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Es war kalt als ich aufstand. Wie immer. Und dunkel. Manchmal wünschte ich mir eines der schönen Frauen zu sein die auf der Burg leben durften. Die reichen und schönen des Adels. Aber täglich merke ich das sie nicht so toll waren wie ich früh morgens immer dachte. Sie machten nicht einmal etwas damit sie etwas bekommen. Sie müssen es nur befehlen.
„Christy beeil dich.“, meinte meine Zimmergenossin Alita, „Wir wollen doch nicht das Tante Agata dich wieder länger arbeiten lässt, oder?“
„Du hast ja recht.“, gab ich zur Antwort und zog eines meiner wenigen Kleider an die ich hatte.
Tante Agata wurde so genannt weil sie sich um mich, Alita und weitere Mädchen kümmerte. Sie hatte uns alle aufgenommen. Einige waren Mägde. Andere arbeiteten in irgendwelchen Gebäuden. Aber wir alle wohnten hier bei Tante Agata. Sie war immer freundlich, auch wenn sie etwas streng ist. Sie kümmert sich um uns, sorgt dafür das wir immer genug zu Essen hatten und das wir ein paar Kleider hatten. Diese waren zwar schnell etwas lädiert, aber das waren wir gewohnt. Jeder meiner Kleider hatte mindestens drei Flicken, fünf zugenähte Risse und eine lockere Naht.
„Du brauchst bald wieder ein neues Kleid.“, bemerkte Alita als ich das Kleid heraus nahm das in bester Form war.
„Ich komme mit denen hier aus.“
„Wenn du immer diese Fetzen anziehst findest du nie einen Mann der dich heiraten würde.“
„Ich muss heiraten? Sagt wer?“
Sie lachte herzlich, „Jede Frau sollte doch irgendwann mal heiraten, oder nicht?“
„Ich nicht. Ich will nicht heiraten. Ich hab doch dich. Und die anderen Mädchen. Ich fühle mich hier wohl, wofür brauche ich also einen Mann?“
„Kinder?“
„Was soll ich mit Kindern? Die schreien doch nur. Und sie machen mehr Arbeit als ich hier habe. Und dafür wird man nicht mal bezahlt.“
„Wenn du einen Mann hast musst du nicht mehr arbeiten. Jedenfalls, wenn er ein reicher Mann ist.“
„Oh nein! So einer kommt mir in hundert Jahren nicht nahe genug.“
„Was hast du eigentlich gegen den Adel?“
„Hast du mal gehört was die über uns sagen?“
„Christy. Die sagen es doch nur weil sie es nicht besser wissen und weil sie auf unsere Freiheit neidisch sind. Sie wissen ja noch nicht einmal wie man Kleider flickt.“
Ich lachte ein wenig und ging mit mir in die Wohnstube. Dort wartete Tante Agata bereits mit den anderen Mädchen.
„Oje. Christy, dein Kleid ist ja noch schlimmer als vorher.“, meinte Annabell, „Du brauchst unbedingt neue.“
„Schlimmer als vorher?“, hakte ich nach, „Das ist im besten Zustand.“
„Im Vergleich mit den anderen?“, fragte nun Clarissa besorgt, „Du brauchst wirklich neue Kleider.“
„Tue ich nicht.“
Rina seufzte, kam zu mir und zog ganz leicht an meinem Ärmel. Das war schon genug um ihn abzureißen.
„Hey!“, protestierte ich.
„Siehst du. Die gehen ja schon bei der leichtesten Belastung kaputt!“, meinte nun Annie.
„Kinder, Kinder. Nun seit doch still.“, warf Tante Agata ein, „Komm her, Christy.“
Ich ging zu ihr und blieb vor ihr stehen. Sie sah sich mein Kleid ganz genau an.
„Du sagtest es ist im Vergleich mit den anderen im besten Zustand?“, wollte sie wissen.
„Ja.“
„Kindchen. Du brauchst wirklich neue Kleider. Nimm zwei Mädchen und gehe mit ihnen zu Richard. Er soll dir fünf neue Kleider machen.“
„Aber ich komme mit denen hier zurecht.“, protestierte ich.
Sie schüttelte den Kopf, „Alita, kannst du ihr ein Kleid leihen?“
„Natürlich.“, antwortete diese und zog mich sanft zurück ins Zimmer, „Ich sagte doch du brauchst neue Kleider.“
Aus der Wohnstube hörte ich gedämpft wie Tante Agata de anderen Mädchen an ihre Arbeiten schickte.
„Kommst du mit zu Richard?“, bat ich meine beste Freundin.
„Natürlich. Wen nimmst du noch mit?“
„Such du jemanden aus.“
„Clarissa hat in letzter Zeit wirklich viel gearbeitet. Und auch sehr tüchtig.“
„Gut. Dann kommt Clarissa auch mit. Wenn sie denn möchte.“
„Ich wette mit dir sie würde alles stehen und liegen lassen wenn sie nur mit in die Stadt darf. Wir könnten auch gleich nochmal zu Anton gehen. Wir brauchen neues Brot.“
„Da sollten wir doch vorher Tante Agata fragen, oder nicht?“
„Das können wir ja ruhig machen. Äpfel brauchen wir auch. Vielleicht gibt es auch wieder Kartoffeln.“
Sie drücke mir eines ihrer Kleider in die Hand und ich zog mich kurz um. Ihre Kleider waren wirklich in sehr gutem Zustand. Nur zwei Flicken und ein genähter Riss.
„So. Jetzt holen wir Clarissa und gehen los.“, meinte Alita und zog mich sanft am Arm hinter sich her aus dem Zimmer und hinaus zum Stall. Clarissa kümmerte sich um die Kühe, Hühner und um die Schafe. Wir hatten auch zwei Pferde. Eine Stute und ein Hengst. Die Stute erwartete ein Fohlen.
„Clarissa?“, rief ich in den Stall hinein als wir am Eingang standen.
„Ja?“, sie kam aus einer Box heraus. Ein Korb mit Eiern in den Händen.
„Möchtest du mit zu Richard?“
„Oh, sehr gerne. Ich suche nur noch eben die letzten fünf Eier.“
„Sollen wir dir helfen?“
„Das wäre nett.“
Ohne zu zögern gingen wir zu ihr und suchten den ganzen Stall nach den fünf Eiern ab. Zwei fand ich bei den Schafen. Alita fand eins bei den Hühnern und eins fand Clarissa bei den Pferden. Das fünfte wurde von einer Kuh zertreten.
„Wie schade.“, meinte ich als Clarissa die Schale aufhob und auf den Kompost warf.
„Jetzt können wir los. Aber nicht zu lange, ja. Ich muss noch die Kühe melken und eines der Schafe scheren.“, meinte sie als wir den Stall verließen.
„Wir müssen noch kurz zu Tante Agata.“
„Nun, wenn du das sagst.“
Wir drei lächelte und machten uns auf zu Agatas Schlafgemach. Dort saß sie meist und Nähte die Risse in den Kleidern der Mädchen. Wir fanden sie aber schon vorher in der Wohnstube. Sie saß dort mit einem unbekannten Mann.
„Tante Agata?“, meldete sich Alita zaghaft.
Die alte Frau sah sofort auf, „Entschuldigen Sie mich bitte ganz kurz.“, meinte sie dann an den Mann und erhob sich, „Was gibt es denn, Mädchen?“
„Wir wollten fragen ob wir noch zu Anton gehen können. Brot und Äpfel kaufen.“, erklärte ich.
„Gute Idee. Ich gebe euch etwas Geld mit. Für die Kleider, das Essen und dann könnt ihr gleich noch Salat kaufen.“
Ich verzog das Gesicht. Salat war mir nicht gerade willkommen.
„Tomaten brauchen wir auch.“
Ich verzog das Gesicht noch mehr. Alita lachte ein wenig als sie mich sah.
„Und außerdem brauchen wir noch Salz und Erdbeeren. Thomas würde gerne einen Erdbeerkuchen haben.“
Ich sah sie verwundert an, „Warum geht er denn dann nicht zu Olaf?“
„Er ist krank geworden.“, die alte Frau hielt kurz inne, „Nun, jetzt wisst ihr was wir brauchen. Beeilt euch. Husch husch.“
Die beiden anderen lachten ein wenig und wir gingen aus dem Haus.
„Habt ihr den Mann gesehen?“, meinte Clarissa begeistert als wir weit genug von Haus entfernt waren.
„Nur von hinten.“, gab Alita zurück.
„Ich fand er sah gut aus.“
„Von hinten.“, fügte ich hinzu.
Alita lachte leise.
„Er hatte tolles Haar.“
„Hinten.“, fügte nun Alita hinzu.
Nun lachte auch Clarissa herzlich mit uns.
„Du weiß gar nicht wie er aussieht.“, meinte ich, „Du hast nur seinen... Hinterkopf gesehen.“
Alita nickte, „Es könnte immerhin sein das er nur ein Bein hat, oder nicht.“
„Oder nur ein Auge.“
„Es kann ja auch sein das er eine Narbe im Gesicht hat.“
„Macht mir meine schöne Vorstellung von ihm nicht kaputt.“, meckerte Clarissa.
Alita und ich lächelte sie an.
„Wir sagen nur was möglich wäre.“, meinte Alita dann, „Nicht das du dich noch in jemanden verliebt von dem du nur den Hinterkopf gesehen hast.“
„Vielleicht ist es nur eine Perücke.“, warf ich nun ein.
Alita lachte ein wenig, „Perücken können sich nur Adelige leisten.“
„Stimmt auch wieder. Was soll ein Adeliger bei uns auf dem Hof? Kühe melken?“
Nun lachte Clarissa herzlich auf.
„Ich bezweifle das sie wissen wie das geht.“, meinte nun Alita.
Clarissa nickte zustimmend, „Falls sie überhaupt wissen wozu die Euter überhaupt gut sind.“
„Wisst ihr jetzt warum ich den Adel nicht leiden kann? Die lassen sich alles von Mägden bringen. Nicht mal das Brot schneiden sie sich selbst vom ganzen.“
„Und die, die die Nase ganz oben tragen essen nicht mal selber. Die lassen sich die Traube in den Mund schieben.“
„Das einzige was der Adel kann ist Geld ausgeben, lästern und einige Männer kämpfen.“
„Die Männer sehen aber verdammt gut aus.“, bemerkte Alita, „Das muss man schon sagen.“
„Was willst du mit einem Mann der nicht einmal einen Stall ausmisten kann?“, wollte Clarissa wissen.
„Oder ein Feld pflügen?“, fügte ich hinzu.
Ich wusste was ich meinte. Ich kümmerte mich immerhin um ein Weizenfeld. Deshalb hatten wir auch die Pferde.
„Wo ihr recht habt. Aber sie können sicherlich reiten.“, antwortete Alita.
„Wer kann das nicht?“
„Jemand der nur ein Bein hat?“, riet Clarissa.
Wir schmunzelte ein wenig.

Als wir über eine kleine Holzbrücke gingen, blieb ich stehen und sah über das Geländer. An dem Fluss holten wir immer das Wasser. Es war klar und die Fische schwammen gegen die Strömung. Annie war weiter flussaufwärts am Fische fangen. Und das machte sie wirklich gut.
„Christy, kommst du?!“, rief Alita ein paar Meter weiter.
„Bin unterwegs!“, antwortete ich und ging weiter.
Als ich nur noch etwa zwei Meter von den beiden entfernt war, hörte ich hinter mir jemand den Weg entlang reiten. Ich drehte mich nicht um bis ich bei den beiden war. Diese sahen nur auf die Person auf dem Pferd. Als ich mich ebenfalls umdrehte wusste ich einfach nicht was sie hatten und sah die beiden verwundert an. Ich sah hin und her, konnte aber einfach nicht feststellen was sie so toll fanden. Der Mann auf dem Pferd sah mich kurz an als er vorbei ritt, sah dann aber wieder nach vorn.
„Was habt ihr zwei?“, wollte ich von den beiden wissen sobald er wieder nach vorn sah.
„Hm? Was sagst du?“, wollte Alita verträumt wissen und drehte den Kopf leicht ohne die Augen von dem Mann zu lassen.
„Hallo. Bist du zu hause? Aufwachen. Wir müssen weiter.“
Ich winkte vor den Gesichtern der beiden Mädchen. Sie sahen dem Mann so lange hinterher bis er nicht mehr zu sehen war. Dann begannen sie schon von ihm zu reden.
„Hast du seine Augen gesehen?“
„Hast du seine Mund gesehen?“
„...seine Haare...“
„...die Wangen...“
„....und die Nase....“
„...oder die...“
„...oder das...“
Ich seufzte und ging vor. Clarissa und Alita kamen redend hinterher. Sie redeten über jedes Detail das sie gesehen hatten. Ich war überglücklich das sie mich nichts über ihn fragten.
„Und seine Augen!“, rief Alita begeistert aus.
Ich legte ein Zahn zu. Die beiden bemerkte wohl nichts davon, denn sie wurden immer leiser. Als ich die Stadt erreichte waren sie bereits mehrere Meter weiter weg.
„Beeilt euch!“, rief ich ihnen zu.
Sie sahen auf und eilten zu mir. Kaum das wir dann die kurze Brücke über den Fluss vor der Stadt überschritten hatten, sah uns auch schon Charlie. Er war ein Stallbursche der die Pferde der Reisenden versorgte.
„Christy!“, rief er erfreut aus, „Wie geht es dir, wunderbarer Engel?“
Ich lächelte ihn an, „Mir geht es prima. Und deine Freundin?“
„Darla ist bei Olaf und pflegt ihn gesund. Er hat die Grippe.“
Olaf war der Konditor der Stadt. Da er nun krank war kümmerte sich Rina um die Kuchen. Diese arbeitete bei ihm.
„Ich soll Erdbeeren für einen Kuchen kaufen.“, meinte ich.
„Und deshalb musstet ihr drei herkommen? Hallo, Alita. Clarissa, was für eine Freude. Alita, ich muss schon sagen deine Augen glänzen wieder wie ein Saphir.“
Diese lächelte ihn an, „Du solltest aufpassen das Darla nicht hört wie du anderen Mädchen Komplimente machst.“
„Solange nur Mädchen von Tante Agata sind hat sie nichts dagegen. Sie mag euch alle. Gerade dich, Christy, du wunderschönes Ding.“
„Übertreibe es mal nicht. Das ist Alitas Kleid.“
„Ich rede nicht von dem Kleid. Eher von deinem Gesicht. Was müsst ihr noch kaufen?“
Er lief zwischen mir und Clarissa her als wir weiter gingen.
„Ich brauche neue Kleider. Dann kaufen wir noch Brot, Tomaten, Salat, Salz, Erdbeeren und... Wenn es welche gibt Kartoffeln.“
„Ich weiß wo es von denen billige gibt. Kommt mit.“
„Auf dich ist immer Verlass.“, meinte Clarissa als wir ihm folgten.
„Dafür bin ich doch da, oder nicht.“
„Ich dachte du kümmerst dich um den Stall?“, meinte Alita neckend.
„Ach, das ist im Moment alles erledigt.“
„Hast du eigentlich denn Mann gesehen der hier vorbei geritten sein muss?“, fragte nun Clarissa, „Braunes Haar, grüne Augen, schlank, schwarzes Pferd.“
„Er ist im Moment im Gasthaus. Ich hab gehört er sucht irgendjemanden. Ich weiß nicht wen, oder ob es Mädchen oder Junge ist. Ich weiß nicht mal wo er herkommt. Aber das Pferd steht bei uns im Stall. Vielleicht kauft er auch noch etwas auf dem Markt.“
Diesen erreichten wir gerade. Alita und Clarissa sahen sich um. Ich ebenfalls, aber eher nach der Ware.
„Hier lang.“, meinte Charlie und zog mich sanft am Arm hinter sich her.
Er war der einzige Mann der das durfte. Und das nur weil wir Freunde waren. Genau genommen war er der einzige männliche Freund den ich hatte. Die anderen, älteren Männer waren Bekannte. Man könnte sie Halbfreunde nennen.
Wenig später fand ich mich an einem Stand wieder an dem die Preise niedrig und die Ware gut war.
„Stanley!“, meinte ich lächelnd als ich den Mann dahinter wieder erkannte, „Du siehst gut aus.“
„Du siehst besser aus. Was brauchst du?“
„Eine Menge. Seit wann bist du denn wieder hier?“
Ich nahm ein Apfel und sah ihn mir an, während er erzählte.
„Ich hab das Haus verkauf tun bin wieder hergezogen. Ich hab es einfach nicht ausgehalten dein schönes Gesicht nicht sehen zu dürfen.“
„Ach, so interessant ist es auch wieder nicht.“
„Im Gegenteil.“, protestierte Charlie, „Ein Engel ist nichts dagegen.“
„Danke, aber trotzdem weiß ich das ein Engel mit Sicherheit schöner ist.“
„Antwortest du jedem so der das sagt?“, wollte Stanley wissen.
„Wenn ich ihn kenne.“
„Früher hat sie sich bedankt als ich das gesagt habe.“, meinte Charlie.
Ich nahm einige Äpfel in ein Tuch das Stanley mir gab und suchte ein paar Tomaten aus.
„Hast du guten Salat?“, fragte ich dabei.
„Der hier ist ganz wunderbar.“, gab er zurück und nahm einen aus der Ablage, „Für dich gehe ich sogar mit dem Preis runter.“
Ich lächelte, „Vielen Dank.“
„Das mache ich doch gerne. Was brauchst du noch?“
Ich sammelte einige Tomaten auf das Tuch, „Kartoffeln?“
„Da wäre im oberen Bereich ganz tolle.“
Ich sah sie mir kurz an und sammelte davon ebenfalls welche ein, „Du hast nicht zufällig auch Erdbeeren?“
Er gab mir ein weiteres Tuch und nahm eine Kiste vom Boden, „Die sind wirklich sehr gut.“, meinte er und legte mir einige auf das Tuch, „War das alles?“
„Salz brauchen wir auch noch. Hast du welches?“
„Salz... Nein, tut mir Leid. Den Rest habe ich in Berdage verkauft.“
„Das macht nichts. Wie viel möchtest du dafür?“
„Zwanzig Taler.“
„Zwanzig nur?“
„Ich bin vom Preis runter gegangen, schon vergessen?“
„Ziemlich weit runter.“
Ich zählte die Taler ab und gab sie ihm.
„Danke.“
„Immer doch.“
Damit ging ich mit Charlie weiter, während Alita und Clarissa irgendwo anders waren.
„Wo sind denn nur die anderen beiden?“, fragte ich mich und drehte mich im Gehen halb um.
„Keine Ahnung.“, Charlie sah sich ebenfalls um.
Als wir von Stanleys Stand gegangen waren hielt er es für nötig für mich die Beutel zu tragen. Als ich nun etwas unsanft gegen jemanden lief, stolperte ich ein paar Schritte zurück und wurde an den Armen festgehalten bevor ich fiel.
„Entschuldigen Sie, ich hab Sie nicht gesehen.“, meinte ich und sah auf.
„Das macht nichts. Sind Sie in Ordnung?“
Es war der Mann den Alita und Clarissa suchten. Ich nickte.
„Bei mir ist alles in Ordnung.“
Ich lächelte leicht als er mich losließ. „Einen schönen Tag noch.“, meinte ich dann.
„Ebenfalls.“
Ich ging an ihm vorbei und mit Charlie an den Ständen vorbei.
„Nun, jetzt weiß ich das die beiden noch suchen.“, meinte ich und sah nur ein Stück Brot an, „Wie viel kostet das?“, fragte ich dann die Verkäuferin.
„Für dich 2Taler.“, gab sie zurück.
Emily, hieß sie.
„Da nehme ich das hier... das hier und... das hier.“, ich deutet auf drei Brote und sie wickelte sie ein.
„Das sind dann 6 Taler.“
Ich gab ihr das Geld und Charlie nahm ihr den Beutel ab.
„Bis dann.“, meinte ich als wir weiter gingen.
„Tschüss.“
Wenige Meter weiter kamen wir an einen Gewürzhändler. Dort gab es auch Salz. Davon kaufte ich welchen für 5 Taler -wieder günstiger- und ging mit Charlie weiter.
„Ich glaube ich gebe dir ein Korb mit wenn ihr zurück geht.“, meinte er als er auf die Sachen in seinen Armen sah.
„Oh, das wäre super. Unser letzter ist kaputt gegangen.“
„Dann kommt der neue ja wie gerufen.“
„Und wie.“
Wir verließen den Markt und er ging kurz zum Stall, während ich mit den Sachen im Arm wartete. Kurz darauf kam er wieder und legte die Beutel in den Korb. Den nahm ich ihm dann ab.
„Und jetzt sind die Kleider dran.“, meinte ich.
Er nickte und ging mit mir weiter. Wenig später kamen wir dann bei Richard an. Er lächelte mich an, während ich ihm erklärte was ich brauchte. Er nickte und ich suchte die Stoffe aus. Während er dann Maße nahm, stand Charlie an der Seite und sah zu. Wie ein Bruder. Als Richard fertig war gingen Charlie und ich wieder raus. Dort warteten Alita und Clarissa.
„Da seit ihr zwei.“, meinte Alita überrascht, „Hast du dir schon alles ausgesucht?“
Ich nickte, „In zwei Tagen kann ich wieder kommen.“
„Er ist sehr schnell, findest du nicht?“
Ich nickte.
„Ich muss jetzt wieder gehen.“, meinte Charlie, „Sonst wird mein Vater noch wütend.“
„Okay, bis dann.“
Er küsste uns drei auf die Wangen und ging dann wieder.
„Ich mag ihn.“, meinte Alita.
Clarissa und ich sahen sie entgeistert an.
„Was ist? Er ist nett.“
Nun brachen Clarissa und ich in Gelächter aus. Kurz darauf gingen wir neben dem Markt an den Brunnen, wo Clarissa ein wenig mit dem Wasser spielte.
„Stanley ist wieder da.“, meinte ich.
„Ach ja?“, Clarissa sah auf, hörte aber nicht auf mit dem Wasser zu spielen.
„Ja. Und er hat mir die Sachen alle zusammen für nur zwanzig Taler verkauft.“
Sie und Alita machten große Augen.
„Ich schwöre dir, wenn ich nicht wüsste das er verheiratet ist und zu alt für dich ist, würde ich glatt denken er mag dich.“, meinte Alita.
Ich verdrehte die Augen, „Er ist verheiratet und zu alt.“, wiederholte ich ihre Informationen, „Ich glaube... 45 war das, oder?“
„So ungefähr. Hast du ihn eigentlich zufällig gesehen?“
Ich seufzte, „Ja, hab ich.“, meinte ich dann genervt, „Ich bin in ihn rein gelaufen.“
Das war das entscheidende. Ich hätte es nicht sagen sollen. Sie begannen zu fragen.
„Wie ist...“
„Was...“
„Wie...“
Ich sah in den Himmel und versuchte die beiden zu ignorieren, während sie fragten und fragten. Irgendwann nervte es aber zu sehr.
„Sagt mal, könnt ihr nicht mal an etwas anderes denken?“, fragte ich die beiden.
Sie waren etwa fünf Sekunden lang still. Dann gingen die Fragen jedoch weiter.
Ich zog leidend die Brauen zusammen, „Gnade.“
Die beiden fragten einfach weiter. Sie hielten nicht mal inne und zu fragen was ich gesagt hatte. Ich sah gequält von Alita zu Clarissa, von Clarissa zu Alita und immer weiter so.
„Sagt mal, was habt ihr eigentlich die ganze Zeit gemacht als ich nicht bei euch war?“, unterbrach ich die Fragen.
Die beiden wurden still und sahen sich an. Endlich! Stille! Das hielt aber nicht länger als vorher. Sie begannen durcheinander zu reden. Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Irgendwann hielten die beiden inne. Das wurde nun etwas unheimlich. Als ich sie ansah, stellte ich fest das sie mich nachdenklich betrachteten.
„Was ist?“, wollte ich wissen.
„Du und Charlie... Ihr würdet ein hervorragendes Paar abgeben.“, meinte Clarissa.
„Oh nein! Das lasst mal schön sein. Wir sind nur Freunde.“
„Dir macht er mehr Komplimente.“
„Und die schönsten.“, fügte Alita hinzu, „Er ist auch viel bei dir wenn du hier bist.“
„Und so nahe.“, stimmte Clarissa zu.
„Hey, Charlie und ich sind Freunde.“, gab ich zu bedenken, „Nur sehr gute Freunde. Er ist nett, nicht mehr und auch nicht weniger.“
„Ich wette er mag dich.“
„Er ist nett, nicht mehr und auch nicht weniger.“, wiederholte ich.
„Nett? Spinnst du? Er ist wundervoll zu dir.“, erwiderte Alita.
„Liebenswürdig.“, fügte Clarissa hinzu.
„Traumhaft.“
„Anbetungswürdig.“
„Ihr spinnt doch!“, gab ich zurück, „Wir sind nur Freunde.“
Die zwei sahen sich kurz an und fuhren dann fort. Hin und wieder lehnten sie dabei immer weiter zu mir, wobei ich mich immer weiter zurück lehnte. Bis ich dann ins Wasser fiel. Der Korb stand zum Glück sicher am Boden. Ich stützte mich an den Händen ab und kam so wieder mit dem Kopf aus dem Wasser. Somit ging mir das Wasser bis knapp unter die Brust. Clarissa und Alita mussten lachen. Daraufhin spritze ich sie einfach beide nass.
„Hey!“, riefen sie beide zugleich aus und sprangen auf.
„Ihr könnten mir ja wenigstens hier raus helfen.“
Sie mussten nur wieder lachen.
„Danke auch, nett von euch. Wundert mich nur, Alita, das du nichts dagegen hast das dein Kleid nass geworden ist.“
Das brachte leider nicht viel. Ich stand auf, stieg aus dem Wasser und sah an mir runter.
„Wow. So nass war meine Kleidung nicht mehr seit es hier so viel geregnet hat.“, murmelte ich und versuchte den Rock auszuwringen.
Das gelang mir jedoch nicht wirklich. Ich seufzte schwer.
„Dann muss ich eben so nach hause.“
„Was ist denn mit dir passiert?“, wollte Charlie wissen als er wieder zu uns kam.
„Ich dachte du musst dich um den Stall kümmern?“
„Hab ich doch auch. Warum bist du so nass? Und warum lachen die beiden so... viel?“
„Frag besser nicht.“
Ich hob den Korb hoch und machte Anstalt nach hause zu gehen. Charlie folgte mir, während Clarissa und Alita versuchten das Lachen zu unterlasse, was ihnen wohl nicht so leicht fiel.
„Gehst du jetzt wieder zurück zum Hof?“, wollte er wissen.
„Ja, ich muss noch eine Menge Arbeit erledigen. Warum kommst du uns nie besuchen?“
„Ich hab selber Arbeit zu erledigen.“
„Das bisschen das du da machst.“
„Bisschen? Ich bin rund um die Uhr am arbeiten.“
Ich sah ihn an, „Das sehe ich.“
Er grinste, „Wenn du da bist mache ich halt oft Pausen.“
„Sehr lange Pausen. Und sehr viele Pausen.“
„Kommt mal vor, oder nicht?“
„Bei dir ist das Standard!“
„Nicht immer.“
„Aber immer öfter.“
„Hey!“
Ich lachte ein wenig, „Das hast du davon, Freundchen.“
„Freundchen? Seit wann bin ich denn so klein?“
„Du warst schon immer klein. Du bist ja ein halber Zwerg.“
„Stimmt doch gar nicht. Wenn hier jemand ein Zwerg ist dann du.“
„Von wegen.“
„Wer ist hier denn größer? Du oder ich.“
„Der Größte bist du aber auch wieder nicht.“
„Komm jetzt ja nicht mit Nate.“
„Nein, ich doch nicht. Hast du ihn heute schon gesehen?“
„Ich bin froh das ich das verneinen kann.“
„Wo steckt er nur immer.“
„Woher soll ich denn bitte wissen wo der Typ ist? Ich bin froh wenn er mal nicht da ist.“
„Ich verstehe nicht was ihr Männer gegen ihn habt. Nein halt, warte. Du bist ja gar kein Mann.“
„Das beleidigt meinen Stolz, schöner Engel. Sei nicht immer so gemein zu mir.“
„Okay, jetzt aber mal im Ernst, wo ist Nate?“
„Das weiß ich nicht. Und ich will es auch nicht wissen.“
„Warum?“
„Ich mag ihn nicht. Er hat mehr Frauen die Jungfräulichkeit genommen als du Finger und Zehen hast.“
„Das ist ein großer Vorwurf.“
„Es ist Tatsache. Hast du mal gehört wie oft eine Frau davon schwärmt wie schön es mit ihm gewesen sein soll?“
Ich antwortete nicht und begann ihn zu ignorieren.
„Ich will dir doch nur sagen das du von ihm besser die Finger lassen solltest. Er würde dir nur das Herz brechen.“
„Was weißt du denn schon davon?“, fuhr ich ihn an, „Okay, vielleicht hast du ja eine Freundin, und vielleicht bist du auch glücklich mit ihr, aber das heißt noch nicht das du weißt ob Nate mir das Herz brechen würde oder nicht. Du kennst weder ihn gut genug, noch mich. Du... Du weißt so gut wie gar nichts.“
„Schön, dann geh doch zu ihm! Ist mir doch egal.“
Damit drehte er sich wütend um und ging. Ich ging weiter. Wenige Sekunden danach traf ich dann auf den Grund unseres Streits. Nate.
„Christy!“, rief er vergnügt aus, „Ich hab schon gehört das es Engel gibt, aber ich wusste nicht das sie so schön sind.“
Ich lächelte ein wenig, „Hallo Nate. Wie geht es dir?“
„Jetzt geht es mir schon viel besser. Warum bist du so nass? Ich hoffe doch du bist nicht in den Springbrunnen gefallen. Das kann ziemlich gefährlich sein.“
„Leider doch.“
„Bist du denn okay? Hast du dir dabei weh getan?“
Er nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und betrachtete kurz mein Gesicht.
„Es geht mir blendend.“, gab ich zurück, „Ich habe mir nicht weh getan. Ich bin lediglich nass geworden.“
„Das beruhigt mich wirklich sehr. Hast du ein neues Kleid? Das steht dir fabelhaft.“
„Es gehört nicht mir. Es ist Alitas. Sie hat es mir heute geliehen.“
„Ich schätze du würdest in jedem Kleid fabelhaft aussehen. Noch nie hast du schlechter ausgesehen.“, er nahm meine Hand und küsste sie mir, „Gehst du jetzt zurück zum Hof?“
„Ja. Ich hab eingekauft und muss auch noch arbeiten.“
„Ich begleite dich noch zur Brücke.“
„Danke.“
Er ließ meine Hand nicht los als wir weiter gingen, „Wie geht es den anderen Mädchen?“
„Prima.“
„Und Tante Agata?“
„Auch.“
„Und wie geht’s dir?“
„Naja, es geht so, würde ich sagen.“
„Stimmt irgendwas nicht?“
„Ich hab mich eben nur mit Charlie gestritten. Ist nichts weiter.“
„Worüber ging es denn?“
„Ach, nur über so ein Gerücht, aber das ist egal.“
„Da hat er Pech gehabt. Ich würde nie mit dir auf Kriegsfuß stehen wollen.“
Ich lächelte etwas mehr, „Er ist mein bester Freund, weißt du.“
„Ist er es oder war er es?“
„Ich weiß nicht so genau. Es kam mir so endgültig vor als er weggegangen ist.“
„Bist du wütend auf ihn?“
„Ziemlich.“
„Hmmm... Bist du in den nächsten Tagen öfter hier in der Stadt?“
„Weiß ich noch nicht. Warum?“
Er lächelte ein wenig, „Ich hab eine Überraschung für dich. Wann bist du wieder hier?“
„Äh... In zwei Tagen. Dann muss ich Kleider abholen.“
„Ich warte dann auf dich, ja.“
Ich nickte. Daraufhin kamen wir an der Brücke an und er küsste mich zum Abschied. Mir wäre beinahe der Korb aus den Händen geglitten.

„Du warst lange weg.“, meinte Tante Agata als ich wieder ins Haus kam.
„Tut mir Leid. Wir haben noch Charlie getroffen.“
Natürlich bemerkte sie wie ich seinen Namen aussprach. Sie sah auf und sah mich mit zusammen gezogenen Brauen an.
„Was ist los?“, wollte sie wissen.
„Nichts. Warum?“
„Habt ihr Streit gehabt?“
„Warum?“
„Ihr seit beste Freunde.“
„Ah, wir waren beste Freunde.“
„Was hat er gesagt?“
„Nicht so wichtig.“
„Wenn es nicht so wichtig war, warum bist du dann so wütend auf ihn?“
„Das ist egal. Ich geh dann jetzt aufs Feld.“
Ich stellte kurz den Korb ab und ging dann wieder raus. Auf dem Weg hier her war das Kleid fast ganz trocken geworden. Meine Haare waren ganz trocken, nur etwas verknotet. Aber das war mir im Moment egal. In diesem Moment war ich einfach nur unheimlich wütend auf Charlie. Leider konnte man sich auf dem Feld nicht richtig austoben. Aber wenigstens etwas. Als es dann begann zu dämmern kam wieder der Mann vom Morgen an geritten. Ich bekam es kaum mit, da ich damit beschäftigt war das Pferd mit dem Pflug anzutreiben. Clarissa und Alita waren auch schon da, aber ich hatte sie nicht gesehen. Ich wusste aber das sie da waren, denn als die Sterne langsam zu sehen waren, kam Clarissa zu mir aufs Feld. Sie sah irgendwie fröhlich aus. Ich war gerade dabei ein paar Steine vom Feld zu werfen. Einer hätte sie fast erwischt, da ich sie nicht gesehen hatte.
„Pass auf!“, rief sie aus als sie mir auswich.
Ich hob den Kopf, „Tut mir Leid.“, gab ich zurück, „Ich hab dich nicht gesehen.“
„Nicht weiter schlimm. Rate wer hier ist.“
„Ich habe keine Ahnung.“
„Lügnerin.“
„Ich bin den ganzen Tag hier auf dem Feld, was soll ich schon groß mitbekommen?“
Sie lachte ein wenig, „Der Mann von heute morgen.“
„Ach so, der mit dem hübschen Hinterkopf.“
Sie schmunzelte ein wenig, „Der mit dem hübschen Pferd.“
Ich rollte mit den Augen und arbeitete weiter, „Und was hab ich damit zu tun?“
„Tantchen möchte uns alle vorstellen.“
Ich richtete mich ganz auf und sah sie an. Daraufhin machte sie große Augen.
„Was hast du mit dem Kleid gemacht!“, rief sie fassungslos aus.
„Das ist eine Nebenwirkung meiner Arbeit.“, gab ich zurück und stemmte die Hände in die Hüfte, „Da kann ich auch nichts für.“
„Oh Gott.“, sie hielt eine Hand an die Stirn, „So sahen deine Kleider aber nicht aus.“
Ich sah an mir runter, „Doch, aber man hat es wegen der Farbe des Stoffes nicht so richtig gesehen.“
„Alita wird Anfälle bekommen.“
„Dann ist es ihre Schuld.“
„Das klingt mal gar nicht nach dir.“
Ich sah wieder auf, „Vielleicht nicht.“
„Und zickig ist nicht normal bei dir.“
„Na und?“
„Mit wem hast du gestritten?“
„Mit niemanden.“
Ich arbeitete weiter, wobei ich mich automatisch von ihr abwandte.
„Oh nein. Es ist Charlie, oder?“
Ich schwieg.
„Wegen Nate. Ich glaub's nicht. Du hast dich mit ihm wegen Nate gestritten?“
„Das weißt du doch mal gar nicht.“
„Was hat er über ihn gesagt.“
Ich presste die Lippen aufeinander, während sie wartete. Es dauerte sehr lange bis ich antwortete.
„Er sagte Nate hätte mit mehr als die Hälfte der Frauen in der Stadt geschlafen.“, meinte ich leise.
„Heiliger-“, Clarissa verstummte, „Was hast du gesagt?“
„Das er es doch gar nicht weiß. Er hat behauptet Nate würde mir das Herz brechen.“
„Und du hast ihm nicht geglaubt?“
Ich hielt abrupt inne und sah sie an, „Wie bitte?“
„Glaub mir, Nate ist nicht der den du zu kennen glaubst.“
„Ich kenne ihn fünf Jahre.“
„Charlie kennst du seit du hier bist. Er hat dich nie belogen.“
„Umso schlimmer ist es das er Nate Sowas vorwirft.“
„Es ist kein Vorwurf. Hast du dich mal gefragt warum Zita ihn so hasst? Und Noelle? Beth, Lore, Melanie?“
Das Pferd schnaubte und trabte auf der Stellte herum. Ich ging zu ihm rüber und beruhigte es.
„Was willst du mir damit sagen?“
„Wir waren alle seine Opfer.“
„Wir?“
„Die Mädchen die ich aufgezählt habe und ich selber. Ich meine das wirklich nur gut, aber du solltest mit Nate auf Abstand gehen. Charlie mag dich wirklich sehr und du bist ihm sehr wichtig. Ich meine, ihr kennt euch schon seit ihr drei ward. Ihr sein Freunde fürs Leben.“
Lass und immer Freunde sein, ja?

, schoss es mir durch den Kopf.
Charlie hatte es damals gesagt.
Du darfst mich aber nie verlassen

, hatte ich erwidert, Wir müssen immer zusammen bleiben.


Natürlich. Das meine ich doch, du Dummerle. Wir bleiben immer Freunde, okay?


Ich hatte hektisch genickt, Freunde fürs Leben. Für immer und Ewig.


Er hatte ein bisschen gelacht, Bis das der Tot uns scheidet.
Ich hatte ebenfalls gelacht und wir hatten uns umarmt. Die Jahre vergingen und wir blieben immer Freunde. Wir hatten immer unseren Spaß.
Für immer Freunde, hatte er mich mit 14 erinnert, Nicht mehr, aber wir bleiben immer Freunde.
Natürlich bleiben wir Freunde. Und nicht mehr, hatte ich zugestimmt.
Jeder wusste, Charlie und ich würden immer nur Freunde bleiben. Wir hätten immer den größten Spaß und niemand würde sich zwischen uns stellen können. Aber dann kam Nate. Jede Frau umschwärmte ihn. Ich gehörte dazu. Einige Zeit lief es noch okay. Charlie fand Nate wie alle anderen, aber nach einigen Monaten schien Charlie eine Abneigung gegen ihn zu entwickeln.
Du willst schon wieder zu dem?

, hatte er mich einmal gefragt, Ich mag ihn nicht. Er ist mir nicht ganz geheuer.


Ach du. Wir bleiben immer Freunde, das weißt du doch. Er nimmt mich dir schon nicht weg, hatte ich erwidert.


Nun war es aber passiert. Nate hatte sich zwischen uns gedrängt. Und ich Dummkopf hatte es nicht mal bemerkt.
„Ich glaube du solltest übermorgen mal mit Charlie sprechen.“, fuhr Clarissa fort.
„Findest du?“, hakte ich nach und hob den Kopf.
Sie nickte, „Und mit Nate ist ein Gespräch auch ganz wichtig. Du musst ihm klar machen das du nichts von ihm willst. Charlie will dich nur beschützen. Und jetzt komm. Du brauchst ein frisches Kleid. So kann man dich doch nicht vor einen Adeligen stellen.“
„Adelig!“, rief ich empört aus, „Ist nicht dein Ernst.“
„Oh doch.“
Ich begann zu protestieren, aber sie zog mich erbarmungslos weiter. Bis ich mich am Zaun festhielt. Sie stemmte die Hände in die Hüfte und sah mich an. Ich ergriff die Chance und ging wieder aufs Feld.
„Hier geblieben!“, rief sie aus und folgte mir.
Ich lachte nur darüber, raufte die Röcke und begann zu laufen. Sie tat das selbe. Wir liefen quer über den Hof.
„Nun mach mal halblang hier!“, rief sie als ich durch den Stall rannte.
Zita, die hinterm Stall im Garten arbeitete sah überrascht aus und sprang zur Seite als wir hinaus gerannt kamen.
„Huch!“, rief sie dabei aus und hielt einen Korb mit Obst hoch damit er nicht runter fiel.
„Tut mir Leid, Zita!“, rief ich aus.
Das selbe wiederholte sich als Clarissa mir hinaus folgte.
„Ich hab dich gleich!“, rief sie mir zu.
„Das glaubst nur du!“
Ich rannte aus den Garten und durch die Hintertür in die Küche.
„Ach du meine Güte, Christy!“, rief Annabell aus und sprang zur Seite, „Erschreck mich doch nicht so.“
„Tut mir Leid. Ah da.“
Als ich Clarissas Schritte hörte, eilte ich zur Tür in den Flur und eilte ihn hinunter. Ich lief ihr jedoch direkt in die Arme.
„Hoppalla.“, meinte ich und wir gingen lachend zu Boden.
„Okay, jetzt hab ich dich aber.“, meinte sie und griff nach mir.
„Von wegen!“
Ich stand schnell auf, eilte an ihr vorbei und in die Wohnstube. Dort eilte ich dann zur Tür die auf die Wiese führte, wobei einige Mädchen die auf der Couch saßen mir verwirrt hinterher sahen. Ebenso Tante Agata. Clarissa folgte mir.
„Jetzt warte doch mal!“, rief sie lachend als sie das Haus verließ.
„Oh nein!“, rief ich zurück.
Die Mädchen liefen zu den Fenstern. Das wusste ich. Und Tante Agata ging ebenfalls hinaus um zu sehen was los war. Ich musste nicht mal nach hinten sehen um es zu wissen.
„Ich bitte dich, so schlimm ist es doch auch nicht!“, rief Clarissa mir zu als wir einige Meter vom Haus entfernt waren.
„Für mich schon!“
Ich wusste nicht wie lange genau wir liefen, aber irgendwann lagen wir beide nebeneinander auf der Wiese und kamen zu Atem. Clarissa stützte sich an den Ellenbogen ab und sah mich an.
„Du bist an ihm vorbei gerannt.“, meinte sie lachen.
„Was?“, lachte ich zurück, „Bin ich gar nicht.“
„Doch. Als du durch die Wohnstube gerannt bist. Er ist sogar mit Tante Agata raus gegangen.“
„Von wegen.“
Ich lag auf dem Rücken und sah mir die Sterne an.
„Also, alle außer dir haben ihn schon kennen gelernt. Er ist wirklich sehr nett.“
„Du bist nur verknallt!“
„Bin ich gar nicht!“
„Doch natürlich. Du wirst schon ganz rot.“
Das wurde sie aber nicht. Es machte nur Spaß sie zu ärgern. Clarissa verliebte sich einfach nicht und sie stritt auch strikt dagegen an wenn man behauptet sie wäre verknallt oder verliebt.
„Ich bin nicht verknallt!“, rief sie aus.
„Wer es glaubt wird selig.“
Plötzlich musste sie lachen und ich fiel mit ein.
„Erst rennen wir wie die blöden über den Hof und jetzt versuchst du mir weiß zu machen ich wäre verknallt.“, lachte sie, „Du bist schon komisch.“
„Das war ich doch schon immer.“
„Okay, jetzt wird es aber spät. Annabell hat sicher das Essen fertig.“
Ich seufzte, stand auf und zog sie dann hoch, wobei ich wieder zu Boden ging. Wir lachten etwas und sie half mir auf. Daraufhin gingen wir dann zusammen zurück.
„Jetzt hab ich Grasflecken auf dem Kleid.“, beschwerte sie sich unterwegs.
„Sieh mich mal an!“
„Lieber nicht. Sonst raste ich noch aus.“
Ich lachte ein wenig. Als wir in die Wohnstube kamen war sie bereits leer. Dafür hörten wir Stimmen im Esszimmer.
„Sie haben schon angefangen.“, meinte Clarissa fassungslos, „Wie können sie es wagen ohne mich anzufangen?“
Ich prustete los, „Du denkst immer nur ans Essen.“
„Tue ich gar nicht!“
Ich schüttelte belustigt den Kopf und beruhigte mich. Kurz darauf kamen wir ins Esszimmer. Alita ließ die Gabel fallen als sie mich sah.
„Was hast du mit meinem Kleid gemacht?!“, sie war völlig fassungslos.
„Es ist ihrer Arbeit zum Opfer gefallen.“, antwortete Rina.
„Es ist ruiniert.“, meinte Annie nachdenklich, „Ob das mit Seife raus geht?“
„Mein Kleid!“, rief Alita nur fassungslos und stand auf.
Sie kam zu mir und betrachtete ihr Kleid.
„Das ist nicht mehr zu retten.“, meinte Rina gelassen, „Regel Nummer eins: Leihe Christy nie deine Kleider.“
„Ich bitte euch, so schlimm ist es doch auch wieder nicht.“, meine Clarissa und setzte sich an den Tisch, während Alita noch ihr Kleid ansah.
„Was hast du nur damit gemacht?“, wollte sie wissen, „Hast du mit den Schweinen gespielt und dich danach im Gras gewälzt?“
„Ich spiele nicht mit Schweinen.“, gab ich zurück, „Nur mit den ganz kleinen.“
Rina musste lachen.
„Und nein ich habe nicht mit ihnen gespielt. Das Pferd war heute nur etwas unruhig. Aber ja, ich hab mich im Gras gewälzt. Genauso wie Clarissa.“
„Wir haben im Gras gelegen.“, meinte diese.
„Wir haben uns aber gedreht.“, gab ich zu bedenken, „Also haben wir uns im Gras gewälzt.“
Nun stimmte Annabell ins Rinas Lachen ein. Ebenso wie Zita. Tante Agata schüttelte den Kopf.
„Es ist doch immer das selbe mit dir.“
„Nein, nicht das selbe.“, gab ich zurück und schob Alita zu ihrem Platz, „Es ist nur unheimlich ähnlich. Was gibt’s zu Essen?“
„Ich sterbe vor Hunger.“, fügte Clarissa hinzu.
„Das tust du doch immer.“, tadelte Noelle, „Du solltest weniger essen.“
„Quatsch.“
„Ich teile Noelles Meinung. Du siehst später noch so aus wie Nina.“, stimmte ich Noelle zu.
„Hey!“, rief Clarissa daraufhin aus, „Ich bin keine Kuh!“
„Bald siehst du aber so aus.“, gab nun Beth zu bedenken, „Iss weniger.“
„Annabell tu ihr wenige rauf den Teller.“, meinte Lore, „Sonst wird Christy noch zur Hellseherin.“
Nun lachte Tante Agata. Ebenso wie die andere Mädchen, mir eingeschlossen.
„Ist sie das nicht schon?“, wollte Zita wissen, „Immerhin hat sie immer gewusst wenn es Probleme in der Stadt gab.
„Ach, sie hat da ihre persönliche Informationsquelle.“, gab Alita zurück und zwinkerte ihr zu.
Sie sah zu mir. Dann wieder zu Alita.
„Charlie!“, riefen beide zugleich aus und lachten.
„Mädchen.“, meinte ich tadelnd, „Wir sind nur Freunde.“
„Hmmm, ab heute wohl nicht mehr.“, fügte Clarissa hinzu.
Alle verstummten und sahen von Clarissa zu mir und wieder zurück.
„Christy, was soll das heißen?“, wollte Noelle wissen, „Ihr habt doch nicht gestritten, oder?“
„Das ist kompliziert.“, gab ich zurück und begann zu essen.
Lore und Rina sahen sich eine Zeit lang an. Dann sahen sie an mir vorbei auf jemanden der wohl ein paar Stühle weiter neben mir saß.
„Warum bist du eigentlich so still geworden?“, wollte Lore von der Person wissen.
„Es gab nichts was ich hätte sagen können.“, gab eine Männerstimme zurück.
Damit verfielen sie alle in ein Gespräch mit ihm. Den Namen hörte ich gar nicht, da ich nicht zuhörte. Als ich fertig war mit essen, saß ich nur da und sah auf den Tisch, während ich auf die anderen wartete. Ich ignorierte das Gespräch einfach. Bis jemand meine Familie erwähnte.
„Halt die Klappe!“, fuhr Alita sie an.
„Was denn?“, wollte Rina wissen die das Thema angeschnitten hatte.
„Du kannst doch nicht einfach so tun als wäre Christy nicht anwesend.“
„Was hat das denn bitte damit zu tun?“
„Du sprichst von Christys Familie und weißt nicht was das damit zu tun hat?“
Sie sah sie an als wüsste sie genau das nicht.
„Sprich einfach nicht davon.“, meinte Annabell als Alita genervt aufstöhnte.
„Wovon?“, wollte Rina weiter wissen.
„Sie kann es nicht nachvollziehen.“, meinte Annie an die beiden, „Sie versteht es nicht.“
„Rina, liebes, erzähl uns doch ein bisschen von deiner Heimat.“, fiel Tante Agata ein.
Rina lächelte und begann zu erzählen. Ich dagegen starrte nur auf den Tisch, während ich nachdachte.

Als das Essen vorbei war, gingen wir alle in unsere Zimmer um zu schlafen. Ich bemerkte oft wie Alita mir besorgte Blicke zuwarf.
„Warum hast du mit Charlie gestritten?“, wollte sie wissen als ich meine Decke zur Seite schlug.
„Nicht so wichtig.“, gab ich zurück und legte mich hin.
„Ich bin deine beste Freundin. Du kannst mir alles erzählen.“
„Ich weiß.“
Mehr sagte ich nicht. Als Alita dann ebenfalls klar wurde das ich nichts sagte, legte sie sich hin. Wenige Minuten später schlief ich schon tief und fest.


2



Ich war allein im Zimmer als ich wach wurde. Ich stand auf, zog mir ein Kleid an und verließ mein Zimmer.
„Da bist du ja.“, meinte Rina direkt neben der Tür.
Ich drehte mich erschrocken um und fasste mir ans Herz.
„Tut mir Leid. Heute leihe ich dir ein Kleid. Hier.“
Sie drückte mir ein Kleid in die Hand und ging raus. Daraufhin seufzte ich, ging zurück ins Zimmer und zog mich um. Dann ging ich raus und aufs Feld. Ich bemerkte das alle Mädchen wenige Meter daneben um den Mann herum standen. Ich ignorierte sie einfach und begann mit der Arbeit.
Lass uns immer Freunde bleiben. Fuhr es mir Charlies junge Stimme eine Stunde später durch den Kopf.
Ich seufzte über den Gedanken und sah in den Himmel. Dann seufzte ich erneut und fuhr mit der Arbeit fort.
„Christy!“
Ich sah auf als weitere Stunden später Lores Stimme ertönte. Ich drehte mich um und sah zum Zaun, wo sie stand und winkte
„Komm mal her!“, rief sie dann.
„Ich hab noch ein großes Stück Arbeit vor mir!“, rief ich zurück.
„Ach, komm schon! Das kann doch warten.“
Ich sah kurz über das Feld. Eigentlich hatte ich nicht mehr viel Arbeit zu erledigen. Ich hatte nur keine Lust auf Gesellschaft.
„Ich hab keine Zeit!“, rief ich dann.
„Komm schon, Christy!“
Ich schüttelte den Kopf, drehte mich um und arbeitete weiter. Nach zwei weiteren Stunden war ich dann bereits fertig. Ich nahm das Pferd an den Zügeln und führte es in den Stall. Dort nahm ich dann weiches Heu und begann sie damit einzureiben. Damit vertrieb ich mir etwa zwanzig Minuten. Dann ging ich zu Tante Agata.
„Hallo, Christy.“, meinte sie lächelnd, „Was führt dich zu mir?“
Ich atmete tief durch, setzte mich und sah stumm auf den Boden. Tante Agata schwieg so lange und häkelte. Nach einer Weile, hob ich den Kopf und sah mir Tränen in den Augen zu ihr auf.
„Charlie sagt, ich wäre ihm egal.“
Die Tränen liefen über. Tante Agata legte ihre Häkelarbeit beiseite und hielt die Arme auf. Daraufhin ging ich zu ihr und ließ mich von ihr in die Arme nehmen. Sie streichelte mir tröstend den Schopf während ich weinte.

Ich war schon halb über dem Hof als Alita zu mir kam. Ich war auf dem Weg ins Dorf um meine Kleider zu holen.
„Tante Agata sagt, ich darf dich begleiten.“, erklärte sie und hakte sich bei mir ein.
„Mal nicht bei dem Adel?“
Sie lächelte mich an. „Eigentlich schon. Er kommt gleich nach. Tante Agata findest, er soll alle Mädchen kennen lernen.“
Ich verdrehte die Augen. „Warum glaube ich das Clarissa ihre Finger im Spiel hat?“
Alita lächelte mich nur unwissend an und ging mit mir weiter. „Warum warst du gestern nicht beim Essen?“
„Ich hatte keinen Hunger.“ Ich musste nicht mal lügen.
„Kein Hunger?“ Sie sah mich mit zusammengezogenen Brauen an. „Du hattest gestern ja nicht mal Frühstück oder Mittag, geschweige denn etwas für Zwischendurch.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hatte eben keinen Hunger.“
Sie blieb stehen, hielt mich fest und legte die Hand an meine Stirn.
„Mir geht’s gut.“, meinte ich etwas gereizt.
Sie nahm mein Handgelenk und fühlte meinen Puls.
„Mir geht’s immer noch gut.“
Sie ignorierte mich einfach und legte die Hand an meinen Hals. Daraufhin trat ich einen schritt zurück und schob ihre Hand beiseite.
„Alita, mir geht’s bestens. Wirklich.“
„Warum bist du dann so blass?“
Ich ging einfach weiter. Kurz darauf folgte sie mir, mit dem jungen Adel als Begleitung. Ich ignorierte die Beiden einfach und hielt den Blick auf die Straße geheftet. Die beiden fielen zurück, wie Alita es mit Clarissa zwei Tage zuvor getan hatte, weshalb ich automatisch vorging. Zehn Minuten später erreichte ich die Brücke und achtete nicht groß auf meine Umgebung.
„Hallo Christy.“ Nate kam zu mir und legte mir einen Arm um die Tallie.
Seltsamer weise ließ mich die Geste völlig kalt. „Hallo Nate.“, gab ich zurück und sah nicht einmal auf.
„Alles okay? Du bist etwas blass und siehst schlecht aus. Bist du krank?“
„Alles okay, danke.“ Ich winkte ab.
„Hast du eigentlich gerade Zeit oder soll ich dir die Überraschung später zeigen?“ Er beugte sich bei diesen Worten zu mir herab, sodass sein Atem über meine Haut strich.
„Ich glaube ich habe heute doch keine Zeit.“, gab ich zurück, „Ich muss wieder zurück, sobald ich die Kleider habe. Wir haben Besuch und Tante Agata möchte das es ordentlich aussieht. Dazu gehören auch die Felder.“
„Bist du sicher das du nicht mal zehn Minuten erübrigen kannst?“
„Tut mir Leid.“
Er seufzte und richtete sich wieder auf. „Schade. Ich hab es schon vorbereitet, aber da du keine Zeit hast...“ Er zögerte kurz, als würde er auf Einwände warten. „Wann bist du das nächste mal wieder hier?“
„Ich weiß es nicht. Wie ich bereits sagte, wir haben Besuch.“
Er seufzte. „Aber du sagst mir doch Bescheid wenn du Zeit hast, oder?“
Ich nickte abwesend.
„Schön. Naja... ich muss dann auch wieder. Wir sehen uns.“
Damit ließ er mich wieder los und ging, während ich mit gesenktem Kopf zu Richard ging. Ich hörte noch Charlies Stimme als Alita über die Brücke kam, ignorierte dies aber trotz des Schmerzes in der Brust und bog in eine Straße ein. Ich hob erst den Kopf als ich Richards Geschäft betrat.
„Hallo Christy.“, begrüßte er mich lächelnd. „Geht es dir gut? Du bist ein bisschen blass.“
„Hallo Richard. Mir geht’s ganz gut. Ich weiß nicht warum ich blass bin.“, erwiderte ich und kam an die Theke. „Hast du die Kleider fertig?“
Er lächelte mich an und bat mich kurz zu warten, bevor er in ein Hinterzimmer verschwand. Gerade als er wieder kam, kamen Alita und der junge Adel herein.
„Ach, du bist schon hier.“, meinte Alita überrascht. „Auch gut. Hallo Richard.“
„Hallo Alita. Hier sind die Kleider, Christy. Wenn damit irgendwas nicht stimmt, lass es mich wissen, ja.“
Ich nickte. „Ist okay. Wie viel macht das?“
Er winkte ab. „Du hast vorgestern schon bezahlt.“
Ich zog die Brauen zusammen. „Hab ich? Ich kann mich nicht daran erinnern.“
„Das macht nichts. Hier hast du die Kleider. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag. Und gute Besserung.“
„Vielen Dank. Dir auch noch einen schönen Tag.“
Ich nahm die Kleider entgegen und drehte mich um, um das Geschäft zu verlassen. Bei der Gelegenheit hakte Alita sich wieder bei mir ein, während wir auf die Straße traten.
„Sag mal, worüber hast du eben mit Nate gesprochen?“, wollte sie neugierig wissen, während wir die Straße hinab gingen.
„Vorgestern hat er gesagt er habe eine Überraschung für mich und wollte mich holen. Aber da weder ich noch du Zeit haben, habe ich abgelehnt. Magst du ihn?“
„Ich finde ihn toll, ja. Aber laut Clarissa, sollten wir uns besser von ihm fernhalten.“
„Das sagte sie mir vorgestern auch.“
„Ich würde mich an deiner Stelle daran halten. Gerade wegen Charlie. Wir haben ihn übrigens eben getroffen. Erst wollte er mich bitten dir zu sagen er wolle sich mit dir treffen, hat dann aber gesagt das es doch egal wäre und hat ein bisschen mit mir geplaudert.“ Kurzes Schweigen. „Du fühlst dich doch jetzt nicht vernachlässigt, oder Adrian? Oje, ich glaube ich bin eine schlechte Zeitgenossin wenn ich mich um zwei Personen kümmern soll.“
„Ich fühle mich alles andere als vernachlässigt.“, gab der junge Adel zurück, der demnach wohl Adrian hieß. „Außerdem ist es sehr interessant euch beim Gespräch zuzuhören.“
„Da bin ich sehr beruhigt. Bist du eigentlich verheiratet?“
„Nein. Ich bin alleinstehend.“
Ich hörte bei dem Gespräch nicht mehr zu und ging mit den beiden auf die Brücke zu, wobei Alita mich dazu zwang langsamer zu gehen als ich es sonst tat. Ich nahm am Rande wahr wie Alita sich von Charlie verabschiedete, ging aber einfach weiter und senkte den Kopf ein wenig tiefer. Alita und Adrian unterhielten sich bereits wieder als wir die Brücke überquert hatten. Ich seufzte als wir irgendwo in zwischen dem Dorf und dem Hof waren.
„Christy?“
Ich sah zu Alita. „Ja?“
„Oh gut, ich dachte schon du wärst von uns gegangen. Hör mal, wie wäre es wenn ich die Kleider nehme und du zurück gehst um mich Charlie zu sprechen?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nicht nötig.“
„Das meinst du. Komm gib die Kleider her und geh zu Charlie.“ Ohne groß abzuwarten nahm sie mir die Kleider ab woraufhin wir drei stehen blieben. „Du musst wirklich mit ihm sprechen.“
„Muss ich nicht. Er macht mir höchstwahrscheinlich sowieso nur Vorwürfe. Er ist verdammt wütend auf mich und ich habe keine Lust jetzt wieder zurück zu gehen.“
Sie schürzte die Lippen und drehte sich zum jungen Adel. „Glaubst du, du kannst sie heben?“
Er sah mich kurz an, als schätze er mein Gewicht und nickte dann. „Sicherlich.“
„Kannst du sie zurück tragen? Zum Dorf meine ich.“
„Oh nein!“, warf ich ein und machte ein paar Schritte von ihr weg. „Ich gehe nicht zurück.“
„Tust du uns den Gefallen?“, bat Alita Adrian.
Dieser seufzte. „Solange es ihr dann besser geht.“
Er ging auf mich zu, woraufhin ich mich umdrehte und in den Wald lief. Ich hörte noch wie Alita nach mir rief, ignorierte es aber und lief weiter. Ich erinnerte mich daran das ich früher einmal hier gewesen war, drängte die Erinnerung jedoch zurück, da sie mit etwas schmerzhafterem als Charlie verbunden war. Dafür hörte ich wie Adrian mir folgte, diesmal wohl eher damit ich auch wieder zurück zur Straße fand, da ich gar nicht darauf achtete wo ich landete. Irgendwann landete ich auf einer Lichtung und wie vom Blitz getroffen stehen. Ich war am Grab meiner Familie angekommen. Die Grabsteine standen nebeneinander Richtung Straße, also in meine Richtung. Es gab genau fünf Stück. Meine Eltern, zwei Brüder und meine kleine Schwester. Hinter den Grabsteinen konnte man noch wage die Ruine eines Hauses erkennen. Es war ein ganz normales Bauernhaus. Mit langsamen Schritten ging ich auf das Grab meiner Eltern zu und ließ mich langsam davor sinken. Adrian blieb am Rande der Lichtung stehen.
Ich passe schon auf dich auf, Schwesterherz.

Es war Nikolai, mein ältester Bruder gewesen, der das zu mir gesagt hatte.
Damals hatte mich ein Junge aus dem Dorf geschlagen und mir blaue Flecken an den Armen und im Gesicht hinterlassen. Ich wusste nicht mehr warum er es getan hatte, aber als ich am Mittag danach wieder im Dorf war, hatte er sich entschuldigt und ich konnte schwören ich hatte Nikolai am Morgen das Haus verlassen hören. Vier Tage später hatte ich Charlie kennen gelernt.
Nicht das du ihn uns noch nach hause bringst.

Alexander hatte gelacht als er das zu mir gesagt hatte. Er war der zweitgeborene gewesen. Danach kam ich und danach Bethany. Wir wollen ja nicht, dass du schon mit drei heiratest.


Keine Sorge, so schnell heiratet sie schon nicht, hatte Nikolai eingeworfen, Sie muss erstmal unterschreiben können. Und zur Not bringen wir es ihr erst gar nicht bei.


Und wie heiratet sie dann später?


Ganz einfach. Wenn sie den Richtigen gefunden hat, und ich will mal hoffen das es jemand mit einem Haufen Geld ist, dann bringen wir ihr es einfach schnell bei und arrangieren die Hochzeit.


Wir hatten alle herzlich darüber Gelacht, während ich schüchtern rot geworden war und zu Boden gesehen hatte. Bethany war auf die Welt gekommen als ich fünf wurde.
Darf ich sie auch mal halten?

, hatte ich zaghaft gefragt als Mom mit ihr in einem Sessel gesessen hatte.
Natürlich darfst du. Aber pass gut auf, ja.

Sie hatte sie mir in die Arme gegeben und mir gezeigt wie man sie hielt.
Hallo kleine Schwester. Ich bins Christy. Deine große Schwester

, hatte ich ihr zugeflüstert. Mom musste es gehört haben, denn sie hatte gelächelt. Weißt du was? Ich schenke dir meine Puppe. Dann bist du nachts nicht so allein in deinem Bett.


Ich hatte sie wieder Mom zurück gegeben, hatte meine Puppe geholt und sie Bethany in die Arme gelegt. Daraufhin hatte meine Schwester die Arme darum geschlungen und Geräusche gemacht die sich sogar heute noch anhörten als hätte sie sich bedankt. Und Mom hatte so glücklich ausgesehen. Dann war Dad herein gekommen und hatte sich zu uns gesetzt.
Mir war gar nicht aufgefallen das mir die Tränen über die Wangen liefen. Ich wischte sie mir weg und stand auf um zum Grabstein zu gehen. Ich wischte das Moos ab um mir die Zitate anzusehen. Sie waren alle in der Nacht bei einem Feuer umgekommen. Ich war damals neun Jahre alt gewesen und durfte das erste mal bei Charlie schlafen. Zu der Zeit hatte ich noch nicht lesen können, was sich mittlerweile jedoch geändert hatte.
'Es gibt Engel auf Erden. Hier liegt einer von ihnen begraben.'


Es war das Grab meiner Mutter und als ich den Satz las, konnte ich die Tränen nicht mehr zurück halten. Ich brach weinend am Grabstein zusammen, woraufhin Adrian zu mir kam und mir eine Hand auf den Rücken legte.
„Mama.“, brachte ich schluchzend hervor, „Mama.“
Adrian sah sich die Inschrift auf dem Grabstein an und zog mich tröstend in seine Arme, während ich weinend nach meiner Mutter rief. Er flüsterte mir beruhigende Worte zu und wiegte mich in seinen Armen hin und her. Ich rief immer und immer wieder nach ihr, wie ich es vor elf Jahren getan hatte.

Als ich langsam wieder zu mir kam, war ich mit Adrian immer noch auf der Lichtung. Er hielt mich immer noch in den Armen, aber es wurde bereits dunkel. Ich stöhnte, da sich Kopfschmerzen bemerkbar machten und öffnete langsam die Augen, während ich mir an den Kopf fasste.
„Geht’s dir wieder besser?“, wollte Adrian besorgt wissen und half mir langsam auf.
„Ich hab Kopfschmerzen, aber sonst geht’s, danke.“, gab ich zurück, wobei ich mich an seinem Arm festhielt.
Ich sah mich kurz um und ging dann zur Ruine. Der junge Adel folgte mir schweigend und sah zu als ich mich umsah. Nach einer Weile fand ich die Puppe und hob sie vom Boden auf. Es war ein Wunder das sie das Feuer überlebt hatte. Ich lächelte darüber und sah sie mir ein wenig an.
„Ich hab sie meiner Schwester geschenkt.“, erzählte ich Adrian abwesend, „Ein paar Wochen nach ihrer Geburt. Damals hatte ich sie das erste mal auf den Arm nehmen dürfen. Ich war fünf. Mom ist so glücklich gewesen.“ Ich sah auf und ging wieder zu den Grabsteinen um das Moos zu entfernen, damit ich sah wer wo lag. „Das hier ist das Grab meines ältesten Bruders.“, erklärte ich, „Nikolai. Als ich drei war, hat mich ein Junge im Dorf geschlagen. Ich glaube Nikolai hat mit ihm gesprochen, denn als ich am nächsten Tag wieder ins Dorf kam, hat der Junge sich bei mir entschuldigt. Ein paar Tage danach hab ich Charlie kennen gelernt.“ Ich ging ein Grab weiter und entfernte auch dort das Moos. „Alexander. Der Zweitgeborene. Er hat gerne Witze darüber gemacht das Charlie und ich trotz unseres jungen Alters von drei bis sieben Jahren heiraten. Nikolai und er ließen sich oft immer Kommentare dazu einfallen.“ Ich ging ein weiteres Grab weiter und las auf dem Grabstein den Namen meiner Schwester. „Hier liegt Bethany.“ Ich legte die Puppe sorgfältig an den Grabstein, als würde sie dort sitzen. „Sie war vier als sie starben. Und Dad...“ Ich ging wieder zurück und wischte das Moos von dem Grabstein auf der anderen Seite von dem meiner Mutter. „Dad liegt hier. Er hat uns zwar alle streng erzogen, aber nie die Hand gegen uns erhoben. Er hat uns einfach zu sehr geliebt.“
„Was ist passiert?“, wollte Adrian vorsichtig wissen.
„Es war im Sommer vor elf Jahren. Ich durfte das erste mal bei Charlie schlafen, da ich ein paar Tage zuvor neun geworden bin. In der Nacht konnte ich sehr schlecht schlafen und schlief erst ein als Charlie sich neben sich liegen ließ.“ Ich schmunzelte. „Er hat mich festgehalten und mir unser Versprechen für immer Freunde zu sein ständig ins Ohr geflüstert, bis es gekitzelt hat. Dann habe ich so ruhig geschlafen wie seit Jahren nicht mehr.“ Mein Lächeln verblasse langsam wieder. „Seine Mutter hat mich geweckt und gesagt es würde alles wieder gut werden. Ich müsse keine Angst haben und mutig sein.
Jung wie ich war habe ich keine Ahnung gehabt was sie meinte und habe nur genickt. Charlie war bereits aufgestanden. Also stand ich auch auf, zog mich an und ging mit seiner Mutter nach unten. Wir haben gefrühstückt, wie es auch bei uns gewesen wäre. Als ich nach hause wollte, hatte Charlies Vater mich zurück gehalten und den Kopf geschüttelt. Dann habe ich bemerkt das irgendwas nicht stimmte.“ Ich seufzte und fuhr mit den Fingern die Inschrift auf dem Grabstein meines Vaters nach. „Gegen Mittag kam der Pfarrer und hat mich vorsichtig aufgeklärt.
In der Nacht, als bereits alle geschlafen haben, hat es gebrannt. Sie sind von Bethanys Geschrei wach geworden und wollte aus dem Haus, aber das Feuer hatte sie eingesperrt.“ Ich schluckte hart. „Sie sind alle verbrannt. Bei der Beerdigung der Überreste habe ich die ganze Zeit nach ihnen geschrien, in der Hoffnung sie würden hinter der Hausruine hervor kommen und sagen das wäre alles nur ein riesiger Scherz. Am Ende war ich völlig erschöpft.
Ein paar Tage habe ich bei Charlie gewohnt, aber sie konnten mich nicht behalten, weil sie nicht genug verdienten. Also hat Tante Agata mich aufgenommen.“ Ich lächelte wieder ein wenig. „Alita hat mich mit offenen Armen willkommen geheißen. Sie Anderen Mädchen waren erst etwas abweisend, aber nach und nach haben wir uns alle angefreundet und verstehen uns prächtig. Nach und nach fand eine von ihnen den Mann ihrer Träume und hat geheiratet.“
„Dann bist du jetzt 20 Jahre alt, nehme ich an?“
Ich nickte. „Ja. Nikolai ist auch 20 gewesen. Ich war seit der Beerdigung nicht mehr hier.“
„Du musst deine Familie sehr vermissen.“
„Es gibt nichts was mir mehr fehlt als sie.“
Er sah kurz in den Himmel und kam dann zu mir. „Wir sollten wieder gehen, sonst macht sich Agata noch Sorgen um dich.“
Ich ließ mir von ihm aufhelfen und ging dann mit ihm durch den Wald zurück. Als wir in das Haus traten, roch ich bereits das Essen und hörte die Anderen im Esszimmer. Wir kamen gerade pünktlich, denn Annabell wollte gerade servieren.
„Wo, in Gottes Namen, ward ihr?“, wollte Tante Agata wissen, „Mädchen, ich habe mir furchtbare Sorgen um dich gemacht. Vielen Dank Adrian das du bei ihr geblieben bist.“
Ich seufzte. „Wir waren auf einer Lichtung. Ich bin irgendwo gestolpert, hab mir den Kopf angeschlagen und bin ohnmächtig geworden.“, erklärte ich, während ich mich hinsetzte und rieb mir den Hinterkopf als hätte ich dort eine Beule.
Adrian nickte zustimmen. „Sie ist über eine Baumwurzel gestolpert, die von dem Gras überdeckt wurde. Den Kopf hat sie sich an einem Baum angeschlagen der am Rande der Lichtung war.“
„Wie hat sie sich denn dann den Hinterkopf gestoßen?“, wollte Zita verwundert wissen.
„Sie wollte rückwärts von der Lichtung, weil sie mir etwas erzählt hat.“
„Was denn?“, wollte nun Rina wissen und sah zu mir.
„Ich hab ihm ein bisschen von Charlie erzählt.“ Im Grunde war das nicht mal gelogen.
Das Essen verlief eigentlich recht angenehm. Die Mädchen unterhielten sich über den Tag, während ich etwa die Hälfte meiner Portion aß und mich dann entschuldige. Ich wollte gerade in die Wohnstube gehen, als Adrian ebenfalls in den Flur kam. Er begleitete mich wortlos durch die Wohnstube, nach draußen auf die Wiese, wo ich mich ins Gras legte und mir die Sterne ansah. Adrian setzte sich zu mir und beobachtete mich neugierig.
„Das habe ich früher oft mit Nikolai und Alexander gemacht.“, meinte ich irgendwann, „Wir haben uns ins Gras gelegt und unsere Fantasie benutzt um Sternenbilder zu finden. Tagsüber haben wir sie für Wolken benutzt. Komm mal her, ich will es dir zeigen.“
Er zögerte nicht, sondern legte sich gehorsam neben mich und folgte meinem Blick in den Himmel.
„Siehst du die Sterne da vorn? Das Dreieck?“ Ich deutete auf ein kleines Sternenbild, woraufhin er nickte. „Wenn du den oberen beiden Sternen zu den Seiten folgst, dann ergibt es ein Herz. Alexander hat es entdeckt und gesagt so groß wäre sein Herz für mich.“ Ich lächelte. „Nikolai hat natürlich ein größeres Herz für mich gesucht. Und sogar gefunden.“ Ich deutete auf ein Sternenbild etwas weiter rechts. „Es steht zwar auf dem Kopf, aber wenn man sich andersherum hinlegt, ist es richtig herum.“
Adrian drehte den Kopf ein wenig. „Du hast Recht. Zwei Herzen. Deine Brüder haben dich wohl sehr geliebt.“
„Mindestens genauso sehr wie ich sie.“ Ich seufzte. „Da vorn ist Bethanys Puppe. Die habe ich entdeckt. Da ist der eine Arm und da ist der Andere. Die Beine und... da ist der Kopf. Siehst du?“
„Wo?“
„Na, da. Neben der Erdnuss.“
Er lachte ein wenig. „Welche Erdnuss?“
„Die... die ist da. Und da ist der Kopf der Puppe.“
„Wo?“
„Da.“ Ich rückte etwas näher zu ihm und deutete erneut auf den Kopf. „Da, siehst du? Der Hals, der Mund, die Nase, die Augen und die Haare.“
„Jetzt sehe ich es.“
Ich lächelte etwas. „Und da vorn ist Moms Sternenanhänger. Es war ein Hochzeitsgeschenk von Dad.“ Ich deutete etwas weite rechts. „Den Bären hat Bethany gefunden als sie drei war. Und den schlafenden Bären auf der anderen Seite haben wir zusammen entdeckt.“ Ich seufzte. „Die Sterne sind wunderschön, nicht wahr?“
„Ja. Wunderschön.“ Ich hörte ein Lächeln in seiner Stimme. „Ihr habt eine belebende Fantasie.“
„Jeder von uns hat so viel. Wir haben sie von meinem Vater geerbt, glaube ich. Du konntest ihm ein Haufen Erde vor die Füße werfen. Er lächelte dich an und sagt es wäre ein dunkles Kaninchen.“ Ich lachte leise. „Einmal hat er mit uns am Kaminfeuer gesessen und sich eine Geschichte aus den Flammen erzählt.“
„Aus den Flammen?“
„Wie bereits gesagt, hatten wir eine belebende Fantasie.“ Ich lächelte schräg. „Dad hat sich zu den Formen etwas ausgedacht und eine Geschichte dazu erzählt.“
„Erinnerst du dich an eine?“
„Keine Flammengeschichte, aber ich erinnere mich an eine Gute-Nacht-Geschichte die mir meine Mutter immer erzählt hat wenn ich nicht schlafen konnte.“
„Erzählst du sie mir?“
„Kannst du denn nicht schlafen?“
„In den letzten Wochen habe ich so gut wir gar nicht geschlafen.“
„Nun denn. Okay.“
Er wartete.
„Jetzt?“
„Warum nicht?“ Er schmunzelte. „Noch nie unterm Sternenhimmel geschlafen?“
„Nein. Es kann sehr kalt werden wenn es dunkel wird.“
„Im Moment haben wir doch Sommer. Also. Erzähl.“
Ich räusperte mich kurz und sah wieder an den Himmel, während ich mich an die Geschichte erinnerte.

Vor langer Zeit, als es noch keine Burgen und Könige gab, keinen Adel und keine Bauern, als alle friedlich zusammen lebten und sich gegenseitig so respektierten wie sie waren, lebte weit weg in einer Höhle ein Drache. Er war so groß wie eine Mühle und so kräftig wie fünfzig Ochsen. Aber er war einsam und sehnte sich nach Gesellschaft. So zog er los und flog über die Länder hinweg um sich Gesellschaft zu suchen. Bei jedem Dorf und jeder Stadt machte er Rast um zu fragen ob jemand einen Drachen kennt, aber sobald man ihn sah, rannten alle Leute davon und ließen ihn allein.
Eines Tages kam er an einem sehr kleinem Dorf an. Wieder rannten die Menschen fort und versteckten sich in ihren Häusern. Alle, bis auf einer. Ein junger Mann von etwa 24 Jahren stand auf dem Dorfplatz und sah zu ihm auf.
„Was willst du?“, fragte er den Drachen, „Die Leute haben Angst vor dir und wollen nicht gefressen werden.“
Der Drache ging daraufhin langsam auf ihn zu und senkte den Kopf, bis er auf dem Boden lag. „Hast du keine Angst?“, fragte er vorsichtig.
„Nein.“, erwiderte der Mann, „Ich habe keine Angst vor dir.“
„Wenn das so ist, kannst du mir vielleicht sagen, wo andere Drachen leben? Ich fühle mich einsam in meiner Höhle.“
Der Mann verneinte, erklärte sich aber freiwillig ihn zu begleiten um Drachen zu finden. Er könnten in die Dörfer und Städte gehen, während der Drache außerhalb der Ortschaft wartete, damit sie keine Angst bekamen. Der Drache stimmte zu und schwor dem jungen Mann ihm kein Leid zuzufügen. So reisten sie gemeinsam weiter, auf der Suche nach weiteren Drachen.
Die Jahre verstrichen und eines Tages kam der junge Mann mit einer jungen Frau zurück. Sie sagte, sie habe keine Angst vor dem Drachen und würde ihm helfen andere Drachen zu finden. Wieder schwor der Drache er würde ihr kein Leid zufügen und nahm sie mit. Weitere Jahre verstrichen. Die beiden Menschen heirateten und die Frau wurde schwanger. Aus Angst, sie könne das Kind verlieren, bat der junge Mann den Drachen sie auf dem Rücken zu tragen, statt sie auf der riesigen Pranke zu tragen. Ebenfalls besorgt um das Kind tat der Drache worum der junge Mann bat und trug die junge Frau auf dem Rücken weiter. Das Kind wurde in einer Stadt geboren und die drei Menschen reisten wieder auf den Pranken mit.
Als das Kind im Alter von 17 war, starben seine Eltern im Angriff auf den Drachen. Sie hatten ihn beschützt und er hatte ihr Kind beschützt. Den Leichnam trug der Drache auf eine wunderschöne Wiese und begrub die beiden in der Morgenröte. Ihr Kind, es war ein Junge, blieb bei dem Drachen und schwor ihm, ihm immer zur Seite zu stehen, solange er lebe. Und so zogen die beiden los. Der Junge war wunderschön und war in jedem Dorf und jeder Stadt beliebt. Frauen baten ihn, bei ihnen zu bleiben, aber er lehnte ab. Eines Tages traf er dann auf eine Frau, so schön wie ein Engel. Sie bat ihn aber nicht zu bleiben, nein. Sie bat ihn, sie mitzunehmen. Fort von ihren Eltern, die sie streng in ihrer Obhut behielten.
So kam es das er mit der jungen Frau durchbrannte und mit ihr zum Drachen ging. Anfangs hatte sie Angst vor ihm, weshalb sie zu Fuß weiter gingen. Aber sie sah wie die beiden scherzten und gemütlich miteinander redeten. Irgendwann bekam sie ein Kind. Es kam nicht von dem Jungen. Es gehörte einem Mann aus ihrer Heimat. Es war ein hübsches Mädchen und die Mutter starb bei der Geburt, mit dem Wunsch der Junge möge auf ihr Kind acht geben.
Jahre später, als das Mädchen sieben Jahre alt war, trafen sie auf eine sterbende Frau mit ihrem Sohn. Er war gerade zehn Jahre alt geworden. Als die Frau den Drachen sah, bekam sie jedoch keine Angst. Im Gegenteil. Sie wurde ruhig und begann zu lächeln.
„Lieber Drache.“, sprach sie, „Bitte. Nimm meinen Sohn und sorge dafür das er ein gutes leben führt. Du bekommst alles was du suchst, aber bitte, nimm meinen Sohn.“
Der Drache nahm den Sohn mit. Aber nicht wegen dem Versprechen. Er nahm ihn mit, weil die Mutter ihn darum gebeten hat. Auch sie wurde auf einer wunderschönen Wiese in der Morgenröte beerdigt. Gerade als sie weiter ziehen wollten, hörten sie eine Frau um Hilfe rufen. Der junge Mann, wild entschlossen jede Frau und jedes Kind zu beschützen, eilte los und rettete sie auf der Flucht vor Wegelagerern. Er gewann damit ihr Vertrauen und nahm sie mit auf Reisen. Wie eine kleine Familie kümmerten sie sich umeinander und umsorgten sich gegenseitig. Der Junge Mann heiratete die Frau und sie wurde schwanger. Eines Nachts, es war die Nacht der Geburt, kam der Junge Mann zum Drachen.
„Hilf mir.“, bat er ihn, „Sie stirbt wenn ihr niemand helfen kann. Bitte, Drache. Hilf mir.“
Die Frau lag auf einer Wiese nahe des nächsten Dorfes und hatte Gesellschaft einer Hebamme. Als der Drache kam, wollte die alte Dame erst fliehen, aber die kleine Familie beruhigten sie und versprachen ihr, der Drache würde ihr nichts tun. So kam es das die Hebamme mit der Hilfe des Drachen das Kind zur Welt brachte, ohne das die junge Frau ihr Leben verlor. Die anderen beiden Kindern, bereits 20 und 21, waren wie normale Geschwister und hatten ihrer Ziehmutter zur Seite gestanden. Der junge Mann bedankte sich bei dem Drachen und schwor ihm erneut ihm sein Leben lang zur Seite zu stehen. Sie reisten weiter und alle waren glücklich. Alle, bis auf der Drache, der noch keinen Artgenossen gefunden hat.
Eines Tages, es war an einer wundervollen Stadt, rasteten sie wieder und schliefen beim Drachen, statt in der Stadt. Erst dann wurde den Drachen klar, das er bekommen hatte was er gesucht hat. Er war nicht allein. Er war nicht einsam. Er hatte Gesellschaft.
Es heißt, er würde immer noch umher reisen und die Kinder der Leute die ihn begleiteten mit sich nehmen um sie vor allem zu beschützen. Und wenn man Glück hat, kann man ihn in der Nähe schlafen hören. Lange regelmäßige Atemzüge.



„Eine sehr schöne Geschichte.“, meinte Adrian leise.
„Es war meine Lieblingsgeschichte. Es wundert mich nur das du nicht eingeschlafen bist.“
„Ich glaube ich habe zu sehr aufgepasst, als das ich hätte schlafen können.“ Er lachte leise. „Es ist angenehm dir dabei zuzuhören.“ Nun gähnte er, hielt sich die Hand vor dem Mund und streckte sich. „Aber wenigstens verstehe ich warum es eine Gute-Nacht-Geschichte ist. Danach ist man hundemüde.“
Ich lächelte etwas. „Dann schlaf doch.“
„Wenn du bei mir bleibst.“
Ich sah überrascht zu ihm, während er sich die Sterne ansah.
„Sie mal. Da ist eine Katze.“ Er deutete in den Himmel, woraufhin ich seinem Blick folgte und lächelte als ich das Sternenbild erkannte.
„Du hast Recht. Und da ist eine Schüssel mit Milch.“
„Daneben liegt sogar eine tote Maus.“
„Und da hinten ist das Mauseloch.“
„Davor ist eine Mausefalle mit Käse.“
„Und da schleicht sich eine Maus an der Falle vorbei.“
Wir lachten ein wenig und wurden dann still, während wir uns die Sterne ansahen. Es war eine angenehme Stille und irgendwie willkommen.
„Sieh mal.“, flüsterte ich etwas später, „Eine Sternschnuppe.“
„Du darfst dir etwas wünschen. Mach aber die Augen zu und verrate ihn niemanden.“
Ich lächelte etwas und schloss die Augen um mir etwas zu wünschen. Ich wünschte mir das mit mir und Charlie wieder alles in Ordnung kam. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich vier Sterne aufleuchten.
„Dein Wunsch wurde erhört.“, erklärte Adrian, „Aber es steht noch nicht fest ob er auch erfüllt wird.“
„Ich hoffe es.“
Es breitete sich wieder Stille aus, während ich langsam müder wurde. So müde, dass ich einschlief.

Ich blinzelte etwas überrascht als ich am nächsten morgen in jemandes Armen lag. Dieser jemand lag hinter mir und sein Atem kitzelte in meinem Nacken. Als ich erkannte das wir auf der Wiese hinterm Haus waren, fiel mir alles wieder ein. Also müsste dieser jemand hinter mir... Adrian sein.
„So so. Ich dachte du magst den Adel nicht.“ Ich sah auf als Clarissas Stimme über mir ertönte.
„Habe ich das Gegenteil behauptet?“, gab ich zurück und wand mich vorsichtig aus Adrians Armen um ihn nicht zu wecken.
„Nun, so wie es gerade ausgesehen hat, hätte man denken können, ihr wärt ein Liebespaar.“
Ich verzog das Gesicht. „Du spinnst. Wann gibt’s Frühstück?“
Sie zog eine Braue hoch und deutete in den Himmel, woraufhin ich feststellte das es bereits Mittag war. „Ihr habt es verschlafen. Ebenso das Mittagessen. Also werdet ihr wohl bis zum Abend warten müssen.“ Sie zog die Brauen zusammen während sie sprach und deutete nun auf den Hof. „Aber du hast von jemandem Besuch, der dir sicher willkommen ist.“ Nun lächelte sie wieder.
Ich rieb mir müde die Augen, während ich ihr verschlafen hinterher stolperte. „Was ist mit Adrian?“, fragte ich unterwegs.
„Ach, den wecke ich gleich.“
Ich gähnte müde und folgte ihr über den Hof. Als ich kurz darauf Charlie auf der Bank am Haus sitzen sah, blinzelte ich überrascht. Er sah auf den Boden und knetete seine Hände. Er sah erst auf als er uns hörte und zog die Brauen zusammen als er mich sah. Als wir nahe genug waren, stand er auf und zog mich in seine Arme. Bevor ich jedoch noch reagieren konnte, redete er auch schon.
„Es tut mir Leid. Es tut mir furchtbar Leid, Christy. Weißt du, ich habe lange nachgedacht. Du hast Recht. Ich weiß nichts über Nate. Ich kenne nur die Gerüchte und dass, was man mir erzählt hat. Und ich bin auch nicht dein Bruder, dass ich dir den Kontakt mit ihm verbieten kann, aber ich komme einfach nicht damit klar das du...“
„Ist schon gut.“, unterbrach ich ihn und schlang die Arme um ihn. „Ich hab mir Clarissa gesprochen, weißt du. Und mit Tante Agata. Du hattest Recht. Er hat mit mehr als die Hälfte der Mädchen im Dorf geschlafen.“ Ich seufzte. „Und weißt du, als ich gestern im Dorf war, bin ich gar nicht auf ihn eingegangen.“
„Bist du nicht?“ Er hörte sich so erleichtert an, das seine Stimme eine ganze Oktave höher rutschte.
Es hörte sich so schräg an, dass ich anfing zu lachen. „Nein.“, lachte ich, „Ich bin nicht auf ihn eingegangen. Ich habe ihn nicht mal angesehen.“
Nun schien er vor Erleichterung beinahe zusammenzubrechen und lehnte sich leicht an mich, wobei er mich fester an sich zog und das Gesicht an meinem Hals verbarg. „Ich glaube ich hätte es nicht ertragen.“, nuschelte er leise, „Freunde auf Ewig?“ Er sah mich wieder an.
„Das sind wir immer noch.“, gab ich zurück.
Wieder lehnte er sich an mich, zog mich enger an sich und drückte sein Gesicht an meinen Hals. „Wenigstens kann ich jetzt wieder ruhig schlafen.“, murmelte er, „Ich will dich nie wieder missen müssen.“
„Da bist du nicht allein.“
Er atmete kurz durch und hob nach einer Weile wieder den Kopf. „Weißt du, ich hab gesehen das Nate dich geküsst hat.“
Ich senkte etwas den Blick.
„Ich möchte nur eine Sache machen, damit ich weiß, dass er dich nicht bekommen kann.“
„Eine Sache?“
„Ich darf doch sicher das selbe tun, das er bereits mit dir gemacht hat, oder?“
„Sicher.“
Er nickte. „Es ist etwas das er schon gemacht hat. Ich versuche dir nicht viel zu nahe zu kommen, okay. Es ist nur, dass... Es kommt mir vor als würde ich dich ihm damit wegnehmen, verstehst du?“
„Oh. Okay dann... nur zu.“
Er stand noch eine Weile unschlüssig da. Dann beugte er sich hinunter und küsste mich vorsichtig. Ich ließ es geschehen, erwiderte ihn sogar ein wenig und blinzelte als er sich wieder von mir löste. Es war ein ganz normaler Kuss gewesen. Dennoch blinzelte ich, ohne dass ich wusste warum.
„Alles okay? War das zu viel?“, wollte Charlie besorgt wissen, scheinbar sofort bereits sich dafür zu entschuldigen.
Ich schüttelte den Kopf. „Alles okay. Es war nicht zu viel.“, versicherte ich ihm.
Er atmete erleichtert aus und legte mir eine Hand an die Wange. „Du bist mir wirklich wichtig.“ Er lehnte seine Stirn an meine und schloss die Augen. „Es kommt mir vor als wärst du meine Schwester. Nein warte... Doch. Als wärst du meine Schwester.“ Er lehnte seine Wange an meine Schläfe und legte wieder die Arme um mich, wobei er mir sachte übers Haar streichelte. „Du bist dort gewesen, nicht wahr?“, fragte er dann leise.
„Wie bitte?“
Er senkte den Mund bis an mein Ohr. „Bei deiner Familie.“
Ich lächelte matt und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. „Ja. Mit Adrian. Ich wünschte du wärst auch da gewesen.“
Er sah sich kurz um. „Wie wäre es wenn wir jetzt hingehen?“
„Jetzt?“ Ich sah ihn überrascht an.
„Ja. Die Anderen müssen es ja nicht erfahren. Nur du und ich.“
„Du willst mit mir ausreißen?“
„Nur für ein oder zwei Stunden.“ Er sah sich wieder um und sah wieder zu mir hinab. „Ich war lange nicht mehr da.“
„Okay. Aber wirklich, nicht lange.“
Er lächelte mich an und zog mich sanft hinter sich her. Kurz darauf ließen wir über die kleine Brücke und den Weg hinab. Ich lachte ein wenig, während Charlie mich sanft hinter sich her zog. Als wir eine halbe Stunde später die Gräber gefunden hatten, seufzte ich und setzte mich vor sie ins Gras. Charlie ließ sich neben mir nieder und legte mir einen Arm um die Schulter.

Als ich etwa eine Stunde später Rauch am Himmel sah, zog ich die Brauen zusammen. Es war schwarzer Rauch. Und es kam vom Hof.
„Charlie?“
„Ich sehe es.“, gab er zurück.
„Glaubst du, wir sollten zurück?“
„Wenn etwas brennt, können wir beim löschen helfen, also ja, wir sollten zurück.“
Er stand auf, half mir auf und eilte mit mir dann zurück. Ich stolperte ein paar mal, aber Charlie fing mich wieder und wieder auf. Als wir dann an der Brücke waren, zog er mich plötzlich zwischen die Bäume.
„Was...“ Es war Adrian der mich hinein gezogen hatte.
Mich mit dem einen Arm und Charlie mit dem Anderen. „Leise.“, ermahnte er uns. Sein Pferd stand hinter ihm im Schutz der Bäume.
„Was ist los?“, wollte ich leise wissen.
Er deutete auf den Hof, wo ich nun die Mädchen, Tante Agata und eine Reihe von Soldaten sehen konnte. Der Rauch wurde von mehreren Feuern verursacht. Genauer genommen, man hatte alle Gebäude in Brand gesteckt.
„Was wollen die?“, fragte ich leise weiter.
„Es sind Soldaten von König Ludwig.“, gab er zurück, „Sie sind hier, weil sie Land einnehmen wollen. Damit hat er den Krieg eröffnet.“
„Und was passiert mit...“
„Mit ihnen passiert nichts. Aber mit euch beiden könnte etwas passieren, wenn ihr weiter geht.“
„Warum?“
„Er...“ Er nickte Charlie zu. „könnte als Knappe durchgehen. Sie würden ihn entweder festnehmen oder sie würden ihn sofort töten.“
Ich zuckte zusammen, woraufhin Charlie mir eine Hand auf die Schulter legte.
„Was ist mit ihr?“, wollte er wissen, „Warum wäre sie in Gefahr?“
„Das erzähle ich euch später. Wir müssen erst mal hier weg. Kannst du reiten?“ Die Frage ging an mich, woraufhin ich nickte. „Dann steig auf.“
Ich sah mir das riesige Pferd an und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Adrian dagegen nahm mich sanft an den Hüften und hob mich hoch, damit ich aufsetzen konnte. Als ich auf dem Pferd saß, hielt ich mich sofort fest und starrte auf den Boden.
„Das Pferd ist ziemlich groß.“, meinte ich etwas außer Atem.
„Dir passiert schon nichts.“, beruhigte der junge Adel mich.
Adrian nahm die Zügel und ging mit Charlie voran. Auf dem Pferd konnte ich nicht mal verstehen was die beiden redeten. Nun fiel mir aber auf das am Sattel zwei Schwerter befestigt waren. Ich wollte gar nicht wissen was in der Satteltasche zu finden war.
Wir gingen quer durch den Wald, weshalb ich mich fragte wo Adrian wohl mit uns hin wollte. Charlie schien jedoch Feuer und Flamme zu sein. Ich schwieg und fragte mich was wohl mit den anderen Mädchen passieren würde.


3



Es war spät als wir auf einer Lichtung Rast machten. Ich schlief beinahe auf dem Pferd ein. Als Adrian dann aber nickte und zu mir kam, sah ich auf.
„Wir übernachten hier.“, meinte er und hob mich aus dem Sattel.
Charlie war irgendwo zwischen den Bäumen verschwunden. Adrian dagegen suchte etwas aus seiner Satteltasche und nickte sich dann selbst zu.
„Warte hier. Dein Freund ist gleich wieder da. Bleibt nahe bei meinem Pferd und gehe nicht von der Lichtung.“ Es hörte sich an wie ein Befehl. Ein Grund, weshalb ich den Adel nicht besonders mochte.
Bevor ich etwas erwidern konnte, ging er ebenfalls in den Wald und ließ mich allein auf der Lichtung zurück. Daraufhin seufzte ich tief und setzte mich müde ins Gras. An der Tatsache dass ich von Charlie wach gerüttelt wurde, erkannte ich dann das ich eingeschlafen war und sah müde auf.
„Hm?“
„Ich glaube nicht das es so gut wäre, wenn du nur im Kleid im Gras schlafen würdest.“, erklärte er.
„Das habe ich letzte Nacht doch auch gemacht.“, murmelte ich und stand langsam wieder auf.
„Warst du allein?“
„Äh... nein.“
„Na also.“
Ich murrte darauf nur verschlafen und lehnte mich an das Pferd, da es schön warm war. Charlie lachte leise.
„Soll ich schon mal die Eheringe holen? Adrian würde sich sicher freuen dich als Schwägerin zu haben.“, neckte er mich.
„Wenn du dich nicht freiwillig anbietest, wärme ich mich eben an dem Pferd auf.“, gab ich ebenfalls neckend zurück.
„Du musst nur fragen.“, gab er zurück und breitete demonstrativ die Arme aus.
Daraufhin ging ich zu ihm und lehnte mich an ihn, woraufhin er die Arme um mich schlang um mich zu wärmen. Ich seufzte wohlig und rieb ein Wenig meine Wange an seiner Brust, woraufhin er leise lachte.
„Kätzchen.“
„Miau.“
Er legte mir eine Hand auf den Schopf, tätschelte mir den Kopf und küsste mich auf die Stirn. Dann legte er sein Kinn auf meinen Scheiten und rieb mir aufwärmend den Rücken. Als Adrian zurück kam, lösten wir uns voneinander.
„Ich glaube, Feuer wäre für uns alle besser, oder?“, meinte er und ließ Äste, sowie kleines Holz zu Boden fallen.
Dann hockte er sich hin, machte eine Art Feuerstelle und begann Feuer zu machen. Eins musste man ihm lassen. Feuer machen konnte er. Und jagen, wie ich feststellte. An seiner Hüfte hingen drei tote Hasen. Charlie lachte als er sah wie ich die Hasen ansah.
„Ach, Christy. Das sind doch nur Häschen.“, meinte er.
„Deswegen ja. Ich habe noch nie Haustiere gegessen.“
Nun lachte sogar Adrian ein wenig. „Kaninchen sind Haustiere, Mädchen. Hasen sind Wild. Das ist ein Unterschied.“
Als das Feuer in Gang war, schob Charlie mich näher heran und drückte mich sanft zu Boden, damit ich mich aufwärmen konnte.
„Wo gehen wir eigentlich hin?“, wollte ich von Adrian wissen.
„Wir gehen zum Kloster der heiligen Sarvina.“, gab er zurück.
„Und dort?“
„Dort werdet ihr beide eine Weile bleiben müssen. Kloster sind Orte, die König Ludwig nie angreifen lassen würde. Er ist in der selben Religion. In dem Kloster seid ihr beide sicher.“
„Warum sollten sie uns aufnehmen?“
„Ich kenne da jemanden. Keine Sorge. Ihr werdet eine Weile dort bleiben können.“
Ich öffnete den Mund um etwas zu sagen, ließ es dann jedoch wieder und hielt die Hände dem Feuer entgegen. Adrian dagegen nahm eines der Hasen und ein kurzes Messer, woraufhin ich abrupt weg sah. Charlie lachte leise darüber und zerzauste mir das Haar.
„Das hast du doch schon einmal selbst gemacht, Christy.“, meinte er amüsiert.
Ich fuchtelte mit den Händen herum. „Das ist was anderes als zuzusehen.“
„Sagtest du nicht, du hättest noch nie Haustiere gegessen?“, hakte Adrian nach.
„Ich hab es ja nicht gegessen.“, gab ich zurück, „Ich hab Annabell nur beim kochen geholfen und hab dann Äpfel gegessen.“
„Kannst du das denn?“
„Ja, schon, aber...“
Ehe ich zu ende sprechen konnte, lag vor mir bereits ein zweiter Hase und ein zweites kurzes Messer.
„Zu zweit geht’s schneller.“, meinte Adrian und machte weiter.
Ich schauderte und begann langsam mit der Zubereitung.

„Ach, Christy.“, meinte Charlie und rieb mir aufbauend den Rücken. „Du hättest etwas sagen sollen.“
Ich stand mit Charlie etwas abseits vom Feuer und ergab mich ins Gebüsch. Charlie und Adrian hatten lauthals gelacht als ich aufgesprungen war, weil mir schlecht wurde. Charlie war mir leise lachend gefolgt und hatte mir die Haare zurück gehalten. Nun rieb er mir weiterhin aufbauend den Rücken und neckte mich mit den Kleinigkeiten die ich hätten tun können.
Es war etwa in der Mitte der Mahlzeit passiert. Adrian und Charlie waren fast fertig gewesen, während ich nur zaghaft davon gegessen hatte.
„Geht’s wieder?“, wollte Charlie wissen als ich mich wieder aufrichtete.
„Ich weiß es nicht.“, gab ich zurück und hielt mich an ihm fest.
„Warum hast du nicht gesagt das dir davon schlecht wird?“
„Wovon?“
„Davon, es zu essen.“
„Ich wusste es ja selbst nicht!“ Ich drückte meine Hand auf meinen Magen und stöhnte als er schmerzte.
Charlie wischte mir mit einem Tuch den Mund ab und ging mit mir dann zurück zum Feuer. Den Hasen rührte ich nicht mehr an, weshalb Adrian und Charlie ihn sich teilten.
„Wenn ich das nächste mal jage, bringe ich dir einen Fisch mit.“, meinte Adrian, „Fisch isst du doch, oder Mädchen?“
Ich nickte. „Fisch ist annehmbar.“
„Ach Christy.“

Die nächsten Tage verliefen so ähnlich. Adrian führte und durch den Wald, wir rasteten Nachts auf Lichtungen und aßen die Dinge, die Adrian fing. Wenn es Hasen gab, bekam ich ein Fisch. Ansonsten konnte ich mit essen, ohne es wieder loszuwerden. Es war recht amüsant mit Adrian. Er hatte Humor und war wirklich freundlich. Er kam mir nicht vor wie jemand vom Adel. Dafür erschien er mir viel zu selbstlos.

„Hoch mit euch zwei. Wir müssen weiter.“, meinte Adrian am frühen morgen.
„Können wir nicht einmal ausschlafen?“, bat ich müde und kugelte mich weiter ein.
„Ich würde wirklich gerne ja sagen, aber wenn du möchtest, dass wir womöglich zu spät am Kloster ankommen, dann tue ich es auch.“
„Warum zu spät?“
Er seufzte beugte sich zu mir hinab und hob mich einfach hoch. Charlie nahm die Zügel des Pferdes und führte es neben sich her, während Adrian mit mir auf den Armen los ging.
„Das ist schwer zu erklären, Mädchen. Die Soldaten werden irgendwie erfahren haben das es ein Mädchen mehr an dem Hof gab. Also werden sie genau dieses Mädchen suchen.“
„Warum?“
„Sie suchen jemanden.“
„Und wen?“ Ich zappelte ein wenig weil ich runter wollte, aber er ignorierte es einfach, woraufhin ich seufzte. „Wen suchen die Soldaten?“
„Die Prinzessin. Sie wurde an eine Bauernfamilie gegeben als sie noch ein Säugling war. Diese Bauernfamilie lebte ganz in euer Nähe. Ich war zu euch gekommen um sie zu holen, aber ich musste feststellen, dass...“ Er brach ab und zog die Brauen zusammen.
„Was musstest du feststellen?“
„Das die Familie verstorben ist. Erst dachte ich die Prinzessin wäre unter den Toten aber... wie soll ich es sagen?“
„Tu es einfach.“
„Die Prinzessin selbst hat mich an die Grabstätte gebracht.“
Ich zog die Brauen zusammen. „Also hast du sie gefunden?“
„Ja.“
„Und wo ist sie?“
„Näher als du denkst.“ Er sah mich auf diese seltsame Art und Weise an, die ich nicht sehen wollte. Er meinte doch wohl nicht etwa...
„Oh nein. Das kann nicht stimmen.“, widersprach ich, „Ich bins nicht.“
„Ich habe befürchtet das du das sagen wirst.“
„Ich bins nicht. Es ist eine Tatsache. Ich bin die Tochter eines ganz normalen Bauern. Und ich bin Stolz darauf seine Tochter sein zu dürfen.“
„Bist du das?“
„Ja.“
„Und wenn ich dir sage, dass dein Vater voller Sehnsucht auf dich wartet?“
„Mein Vater lebt nicht mehr.“
Er rollte mit den Augen. „Weißt du, die Tochter hat ein kleines Muttermal.“
„Und?“
„Es ist ein Sichelmond.“
„Und?“
„Ich kann ja nachsehen ob du es auch hast.“
„Ich bezweifle es.“
„Ich nicht. Dein Vater ist genauso stur wie du, wenn es um ihn oder seine Familie geht. Er wollte, dass du in Sicherheit bist und hat dich einer Bauernfamilie anvertraut. Nun möchte er das du bei ihm bist. Ein Kind ist im Palast nicht sicher. Eine junge Frau aber schon. Besonders die Tochter des Königs.“
„Schön. Dann bring sie zu ihm und lass mich runter. Ich bin es nämlich nicht.“
„Wenn wir heute Nacht rasten, werde ich nachsehen ob du das Muttermal besitzt.“
„Da wirst du aber lange suchen müssen. Wo ist es überhaupt?“
Er sah zu mir hinab. „Drei mal darfst du raten.“
„Auf der Schulter?“
„Nein.“
„Irgendwo auf einem der Beine?“
„Nein.“
Ich zögerte. „Es ist doch nicht etwa...“
„Nein. Es ist auf deinem Rücken.“
„Oh.“ Das hörte sich gar nicht so schlimm an. „Du meinst, wenn ich es überhaupt habe.“
Er seufzte und nickte. „Ja.“
Ich verarbeitete kurz was er gesagt hat und nickte dann. „Mal angenommen, es stimmt was du sagst und ich bin die Prinzessin. Habe ich dann Geschwister?“
„Einen Bruder. Er ist fünf Jahre älter als du. Du wirst ihn sicher mögen.“
„Gehöre ich dann auch zum Adel?“
„Ja. Warum?“
„Na super. Fantastisch. Ab heute hasse ich den Adel vollkommen.“
„Ach, tust du das?“
„Ja. Ich kann ihn nicht leiden.“
„Warum?“
„Die meisten Adeligen können ja nicht mal...“
„Ja?“
„Kochen. Sie können keine Kartoffeln schälen, Äpfel waschen oder sie überhaupt pflücken. Das lassen sie schön brav die Angestellten machen. Die Pferden können sie nicht füttern, Kühe melken, Schafe scheren oder...“ Ich schnippste mit den Fingern. „Sie können nicht mal ein Feld pflügen. Mit Hilfe eines Pferdes. Es ist ganz einfach, aber sie lassen die Arbeit ja lieber von Bauern übernehmen, während sie selbst in ihren Zimmer sitzen und irgendwas anderes machen.“
„Sprichst du von den Männern oder von den Frauen?“
„Größtenteils Frauen. Aber die adeligen Männer können auch nicht gerade viel.“
„Ach nein? Was können sie denn zum Beispiel nicht?“
„Eine Frau von ihren Armen runter lassen wenn sie darum bittet.“
Er schmunzelte. „Du hast Recht, dass können wir nicht. Sie könnte ihre hübschen Füße schmutzig machen.“
„Ich scheue mich nicht vor Schmutz. Ich bin es gewohnt schmutzig zu sein und jetzt lass mich endlich runter.“
„Nun, wenn es so ist, wie wäre es mit einem Bad?“
„Was?“
Ich schrie überrascht aus als er mich einfach fallen ließ. Er ließ mich direkt in Wasser fallen. Ich tauchte auf und rang nach Atem. Es war angenehm warm, aber ich trug noch mein Kleid, das nun schwer und triefend nass an mir runter hängte.
„Spinnst du? Ich habe nur das eine Kleid.“
„Du kannst es doch ausziehen. Wir machen einfach ein bisschen Pause und warten bis du fertig mit baden bist.“
„Ich ziehe mich vor euch doch nicht aus.“
„Das habe ich auch nicht gesagt.“ Damit drehte er sich um und ging mit Charlie und dem Pferd um einen großen Felsen. „Hier ist eine Wiese. Mein Pferd kann hier grasen und in der Sonne kann dein Kleid trocknen. Du kannst so lange ein Hemd anziehen.“
„Ich habe kein Hemd.“
„Frauen besitzen auch keine Hemden. Aber Männer, Mädel. Ich habe welche.“
Ich wurde rot und war froh, dass er mich nicht sehen konnte. Adrian warf ein blaues Hemd über den Felsen, sodass ich mich nach dem Baden umziehen konnte. Ich zögerte eine Weile und zog dann zaghaft das Kleid aus. Es machte schmatzende Geräusche als ich es auszog und auf den Boden warf. Dann ging ich weiter ins Wasser und begann mich zu waschen. Es war angenehm warm, was mich vermuten ließ, das es eine Art heiße Quelle sein musste.
Nach einer guten Stunde, die ich mir zeit gelassen hatte, ging ich aus dem Wasser und hob Adrians Hemd auf um es anzuziehen. Es ging mir bis an die Knie. Danach hob ich das Kleid auf und ging um den Felsen herum, wo Charlie im Gras lag und bereits wieder schlief. Adrian stand bei seinem Pferd und bürstete es. Als ich zu den beiden kam, sah er auf und betrachtete mich kurz.
„Steht dir gut.“, meinte er dann leicht grinsend.
Daraufhin warf ich ihm mein nasses Kleid direkt ins Gesicht. Es war bereits abgekühlt, weshalb das Wasser darin kalt war. Adrian dagegen lachte ein wenig, fing das Kleid auf und hängte es über ein paar Äste an einem Baum.
Wir blieben etwa zwei Stunden auf der Lichtung. Dann scheuchte Adrian uns weiter, nachdem er mein Kleid über den Sattel seines Pferdes gelegt hatte.

„Ist es noch sehr weit?“, wollte ich vier Stunden später wissen.
„Nein.“
„Das sagst du die ganze Zeit.“
„Nur noch ein paar Meter.“
„Ein paar Meter?“
„Ja. Da vorn ist die Straße vor dem Kloster.“
Ich versuchte an den Bäumen vorbei zu sehen und entdeckte tatsächlich eine Straße. Dann eilte ich voraus und blieb an der Straße stehen. Zu meiner Linken war ein riesiges Tor in einer sehr hohen Mauer. Das Gitter war hochgezogen, aber ich wusste, dass nicht jeder hinein durfte.
Als Adrian und Charlie zu mir traten, ging Adrian direkt weiter zum Tor, wo ein Junge sofort aufsprang.
„Hallo Adrian!“, rief er aus, „Dahlia hat sich schon gefragt ob du sie vergessen hast.“
„Ich könnte sie doch nicht vergessen. Geh und sag ihr Bescheid, dass ich mit zwei Freunden hergekommen bin.“
Der Junge sah an Adrian vorbei, der mich und Charlie herein winkte. Dann nickte er Adrian hektisch zu und eilte hinein.
„Wer war das?“, wollte ich neugierig wissen und sah dem Jungen hinterher.
„Er heißt Adam. Ein prächtiger Bursche. Er ist der Stallbursche hier im Kloster.“
Als wir das Tor passiert hatten, sah ich mich überrascht um. Ich habe erwartet das in der Mitte ein kleiner Weg wäre, der zu einer Kirche oder einer Kapelle führte und daneben kleine Beere waren. Stattdessen gingen wir auf einer richtigen Straße zu einer Kathedrale. Auf der linken Seite waren Felder auf denen einige Leute arbeiteten. Auf der Rechten Seite waren Häuser in verschiedenen Formen und Größen. Eins konnte ich als Stall entziffern. Ein weiteres war offenbar eine Brauerei. Einige sahen aus wie Wohnhäuser.
Für den Weg zur Kathedrale brauchten wir etwa zwei Minuten. Wie ich feststellte waren wir damit noch lange nicht am Ziel. Es gab keinen Flur, nicht mal einen Raum. Wir passierten lediglich ein weiteres kleines Tor und landete in einem Innenhof voller Blumen und grünem Gras. Darum herum war ein Weg, über dem ein mit Steinsäulen gestütztes Dach war. Im Abstand von 20 bis 30 Metern war eine Tür zu sehen. Aus einem Zimmer etwas weiter hinten kam Adam wieder heraus und zog eine wunderschöne in weiß gekleidete Frau hinter sich her. Sie hatte blondes Haar, das ihre bis auf die Hüften fiel. Sie trug keine Robe, wie ich es erwartet hatte. Stattdessen trug sie ein dünnes Schneeweißes Seidenkleid, das locker bis auf den Boden fiel.
Als sie auf sah, sah man in ein richtiges Engelsgesicht. Sie hatte klare helle himmelblaue Augen, die Adrian nun regelrecht anstrahlten.
„Wie schön das du da bist!“, rief sie aus und eilte zu ihm um ihn zu umarmen.
Er schlang die Arme um sie und gab ihr Küsse auf die Wangen und auf die Stirn. „Wie geht es dir hier?“
„Mir geht’s prächtig. Aber das weißt du doch eigentlich. Was ist mit dir? Du bist besorgt, das sehe ich sofort. Oh und du brauchst unbedingt ein Bad. Hast sogar Schmutz an der Wange.“ Sie schüttelte tadelnd den Kopf und wischte ihm über die Wange. „Wo bist du gewesen? Du hast meinen Geburtstag verpasst.“
„Es tut mir Leid. Wirklich. Ich hatte einen Befehl, den ich nicht ablehnen konnte. Aber an das Geschenk habe ich gedacht.“
„Das will ich erst später. Wen hast du mitgebracht?“
Er wand sich von dem Engel auf Erden ab und drehte sich zu Charlie und mich, die neben ihr wie ein Haufen Elend aussahen.
„Das sind Christy und Charlie. Christy ist höchstwahrscheinlich die Prinzessin.“
„Eine Prinzessin in deinem Hemd?“ Sie sah Adrian vorwurfsvoll an. „Das kannst du doch nicht machen. Sie braucht ein richtiges Kleid!“ Sie schüttelte den Kopf und wand sich wieder uns beiden zu. „Es freut mich euch zwei hier Willkommen zu heißen. Ich hoffe ihr habt nichts dagegen, wenn ich du zu euch sage.“ Sie lächelte uns an.
„Keines Wegs.“, gab ich zurück.
„Schön. Jetzt komm doch bitte mit Christy. Ich sorge dafür, dass du ein richtiges Bad und Kleider bekommst. Charlie, geh doch bitte mit Adam mit. Und Adrian... du weißt ja wo du hin musst.“
Damit nahm die Frau mich an der Hand und führte mich in eines der Räume. Dort war ein richtiges Bad eingerichtet. Es gab ein großes Marmorbecken, in dem klares Wasser dampfte. Ich sah mich überrascht um und stellte fest, dass der ganze Raum aus Marmor war.
„Zieh das aus. Das wirst du nicht mehr brauchen.“
Ich sah zu der Frau und begann dann das Hemd aufzuknöpfen.
„Mein Name ist übrigens Dahlia. Ich bin Adrians Schwester.“
„Er hat Geschwister?“, hakte ich neugierig nach und sah sie überrascht an.
Sie nickte und zog mir das Hemd aus,. „Ja. Wir haben noch eine weitere und einen Bruder. Talina und Sarben. Tally ist verheiratet und kümmert sich um zwei Kinder. Ihr Mann, Fernando, ist Berater des Königs. Sarben ist oberster Offizier, und nur eine Rangstufe über Adrian. Adrian selbst ist zweiter Befehlshaber.“ Während sie redete, schob sie mich zum Becken und nahm Seife zur Hand.
„Ist er verheiratet?“
Sie begann mich zu waschen, während ich ihr zuhörte.„Adrian? Nein. Er hält nichts von Ehen, Ehefrauen oder Kindern. Die Frauen liegen ihm zwar zu Füßen, aber er ist lediglich höflich und freundlich zu ihnen, ebenso wie er auch sonst ist.“
„Also, ist er gar nicht wie andere Adelige?“
„Wie andere Adelige?“ Sie dachte kurz nach und begann mein Haar zu waschen. „Ach, du meinst die Aristokraten. Sie werden oft mit dem Adel verwechselt, da man den Adel mit mächtig und prächtig beschreibt. Das sind wir auch, aber Aristokraten sind das, was man von dem Adel behauptet. Aristokraten sind hochnäsig und leben einfach nur ein prächtiges Leben, ohne irgendwas dafür zu tun. Sie besitzen meist irgendein Gebäude, das ihnen ein hohes Einkommen gibt. Von diesem Geld leben sie, obwohl sie nichts dafür tun. Sie sind einfach nur da und überlassen alles dem Verwalter.
Der Adel ist ganz anders. Wir arbeiten hart für unser Geld. Adrian zum Beispiel ist, wie bereits gesagt, zweiter Befehlshaber. Er verdient dabei eine Menge, sodass er sogar teure Geschenke kaufen kann, ohne sich um den Preis sorgen machen zu müssen. Aber das tut er nicht. Bis jetzt hat er mir zum Beispiel nur Ketten aus Gold geschenkt, die nur wenig Edelsteine hatten, obwohl er mir eine richtige Edelsteinkette schenken könnte. Aber so ist er einfach nicht.“ Sie wusch mir die Seife ab und das Haar aus, bevor sie ein wohl duftendes Öl nahm, mit dem sie mich dann einrieb.
„Wurde er einmal schwer verletzt?“
„Oh, sehr oft sogar. Obwohl es nicht zu seinem Job gehört, kümmert er sich sehr gut um die Soldaten, die ihm gehorchen. Sie würden für ihn sterben und er würde für sie sein Leben geben.“
„Und dabei verletzt man sich?“
Sie lachte ein wenig. „Einmal war einer seiner Soldaten schwer verletzt und lag am Boden. Einer der Feinde hob bereits sein Schwert, aber Adrian ging dazwischen und stieß den Feind weg. Dabei wurde ihm die Brust aufgeschlitzt. Er war hier in Behandlung und musste zwei Wochen lang das Bett hüten, während er sich darüber beschwert hat, dass ich ihn so oft anmeckern würde.“
Als sie fertig war, half sie mir aus dem Wasser und nahm ein Handtuch aus einem der Regale, womit sie mich dann sorgfältig abtrocknete. Gerade als sie damit fertig war, kam ein Mädchen herein und brachte ein weißes Kleid.
„Oh, vielen Dank Clare. Geh doch zu Schwester Sofie und hol dir eine Belohnung ab.“
Das Mädchen lächelte sie an, nickte und eilte dann hinaus. Als die Tür hinter ihr zugefallen war, wand sich Dahlia mit dem Kleid an mich und begann mich einzukleiden. Es war ein ähnliches Kleid wie sie trug. Der Unterschied war der, dass mein Kleid mit goldfarbenen Mustern verziert war.
Als ich angekleidet war, begann sie mein Haar zu bürsten, bis es trocken war. Nachdem sie mich dann noch frisiert hatte, führte sie mich vor einen großen Spiegel, in dem ich mich von oben bis unten betrachten konnte. Das Haar war kunstvoll zurück gebunden, sodass es nicht störte und trotzdem schön aussah. Es war das erste mal richtig sauber, sodass der schwarze Ton richtig zur Geltung kam. Meine grünen Augen stachen am meisten hervor, da es das Einzige war das wirklich Farbe hatte... abgesehen von meiner rosigen Haut, die überraschend weich aussah.
„Gefällt es dir, oder soll ich etwas ändern?“, wollte Dahlia wissen und sah mich im Spiegel an. „Nein. Das ist so genau richtig.“, meinte sie dann zu sich selbst und lächelte mich durch den Spiegel an. Dann nahm sie meine Hand und zog mich sanft hinter sich her. „Komm mit. Adrian ist sicher bereits fertig. Und das Essen dürfte auch fertig sein. Das heißt, er und Charlie sind bereits im Speisesaal.“
Am Innenhof zog sie mich Richtung Tor und dann daran vorbei um den gesamten Innenhof herum, bis wir auf genau der anderen Seite waren. Mir fiel auf, dass es auf der Rechten Seite keinen Weg gab, der auf die gegenüberliegende Seite des Tors führte. Deshalb war sie also auf die Linke Seite gegangen, aber es wunderte mich, dass sie nicht einfach durch den Garten gegangen war.
Als wir vor einer weiteren Torartigen Tür stehen blieben, sah sie mich kurz an und ging dann mit mir hinein. Wir betraten damit einen großen Saal. In der Mitte stand ein langer Tisch mit so vielen Stühlen, dass ich sie alle gar nicht zählen konnte.
Adrian und Charlie sahen bei unserer Ankunft auf. Charlie lächelte, während Adrian mich verblüfft ansah. Mein bester Freund stand auf und kam zu mir.
„Du siehst wundervoll aus, Christy.“, meinte er und küsste mich lächelnd auf die Stirn.
Nun erhob sich auch Adrian und kam zu mir. Dahlia kam ihm entgegen und flüsterte ihm etwas zu, woraufhin er ihr zunickte. Bei mir angekommen nahm er meine Hand und brachte mich dazu mich einmal um meine eigene Achse zu drehen.
„Wunderschön.“, meinte er dann und lächelte ein wenig. „Ein Engel würde den kürzeren ziehen.“
Nun lächelte ich ebenfalls und bemerkte, dass er nun erheblich besser aussah. So gut, dass es schon an Folter grenzte. Sein braunes Haar stand zwar immer noch zu allen Seiten ab, sah aber dennoch sehr gut aus. Er war ach rasiert, das er nicht mal zu seiner Ankunft auf Agatas Hof war. Jetzt sah er mehr als attraktiv aus. Attraktiv und charmant.
„Du siehst auch nicht schlecht aus.“, meinte ich an ihn, während Charlie Dahlia zu ihrem Platz führte, das zufälligerweise neben ihm war.
Adrian lächelte mich etwas mehr an und führte mich an der Hand zu meinem Platz der - wer hätte das gedacht? - neben seinem Platz war. Einige Frauen sahen mich wehmütig an, während einige jungen Männer mich mit einem Blick ansahen, der eigentlich einer Geliebten zustand.
Adrian rückte mir meinen Stuhl zurecht und setzte sich dann auf seinen eigenen. „Ich hoffe, bis jetzt gefällt es dir hier.“
Ich sah zu ihm. „Ja. Es ist wunderschön hier.“
Er lächelte und betrachtete kurz mein Gesicht. „Das ist schön. Du und Charlie werdet eine Weile hier bleiben müssen.“
„Ich und Charlie? Was ist mit dir?“
„Ich muss zum König, deinem Vater, und ihm Bericht erstatten, dass ich dich gefunden habe.“
„Verstehe. Wann... Wann reist du ab?“
„Morgen.“
„Morgen schon?“
„Ich darf keine Zeit verlieren. Sobald dein Vater Bescheid weiß, wird entschieden was als nächstes getan wird.“
„Verstehe.“ Ich sah mich ein wenig im Saal um, bevor mir etwas einfiel. „Dahlia sagte mir, du wärst zweiter Befehlshaber.“ Ich blickte ihn fragend an, woraufhin er nickte und sich an mich wandt.
„Das stimmt. Ich befehlige drei Offiziere und damit drei Legionen.“
„Richtige Legionen?“
„Ja.“
„Kennst du alle Soldaten?“
„Ja. Ich würde einer fremden Person nie mein Leben anvertrauen. Ich würde ihm nie den Rücken kehren, denn ich weiß nicht, ob er mich angreifen würde.“
„Warum sollte jemand seine eigenen Leute töten?“
„Weil der Feind ihm Geld bietet. Das ist schon ein paar mal passiert.“
Ich sah ihn mit großen Augen an.
„Etwa sieben mal. Beim ersten mal kannte ich nicht alle Soldaten, weil es mir egal war. Ich war einfach der neue zweite Befehlshaber und nicht sonderlich beliebt. Der Feind hat dem Soldaten fünftausend Münzen geboten, wenn er mich umbringt. Er hat es zwar versucht, konnte mich aber nur leicht verletzen und kam nicht mehr lebend aus meiner Kammer.“
„Du hast ihn umgebracht?“
„Ich musste. Hätte ich es nicht getan, hätte er es wieder versucht. Immer und immer wieder, bis ich irgendwann unachtsam bin und es ihm gelingt. Er hätte sogar seine Kameraden dafür getötet.“
Ich machte erneut größere Augen und fasste mir an den Hals.
„Keine Sorge. Mittlerweile weiß ich, dass meine Soldaten loyal sind. Die anderen Sechs mal haben alle abgelehnt. Sie wurden zwar vom Feind getötet, aber sie gaben lieber ihr Leben, als meins zu beenden.“
„Das ist unmenschlich, Adrian. Wer macht Sowas?“
Sein Lächeln wurde etwas schwächer. „Er heißt Raimund Demaltis. Oberster Befehlshaber und guter Freund von König Ludwig. Er ist mit seiner Tochter verlobt.“
„Dann... kann er doch gar nicht so... schlecht sein, oder?“
Er zögerte. „Die Prinzessin wurde gar nicht gefragt. So ist das meistens. Wenn jemand die Prinzessin heiraten möchte, muss er bei ihrem Vater um ihre Hand anhalten. Wenn er meint, man wäre gut genug für seine Tochter, wird man verlobt. Oft passiert es aber, dass der Mann, dem die Tochter versprochen ist, zwar für sie sorgen kann, für sie selbst aber nicht gut ist. Ludwigs Tochter zum Beispiel kann ihren Verlobten nicht ausstehen. Aber sie muss ihn heiraten, egal ob sie nun einen anderen liebt, oder nicht. Du wirst bestimmt auch bald vermählt werden.“
Ich zog die Brauen zusammen. „Und wenn ich nicht möchte?“
Er schien eine Weile zu überlegen. „Dein Vater ist ein guter Mann. Ein guter Herrscher und ein guter Vater. Er wird dich sicher schnell ins Herz schließen und um dein Wohlergehen kümmern. Er wird sicher jemanden mit dir vermählen, den du auch liebst oder wenigstens sehr gut leiden kannst.“
„Ohne Ausnahme?“
Er zögerte etwas. „Nun... Es kann auch sein, dass bereits jemand für dich ausgesucht wurde. Oft werden die Töchter bereits bei der Geburt einem Prinzen versprochen. Sie werden dann heiraten, wenn sie alt genug sind. Aber ich bezweifle, dass dein Vater Sowas tun würde. Es gibt aber auch einige Männer, die genug Geld und genug Ansehen besitzen, dass dein Vater eine Verlobung nicht ohne Schaden ablehnen kann.“
„Was bedeutet das?“
„Maximilian Klifford zum Beispiel. Er ist einer der besten Freunde deines Vaters, hat so viel Geld, dass er gar nicht weiß was er damit machen soll und besitzt so viel ansehen, dass keine Person in der gesamten Stadt es auch nur wagen würde ihn komisch anzusehen. Wenn es passiert, bezweifle ich, dass er etwas tun würde, aber ich bezweifle noch mehr, dass es jemand tun würde. Die Bürger mögen ihn. Jeder würde nur Gutes über ihm sagen.“
„Und was ist nun mit ihm?“
„Wenn er um deine Hand anhalten würde, wäre es für deinen Vater schwer anzulehnen.“
Ich sah ihn erschrocken an, woraufhin er beruhigend meine Hand nahm.
„Keine Sorge. Ich kenne die Beiden. Max wäre nie so selbstsüchtig und würde eine Frau heiraten die es nicht möchte. Er würde zwar kein Geheimnis aus seiner Zuneigung machen, aber er würde dich nicht bedrängen oder dich zu etwas zwingen das du nicht möchtest.“
„Kein Geheimnis aus seiner Zuneigung?“
„Wenn du ihn gewähren lässt, würde er dir einen Arm um die Tallie legen, dich auf die Wange oder wen Mund küssen, er würde dich aus Spaß mal auf den Arm nehmen oder etwas zu eng mit dir tanzen. Nur wenn du ihn gewähren lässt.“
„Und wenn nicht?“
„Dann würde er es bei anzüglichen Blicken und Fantasien belassen. Er gibt dir vielleicht hin und wieder einen kleinen Klaps auf deine Kehrseite, aber er ist ansonsten ein vornehmer Mann.“ Seine Mundwinkel zuckte. „Nur zu besonders hübschen Frauen ist er manchmal ein wenig frech.“
Mein Blick glitt zu Dahlia, woraufhin er ein wenig lachte.
„Ja. Bei ihr war er besonders frech, aber ich kann mir gut vorstellen, dass er zu dir mindestens genauso frech ist. Wenn nicht sogar frecher.“
Ich wurde etwas rot, als mir klar wurde, dass er damit sagen wollte, dass ich in seinen Augen schöner war als seine Schwester. Und sie war nun mal eine Augenweide. Einfach atemberaubend.
Als das Essen serviert wurde, drückte Adrian nochmal kurz meine Hand und ließ sie dann los. Ich hatte nicht mal bemerkt, dass er sie noch festgehalten hatte.

Nach dem Essen zeigte Dahlia mir das Zimmer in dem ich übernachten würde, während eine andere Frau sich um Charlie kümmerte. Während dem Essen war mir aufgefallen, wie gut sich Charlie und Dahlia verstanden. Sie hatten viel gelächelt und gelacht. Adrian und ich hatten fast gar nicht mehr miteinander gesprochen. Aber wenn wir es taten, hatten wir ebenfalls gelächelt und gelacht. Kurz bevor das Essen dann beendet wurde, war er aufgestanden und hatte Dahlia etwas ins Ohr geflüstert. Dann war er hinaus gegangen. Seit wem hatte ich ihn nicht mehr gesehen.
Nun stand ich in meinem Zimmer und sah mich um, da ich mich nicht traute das Kleid auszuziehen und das leichte dünne Nachthemd anzuziehen. Irgendwann überwand ich mich dann und zog das Kleid aus, bevor ich das Nachthemd nahm und überzog. Es ging mit bis an die Knie.
Gerade als ich mich ins Bett legen wollte, klopfte es an der Tür, woraufhin ich mich wieder aufrichtete und dort hin ging um sie zu öffnen. Ich sah überrascht zu Adrian auf, der vor der Tür stand und mich betrachtete.
„Was machst du denn hier?“, wollte ich leise von ihm wissen.
„Zwei Dinge. Zum einen habe ich dir gesagt, ich würde heute Nacht nachsehen ob du das Mahl auf deinem Rücken hast.“
Ich errötete, angesichts der Tatsache, dass er mir dabei das Nachthemd ausziehen musste. Und ich hatte zugestimmt, dass er nachsehen durfte.
„Zum anderen möchte ich mich von dir verabschieden.“
Verabschieden? „Ich dachte du reist erst morgen ab.“
„Tue ich auch. Aber so früh, dass wir uns nicht mehr sehen werden.“
Mein Mund klappte auf, aber ich schloss ihn sofort wieder. Adrian dagegen kam herein und schloss die Tür hinter sich. Er betrachtete mich eine Weile und kam dann auf mich zu, während ich mich nicht vom Fleck bewegen konnte. Bei mir angekommen, nahm er mein Gesicht in seine Hände und küsste mich sanft. Meine Augen weiteren sich, während mein Atem begann zu stocken. Ich krallte mich an sein Hemd, damit ich nicht zu Boden ging, während er meinen Mund auf schob und mit der Zunge erkundete. Ich seufze, während mir die Augen zufielen und er die Arme um mich schlang. Er schmeckte einfach sagenhaft. Süß und... nach Mann. Er schmeckte einfach himmlisch.
Ich legte ihm locker die Arme um den Hals, woraufhin er mich an meiner Kehrseite hoch hob und zum Bett trug.


4



Als sich irgendwas im Bett bewegte, murrte ich müde und öffnete müde die Augen. Adrian beugte sich gerade nach seiner Kleidung und zog sich an. Ich seufzte müde und sah ihm ein bisschen dabei zu.
„Ich hoffe, du hattest nicht vor zu gehen, ohne dich zu verabschieden.“, murmelte ich müde
Er drehte sich zu mir um und knöpfte sein Hemd zu. „Tut mir Leid das ich dich geweckt habe. Es ist früh und du solltest weiter schlafen.“
„Du wolltest dich also raus schleichen?“
„Wenn du schläfst, fällt es mir leichter dich für die Zeit zu verlassen. Ich dürfte gar nicht in deinem Zimmer sein.“
„Warum?“
„Ich habe deinem Vater versprochen dich nicht anzurühren bis du bei ihm bist.“
„Hast du doch gar nicht.“ Das stimmte. Er hatte sich gerade noch zurückhalten können und stattdessen nach dem Muttermahl gesucht, dass ich tatsächlich auf meinem Rücken befand.
„Und dabei sollte es auch bleiben.“
„Aber nur bis ich bei meinem... Vater bin. Richtig?“
„Ich weiß es nicht.“ Er sah aus einem kleinen Fenster. „Ich muss jetzt gehen. Ich weiß nicht, wann wir uns wiedersehen. Ich weiß nicht mal, ob ich es sein werde, der dich von hier nach Vervel bringt.“
„Vervel?“, hakte ich verwirrt nach.
„So heißt die Stadt.“
„Oh.“
Er beugte sich zu mir hinab. „Auf Wiedersehen, Christy.“
„Ich will nicht, dass du gehst.“, flüsterte ich und hielt ihn fest.
Er lächelte und küsste mich auf die Stirn und kurz auf den Mund. „Wir sehen uns wieder.“
Damit löste er sich von mir und ging. Ich seufzte tief und ließ mich wieder ins Kissen sinken. Wenige Minuten später schlief ich wieder tief und fest.

Als ich mein Zimmer verließ, wartete Charlie im Flur. Es war in einem bestimmten Flügel.
„Guten Morgen, Sonnenschein.“, meinte Charlie mit einem Lächeln. „Was machen wir heute?“
In den letzten zwei Wochen hatten wir uns das ganze Kloster ganz genau angesehen und sogar ein bisschen geholfen. Charlie schien sich mit Dahlia prächtig zu verstehen.
„Ich hab Lust mich an einem Fluss ins Gras zu legen.“, meinte ich nachdenklich und ging mit ihm den Flur hinauf Richtung Innenhof.
Der Flur war in einem Flügel, der eigentlich nur für Frauen war, aber bei Adrian und Charlie hatte man eine Ausnahme gemacht. Den Grund dafür kannte ich selbst nicht. Aber es war mir auch irgendwie egal.
„Hast du einen Fluss gesehen?“, wollte Charlie neugierig wissen.
„Nein, leider nicht.“ Ich seufzte. „Ich vermisse Alita. Und Clarissa. Oh und Nate.“
„Nate?!“
Ich grinste. „War ein Scherz.“
Er fasste sich an die Brust. „Mach das nie wieder.“
Ich schmunzelte ihn an und küsste ihn auf die Wange, bevor ich ihn an der Hand hinter mir herzog. „Jetzt komm schon. Ich glaube, wir waren noch nicht im Ostflügel.“
„Stimmt. Dahlia hat mir erzählt, dort gibt es Bibliotheken, heiße Quellen und die Küche.“
„Ach ja? Die Quelle würde ich mir gerne mal ansehen, aber lieber ohne dich.“
„Das findet meine vollste Zustimmung.“
„Aber ich würde gerne mal mit dir in die Küche.“
„In die Küche?“
Ich grinste und zog ihn durch die Tür die in den Innenhof führte. Dort zog ich ihn dann um das Stück Rasen herum. Dahlia erzählte mir, dass es nur betreten werden darf, wenn man sich dort ein wenig ausruhen möchte oder zu nächtlicher Stunde betet.
„Wer, glaubst du, betet wohl nachts?“, fragte ich als ich an dem Tor vorbei kam, das nach draußen führte.
„Dahlia.“
„Ach ja?“ Ich sah ihn überrascht an.
„Ja. Sie kommt immer um Mitternacht her und spricht ein Gebet. Ein paar weitere Priesterinnen übernehmen andere Stunden in der Nacht. Sobald der Tag anbricht, gehen andere Priesterinnen in die Kathedrale.“
Diese befand sich, wie Charlie und ich am dritten Tag erfuhren, hinter diesem riesigen Gebäude. Es war für mich kaum zu glauben, dass die Kathedrale sogar größer war als das Gebäude hier, dass das Haupthaus bildete. Charlie und ich gingen täglich in die Kathedrale und beteten. Zwar nur kurz und immer nur einfache Gebete, aber wir machten es trotzdem. Jeder in diesem Kloster machte das, eben weil man in einem Kloster war.
„Es ist schön hier, nicht wahr?“, meinte ich und sah mir die Blumen auf dem Rasen an.
„Ja.“, gab Charlie zurück, „Jetzt komm weiter. Du wolltest mit mir doch in die Küche.“
Damit zog er mich weiter und durch die Tür die in den Ostflügel führte. Wenige Augenblicke später betraten wir die Küche, in der drei Frauen hektisch hin und her eilten und das Essen kochten. Als eine Vierte herein kam, bemerkte sie uns und lächelte uns an.
„Hallo. Ihr müsst Christy und Charlie sein, richtig?“
Wir nickten, woraufhin sie uns zu einem Tisch führte.
„Habt ihr Hunger? Das Frühstück ist seit einer halben Stunde vorbei.“
„Ist es das?“ Ich sah zu Charlie.
„Ja. Erst wollte ich dich wecken, aber eine ältere Frau hat mich getadelt, also habe ich es besser gelassen.“
Ich lachte ein wenig. „Und dabei hast du das Frühstück verpasst, richtig?“
Er schürzte die Lippen. „Gerade als ich den Saal betrat, wurde abgedeckt.“
Die Frau nickte, als wüsste sie dass wir etwas zu essen brauchten und ging wieder weg. Keine zwei Minuten später kam sie mit vier Tellern und zwei Tassen zurück, die sie uns hinstellte.
„Einen guten Appetit.“
„Vielen Dank.“, gab ich zurück, während Charlie sofort begann zu essen und einen Dank nuschelte. „Charlie!“
„Hm?“ Er sah mich mit vollem Mund an.
„Man spricht nicht mit vollen Mund.“
„I Ei.“
„Was?“
Er schluckte runter. „Ich weiß.“
„Und warum tust du es dann?“
Er schwieg kurz und zuckte dann mit den Schultern, bevor er weiter aß. Ich dagegen schüttelte tadelnd den Kopf und aß ebenfalls weiter.
Etwa eine halbe Stunde später öffnete ich leise eine Tür zu einer Bibliothek und spähte hinein.
„Ist da jemand drinnen?“, wollte Charlie leise wissen.
Ich schüttelte den Kopf und betrat den Raum. Dann sah ich mich nochmal um, um mich zu versichern das auch wirklich niemand hier war und winkte dann Charlie herein. Zwei Minuten zuvor hatten wir eine Bibliothek betreten in dem zwei Mönche waren. Einer von ihnen hatte uns entgeistert angesehen und uns hinaus geschickt. Einen Raum weiter war ebenfalls einer gewesen, der uns klar gemacht hatte, das niemand außer die Mönche die Bibliotheken betreten durfte.
„Was wohl in den Büchern steht?“, fragte ich mich und zog eines der Bücher aus einem Regal um es mir anzusehen. „Wow. Ich habe noch nie ein Buch in der Hand gehabt.“
Ich schlug es auf. Die ersten drei Seiten waren leer. Die vierte Seite war voll mit Texten. Der erste Buchstabe war kunstvoll verziert worden. Schade das ich nicht lesen konnte.
„Was glaubst du, was steht da?“
Charlie trat neben mich und sah in das Buch. „Keine Ahnung. Ich kann nicht lesen.“
„Aber es sieht schön aus.“
„Ja. Blätter mal weiter.“
Ich tat was er wollte. Daraufhin war ein Bild zusehen, worunter wieder Text war. Wieder war der erste Buchstabe verziert worden, während der Rest einfach nur schwungvoll geschrieben war. Auf dem Bild war das Innere einer Kapelle zu sehen. Der Altar um genau zu sein. Dort stand eine Frau in weiß und kniete vor dem Altar, während sie betete.
„Ich wünschte ich könnte lesen.“, meinte ich leise und blätterte erneut um.
Das gesamte Buch war voll mit Texten und einigen Bildern. Aber da weder Charlie und ich lesen konnten, begnügten wir uns damit die Bilder anzusehen. Als wir dann mit dem Buch fertig waren, stellte ich es sorgfältig zurück und ging weiter. Ich sah mir die verschiedenen Buchrücken an und staunte über die Schönheit der Wörter die darauf standen.
Am Ende des Raumes war ein Kamin über dem ein Wandteppich hing.
„Charlie, sieh mal.“, meinte ich, woraufhin mein bester Freund zu mir kam und meinem Blick folgte.
„Wow. Wer den wohl gemacht hat?“
Auf dem Teppich war eine Priesterin zu sehen. Sie hatte ihre Arme leicht ausgebreitet und lächelte zu uns herab. Ich sah mit offenem Mund zurück und bestaunte das Kunstwerk.
„Was machen Sie hier?“
Wir drehten uns abrupt um als hinter uns eine Stimme ertönte.
„Sie haben hier nichts verloren. Bitte verlassen Sie diesen Raum.“
Ich wurde etwas rot. „Ja natürlich.“
Damit nahm ich Charlie an der Hand und verließ leise mit ihm die Bibliothek. Im Flur seufzte er dann und streckte sich ein wenig, bevor er die Arme hoch nahm und die Hände im Nacken verschränkte.
„Das die immer so unhöflich sein müssen.“, meinte er dabei.
Ich rollte mit den Augen und ging mit ihm zurück zum Innenhof. „Vielleicht haben sie es nicht anders gelernt.“
„Quatsch. Ich habe schon mit Mönchen gesprochen die viel netter waren. Einer hat sich sogar verbeugt. Hey, hast du eine Idee wo Dahlia ist? Vielleicht weiß sie wo in der Nähe ein Fluss ist.“
„Wenn in der Nähe ein Fluss wäre, dann hätten sie doch wohl kaum einen Brunnen, oder?“
„Da hast du auch wieder Recht.“
„Kann es sein, dass du sie magst?“
„Klar mag ich sie. Du doch auch.“
Ich sah zu ihm auf. „Ich meine, richtig mögen.“
„Ich weiß nicht wovon du sprichst.“ Er sah hinauf, weshalb ich sein Gesicht nicht sehen konnte.
„Oh, du weißt ganz genau was ich meine.“ Ich stieß ihm leicht in die Seite. „Du magst sie.“
„Wie kommst du darauf?“ Er sah zu mir hinab.
„Du verbringst viel Zeit mit ihr.“
Er nahm die Hände ein wenig hinunter. „Mit dir doch auch.“
„Ja, aber nur weil wir so gut befreundet sind.“
Nun stemmte er die Hände in die Hüfte und beugte sich zu mir hinab. „Vielleicht bin ich auch mit ihr gut befreundet.“
„Du siehst sie aber auf eine Art an, wie man es bei Freunden nicht macht.“
Er zog die Brauen zusammen. „Egal. Fakt ist, ich mag sie nur.“
„Das redest du dir nur ein.“
Ich ging auf den Rasen und hockte mich hin um eine Blume zu betrachten. Charlie setzte sich auf das Geländer, dass die Säulen verband und sah mir zu.
„Ich könnte mir auch einreden dich zu lieben.“, meinte er, „Es hätte den selben Vorteil, wie mir einzureden ich würde Dahlia lieben. Nämlich gar keinen. Sie ist Priesterin. Soweit ich weiß darf sie gar nicht heiraten.“
„Nonnen dürfen nicht heiraten.“
„Weil sie an einem Ort Gottes Leben. Und das tun Priesterinnen doch auch.“
„Sie können aber auch wie Nomaden umher reisen. Glaubst du, ich darf ein paar Blumen pflücken?“
„Weiß ich nicht. Du kannst aber fragen.“
Wir sahen nicht auf als jemand durchs Tor herein kam. Es kam oft jemand herein oder ging hinaus. Oft waren es Kinder die die Ernte in die Vorratskammer brachten. Oder es waren Nonnen oder Mönche, die ihrem Alltag nachgingen.
„Ich habe doch gefragt.“, meinte ich, „Nämlich dich.“
„Ja, aber ich weiß es nicht. Also musst du jemand anderen fragen.“
„Du redest doch so viel mir Dahlia.“
„Mag war sein, aber ich habe nicht gefragt ob man die Blumen pflücken darf. Ich pflücke keine Blumen. Ich bin kein Mädchen.“
Ich warf ihm einen finsteren Blick zu, woraufhin er grinste. „Hey, das ist nun mal so. Sei froh darüber. Ich wäre sicher ein schreckliches Mädchen.“
„Du bist ja schon ein schrecklicher Junge.“
Er grinste noch etwas mehr. „Aber trotzdem dein bester Freund.“
Ich rollte mit den Augen und sah mir eine andere Blume an. „Hey, das ist ja eine Divane. Ich dachte die wachsen nur bei uns.“
„Bei uns?“
„Na, in und um das Dorf in dem wir gelebt haben, du Dussel.“
„Oh. Ja, eigentlich schon. Offenbar sind die Böden sich ähnlich, oder der Boden hier ist etwas besonderes. Weißt schon. Kloster. Ort Gottes. Gebete. Weihwasser.“
„Du glaubst doch nicht etwa wirklich, dass sie den Innenhof mit Weihwasser bewässern, oder?“
„Woher soll ich das denn wissen. Vielleicht tun sie es wirklich. Vielleicht auch nicht. Vielleicht bewässern sie ihn auch mit Wein.“
Ich lachte ein wenig darüber. Wir waren einmal im Weinkeller gewesen. Er war riesig und randvoll mit großen Fässern, die mit Wein gefüllt waren. Wir durften sogar einige probieren und bemerkten dabei den Unterschied zwischen frisch gemachten und altem Wein. Letzterer schmeckt definitiv besser.
„Ich glaube nicht, dass sie die Blumen betrunken machen wollen. Betrunkene Blumen bringen nicht sonderlich viel.“
Er rollte mit den Augen. „Blumen können nicht betrunken werden.“
„Und warum nicht? Sie leben doch auch.“
„Es sind nur Pflanzen.“
„Dein Kater ist damals doch auch betrunken gewesen.“
„Ja, aber mein Kater war ein Tier.“
„Sie leben. Und Pflanzen auch. Warum sollten Pflanzen dann nicht auch betrunken werden, wenn man ihnen Alkohol gibt?“
„Keine Ahnung. Aber sie können einfach nicht betrunken werden.“
„Wenn du meinst. Hey, vielleicht weiß Dahlia es ja.“
Er stützte die Ellenbogen an den Knien ab und seinen Kopf in die Hände. „Vielleicht. Aber sie ist nicht allwissend. Sie ist auch nur ein Mensch.“
„Ich weiß. Aber fragen kostet ja nichts.“
Er lächelte. Wieder kam jemand herein. Den Schritten nach zu urteilen war es Adam. Ihn konnte man am besten von den anderen unterscheiden, weil er trotz seines Alters schwere Schritte hat. Und da sie so schnell sind, weiß man, dass es ein Kind ist.
„Dahlia!“, rief er und eilte in einen der Flügel.
Ich sah überrascht auf und bekam am Rande mit das noch jemand herein kam.
„Wenn du ihm folgst, kannst du Dahlia ja unsere Fragen stellen.“, meinte ich und sah zu Charlie.
Dieser rollte wieder mit den Augen. „Ich kann sie auch später fragen. Wie es aussieht hat sie jetzt etwas zu erledigen.“
Als Dahlia von Adam in den Innenhof gezogen wurde, war eine neues Stimme zu hören.
„Dahlia, wie schön dich wieder zu sehen.“ Es war eine tiefe Stimme. Die eines Mannes.
„Serben! Das du dich hier blicken lässt. Ich dachte schon ich bekomme dich gar nicht mehr zu Gesicht. Schreibst nicht zurück und kommst nicht zu Besuch. So beschäftigt kannst du doch gar nicht sein.“
Ich sah überrascht auf. Das war also Adrians Bruder. Sie hatten Ähnlichkeit miteinander. Fast die selbe Stimme, das selbe freundliche Auftreten und die selben Gesichtszüge. Abgesehen davon, dass Sarbens Gesicht etwas runder ist. Er ist auch etwas größer als Adrian und hatte blondes, statt braunes Haar. Adrian hatte grüne Augen. Sarbens waren blau.
Trotz ihres Tadel, umarmte Dahlia ihren Bruder und küsste ihn auf die Wange, bevor sie sich auf Wangen und Stirn küssen ließ.
„Ich nehme an, du bist wegen der Prinzessin hier?“
„Die halte ich gerade in den Armen. Oh, du meinst die Tochter des Königs, nicht dich?“
Dahlia lächelte etwas mehr. „Ja, ich spreche von Christy.“
„Christy? Ah, genau. Adrian hat ihren Namen nur kurz erwähnt. Aber du hast Recht. Wegen ihr bin ich hier. Wo ist sie?“
„Rechts von dir.“
Er sah in meine Richtung und lächelte mich an und zeigte damit ein Grübchen auf der linken Wange. Ich dagegen blinzelte überrascht. Er hatte zwar blaue Augen, aber... nur das Rechte war blau. Das Linke war grün.
„Freut mich Sie kennen zu lernen. Ich bin Serben.“ Während er redete, ließ er seine Schwester los und verbeugte sich kurz. Dann sah er zu Charlie. „Ich gehe davon aus, dass Sie demnach Charlie sind? Ein Begleiter und bester Freund unserer Prinzessin?“
Charlie nickte. „Ja.“
„Dann freut es mich auch Sie kennen zu lernen.“ Er wand sich wieder an mich. „Möchten Sie noch länger hier bleiben, oder wollen Sie bereits noch heute abreisen?“
Überrascht öffnete ich den Mund. „Ich... äh...“
Er lächelte etwas. „Also ein bisschen länger. Nichts überstürzen, wir haben ja Zeit.“
„Haben wir?“, wunderte sich Charlie. „Adrian sagte, wir dürfe keine Zeit verlieren.“
Sarben sah zu ihm. „Er versucht stets alles sofort zu erledigen. Besonders wenn er einen Auftrag von Theodor,“ Er sah zu mir. „Eurem Vater, bekommen hat.“ Er sah wieder zu Charlie und lächelte amüsiert. „Er hat es immer eilig und würde am liebsten nie Rast machen wenn er irgendwohin reisen muss.“
Als ein weiterer Mann zu Serben trat, sah dieser zu ihm und ließ sich etwas zuflüstern, woraufhin Serben das Gesicht ein wenig verzog, was das Lächeln auf seinen Lippen zerstörte. Er flüsterte etwas zurück und der Mann nickte, bevor er wieder ging.
„Wie es scheint werden wir sogar bleiben müssen. Ludwigs Truppen sind in der Nähe und werden hier wohl um Unterkunft bitten.“ Er schwieg eine Weile und grinste uns dann wieder an. „Ich hoffe ihr habt nichts gegen ein bisschen Theater.“
Ich zog überrascht die Brauen hoch. „Theater?“
„Da Ihr noch jung seid, nehme ich an, dass ihr nicht schauspielen könnt, also werdet ihr Zuschauer sein. Die Truppe wird morgen hier eintreffen. Wir werden nicht kämpfen, aber wir werden sie auch nicht herein lassen.“
„Wie wollt Ihr das denn machen?“, fragte Charlie.
„Ich habe drei Soldaten die ein paar Monate lang in einem Theater gearbeitet haben.“
„Wirklich?“, hakte ich neugierig nach.
Serben nickte und reichte mir eine Hand. „Möchten Sie nicht aufstehen?“
Ich bemerkte dass ich immer noch am Boden hockte und ergriff seine Hand um mir aufhelfen zu lassen. Sie war warm und konnte meine Hand ohne Probleme umfassen. Er hatte lange kräftige Finger, die perfekt zu seiner Hand passte.
„Spielen Sie Klavier?“, fragte ich neugierig und verwundert zugleich.
Er sah mich überrascht an. „Ein wenig.“, gab er zu, „Woher wissen Sie das?“
„Sie haben Klavierfinger. Lang und schmal. Perfekt zum Klavier spielen.“
Er lächelte und stellte dabei wieder ein Grübchen zur Schau. „Da haben wir wohl eine sehr intelligente Prinzessin. Und wunderschön ist sie auch noch.“
Ich wurde etwas rot. „So intelligent bin ich gar nicht. Ich kann nicht mal lesen.“
Er zog die Brauen hoch und sah mich überrascht an. „So? Na, dann wollen wir das mal ändern. Kommen Sie. Wir leihen uns ein Buch aus.“
Ich sah ihn mit großen Augen an, folgte ihm jedoch, nach einem kurzen Blick zu Charlie, in den Ostflügel. Charlie hatte vor sich hin gelächelt und uns hinterher gesehen. Als wir an der Tür ankamen, hatte ich gehört wie er Dahlia angesprochen hatte.
„Ähm... Serben?“
Er sah zu mir hinab. „Ja?“
„Einer der Mönche sagte mir, dass nur Mönche die Bibliotheken betreten darf.“
Er lächelte ein wenig. „Ich habe gesagt, wir leihen uns ein Buch aus. Ich habe nicht gesagt, dass wir eine Bibliothek betreten.“
Damit blieb er vor einer der gemeinten Räume stehen und klopfte an der Tür. Es war eine Weile still, bevor ein junger Mönch die Tür öffnete.
„Oh. Guten Tag, Kriegsminister Devons.“ Er verbeugte sich. Kriegsminister? „Kann ich Ihnen behilflich sein?“
Serben sah ihn freundlich an. „Wir würden gerne ein Buch ausleihen. Ich möchte unserer Prinzessin das Lesen beibringen.“
„Prinzessin?“ Er sah Serben etwas begriffsstutzig an. Dann fiel sein Blick auf mich. „Oh. Entschuldigt, Ma'am. Natürlich. ein Buch. Was für ein Buch darf es denn sein?“
Serben sah mich einen Augenblick nachdenklich an. Dann sah er wieder zum Mönch, der sich dann ebenfalls an Serben wandt. „Ein Geschichtsbuch.“
„Gibt es Vorlieben?“
Serben sah zu mir. „Gibt es etwas, dass du besonders magst?“
Ich dachte nicht lange nach. „Drachen.“
„Drachen, Ma'am?“ Der Mönch sah mich entgeistert an.
Serben lachte leise und nickte. „Dann Drachen.“
Der Geistliche vor uns blieb einen Augenblick unbewegt. Dann nickte er und ging wieder in den Raum. Kurz darauf kam er mit einem recht dicken Buch zurück und überreichte es Serben, der es vorsichtig entgegen nahm.
„Vielen Dank.“
Der Mönch nickte und schloss wieder dir Tür, woraufhin Serben mich wieder Richtung Innenhof führte. „Sehen Sie? War ganz einfach.“
„Ich habe nie das Gegenteil behauptet.“
„Das stimmt. Darf ich Sie etwas fragen?“
„Natürlich.“
„Wie kamen Sie auf Drachen?“
„Meine Mutter hat mir früher immer Geschichten über sie erzählt.“
Er sah mich etwas verwirrt an. „Ihre Mutter?“
Ich schloss kurz die Augen. „Ich meine, die Frau, die mich groß gezogen hat. Nein, das ist falsch. Die Frau, die mich groß ziehen sollte.“
„Hat sie das nicht getan?“ Er zog die Brauen zusammen. Von einem Lächeln fehlte jede Spur. Er war offenbar einfach nur verwirrt.
„Um es etwas einfacher zu machen, da ich meine richtige Mutter bis jetzt immer noch nicht kenne, war diese Frau für mich meine Mutter. Aber sie konnte mich nie ganz großziehen. Als ich neun Jahre alt wurde, kam die ganze Familie bei einem Brand ums Leben.“
Er schwieg eine Weile. „Das tut mir Leid. Diese Familie muss wie Ihre eigene gewesen sein, da Sie nichts von Ihrer richtigen Familie wussten.“
„Ja.“
„Ich weiß nicht, ob es die Schmerzen erträglicher macht, aber ich würde Ihnen gerne von Ihrer Familie erzählen, wenn Sie möchten. Aber ein andern Mal.“ Er führte mich am Innenhof in direkt in einen Raum, der offenbar als Wohnstube fungierte. „Jetzt lernen Sie erst einmal lesen.“

Ich saß nun seit Stunden mit Serben über das Buch gebeugt und sah auf all die Wörter und Buchstaben. Serben hatte mir anhand der Wörter erklärt wie einige Buchstaben hießen. Dann hatte er einzelne Wörter ausgesucht die er mich lesen ließ. Es war nicht leicht, aber er war ein guter Lehrer und hatte Geduld mit mir. Wir waren bereits dabei kurze Sätze zu lesen. Sehr kurze Sätze.
„Ist.“, las ich langsam vor. „Sie. Nach. Hause. Ge- gega- ngen. Gegangen."
„Das machen Sie sehr gut.“, lobte mich Serben leise, woraufhin ich auf sah. „Versuchen Sie nicht alles sofort auszusprechen. Lasst Euch Zeit.“, erklärte er.
Ich nickte.
„Jetzt lest mir bitte den Satz vor.“ Er deutete auf einen Satz weiter oben, den ich mir kurz ansah.
„Anna. Lief. Zu. Ihrem. Bruder. Und.“ Ich las das Wort ein paar mal, verstand aber nicht so genau was da stand.
„Umarmte.“, half Serben nach.
„Umarmte ihn.“, beendete ich und sah zu ihm auf.
„Sehr gut.“ Er lächelte mich warm an, wobei wieder sein Grübchen zu sehen war. „Sie lernen schnell, hat Euch das mal jemand gesagt?“
Ich wurde ein wenig rot. „Meine Freundin Alita hat es mal gesagt. Damals war ich neu auf dem Hof und habe gelernt das Feld zu pflügen.“
„Sie haben auf dem Feld gearbeitet?“
„Ja. Es hat Spaß gemacht und ich tat es gerne.“
„War es denn einfach für Euch?“
„Anfangs war es schwer, aber mit der Zeit hatte ich Übung damit und bekam es immer einfacher hin. Mit dem Pferd ging es natürlich einfacher, aber ich war ein trotziges stures Mädchen und wollte es allein machen.“ Ich lächelte ein wenig, was Serben amüsiert erwiderte.
„Was haben Sie noch gemacht?“
„Eigentlich... nichts. Ich war jeden Tag auf dem Feld und habe mich darum gekümmert. Wenn eines der Mädchen krank war, haben wir deren Arbeit übernommen. Also war ich manchmal im Obstgarten oder im Stall. Einmal habe ich auch Fische gefangen.“ Ich verzog ein wenig das Gesicht. „Wusstest du, dass sie so glatt sind, dass sie sofort aus der Hand rutschen?“ Ich duzte ihn automatisch, woraufhin er die Brauen hochzog. Als ich meine Frage genannt hatte, zog er sie jedoch nachdenklich zusammen.
„Nein, das wusste ich nicht. Ich habe weder Fisch in den Händen gehalten, noch habe ich jemals welchen gegessen.“
„Besonders appetitlich finde ich sie nicht. Und sie stinken.“
Er lachte. Er hörte sich schön an. Melodisch.
„Ich hoffe es ist nicht schlimm, wenn ich... dich Du nenne.“
Sein Lachen verebbte langsam. „Nein. Es ist nicht schlimm.“
„Du kannst mich auch Du nennen, wenn du magst.“
„Sehr gerne. Du nennst wohl viele Du, oder?“
„In dem Dorf in dem ich gelegt habe, hat jeder zu jedem Du gesagt.“
„Und trotzdem hast du mich erst mit Sie angesprochen?“
„Das hat Tante Agata mir beigebracht, falls wir mal einen Gast haben. Und davon gab es viele. Sehr viele.“
Er lächelte wieder. Dann schien ihm wieder das Buch einzufallen. „Wollen wir weiter machen?“ Er zog das Buch ordentlich vor uns, während ich nickte. „Gut. Jetzt...“ Er blätterte um und sah sich den Text eine Weile an. „Ließ mir bitte den Satz vor.“
Er deutete auf einen Satz irgendwo in der Mitte, woraufhin ich mich darüber beugte und ihn mir ansah.
„Nadia. Trug. Den. Eimer. Zum. ... Brunnen. Und. Füllte. Ihn. Mit. Wasser.“ Ich sah auf.
„Ließ weiter.“
Nun beugte ich mich wieder über den Text. „Als. Der. Eimer. Voll. War. ... Was ist das für ein Zeichen?“ Ich zeigte auf einen kleinen Strich, der einem Punkt ähnlich sah.
Serben beugte sich zu mir. „Das ist ein Komma. Er verbindet zwei Sätze. Bei Kommas kann man Pausen machen. Zum Beispiel... hier.“ Er deutete auf eine andere Stelle im Text. „Nachdem er die Tür geschlossen hatte, ging er zu Nadia und half ihr beim Aufräumen.“
„Also, eine Art Raststätte?“
„Ja, so kann man es sagen. Dort wo Kommas sind, kannst du Pause zum Luft holen machen. Auch die Betonung ist dann etwas anders. Hör hin: Nachdem er die Tür geschlossen hatte, ging er zu Nadia und half ihr beim Aufräumen.“
„Oh. Ich verstehe.“
„Kannst du weiterlesen, oder hast du noch Fragen.“
Ich schüttelte den Kopf und beugte mich wieder über den Text. „Als der Eimer voll war, ging. Sie. Wieder. Zum. Haus. Und. ... Goss. Das. Wasser. In. Den. ... Koch... In den Kochtopf.“ Wieder sah ich zu ihm auf.
„Das machst du wirklich sehr gut.“, lobte er mich, woraufhin ich erleichtert lächelte. „Möchtest du weiterlesen, oder wollen wir zu Mittag essen?“
Ich dachte kurz nach, bemerkte aber, dass ich kein Hunger hatte. „Ich würde gerne weiterlesen, aber... Hast du keinen Hunger?“
„Ich habe schon längere Zeit ohne Essen verbracht. Wenn du lesen möchtest, kannst du es ruhig tun. Möchtest du die Geschichte von Anfang an lesen und dabei die anderen Buchstaben lernen, oder soll ich dir jetzt den Rest erklären?“
Ich dachte über die Auswahlmöglichkeiten nach und sah auf das Buch hinab. Es war etwa in der Mitte aufgeschlagen, aber noch habe ich das Wort Drache nicht gelesen.
„Ich würde gerne etwas über die Drachen lesen.“
„Das kannst du noch. Versprochen.“
Ich hob abrupt den Kopf. „Du versprichst es mir?“
Er sah mich verwundert an. „Ja. Warum?“
„Ich habe gelernt, das Versprechen eine wichtige Sache sind. Man macht sie nur, wenn man die Person auch mag und ihr vertraut.“
Er lächelte wieder. „Hat man dir mal etwas versprochen?“
„Ein mal. Als ich noch jünger war. Charlie und ich haben uns versprochen immer Freunde zu bleiben. Mit 14 sagten wir dann, wir würden auch nie mehr als Freunde sein. Immer nur Freunde. Und das ist auch gut so.“
„Du magst ihn sehr, oder?“
„Er ist mein bester Freund. Ich bin quasi mit ihm aufgewachsen. Er beschützte mich immer und hat mir oft geholfen. Wenn ich traurig war, hat er mich getröstet und aufgeheitert. Er schafft es immer mich um Lachen zu bringen. Er tut genau das, was ich von einem besten Freund erwarte. Und wenn er mal etwas schlechtes ahnt, warnt er mich. Wie bei Nate zum Beispiel.“
„Nate?“, hakte er vorsichtig nach und hörte mir aufmerksam zu.
„Ja. Etwa vor 5 Jahren ist er ins Dorf gezogen. Absolut jedes Mädchen war ihm verfallen. Und beinahe alle sind auf ihn herein gefallen. Wie ich nun weiß, wollte er nur mit ihnen ins Bett. Charlie hat mir die Augen geöffnet. Das passierte leider erst als wir uns wegen ihm sehr heftig gestritten haben.“
„Ich hoffe es war nicht allzu schlimm.“
„Wir haben uns wieder vertragen. Er ging auf Nummer sicher, dass er mich nie an Nate verlieren würde und alles war wieder okay.“
„Auf Nummer sicher?“
„Weil Nate mich geküsst hat, hat Charlie mich geküsst. Nur ganz kurz.“, fügte ich schnell hinzu, da Serben mich komisch ansah. Sofort glättete sich wieder seine Stirn. „Der Kuss sagte ihm, dass er Nate im Thema Beziehung wieder überlegen war, wenn es um mich geht. Solange er weiß, dass er mich nicht verliert und ich in guten Händen bin, ist er einverstanden mit Beziehungen.“
Nun sah Serben mich nachdenklich an. „Er ist einverstanden? Klingt nach einer veränderten Variante eines Ehemannes.“
„Ich will Charlie nicht verlieren. Genau genommen könnte uns nur jemand auseinander bringen, der mit mir eine Beziehung oder eine Ehe eingeht. Charlie würde sich irgendwie immer Zeit für mich nehmen, wenn ich sie brauche. Darüber mache ich mir keine Sorgen. Aber er hat Angst, er könnte mich an einen Anderen vollständig verlieren, was uns beiden weh tun würde.“
„Also wäre ihm wohler wenn du jemanden bekommst, den er kennt und den er für würdig erklärt.“
Ich lachte leise. „So kann man es sagen, ja.“
Serben lächelte bei dem Klang meines Lachens. „Du hast eine schöne Stimme. Hast du einmal gesungen?“
„Gesungen?“ Ich sah ihn erschrocken an. „Nein. Ich hoffe doch, ich werde nicht singen müssen, oder?“
„Nein. Aber Gesänge sind schön, wenn es die richtigen Lieder sind. Und du hast eine schöne Stimme, also dachte ich... das dein Gesang sicher auch sehr schön ist.“
Ich senkte verlegen den Blick. „Ich kann gar nicht singen.“
„Hast du es denn mal versucht?“
„Äh... Nein.“
„Hast du denn mal gesummt?“
„Oh, das habe ich täglich gemacht.“
„Darf ich es hören?“
Ich sah noch verlegener zu ihm auf. „Du möchtest, dass ich für dich summe?“
„Ich würde mich geehrt fühlen wenn du für mich summen würdest. Und ich würde mich sehr freuen.“
Davon wurde ich nur noch verlegener und spürte wie sich die Röte durch mein Gesicht zog. Sofort sah ich von ihm weg, aber er hatte es bereits gesehen und lachte leise, dass er aber in ein Hüsteln versteckte. Ich hatte es jedoch schon gehört und wurde noch roter. Ich versuchte davon abzulenken, indem ich mich räusperte und an ein Lied dachte, dass ich gerne summte. Dann begann ich erst stockend zu Summen. Dann wurde ich aber selbstsicherer und summte genauso wie damals auf dem Feld. Serben hörte aufmerksam zu und betrachtete mich eingehend, was ich so gut wie möglich ignorierte.
Als ich mit dem Lied fertig war, räusperte ich mich erneut und sah auf das Buch hinab. Die eine Hälfte lag auf meinem Oberschenkel, während die andere auf Serbens Oberschenkel lag.
„Das war wirklich wunderschön.“, meinte er schließlich, woraufhin ich wieder zu ihm auf sah. „Ich bin mir sicher, du hast eine noch schönere Singstimme.“
„Aber... singen werde ich nicht.“
„Wenn du nicht möchtest, musst du auch nicht.“
Ich lächelte ein wenig. Dann sah ich wieder auf das Buch. „Kannst du mir jetzt die anderen Buchstaben beibringen?“
Er lächelte weich und wand sich ebenfalls an das Buch.

Ich atmete tief durch und blätterte zum Anfang des Buches. Endlich hatte ich alle Buchstaben und Zeichen im Kopf. Jetzt konnte ich das Buch von Anfang an lesen.
„Von Anfang an.“, meinte ich und las sogar den Titel vor. „Wenn ... Wenn Drachen... lieben lernen.“
„Hast du schon einmal gehört das Drachen lieben können?“, wollte Serben nachdenklich wissen.
Ich dachte eine Weile nach. „Nein. Nur, dass sie Zuneigung geben und auch Freundschaften schließen können.“ Ich blätterte auf die Erste Seite mit Text. „Prolog. Vor. Vor langer Zeit, als... Könige und... Königinnen noch... noch... noch ehrgeizig waren, ... lebte ein... ein Drache Namens... Drakiel. Er lebte... abgeschieden vom Reich... der Menschen und... und...“
„Herrschte.“, half Serben nach.
„Und herrschte über... seine eigene kleine Insel.“ Ich hob den Kopf. „Ich kann das einfach noch nicht so gut.“
„Du verbesserst dich aber bereits. Denk daran, dass du heute morgen noch nicht mal ein einziges Wort lesen konntest.“
Ich seufzte.
„Du machst das wirklich wunderbar. Wo waren wir? Er herrschte über seine eigene kleine Insel. Kein Mensch wusste von ihm und wusste noch nicht einmal von seiner Existenz. Kein Mensch wusste auch nur von der Insel. Drakiel jedoch kannte die Menschen und wusste, irgendwann würden sie ihn finden. Ließ weiter.“
Ich schluckte. „Kapitel 1. In... Ebanda, eine reiche Stadt im... im Land der Morgenröte, lebte ein junger Mann namens... Jan... Janush...“
„Janushka.“
„Lebte ein junger Mann namens Janushka. Er... er träumte von Reisen... und Abenteuern. Aber er konnte... Ebanda nicht verlassen, weil... weil er seiner Mutter... helfen musste. Sie war krank... und sein Vater war... im... im Krieg gefallen. Janushkas Schwester...“ Was war das denn für ein Name?
Wieder kam Serben mir zur Hilfe. „Salvira.“
Ich seufzte. „Janushkas Schwester Salvira stand hinter ihm... und träumte ebenfalls von... Reisen und Abenteuern, sowie... von Schätzen und Reich... Reichtümern. Die Beiden-“
Ich wurde von einem Klopfen unterbrochen und hob den Kopf. Charlie stand in der Tür und lächelte etwas.
„Wie geht’s voran?“, wollte er wissen und kam näher.
„Sie macht hervorragende Fortschritte.“, gab Serben zurück, „Sie macht es wirklich ausgezeichnet.“
„Ach ja?“
Ich lächelte ihn an. „Ich kann bereits das ganze Alphabet und jedes Zeichen lesen. Ich habe auch schon richtige Sätze gelesen.“
„Super.“ Charlie sah mich begeistert an und sah auf das Buch. „Was liest du denn gerade?“
„Das Buch heißt...“ Ich blätterte zurück und sah mir den Titel an. „Wenn Drachen lieben lernen.“ Ich sah wieder auf und er lächelte mich an.
„Hört sich wirklich gut an.“
„Ich bin aber nicht sonderlich gut.“
„Dafür, dass du heute Morgen damit angefangen hast, bist du wirklich sehr weit gekommen.“, warf Serben ein, „Dein eigener Vater war erst nach einer Woche so gut wie du. Ich selbst brauchte vier Tage. Du bist wirklich sehr lernfähig.“
Ich sah ihn verblüfft an. „So... Wie... Vier Tage?“
„Ja. Erst nach vier Tagen konnte ich Sätze lesen. Und da war ich sogar etwas schlechter als du jetzt. Du machst das von Satz zu Satz immer besser.“
Nun wurde Charlie neugierig. „Ließ mal etwas vor.“, bat er.
Ich blätterte zurück und suchte den Satz bei dem ich war. „Die Beiden halfen ihrer... Mutter so gut es ging und... und er... erleichterten ihr das Leben. Einige andere...“ Ich zog bei dem Wort die Brauen zusammen.
„Dorfbewohner.“, half Serben wieder nach.
„Einige andere Dorfbewohner kamen oft zu... Besuch und halfen manchmal... ebenfalls mit. Eines Tages kam Janushkas Freund... Le- Lea-“
„Leander.“
„Leander zu Besuch und sagte... er habe eine Karte... gefunden.“ Ich sah auf die nächste Seite. „Er hatte sie direkt... mit... mitgebracht und breitete sie... auf dem Tisch aus.“
„Hört sich gar nicht so schlecht an.“, meinte nun Dahlia an der Tür. „Sogar richtig gut. Wann hast du angefangen zu lernen? Vor einer Woche? Anderthalb?“
„Heute.“, gab Serben zurück.
Sie sah ihn mit großen Augen an. „Heute?“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf. „Wirklich... Wow.“ Sie schüttelte erneut den Kopf, diesmal aber wohl eher um ihn frei zu bekommen. „Ich wollte euch zum Essen holen. Charlie hat es wohl vergessen, als er dich lesen hören hat.“ Diesen sah sie vorwurfsvoll an, woraufhin er etwas rot wurde und den Blick ab wand.
„Kann es sein, dass er sie mag?“, wollte Serben leise von mir wissen.
„Ich habe ihn gefragt, aber er weicht ständig aus.“, flüsterte ich zurück.
Dann schlug ich das Buch zu und legte es auf den Tisch vor mir. Währenddessen stand Serben auf und hielt mir nun seine Hand hin, die ich dankbar ergriff und mir aufhelfen ließ. Er lächelte wieder und zeigte dabei sein Grübchen.
„Prinzessin, darf ich Euch zum Essen begleiten?“, bat er und verbeugte sich leicht über meine Hand.
Ich wurde so rot wie noch nie in meinem Leben und sah zu Charlie, der sich nur schwer das Grinsen verkniff. Dahlia nickte hektisch, während Serben sich kein Stück regte.
„Gerne.“, meinte ich dann, woraufhin Serben mir einen Kuss auf den Handrücken gab und sich wieder aufrichtete.
Er legte meine Hand sanft in seine Armbeuge und begleitete mich dann hinaus in den Innenhof und zum Speisesaal. An meinem Platz angekommen – ich hatte keine Ahnung, woher er wusste, dass das mein Platz war – rückte er mir einen Stuhl zurecht und setzte sich dann neben mich. Charlie setzte sich mit Dahlia gegenüber von uns. Dabei fiel mir plötzlich wieder etwas ein.
„Serben?“
Er sah zu mir. „Ja?“
„Der Mönch sagte du wärst Kriegsminister.“
„Ja.“
„Aber Dahlia sagte mir vor einer Woche du wärst oberster Offizier.“
Er lächelte ein wenig weniger. „Genau genommen bin ich beides. Da ich für beide Positionen geeignet bin und weder ein geeigneter Kriegsminister, noch ein geeigneter Offizier vorhanden war, hat dein Vater, der König, mich gebeten beide Posten zu übernehmen.“
„Was macht man denn als Kriegsminister?“
In dem Moment, in dem er antworten wollte, begann das Tischgebet und danach das Abendessen.


5



„Wann er wohl wieder richtig gehen kann?“, fragte ich mich und sah dem Soldat von König Ludwig hinterher, als er die Straße hinab ging.
Charlie lachte leise. „Das dürfte noch ein Weilchen dauern.“
Die drei Männer aus Serbens Truppe, die im Theater waren, hatten eine sehr witzige Vorstellung geliefert. Ursprünglich hatte der Soldat einfach herein gehen wollen, aber einer der drei Schauspieler war direkt vor ihm mit einem Karren vorbei gefahren und dabei sein Fuß überrollt. Der zweite hatte hinten auf dem Karren gesessen und so getan als sei er ein kleiner frecher Junge. Dabei hatte er den Soldat von König Ludwig mit einem Apfel beworfen, der ihn unglücklich getroffen hatte. Der dritte Schauspieler war rückwärts ins Kloster gegangen und hatte dabei ein Haufen Äste mit einem Seil hinter sich her gezogen. Dabei hatte er Ludwigs Soldat quasi umgerannt. Dieser hatte mit Schmerzen am Boden gelegen. Vor etwa zwei Minuten hatte er sich dann aufgerafft und hatte sich wieder zurück geschleppt, während Charlie und ich uns das Lachen verkniffen. Weiter hinten, wo der Soldat es nicht hören konnte, hatte ich Serben lachen hören. Dieser kam nun belustigt grinsend zu uns und seinen drei Soldaten.
„Das habt ihr wirklich nicht schlecht gemacht.“, meinte er an seine Männer.
Einer der Drei trat vor. „Wir haben unser Bestes getan und lediglich dafür gesorgt, dass unsere Prinzessin in Sicherheit ist.“
Serben lächelte seine Männer an. „Erinnert mich Zuhause daran euch etwas mitzugeben. Ich hätte da etwas für euch.“
Der Zweite trat vor. „Sie müssen uns nichts geben. Sie sorgen mit einer Truppen dafür, das unsere Familien sicher sind. Da ist das hier das mindeste gewesen was wir für Euch tun können, Offizier Devons.“
Ich lächelte ein wenig. Serben war offenbar sehr beliebt bei seinen Leuten.
„Ich möchte euch aber entlohnen.“, gab er zurück.
Der Dritte schüttelt den Kopf. „Müssen Sie nicht.“
„Dann... Lasst mich wenigstens euren Kindern ein kleines Geschenk geben.“
„Aber-“
„Kein aber. Jetzt geht.“ Sein Lächeln sah plötzlich gezwungen aus und er senkte unbewusst den Blick. „Ich bin für eine Weile beschäftigt.“
Ohne auf eine Erwiderung zu warten, was ihm irgendwie nicht ähnlich sah, drehte er sich um und ging zum Hauptgebäude. Ich warf Charlie einen kurzen Blick zu und eilte Serben hinterher. Etwa auf halbem Weg erreichte ich ihn und beugte mich etwas vor um sein Gesicht zu sehen. Er sah daraufhin zu mir und lächelte ein wenig.
„Ich hoffe, die kleine Vorstellung hat die gefallen.“, meinte er leise, als müsse er etwas unterdrücken.
Ich lächelte. „Ja. Ich habe so viel gelacht, wie seit Jahren nicht mehr.“ Mein Lächeln verblasste ein wenig. „Geht es dir gut?“
„Ja. Alles in Ordnung.“ Er sah wieder nach vorn.
„Glaube ich dir nicht.“
„Warum?“
„Wenn dein Lächeln echt wäre, hätte ich dein Grübchen gesehen. Aber ich habe keins gesehen. Was ist los?“
Er seufzte und rieb sich über die Brust. „Kann man ein verletztes Herz heilen?“
Ich sah ebenfalls nach vorn und dachte eine Weile nach. Dabei erinnerte ich mich an mein eigenes Herz. „Nein. Aber man kann es pflegen. Und wenn man es richtig tut, tut es irgendwann nicht mehr so sehr weh.“ Wir betraten das Haupthaus, wo ich ihm in die Wohnstube folgte. „Was ist dir passiert?“
Er sah sich um und schloss dann die Tür hinter uns, bevor er sich mit mir setzte. Ich sah ihn wartend an, während er auf seine Hände sah. Irgendwann griff er in sein Hemd und holte eine Kette mit einem runden Metallenem Anhänger heraus. Es sah aus, als wäre es von einem Kind geschmückt worden. Serben nahm die Kette ab und sah sich den Anhänger an. Nun sah ich deutlich, dass ihm Tränen in den Augen standen. Ich sah auf den Anhänger hinab.
„Das habe ich von meinem Sohn bekommen.“, erzählte er leise. „Ein guter Junge. Die Kette hat meine Frau gemacht.“ Dahlia hat gar nicht erwähnt, dass er Frau und Kind hat. Serben atmete kurz durch. „Vor einem Jahr wurde Vervel angegriffen. Meine Frau und ich wohnten außerhalb der Stadtmauern. Sie liebte das Land und unserem Sohn gefiel es auch. Also blieb ich mit ihnen dort.“ Ich ahnte bereits was passiert war. „Ich wurde zum Krieg gerufen und musste die Beiden zurück lassen.“ Er stand auf und ging zu einem Fenster, dass einen winzigen Garten zeigte. Ich folgte ihm und legte ihm eine Hand auf den Rücken. „Es war früh am Morgen als die feindliche Truppe die Stadtmauern erreichte. Die Beiden waren hinein gekommen, wollten aber nicht weit in die Stadt hinein. Ich kämpfte nahe an der Front. Gegen Mittag brachen Sie die Tore auf. Zwanzig Minuten später hörte ich die Schreie der Frauen und Kinder.“ Als er begann zu zittern, legte ich ihm noch eine Hand auf den Arm. „Ihr Schrei war so viel näher. Und als ich mich nach ihr und dem Jungen umsah, sah ich gerade noch wie sie zu Boden ging und der Junge geschnappt wurde. Ich habe versucht ihm zu helfen. Aber sie haben nur auf mich gewartet... und ihn umgebracht als ich kurz vor ihm stand.“ Eine Träne fiel auf den Anhänger. „Er hat es allein gemacht.“, erklärte er mir stolz, „Hat sich dabei den Finger gebrochen, als er mit dem Hammer daneben schlug. Aber er hat einfach weiter gemacht, statt zu seiner Mutter oder zu jemand anderen zu gehen. Als es fertig war, ist er direkt zu mir gegangen. Für den gebrochenen Finger hätte ich ihn am liebsten getadelt, aber...“
„Du konntest nicht.“, beendete ich.
Er nickte und sah dann zu mir. „Aus ihm wäre ein guter Mann geworden. Er hätte sicher eine gute Frau gehabt.“ Er machte eine Pause. „Er hätte zwei Tage später Geburtstag gehabt.“
„Wie alt wäre er geworden?“
Eine weitere Träne rollte über seine Wange. „Er wäre sieben geworden.“
Zögernd legte ich ihm eine Hand an die Wange und wischte ihm die Träne aus dem Augenwinkel, die gerade flüchten wollte.
„Es tut weh seine Familie zu verlieren.“, meinte ich leise, „Aber sieh es so, sie warten jetzt auf uns und sehen zu uns herab. Sie sehen ob wir glücklich sind oder nicht. Glaubst du, sie sind glücklich, wenn sie sehen, dass du unglücklich bist?“
Er zog ganz leicht die Brauen zusammen.
„Ich hatte zwei Brüder und eine kleine Schwester. Zwei wunderbare Eltern. Aber ich bin darüber hinweg gekommen. Vor einigen Wochen war ich sogar richtig glücklich. Was ist mit dir? Bist du glücklich gewesen?“
Er schwieg weiter und sah mich mit leicht zusammen gezogenen Brauen an.
„Ich glaube nicht, dass deine Familie es gern sieht, wenn du unglücklich bist. Besonders, weil deine Frau und dein Sohn dich nicht aufmuntern können.“
Seine Stirn glättete sich langsam und ehe ich mich versah, hielt er mich bereits fest in seinen Armen. Sein Kopf lag auf meiner Schulter, das Gesicht leicht an meinen Hals gedrückt. Ich legte die Arme um seinen Körper und legte ihm die Hände sanft auf den Rücken.
„Weißt du.“, meinte er an meinem Hals. „Der einzige Grund, dass ich noch Soldat bin, ist der, dass ich die Familie meiner Männer beschützen kann. Ich kann die Familien meines Landes beschützen.“
„Ja. Und wir alle sind dir dafür unendlich dankbar. Es passieren schreckliche Dinge im Leben. Aber wir können nichts dagegen tun. Aber denk mal daran, wie viele Familien gäbe es jetzt nicht mehr, wenn sie den Schutz durch dich nicht hätten? Den Schutz, den du ihnen gegeben hast, weil deine eigene Familie... Du willst anderen das Leid ersparen das du ertragen musstest.“
„Du hast ganz weiche Haut.“, murmelte er, bevor er sich langsam von mir löste. „Danke. Ich bin dir etwas schuldig.“
Ich schüttelte den Kopf und lächelte etwas. „Du bist mir nichts schuldig. Ich habe es gern getan.“
„Und dennoch bin ich dir dankbar und möchte dir dafür etwas geben.“
„Du bringst mir das lesen bei.“
„Es ist das Mindeste das ich für dich tun kann.“
„Ich möchte aber nichts-“
„Bitte.“, unterbrach er mich sanft. „Ich möchte dir etwas geben.“
Ich seufzte tief und nickte dann. „Okay.“
Er lächelte wieder und die Trauer war fast nicht mehr zu sehen. „Wir reisen morgen früh ab. Ich werde Dahlia bitten, dich früh genug zu wecken.“
„Wie lange ist es bis nach Vervel?“
„Eine Woche. Höchstens.“ Er nahm sanft meine Hand und führte mich zur Tür und in den Innenhof. „Es wird auch langsam spät. Gleich gibt es Abendessen.“ In seinen verschiedenfarbigen Augen blitze etwas auf. „Darf ich Sie wieder zum Essen begleiten, Ma'am?“
Ich lächelte ihn an. „Liebend gern.“
Er küsste meine Hand und legte sie dann in seine Armbeuge, bevor er mit mir zum Speisesaal ging.

„Du kannst doch reiten, oder?“
Ich sah das große Pferd an, dass Serben zu mir geführt hatte und trat einen Schritt zurück. „Ja, aber...“ Ich trat einen weiteren Schritt zurück. „Das Pferd ist so groß. Und ich mag es nicht sonderlich allein auf einem so großen Pferd zu sitzen. Gibt es hier kein kleineres?“
Ich sah zu Charlie, der sich gerade auf eines dieser riesigen Pferde setzte. Er grinste mich amüsiert an, als er sah, wie weit ich von meinem Pferd weg stand.
„Nun, wenn das so ist.“, meinte Serben, „Du kannst auch bei mir, Charlie, oder einem meiner Männer aufsitzen.“
„Letzteres ist nichts für mich. Und Charlie sieht nicht so aus, als würde er langsam reiten. Im Sinne von, vorsichtig.“
„Adam! Bring doch den Gaul wieder in den Stall!“, rief er dem Jungen zu, der gerade Richtung Stall gehen wollte.
„Okay!“, meinte er und holte kurz das Pferd, bevor er zum Stall ging.
Serben dagegen setzte sich auf sein Pferd und führte es dann zu mir, bevor er mir die Hand reichte. Ich pustete mir mein Pony von der Stirn und ergriff die Hand um mir von ihm auf das Pferd helfen zu lassen. Er war überraschend stark, wie ich bemerkte, als er mich hochzog. Und sein Pferd schien sogar größer zu sein, als Adrians Pferd.
„Du schnürst mir ja fast die Luft ab.“, bemerkte Serben.
Ich hatte sofort die Arme um ihn gelegt und klammerte mich an ihn. „Haben Soldaten immer so große Pferde?“, wollte ich daraufhin wissen. „Oder haben das nur Kriegsminister? Oder Oberste Offiziere?“
Er lachte leise. „Nur ein kleines bisschen lockerer. Dann kann ich mich so bewegen wie sonst auch.“
Ich ließ ein bisschen locker und er atmete kurz durch. Dann sah ich wie Dahlia zu uns eilte.
„Serben!“, rief sie, „Warte!“
Er sah zu ihr und beugte sich zu ihr hinab. Sie sagten leise etwas zueinander, woraufhin sie ihn auf die Wangen küsste. Er küsste sie daraufhin auf die Stirn und richtete sich dann wieder auf.
„Ich hoffe, das der nächste Besuch nicht so lange auf sich warten lässt.“, meinte sie und hob die Hand zum Abschied.
Serben lächelte sie nur an und pfiff dann, um seinen Männern zu signalisieren, dass sie abreisten. Dann ritt er selbst auch schon los. Wir ritten nicht langsam, aber auch nicht wirklich schnell. Dennoch hielt ich mich gut an Serben fest und lehnte meine Wange an seinen Rücken. Es war eigentlich recht still. Lediglich die Hufe der Pferde waren zu hören.
Nach etwa einer halben Stunde Ritt, hob Serben abrupt den Kopf und hielt an. Seine Männer ritten an uns vorbei. Offenbar, weil Serben kein Zeichen gegeben hat, dass sie anhalten sollen. Einer blieb jedoch bei uns zurück.
„Alles in Ordnung, Serben?“, wollte der Mann wissen und sah diesen fragend an.
„Ich bin mir nicht sicher.“, gab der Mann vor mir zurück, und spornte sein Pferd an. „Sag Travis, er soll vor reiten.“
Der Mann neben uns nickte und ritt zu den Anderen. Serben tat es ihm nach, aber kurz darauf ritt einer der Männer voraus. Serben ritt wieder nahe an die Spitze und sah sich aufmerksam beim Reiten um.
„Ist mit dir alles in Ordnung?“, wollte er von mir wissen.
„Ja. Ich bin in Ordnung. Warum fragst du?“
„Ich wollte nur sicher gehen.“
„Warum?“
„Serben!“
Er sah zur Seite, als uns jemand ansprach. „Was hast du gesehen?“ Es war Travis. Der Mann, der voraus geritten war.
„Wir werden einen Umweg machen müssen. Sie haben in der Nähe gerastet.“
Abrupt hielt Serben an und brachte den Rest der Truppe mit einer Handbewegung zum Anhalten. „Sie haben in der Nähe gerastet? Wo genau?“
„Etwa zwei Minuten von hier. Wenn wir durch den Wald gehen, werden wir sie ohne Probleme umrunden können. Außer jemand jagt gerade das Essen.“ Er lachte leise. „Aber den könnten wir genauso gut beseitigen.“
Serben rieb sich das Kinn und sah zu mir. Dann schüttelte er den Kopf. „Kein Blutvergießen. Wenn, dann wird er gefangen genommen.“
Travis nickte.
„Wo können wir reiten ohne gesehen zu werden?“
Nun lächelte er amüsiert. „Da vorn ist ein Pfad. Gut versteckt natürlich, aber wenn wir den nehmen, wird es kein Problem geben. Es wird eine Verzögerung von... Zwei Stunden geben. Demnach müssten wir ein bisschen früher rasten. Wenn wir dann noch früher weiterreisen, dann kommen wir zur geplanten Zeit in Vervel an. Wenn wir aber zu geplanten Zeiten rasten und weiterreisen, dann werden wir womöglich zur Abenddämmerung in Vervel ankommen.“
Ich blinzelte überrascht, angesichts der genauen Zeitangabe. Serben schwieg einen Augenblick und nickte dann. „Reite wieder voraus und sag Bescheid wenn dir irgendwas auffällt.“
Der Mann nickte und ritt in den Wald. Serben blieb jedoch noch stehen und seufzte. Er sah sich aufmerksam um und ritt dann langsam voraus in den Wald. Kaum das er im Schutz des Waldes stand, sah er zu seinen Männern und schien sie zu zählen. Dann sah er wieder nach vorn und ritt etwas schneller weiter.

Ich war hinter Serben eingeschlafen, wie ich feststellte. Irgendwann, nachdem wir den Wald verlassen hatten. Ich wurde davon wach, dass Serben so abrupt hielt, dass ich mich an ihm festhalten musste um nicht hinunter zu fallen.
„Tut mir Leid.“, meinte er, „Ich wollte dich nicht wecken.“
Ich setzte mich richtig hin. „Nicht weiter schlimm. Aber warum bist du angehalten.“ Ich sah in den Himmel. Es war noch helllichter Tag.
„Weil irgendwas nicht stimmt.“
„Schon wieder?“
„Diesmal ist es etwas ganz anderes.“
Als er sein Pferd abrupt ein paar Schritte zurück treten ließ, musste ich mich wieder an ihm festhalten. Dann sah ich wie ein Pfeil direkt vor Serbens Gesicht vorbei flog.
Er fluchte leise und fasste sich ins Gesicht. Es war etwa die Höhe, auf die der Pfeil geflogen war.
„Ist alles okay?“, wollte ich besorgt von ihm wissen.
„Nur ein Kratzer.“, gab er zurück, „Nichts weiter.“
„Lass mich mal sehen.“
„Jetzt nicht. Später.“ Er sah in die Richtung, in der der Pfeil geflogen war und entspannte sich wieder. „Ich hätte es wissen sollen.“ Er klopfte seinem Pferd beruhigend auf den Hals und ritt dann langsam weiter. Die freie Hand lag immer noch in seinem Gesicht.
„Lass mich mal sehen.“, wiederholte ich.
„Später.“, wiederholte er.
Ich seufzte und schüttelte tadelnd den Kopf. „Männer.“
„Es ist nur ein Kratzer.“
„Dann kann ich ihn mir doch kurz ansehen.“
Er seufzte und drehte sich dann zu mir um. Ich nahm seine Hand beiseite und verzog dann das Gesicht. Der Pfeil hatte sein Nasenbein getroffen und die Haut bis auf den Knochen quasi aufgeschlitzt. Ich riss ein kleines Stück meines Kleides ab und tupfte vorsichtig das Blut ab. Er verzog dabei nicht einmal das Gesicht.
„Das wird eine kleine Narbe geben.“, murmelte ich, „Und es muss gesäubert werden. Sonst entzündet es sich noch.“
Er seufzte erneut. „Nicolai, komm mal rüber!“
Ein junger Mann kam zu uns und ritt dann neben uns her. „Was gibt’s?“
„Hast du Rum dabei?“ Ich zog die Brauen zusammen.
„Ja. Augenblick.“ Nicolai griff in seine Satteltasche und förderte eine Flasche zutage.
„Jetzt bräuchten wir noch etwas Stoff.“
„Wirst wohl verarztet, was?“
Serben schnalzte. „Ist immer noch besser, als eine entzündete Verletzung an der Nase.“
„Stimmt auch wieder.“ Er holte ein Tuch hervor und reichte es mir mit der Flasche. „Sei bloß nicht zu grob mit ihm. Wir brauchen ihn noch.“
Mein Mundwinkel zuckte. „Ich überlege es mir.“
Damit fiel Nicolai wieder zurück. Serben sah nach vorn, während ich ein Teil des Tuches mit dem Alkohol tränkte.
„Jetzt sieh mich bitte wieder an.“, meinte ich zu Serben, der sich daraufhin zu mir umdrehte.
Ich begann vorsichtig die Verletzung mit dem Alkohol getränkten Tuch abzutupfen, wobei er ein wenig das Gesicht verzog.
„Nicht so fest.“, bat er als ich aus Versehen etwas zu fest aufdrückte.
„Tut mir Leid.“
„Nicht weiter schlimm. Ich habe schon schlimmeres erlebt.“
„Ach ja? Zum Beispiel?“
„Man hat mir mal ein Schwert in den Oberarm geschlagen. Später hat man Whisky darüber gegossen.“
Ich verzog das Gesicht.
„Genau das habe ich auch getan. Allerdings war ich ein bisschen laut.“
„Ein bisschen?“
Er schrie kurz auf als ich an der falschen Stelle zu fest aufdrückte.
„Tut mir Leid, tut mir Leid.“
„Macht nichts. Sind nur Schmerzen. Und die vergehen. Kann ich kurz nachsehen ob wir vom Pfad abkommen?“
Ich ließ sein Gesicht in Ruhe, woraufhin er sich nach vorn drehte und ich das Tuch erneut mit Rum tränkte. Als er sich wieder zu mir drehte und das Tuch seine Verletzung berührte, schrie er leise auf.
„Das ist definitiv zu viel Alkohol.“, meinte er mit zusammengebissen Zähnen. „Ich hoffe du verrätst mir noch, womit ich das verdient habe.“
„Tut mir Leid. Ich dachte nur, je mehr umso besser.“
„Stimmt auch. Aber die letzte Person die das getan hat, meinte ich hätte selbst Schuld. Dann hat sie sich darüber beschwert, dass ich etwas sooo schlimmes getan hätte.“
„Ach ja?“
„Oh ja.“
„Wer war sie?“
„Meine Mutter.“
Ich lachte ein wenig.
„Sie ist ein Drache. Tut immer viel zu viel Whisky auf das Tuch. Danach bin ich so von Schmerz gelähmt, dass ich froh bin, wenn ich noch gerade sitzen kann.“
Ich zog die Brauen hoch.
„Aber sprich sie nicht darauf an, wenn du sie siehst. Sie sagt nur, ich hätte gelogen.“
Mein Mundwinkel zuckte. „Und wenn sie damit Recht hat?“
„Sehe ich aus als würde ich lügen?“
„Nein, aber du siehst so aus, als würdest du deine Mutter furchterregender darstellen als sie eigentlich ist.“
„Es ist ziemlich frustrierend, wenn die eigenen Männer hören das eine freundliche gutmütige und leider schwache Frau jemanden wie mich übers Knie gelegt hat.“
Ich lachte wieder leise. „Ist der Name Devons eigentlich von deiner Frau übernommen, oder ist es dein eigener?“
„Sie hat meinen übernommen. Es ist der Name meines Vaters.“
„Er muss sehr stolz auf dich sein.“
„Das glaube ich nicht.“
„Warum?“
„Nun, um Einen mochte er mich noch nie. Ich hatte immer nur Augen für die tollen Männer auf den Pferden, die die Stadt beschützen und Schwester halten durften. Er dagegen wollte, dass ich Anwalt wurde um ihn und meine Mutter, jedoch hauptsächlich ihn, gut finanzieren zu können.“
„Ihn gut finanzieren?“
„Er ist, auch wenn ich es ungern sage, ein Taugenichts.“
Ich hielt mit dem Tupfen inne. „Taugenichts?“
„Er kann einfach nichts. Er hat viele verschiedene Berufe ausprobiert. Und jetzt? Jetzt sitzt er Zuhause und betrinkt sich, während Mutter ihm alles hinterher räumen muss. Sie fragt sich bereits warum sie ihn so abgöttisch liebt.“
„Wie sieht er denn aus?“ Ich tupfte vorsichtig weiter.
„Genau genommen, fast genauso wie ich. Nur dass er auf beiden Wangen Grübchen hat, etwas größer ist und etwas andere Gesichtszüge hat. Ich habe einige von Mutter, was mich von ihm unterscheidet.“
„Ich bin fertig.“
Er atmete auf und drehte sich wieder nach vorn.
„Wie ist er denn so? Dein Vater.“
„Wenn er nüchtern ist, ist er sehr freundlich und höflich. Wenn er aber betrunken ist, ist er eher mürrisch und alles andere als kontaktfreudig.“
Ich schlang wieder die Arme um Serben und lehnte meine Wange an seinen Rücken. „Und deine Mutter?“
„Wundervoll. Mir fehlen Worte um sie zu Beschreiben.“
Ich lächelte ein wenig.
„Aber sie kann auch sehr streng sein.“
„Muss sie doch auch.“

Die Tage verstrichen. Ich sah viel von der Landschaft und erzählte Serben oft von meinem nun alten Leben. Im Gegenzug erzählte er mit von seinem Leben. Wenn wir bei der Abenddämmerung rasteten, schlief ich zwischen ihm und Charlie. Aber jedes mal, wenn ich aufwachte, war Serben bereits auf den Beinen und packte die Sachen zusammen.
Als es jedoch diesmal zu Abend dämmerte, sah er sich nicht nach einem Rastplatz um, weshalb ich ihn verwundert ansah.
„Was ist?“, wollte er neugierig wissen und sah aus dem Augenwinkel zu mir hinab, da ich diesmal vor ihm saß, nicht hinter ihm. „Ist dir irgendwas an mir aufgefallen?“ Sein Mundwinkel zuckte, aber seine Augen beschrieben immer noch Neugierde.
„Du siehst dich gar nicht nach einem Rastplatz um.“, gab ich zurück und zog die Brauen zusammen. „Rasten wir nicht?“
„Nein.“
„Warum?“
„Weil du doch sicher ein heißes Bad nehmen möchtest, oder?“
„Ja. Warum?“
„Wir sind gleich in Vervel.“
„Oh. Das war schon eine Woche?“
„Ja.“
„Das kam mir so kurz vor.“
Er lächelte wieder, sodass ich wieder helle Freude an seinem Grübchen finden konnte.
„Ich mag dein Grübchen.“, meinte ich unwillkürlich und hob die Hand um ihm darüber zu streicheln.
Sie wurden etwas intensiver, als er etwas mehr lächelte. „Ich mag es, dass dir mein Grübchen gefällt. Es scheint dich zu mögen.“
Ich lächelte etwas mehr. Als das Grübchen dann langsam verschwand, sah ich ganz zu ihm auf, und bemerkte, dass er mich eingehend betrachtete.
„Serben.“
Er löste abrupt den Blick von mir und sah auf, als Travis ihn ansprach. „Ja?“
Ich drehte mich wieder nach vorn und sah mich nach der Stadt um, während Travis Serben erzählte wie es unter den Leuten aussah. Das tat er jeden Abend. Er sagte, ob alle noch da sind, wie es mit der Gesundheit aussieht und wie viel Verpflegung wir noch hatten. Schließlich merkte ich wie Serben nickte.
„Gut. Wir sind gleich da. Sag den Männern, dass sie sich auf ihre Familien freuen können.“
„Da sind die Stadtmauern.“, bemerkte ich als ich die gemeinten Elemente zwischen den Bäumen sah.
„Ja.“, gab Serben zurück, „Nur noch ein paar Minuten... oder Sekunden.“
Er spornte das Pferd an, sodass ich mich festhalten musste. Da mir dies nicht so recht gelingen wollte, legte Serben mir einen Arm um die Tallie und hielt mich fest. Das Tor war offen, weshalb er nicht anhalten musste. Ich sah mich um als durch die Stadt ritten. Nur zwei Minuten später wurden wir langsamer und Serben ließ mich wieder los. Wir passierten wieder ein Tor
Serben nickte ihm kurz zu. Hier waren mehr Menschen zu sehen. Junge Frauen und Männer, ein paar Kinder, ein altes Paar und Frauen und Männer mittleren Alters. Jede Altersstufe war vertreten. Serben begrüßte einige von ihnen und ritt direkt auf die Burg zu. Als wir in einem Hof ankamen, kam ein Stallbursche an geeilt. Serben stieg vom Pferd ab und hob mich hinunter. Der Bursche nahm das Pferd und brachte es mit einem weiteren weg. Dann kam ein anderer Mann zielstrebig auf Serben zu.
„Herr Kriegsminister.“, meinte er, „Der König erwartet Sie bereits.“
Ein Hofmädchen kam hinzu.
„Geh mit Sally mit.“, flüsterte Serben mir zu, „Wir sehen uns am Thronsaal.“
„Okay.“
Ich folgte dem Hofmädchen in die Burg und wurde von ihr in ein Bad gebracht, wo ich endlich wieder heiß baden konnte.

Eine volle Stunde später stand ich bekleidet und frisiert in meinem neuen Zimmer. Ich persönlich fand das Kleid viel zu schwer. Irgendjemand hatte sich auch in der Kleidergröße vergriffen, denn es war zu eng. Viel zu eng.
Ein Hausmädchen holte mich an meinem Zimmer ab und führte mich durch die Burg, das offenbar eher ein richtiges Schloss war. Nur wenige Minuten später verbeugte sie sich vor mir und ging. Dann tauchte Serben im Gang auf und blieb stehen als er mich sah. Er betrachtete mich kurz und kam dann näher.
„Christy?“ Seine zusammengezogenen Brauen sagten mir, dass er mich offenbar nicht sofort erkannte. „Du bist verdammt blass. Und du siehst darin so...“ Er sah mir prüfend ins Gesicht. „Mager aus.“
„Es ist zu eng.“, meinte ich verlegen, „Ich habe Angst richtig Luft zu holen.“
Er schüttelte den Kopf und nahm mich am Ellenbogen. „So kannst du deinem Vater nicht gegenübertreten. Du brichst ja fast zusammen. Komm mit. Wir besorgen dir ein besseres Kleid. Wer auch immer dir das da gegeben hat... muss schrecklich eifersüchtig auf dich sein.“
„Ach ja?“ Ich war doch gerade erst angekommen.
„Schon gut. Wird schon nicht so schlimm sein.“ Er führte mich in mein Zimmer zurück und sah sich dann zaghaft meine Kleider durch. „Das ist alles... viel zu eng.“, bemerkte er, „Sogar deine Schuhe. Oder?“ Er sah zu mir, woraufhin ich einfach aus meinen Schuhen schlüpfte und aufatmete.
„Viel zu klein.“, stimmte ich zu.
Er machte ein etwas verärgertes Gesicht und sah sich weiter die Kleider durch. Dann murrte er und wand sich von meinem Schrank ab, offenbar um nachzudenken.
„Gib mir fünf Minuten. Ich bin gleich wieder da.“
Ich nickte, woraufhin er wieder ging. Nach etwa zwei Minuten kam ein Hausmädchen herein.
„Prinzessin, Ihr Vater wartet. Wurden Sie nicht vor den Thronsaal gebracht?“
„Doch aber-“
„Er wartet, Ma'am. Ich soll sie in den Saal bringen.“
„Ich... Ich warte noch auf jemanden.“
„Ma'am, Ihr Vater wartet. Er möchte euch wirklich sehr gerne sehen.“
So ging dass hin und her. Sie bat mich mitzukommen und ich versuchte Zeit zu schinden. Dann tauchte Serben wieder auf.
„Dina.“, meinte er leicht verärgert, „Was machst du hier?“
Das Hausmädchen wurde etwas rot und senkte den Blick. „Ich soll die Prinzessin in den Thronsaal bringen.“
„Das muss warten. Man hat ihr zu enge Kleider besorgt. Sie wird sich nochmal umziehen. Dann bringe ich sie zu ihrem Vater.“
Sie wurde etwas roter. „Aber, Herr Kriegsminis-“
„Kein aber. Sie kann nicht vor den König, wenn die Gefahr besteht, dass sie ohnmächtig wird.“ Er trat zu mir, half mir auf und drehte mich dann um, um die Bänder zu lockern, die das Kleid so eng machten. „Jetzt geh und sah dem König das seine Tochter etwas später kommt, weil jemand die Kleidergrößen nicht kennt und sogar zu kleine Schuhe besorgt hat.“
Ich atmete auf als ich wieder Luft bekam und hielt mich am Bettgestell fest, damit ich nicht zusammenbrach. Serben tat aber nicht mehr als die Bänder zu lockern.
„Zieh dich um.“, meinte er sanft zu mir als die Tür zugefallen war. „Ich warte im Flur auf dich.“
Damit ließ er ganz von mir ab und verließ den Raum. Das Kleid hatte er aufs Bett gelegt und die Schuhe daneben gestellt. Ich schälte mich aus dem viel zu engen Kleid und zog dann das von Serben an. Bei den Bändern hielt ich jedoch inne. Weder wusste ich wie man jemanden schnürte, noch konnte ich es bei mir selbst machen. Ich wurde etwas rot, als ich daran dachte, dass ich nur Serben darum bitten konnte mich zu schnüren.
Ich schluckte kurz, ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt. Er stand gegenüber der Tür an der Wand gelehnt und sah auf seine Schuhe, während er die Arme vor der Brust verschränkt hatte und offenbar nachdachte. Als ich die Tür öffnete, sah er abrupt auf.
„Schon fertig?“, hakte er nach.
Ich wurde etwas roter. „Nicht ganz.“
Er zog die Brauen zusammen.
„Ich kann nicht schnüren.“
„Oh.“ Er richtete sich auf und kam zu mir ins Zimmer, woraufhin ich wartete und das Kleid festhielt, damit es an Ort und stelle blieb und nicht verrutschte.
Serben trat hinter mich und zog vorsichtig die Bänder zurecht. Keine ganze Minute später ließ er wieder los und hob die Schuhe auf, mit denen er sich vor mich kniete. Ich zog das Kleid hoch und hob einen Fuß, damit er mir hinein helfen konnte.
„Du hast hübsche Füße.“, bemerkte er und half mir in einen der Schuhe.
Ich schauderte ein wenig als seine Hand mein Knöchel streifte. Nachdem er mir dann in den anderen Schuh geholfen hatte, stand er wieder auf und sah zu mir.
„Bereit?“
Ich zögerte kurz. „Nein.“
Er schmunzelte. „Nervös?“
„Ja.“
„Keine Angst. Er wird dich schon mögen.“ Er nahm mich sanft am Ellenbogen, woraufhin ich mich an seinen Arm klammerte.
„Deshalb bin ich nicht nervös.“
„Und warum dann?“
„Weil mich alle anstarren werden.“
Er lachte leise und brachte mich dazu mich so an seinen Arm zu klammern, dass es wenigstens noch ordentlich aussah. „Es sind nicht sehr viele im Thronsaal. Nur deine Eltern, dein Bruder-“
„Ich hab ganz vergessen das ich einen Bruder habe!“ Ich fasste mir an den Kopf und bemerkte erneut, dass meine Haare frisiert waren. Ich verzog das Gesicht, woraufhin Serben ein paar Spangen aus meinem Haar nahm.
„Es wird schon alles gut gehen.“
„Wer wird noch da sein?“
„Ich, mein Schwager, meine zweite Schwester-“
„Talina?“
„Ja. Dahlia hat dir von ihr erzählt, richtig?“
„Ja.“
„Dann werden noch die Wachen da sein, aber die werden dich nur anstarren wenn du vor ihnen bist.“
„Schlimm genug.“
Er richtete ein paar Strähnen und betrachtete mich dann kurz. „Wunderschön.“
Ich wurde rot. Er dagegen führte mich hinaus und zum Thronsaal, wo er kurz stehen blieb.
„Du stehst nicht vor einem Zusammenbruch, oder?“, fragte er nach.
„Noch nicht.“
„Ich gebe dir noch ein paar Sekunden.“
„Danke.“ Ich atmete kurz durch und starrte dabei auf die Tür vor mir.
„Okay, dann wollen wir mal.“ Ohne zu zögern, trat er mit mir vor und öffnete die Tür.
Der Saal war kleiner als ich dachte, aber einfach wunderschön. Aber ich konnte den Blick einfach nicht von den drei Personen abwenden, die dort am Ende des langen Teppichs warteten und mich beobachteten. Bei jedem Schritt. Und jedem Atemzug.
„Du fängst an zu hyperventilieren.“, bemerkte Serben.
„Wäre es schlimm wenn ich jetzt abhaue?“
Als ich den Blick von meiner neuen Familie auf Serben lenkte, bemerkte ich das er sich nur schwer ein Grinsen verkniff. Ich sah wieder nach vorn.
„Also ja. Wäre es schlimm, wenn ich ein Zusammenbruch vortäusche?“
„Das wird dann das peinlichste Erlebnis werden, das du je hattest.“
Ich biss mir leicht auf die Unterlippe.
„Du wirst schon wieder blass.“, meinte er leise, damit meine Familie das nicht hörte.
„Ich bekomme gerade wieder Atemnot.“
„Wenn du umkippst, muss ich dich beatmen.“, informierte er mich.
Ich bekam nur noch schwerer Luft. „Hättest du das nicht für dich behalten können?“
„Warum?“
„Weil ich gleich nicht mehr atmen kann.“
Er blieb mit mir vor meiner neuen Familie stehen und verbeugte sich. „Ich bringe euch Eure Tochter...“ Er sah zu dem jüngeren Mann. „und Schwester. Sie ist an den Namen Christy gewohnt.“
Ich verkniff mir eine Bemerkung und bemerkte den Mann der sich zum König beugte um ihm etwas zu sagen. Dieser nickte und stand auf um zu mir zu kommen. Als Serben Anstalt machte mich loszulassen, hielt ich ihn nur noch fester, woraufhin er leise seufzte und stehen blieb. Mein 'richtiger' Vater nahm mich in die Arme und küsste mich auf die Stirn.
„Ich bin froh das du wieder da bist.“, meinte er und drückte mich erneut an sich. „Ich hoffe du lebst dich gut ein.“
Ich schaffte es zu lächeln, ohne das meine Lippen vor Nervosität zitterten, schaffte es jedoch nicht, auch nur ein Wort über meine Lippen zu bringen. Als der König Serben fragend ansah, verkniff sich dieser sichtbar eine Bemerkung.
„Sie ist müde.“, erklärte er, „Und erschöpft.“
Mein Vater küsste mich nochmal auf die Stirn und setzte sich dann wieder. Dann stand die Königin auf und kam zu mir um mich zu umarmen. Ein angenehmer Duft kam ihr zuvor, der mich erahnen ließ, dass sie sehr liebevoll sein musste.
„Willkommen daheim, meine liebe Christy. Ich habe mich sehr nach dir gesehnt und bin überglücklich, dich endlich wieder in den Armen halten zu dürfen.“
Meine Beine begannen zu zittern und es war noch schwerer nicht zusammenzubrechen. Meine Mutter setzte sich wieder und der junge Mann, der offenbar mein Bruder ist, stand auf und kam zu mir. Etwa ein Schritt von mir entfernt blieb er stehen und betrachtete mich kurz.
„Christy, ja?“ Er sah mich nochmal von oben bis unten an und lächelte mich dann an, bevor er mich in die Arme zog und fest bei sich hielt. „Schön dich wieder hier zu haben, kleiner Schreihals.“
Seit Jahren fühlte ich mich wieder so geborgen wie bei meinen Brüdern. Nur, dass es bei meinem richtigen Bruder... intensiver war. Er schien vertraut.
Er hielt mich noch eine Weile fest und küsste mich dann auf Wangen und Stirn, bevor er mich wieder losließ. „Jetzt geh und schlaf dich aus, Kleine. Du wirst eine Menge lernen müssen, wie es aussieht.“ Er sah zu Serben. „Was ist eigentlich so witzig? Du scheinst dich prächtig zu amüsieren und lässt uns nicht teilhaben.“
„Es würde deiner Schwester sehr missfallen, wenn ich es erwähnen würde.“, gab Serben zurück.
Ich trat ihm leicht auf den Fuß, woraufhin sein Mundwinkel zuckte. Mein Bruder schüttelte nur den Kopf und küsste mich erneut auf die Stirn.
„Gute Nacht, Christy.“
„Gute Nacht.“, gab ich müde zurück, woraufhin ich in den Augen meines Bruders etwas aufblitzen sah. Hoffentlich dachte er nicht ans Singen.
Serben verbeugte sich nochmal und brachte mich dann wieder hinaus. „Lief doch ganz gut.“, meinte er als er mich durch die Flure führte.
„Ich wäre lieber zusammengebrochen.“
Er lachte leise. „Dann warte bis morgen.“
„Wie bitte?“ Ich sah ihn erschrocken an.
„Du wirst dem Volk vorgestellt. Und übermorgen gibt es ein Ball.“
„Ein... Ein Ball?“
„Ja warum?“
Ich brach zusammen.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einem Bett. Ich bemerkte etwas warmes an meiner Wange, öffnete die Augen und sah in ein blaues und ein grünes Auge.
„Na, wieder da?“, neckte Serben mich amüsiert.
„Ich wünschte die Ohnmacht hätte noch etwas länger angehalten.“
„Ich auch. Dann hätte ich dich weiter beatmen müssen.“
„Weiter... beatmen?“ Meine Augen wurden etwas größer. Als ich mir unwillkürlich über die Lippen leckte, bemerkte ich einen wirklich fantastischen Geschmack. „Du meinst... mich... küssen?“
„So kann man es auch nennen, auch wenn beatmen vernünftiger klingt.“
Mein Herz schlug mir bereits bis zum Hals. „I-i-ich weiß nicht ob das eine s-so gute Idee ist.“
„Warum? Bist du bereits vergeben?“
„W-was? N-n-nein. Wie komm-m-mmst du d-darauf?“
„Was ist dann der Grund?“
„I-ich... Ich... I-i... Ich...“
Er lächelte etwas und stützte sich mit den Armen neben meinen Kopf ab, woran ich erkannte, dass ich nun in einem Bett lag.
„Das wollte ich bereits tun, als ich dich das erste mal im Kloster gesehen habe.“ Er wurde ernst und beugte sich langsam zu mir hinab.
Als er mich dann küsste, wünschte ich mir nur noch, er würde damit nie wieder aufhören. Ich sah diese wunderschönen Augen und konnte einfach nicht aufhören den Kuss zu erwidern. Mir fielen die Augen zu und ich schlang die Arme um ihn, woraufhin er mich etwas leidenschaftlicher küsste und seine Zunge in meinen Mund gleiten ließ. Es war ein unglaubliches Gefühl.
Ich seufzte als er sich von mir löste und sah ihm wieder in die Augen. Er blickte zurück und ich war mir sicher etwas in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Seine Hände streichelten sanft meine Wange, während er ihr mit Blicken folgte.
„Ich möchte weitermachen.“, meinte er leise.
„Dann tu es.“
„Es geht nicht.“ Er sah mir wieder in die Augen. „Du bist die Prinzessin.“
„Und wenn ich es will?“
„Vor wenigen Sekunden hast du versucht mich zurückzuhalten.“ Erzog die Brauen zusammen. „Warum eigentlich?“
Statt zu antworten, zog ich mich zu ihm hoch und küsste ihn, wobei ich ihn auf den Rücken schob und mich über ihn beugte. Dann ließ ich jedoch abrupt von ihm ab, um das Kleid an Ort zu Stelle zu halten.
„Du hast es aufgemacht!“ Es war ein Vorwurf, klang jedoch wie eine Frage.
Wieder zuckte sein Mundwinkel und für den Bruchteil einer Sekunden war sein Grübchen zu sehen. „Ich dachte, du würdest nicht besonders gut an die Bänder kommen und wollte dir ein wenig helfen.“
Ich starrte ihn an. „Hast du-“
„Nein. Ich habe dich nicht... angesehen. Ich habe nur die Bänder geöffnet.“
Ich seufzte und sah mich um. Es war mein Zimmer, wie ich feststellte.
„Ich sollte jetzt besser gehen.“, meinte Serben und schob sich unter mir weg.
„Warte.“
Er hielt inne und sah zu mir, während ich unschlüssig dasaß und mir leicht auf die Lippe biss. Ich wusste nicht was er sich dachte, aber schließlich richtete er sich etwas auf und küsste mich nochmal. Ich seufzte nahezu erleichtert und ließ mich von ihm auf den Rücken drehen. Dann löste er sich jedoch wieder von mir.
„Gute Nacht... Prinzessin.“ Damit stand er vom Bett auf und ging hinaus, während ich mich auf die Ellenbogen stützte und ihm enttäuscht hinterher sah.
Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, ließ ich mich seufzend ins Kissen fallen. „Offenbar bin ich dazu verdammt, nie auch nur ein Anzeichen einer schönen Erinnerung zu bekommen. Abgesehen von kleinen Erinnerungen.“
Ich seufzte erneut in mich hinein und stand auf um ein Nachthemd zu suchen. Als ich wenige Augenblicke später in diesem riesigen weichen Bett lag, merkte ich, dass ich so nicht schlafen konnte. Also nahm ich mir die Decke und ein paar Kissen, legte die meisten Kissen der Länge nach auf den Boden und benutzte eins für das, wozu es gemacht wurde und legte mich hin. Das war schon vertrauter, was den Komfort betraf. Zwar reizte der Samt meine Haut, da er so neu für mich war, aber das schien noch okay zu sein. Schlimmer war der Geruch, der überall im Zimmer war. Es roch nach Jasmin und Lavendel. Ich vermisste dieses ungemütliche kleine Zimmer auf Agatas Hof. Die unschönen Kleider mit den Löchern und Flicken. Den Geruch des Feldes und der Tiere. Aber am Meisten vermisste ich Alita. Meine beste Freundin. Und all diese Dinge, die ich missen musste, brachten mich zum ersten mal dazu, wegen etwas nicht familiären zu weinen. Aber die Tatsache, dass ich danach noch erschöpfter war als vorher, half mir dabei besser einzuschlafen.

„Was machst du denn da auf dem Boden?“
Ich zuckte bei der Stimme meines Bruders zusammen und öffnete müde die Augen. „Hm?“
Er kam zu mir und hockte sich vor mich. „Ich habe gefragt, was du da unten machst.“
„Schlafen.“, nuschelte ich und kugelte mich etwas mehr zusammen um weiter zu schlafen.
„Ja, das sehe ich. Aber warum schläfst du nicht im Bett?“
„Zu weich.“
„Zu weich? Ich dachte, Frauen mögen es weich.“
Ich seufzte und sah ihn müde an. „Muss ich etwa aufstehen?“
„Eigentlich schon, aber es wäre nett,wenn du mir sagen würdest, wie ein Bett zu weich sein kann.“
Ich murrte und setzte mich langsam auf. „Ich bin auf dem Land groß geworden. Da sind die Betten härter. Und ich bin diese Betten gewohnt.“
Er sah von meinem improvisierten Bett zum richtigen Bett und wieder zurück. „Möchtest du eine härtere Matratze? Dann kannst du dich langsam an ein weiches Bett gewöhnen.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich bin furchtbar müde.“
Er lächelte etwas und tätschelte mir den Kopf. „Dann schlaf halt noch etwas. Aber gegen Mittag musst du dann aufstehen.“
„Warum?“
Er schürzte die Lippen. „Das Volk will dich sehen. Und dann machen wir einen Ausflug durch die Stadt. Man sagte mir, du brauchst Kleider und Schuhe. Und Tanzunterricht?“
„Einfache Tänze kann ich.“
„Einfache Tänze?“
„Naja... in dem Dorf in dem ich gelebt habe, wurden hin und wieder Feste gefeiert. Das Frühjahrsfest zum Beispiel. Oder zur Wintersonnenwende. Zur Sommersonnenwende. Und ein Fest in der Erntezeit, um all die Mahlzeiten zu segnen die wir dank der Ernte einnehmen können.“ Ich rieb mir ein Auge. „Da wurde getanzt. Walzer. Und noch was anderes. Und Volkstänze.“
„Was für Volkstänze?“
„Oh, ganz verschiedene. Zur Flöte, zu Trommeln-“
„Nein, ich meine, was sind das für Volkstänze?“
Ich zog die Brauen zusammen. „Weißt du nicht was das ist?“
„Ich habe nur davon gehört.“
Ich sah ihn mit großen Augen an. „Na, dann wird es aber Zeit, dass du mal eins kennen lernst. Aber...“
„Aber?“
„Allein lässt es sich schlecht zeigen.“ Ich seufzte. „Ich wünschte Alita wäre hier.“
„Eine Freundin?“
„Meine beste Freundin.“
Er schürzte die Lippen. „Glaubst du, es würde ihr hier gefallen?“
„Alita? Auf jeden Fall.“
„Und sie wohnt in dem Dorf, in dem du warst?“
„Nein. Auf einem Hof dort in der Nähe. Es wird immer Agatas Hof genannt, weil Tante Agata für den Hof bekannt ist.“
Er lächelte ein wenig. „Bist du wach, oder möchtest du weiter schlafen?“
„Jetzt bin ich- Hey. Wolltest du mich mit den ganzen Fragen nur wach machen?“
„Zum Einen. Zum Anderen bin ich aber auch sehr neugierig auf die Dinge die du mir erzählen kannst. Und... Alita... Ich kann jemanden zu ihr schicken um sie her zu holen.“
Ich sah ihn wieder mit großen Augen an. „Das würdest du machen?“
„Aber sicher. Sie könnte hier im Schloss wohnen. Oder in der Stadt, je nach dem, was sie lieber möchte.“
Mit einem begeisterten Aufschrei fiel ich ihm in die Arme und warf uns beide damit um. „Danke, danke danke!“ Ich küsste ihn wieder und wieder auf die Wangen, woraufhin er lachte und die Arme um mich schlang.
„Ach, du weißt noch gar nicht wie ich heiße, richtig?“
Ich sah auf ihn hinab. „Nein. Wie heißt du denn?“ Ich sah ihn so neugierig an, dass er wieder lachen musste.
Er schlang fest die Arme um mich und drückte seine Wange an meinen Hals. „Ach, ich bin so froh, dass du wieder da bist. Es fällt mir schwer dich wieder loszulassen.“ Er sah mich wieder an. „Und mein Name ist Bastian.“
Ich lächelte. „Toller Name.“
„Du hast eigentlich einen anderen, aber Christy gefällt mir.“
„Wie wollten die Beiden mich denn nennen?“
„Die Beiden? Mom und Dad?“
Ich schloss kurz die Augen und haute mir mit der flachen Hand leicht auf die Schläfe. „Ja. Genau. Mom und Dad.“ Ich sah ihn wieder neugierig an. „Wie wollten sie mich nennen?“
„Vivian.“
„Oh. Schöner Name.“
„Ja, aber Christy passt zu dir. Es kommt von Christal und das heißt immerhin Kristall. Und du strahlst wie ein Kristall.“
Ich lächelte etwas. „Du bist jetzt fünfundzwanzig, richtig?“
„Ja. Du müsstest demnach zwanzig sein.“
„Ja. Ich kann mir kaum vorstellen, dass du älter sein sollst als ich.“
„Oder das du jünger bist als ich. Du bist erwachsener als ich dachte.“
Ich lächelte etwas mehr und küsste ihn auf die Wange. Daraufhin setzte er mich hin und stand wieder auf.
„Jetzt geh ich raus, damit du dich anziehen kannst.“
„Okay.“
Er ging zur Tür.
„Ach, und Bastian?“
Er hielt mit der Hand am Griff inne und sah mich an. „Was gibt’s?“
„Weißt du wo Serben ist? Oder Adrian?“
„Adrian ist zwei Tage nach seiner Ankunft wieder abgereist und noch nicht zurück. Serben ist wahrscheinlich auf dem Trainingsplatz und trainiert mit seinen Männern. Und, dein Freund Charlie, falls du ihn suchst, er wollte sich ein wenig umsehen.“
Ich nickte. „Danke.“
Er lächelte. „Gerne.“
Damit verließ er das Zimmer und ließ mich allein zurück.

Nervös sah ich zu Bastian, der neben mir trat und an seinen Manschettenknöpfen herum fummelte.
„Lass mich das machen.“, meinte ich und griff bereits nach seinem Handgelenk.
„Eigentlich sollte ich es ein Hausmädchen machen lasse, statt dich.“, gab er zurück und sah nachdenklich zu wie ich die Knöpfe schloss.
„Das ist eines der Gründe, weshalb ich die vornehme Gesellschaft nicht mag.“
„Du magst uns nicht?“
Ich sah ihn tadelnd an. „Natürlich mag ich dich. Ich mag es nur nicht, wenn man andere das tun lässt, was man genauso gut selbst machen könnte.“
„Wie meinst du das?“
Ich sah mich um. „Wer macht das alles hier sauber?“
„Das machen die Putzfrauen.“
„Wer macht das Essen?“
„Die Köchin.“
„Und wer bringt das Essen auf den Tisch?“
„Hausmädchen.“
Ich nickte. „Wer holt Wasser vom Brunnen?“
„Die Dienstmagd, glaube ich.“
„Gibt es hier Tiere?“
„Ja. Hühner und Schweine. Und Gänse.“
„Wer füttert die?“
„Eine Dienstmagd, nehme ich an.“
„Genau das meine ich.“
„Was denn?“
„Was tust du?“
Er zog die Brauen zusammen. „Ich...“
„Was tut Mom? Oder Dad?“
„Sie regieren.“
„Und weiter?“
„Sie... kümmern sich um die Angestellten.“
„Was tust du nochmal?“
„Ich... Ich äh...“ Er rieb sich den Nacken. „Ich helfe Mom und Dad bei Entscheidungen. Ich organisiere die Feste in der Stadt.“
„All das sind Dinge, die immer in bestimmten Abständen getan werden.“
Er sah mich verwirrt an. „Und?“
„Wie oft musst du ein Fest organisieren?“
„Etwa alle drei Monate.“
„Und wie oft muss die Köchin kochen?“
„Drei mal am Tag.“ Langsam schien er zu verstehen. „Viel öfter als ich etwas tun muss.“
Ich nickte. „Genau. Ihr macht euch das Leben leicht, indem ihr jemanden dafür bezahlt, das zu tun, was ihr nicht tun wollt oder könnt, weil ihr es nicht gelernt habt.“
Er zog wieder die Brauen zusammen.
„Hast du jemals eine Schaufel in der Hand gehalten?“
„Schaufel?“ Er sah mich irritiert an. „Was...“
„Du weiß nicht was das ist?“
Er schüttelte langsam den Kopf, woraufhin ich ihn mit großen Augen ansah.
„Oje. Wo bin ich hier nur gelandet?“
Er lächelte schräg. „Im Königshaus. Und müssen wir raus. Das Volk will dich sehen.“
Ich sah zwischen den Vorhängen auf die riesige Terrasse hinaus. Dann nahm Bastian mich sanft am Ellenbogen und führte mich hinaus. Wir schritten über weißen Marmor und gingen dann eine Treppe hinunter die auf einen Platz führte. Dort unten waren die Bürger der Stadt. Ich sah Frauen, Männer und Kinder. Viele sahen aus als wären sie wohlhabend. Einige sehen aber auch aus, als würden sie gerade so über die Runden kommen.
Als wir die letzte Stufe verließen, rannte ein Mädchen aus der Menge und blieb abrupt stehen, konnte sich jedoch nicht mehr davor retten zu stolpern. Aus Reflex ging ich sofort auf die Knie und fing sie auf.
„Alles okay?“, fragte ich sie leicht besorgt und lächelte sie an.
Sie lächelte strahlend zurück und nickte hektisch, bevor sie sich von mir löste und wieder in die Menge eilte. Als Bastian mir seine Hand reichte, ließ ich mir aufhelfen und bemerkte seinen nachdenklichen Blick.
„Warum hast du sie aufgefangen?“, fragte er leicht verwundert.
„Hättest du sie fallen lassen?“
„Ich hätte ihr aufgeholfen.“
„Sie hätte sich ernsthaft verletzen können. Man kann doch nicht einfach jemanden fallen lassen.“
Nun sah er mich nachdenklich an. „Du hast eine interessante Art zu denken.“
Ich zog die Brauen hoch. Dann schüttelte ich den Kopf und ließ mich von ihm weiter führen. Ich wusste nicht genau wohin er mich brachte. Aber irgendwann standen wir auf einem Podest, wo wir auf alle Bürger sehen konnten. Als Bastian die Hand hob, verstummten sie, sodass er sprechen konnte.
„Zwölf Jahre lang warten wir auf die Prinzessin, die zum Schutze vor den Feinden, an eine Familie auf dem Lande gegeben wurde.“, begann er, „Nun ist sie zurück und ich freue mich euch unsere Prinzessin vorstellen zu dürfen. Prinzessin Christy von Vervel!“
Die Menge begann zu jubeln, während ich einfach nur dort stand und lächelte.


6



„Nochmal. Eins, zwei, drei; eins zwei drei...“
Ich seufzte und versuchte so wenig wie möglich auf meine Füße zu sehen. Diese Tänze waren der reinste Horror. Man musste ständig aufpassen dem Partner nicht auf die Füße zu treten. Als mir dies nun wieder passierte, stieg ich sofort vom Fuß herunter und entschuldigte mich.
„Wie geht’s voran?“, wollte Bastian wissen als er herein kam.
„Grauenhaft.“, meinte der Tanzlehrer sofort und gab meinem Partner ein Zeichen, dass wir eine Pause machten.
„Ich hasse diese Tänze.“, beschwerte ich mich, „Das ist nicht mal tanzen. Das sind einfach nur Schritte und aufpassen niemandem auf die Pfoten zu treten.“
„Pfoten!“, rief mein Tanzlehrer empört aus.
Ich verzog das Gesicht. „Damit meine ich die Füße.“
„Ajajaj. Diese Frau ist der reinste Horror, Prinz Bastian. Mit diesen Manieren kann man sie nicht auf den Ball lassen.“
„Christy, es gehört sich nicht, die Füße eines Menschen als Pfoten zu bezeichnen.“, belehrte mich Bastian.
„Ah, ich verstehe, aber Hände darf man Tatzen nennen? Tatzen und Pfoten sind das Selbe.“
„Hunde haben Pfoten. Katzen haben Tatzen.“
„Beide haben Pfoten. Bei Katzen sind sie nur kleiner. Außerdem kann ich nicht die ganze Zeit die selben Schritte machen. Immer nur hin und her, da wird einem langweilig. Der einzige Grund, weshalb ich noch nicht eingeschlafen bin, ist der, dass ich mich entschuldigen musste, ihm auf die Pfoten getreten zu sein. Das ist einfach kein Tanz. Tanzen soll Spaß machen. Das hier... Da schläft man ein!“
„Das ist ein ganz normaler Tanz.“
„Nein. Komm mal her.“
Er trat zu mir und ich nahm seine Hände.
„Ich zeige dir was ein ganz normaler Tanz ist.“
Damit begann ich einfach so zu tanzen wie ich es kannte. Bastian versuchte offenbar irgendein System zu finden und stolperte einige Male sogar. Letzten Endes ließ er mich los und sah mich verwirrt an.
„Was machst du da?“, wollte er wissen und fasste sich an den Kopf.
„Tanzen.“
Er rieb sich den Schopf und schüttelte angestrengt den Kopf. Als ein Angestellter herein kam, sahen wir alle zu ihm.
„Entschuldigen Sie bitte die Störung. Befehlshaber Devons ist gerade eingetroffen und hat eine Frau mitgebracht. Er verlangt Prinzessin Christy zu sehen.“
Ich machte mich sofort auf den Weg. Bastian sah mir erst hinterher, folgte mir dann aber. In der Eingangshalle sah ich aber erst die Frau.
„Alita!“, rief ich aus und eilte auf sie zu.
Sie konnte sich gerade noch umdrehen und fing mich dann auf. „Hey, da bist du ja!“, meinte sie begeistert, „Wir haben uns alle Sorgen gemacht als du, Charlie und Adrian einfach so verschwunden seit. Du glaubst nicht was das für ein Horror war. Und...“ Ich hielt inne als sie mich richtig sah. „Wow. Du bist ja kaum wieder zu erkennen. Dreh dich mal.“
Ich drehte mich um meine eigene Achse und sah sie dann wieder an. Sie dagegen schüttelte den Kopf und zog die Brauen zusammen.
„Das passt irgendwie nicht.“
„Sie sieht doch reizend aus.“, meinte Bastian und trat neben mich. „Sie sind also Alita?“
Meine beste Freundin machte große Augen als sie Bastian sah. Ihr Mund klappte auf, aber nichts kam heraus. Als dann Serben herein kam, wurden ihre Augen noch größer.
„Ich habe gerade gehört das mein kleiner Bruder wieder da ist?“, wollte er wissen und sah sich um. „Hmm... Nichts zu sehen. Weiß jemand von euch wo er ist?“
„Ich habe ihn nicht gesehen.“, gab ich zurück.
„Bruder?“, hakte Alita völlig durcheinander nach.
„Adrian.“, informierte ich sie.
„Er wollte nochmal nach seinem Pferd sehen. Aber... wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“
Serben lächelte etwas und verbeugte sich. „Serben Devons. Oberster Offizier und Kriegsminister.“
„Heiliger Bimbam.“ Sie fasste sich an den Kopf und sah zu Bastian. „Und Sie?“
„Prinz Bastian von Vervel.“
Sie sah mich unsicher an. „Und demnach wärst du jetzt...?“
„Prinzessin Christy von Vervel.“, gab Bastian zurück.
„Ach du... Und Adrian?“
„Mein Bruder und zweiter Befehlshaber.“, antwortete Serben. „Und Sie sind?“
„Alita. Christys Freundin.“ Sie rieb sich die Schläfe. „Gibt es hier ein Stuhl? Ich muss mich setzen.“
Sofort führte Bastian sie in ein anderes Zimmer und ließ ein Glas Wasser bringen. Dabei bemerkte ich das Serben nun irgendwie anders aussah. Kurz darauf fiel es mir dann auch auf. Er war gewaschen und rasiert. Und ertrug saubere Kleidung.
Nachdem Alita sich etwas entspannt und das Wasser getrunken hatte, sah sie mich an. „Wie ist es?“
„Was?“, wollte ich darauf nur wissen.
„Na, eine Prinzessin zu sein. Wie ist das?“
„Bis jetzt... Ich habe schon besseres erlebt.“
„Ach ja?“
„Hier kann keiner richtig tanzen.“
Bastian stöhnte frustriert und Serben zog die Brauen hoch. Alita dagegen machte größere Augen und schwieg eine Weile.
„Wo bin ich hier nur gelandet?“, wollte sie dann wissen.
Ich nickte. „Habe ich mich auch gefragt.“
„Wenn ihr sagt, hier kann keiner tanzen, dann seit doch so gnädig und zeigt uns wie man tanzt.“, meinte Bastian.
Daraufhin stand ich mit Alita auf und ging in einen Teil des Raumes in dem genug Platz war.
„Fällt dir spontan ein Tanz ein?“, wollte ich nachdenklich wissen.
Dann kam Charlie herein. „Charlie!“
Er sah verwirrt zu uns und sah sie dann begeistert an. „Alita! Wie schön dich wieder zu sehen. Wie geht es dir? Und den anderen? Und was ist aus dem Hof geworden?“
Sie seufzte. „Später. Christy und ich müssen den beiden Herren erst einmal zeigen wir man tanzt.“
„So? Kannst du denn tanzen? Ich habs noch nie bei dir gesehen.“
Sie wurde etwas rot. „Nun... eigentlich...“
„Setz dich hin. Ich mach das.“
Sie wurde etwas roter und setzte sich auf das Sofa. Charlie dagegen nahm meine Hände und zog mich an sich.
„Oh, jetzt wird es interessant.“, meinte ich zu ihm, „Du hast bisher nur einmal mit mir getanzt. Und das war an meinem Geburtstag.“
Sein Mundwinkel zuckte und er fing einfach an. „Aber ich habe mal mit dir getanzt. Und heute mache ich es sogar freiwillig.“
Ich sah ihn etwas finster an. „Heißt das etwa du wurdest damals gezwungen?“
„Nate hat mich provoziert.“
Ich rollte mit den Augen. „Vergiss Nate.“
Er lächelte nun richtig und wirbelte mich herum. Drei Mal. Dann zog er mich wieder an sich und küsste mich auf den Hals. Ich lachte leise. Als der Tanz vorbei war, war ich etwas erhitzt und setzte mich neben Alita.
„Weißt du.“, meinte sie, „Es ist etwas gewöhnungsbedürftig dich in Kleidern zu sehen, die nicht mal einen genähten Riss haben.“
„Was?!“ Bastian sah sie fassungslos an, während ich über Alitas Satz lachte.
„Du hast Recht.“, stimmte Charlie zu, „Aber während der Reise ist es leichter sich daran zu gewöhnen. Sie sieht auch etwas anders an. Sieh dir mal diese Haare an.“ Er nahm eine Strähne und hielt sie ihr direkt unter die Nase.
Sie nieste. „Wow. Haar mit Aroma. Wo hast du gebadet? Ich Parfum?“
Ich kugelte mich bereits vor lachen, während Bastian sie fassungslos ansah.
„Christy, das ist wirklich deine beste Freundin?“, wollte er nach einigen Anläufen wissen und sah sie weiterhin geschockt an.
Ich erholte mich und nickte. „Ja. Das ist Alita.“
Serbens Mundwinkel zuckte amüsiert. „Wie war das mit den Kleidern? Keine genähten Risse?“
„Auf Agatas Hof habe ich mich oft geweigert neue Kleider kaufen zu gehen. Jeder meiner Kleider hatte mindestens drei Flicken, fünf zugenähte Risse und eine lockere Naht.“
„Wow. Die Kleider meiner Schwester haben nicht mal eine Knitterfalte.“
„Siehst du, Alita, davon habe ich dir Jahrelang erzählt.“
Sie zog die Stirn in Falten und sah Serben eine Weile lang an. „Wussten Sie, dass ihre Augen zwei verschiedene Farben haben?“, wollte sie dann wissen und deutete auf seine Augen.
Er nickte und lächelte ein wenig. „Ja. Das habe ich von meiner Mutter geerbt.“
„Ehrlich gesagt macht mir das ein bisschen Angst.“
Er fing an zu lachen, woraufhin ich nur lächeln konnte und ihn ein wenig dabei beobachtete. Als er sich beruhigt hatte, wischte er sich ein Augenwinkel ab und schüttelte den Kopf.
„Keine Sorge, Alita.“, meinte Bastian amüsiert, „Du musst nur Angst vor ihm haben, wenn du zu den Feinden gehörst. Und weil du eine Frau bist, würde er dir auch erst dann etwas tun, wenn es um sein Leben geht oder du jemanden tötest er ihm nahe steht. Mich zum Beispiel.“
„Sehr beruhigend.“
„Ehrlich, Alita. Er ist ganz lieb.“, gab ich zurück, „Er bringt mir das Lesen bei.“
Sie sah mich mit große Augen an. „Heiliger Bimbam. Du kannst lesen?“
„Nicht sehr gut, aber ja, ich kann lesen.“
„Konntest du das vorher nicht?“, wollte Bastian neugierig wissen.
Ich schüttelte den Kopf. „Einfache Menschen, wie ich und Alita es sind... oder waren, bekommen nicht mal ein Buch zu sehen.“, erwiderte ich dann, „Im Kloster der heiligen Sarvina habe ich das erste mal ein Buch gesehen.“
Alita machte noch größere Augen. „Du warst im Kloster der heiligen Sarvina?“
„Ja. Und dort habe ich Dahlia kennen gelernt. Ein Priesterin. Charlie scheint sich in sie verguckt zu haben.“
Ihre Augen wurde noch größer, während Serben Charlie einen prüfenden Blick zuwarf.
„Da wachsen sogar Divane.“
„Ich glaube du solltest ihr nicht so viele Dinge auf einmal sagen.“, meinte Charlie etwas besorgt. „Sie sieht aus, als würde sie gleich ohnmächtig werden.“
„Eine Sache noch. Alita, was hältst du davon, wenn du hier leben würdest?“
Sie sank in sich zusammen.
„Was habe ich gesagt?“, wollte Charlie theatralisch wissen.
„Ich dachte sie würde noch antworten können, bevor sie ohnmächtig wird.“, gab ich zurück, während Bastian und Serben sich dazu zwangen nicht zu lachen und ernst zu bleiben. „Was meint ihr, wann wacht sie wieder auf?“
„Ich schätze in zehn Sekunden.“, meinte Charlie, der sogar begann runter zu zählen.
„Ich schätze zehn Minuten.“, meinte Serben.
„Eine halbe Stunde.“, gab Bastian zur Antwort.
Ich fächerte Alita Luft zu und als Charlie runter gezählt hatte, hörte ich auf. Nicht rührte sich.
„Okay, dann dauert es wohl doch länger.“, meinte Charlie, „Vielleicht sollten wir sie hinlegen.“
„Gute Idee.“
Ich stand auf und Bastian legte sie vorsichtig der Länge nach auf die Couch.
„Sie muss doch nicht beatmet werden, oder?“
Als Bastian die Frage stellte, sah ich zu Serben, der daraufhin lächelte und zu mir sah. Ich wurde rot. Da neben ihm die einzige noch freie Sitzgelegenheit war, setzte ich mich neben ihn, woraufhin er etwas mehr lächelte und sich etwas zu mir drehte.
„Glaubst du, ich bekomme eine Chance, dich irgendwann nochmal... beatmen zu können?“, wollte er leise wissen.
„Beatmen vielleicht nicht, aber ich habe nichts gegen Küsse.“, gab ich leise zurück und beobachtete wie Bastian Alitas Wange tätschelte um sie zu wecken.
„Heute Nacht?“, schlug er vor, „Bei dir.“
„Ich werde warten.“
Er lächelte und zeigte damit wieder sein Grübchen, an dem ich wieder meine helle Freunde hatte. Ich hob die Hand und streichelte die Wange, woraufhin sich das Grübchen intensivierte. Ich lächelte darüber und glitt mit dem Zeigefinger über das Grübchen.
„Ich glaube, mein Grübchen fängt an dich zu lieben.“, meinte er leise.
Ich lächelte etwas mehr. „Ich glaube, ich fange an dein Grübchen zu lieben.“
„Ihr wärt ein sehr schönes Paar. Wird nur schwer ihn in einen Anzug zu stecken. Außerdem müsste ich während der Trauung die ganze Zeit lächeln, obwohl mir zu trauern zu Mute sein wird, weil du dann nicht mehr frei sein wirst.“
„Hmmm... es ist doch aber dein Grübchen.“
„Noch schlimmer. Ausgespannt von meinem Grübchen.“
Ich lachte leise.
„Das sieht so aus, als müssten wir bald eine Hochzeit arrangieren.“, meinte Bastian nachdenklich, „Hey, ihr passt sogar ganz gut zusammen.“
Als wäre das das Stichwort, wurde Alita wach und blinzelte. Bastian beugte sich über sie.
„Geht’s Ihnen besser?“, wollte er besorgt wissen.
„Ja. Schon.“
„Glaubst du, wir finden ein stilles Plätzchen?“, wollte Serben leise wissen und sah sich um.
„Jetzt?“, fragte ich leise zurück und sah zu ihm auf.
„Warum nicht? Es muss ja keiner wissen, was wir machen.“ Ein amüsiertes Lächeln lag auf seinem Gesicht.
Ich sah zu Charlie und Bastian. „Kennst du denn ein Plätzchen?“, wollte ich leise von Serben wissen.
„Ich kenne eine Menge stille Plätzchen. Die meisten kann man sogar essen.“
Ich lachte leise. „Was für Plätzchen kennst du denn?“
„Da gäbe es zwei im Garten, im Dienstbotengang, in deinem Zimmer, in meinem Zimmer-“
„Dein Zimmer würde ich gerne mal sehen.“
Er sah zu Charlie und Bastian. Dann sah er wieder zu mir. „Sag in zwei Minuten du würdest frische Luft schnappen und geh in den Garten. Weißt du noch wo er ist?“
Ich nickte.
„Gut. Ich warte dort auf dich.“ Er stand auf, woraufhin alle zu ihm sahen. „Ich muss jetzt wieder gehen. Mal sehen ob ich Adrian finde, bevor er wieder abreist. Ich muss ihm noch etwas sagen.“
„Viel Glück bei der Suche.“, meinte Bastian.
Serben nickte, verbeugte sich kurz und verließ dann das Zimmer. Dann sahen alle wieder zu Alita.
„Gibt es noch mehr, das ich wissen sollte?“, fragte sie etwas misstrauisch.
Ich schürzte die Lippen. „Morgen findet ein Ball statt.“
Sie wurde tatsächlich wieder ohnmächtig.
„Du hättest etwas warten sollen.“, meinte Charlie, „Sie hat sich wohl noch nicht erholt.“
Ich schürzte die Lippen und sah Alita eine Weile an. Als ich sah, wie Bastian sie ansah, musste ich schmunzeln. Auf der einen Seite sah er verwirrt aus. Auf der Anderen sah er so aus als läge vor ihm ein Engel.
„Ich glaube, ich gehe ein wenig frische Luft schnappen.“, meinte ich und stand auf.
Charlie sah auf. „Geht es dir nicht gut.“
„Doch. Aber ich möchte mir den Garten ansehen.“
Er rollte mit den Augen. „Frauen und Gärten.“
Ich streckte ihm die Zunge raus und verließ das Wohnzimmer. Dann machte ich mich auf den Weg in den Garten und sah mich dabei um. Es war wirklich ein richtiges Schloss. Alles war sauber, wie mir auffiel. Und als ich den Garten betrat, raubte es mir einfach den Atem. Mir fehlten einfach Worte um es zu beschreiben.
Serben stand an einem Brunnen und sah in die Blumen. Rosen um genau zu sein. Plötzlich kniete er sich hin und machte irgendwas. Dann richtete er sich wieder auf und lächelte leicht, während er etwas murmelte.
„Was hast du da gemacht?“, wollte ich neugierig wissen und ging zu ihm, woraufhin er auf sah und lächelte.
„Ich habe nur eine Pflanze beseitigt, die den Rosen nur schadet.“, gab er zurück und küsste meine Hand als ich bei ihm war.
„Und? Hast du Adrian gefunden?“
„Habe ich sogar. Er reist erst übermorgen ab, weil er den Ball nicht verpassen möchte. As ist einfach typisch Adrian. Um hübsche Frauen zu sehen bleibt er noch etwas. Aber wenn er sie umwerben sollte, reist er wieder ab.“
Oh ja. Das hatte ich bereits erfahren. „Zeigst du mir nun dein Zimmer? Ich brenne vor Neugier.“
Er lächelte und beugte sich zu mir um mir einen Kuss auf den Mund zu hauchen. Dann zog er mich sanft aus den Garten um das Schloss herum. „Es ist nicht sonderlich luxuriös wie dein Zimmer.“, meinte er als er ein Dienstbotengang betrat und ihn mit mir durchquerte. „Aber der Vorteil ist, er ist nicht weit von deinem entfernt.“
„Kennst du alle diese Gänge?“
„Jeden Einzelnen.“
„Dann weißt du also auch, welcher in mein Zimmer führt?“
Er grinste. „Natürlich. Nicht das ich dir beim umziehen zusehen würde. Oder beim Baden... wenn du es nicht willst. Vielleicht werde ich hin und wieder mal einen nächtlichen Besucher spielen und dir im Schlaf zusehen, mehr aber nicht.“
„Dann führt der Gang also auch in dein Zimmer?“
„Ja. Jetzt musst du still sein. Wir kommen an der Wohnstube vorbei.“
Ich schwieg und folgte ihm durch den engen Gang. Zwei Minuten später schob er eine kaum sichtbare Tür auf und zog mich in ein Zimmer, das etwas halb so groß war wie mein Eigenes. In einer Ecke war eine Truhe. Daneben eine Uniform und ein Schwert. Unwillkürlich öffnete sich mein Mund und ich ging zur Uniform um sie zu betrachten.
„Gehört die dir?“, wollte ich wissen und fuhr mit den Fingern über den Wollstoff.
„Ja. Ich trage sie, wenn ich aus friedlichen Absichten in ein anderes Königreich reite.“
„Und zu feindlichen Absichten?“
„Im Krieg, meinst du?“
Ich verzog das Gesicht, nickte aber dennoch.
„Dann... dann trage ich das hier.“ Er öffnete die Truhe und zeigte somit eine weiße Uniform und ein Kettenhemd.
„Wie trägst man das?“, wollte ich verwirrt wissen, „Sicher erst das weiße Hemd und dann das Kettenhemd, oder?“
„Nein. Tatsächlich ist es anders herum. Erst ein ganz normales Hemd. Dann das Kettenhemd und dann die weiße Uniform. Und ein Helm, Handschuhe, Stiefel.“
„Ich werde dich darin doch nicht sehen müssen, oder?“
„Ich weiß es nicht. Und ich will es auch nicht wissen.“
Ich biss mir auf die Unterlippe. „Und die hier? Wirst du die oft tragen?“
„Eigentlich nicht. Sicher, wir sind mit vielen Königreichen verbündet, aber ich reise nicht oft zu ihnen. Gerade jetzt, wo Krieg heranzieht. Ich werde in naher Zukunft abreisen müssen um das verlorene Land wieder einzunehmen. Vielleicht wird es das Land sein, in dem du gelebt hast. Und das Land dahinter. Dein Vater war anfangs einverstanden, dass König Ludwig sich ein wenig Land nimmt, weißt du. Wir waren mit ihm verbündet. Aber seit... Raimund Demaltis oberster Befehlshaber ist... König Ludwig wird gieriger und möchte immer mehr Land haben. Aber dein Vater ist nicht bereit noch mehr Land abzugeben. Er braucht es, verstehst du.
Also nimmt König Ludwig es sich gewaltsam. Ich werde an einigen Gesprächen teilnehmen. Darin werden die Befehlshaber und dein König teilnehmen. Du und Bastian wahrscheinlich auch. Wenn ihr wollt. Nach diesen Gesprächen wird sich herausstellen, wer in welche Teile des Landes reist um es zurück zu holen.“
„Es wurden mehrere gestohlen?“
„Ja. Das Land in dem du gelebt hast ist im Süden von Vervel. Es wurde auch etwas im Westen und im Osten gestohlen. Wahrscheinlich wird auch bald etwas im Norden gestohlen.“
„Woher wisst ihr, wo welches gestohlen wird?“ Ich drehte mich zu ihm. „Ich meine, wird ein Bote geschickt, oder schickt ihr einen Boten dort hin?“
„Es sind die Leute, die weiter im Landesinneren nach Schutz suchen. Sie verbreiten die Nachricht, das Land gestohlen wurde. Noch während sie Schutz suchen, wird ein Bote geschickt, der so schnell wie möglich deinem Vater die Nachricht überbringt. Also, in gewisser Maßen ist es ein Bote, ja.“
Ich ging zu ihm und ließ mich von ihm in die Arme ziehen. „Du wirst also bald abreisen und in eine Schlacht ziehen?“
„Ich werde die Rüstung mitnehmen. Aber ich werde erst in friedlichen Absichten dorthin reisen. Es gibt Mittel und Wege Land zurück zu gewinnen, ohne Blut zu vergießen.“
„Du bist also auch eine Art Kontaktmann?“
„Ich bin Kriegsminister, Liebes.“
„Ich dachte, der kümmert sich nur um den Krieg.“
„Ich versuche ihn zu vermeiden.“
„Gibt es nicht eine Art Friedensminister?“
„Ja.“ Er seufzte. „Aber der Friedensminister kümmert sich nur darum, dass der bereits bestehende Frieden auch bei Frieden bleibt und nicht zum Krieg wird. Sobald der Status auf Krieg überläuft, bin ich dran. Ich entscheide dann ob Blut vergossen werden soll, oder ob es auf die friedliche Art gelöst werden soll. Der Friedensminister und ich sind ganz gute Freunde, weißt du. Wir wollen beide den Frieden. Also mische ich nicht in seine Arbeit ein und er sich nicht in meine.“
„Das klingt fair.“ Ich lächelte etwas. „Und du scheinst die Sache wirklich gut zu machen.“
„Das kann ich nicht sagen. Ich bin erst seit ein paar Monaten Kriegsminister.“
„Erst?“
„Ja. Davor war es ein Freund von mir.“
„Wieder ein Freund. Sag bloß, du bist mit allen befreundet.“
Er lachte ein wenig und lächelte mich an. „Das stimmt irgendwie. Ich bin mit allen wichtigen Leuten befreundet. Und mit den Dienstmädchen, den Köchen, den Schustern...“
„Ehrlich?“
„Mit ein paar. Gustav, der Schuhmacher; Hank, der Schmied; Alice, die Köchin; Nora, die Schneiderin; Lucas, der Händler. Ach und Adam, der Stallbursche. Sally, das Hausmädchen; Stacy, das Dienstmädchen; Jeanne, die Dienstmagd.“
„Wo ist der Unterschied zwischen einem Dienstmädchen und einer Dienstmagd?“
„Die Magd geht auf den Markt. Wenn denn einer ist. Dort kauft sie dann Dinge ein, die hier gebraucht werden. Das Dienstmädchen kümmert sich darum, dass die Dinge, die hier gebraucht werden, von den Höfen hier her kommen. Sie bekommen Hilfe von Knechten und werden auch oft von den Steuereintreibern begleitet.“
„Sind die nicht oft aggressiv?“
„Nein. Da die Steuern nicht sehr hoch sind, geben die Leute die Steuern freiwillig ab. Wenn mal jemand gerade nicht zahlen kann, weil zum Beispiel ein Kind zur Welt gekommen ist, oder ein Tier sehr krank ist, dann gibt er einen Ersatz, der hoch genug als Steuer ist, aber immer noch niedrig genug, dass der Bauer und seine Familie überleben.“
„Hat das alles mein Vater entschieden?“
„Nicht ganz. Mein Schwager hat ein bisschen mit geholfen. Ich, Adrian und Talina haben manchmal auch ein bisschen erzählt, wie es in den Teilen des Landes so zu sich geht. Wir berichten, ob die Leute glücklich sind, oder ob man etwas verbessern könnte. Vor einer Woche haben wir zum Beispiel einen Platz bauen lassen, an dem Mütter und Kinder sich treffen können. Kinder können dort spielen, Mütter können sich über den Klatsch unterhalten der gerade angesagt ist.“
„Keine Schlechte Idee. Bei mir... Also, in dem Dorf bei dem ich gelebt habe, haben wir Frauen uns oft am Marktplatz unterhalten. Am Brunnen. Wenn es heißt war, haben wir die Füße ins Wasser gehalten. An kalten Tagen blieben wir lieber Zuhause.“
„An kalten Tagen muss es sicher schlimm gewesen sein auf dem Feld zu arbeiten.“
Ich seufzte. „Es war kalt. Und die Füße taten weh. Besonders wenn es geschneit hat. Aber am Abend war ich Stolz auf das, was ich geschafft habe.“
„Du magst die Feldarbeit?“
„Oh ja. Es ist schön zu wissen, dass man dafür sorgt, dass auf dem Boden, auf dem man in dem Moment steht, bald bepflanzt sein wird. Das diese Pflanzen, um die man sich kümmert, dafür Sorgen das man nicht hungert. Besonders im Winter.“
„Du hattest eine große Verantwortung.“
„Die hatten wir alle. Clarissa hat sich ganz allein um die Tiere gekümmert. Sie hat die beiden Schafe geschoren, die Kühe gemolken, sich um die Hühner gekümmert und die Pferde versorgt. Und die Schweine. Zita hat in der Erntezeit den ganzen Tag bei den Bäumen verbracht um die Früchte zu ernten. Ansonsten hat sie die Bäume gepflegt. Lore hat sich um den Gemüsegarten gekümmert. Und Annie hat oft Fische gefangen. Oft vor dem Winter. Annabell hat sie dann geräuchert, damit wir im Winter mehr zu Essen hatten.“
„Du hörst dich so an, als würdest du am liebsten zurückkehren.“
„Ich würde es nicht als schlecht empfinden. Ich mochte den Hof.“
„Und ich liebe es, wenn du von dir und deinem Leben erzählst. Weißt du, ich bin mir sicher, dein Vater hätte nichts dagegen, wenn du hin und wieder mal auf eines der Felder gehen würdest.“
„Ehrlich?“
„Ehrlich. Wir haben zwei Felder, die nur ein paar Minuten weit weg sind. Du könntest ein altes Kleid nehmen und dir dort die Zeit vertreiben.“
Ich lächelte ihn begeistert an und fiel ihm um den Hals um ihn zu küssen. Er stöhnte leise und schlang die Arme um meine Tallie, woraufhin ich mich an ihn drängte und er mich mit einer Hand im Nacken an sich zog. Ich seufzte und ließ es zu, das seine Zunge einen Weg in meinen Mund fand.
Irgendwie kam mir dann jedoch Adrian in den Sinn und ich löste mich langsam von Serben, da ich den Drang verspürte ihm von der Nacht zu erzählen.
„Was ist? Alles in Ordnung?“ Er sah mich besorgt an und legte mir eine Hand an die Wange.
„Mit mir ist alles okay, aber ich möchte, das du noch etwas weißt.“
Er zog die Brauen etwas zusammen. „Was gibt es?“
Ich zögerte etwas.
„Hast du einen Liebhaber? Ehemann?“
„Keinen Ehemann.“
„Liebhaber also?“
„Ich weiß nicht genau. Ich hatte noch nie etwas wie einen Liebhaber. Ich hatte immer nur Charlie und Nate. Charlie war mein bester Freund und Nate war eben der Mann, dem alle Frauen im Dorf wortwörtlich verfallen waren.“
„Du möchtest, dass ich Bescheid weiß.“ Er nickte. „Das ist gut.“
„Es war Adrian.“
„Okay, das ist schlecht.“ Er ließ mich langsam los, aber ich hielt mich weiter an ihm fest. „Er... weiß sicher nichts von uns.“
„Niemand weiß von mir und dir, oder von mir und Adrian. Es war nur eine Nacht. Ein Abend, besser gesagt.“, fügte ich schnell hinzu als Serben die Brauen zusammen zog.
„Du... bist noch Jungfrau.“
„Ja. Himmel, natürlich bin ich das noch. Also... ja.“
„Was... war denn... an diesem Abend?“
„Nun... Am morgen hat Adrian das Muttermal meiner Mutter erwähnt. Auf dem Rücken.“
„Ich habs gesehen als ich dich geschnürt habe.“
„Nun, da ich nicht wusste ob ich es habe, wollte Adrian nachsehen. Allerdings hatte ich zu dem Zeitpunkt, an dem er es machen wollte, nur noch ein Nachthemd an. Wir äh... haben uns geküsst und er hat mich... berührt, aber mehr war da nicht. Er hat bei mir geschlafen... und ist am morgen abgereist.“
„Verstehe. Aber?“
„Aber was?“
„In der ganzen Geschichte höre ich ein Aber heraus. Was ist da noch?“
„Ich weiß es nicht. Du bist da noch. Nun... Ich weiß es nicht.“
„Setz dich besser.“
Ich tat worum er bat und setzte mich auf das Bett, während er vor mir stand und nachdachte. Irgendwann begann er mit wenigen Schritten hin und her zu gehen, wobei ich ihn etwas nervös beobachtete.
„Adrian macht sich für gewöhnlich nichts aus Frauen.“, meinte er nachdenklich, „Es ist nicht seine Art, eine Frau länger als einen Tag für sich zu beanspruchen. Oft küsst er sie nur. Und sehr selten wird es mal mehr, aber... er hält die Verbindung nie länger als einen Tag. So kennt ihn jeder.“
„Dahlia hat mir etwas ähnliches erzählt. Das er sich nicht viel aus Frauen macht. Aus Ehen und Kindern.“ Serben schon. Das wusste ich. Immerhin hatte er bereits eine Ehe hinter sich. Und er war immer noch sehr jung. Seine Frau musste das Kind sehr früh bekommen haben. „Wie alt bist du eigentlich?“
„Dreiundzwanzig.“
„Wie alt warst du denn als...“ Ich unterbrach mich selbst. „Ist schon gut. Also, Adrian macht sich nicht viel aus dem weiblichen Geschlecht?“
„So meine ich das nicht.“ Er ging wieder hin und her. „Er ist gut zu Frauen. Höflich. Freundlich. Auch zu Kindern. Aber er selbst hält nichts davon sich zu binden. Er möchte keine Frau. Keine Kinder. Er möchte keine Familie. Die Familie die er hat, liebt er über alles. Er möchte nicht noch mehr Menschen haben, die sterben könnten. Er verträgt seelischen Schmerz nicht so gut. Er musste zusehen als unser Vater getötet wurde.“
„Oh. Ich wusste nicht, das er...“
„Ja. Ich weiß.“
„Lebt deine Mutter noch?“
„Ja. Sie wird gepflegt.
„Oh.“
„Ich werde sie dir vorstellen, wenn du dich hier eingelebt hast. Ich statte ihr einen Besuch ab. Sie sollte das Haus nicht mehr verlassen.“
Ich nickte. „Es wäre für eine ältere Dame nicht gut das Haus zu verlassen.“
„Sie ist wirklich sehr alt.“
„Wie alt denn genau, wenn ich fragen darf.“
Er zögerte etwas. „Fünfundachtzig.“
„Wow. Das nenne ich wirklich alt.“
Er lächelte matt. „Aber sie ist noch gut in Form. Sie kann noch gehen. Sie sieht hervorragend. Hört wie eine Katze.“ Das lächeln wurde etwas schwächer. „Aber es wäre besser, dass sie im Haus bleibt, weil sie nicht mehr so gut fühlen kann.“
„Fühlen?“
„Wie erkläre ich das am besten? Sie fühlt nicht ob es warm oder kalt ist. Schmerz macht sich erst spät bemerkbar. Ihre Haut ist etwas... taub. Genau. So kann man das nennen. Ihr Körper wird langsam taub.“
„Oh. Hat sie auch verschieden farbige Augen?“
„Ja. Und das blonde Haar habe ich auch von ihr.“
„Sie hat einen Sohn auf den sie stolz sein kann.“
Er lächelte wieder und kam zu mir. „Deine... Zieheltern wären sicher auch stolz auf dich.“
Ich erwiderte das Lächeln und bemerkte wie meine Unterlippe begann zu beben. Er setzte sich neben mich und streichelte mir mitfühlend den Rücken.
„Wenn deine richtigen Eltern wüssten, was du so alles getan hast, wären sie sicher auch stolz auf dich.“, flüsterte er mir zu, „Obwohl ich noch lange nicht alles weiß, bin ich jetzt schon stolz. Und ich bin stolz, dass wir eine so wunderbare Prinzessin haben.“
Ich lehnte mich an ihn und ließ mich von ihm trösten.

Impressum

Texte: © Copyright 2010 – Alle Inhalte, insbesondere Texte sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, einschließlich der Vervielfältigung, Veröffentlichung, Bearbeitung und Übersetzung, bleiben vorbehalten, Lisa Irmer
Tag der Veröffentlichung: 15.04.2010

Alle Rechte vorbehalten

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