf den Teil meiner Anatomie, dem Derek den größten Schaden zugefügt hatte.
Ich spürte, wie ich blass wurde und sah direkt in Drews Gesicht.
„Ich verstehe es schon, wenn du das lieber einen Gynäkologen machen lassen möchtest.“, erklärte er sanft, „Es ist erstaunlich, wie du damit umgehst, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass es dich kalt lassen würde, wenn man dich jetzt dort untersucht.“
„D-d-du hast eine-eine... also... du wüsstest, was du tun musst, richtig?“
„Ich bin mir sicher, dass ein Gynäkologe wahrscheinlich besser mit dir umgehen könnte, aber ich weiß, was ich tun muss, ja.“
„Wie meinst du das?“
Er überlegte einen Moment. „Ich habe nicht gelernt jemanden gynäkologisch zu untersuchen. Aber ich erkenne es, wenn Organe gesund oder verletzt sind. Oder ob vielleicht irgendwas anderes nicht stimmt.“
Ich biss mir auf die Unterlippe, wobei mein Blick auf Kaden fiel, der mir aufmerksam ins Gesicht sah. „Hältst du meine Hand?“
Er sah ziemlich überrascht aus. „Äh... natürlich.“
Sofort stand er auf, stellte den Stuhl zu mir ans Kopfende und nahm meine Hand, woraufhin ich Andrew kurz zunickte.
„In Ordnung.“, meinte dieser, „Sag mir sofort Bescheid, wenn es unerträglich wird, okay? Nicht zögern, sag sofort Bescheid.“
Aber es war erträglich. Ab und zu kam es hart an die Grenze des Unerträglichen, doch wenn immer es dazu kam, drückte Kaden liebevoll meine Hand und brachte mich dazu mich auf ihn zu konzentrieren. Als Andrew eine Viertelstunde später fertig war, zog er sich die Einweghandschuhe aus, die er getragen hatte, deckte mich vorsichtig zu und desinfizierte sich dann die Hände und Unterarme.
„Das wars dann.“, meinte er, „Es ist alles in Ordnung. Keine Verletzungen. Du bist noch ein bisschen wund, aber das vergeht schnell. Du kannst dich jetzt etwas ausruhen.“ Er stand bereits auf.
„Andrew?“
Inne haltend sah er fragend zu mir herab. „Ja?“
„Danke.“
„Für dich mach ich das gerne.“
„Und... kannst du mir... uns einen Gefallen tun?“
Er setzte sich wieder zu mir ans Bett. „Worum geht’s?“
„Du... Also... Kannst du Kaden untersuchen?“
Sein Blick fiel auf den Jungen, der immer noch meine Hand hielt und nun den Blick senkte. „Warum?“
„Kannst du etwas für dich behalten?“
„Das weißt du doch.“
Vorsichtig setzte ich mich auf und sah zu Kaden. „Zieh dein T-Shirt aus.“
Kaden wand sich ein wenig. „Kendra, ich glaube-“
„Du hast es mir versprochen.“, unterbrach ich ihn, „Du hast gesagt, du lässt dich untersuchen.“
Kurz atmete er durch, ließ meine Hand los und zog sich dann sein Shirt aus.
„Meine Güte.“, flüsterte Andrew, „Das sind wahnsinnige Blutergüsse. Es würde mich nicht wundern, wenn du auch ein paar Prellungen, wenn nicht sogar ein oder zwei Brüche hast.“
Mit großen Augen sah ich zu dem besten Freund meines Bruders. „Brüche?“
„Es ist nichts gebrochen.“, beruhigte mich Kaden sofort, „Es sieht schlimmer aus als es ist.“
„Waren das Schläge, oder Tritte?“, wollte Andrew unbeirrt wissen.
Kaden erwiderte kurz den Blick und sah dann auf die Bettdecke. „Erst... Erst Schläge... Dann Tritte.“
„Ich wusste nicht, dass es so schlimm war.“, kam es mir über die Lippen.
„Mach dir keine Sorgen. Es war schon schlimmer.“
„Noch schlimmer?“ Ohne es zu merken, wurde ich etwas lauter, woraufhin er beruhigend meine Hand nahm.
„Denk nicht darüber nach, Kendra. Irgendwann sag ich es dir vielleicht.“
Ich schluckte ein paar Mal, bevor ich zu Andrew sah. „Kannst du ihn untersuchen?“
„Klar. Aber warum fragst du ausgerechnet mich?“
„Es ist... die Finanzierung.“
Drew Augen wurden ein wenig enger. „Kendra?“
„Er kann eine Untersuchung nicht bezahlen.“
„Kendra-“
„Bitte Andrew. Es ist wichtig.“
Er atmete lange aus, bevor er zu Kaden sah. „Wer war das?“, wollte er wissen.
Kaden versteifte sich, brachte kein Wort über die Lippen.
„Er sagt niemandem etwas.“, sprach ich ihm beruhigend zu und drückte leicht seine Hand. „Das hier bleibt unter uns. Versprochen. Nicht wahr, Andrew?“
Als Drew nicht sofort antwortete, sah ich ihn lange an, woraufhin er nickte. „Ich werde niemandem davon erzählen.“
Ich konnte sehen, wie Kaden mit sich rang. Er schluckte einige Male, drückte ab und zu unbewusst meine Hand und schien eine Weile darüber nachzudenken. Schließlich entspannte er sich ein wenig.
„Das war mein Vater.“, sagte er schließlich leise.
„Großer Gott. Warum sagst du das nicht sofort?“ Ohne zu zögern brachte er Kaden dazu sich gerade hinzusetzen. „Wenn es dein eigener Vater ist, ist es was völlig anderes. Wie oft verprügelt er dich? Hinstellen.“
Kaden gehorchte. „Er tut es beinahe jeden Tag ein, manchmal zwei mal.“
„Hat er dir mal etwas gebrochen?“
„Ich... ich weiß nicht.“ Kaden zuckte abrupt zusammen, als Andrew seinen Nacken abtastete.
„Weißt du ungefähr wohin er zielt?“
„Kommt darauf an. Wenn ich noch stehe zielt er aufs Gesicht, bis ich es bedecke. Dann zielt er auf den Nacken und meine Arme und hinterher auf den Bauch, bis ich am Boden liege. Dann tritt er nur noch wahllos drauf zu. Meistens trifft er dabei meinen Bauch, oder meine Seite. Oft aber auch meinen Rücken. Besonders wenn ich mich auf den Bauch drehe und er auf mir rauf tritt. Wenn ich es schaffe auf der Seite liegend die Beine anzuziehen, trifft er natürlich die.“
Es musste unglaublich demütigend für ihn sein das zu erzählen. Doch die Brutalität seines Vaters trieb mir die Tränen in die Augen, sodass ich mir um die Demütigung keine Gedanken machte.
„Schlägt und tritt er hart zu? Oder passt er auf?“
„Wenn ich Glück habe ist er nüchtern, dann passt er etwas auf. Aber das passiert nicht ganz so oft. Wenn er angetrunken ist, tritt und schlägt er härter zu, trifft aber noch ziemlich gut. Wenn er aber betrunken ist, dann schlägt und tritt er so fest zu wie er kann. Dabei merkt er wahrscheinlich selbst nicht was er trifft.“ Er sog scharf die Luft ein, als Andrew ihm an einer Stelle die Rippen abtastete, die ziemlich blau aussah.
„Tut mir leid. Ich muss nur sicher gehen, dass der Knochen nicht gebrochen ist.“
„Ich weiß.“
„Kendra, mach doch bitte etwas platz. Es ist leichter für ihn, wenn er liegt.“
Sofort rückte ich so weit zur Seite wie ich konnte, woraufhin Kaden sich vorsichtig neben mich legte, wobei er mit Entsetzen bemerkte, dass ich weinte.
„Kendra. Bitte weine nicht.“ Er setzte sich auf und wischte mir sorgfältig die Tränen aus dem Gesicht. „Das hier ist nur vorübergehend. Das verheilt doch wieder.“
„Aber dann schlägt dein Vater dich wieder.“, brachte ich hervor, „Du musst da weg.“
„Darüber haben wir schon gesprochen.“ Vorsichtig legte er sich hin, hielt mir aber seine Hand hin. „Hältst du jetzt meine Hand?“
Ich ergriff sie sofort, während ich zusah, wie Andrew sanft seinen Oberkörper abtastete. Irgendwann bat er Kaden die Hose auszuziehen, damit er sich auch die Beine ansehen konnte. Als letztes drehte Kaden sich noch auf den Rücken, auf dem man sogar beinahe die Form des Schuhs erkennen konnte. Ich hatte die Tränen nicht mehr zurück halten können und weinte hemmungslos in mein Kissen, während Andrew Kaden ab und an eine Frage stellte und Kaden sie ruhig beantwortete. Ab und zu sog Kaden bei der Untersuchung scharf die Luft ein, stöhnte schmerzhaft und schrie sogar ab und zu leise auf. Letzten Endes rieb Andrew die Blutergüsse mit einer Salbe ein, verband ihm den Brustkorb und gab ihm eine ganze Tube von der Salbe.
„Drei Rippen sind geprellt.“, erklärte er, „Wenn ich richtig gezählt habe, sind es siebenunddreißig Blutergüsse, sowohl groß, als auch klein. Dein rechtes Bein solltest du auch ein wenig schonen. Es scheint vor kurzem einmal gebrochen gewesen zu sein. Du hast Glück, dass es korrekt verheilt ist, doch der Heilungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Gib mir bitte deine linke Hand.“
Kaden schien ein gewisses Vertraue in meinen Lieblingsarzt zu haben, denn er reichte ihm die Hand ohne zu zögern.
„Als ich sie abgetastet habe, hab ich festgestellt, dass an deinem Ringfinger mal ein Knochen ein wenig falsch zusammengewachsen ist.“
„Das ist zehn Jahre her.“, meinte Kaden darauf, „Ich war in der Küche und wollte etwas aus dem Oberschrank nehmen. Ich hielt mich gerade mit einer Hand fest, um mich hochzuziehen. Da hat mein Vater die Tür des Schrankes zugeschlagen. Unsere Schränke haben Schlösser und...der Teil des Schlosses an der Schranktür hat meinen Ringfinger getroffen.“
Beinahe außer mir vor Angst um ihn, legte ich ihm den Kopf in den Schoß und hielt seine freie Hand fest in meinen.
„Stört es dich?“, wollte Andrew von Kaden wissen.
„Nein. Es fällt mir gar nicht auf.“
„Äußerlich ist da auch nichts. Aber wenn man es abtastet, spürt man es sofort. Schmerzt es manchmal?“
„Nein. Ich hatte es sogar vergessen, bis du es angesprochen hast.“
„Verstehe. In Ordnung. Die Salbe die ich dir gegeben habe, ist für die Blutergüsse. Du kannst jemanden bitten sie darauf aufzutragen, oder es selbst machen. Den Verband solltest du noch vier Trage tragen. Zum Duschen kannst du es natürlich abnehmen, aber du solltest danach jemanden bitten es dir wieder anzulegen. An dein Bein würde ich vorerst nicht ran gehen. Wie gesagt, du solltest es nur ein wenig schonen. Wenn irgendwas passiert... sei es eine etwas härtere Prügel, oder Schmerzen, die vorher nicht da waren oder einfach nicht aufhören... Kendra hat meine Nummer. Okay?“
„Danke.“
„Gut.“ Drew seufzte kurz, fuhr sich durchs Haar und dachte einen Augenblick nach. „Was das Finanzielle betrifft... Ich werde das Geld für die Untersuchen nicht von dir verlangen. Du bist Schüler und wirst von deinem Vater geschlagen, bist also nicht in der Lage es legal zu bezahlen, außer du hast einen Nebenjob.“
Kaden schüttelte den Kopf.
„Das einzige was du bezahlen müsstest, wäre die Salbe... aber die schenke ich dir. Ebenso wie das Verband. Wenn später noch etwas dazu kommt, werde ich mir etwas ausdenken.“
„Verstanden.“
„Okay. Dann wars das jetzt. Ruht euch beide aus. Ich werde deinen Vater bitten euren Kakao aufzuwärmen und ihn hochzubringen. Wie heißt er eigentlich? Ich kenne ihn jetzt schon seit Jahren, habe aber keinen Schimmer wie er heißt.“
Ohne eine Antwort abzuwarten verließ Andrew mein Zimmer. Kaden atmete langsam aus und begann mir übers Haar zu streicheln, während ich immer noch einige Tränen vergoss.
„Ist schon gut.“, tröstete er mich, „Es dauert nicht mehr lange, dann bin ich da raus. Hörst du?“
„Du sprichst von Monaten, Kaden.“
„Du hörst dich an, als wäre es für dich schlimmer, als für mich.“ Vorsichtig zog er mich zu sich hoch und legte die Arme um meine Tallie, woraufhin ich meinen Kopf an seine Schulter lehnte. „Hör auf zu weinen.“, bat er leise, wobei er seinen Kopf sanft an meinen Schopf lehnte.
„Es hörte sich alles so schrecklich an.“
„Das ist schon vorbei.
„Ich weiß, aber... Ich kann einfach nicht aufhören zu weinen.“
„Ist schon gut. Ich versteh dich ja.“
„Du... du bist so ganz anders, als die anderen denken. Sie denken alle, du würdest schreckliche Dinge tun, aber es ist so, dass dir all die schrecklichen Dinge widerfahren.“
„Ist schon in Ordnung.“
„Nein, ist es nicht. Du wirst zu unrecht von ihnen verurteilt.“
„Kendra...“
„Sie denken, du hättest mich vergewaltigt.“ Ich schluchzte stark. „Sie glauben, Derek hätte mich gerettet, nicht du. Ich... ich verstehe nicht, wie man so blind sein kann.“
„Sch sch sch. Denk nicht weiter darüber nach.“
Ich hob sofort den Kopf und sah zu ihm auf. „Aber-“
„Schon gut. Mach dir keine Sorgen.“
Nur langsam brachte ich ein Nicken zu Stande, bevor mir etwas anderes in den Sinn kam.
„Wenn... wenn ich wieder zur Schule gehe... wirst du dann wieder so... grob sein?“
„Nicht zu dir.“, antwortete er beinahe sofort, „Nicht zu der Person, die versucht mir das Leben zu erleichtern.“
Erleichtert und wenigstens etwas beruhigt von seinen Worten lehnte ich mich an ihn und schloss die Augen.

Impressum

Texte: © Copyright 2011 – Alle Inhalte, insbesondere Texte sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, einschließlich der Vervielfältigung, Veröffentlichung, Bearbeitung und Übersetzung, bleiben vorbehalten, Lisa Irmer
Tag der Veröffentlichung: 09.01.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle die mir wichtig sind.

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