Cover

~Prolog~

„Hallo, Rika.“

Ich sah zu meinem großen Bruder auf und lächelte ihn an. Er war der einzige den ich noch hatte.

„Hattest du einen schönen Tag?“

Ich nickte hastig. Was konnte ich sonst tun? Der Arzt sagte, es würde lange dauern bis ich meine Stimme wieder finden würde. Es war grausam stumm zu sein. Stumm mit 5 Jahren.

Er hockte sich vor mich und lächelte mich weiter an. „Ich gehe gleich nochmal weg, ja? Versprichst du mir etwas?“

Ich nickte wieder hastig. Ich würde so viel für ihn tun. So viel... wenn er nur bei mir blieb oder wieder zurück kam.

„Also.“, hob Nicko an, „Wie ich dir eben sagte gehe ich gleich weg.“

Ich nickte wieder.

„Mach niemandem die Tür auf, okay? Egal wie nett er sich auch anhört. Egal als wen er sich ausgibt. Mach auch nicht deinen Freunden auf. Oder meinen Freunden. Lass die Tür einfach zu und warte auf mich, okay?“

Ich blinzelte etwas verwirrt. Daraufhin lächelte er mich warm an und legte mir die Hand auf den Schopf.

„Ich habe einen Schlüssel. Ich komme schon rein. Du darfst aber niemandem die Tür aufmachen. Nicht mal mir, okay? Ich habe ein Schlüssel. Mir musst du nicht aufmachen. Und wenn ich dich darum bitte, tue es trotzdem nicht.“

Nun zog ich die Augenbrauen zusammen. Warum darf ich ihm nicht auf machen?

„Weißt du, Rika. Wenn ich dich bitte auf zu machen, dann geh einfach in dein Zimmer und hör nicht hin. Du darfst niemandem die Tür aufmachen bis ich wieder da bin. Verstanden? Auch mir darfst du nicht auf machen. Bleib einfach weg von der Tür.“

Ich nickte langsam. Daraufhin lächelte er mich wieder warm an und tätschelte mir den Kopf.

„Du bist ein liebes Mädchen, Rika. Ich hab dich lieb, das darfst du nie vergessen. Es gibt nichts wichtigeres in meinem Leben als dich und deine Sicherheit.“ Er zog mich in seine Arme und küsste mich auf den Scheitel. „Wenn du alt genug bist wirst du schon verstehen warum ich das alles sage.“ Er küsste mich auf die Wange, auf die Schläfe und auf die Stirn, bevor er mir in die Augen sah. „Versprich mir das du es nicht vergisst.“

Ich hob beide Hände um ihm zu zeigen das ich es ihm schwor.

„Du darfst mich auch nie vergessen. Du wirst immer meine kleine Rika bleiben.“ Er löste sich langsam von mir und ging zur Tür. „Ich werde mich beeilen. Ich komme so schnell wie möglich wieder.“

Ich nickte und er öffnete die Tür.

„Auf Wiedersehen, meine kleine Rika.“

Ich war ein wenig geblendet von der Sonne die herein schien. Ich erkannte ihn nicht mehr richtig. Nur seine Silhouette, aber ich wusste das er lächelte. Ich hob aus mir unbekannten Gründen die Hand und winkte als er sich umdrehte und das kleine Gebäude verließ. Die Tür fiel ins Schloss und ich blieb wieder allein zurück.

Ich schlurfte ins Wohnzimmer, setzte mich in den Sessel und schaltete den Fernseher ein. Auf dem Kinderkanal lief gerade Winnie Puh und seine Freunde. Ich nahm mir die Decke von der Rückenlehne und deckte mich zu, während ich mir die Serie ansah.

 

Nicko war schon einige Stunden weg. Auf einer Digitaluhr stand 22:43 Uhr. Er hatte extra nur Digitaluhren gekauft, damit ich auch wusste wie spät es war, da ich die anderen Uhren nicht lesen konnte.

Als es nun an der Tür klingelte, sprang ich automatisch auf und eilte dort hin. Als ich den Flur trat blieb ich jedoch wie angewurzelt stehen.

„Hallo?“, meldete sich jemand von draußen, „Jemand zu hause? Rika? Nicko? Ich bin’s! Jacko!“

Du darfst niemandem die Türaufmachen., hörte ich Nicko in meinem Kopf sagen, wie er es mir vor Stunden gesagt hatte, Mach auch nicht deinen Freunden auf. Oder meinen Freunden. Lass die Tür einfach zu und warte auf mich, okay?

Ich nickte mir selber zu und ging wieder ins Wohnzimmer. Dann klopfte es wieder.

„Rika? Bist du allein?“, hörte ich Jacko weiter reden, „Nicko schickt mich. Er hat etwas vergessen und mich gebeten es zu holen. Lass mich kurz rein, ja. Ich brauche nicht lange.“

Du darfst niemandem aufmachen.

Ich schüttelte schnell den Kopf und setzte mich in den Sessel, wo ich mich dann wieder zudeckte.

„Rika, mach doch bitte auf!“, bat Jacko, „Es dauert nicht lange. Versprochen.“

Ich sah wieder auf den Bildschirm und schaffte es das Klopfen und die Stimme von Jacko auszublenden. Weitere Stunden vergingen. Jacko war wieder gegangen.

Als ich ein Schlüssel im Schloss der Tür hörte, sprang ich vom Sessel auf und eilte in den Flur. Dann blieb ich erschrocken stehen. Es war nicht Nicko der rein kam.

~Kapitel 1~

Es klingelte zur Stunde und das Gedrängel begann. Ich seufzte schwer und stand noch kurz in der Tür meiner neuen Schule. Meine Pflegefamilie sagte mir es wäre das letzte mal das sie umzogen. Ich war mir nicht so sicher.

„Hey, Kayla, komm schon!“, rief jemand.

„Nicht so schnell!“, rief irgendwo jemand anderes.

„...noch ein Platz!“

„Oder was glaubst...“

„...vielleicht noch...“

„...oder die...“

„...von der Neuen gehört?“

Plötzlich schien es still zu werden, als ich das Gebäude betrat. Ich wusste, es kam mir nur so vor als wären alle still geworden. In Wirklichkeit würden sie sicher noch weiter zur Klasse rennen um den Unterrichtsbeginn nicht zu verpassen.

„Hey, sieh mal. Das muss doch die Neue sein.“, meinte irgendwann ein Junge, „Hübsch.“

Mit gesenktem Kopf ging ich durch den Flur Richtung Sekretariat und hoffte mich würde niemand ansprechen.

Rika, das schaffst du schon. Es sind nur ein paar Meter bis zum Sekretariat. Und im normalen Gang bist du schneller als andere.

Ich seufzte leise und schob die Tür zum Sekretariat auf. Es schien mir als würde man mich in dieser übergroßen Jacke nur entdecken können. Meine neuen Eltern kauften alles viel zu groß. Da dachte man beim ersten Anblick immer ich wäre ein dickes, hässliches Mädchen das viel zu viel isst und sich von Chips und Cola ernährt.

„Tut mir Leid, Junger Mann. Sie ist heute nicht hier gewesen.“, meinte die Sekretärin als die Tür sich hinter mir schloss. Meine Hände die in den Jackentaschen verborgen gewesen waren, steckten nun wieder in diesen Jackentaschen. Ich hasste es wenn man ständig auf meine Hände sah. Und das war unumgänglich wenn man erst die Farbe sah. Ich war einfach viel zu blass.

„Hallo, Sie müssen die Neue sein. Richtig?“

Ich nickte nur als die Sekretärin das frage und drehte meinen Kopf ein wenig weg, als ich den Blick den Jungen bemerkte. Ich hasste es angestarrt zu werden. Und er tat es obwohl er noch nicht mal mein Gesicht erkennen konnte.

„Ihre Eltern sind gerade hier gewesen.“, meinte die Frau hinter dem Tresen zu mir und legte ein Stapel Bücher vor mich, „Hier sind die Bücher. Wie heißen Sie eigentlich? Das wurde mir nicht gesagt.“

Ich presste die Lippen zusammen. So blöd konnten meine 'Eltern' doch nicht gewesen sein, zu vergessen es zu erwähnen.

„Miss?“

Ich biss mir hart auf die Unterlippe, nahm mir Zettel und Stift und schrieb kurz meinen Namen auf. Dann nahm ich meine neuen Bücher und verließ das Sekretariat.

Keine Sorge, Rika. Nach einer Woche halten sie sich alle von dir fern.

Ich biss mir härter auf die Unterlippe und schmeckte langsam mein Blut. Während ich zu meiner neuen Klasse ging, packte ich die Bücher in meine Tasche. Dann betrat ich wenige Sekunden später die Klasse. Wieder wurde es still, aber diesmal war es echt. Der Lehrer sah zu mir auf, während ich mit gesenktem Kopf zu ihm ging. Als ich eine Hand aus der Tasche nahm, nahm ich gleich einen Zettel mit und gab ihm diesen. Er las ihn sich kurz durch und nickte dann.

„Häng deine Jacke draußen auf und setzte dich dann auf den freien Platz da hinten.“, meinte er und fuhr mit dem Unterricht fort.

Ich seufzte leise, drehte mich um und verließ die Klasse. Dann stellte ich kurz meine Tasche ab, zog die Jacke aus und hängte sie auf. Ich war mir sicher das gleich alle Blicke auf mir liegen würden. Die Jacke veränderte den Schein meiner Körpermasse ungemein. Mit sah ich fett aus. Ohne sah man das ich eigentlich kaum etwas aß. Ich war nicht mager. Aber schon sehr dünn.

Ich nahm meine Tasche, nahm sie kurz über die Schulter und ging wieder in die Klasse. Wie ich es mir gedacht habe, sahen mich alle an. Okay, einer sah gelangweilt an mir vorbei, aber das war mir egal. Ich war eher froh darüber. Ich ging nach hinten, stellte meine Tasche ab und setzte mich auf den einzigen freien Platz. Weiterhin mit gesenktem Blick. Während dem Unterricht sah ich wie sich zwischendurch mal jemand zu mir umdrehte, wenn der Lehrer mal nicht hinsah. Mein Nachbar schien sich nicht für mich zu interessieren, wofür ich ihm sehr dankbar war. Wenn ich fragen hatte, schrieb ich sie auf einen Zettel. Am Ende der Stunde ging ich dann nach vorn und zeigte sie ihm. Eine interessierte mich ganz besonders.

Wäre eine Veränderung der Zukunft oder der Gegenwart möglich?

Er zog die Brauen zusammen und dachte über die Frage nach. „Hat diese Frage persönliche Gründe?“, fragte er mich dann.

Zwei Schüler die noch an einer Aufgabe arbeiteten und in der Klasse waren, hoben überrascht den Kopf. Ich biss mir auf die Lippen und nickte kaum merklich.

„Nun... Wenn man in die Vergangenheit reisen könnte...“, begann er, „und irgendwas veränderte, würde man diese Zeit ins Chaos stürzen. Ein Beispiel wäre, ich reise in die Vergangenheit und töte meinen Vorfahren. Dann werde ich nicht geboren. Also reise ich nicht in die Vergangenheit um meinen Vorfahren zu töten. Also werde ich geboren. Es ist eine Endlosschleife die sich immer wiederholt. Dann wäre da noch ein Beispiel. Du reist in die Vergangenheit um die Zukunft oder die Gegenwart zu ändern. Du erreichst dein Ziel. Aber wenn du keinen Grund hast in die Vergangenheit zu reisen, wärst du nie dort hin gereist und somit bleib die Gegenwart und die Zukunft wie sie ist. Es ist ein Paradox. Also, um deine Frage zu beantworten... Man kann es versuchen. Aber die Chance das es einen Gelingt liegt unter 50 Prozent.“

Ich biss mir erneut auf die Unterlippe und schrieb ihm ein Dankeschön für die Antwort. Dann nahm ich den Zettel mit den Fragen, holte auf dem Weg aus der Klasse meinen Block und ein Stift heraus und schrieb die Antworten unter die Fragen, während ich mich auf den Weg in die nächste Klasse machte. Währenddessen machte ich mir Gedanken über die Paradoxa.

Sind Paradoxa wirklich so unlösbar wie gesagt wird?

In jeder Hinsicht ja. Das brachte mich zum seufzten. Mir fehlte Nicko.

Ich schüttelte den Kopf und sah auf meinen Block herab. Leider musste ich feststellen das ich nicht nur die Antworten auf die Fragen geschrieben hatte, sondern gleich noch den Namen Nicko. Obwohl es weh tat an ihm zu denken, konnte ich einfach nicht aufhören. Ich konnte nicht an ihn denken und tat es dennoch.

Ein Paradox. Ob ich wohl öfter auf welche stoßen werde?

Ich steckte Block und Stift weg und betrat die nächste Klasse. Wieder zeigte ich dem Lehrer den Zettel. Als ich mich diesmal setzte, stellte ich fest das ich diesmal neben jemanden sitzen musste der scheinbar der Gründer des neuen Fanclubs sein wird. Fanclub Rika.

Ätzend.

Und das obwohl sie mit Sicherheit nicht mal wussten wie mein Gesicht aussah. Ich hatte nicht einmal meinen Kopf weit genug gehoben und meine Haare verbargen es von der Seite.

Ich nahm meine Sachen für die Stunde heraus und hörte zu, während ich mir die wenigen Fragen notierte.

„Weiß jemand wie man aus Wasser Wein machen kann wenn man selbst nur ein Viertel Glas Wasser und ein volles Glas Wein zur Verfügung hat?“, fragte der Lehrer irgendwann.

Als keiner die Hand hob, hob ich sie schließlich. Der Lehrer lächelte.

„Bring mir die Antwort nach vorn, Rika.“

Ich schrieb sie schnell auf und brachte den Zettel nach vorn. Es war ganz einfach.

'Man gießt das Wasser zum Wein. Der Geschmack wird zwar dünner, aber das Wasser wird zu Wein.'

Der Lehrer nickte. „Richtig. Du darfst dich wieder setzen.“

Er gab mir den Zettel wieder und wiederholte die Antwort. Dann erklärte er noch wie genau das funktionierte und demonstrierte es.

 

Die Dritte Stunde ähnelte der zweiten. Mich interessierte am meisten jedoch die erste Stunde.

Paradox. Ist es wirklich so unmöglich die Gegenwart und Zukunft zu verändern?

Diese Frage stellte ich mir während ich mich mit meinem Tablett essen an einen Tisch weiter weg von den Schülern setzte.

Nicko hätte mir sicher antworten können. Er hätte mir sicher helfen können, so wie er es vorher getan hatte.

Ich begann langsam zu essen. Es tat mir so weh an Nicko zu denken. Meinen geliebten Bruder. Und ich war so entsetzt gewesen als ich jemand anderen an seiner Stelle gesehen hatte.

Ich hab dich lieb, das darfst du nie vergessen. ... Versprich mir das du es nicht vergisst. ... Du darfst mich auch nie vergessen. Du wirst immer meine kleine Rika bleiben.

Meine kleine Rika...

„Hey, du bist doch die Neue, stimmts?“

Ich sah auf als die Stimme eines Jungen vor mir ertönte. Das erste mal das ich in dieser Schule den Kopf weit genug hob.

„Rika, richtig?“

Ich nickte und sah wieder ein Stück hinab um zu essen.

„Warum sprichst du eigentlich nicht?“

Unwillkürlich zog ich kurz die Brauen zusammen und holte Block und Stift hervor. Ich schrieb das kleine Wort 'stumm' auf ein leeren Zettel und drehte ihn zu ihm um. Daraufhin setzte er sich mir gegenüber.

„Das muss hart sein. Meine Schwester ist stumm. Ein Unfall. Sie hatte dabei eine so schöne Stimme.“

Ich zog den Block zu mir und schrieb noch etwas drauf.

'Früher sagte mir der Arzt es würde nur etwas dauern bis ich wieder sprechen kann.'

„Hast du es denn versucht?“

'Oft genug um zu wissen das es noch Jahre dauern wird.'

„Verstehe. Hast du Familie?“

'Ich lebe in einer Pflegefamilie. Mutter, Vater, Tochter, Sohn. Die Kinder sind schon ausgezogen.'

„Und was ist mit deiner Familie?“

Ich senkte etwas den Blick und drehte mich ein Stück weg.

„Du musst nicht antworten wenn du nicht willst.“

„Manchmal ist es sogar besser seine Fragen zu ignorieren.“, meinte ein Junge hinter mir, „Er ist viel zu neugierig.“

'Gegen Fragen habe ich nichts. Ich scheue mich eher vor den Antworten.'

„Hat es einen bestimmten Grund?“, fragte der Junge neben mir weiter.

„Viel zu neugierig.“, meinte der Junge hinter mir und ging weiter.

„Beachte ihn einfach nicht. Niemand auf der Schule beachtet

ihn.“

Ich schloss kurz die Augen.

'Es ist nichts gegen dich. Aber oft in meinem Leben wünsche ich mir das man mich einfach nicht beachtet. Ich meine, wie soll man jemanden weh tun können wenn man ihn gar nicht kennt?'

Der Junge zog die Brauen zusammen als er es las. Dann schüttelte er verwirrt den Kopf.

„Wie kommt es eigentlich das du stumm bist?“

Ich seufzte tief. 'Das ist seit dem Unfall meiner Eltern so.'

„Deiner leiblichen?“

Ich nickte.

„Oh. Verstehe.“

„Hey, Dennis!“, rief irgendwo ein Junge, „Komm mal her!“

„Naja. Wir sehen uns dann.“

Ich reagierte nicht. Er dagegen stand auf und ging weg. Als ich mich wieder meinem Essen zuwenden wollte, blieb ein weiterer Junge an meinem Tisch vorbei und blieb abrupt stehen.

Wie viele Jungs hat diese Schule eigentlich?

Nach drei Sekunden setzte er sich beinahe lautlos. Er sagte nichts. Er saß einfach nur da und begann langsam zu essen. Ich zögerte kurz und aß dann ebenfalls weiter. Es kam mir fast so vor als würde er mich ignorieren. Dann fiel mir auf das er der selbe Junge aus der ersten Stunde war. Er wirkte sogar beim Essen desinteressiert. Als er dann fertig war mit essen, sah er mich an. Mehr nicht. Er sah mich einfach nur an, starrte schon fast. Er sagte nichts, machte nichts, saß einfach nur da und sah mich an. Als ich fertig war hob ich dann ebenfalls den Blick und sah ihn an. Er wirkte immer noch desinteressiert. Sogar als er den Kopf mit der Hand abstützte wie jemand der die Frau betrachtete in der er verknallt war. In diesem Falle sah er nur aus wie jemand der jemand anderen aufmerksam beobachtete.

Dann klingelte es zur Stunde.

 

Die letzten beiden Stunden waren genauso gewesen wie die zweite und die dritte. Danach nahm ich meinte Tasche und ging in den Flur. Viele blieben noch bei Freunden und unterhielten sich. Ich drängte mich zwischen ihnen durch zum Ausgang.

„Hey, Rika!“

War das nicht der Junge der am Anfang der Mittagspause mit mir gesprochen hatte? Dennis, genau.

Ich drehte mich leicht verwirrt zu ihm um. Er blieb schlitternd bei mir stehen.

„Hast du etwas dagegen wenn wir zusammen nach hause gehen?“

Ich schüttelte den Kopf und ging voraus. Er kam hinterher und lief neben mir her.

„Ist es eigentlich sehr schlimm unter Pflegeeltern aufzuwachsen?“

Ich schüttelte langsam den Kopf.

Nur eine Woche. Dann wird dich niemand mehr beachten.

„Fehlt dir deine richtige Familie?“

Ich senkte den Kopf. Ich sah nur noch meine Füße die einen Schritt vor den anderen setzten.

TAP TAP TAP TAP...

„Okay, dann schweige ich wohl besser.“, meinte Dennis neben mir.

Wir verließen das Gebäude und wieder verurteilte ich meine Pflegeeltern dafür das sie mir eine übergroße Jacken gekauft hatten. Es war viel zu warm. Oder aber sie glaubten ich würde dick werden, wie fast alle Kinder die in die Pubertät waren oder ihre Familie verloren hatten.

Aber Nicko war noch irgendwo. Er lebt. Er ist nur irgendwo und wartet darauf dich wieder zu sehen.

Ich schluckte hart und kniff die Augen zusammen. Dann atmete ich tief durch und öffnete sie wieder. Als ich wieder auf sah, sah ich meinen 'neuen' Bruder.

„Da bist du ja, Rika. Mom dachte schon du würdest gar nicht mehr nach hause kommen. Frag dich nicht warum, aber du weißt ja wie sie ist. Ungeduld, eben.“

Ich zog die Brauen genervt zusammen und pustete mir das Haar vom Gesicht. Jason war ganz okay. Natürlich wusste niemand was ich durch gemacht hatte. Wie auch? Ich konnte es ihnen ja nicht erzählen. Und aufgeschrieben hätte ich es sicher nicht. Jason versuchte aber wenigstens so zu tun als wäre ich normal und seine Schwester. Er behandelte mich wie seine Schwester. Liebevoll und freundlich. Man konnte zwar nicht sagen mit Liebe, aber er mochte mich. Letzten Endes konnte ich ihn zwar als Bruder bezeichnen, jedoch nicht als Bruder der mich liebte. Nicko würde ich vorziehen.

„Ich sag dann wohl bis morgen.“, meinte Dennis, „Tschüss.“

Ich reagierte gar nicht auf ihn. Also ging er einfach weg. Ich ging mit Jason weiter. Er schwieg einfach nur. Dann kamen wir zu hause an. Ich ging hoch in mein Zimmer, setzte mich an den Schreibtisch und machte die Hausaufgaben. Als diese fertig waren, ging ich ins Internet und schrieb einfach etwas über mein Leben. Das tat ich seit zwei Jahren. Täglich schrieb ich drei Seiten. Manchmal mehr, manchmal weniger. Ich schrieb es auch nur für mich. Dieser Computer enthielt mein ganzes Leben. Und ich war auch die einzige Person die auf die Datei zugriff hatte.

Als ich damit fertig war, ging ich ins Zimmer gegenüber. Es war voll mit Musikinstrumenten, aber es gab nur zwei für die ich mich interessierte. Ich seufzte, setzte mich auf einen Hocker und nahm das Cello zur Hand. Es beruhigte mich innerlich die Musik zu hören. Und wie immer wenn ich spielte, schloss ich die Augen um die innere Ruhe so lange wie möglich zu halten. Die Musik am Cello oder an der Violine war mein Leben. Mein neues Leben.

 

Er hielt überrascht inne als er aus dem Haus neben sich Musik hörte. Er wusste nicht genau was es für ein Instrument war, aber es hörte sich unglaublich an. Ohne es sich bewusst zu sein, war er stehen geblieben und sah zum Haus. Er sah in jedes Fenster, in der Hoffnung er würde die Person spielen sehen. Aber die Fenster waren leer. In einem konnte er Musikinstrumente sehen, sah jedoch niemanden spielen.

„Wunderschön.“, hauchte er zu sich selbst.

Wer dort wohl wohnte. Wer auch immer es war der spielte, er oder sie war einfach perfekt. Schade war nur das die Musik abrupt endete als eine Stimme im Haus zu hören war. Leider konnte er nicht verstehen was gesagt wurde.

~Kapitel 2~

„Rika, Essen ist fertig!“

Ich hielt abrupt mit der Musik inne als meine 'neue' Mutter mich rief. Ich seufzte tief und stellte das Cello zurück. Dann stand ich auf, verließ das Zimmer und ging nach unten.

„Tut mir ja Leid das ich dich aus deiner Traumwelt gerissen habe.“, meinte sie als sie mich sah, „Aber du musst auch etwas essen. Setzt dich, Kind. War es gut in der Schule?“

Ich setzte mich und nickte. Jason war wieder weg. Ich fragte mich ob ich Nicko wohl irgendwann wieder sah. Ich hatte nur ein Bild von ihm. Es war in einem Anhänger an einer Kette die ich nie ablegte. Ich trug sie immer. Im Schlaf, im Bad, sogar beim Schwimmen. Nicko war irgendwo. Und irgendwann würde er mich wiederfinden. Irgendwann wäre er wieder bei mir. Ich musste nur Geduld haben.

Du wirst immer meine kleine Rika bleiben.

Ich begann mit dem Essen.

„Wie wäre es wenn du mal an der frischen Luft spielen würdest?“, wollte mein 'neuer' Vater wissen.

Okay, eigentlich war niemand in meiner 'neuen' Familie neu, aber für mich würden sie immer neu bleiben.

Ich zuckte mit den Schultern.

„Ich kann es dir in den Vorgarten stellen wenn du möchtest. Ins Pavillon.“

Ich nickte nur und aß weiter.

 

„Riley, wo bleibst du?“, wollte sein Kumpel wissen und sah zu ihm zurück.

Greg, und drei weitere Freunde standen ein paar Meter weiter und sahen zu ihm zurück.

„Wer wohnt da?“, wollte Riley wissen und deutete auf das Haus aus dem die Musik gekommen war.

„Weiß nicht. Die Familie ist erst vor zwei Tagen eingezogen. Eltern, eine Tochter. Ein Sohn und eine weitere Tochter haben ein eigenes Haus und kommen dort immer zu besucht.“, erklärte ein anderer Freund von Riley. Er hieß Mike. „Warum fragst du?“

„Da hat eben jemand Musik gemacht.“

„Die Tochter geht bei uns zur Schule.“, meinte Davey. Er wohnte gegenüber von diesem Haus. „Rika, heißt sie glaub ich. Sie ist in der Oberstufe. Wenn ich richtig informiert bin ist sie stumm.“

Die Vier Freunde gingen zu Riley und folgten seinem Blick zum Haus. Alle vier wussten wie hypnotisierend Musik auf Riley wirken konnte wenn es die richtige war. Es gab bis zu diesem Zeitpunkt nur eine Person die solche Musik spielen konnte. Rileys Mutter. Nun schien da Rika zu sein die es ebenfalls konnte.

Als die Tür aufging schwiegen alle fünf. Ein Mann kam mit einem Mädchen heraus. Er trug ein Cello. Das Mädchen einen Hocker.

„Weißt du, Rika, Ange fand nur das du viel zu viel drinnen gesessen hast. Deshalb hat sie gerade dieses Haus gekauft.“, erklärte der Mann dem Mädchen, „Sie wusste von Anfang an das du etwas... schwierig sein würdest. Dann hat sie gesehen wie du in der Musik versinkst.“

Sie drehte den Kopf ein wenig weg.

„Schon gut. Ich bin ja schon leise.“, lachte der Mann.

Er sah nicht das das Mädchen ihn verärgert ansah. Sie stellte den Hocker in ein Pavillon und setzte sich. Daraufhin gab der Mann ihr das Cello und lehnte sich gegen eine der Stützen um ihr zuzuhören. Dann begann sie zu spielen. Und sie versank wirklich in der Musik. Sie schloss die Augen und hielt den Kopf leicht gesenkt. Riley lehnte sich leicht an den Zaun der das Haus umgab.

„Riley hat sich wohl verguckt.“, meinte Havers amüsiert und stieß Mike leicht in die Seite.

Dieser lachte leise. „In das Mädchen oder in die Musik?“

„Seht euch das Mädchen mal an.“, warf Greg ein.

 

Ich spielte bereits eine Weile als mein 'neuer' Vater wieder ins Haus ging. Ich vergaß so gut wie alles um mich herum. Dann hörte ich wie sich das Tor öffnete und jemand auf die Auffahrt fuhr. Ich öffnete die Augen und sah kurz dort hin. Kurz darauf hielt der Wagen und Jason stieg mit seiner Schwester Annie aus.

„Hallo Rika!“, riefen die beiden.

„Das hört sich wunderbar an.“, meinte Annie.

„Du hättest öfter mit kommen sollen.“, meinte Jason zu ihr, „Dann hättest du es schon viel früher gehört.“

„Woran denkst du wenn du spielst?“

Unwillkürlich hielt ich inne und zog meine Kette unter meinem T-Shirt hervor. Jason legte mir tröstend eine Hand auf den Schopf. Annie sah sich das kleine Bild genau an.

„Er sieht dir wirklich sehr ähnlich.“, meinte sie leicht lächelnd, „Ich würde ihn gerne mal kennen lernen. Ich meine, wenn er irgendwann wieder auftaucht.“

„Annie, jetzt komm mit rein und lass Rika wieder spielen. Du hörst es drinnen schon.“

Annie lachte leise. „Du musst immer drängeln. Bis dann, Rika.“

Ich winkte nur. Jason lächelte mich warm an und ging dann mit Annie rein. Statt dann weiter zu spielen sah ich mir das Bild von Nicko an.

Sieht er mir wirklich so ähnlich wie Annie sagt?

Ich seufzte, schob die Kette wieder in mein T-Shirt und spielte weiter. Jedenfalls wollte ich weiter spielen. Ich wurde jedoch von einem Jungen abgelenkt der am Zaun lehnte und mir zusah. Als ich zu ihm aufsah, stellte ich fest das noch vier weitere dort standen.

Ich schloss die Augen, schüttelte den Kopf um ihn frei zu bekommen und spielte weiter.

 

Nach einigen Stunden kam wieder jemand aus dem Haus zu mir.

„Rika, spielst du für mich an der Geige?“, bat Annie.

Ich hob überrascht den Kopf und hielt abrupt mit dem Lied inne.

Für sie?

„Bitte. Kannst du mir zeigen wie es geht?“

Ich seufzte. Dann stand ich auf, lehnte das Cello an den Hocker und legte den Bogen auf den Hocker. Dann nahm ich ihr meine Geige ab und zeigte ihr wie man sie halten musste. Sie lächelte ein wenig als ich sie mit Gesten bat es selbst zu versuchen. Dann ergänzte ich ihre Haltung noch ein bisschen und nickte. Ich stellte mich hinter sie, nahm ihre Hände und machte für sie einen Ton. Dann stellte ich mich wieder vor sie und bat sie mit einer Geste das selbe zu machen. Bei ihr kam jedoch ein anderer Ton heraus.

Ich seufzte, bat sie kurz zu warten und ging ins Haus um die Violine zu holen. Sie wartete geduldig, wie ich feststellte als ich wieder heraus kam. Dann stellte ich mich ihr gegenüber und spielte einen weiteren Ton. Sie versuchte den selben, aber wieder war es ein anderer.

Ich schüttelte den Kopf und legte ihr die Finger richtig auf die Saiten. Dann nickte ich. Sie versuchte es erneut und lächelte als es der richtige Ton war. Dann zeigte ich ihr wie ich die Finger für den nächsten Ton hielt und sie legte ihr ebenfalls an die Stellen. Den nächsten Ton spielten wir gemeinsam. Der selbe. Ich nickte wieder. Dann zeigte ich ihr weitere Töne. Immer mehr. Dann spielte ich ihr ein Stück eines Liedes vor und zeigte ihr vereinzelnd die Töne. Sie zog kurz die Brauen zusammen und wiederholte es langsam. Sie lächelte zaghaft als es ihr nach dem fünften Versuch gelang. Ich nickte aufbauend.

 

Nach einer Weile schaffte Annie es das Lied mit Hilfe zu spielen. Es gab zwar noch Fehler, aber sie sagte sie würde öfter kommen um zu lernen besser zu spielen. Als sie dann mit Jason gegangen war, hatte ich nur noch ein kurzes Lied gespielt und war dann rein gegangen um zu essen, bevor ich ins Bett ging. Bevor ich einschlief hielt ich den Anhänger in meiner Hand und sah es mir eine Weile an. Dann schlief ich einfach ein.

 

Als ich am nächsten morgen die Schule betrat, sprang mir Dennis nahezu entgegen.

„Guten morgen, Rika.“, begrüßte er mich.

Ich nickte zustimmend. Bis vor ein paar Sekunden hatte ich einen herrlichen morgen gehabt. Dann betrat ich jedoch das Grundstück der Schule und stellte fest das man mich immer noch ansah. Ich machte mich mit einem quaselnden Dennis an meiner Seite zur Klasse und zog mir die übergroße Jacke aus. Dennis verabschiedete sich und ich ging in die Klasse. Die erste Stunde war für mich die beste. Mein Nachbarn nervte nicht und der Unterricht war interessant. Hin und wieder konnte ich sogar einige Antworten auf Fragen geben zu denen niemand etwas wusste. Die zweite war dann genauso wie am Vortag, ebenso wie die dritte. Dann kam die Mittagspause, aber ich ging nicht in die Cafeteria. Ich suchte einen Lehrer auf und fragte ihn wo das Musikzimmer sei. Er zeigte es mir ohne zu zögern und erlaubte mir auch zu spielen, falls ich Lust hatte. Die Schule besaß zwar weder Geige noch Violine, aber dafür ein Cello, was mich umso mehr freute. Sie war auch richtig gestimmt. Ich setzte mich mit dem Rücken zur Tür als ich spielte. Die Jacke lag neben mir am Boden, ebenso wie meine Tasche. Ich konnte einfach nicht ohne Musik. Für mich war sie wie eine Heilung.

„Du bist Rika, stimmts?“

Ich hielt wieder abrupt inne als eine Stimme von der Tür ertönte und drehte mich um. Es war der Junge der am Vortag am Zaun gelehnt hatte.

Ich nickte auf seine Frage. Daraufhin kam er herein, schloss leise die Tür und setzte sich mir gegenüber.

„Darf ich dir zusehen? Ich bin auch ganz still.“

Ich zögerte kurz und nickte dann. Er gab wirklich kein einzigen Ton von sich als ich spielte. Er sah einfach nur zu und horchte. Er schien schon regelrecht so versunken zu sein wie ich. Nach drei Liedern holte ich mein Block und einen Stift aus meiner Tasche. Er wartete geduldig.

'Kannst du auch spielen?'

Er sah mich leicht überrascht an. „Wenn ich ein Streichinstrument spiele dann eigentlich Geige. Die Schule hat zwar eine, aber sie ist miserabel gestimmt.“

'Das kann man doch ändern.'

Er lächelte kurz und ging zu einem Schrank. Deshalb habe ich sie nicht gefunden. Ich hab nicht in die Schränke gesehen. Er nahm die Geige heraus und setzte sich mir wieder gegenüber. Dann tauschten wir kurz und er sah mir zu wie ich die Geige stimmte. Es dauerte ein wenig. Als ich dann fertig war tauschten wir wieder.

„Hast du die Noten?“, wollte er wissen.

Ich hielt kurz inne. Dann nahm ich wieder meinen Block zur Hand und schrieb die Noten auf. Es dauerte ein wenig, aber als ich fertig war riss ich die Zettel heraus und gab sie ihm. Er sah sie sich kurz an, spielte dann ein paar Töne und nickte dann. Er lächelte leicht als ich das Lied begann. Nach ein paar Tönen fiel er dann mit ein. Es hörte sich einfach wunderbar an. Ich schaffte es sogar, nach 12 Jahren, wieder zu lächeln. Zwar nur ein bisschen, aber ich lächelte. Und der Junge, wie auch immer er hieß, war der Grund dafür. Als ich zu ihm auf sah, stellte ich fest das er die Augen geschlossen hatte, so wie ich es immer tat. Ich senkte den Kopf wieder ein Stück und schloss ebenfalls die Augen. Um die Musik zu genießen und um die innere Ruhe zu halten.

„Deine Musik hört sich wirklich faszinierend an.“, meinte er irgendwann.

Ich zog den Block zu mir.

'Danke. Ich schätze es liegt an der Inspiration.'

„Verrätst du mir dein Geheimnis?“

'Es ist kein Geheimnis. Ich konnte es nur nie sagen weil ich stumm bin. Und wenn ich versuche es aufzuschreiben, entgleitet mir oft der Stift. Aber ich kann es dir zeigen.'

Er lächelte schräg. „Dann zeig es mir.“

Ich stellte das Cello neben mich hin und zog die Kette aus meinem T-Shirt. Er zog leicht die Brauen zusammen als ich ihm den Anhänger hin hielt. Er beugte sich zu mir vor und sah sich das Bild an. Dann nahm er es ehrfürchtig zwischen zwei Finger und sah es sich genauer an.

„Dein Freund?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Okay, dafür sieht er nämlich etwas zu alt aus. Vater?“

Ich schüttelte wieder den Kopf.

„Ein bester Freund?“

Ich nahm mein Block wieder zur Hand.

'Er ist mein älterer Bruder.'

„Oh. Daran hab ich gar nicht gedacht. Warum ist er... deine Inspiration für solche Musik?“

Mir glitt wirklich der Stift aus der Hand. Ich fuhr mir mit den Händen über Gesicht und atmete tief durch. Dann hob ich den Stift auf und versuchte das erste mal es aufzuschreiben. Ich biss die Zähne zusammen, aber es kam nur ein frustrierendes Gekrakel heraus.

„Jetzt verstehe ich es als du meintest du könntest es nicht aufschreiben.“

Ich seufzte und gab die Versuche auf. Stattdessen schrieb ich etwas anderes auf.

'Nicht mal meine Pflegefamilie weiß was passiert ist.'

„Pflegefamilie? Heißt das deine Familie ist... tot?“

'Die meisten.'

„Oh. Tut mir Leid.“

Ich schüttelte den Kopf.

'Du konntest es gar nicht wissen.'

„Und wie kam es dazu das du angefangen hast zu spielen?“

'Es hört sich vielleicht etwas dämlich an, aber wenn ich spiele, finde ich innere Ruhe. Ansonsten bin ich recht schnell durcheinander und kann meine Gedanken nicht sortieren. Die Musik hilft mir dabei. Deshalb versinke ich auch so schnell darin.'

„Verstehe. Hey, kannst du eigentlich Klavier spielen?“

Ich zog überrascht die Brauen hoch.

'Nur ein bisschen.'

„Wie viel ist ein bisschen?“

'Die Tonleiter.'

Er lachte leise. „Soll ich es dir beibringen?“

Ich lächelte leicht und nickte. Dann klingelte es jedoch. Ich seufzte.

'Komm doch nach der Schule mit zu mir. Unser Klavier wird viel zu viel vernachlässigt.'

Er lachte wieder leise. „Gerne, warum nicht. Treffen wir uns einfach am Eingang.“

Ich nickte. Dann packte ich meine Sachen zusammen, winkte ihm noch kurz und ging dann zur Klasse. Ich kam gerade rechtzeitig.

 

Am Ende der letzten Stunde, packte ich meine Sachen zusammen und wollte raus gehen.

„Rika, komm doch nochmal kurz her.“, bat mich mein Lehrer und winkte mich zu sich.

Ich drehte mich widerwillig um und ging zu ihm.

„Einige Schüler sagten sie hätten dich im Musikzimmer

gesehen.“

Ich nickte.

„Auch das du offenbar wunderbar Cello spielst. Wenn ich ehrlich sein soll, wir haben ein kleines Orchester. Das Problem ist nur das sie nicht spielen können. Ich bin mit meiner Weisheit am Ende, also wollte ich dich fragen ob du versuchen könntest es ihnen beizubringen.“

Ich sah ihn einen Augenblick überrascht an.

„Natürlich würde ich mir vorher gerne mal eines der Lieder anhören die du spielst.“

Ich pustete mir das Haar von der Stirn und nickte dann. So wäre es zwar schwerer nicht beachtet zu werden, aber was sollte ich machen? Mich in irgendeiner Ecke verschanzen.

Ich könnte mich ja mit dem Cello im Musikraum einsperren.

„Du kannst gehen.“

Bei der Aussage des Lehrers drehte ich mich erneut um und verließ die Klasse. Am Eingang traf ich wie verabredet auf den Jungen. Er redete gerade mit einem Freund. Als er mich sah, lächelte er mich leicht an.

„Wir sehen uns dann morgen.“, meinte er an seinen Freund.

„Bis dann.“, gab dieser zurück und ging.

Auf dem Weg nach hause waren wir still. Als wir gerade das Tor passiert hatten, kam jemand aus dem Haus den ich gar nicht kannte.

„Hey, ich kann da auch nichts für!“, meinte er und ging vorsichtig zurück.

Jason kam ihm hinterher. „Was sagtest du gerade? Du bist doch dabei gewesen.“

Ich schlug frustriert die Hand gegen die Stirn. Sofort sahen die beiden zu mir.

„Rika!“, meinte Jason dann mit erheblich besserer Stimmung. „Hast du einen Freund mitgebracht?“

Ich seufzte und nickte.

„Ich bin Riley.“, meinte dieser, „Ich wollte ihr beibringen am Klavier zu spielen.“

„Oh, gute Idee.“ Unwillkürlich zog er die Brauen zusammen. „Du gibst ihr Klavierunterricht und sie gibt Annie Geigenunterricht. Klingt schon etwas seltsam.“ Er zuckte mit den Schulter. „Rika eben. Ach, bevor ich es vergesse.“

Ich wollte gerade das Haus betreten.

„Da hat jemand angerufen und wollte mit dir sprechen.“

Ich drehte mich um und sah ihn verwirrt an.

Wie soll ich bitte mit jemandem telefonieren?

„Er sagte er möchte dir nur etwas sagen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich hab gesagt du bist nicht da.“

Ich nickte und ging mit Riley rein. Dann ging ich direkt hoch in mein Zimmer und stellte meine Tasche weg. Dann bat ich ihn kurz zu warten und schaltete meinen Computer ein. Er sah sich derweile im Zimmer um. Auch als ich kurz schrieb.

„Darf ich fragen was du da schreibst?“, fragte er nach einer Weile.

Ich hob den Kopf. Er sah von seinem Standpunkt aus auf den Bildschirm, sah jedoch sofort zu mir als ich ihn ansah.

„Ich bin nur ein bisschen neugierig.“

Ich seufzte und winkte ihn zu mir. Ich scrollte etwas höher und markierte ihm einen Teil des Textes. Darin war wage beschrieben was passiert war als ich 5 war. Er las es sich aufmerksam durch und sah dann unsicher von mir zum Bildschirm und dann wieder zu mir.

„Du... Du hattest also nur noch... Nicko und der ist verschwunden?“

Ich nickte langsam.

„Ich gehe mal davon aus das Nicko dein Bruder ist.“

Ich nickte erneut.

„Wow. Mit 5 Jahren den verlieren der einem am wichtigsten ist. Alt genug um zu verstehen das man die Person möglicherweise nie wieder sieht, aber noch zu jung um es zu akzeptieren.“

Ich nickte. Dann schaltete ich den Computer aus und ging mit ihm ins Zimmer gegenüber.

„Cool. Ein richtiges Musikzimmer. Klavier, Cello, Geige, Violine, Kontrabass, Gitarre, Flöte, Klarinette, Saxophon, Xylophon, Metallophon, Bass, Trommeln verschiedener Art, Schlagzeug, Harfe... Kannst du alles spielen?“

Ich schüttelte den Kopf und deutete auf die paar Instrumente die ich spielen konnte.

„Okay... Dann fangen wir besser an, oder?“

Er setzte sich ans Klavier und ich setzte mich neben ihn.

„Zeig mir mal was du kannst.“

 

„Rika, komm runter! Essen ist fertig!“

Riley hielt abrupt inne als meine 'neue' Mutter mich zum Essen rief. Riley und ich hatten nun schon seit Stunden an dem Klavier gesessen. Einer meiner Blöcke lag auf dem Flügel. Diesen zog ich nun zu mir.

'Möchtest du mit essen? Danach können wir ja weiter machen.'

Er lächelte ein wenig. „Gerne. Es macht Spaß mit dir Klavier zu spielen.“

Ich lächelte schräg und ging mit ihm runter. Dort gingen wir dann direkt ins Esszimmer. Jason klopfte ungeduldig mit der Gabel an die Tischkante, während Annie ihn missbilligend ansah. Mein 'neuer' Vater saß am Kopf des Tisches und beobachtete Jasons Gabel. Meine 'neue' Mutter kam mit dem Essen rein. Ich schüttelte den Kopf und setzte mich mit Riley an den Tisch.

Als Jason seinen Teller bekam, machte er Anstalt schon mit dem Essen zu beginnen bevor alle anderen hatte. Da er mit gegenüber saß, trat ich ihm zur Warnung gegens Schienbein. Daraufhin verzog er das Gesicht und sah mich an. Ich winkte unschuldig.

„Also, das gibt sicher einen blauen Fleck.“, meinte er dann. Annie lachte leise, woraufhin meine 'neue' Mutter seufzte und tadelnd den Kopf schüttelte. Nachdem sie dann ein weiteres mal Essen rein brachte, setzte sie sich und Jason war der erste der etwas aß. Dafür verbrannte er sich die Zunge.

„Autsch, heiß.“

„Du solltest vielleicht pusten.“, schlug Annie vor.

„Das weiß ich doch selber.“

„Und warum tust du es dann nicht?“

„Warum möchtest du Geige lernen?“

Sie verzog verärgert das Gesicht und aß schweigend weiter.

 

Nach dem Essen gingen Riley und ich wieder nach oben. Dort übten wir noch etwa zwei Stunden bis Riley wieder gehen musste. Es war recht spät gewesen und keiner von uns hatte daran gedacht noch Hausaufgaben zu machen. Dafür hatte er versprochen am nächsten Tag wieder ins Musikzimmer zu kommen damit wir dort weiter üben konnten. Nachdem ich im Musikzimmer alles aufgeräumt hatte, machte ich in meinem Zimmer meine Hausaufgaben und ging dann ins Bett. Dort dachte ich dann über den vergangenen Tag nach und fragte mich warum ich Riley mit Hilfe meiner Datei gezeigt habe warum mein geliebter Bruder meine Inspiration für meine Musik ist. Ich kannte ihn erst seit diesem Tag und wusste nicht ob ich ihm vertrauen konnte. Okay, er konnte sehr gut Klavier und Geige spielen, aber das hieß noch lange nicht das ich ihm vertrauen konnte.

Ich schüttelte den Kopf.

Einfach sehen wie es morgen ist, Rika.

 

Als er zu hause ankam, war das erste was er sah seine kleine Schwester.

„Hallo, Riley.“, meinte sie lächelte und eilte zu ihm um ihn zu umarmen, was ihr jedoch nicht so recht gelingen wollte da sie viel zu klein war.

„Hallo, Livia. Hattest du heute Spaß?“

„Ja. Im Kindergarten haben wir Bilder mit Fingerfarben gemalt.“

„Was hast du denn gemalt?“

„Ich hab unser Haus gemalt.“

„Ist ja super.“

Sie lächelte ihn strahlend an. „Komm mal mit. Mama hat ein neues Lied.“

Sie nahm Riley an der Hand und zog ihn hinter sich her. Unterwegs warf er seine Tasche in eine Ecke und folgte Livia ins Wohnzimmer wo der Flügel seiner Mutter stand. Sie selbst saß daran und studierte Noten. Als Riley mit Livia rein kam sah sie auf und lächelte.

„Hallo, Riley. Wo warst du denn den ganze Tag?“

„Ich war bei unserer neuen Schülerin. Rika. Ich hab ihr vorgeschlagen ihr das Klavier beizubringen. Sie spielt Cello, Geige und Violine.“

„Muss ja schon etwas heißen wenn du das erwähnst.“

„Sie spielt genauso gut Cello wie du Klavier.“

„Na, wenn das so ist dann bring sie doch mal mit her. Dann spielen wir zusammen. Sie Cello und ich Klavier.“

Er lächelte ein wenig. „Das Problem ist nur, sie ist stumm.“

„Was heißt stumm?“, wollte Livia wissen.

Riley sah zu ihr hinab. „Rika kann nicht sprechen.“

„Hat man es ihr nicht beigebracht?“

„Ich weiß es nicht.“ Er sah wieder zu seiner Mutter auf. „Sie wohnt in einer Pflegefamilie weil sie fast ihr ganze Familie verloren hat.“

„Fast?“

Er hob lediglich die Schultern.

 

Als ich am nächsten morgen die Schule betrat, seufzte ich tief und machte mich direkt auf den Weg zur Klasse. Ich kam eine ganze Stunde zu spät.

Als ich die Klasse betrat, sahen mich alle an.

„Wie schön das du auch noch kommst.“, meinte der Lehrer.

Ich biss mir auf die Lippen und ging zu meinem Platz.

„Gibt es einen Grund für deine Verspätung?“

Ich holte mein Block heraus und schrieb es kurz auf. Dann riss ich den Zettel raus und brachte ihn nach vorn.

'Die Batterien in meinem Wecker waren leer. Ich besorge heute neue.'

Er nickte. „Dann ist es ja noch okay. Du kannst dich wieder setzen.“

Ich tat was er wollte und konzentrierte mich auf den Unterricht. Nach der Stunde suchte ich dann jemanden der in der ersten Stunde in der selben Klasse war wie ich. Daraufhin fand ich meinen Nachbarn aus der ersten Stunde. Der große Schweiger. Ich seufzte und tippte ihn an der Schultern an. Er sah mich überrascht an. Daraufhin hielt ich ihm ein Zettel hin, den er sich dann ansah.

'Kannst du mir vielleicht deine Notizen leihen? Es dauert auch nicht lange.'

Er zuckte mit den Schultern, holte ein Block aus seiner Tasche und reichte ihn mir. Ich nickte dankend und ging auf den Pausenhof zu einer Bank mit einem Tisch. Dort suchte ich aus dem Block dann die Notizen von heute und schrieb sie ab. Als es dann anfing zu regnen, packte ich schnell die Sachen ein und ging rein. Dort knallte ich dann mit jemandem zusammen, sodass meine und seine Sachen zu Boden fielen.

„Tut mir Leid. Ich hab dich nicht gesehen.“ Ich sah auf und damit in Rileys Gesicht. „Oh. Hallo, Rika.“

Ich hob zur Begrüßung kurz die Hand und bückte mich dann um meine Sachen aufzuheben. Daraufhin bückte er sich ebenfalls und suchte seine Sachen heraus. Am Ende lagen da zwei gleich aussehende Blöcke. Einer gehörte ihm und einer war meiner. Da standen sehr private Dinge drin.

„Äh... Ich nimm mal den hier.“ , meinte er und nahm den Block der ihm am nächsten lag.

Ich nickte und nahm den anderen. Dann richteten wir uns wieder auf.

„Nun... Dann sehen wir uns im Musikraum?“

Ich nickte.

„Bis dann.“

Ich winkte kurz und ging dann weiter. Ich setzte mich schon mal in die Klasse, wo ich dann weiter abschrieb. Als es klingelte schrieb ich nur noch schnell den letzten Satz ab. Dann packte ich die Sachen zusammen und holte die Sachen für die Stunde heraus.

~Kapitel 3~

Ich atmete erleichtert auf als die Stunde vorbei war. Meine Sachen waren schon fast alle gepackt als ich aufstand. Ich nahm kurz den Rest so, klemmte sie mir unter den Arm und nahm dann meine Tasche. Während ich dann raus ging, packte ich sie alle da rein, nahm draußen meine Jacke und machte mich auf den Weg zum Musikzimmer. Dort angekommen, betrat ich es kurz, legte meine Sachen beiseite und seufzte, als ich feststellte das Riley noch nicht da war. Also setzte ich mich auf einen der Stühle und nahm das Cello zur Hand. Etwa fünf Minuten später fiel dann hinter mir die Tür zu. Ich hielt abrupt inne und drehte mich um. Riley und einer seiner Freunde war rein gekommen.

„'tschuldige. Er wollte unbedingt mit kommen.“

Ich winkte ab.

„Wollen wir direkt anfangen? Wenn nicht können wir auch noch ein bisschen so spielen.“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Das ist übrigens Greg. Greg, Rika.“

„Nett dich kennen zu lernen.“, meinte er darauf.

Ich nickte zustimmend. Riley ging währenddessen zum Schrank und holte die Geige heraus. Ich drehte den Stuhl um, sodass ich in den Raum sah, statt aus dem Fenster, und wartete noch kurz auf Riley.

„Okay, kannst anfangen.“, meinte er und nickte mir zu.

Ich begann zu spielen und wenige Töne später fiel er mit ein. Ich lächelte ein wenig über das Lied das zu Stande kam, während ich die Augen schloss und leise an Nicko dachte. Das führte dazu das es bei mir ein wenig intensiver war als bei Riley. Und dann war da der Schmerz mit dem der Gedanke verbunden war. Jemanden zu verlieren den man liebte war schwer zu verkraften, wie ich wusste. Und Nicko war so eine Person.

Nach ein paar Minuten saßen Riley und ich am Klavier. Er war groß dabei mir die nächste Lektion zu erklären. Ich durfte von ihm erst nur mit einer Hand spielen. Er meinte es wäre zu schwer schon so früh mit zwei zu spielen.

Nachdem er mir alles erklärt hatte, spielte er ein kleines Stück vor. Als Beispiel. Natürlich ebenfalls mit einer Hand. Ich versuchte das selbe Stück ein paar Oktaven tiefer.

„Rika, du musst auch darauf achten das du alles beachtest das ich dir in dieser Lektion erklärt habe.“, meinte er danach.

Ich hatte recht oft falsch gespielt.

„Nimm dir eine Taste und halte sie als Grundtaste. Das hat meine Mutter mir mal so erklärt als ich das spielen gelernt habe. Du richtest dich nach dieser einen Taste.“

Ich nickte. Daraufhin spielte er das Stück erneut und nannte dabei die Noten. Danach probierte ich es ebenfalls. Er ließ mich absichtlich in der selben Oktave spielen in der das Cello spielt. So wäre es einfacher für mich, wie er sagte, mir zu merken wo welcher Ton war. Und das funktionierte sogar. Beim dritten Versuch hatte ich keine Fehler mehr im Stück.

„Großartig.“, meinte Riley aufbauend.

Ich lächelte leicht.

„Du lernst wirklich schnell.“

Ich zog den Block zu mir der auf dem Flügel lag.

'Die Instrumente die ich spiele musste ich mir selbst beibringen. Abgesehen von dem Klavier.'

„War das sehr schwer?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Da fällt mir gerade ein... Ich hab meiner Mutter gegenüber erwähnt das ich dir Klavierunterricht gebe. Deshalb war ich ja so spät zu Hause. Dann hab ich noch erwähnt das du klasse Cello spielst und da hat sie dich eingeladen. Sie hat die Idee das ihr mal zusammen etwas spielen könntet. Sie am Klavier und du am Cello.“

Ich zögerte nicht lange und nickte. Daraufhin lächelte er erleichtert.

„Dann... heute? Oder besser morgen?“

'Heute klingt gut. Ich muss nur das Cello holen, oder habt ihr eins?'

„Nein. Das müsstest du holen. Meine Schwester wird sicher nichts kaputt machen. Sie ist ganz lieb.“

Ich sah ihn überrascht an.

„Sie heißt Livia und geht noch in den Kindergarten. Nächstes Jahr wird sie eingeschult.“

'Sie ist also 5?'

„Ja. Und sie liebt Musik genauso sehr wie der Rest meiner

Familie.“

„Man könnte glatt denken die wären mit Mozart verwandt.“, meinte Greg belustigt.

Riley grinste ihn an, „Ach. Und du mit Da Vinci?“

Greg grinste nur zurück und wackelte mit den Augenbrauen.

Ich schüttelte belustigt den Kopf.

„Ich sag’s dir, Rika. Seine Familie malt die besten Bilder. Greg selbst hat eine glatte eins in Kunst. Und im Zeichenkurs ist er auch der beste.“

Ich zog überrascht die Brauen hoch und sah zu Greg. Dieser hob unschuldig die Schultern.

„Es macht mir halt Spaß zu zeichnen.“

„Kannst du auch zeichnen?“, wollte Riley dann von mir wissen.

'Ich weiß nicht ob es gut ist.'

„Zeigst du es uns?“

Ich zögerte kurz, stand dann aber auf und holte einen meiner Blöcke aus meiner Tasche. Es war nicht mein privater. Sonst wäre er schon lange voll.

Mit dem Block in der Hand setzte ich mich dann wieder ans Klavier und schlug es auf. Auf der ersten Seite war ein Bild das etwa 5 Jahre alt war. Ich hatte es seit ich 7 war. Und das genaue Datum stand darunter. Ich zog kurz die Brauen zusammen und blätterte etwas weiter, bis ich im hier und jetzt angekommen war. Die jüngste Zeichnung war ein paar Wochen alt. Ich hatte aus Langeweile mein Cello abgezeichnet. Leider war ich damit nicht ganz fertig geworden.

Ich drehte mein Block um, sodass Riley und Greg es sehen

konnten. Unter der Zeichnung stand:

 

'Mein Cello

 

23.8.

unvollständig'

 

Greg und Riley nickten.

„Was hast du noch so gemalt?“, fragte Greg dann.

Ich zog mein Block auf dem Klavier zu mir.

'Ich habe einmal versucht meinen Bruder zu malen. Aus dem Kopf. Es sieht nicht sooo schlecht aus.'

Riley sah mich interessiert an nach dem er das gelesen hatte.

„Dürfen wir es sehen? Bis jetzt weiß ich ja nur wie sein

Gesicht aussieht.“, erklärte er dann.

Ich biss mir auf die Unterlippe und suchte das Bild heraus.

 

'Nicko, mein geliebter Bruder

6.2.'

 

Riley nahm mir sanft den Block aus der Hand um sich das Bild besser anzusehen. Wenigstens war es kein Strichmännchen. Greg kam zu uns rüber, beugte sich neben Riley und sah sich das Bild ebenfalls an. Die zwei sahen sich kurz an und sahen dann zu mir.

„Das ist dein Bruder?“

'Es war als ich ihn das letzte mal gesehen habe. Damals war ich 5.'

„Stimmt. Wie alt müsste er dann jetzt sein? 30? 33?“

'28.'

„Wie bitte? Dann muss er damals ja 16 gewesen sein.“

Ich nickte zustimmend. Er sah erneut auf das Bild und schüttelte den Kopf.

„Er hat große Ähnlichkeit mit dir.“, bemerkte Greg, „Und er sieht recht erwachsen aus.“

Ich nickte. Das wusste ich bereits. Als es zur Stunde klingelte, sahen wir alle zur Uhr.

„Wie schnell die Zeit doch vergeht.“, meinte Riley geistesabwesend. Er gab mir mein Block zurück und ich verstauten diesen und den anderen in meiner Tasche.

„Ich hole dich dann um 14 Uhr ab.“, meinte Riley als er sich erhob.

Ich nickte und verließ das Musikzimmer. Unterwegs zur Klasse traf ich meinen Nachbarn aus der ersten Stunde wieder. Ich hielt ihn kurz auf, gab ihm sein Block zurück und schrieb ihm noch ein Dankeschön auf. Daraufhin nickte er nur und ging dann weiter. Ebenso wie ich.

Als ich die Klasse betrat, hätte ich am liebsten aufgestöhnt. Der Lehrer hatte früher mit dem Unterricht begonnen. Wenigstens hatte er Verständnis für mein zu spät kommen.

 

Ich fuhr meinen Computer runter und holte meinen 'privaten' Block heraus um mir eine weitere Frage zu notieren. Den offenen Stift hatte ich schon in der Hand. Ich hätte beinahe zum Schreiben angesetzt, als ich bemerkte das es nicht mein Block war. Da stand weder eine Frage noch eine Antwort. Es waren einfache Notizen. Und es war nicht meine Schrift.

Verdammt!

Riley musste mein Block haben. Und er hatte sicher schon vor gehabt sich seine Notizen anzusehen, hatte dann jedoch sicher meine Fragen gefunden.

Hoffentlich hat er nichts gelesen.

Ich legte den Stift beiseite und notierte mir die Frage woanders. Dann fiel mein Blick auf Rileys Notizen. Er hatte in gewisser Maßen eine schöne Schrift. Und er schien auch mehr als nur das notwendige aufzuschreiben. Genau das tat ich in Fächern die mich interessierten. Ich schrieb einfach alles auf. Ich schüttelte leicht den Kopf und klappte den Block wieder zu. Wenige Sekunden danach klopfte es an meiner Tür, woraufhin Jason herein lugte.

„Besuch für dich.“, meinte er grinsend, „Ein Date?“

Ich rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf.

„Wie? Kein Date? Warum ist er dann so nervös?“

Ich hob die Schultern und quetschte mich an ihm vorbei. Unten im Flur sah Riley sich gerade ein Bild an. Er sah auf als ich auf der Treppe stehen blieb und lächelte mich an.

„Hast du dein Cello?“, wollte er wissen.

Ich hob kurz den Finger, eilte ins Musikzimmer und verstaute kurz das Cello in einer dafür vorgesehenen Tasche. Dann legte ich noch den Bogen dazu und eilte wieder nach unten.

„Okay, hast du jetzt alles?“

Ich nickte.

„Dann können wir ja gehen.“

Wir verließen das Haus und machten uns auf den Weg.

Schweigend liefen wir nebeneinander her, während ich mir die Umgebung ansah. Nach einer Weile kamen wir dann an einem recht hübschen Haus an. Es war nicht klein, aber auch nicht wirklich groß. Von innen ertönte eine herrliche Melodie an einem Klavier. Das Haus war mir sofort sympathisch.

„Ja... da wären wir dann.“, meinte Riley als wir zur Tür gingen. Er schloss kurz auf, hielt mir die Tür auf und schloss sie dann wieder.

„Da bist du ja wieder!“, rief ein Mädchen fröhlich aus.

Ich sah überrascht zu ihr als sie auf Riley zu rannte. Er fing sie leicht lachend auf und hob sie hoch.

„Hast du mich vermisst?“, wollte er wissen.

„Du warst doch nur ganz kurz weg.“

„Du warst aber noch im Kindergarten als ich hier war.“

Sie überlegte kurz. „Ja! Ich hab dich schrecklich doll vermisst.“

Riley lächelte sie an und wandte sich dann an mich.

„Das hier ist Livia. Ich hab dir ja schon von ihr erzählt. Livia, das ist Rika.“, stellte er vor.

„Hallo Rika.“, meinte Livia lächelnd, „Riley sagte du kannst nicht sprechen.“

Ich nickte zustimmend.

„Nervt das nicht?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Livia?“, fuhr Riley sanft dazwischen.

„Ja?“

„Hast du eigentlich schon dein Zimmer aufgeräumt?“

„Mein Zimmer...? Oh! Das hab ich ganz vergessen!“

Riley ließ sie runter und das kleine Mädchen eilte eine Treppe hoch. Daraufhin ging ich mit Riley den Flur hinunter. Dort war ein Türbogen der ins Wohnzimmer führte. Und dort wiederum stand ein Klavier an dem gerade eine Frau spielte.

„Hallo, Mom.“, meinte Riley.

Die Frau, die scheinbar Rileys Mutter war, unterbrach das Spiel und sah zu uns.

„Da bist du ja wieder. Hallo, du musst Rika sein.“

Sie erhob sich, trat zu uns und reichte mir ihre Hand. Ich ergriff sie ohne zu zögern und lächelte sie schwach an.

„Ich bin Irina. Riley sagte das du offenbar fantastisch Cello spielst.“

Ich sah zu Riley. Dieser wollte mir gerade mein Cello abnehmen.

„Das stimmt auch.“, stimmte er zu, „Es hört sich fantastisch an. Rika, möchtest du etwas trinken?“

Ich nickte einfach nur. Daraufhin verschwand Riley im Flur. „Ich würde mir gerne mal anhören was du spielst.“, meinte Irina und zog ein Stuhl neben das Klavier, „Würdest du etwas vorspielen?“

Ich atmete kurz ein und holte dann das Cello aus der Tasche. Damit setzte ich mich dann und begann ein kurzes Stück. Es war nicht besonders lang. Als ich fertig war, stellte ich fest das Riley bereits auf der Couch saß und Livia auf dem Schoß hatte. Er lächelte als ich ihn ansah.

„Riley hat in keinem Maße übertrieben.“, meinte Irina lächelnd, „Wer hat es dir beigebracht?“

Ich hob die Hand.

„Du hast es dir selbst beigebracht?“

Ich nickte.

Irina lächelte mich wieder an. „Wollen wir ein bisschen zusammen spielen?“

Ich nickte. Ich wollte schon immer mal mit Klavierbegleitung spielen.

Sie stand auf und setzte sich ans Klavier. „Was für Lieder kannst du denn?“

Sie hielt mir ein Notenheft hin. Daraufhin schüttelte ich den Kopf. Sie zog verwirrt die Brauen zusammen.

„Sie hat ihre eigenen Lieder.“, meinte Riley.

Ich nickte.

„Oh. Wenn das so ist. Warte kurz.“

Sie stand wieder auf, ging zu einem Schrank und holte dort etwas raus. Dann kam sie wieder zu mir und drückte mir leere Notenblätter und einen Stift in die Hand. Ich zog kurz die Brauen zusammen und schrieb die Noten auf. Es dauerte nicht sehr lange. Es war aber ein Lied das Riley noch gar nicht kannte. Hin und wieder musste ich sogar kurz nachdenken welcher Ton als nächstes kam, da ich es schon lange nicht mehr gespielt habe.

Als ich fertig war, gab ich Irina kurz das Notenblatt und den Stift. Das Notenblatt legte sie bei sich ans Klavier. Den Stift legte sie beiseite.

„Fertig?“, wollte sie wissen als sie sich ans Klavier setzte. Ich trank noch kurz ein Schluck von dem Saft den Riley mir geholt hatte und nickte dann.

Irina sah auf die Noten und spielte dann die ersten Töne. Dann sah sie mich fragend an. Ich nickte. Sie begann. Nach einigen Tönen fiel ich dann mit ein. Es war nicht schwer das Lied wieder ins Gedächtnis zu rufen. Es war schwerer dabei einen leeren Kopf zu bewahren. Es war ein Lied das Nicko oft vor sich hin summte.

 

„Das ist unser Lied.“, hatte er auf meinen fragenden Blick gesagt, „Es gehört nur uns beiden. Wo auch immer dieses Lied zu hören ist, wird einer von uns sein.“

Ich hatte damals den Kopf schräg gelegt und ihn verwirrt angesehen.

„Andere können es nicht spielen wenn wir die Töne nicht angeben.“, erklärte er, „Sonst hört sich das Lied nicht richtig an. Deshalb ist es unser Lied. Und wenn du dabei bist, ist es traumhaft.“

Daraufhin hatte ich ihn angelächelt und die Arme um ihn geschlungen. Er hatte gelacht und mich glücklich an sich gezogen.

 

Nun saß ich hier und spielte es mit Irina. Riley sah fasziniert zu und Livia schlief dabei ein. Und ich war nahe dabei Tränen zu vergießen. Ich wischte mir schnell die Tränen aus den Augen und sah wieder auf. Zum Glück hatte Riley die Augen geschlossen um dem Lied zu horchen. Irina sah sich die Noten nochmal an. Als Riley dann die Augen öffnete, lächelte er mich an.

„Das war fantastisch.“, meinte er, „Großartig, einfach nur perfekt.“

Ich lächelte ihn leicht an und senkte etwas den Blick. Als dann mein Magen knurrte, wurde ich etwas rot und verfluchte meinen Hunger dafür. Irina lachte ein wenig.

„Ich mach dir etwas zu essen. Riley, bring Livia doch ins Bett.“

„Geht klar. Rika, komm doch mit. Bis Mom das Essen fertig hat dauert es sowieso.“

Ich stellte mein Cello zur Seite und folgte ihm in den Flur und die Treppe hoch. Wenige Sekunden später legte er Livia vorsichtig in ihr Bett und deckte sie sorgfältig zu. Dann ging er leise mit mir raus und zog die Tür zu. Im Flur nahm er mich sanft an der Hand und zog mich hinter sich her.

„Ich möchte dir mal etwas zeigen.“, meinte er und sah über die Schulter kurz zu mir und lächelte.

Dann sah er wieder nach vorn und zog mich die Treppe wieder runter. Dann zog er mich ins Wohnzimmer und ging mit mir in den Garten. Dort zog er mich an einen Gartenzaun vorbei der den Blick auf das dahinter verbarg und wohl zur Aufteilung des Gartens diente, denn dahinter ging es noch weiter. Und der Garten schien nicht gerade klein zu sein. Am liebsten hätte ich ihn gefragt wohin er mich bringt. Dann blieb er jedoch stehen und drehte sich zu mir um.

„Mach mal die Augen zu.“, bat er.

Ich zögerte kurz und tat dann was er wollte. Diesmal nahm er mich an beiden Händen und zog mich vorsichtig mit. Nach einer Weile wurde er kurz langsamer.

„Vorsicht, Stufe.“, warnte er.

Ich tappte kurz mit dem Fuß und stieg dann die Stufe hoch.

„Keine Sorge, das war die einzige. Jetzt wird es nur etwas

schräg.“

Ich nickte und er zog mich vorsichtig weiter. Nach etwa einer halben Minute bemerkte ich einen wirklich schönen Geruch nach Blumen. Er zog mich jedoch weiter. Dann war der Geruch sehr intensiv und er blieb stehen, wobei er meine Hände los ließ. Ich wurde etwas unsicher als er sich nach einer Minuten nicht meldete, was jedoch völlig überflüssig wurde.

„Jetzt kannst du die Augen auf machen.“, vernahm ich es hinter mir.

Ich machte die Augen auf und blinzelte kurz. Dann stellte ich fest das ich mitten auf einer Blumenwiese stand auf der man nur vereinzelnd Gras erkennen konnte. Unwillkürlich drehte ich mich zu ihm um und fiel ihm in die Arme. Da er darauf genauso wenig vorbereitet war wie ich, gingen wir beide zu Boden, wobei er lachte.

 

(Noch)unbekannte Person

„Hast du alles?“, wollte ich von meinem Kumpel Nick wissen und sah ihn fragend an.

„Ja doch. Siehst du doch.“, gab er zurück.

„Das du immer so gereizt sein musst.“

„Hab meine Gründe.“

„Ah.. ja. Stimmt, hab ich ganz vergessen.“

Er warf mir einen kalten Blick zu und ging dann voran die Straße hinunter. Warum war er nur so eiskalt?

Ich stand da und sah ihm hinterher. Er verschwand um der Ecke und ich zählte langsam bis zwanzig. Dann ging ich ebenfalls die Straße hinunter und bog um die andere Ecke.

„Hab gehört eine Familie wäre in die Villa eingezogen.“, bemerkte ich nebenbei am Funkgerät.

„Aha.“, mehr erwiderte er nicht.

„Mutter, Vater, ausgezogene Tochter, ausgezogener Sohn und eine sehr talentierte Tochter die Cello spielt.“

„Aha.“

„Wenn ich richtig informiert bin ist sie aber stumm und scheint immer in trauriger Stimmung zu sein.“

„Hm.“

Ich seufzte und zündete mir eine Zigarette an. „Wir können ja später mal da vorbei schauen und sehen ob wir da irgendwas finden können.“

„Mhm. Was glaubst du denn groß zu finden?“

„Irgendwelche Informationen. Du kennst mich doch.“

„Aha.“

Eine Weile war es still. Als ich an der besagten Villa vorbei kam, kam mir das stumme Mädchen entgegen und betrat das Gelände.

„Hey, Kleine.“, meinte ich leicht lächelnd.

Sie sah mich überrascht an.

„Findest du es nicht etwas spät?“

Sie schüttelte langsam den Kopf. In der Jacke sah sie irgendwie aus als hätte sie Übergewicht. Dafür waren ihre Hände aber viel zu dünn. Und die Ärmel hingen eher an ihren Armen.

„Ist etwas groß die Jacke, oder?“

Sie zuckte mit den Schultern. Daraufhin zog ich kurz an der Zigarette.

„Sag mal, weißt du zufällig wo der Park ist?“

Sie schüttelte zögerlich mit dem Kopf. An irgendjemanden erinnerte sie mich.

„Du hast wohl nicht oft Kontakt zu Fremden oder?“

Wieder schüttelte sie den Kopf. Ich lächelte sie ein wenig an und tätschelte ihr den Kopf.

„Viel Spaß noch, Kleine.“

Daraufhin nickte sie unsicher und ging weiter. Ich tat es ihr gleich, während ich erneut an der Zigarette zog und mich fragte an wen sie mich so stark erinnerte.

„Nick?“, meldete ich mich etwas später am Funkgerät.

„Was?“, wollte er daraufhin wissen.

„Wie weit bist du schon?“

„Ich bin gerade an der Uni angekommen und bin auf dem Weg ins Archiv. Und du?“

„Bin fast am Rathaus angekommen.“

Eine Weile war es wieder still. Ich hörte leise die Tasten eines Computers durchs Funkgerät, während ich in die Universität ging. Was für ein Glück das es nachts noch offen war. Ich ging direkt zum Archiv, wo ausnahmsweise mal kein Angestellter war.

„Mit wem hast du eben eigentlich gesprochen?“, wollte Nick leise nebenbei wissen.

„Mit dem stummen Mädchen. Scheint ganz nett zu sein, die Kleine.“, gab ich ebenfalls leise zurück, „Ach, da du gerade an einem Computer sitzt, schreib Nuka mal das wir vielleicht nach New York müssen, wenn wir weiterhin nichts finden.“

„Wenn’s denn sein muss.“

Ich rollte mit den Augen. „Du musst wirklich mal an deinem Charakter arbeiten.“

„Das sagst du jetzt schon zum hundertsten Mal, seit wir uns kennen.“

„Hundert erst? Ich war mir sicher es war mehr.“

„Vielleicht fünfzig mehr. Fünfzig oder hundert.“

„Kann es eigentlich sein das du nie mehr als drei Sätze sagst?“

„Was weiß ich.“

Ich seufzte. „Du machst mich noch verrückt mit deiner Einstellung.“ Ich zog erneut an meiner Zigarette und sah die Regale des Archivs durch. „Schon mal an Therapie gedacht?“

„Eine Therapie würde sowieso nicht helfen.“

„Wie kannst du dir da so sicher sein?“

„Ich hab da so meine Gründe.“

„Wenn du meinst.“

Wieder wurde es still. Die Computertasten hörte ich fast ununterbrochen.

„Versuch es mal unter H.“, meinte er irgendwann.

„H, A oder K?“

„H, du Idiot.“

Ich grinste ein wenig über seinen aufgebrachten Ton und ging ein paar Regale weiter.

„Gib mir noch einen Buchstaben.“

„Warte kurz.“

„Ich hab reichlich Zeit.“, gab ich ironisch zurück.

„Halt die Klappe.“

Ich zog wieder an meiner Zigarette und wartete. Dann meldete er sich wieder.

„Hu.“

„Gehört das U zu einem weiteren Wort oder ist das der zweite Buchstabe?“

„Letzteres.“

Ich nahm die Zigarette in den Mund und sah mir einige Regal an, während ich unter 'Hu' suchte.

„Hubert? Wie kann man nur Hubert heißen? Ich würde mich umbringen.“

„Halt die Klappe.“

„Ich kann sagen was ich will, da hast du nichts zu melden.“

„Es nervt aber und wenn du nicht die Klappe hältst, sorge ich dafür das du dir wünschst Hubert zu heißen.“

„Oh, ich bezweifle das ich es mir je wünschen würde.“

„Halt einfach die Klappe„

„Spaßbremse. Manchmal frage ich mich echt wie Ashley es mit dir als Partner ausgehalten hat.“

„Das selbe frage ich mich im Bezug auf sie ebenfalls. Sie ging mir noch mehr auf die Nerven als du.“

„Hey.“

„Hast du schon was gefunden?“

„Nein. Weißt du wie viele Leute es hier gibt deren Name mit Hu beginnt? Hubert, Hudson, Hugh, Hugo, Hugobald, Huldrich, Humbert, Humphrey, Hunter, so würde ich auch gern mal heißen.“

„Sieh dir mal den Namen Hugh an.“

„Hugh, sagst du?“

„Ja, doch, Taubnuss.“

Ich hörte ihn genervt seufzten und verdrehte die Augen. Dann suchte ich unter Hugh und nahm einige Ordner an mich.

„Da hätten wir, Hugh Davis, Hugh Cambpell, Hugh Jackson, Hugh Underman...“ Ich holte kurz Luft. „Hugh Traver, Hugh Kapsean, Hugh Albrington, Hugh Riddler, Hugh Anderson...“

„Wie viele hast du dir denn da raus genommen?“, unterbrach er mich gereizt.

„Was weiß ich.“

„Warte mal... Sagtest du Hugh Traver?“

„Warte kurz... Ja, hier. Hugh Traver. 32 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, ein Sohn, eine Tochter, geboren in Kalifornien, Sacramento. Hey, kommst du nicht aus dieser Gegend?“

„Hm. Ja. Bring den Ordner mal mit.“

„Sagte Nuka nicht wir sollen etwas über eine gewisse Tammy heraus finden?“

„Bring ihn einfach mit und such unter dem Namen Tammy, wenn es dir dann besser geht.“

Ich verdrehte die Augen und klemmte mir den Ordner unter den Arm, bevor ich die anderen zurück tat und unter 'Ta' suchte.

Aber erst mal das T finden.

Nach scheinbar etlichen langen Minuten, fand ich endlich etwas.

„Tammy Tanner.“, meldete ich mich, „24 Jahre alt, Single, keine Kinder, Hochschulabschluss, hat ein Medizinstipendium und arbeitet als Krankenschwester hier im Krankenhaus.“

„Na endlich.“

„Dann wäre da noch Tammy Brigton. 32 Jahre alt,geschieden, eine Tochter, normalen Abschluss, hat Mathematik studiert und ist Physikerin im Forschungslabor.“

„Nimm beide mit. Oder sind da noch mehr.“

„Nur noch eine. Tammy Danelle. 35 Jahre alt, Single, einen Sohn, Hauptschulabschluss, hat Mathematik und Physik studiert, arbeitet ebenfalls im Forschungslabor, aber in einem anderen Abteil.“

„Nimm die auch mit. Jetzt mach das du da raus kommst.“

Ich klemmte die drei Ordner zum Ordner von Hugh Traver und stellte die Kisten sorgfältig zurück. Dann machte ich mich auf den Weg da raus, schloss die Tür hinter mir und verließ eilig das Rathaus. Ich ging die Straße hinauf und kam an der Villa vorbei. Als ich das Cello hörte, blieb ich kurz stehen und horchte. Ich wusste sofort das das Mädchen spielte, aber das Lied kam mir bekannt vor. Irgendwann hatte ich es schon mal gehört.

„Raymund, wo bleibst du?“, wollte Nick gereizt von mir wissen.

„Ich bin schon unterwegs.“, gab ich zurück und ging weiter. Kurz darauf erreichte ich die Kreuzung an der wir in verschiedene Richtungen gegangen waren und bog dort in die Straße ein, der ich dann kurz folgte. Kurz darauf betrat ich ein herunter gekommenes Gebäude und ging dort den Flur hinab, durch eine Tür, wo Nick bereits wartete.

„Warum lässt du mich eigentlich in jeder Stadt unter 'Hu' suchen, wenn wir einen anderen Namen bekommen?“, wollte ich von ihm wissen.

„Ist doch egal. Gib Nuka einfach die Ordner und gib mir den anderen.“, gab er zurück und streckte die Hand aus.

Ich seufzte kurz, gab ihm den Ordner von Hugh Traver und Nuka, der hinter einem Schreibtisch an einem Computer saß, die anderen drei Ordner. Nick schien regelrecht in den Informationen zu versinken, die ich ihm gegeben hatte.

„Was steht da denn alles drinnen?“, wollte ich von ihm wissen.

„Nicht viel.“, gab er nur zurück, „Das was in allen anderen auch drinnen steht. Lebenslauf, aktueller Beruf, Ausbildungen, Familie.“

Wieder sagte er nicht mehr. Ich setzte mich auf einen Stuhl und wartete darauf das Nuka die Ordner durch hatte. Das dauerte ein wenig. Dann sah er auf, bat Nick um Aufmerksamkeit und erklärte.

 

Als ich mit Nick das Gebäude verließ, sah er irgendwie anders aus als sonst. Eigentlich war er immer eiskalt und nicht sehr viel gefühlvoller als ein Stein.

Er ist ein Stein.

Nun schien er etwas distanzierter, verschlossener als sonst. Ich rechnete sogar damit das er noch weniger sagte als sonst.

„Wie sollen wir an diese Irina ran kommen?“, wollte ich von ihm wissen.

„Wir haben genug Zeit. Du bekommst von mir schon Bescheid wenn ich einen Plan habe.“

Damit ging er einfach weg, die Straße hinauf, wobei er den Ordner in seine Jacke steckte. Was er wohl mit diesem Hugh Traver am Hut hatte? Oder eine noch bessere Frage, warum er wohl so eiskalt war?

Ich zuckte mit den Schultern und ging in die andere Richtung. Dann bog ich wieder in die selbe Richtung ab wie Stunden zuvor und blieb dann vor der Villa stehen, während ich die Hände in die Hosentaschen hielt. Irgendwie erinnerte mich das Mädchen an jemanden. Und das Lied ebenfalls. Es wäre sicher interessant heraus zu finden wie das Mädchen hieß, oder warum sie stumm war. Aber vorerst musste ich den Auftrag erledigen. Ebenso wie Nick.

Ich seufzte tief, zündete mir eine Zigarette an und machte mich auf den Weg nach hause. Es dürfte sicher eine Weile dauern bis Nick einen Plan hatte. Ein paar Tage, Wochen, vielleicht sogar Monate. Seine Pläne waren immer wasserdicht, perfekt und undurchschaubar. Manchmal sogar nicht zu kapieren, bis man ihn durchführen musste. Er war einfach perfekt in seinem Job. Ein perfekter Meisterdieb, Schatten und ein noch besserer Auftragskiller.

Schade nur das er legal ist und ich nicht.

Ich lachte leise bei dem Gedanken. Ein legaler Auftragskiller. Es wunderte mich das es Sowas gab. Aber Nick war definitiv einer von wenigen Ausnahmen und wurde ebenso definitiv geheim gehalten. Vom Militär ausgebildet seit er 16 war und mit 20 dann Kopfüber in den Job stürzen.

Wer hätte gedacht das man einen 16 jährigen Teenager in 4 Jahren zum perfekten Killer machen kann? Zu einem perfekten Schatten, Auftragskiller und Meisterdieb.

Ich schüttelte den Kopf. Nick war einfach... perfekt. Wer mit ihm kämpfen wollte, könnte sich auch selbst umbringen. Es wäre einfach Selbstmord. Ich seufzte, angesichts der Eifersucht, die in der hintersten Zelle meines Kopfes lebte, und versuchte mich gegen ihn aufzubringen. Wie oft war mir das schon passiert?

Zu oft. Ich schüttelte den Kopf. Jetzt werde ich schon paranoid.

~Kapitel 4~

Rika

Am nächsten morgen in der Schule war Riley diesmal der erste den ich sah.

„Guten morgen, Rika.“, meinte er lächelnd.

Ich lächelte leicht zurück und nickte.

„Was dagegen wenn ich dich zu deiner Klasse bringe?“

Ich schüttelte den Kopf, woraufhin ich mit ihm weiter ging.

„Fandest du es gestern eigentlich gut?“

Ich nickte.

„Besser als gut?“

Ich nickte erneut.

„Super?“

Ich wiederholte die Geste.

„Klasse?“

Ich tat es erneut.

„Wunderbar?“

Ich schmunzelte als ich ihn ansah und nickte deutlich.

„Jetzt werd ich schwach ums Herz.“

Ich rollte mit den Augen und ging weiter. Er kam hinterher.

„Hast du heute vielleicht wieder Zeit?“

Ich zögerte kurz um ihm etwas Spannung zu geben und nickte dann. Daraufhin atmete er erleichtert aus und lächelte.

„Wie wäre es wenn wir beide, Greg und seine Freundin ein wenig in die Stadt gehen? Eis essen oder so?“

Meint er etwa ein Date zu viert?

Ich legte den Kopf etwas schräg, während ich ihn fragen ansah.

Er rieb sich den Nacken.

„Also, ein richtiges Treffen. Weiß nicht. Man könnte es als Date bezeichnen.“

Ich schmunzelte wieder. Ich hatte sogar richtig gelegen.

„Und? Möchtest du mit?“

Ich nickte. Daraufhin lächelte er erleichterter als zuvor und rieb sich erneut den Nacken.

„Ich hole dich dann um 15 Uhr ab. Heute kann ich nur nicht ins Musikzimmer kommen. Mr. Levington hat mich dazu verdonnert für heute alle Tafeln der Schule sauber zu wischen und die Putztücher zu waschen. In jeder Pause.“

Ich sah ihn mitfühlend an.

„Dafür werden wir heut Nachmittag mehr Spaß haben, versprochen.“

Ich lächelte etwas mehr, wobei wir an der Klasse ankamen.

„Ja. Dann bis um 3, würde ich sagen.“

Ich nickte. Daraufhin beugte er sich zu mir runter, küsste mich kurz auf die Wange, räusperte sich kurz und ging dann wieder.

Nun wusste ich nicht wer unsicherer war. Er oder ich? Ich schob den Gedanken erst mal beiseite, zog mir die Jacke aus und ging in die Klasse. Gerade als ich mich setzte, kam der Lehrer herein.

Langsam fange ich an den Lehrer zu mögen. Mein Lieblingsfach und ein ausgezeichneten Sinn für Pünktlichkeit.

Mein Nachbar saß bereits an seinem Platz und sah an die Tafel. Ich fragte mich langsam ob er auch stumm war. Ich hatte ihn nie etwas sagen hören. Er hatte sich nicht mal im Unterricht gemeldet. Er saß einfach nur da, hörte zu und machte sich hin und wieder Notizen.

Seltsamer Junge.

 

In der Mittagspause setzte ich mich mal wieder in die Cafeteria. Ich war am Abend zuvor zu spät nach hause gekommen und hatte nichts mehr gegessen. Nun hatte ich riesen Hunger.

„Hi, Rika.“

Ich sah auf als Gregs Stimme vor mir ertönte. Neben ihm war ein Mädchen, mit dem er sich mit gegenüber setzte.

„Das ist Celina. Celina, das hier ist Rika.“

„Freut mich dich kennen zu lernen.“, meinte sie lächelnd und reichte mir die Hand.

Ich lächelte leicht zurück, ergriff sie und nickte.

„Greg sagte mir das du wunderbar Cello spielst und sehr gut malen kannst.“

Ich wackelte abschätzend mit dem Kopf.

„Sie hat geschrieben das sie nicht so gut im zeichnen ist.“, meinte Greg, „Aber du bist sehr gut.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Wenn du meinst. Dafür spielst du aber fantastisch Cello, und da kannst du nicht mit den Kopf schütteln. Riley ist gefesselt von deinen Lieder und das ist bis jetzt nur Irina gelungen.“

Celina lachte ein wenig. „Zwing sie nicht dazu zuzustimmen, Greg. Egal ob deine Argumente nun wasserdicht sind oder nicht.“

Er schmunzelte ein wenig, woraufhin sie sich an ihn lehnte und er einen Arm um sie schlang.

„Riley hat mir eben im Unterricht gesagt das du heute mit kommst.“, meinte Greg dann, „Ein Date zu viert. Am Anfang wollten Celina und ich etwas allein machen, aber meine Mom glaubt wir würden zu ihr gehen und etwas machen das ihr nicht so gefallen würde.“

Er sah aus dem Augenwinkel lächelnd zu Celina, die rot wurde und ihr Gesicht an ihm verbarg, was ihn dazu brachte noch mehr zu lächeln.

„Also hab ich Riley gebeten mitzukommen, wobei ich ihm

freie Wahl gelassen haben allein zu kommen oder jemanden mitzubringen. Dafür freue ich mich jetzt das er dich mitbringt. Wenn ich Glück habe, geht er mit dir ja noch irgendwo anders hin. Dann kann ich vielleicht doch noch zu Celina.“

Er sah erneut zu seiner Freundin, die ihr Gesicht etwas fester an ihn drückte. Daraufhin lächelte er noch etwas mehr und zog sie an sich. Kurz darauf nuschelte sie irgendwas in sein T-Shirt. Im Gegensatz zu mir schien Greg verstanden zu haben was sie gesagt hatte, denn er lachte ein wenig und küsste sie auf den Schopf. Ich senkte den Blick auf mein Essen und aß weiter, während die zwei ein wenig flirteten. Besser gesagt, Greg flirtete mit ihr und brachte sie dazu noch roter zu werden als sie ohnehin schon war.

„Sag mal, Rika.“

Ich hob den Kopf.

„Hattest du eigentlich schon mal einen Freund?“, wollte Greg wissen.

Ich schüttelte den Kopf, woraufhin er überrascht die Brauen hob. Dann zog er sie zusammen.

„Wirklich?“

Ich nickte.

„Das kapiere ich irgendwie nicht. Abgesehen von Celina, finde ich, bist du das schönste Mädchen an der Schule.“

Nun zog ich überrascht die Brauen hoch.

„Celina ist zwar mit Abstand schöner, aber wenn sie nicht wäre wärst du das schönste Mädchen an der Schule. Jetzt frage ich mich warum du noch nie einen Freund hattest.“

Ich seufzte und holte meinen Block hervor.

'Es war nie jemand an mich interessiert. Ein stummes Mädchen, die sich scheinbar nur für ihr Cello interessierte und nicht mal lächelt. Es wundert mich das du und Riley mit mir befreundet sein wollt.'

Er sah mich fassungslos an. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“

'Doch.'

„Wow. Jetzt will ich den Idioten sehen der nicht an dir interessiert ist.“

Prompt holte Celina ein Spiegel aus ihrer Tasche und hielt es ihm vors Gesicht. Daraufhin fing er an zu lachen, küsste sie und legte den Spiegel weg.

„Da hast du wohl Recht.“

„Aber du bist kein Idiot. Und wenn nur mein Idiot.“, meinte sie darauf.

Er lächelte schräg und küsste sie erneut.

„Rika?“, meldete sich dann Celina an mich.

Ich sah sie an.

„Warum hast du eigentlich die Schule gewechselt?“

Ich seufzte, diesmal tiefer, und zog meinen Block zu mir.

'Meine Pflegeeltern sind immer wieder umgezogen, auf der Suche nach einem Ort der schön und ruhig war. Vor allem Ruhig. Sie meint, wenn die Umgebung ruhig ist, dann ist es schöner mir beim Cello spielen zuzuhören, weil es dann nichts gibt das die Töne stört.'

„Oh. Also seit ihr immer umgezogen damit du dich wohlfühlst?“

'Auch. In den anderen Schulen wurde ich immer als Außenseiterin behandelt.'

Was ich, ehrlich gesagt, sogar begrüßt habe.

„Verstehe. Fühlst du dich hier denn wohl?“

Ich nickte.

„Und Riley ist da nicht ganz unschuldig, oder?“, wollte nun Greg leicht grinsend wissen.

Ich schmunzelte daraufhin etwas, nahm eine Pommes und warf sie nach ihm. Daraufhin lachte er etwas und warf eine zurück.

„Hey, mit Essen wirft man nicht.“, meinte Celina leicht lachend.

Ich schmunzelte nur etwas mehr, nahm zwei Pommes und warf sie nach ihr, woraufhin sie ebenfalls schmunzelte und zurück warf.

„Liebes, sie hat zwei Pommes geworfen, das heißt du darfst auch zwei werfen.“, meinte Greg und bewarf mich mit einer weiteren Pommes.

Celina lachte daraufhin. Ich dagegen nahm ein Löffel Jogurt und katapultierte es direkt in Gregs Gesicht. Celina prustete los, wischte ihm etwas mit dem Finger weg und nahm es in den Mund.

„Hmmm... Lecker. Erdbeere.“, meinte sie grinsend.

Er dagegen nahm ebenfalls ein Löffel voll und katapultierte ihn in meine Richtung. Als ich dann jedoch auswich, traf er irgendjemanden hinter mir. Ich drehte mich um und stellte fest das er einen Jungen am Hinterkopf getroffen hatte.

„Ups?“, meinte Celina.

„Kannst du wohl laut sagen.“

Der Junge drehte sie um, nahm eine ganze Hand voll Quark und warf sie nach Greg. Das endete in einer riesigen Essensschlacht, aus der Greg, Celina und ich uns gerade so retten konnten.

„Okay, das wäre geschafft.“, meinte er als wir es heil und unversehrt aus der Cafeteria geschafft haben, „Alle unverletzt?“

„Bis jetzt, schon.“, gab Celina zurück.

Ich nickte. Greg war so gütig sich als Schutzschild zu melden und hatte alles abgefangen. Dementsprechend sah er nun auch aus. Celina verkniff sich ein lachen, was ich ihr gar nicht übel nehmen konnte. Als dann Riley aus einem der Klassen kam – von oben bis unten weiß von der Tafelkreide –, brach sie in Gelächter aus. Ich grinste. Dabei hätte ich wirklich gern gelacht. Und mit wirklich gern meinte ich auch WIRKLICH gern.

Als Riley zu uns sah, fing er selbst an zu lachen. Ebenso wie Greg. Ich kam mir irgendwie fehl am Platz vor. Ich biss mir auf die Lippen und ging unauffällig weg. Ich wollte nicht das sie aufhörten zu lachen, nur weil ich nicht lachen konnte. Ich wollte lieber das sie ihren Spaß hatten. Also ließ ich sie besser allein. Ohne es zu bemerken ging ich zum Musikzimmer. Ich bemerkte erst wo ich war als ich das Cello in den Händen hielt.

Wenn schon, denn schon.

Ich begann zu spielen. Es war ein komplett neues Lied, wie ich feststellte. Statt aber diesmal den Kopf gesenkt zu halten, legte ich ihn in den Nacken, schloss die Augen und dachte an die fröhlichen, glücklichen Zeiten mit Nicko. Er hatte es geschafft das ich lachte. Zwar tonlos, aber ich lachte.

Nach einer Weile hielt ich den Kopf wieder gerade und sah aus dem Fenster. Als das Lied dann vorbei war, wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und schniefte unwillkürlich. Dann atmete ich kurz durch und setzte zum nächsten Lied an. Ich zögerte aber als ich beginnen wollte. Als die ersten Töne dann mein Gehör erreichten, hatte ich das Gefühl ich könne gar nicht aufhören.

Ich hörte wie hinter mir die Tür aufging und wenige Sekunden leise geschlossen wurde. Im Spiegelbild, dass das Fenster wiedergab, sah ich das es Greg und Celina waren. Greg bat Celina mit einer Geste leise zu sein und setzte sich mit ihr hin. Als das Lied endete, machte ich nur eine kurze Pause um mir weitere Tränen wegzuwischen. Dann spielte ich auch schon weiter. Es waren immer Lieder die mir neu waren, die ich einfach so aus Laune spielte. Sie spiegelten meine Laune wider, wie das Fenster Greg und Celina spiegelte.

Irgendwann holte ich mein Block hervor. Greg stand sofort auf um zu lesen was ich schrieb.

'Ich glaube ich kann heute doch nicht mit in die Stadt.'

„Warum? Ich meine, ist dir irgendwas eingefallen, das du vergessen hast, oder so?“

'Ich muss noch einen Aufsatz schreiben.'

Eine glatte Lüge. Den hatte ich bereits fertig in meinem Heft stehen. Aber ich ertrug schon die Vorstellung nicht, wie ich mit den drei ein Eis aß, während sie lachten und ich stumm daneben stand.

„Oh. Schade eigentlich. Riley hatte sich richtig gefreut.“

'Tut mir Leid.'

„Kannst du den Aufsatz nicht morgen schreiben, oder so?“

'Morgen wird er abgegeben.'

„Hm. Morgen haben Celina und ich wieder keine Zeit. Und du kannst das wirklich nicht aufschieben, oder so?“

Ich schüttelte den Kopf.

Er seufzte. „Okay. Dann sag ich am besten gleich Riley Bescheid.“ Es klingelte. „Oder eben jetzt. Dann bis... morgen.“

Ich nickte. Daraufhin sah ich im Spiegelbild wie er mit Celina das Zimmer verließ. Ich stand erst ein paar Augenblicke später auf und packte meine Sachen zusammen. Dann machte ich mich langsam auf den Weg zur Klasse.

 

Als ich zuhause ankam, machte ich eigentlich nicht mehr sehr viel. Ich ging in mein Zimmer, machte Hausaufgaben, schrieb ein paar Seiten am Computer und legte mich dann in mein Bett um ein wenig zu Tagträumen. Ich stellte mir vor das Greg, Celina und Riley wohl in dem Augenblick machten. Mal war es ein Eis essen, dann in einem Park herum albern, dann waren sie auf einem Spielplatz, dann waren sie zwischen mehreren Einkaufsläden und am Ende waren sie alle zu hause.

Ich seufzte, stand auf und zog mich kurz um. Ich hatte nicht gegessen als man mich rief. Ich legte mich hin und schlief binnen weniger Sekunden ein.

 

Als ich am nächsten Morgen in die Schule kam, kam mir kein Riley entgegen. Auch kein Dennis. An der Klasse angekommen, legte ich kurz meine Tasche auf den Boden und zog mir die Jacke aus. Ich trug meine Lieblingssachen. Ein graues T-Shirt mit einem schwarzem Engel, das zerbrochene Flügel hatte und verletzt am Boden lag. Dazu eine lockere einfache Jeans. Ich nahm meine Tasche, schulterte sie und ging in die Klasse. Kaum das ich mich setzte, kam auch schon mein Lehrer herein.

Perfektes Timing.

Ich schrieb wieder alles mit, wobei meine Gedanken häufiger als sonst immer zu Nicko abschweiften. Am Ende der Stunde fiel mir auf das ich den Namen an der ganzen linken und rechten Seite geschrieben hatte. Wie ein Rahmen.

Ich seufzte, packte meine Sachen zusammen und ging raus. Meine Jacke zog ich diesmal erst gar nicht an. Ich versank schier in Gedanken. Ich hörte nicht mal wie jemand nach mir rief. An der nächsten Klasse angekommen hängte ich kurz die Jacke auf und ging dann rein. Die Stunde und die nächste verlief ähnlich wie die erste. Nur das ich mir nicht mal halb soviel notierte. In der Mittagspause setzte ich mich dann draußen auf einer Bank und sah den Vögeln zu. Meine Tasche lag auf meiner Jacke neben mir. Die Vögel zwitscherten vergnügt und stimmten ein wunderschönes Lied an. Jedoch völlig unpassend zu meiner Stimmung. Nach etwa fünf Minuten fand Riley mich dann. Ich bemerkte es kaum.

„Du brauchst nur Bescheid zu geben wenn du mit mir nichts zu tun haben möchtest.“, meinte er.

Er hörte sich ziemlich so an als wäre er wütend auf mich. Und da ich ihn noch dazu vorher nicht bemerkt hatte, zuckte ich vor Schreck zusammen. Nun stellte ich fest das er etwas außer Atem war und keuchte. Als wäre er lange gerannt.

„Kannst du mir erklären warum du mich ignoriert hast?“

Ich zog die Brauen zusammen und sah zu ihm.

„In den letzten Pausen habe ich ständig nach dir gerufen. Du bist einfach weiter gegangen.“

Ich senkte den Blick. Ich hatte ihn gar nicht gehört. Und als wäre meine Stimmung nicht sowieso schon im Eimer, fing es auch noch an zu regnen. Nun schien es perfekt. Meine Stimmung war mehr als nur im Eimer und es regnete.

„Ich glaube, als wir zusammen geknallt sind, haben wir die Blöcke vertauscht.“, meinte er schließlich und griff in seine Tasche.

Ich zog meine Tasche zu mir und holte seinen Block heraus. Dann tauschten wir sie kurz aus und ich packte meinen Block in meine Tasche. Als Riley seinen Block weggepackt hatte, stand er wieder auf.

„Ich gehe besser wieder rein. Viel Spaß noch im Regen.“

Damit ging er dann einfach. Ich hatte Mühe die Tränen zurück zu halten. Wenige Augenblicke später zog ich mir dann die Jacke an, schulterte meine Tasche und ging nach hause. Irgendwie wollte mein Verstand nicht kapieren warum er mich ignoriert hatte. Er war zu sehr damit beschäftigt den Schmerz zu lindern der mir die Tränen in die Augen trieb... und sie zum überfließen brachte.

Als ich Zuhause ankam, schloss ich kurz die Tür auf und ging direkt hoch in mein Zimmer.

„Rika?!“, rief meine Mutter um sich zu vergewissern das ich es war.

Da ich nicht antwortete, schien sie zu wissen das ich es war. In meinem Zimmer legte ich meine Tasche neben die Heizung damit sie trocknen konnte, legte meine Jacke dazu und ließ mich dann ins Bett fallen. Als meine Mutter rein kam, machte ich mir auch nicht die Mühe sie anzusehen.

„Ist die Schule schon aus? Jetzt müsste doch erst die Mittagspause sein.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Was machst du denn so früh hier?“ Sie machte eine Pause. „Du bist ja ganz durchnässt. Komm, zieh dich erst mal um. Ich mach dir was warmes zu essen und bring die eine heißen Kakao nach oben. Dann schreibst du mir auf warum du nicht in der Schule bist.“

Damit verließ sie mein Zimmer. Ein paar Augenblicke später stand ich dann auf und zog mich komplett frisch an. Dann legte ich mich ins Bett und zog meine Decke eng um mich herum. Als meine Mutter wieder rein kam, stellte sie mir etwas zu essen und den Kakao auf einen kleinen Tisch, den ich einen halben Meter vom Bett weg stehen hatte. Dort lag auch ein Block mit einem Stift drauf, den sie mir nun zuschob. Ich setzte mich auf, wickelte mich in die Decke und nahm den Block entgegen. Ich schrieb nicht die ganze Wahrheit. Nur das ich mich nicht auf den Unterricht konzentrieren konnte. Als sie es sich durchgelesen hatte sah sie mich dann nochmal an. Dann seufzte sie.

„Ich rufe am besten in der Schule an und sag Bescheid. Iss und trink. Du warst sicher lange im Regen.“

Damit stand sie dann auf und ging wieder. Ich sah das Essen eine Weile an. Eigentlich mochte ich es wirklich gern. Und ich liebte heißen Kakao, aber nun hatte ich einfach weder Hunger noch Durst. Also legte ich mich hin und drehte meinem Tisch den Rücken zu.

 

„Wie jetzt?“, wollte Greg von Riley wissen, „Du hast ihr gesagt sie soll viel Spaß im Regen haben und bist das einfach gegangen?“

Riley seufzte. Er war einfach so enttäuscht gewesen. Und da er mit Enttäuschung nicht umgehen konnte, war Wut daraus geworden. Das brachte ihn nun auch dazu einfach zu nicken.

„Und wo ist sie jetzt?“, wollte Celina von ihm wissen.

„Was weiß ich.“, gab er zurück und spießte brutal ein Stück Kartoffel auf, „Ist mir auch egal.“ Im Moment war ihm so ziemlich alles egal.

Greg und Celina wechselten einen kurzen Blick. Dann sahen sie sich kurz um.

„Vielleicht sitzt sie ja noch draußen.“, meinte Celina, „Ich sehe kurz nach.“

Greg nickte. „Ich sehe im Musikzimmer nach.“

Riley sagte nichts dazu. Er aß einfach weiter. Nach etwa zehn Minuten setzten sich die Beiden wieder zu ihm.

„Nichts.“, meinte Celina.

Greg schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht wo sie sonst sein könnte. Mensch, Riley, hör auf zu essen. Hast du irgendeine Idee wo sie vielleicht sein könnte?“

„Woher soll ich das denn wissen?“, fragte Riley zurück, „Vielleicht wartet sie ja in ihrer Klasse, oder so. Frag mich das doch nicht.“

Greg seufzte. „Du kapierst auch gar nichts, oder?“

„Vielleicht will ich ja auch gar nichts kapieren.“

„Es geht hier um Rika. Ein Mädchen deren Herz gebrochen ist. Und was machst du? 'Viel Spaß noch im Regen'. Weißt du eigentlich wie gemein das ist? Und jetzt ist sie weg.“

Riley biss die Zähne zusammen und stocherte in seinem Essen herum. Sekunden später aß er dann weiter. Als er fertig war mit essen, klingelte es auch schon wieder. Er sah noch wie Greg mit Celina wegging, bevor er in die Klasse ging. Die zwei suchten sicher weiter nach Rika.

 

Ein paar Stunden später kam Jason ins Zimmer und setzte sich zu mir an die Bettkante.

„Hey, Rika.“, meinte er aufmunternd, „Alles okay?“

Ich schüttelte den Kopf und zog die Decke etwas enger um mich. Als er mir eine Strähne von der Stirn strich wollte er wohl etwas sagen, hielt dann jedoch inne und legte die Hand auf meine Stirn.

„Du glühst ja richtig.“, meinte er dann und drehte mich zu sich um, „Hey, Kleine, sieh mich an.“

Ich sah ihm ins Gesicht.

„Was ist los?“

Ich senkte den Blick und drehte den Kopf zur Seite.

„Es wird alles wieder gut, hörst du?“

Ich schüttelte langsam den Kopf. Gar nichts würde wieder gut werden. Nicko sah ich mit Sicherheit nie wieder und Riley war wütend auf mich.

Jason seufzte tief. „Ich glaube ich hol besser mal einen Arzt.“, meinte er dann und stand auf.

Als er aus dem Zimmer ging, nahm er das kalt gewordene Essen und den kalt gewordenen Kakao mit. Ein paar Sekunden später hörte ich wie meine Mutter fassungslos etwas zu Jason sagte. Und zwar laut genug das man es von unten hören konnte.

 

Als Riley auf seinem Nachhauseweg in die Straße einbog in der Rika wohnte, sah er bei ihr an der Tür wie ein Arzt gerade wieder raus gehen wollte. Er blieb an der Tür stehen um Rikas Pflegemutter zu erklären was er festgestellt hatte. Der Ehemann der Frau stand hinter ihr. Jason stand daneben. Riley konnte nicht verstehen was der Arzt sagte, sah aber wie er den Kopf schüttelte und etwas erklärte. Rikas Pflegemutter schlug die Hand vor den Mund, als könne sie nicht glauben was der Arzt sagte. Jason und sein Vater sahen nicht sehr viel anders aus. Als Jason den Arzt dann etwas fragte, hob dieser die Schultern und erklärte erneut etwas. Als dann der Vater etwas fragte nickte der Arzt. Dann erklärte er noch etwas, woraufhin der Mutter Tränen über die Wangen liefen. Dann sagte der Arzt noch etwas, deutete etwas wie eine Verbeugung an und ging dann die Auffahrt hinunter. Am Tor fing Riley ihn dann ab.

„Entschuldigen Sie?“, bat er.

„Ja?“

„Ist dort jemand krank? Da wohnt nämlich eine Freundin von mir.“

„Eine Freundin?“, hakte er nach, „Nun, eigentlich darf ich nur den Familienmitgliedern davon erzählen.“

„Sie ist wirklich eine sehr gute Freundin von mir. Und ich hab sie auch sehr gern.“

Er sah mich kurz unschlüssig an. „Dann mache ich mal eine Ausnahme. Nun, die Tochter der Frau ist heute an einer recht seltenen Krankheit erkrankt. Wenn sich das nicht bessert kann sie daran sterben. Sie muss sich in den nächsten Wochen erholen und im Bett bleiben.“

„Gibt es eine Möglichkeit ihr zu helfen?“

„Es gibt schon eine. Die Krankheit wurde durch eine bestimmte Art von Schmerz ausgelöst. Theoretisch gesehen müsste man ihr etwas geben das sie glücklich macht. Etwas das sie nicht nur kurzfristig, sondern langfristig glücklich macht. Ihr Herz schlägt sehr langsam. Wenn es sich nicht bessert bleibt es irgendwann stehen. Sie verliert einfach die Freude am Leben.“

„Verstehe. Danke Doktor.“

Er lächelte aufmunternd. „Ich hoffe sehr das es ihr bald wieder besser geht.“

Riley nickte. „Ich auch.“

Der Arzt ging weiter. Riley dagegen konnte sich nicht bewegen. Rika war krank und könnte daran sterben. Und schuld daran war höchstwahrscheinlich er. Er seufzte tief, fuhr sich mit der Hand durchs nasse Haar – es hatte nicht aufgehört zu regnen – und ging weiter. Zu hause ging er in sein Zimmer und begann erst mal mit den Hausaufgaben. Als er diese fertig hatte, dachte er über etwas nach das Rika helfen könnte.

Etwas das sie glücklich machte. Langfristig glücklich.

Das Einzige das ihm einfiel war ihr Bruder Nicko. Und den würde Riley sicher nie finden. Also brauchte er eine Alternative. Aber er hatte keinen blassen Schimmer was sie überhaupt mochte. Er wusste das sie Musik mochte. Cello, sowie Klavier, Violine und Geige.

Klick

Mit einem Mal sprang er von seinem Bett auf und eilte nach unten. Er wusste zwar noch nicht was genau er tun würde, aber ihm würde schon rechtzeitig etwas einfallen. Jetzt musste er aber erst mal zu Greg und Celina. Diese hatten zwar keine Zeit, aber sie werden einfach welche opfern müssen. Riley würde ihnen keine andere Wahl lassen als ihm zu helfen.

~Kapitel 5~

Als Jason wieder ins Zimmer kam, drehte ich müde den Kopf zu ihm.

„Hast du Durst?“, wollte er wissen und reichte mir eine Flasche Wasser.

Daraufhin seufzte ich leise, setzte mich langsam auf und nahm sie entgegen.

„Du hast Besuch.“, meinte er als ich die Flasche wieder schloss, „Riley und zwei weitere Freunde.“

Ich zog ein wenig die Brauen zusammen. Es war bereits dunkel. Okay, es war zwar Freitag, aber es war dunkel. Es ging langsam auf den Herbst zu, aber dennoch wunderte es mich das sie zu Besuch kamen, weil es eben dunkel war.

„Soll ich die drei hoch schicken?“, wollte Jason wissen.

Ich zuckte mit den Schultern und griff nach meiner Kette. Eigentlich legte ich sie nie ab, aber Jason fand das ich eine Ausnahme machen sollte. Seit dem lag sie auf meinem Nachttisch. Und zwar so das ich das Bild immer erkennen konnte.

„Ich schicke die drei dann hoch.“

Es war nur eine Erklärung was er machen würde. Er verließ das Zimmer und schloss sorgfältig die Tür. Die Flasche hatte er auf dem Tisch stehen lassen. Als ich nun drei paar Schritte im Flur hörte, legte ich meine Kette zurück. Wenige Augenblicke später kamen dann erst Riley, dann Greg und Celina herein. Ich hatte mich gerade hingesetzt. Ich war etwas verwirrt, als Riley mich anlächelte und sich mit Greg zu mir setzte. Celina nahm einfach auf Gregs Schoß Platz.

„Wie geht’s dir?“, wollte Riley wissen.

Ich sah ihn mit hochgezogenen Brauen an.

Sah man das denn nicht?

„Okay, eine andere Frage. Hättest du etwas dagegen ein bisschen mit uns raus zu gehen?“

Ich zog die Brauen zusammen und sah nachdenklich auf meine Beine. Würden sie das mitmachen? Als Greg nun irgendwas bei Riley machte und ihm etwas zuflüsterte, sah Riley kurz zu ihm und dann wieder zu mir als ich den Block vom Tisch nahm.

'Ich weiß nicht ob ich laufen kann. Ich habe schon Probleme damit mich hinzusetzten wenn ich liege.'

„Wenn es nicht mehr geht, nehme ich dich einfach huckepack.“

Ich lächelte schräg. Ihm fiel wohl immer etwas ein.

'Das soll nicht zufällig der Ersatz für das Date gestern werden, oder?'

„Jetzt hat sie es erraten.“, meinte Greg.

Celina lächelte ein wenig.

'Nun, wenn du mich freiwillig huckepack nehmen würdest, hätte ich vielleicht nichts einzuwenden. Du musst nur meine Familie davon überzeugen das du nichts schlechtes im Sinn hast.'

„Schon erledigt.“, meinte Celina, „Greg ist ein Charmeur, wenn es um Dinge wie Überzeugen geht.“

„Dann ist wohl alles Geklärt, oder?“, meinte Riley dann.

„Wir gehen schon mal runter.“, meinte Greg und stand mit Celina auf, bevor sie das Zimmer verließen.

'Ich muss mich noch kurz umziehen.'

„Ja, ich wollte nur noch kurz was sagen.“, gab Riley zurück.

Ich sah ihn wartend an.

„Wegen heute morgen in der Schule... Tut mir Leid das ich dich so... 'angemacht' habe. Ich war nur wütend, wegen einer Kleinigkeit, und habe es unbeabsichtigt an dir ausgelassen. Eigentlich wollte ich dich nicht mal im Regen allein lassen. Das tut mir wirklich sehr Leid.“

Ich wusste nicht warum, aber aus irgendeinem Grund war ich unendlich erleichtert darüber. Damit er dann nicht dachte das ich sie nicht annehmen würde, nahm ich wieder den Block zur Hand.

'Es ist nicht sooo schlimm. Ich hab mich nur ziemlich gewundert das du so wütend warst... Und... könntest du vielleicht für ein paar Minuten raus gehen, damit ich mich umziehen kann?'

Er lächelte erleichtert und legte den Block auf den Tisch nachdem er das gelesen hatte.

„Ich warte einfach vor der Tür.“

Ich nickte, woraufhin er das Zimmer verließ. Daraufhin stand ich auf und blieb einen Augenblick stehen um zu sehen ob mich meine Beine hielten oder nicht. Dann ging ich zu meinem Schrank und zog mir kurz etwas frisches an. Bis auf das Muster auf meinem T-Shirt, war es eigentlich das selbe wie am morgen. Nur das statt einem Engel, zwei Engel darauf waren. Zwei verletzte Engel, dafür mich gesunden Flügeln. Ich liebte solche T-Shirts.

Als ich fertig angezogen war, nahm ich noch kurz die Kette und ging raus zu Riley. Während ich nun versuchte mir die Kette um zumachen, ging ich mit Riley nach unten, wo Greg und Celina wartete. Auf der Treppe wäre ich beinahe hingefallen, weil eines meiner Beine kurz versagt hatte. Riley hatte mich jedoch zum Glück aufgefangen. Als ich unten die Kette immer noch nicht zu bekommen hatte, nahm Riley sie mir einfach kurz ab und machte den Verschluss für mich zu. Daraufhin lächelte ich ihn dankbar an.

„Können wir dann gehen?“, wollte Greg wissen.

Ich nickte. Daraufhin verabschiedeten sich die drei noch kurz und gingen dann mit mir raus. Kaum das wir jedoch die Auffahrt verließen, wurde ich nervös.

Ich hätte fragen sollen wo es hingeht.

„Ist das dein Bruder?“, wollte Celina wissen und deutete auf den Anhänger, den ich vergessen hatte in mein T-Shirt zu tun. Ich nickte und senkte ein wenig den Blick.

„Du vermisst ihn sehr, oder?“

Wieder nickte ich. Ich kam mir etwas dämlich vor weil ich nur nicken konnte.

„Wie kam das eigentlich das du stumm geworden bist?“, wollte nun Greg wissen.

Ich verzog etwas das Gesicht und rieb mir den Nacken.

„Machen wir doch einfach ein Ratespiel daraus.“, schlug Riley vor, „Also, angeboren ist es nicht, oder?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Also ist es wegen ein Ereignis.“, meinte Greg.

Ich nickte.

„Eine Verletzung?“, riet Celina.

Ich schüttelte den Kopf.

„Also irgend etwas schlechtes das mal passiert ist?“, riet Greg.

Ich nickte.

„War es durch Schock?“ Riley.

Ich wackelte abschätzend mit dem Kopf.

„Also zum Teil.“

Ich nickte.

„Ist ein Haustier gestorben?“ Celina.

Ich schüttelte den Kopf. Wir hatten nicht mal Haustiere gehabt.

„Ist jemand gestorben der dir bekannt war?“ Greg.

Ich nickte.

„Ein guter Freund?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Jemand aus der Familie?“ Riley.

Ich nickte.

„Also, am Bruder liegt es, denke ich nicht.“, sinnierte Celina und dachte nach.

Ich schüttelte als Zustimmung den Kopf.

„Ist eine Schwester gestorben?“

Wieder wackelte ich abschätzend mit dem Kopf.

„Also ist sie 'auch' gestorben?“ Greg.

Ich nickte.

„Deine Eltern und die Schwester?“, riet Riley.

Ich nickte.

„Mal sehen was wir jetzt haben.“, meinte wieder Greg, „Deine Eltern und deine Schwester sind gestorben, es war ein Schock für dich und deshalb bist du stumm?“

Wieder wackelte ich abschätzend mit dem Kopf.

„Hängt es mit der Todesursache zusammen?“ Celina.

Ich wiederholte die Geste.

„War es Mord?“ Greg.

Ich schüttelte den Kopf.

„War es ein Unfall?“ Riley.

Ich nickte.

„Warst du dabei?“

Ich nickte erneut.

„Wow.“, meinte Greg, „Also, du bist stumm weil du quasi zusehen musstest wie deine Eltern bei einem Unfall starben und du warst so geschockt das du deine Stimme verloren hast?“

Ich nickte.

„War Nicko dabei?“, wollte Riley weiter wissen.

Ich nickte.

„Aber er hat es überlebt. Ebenso wie du.“

„War es ein Autounfall?“, wollte Celina wissen.

Ich schüttelte den Kopf.

„War es überhaupt mit einem Fortbewegungsmittel?“, wollte Greg wissen.

Ich schüttelte den Kopf. Nun sahen alle drei ratlos aus.

 

Nach etwa zehn Minuten kamen wir an einem Park an.

„Ehrlich gesagt, Celina weiß gar nicht was wir machen.“, flüsterte Greg mir leise zu, „Eine Überraschung für sie. Also, ich möchte sie überraschen und Riley möchte sich mit einer Überraschung bei dir entschuldigen.“

„Greg, was flüstert du ihr da zu?“, wollte Riley wissen.

„Hm? Ach nichts. Ist unwichtig.“

Ich schmunzelte ein wenig.

„Ich glaube ab hier solltet ihr beiden Ladys die Augen zu machen.“

Celina lächelte, stellte sich vor Greg und schloss weiterhin lächelnd die Augen.

„Augen zu.“, flüsterte Riley mir von hinten ins Ohr und nahm mich vorsichtig an der Taille.

Ich tat worum er bat und schloss die Augen. Dann gingen wir langsam weiter.

„Glaub mir, es war gar nicht so einfach.“, meinte Greg.

„Es war alles andere als einfach.“, stimmte Riley zu.

Dann schwiegen die beiden wieder. Wir gingen noch eine Weile weiter und blieben dann stehen.

„Okay, Augen auf.“, meinte Greg.

Celina und ich öffneten gleichzeitig die Augen. Wir standen nahe an einem kleinen See. Wenige Meter neben uns war ein Picknick vorbereitet. Mit Kerzen. Es sah alles wirklich wunderschön aus.

Celina fiel Greg lächelnd in die Arme und flüsterte ihm irgendwas zu. Ich dagegen sah ungläubig zu Riley auf. Dieser rieb sich verlegen den Nacken und wurde sogar rot. Daraufhin schlang ich einfach die Arme um ihn und lehnte den Kopf an seine Brust. Gerade als ich begann den Moment zu genießen, knurrte mein Magen. Riley lachte leise.

„Du hast wohl Hunger.“

Daraufhin knurrte sein eigener Magen. Ich sah zu ihm auf, schmunzelte und deutete auf seinen Magen.

„Ich weiß nicht was du meinst.“, meinte er dann scheinheilig, „Komm, setzten wir uns, bevor das Essen noch ganz kalt wird.“

Als ich näher hinsah, stellte ich fest das es nicht mal etwas gab das kalt werden könnte.

„Kalt werden, ja?“, neckte Celina ihn.

„Ja, äh... Ich meine natürlich ganz kalt.“

„Du hast seit der Mittagspause in der Schule nichts mehr gegessen.“, gab Greg zu bedenken, „Ich glaube wir sollten uns setzten damit Riley nicht verhungert.“

Ich lächelte belustigt und setzte mich mit den anderen drei. Riley nahm sogleich einen Teller und füllte ihn mit ein paar Dingen. Celina und ich sahen ihm dabei verwundert zu. Dann sah ich noch verwunderter als er mir den Teller reichte.

„Glaub mir, wenn er für mich wäre, wäre da viel mehr drauf.“, meinte er.

Ich nahm den Teller dankbar entgegen und wartete bis die anderen drei hatten, bevor ich anfing zu essen.

 

„Langsam frage ich mich wie so viel in dir hinein passt.“, wollte Greg von Riley wissen.

Dieser leerte seinen Teller gerade zum dritten mal. Ich war gerade erst mit dem ersten fertig geworden. Celina war auch fast fertig und Greg hatte seinen zweiten Teller.

Riley hielt abrupt mit dem Essen inne, stellte den Teller weg und fasste sich den Bauch. „Tut es wohl auch nicht.“, meinte er dann, „Oh, Schmerz lass nach.“

„Sag bloß du hast Bauchschmerzen.“

„Schlimmer. Magenschmerzen.“

„Das ist doch beides das selbe. Du solltest nicht so viel essen.“

„Du solltest nicht so schnell essen.“, ergänzte Celina.

„Danke für deine Unterstützung, Liebling.“, meinte Greg an sie und küsste sie kurz.

„Das mache ich doch gerne.“

Ich nahm mein Glas, das fast voll war mit Wasser, und reichte es Riley. Ich hatte nur ein wenig davon getrunken.

„Danke.“, meinte er und nahm es entgegen.

Er trank es bis zur Hälfte leer und gab es mir dann wieder. „Oh, so viel wollte ich gar nicht trinken. 'tschuldige.“

Ich machte eine wegwerfende Geste. Riley lehnte sich zurück und hielt sich den Bauch.

„Jetzt ist es schon viel besser.“

Als er nach seinem Teller greifen wollte, schlug ich ihm leicht auf die Finger und stellte seinen Teller weg.

„Davon bekommst du nur wieder Bauchschmerzen.“, meinte Celina.

Ich nickte.

Riley seufzte. „Das kommt wohl dabei heraus wenn zwei Frauen sich um einen sorgen.“

„Warte mal ab bis Celina mir das Essen verbietet.“, gab Greg zurück, „Dann darf ich wirklich gar nichts mehr essen.“

„Was bin ich froh das ich nicht mit ihr zusammen bin.“, meinte Riley und verzog leicht das Gesicht.

Dann sah er sehnsüchtig zu wie Greg weiter aß. Ich schüttelte belustigt den Kopf, legte meinen Teller weg und sah hoch in die Sterne. Ich bekam wage mit wie die drei begannen sich zu unterhalten und lachten. Ich verstand davon kaum ein Wort. Nach einer Weile stand ich auf um mich ein paar Meter weiter weg ans Ufer des Sees zu setzen.

„Ist irgendwas?“, wollte Riley wissen.

Ich sah zu ihm und schüttelte den Kopf dann ging ich zum See, wo ich mich dann, wie ich es vorgehabt hatte, ans Ufer setzte und ins Wasser sah. Es glänzte im Schein der Sterne und des Mondes, was es viel schöner machte. Hinter mir hörte ich wie die drei anderen weiter redeten und hin und wieder lachten. Ich dagegen zog die Knie an und schloss die Augen. Sehr laut waren die drei nicht, weshalb ich den Geräuschen der Nacht horchen konnte. Irgendwo begannen Grillen und Frösche ihr nächtliches Konzert. Auf der Straße fuhr ein Auto vorbei. Weiter weg hörte jemand laut Musik.

Ich legte den Kopf seitlich auf meine Knie und horchte weiter. Meine Beine taten ein wenig weh und ich wurde langsam müde.Kopfschmerzen machten sich ebenfalls langsam bemerkbar. Ich seufzte leise und massierte mir die Schläfen.

„Rika?“, meinte Riley dann von der Decke aus.

Ich hob den Kopf und sah zu den drei rüber.

„Alles okay?“

Ich seufzte und ließ die Schultern hängen. Daraufhin sagte er kurz etwas zu den anderen beiden, stand auf und kam dann zu mir.

„Hast du irgendwas?“

Ich fasste nach meiner Schläfe.

„Kopfschmerzen?“

Ich nickte und tastete nach meinem Bein.

„Und dann schätze ich mal das dir deine Beine ebenfalls weh tun.“

Ich nickte erneut.

„Möchtest du wieder nach hause?“

Ich zuckte mit den Schultern. Daraufhin schwieg er eine Weile.

„Hör mal, ich weiß ich hab mich schon entschuldigt, aber es tut mir wirklich Leid wie ich die behandelt habe.“

Ich nickte.

„Verzeihst du mir?“

Ich nickte erneut und lächelte ihn leicht an. Er erwiderte das Lächeln sofort und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann wurde sein Gesicht wieder ernster.

„Du vermisst Nicko sehr, oder?“

Ich nickte erneut und senkte ein wenig den Blick. Er rückte etwas näher heran, legte mir tröstend einen Arm um die Schultern und zog mich an sich, woraufhin ich mich leicht an ihn lehnte.

„Ich wette er sucht nach dir.“, meinte er irgendwann.

Ich sah zu ihm auf.

„Wenn ich dich als Schwester hätte und nicht wüsste wo du bist, würde ich dich sofort suchen. Bis ich dich finden würde.“ Ich lächelte ein wenig und sah wieder auf den See, während ich etwas näher an ihn rückte. Es wurde langsam etwas kalt. Und er war schön warm.

„Irgendwann findet er dich.“, flüsterte er mir ins Ohr, „Da bin ich mir ganz sicher.“

Ich lächelte leicht darüber und schlief beinahe ein. Okay, ich schlief wirklich ein. Und als ich wieder wach wurde, war ich auf Rileys Rücken. Auf dem Weg nach hause. Meine Arme lagen um seinem Hals, während er mich an den Knien festhielt. Mein Kopf lehnte an seinem Hinterkopf. Und als seine Haare mich an der Nase kitzelte, musste ich niesen. Einmal, zweimal, dreimal.

„Bist du schon wach?“, wollte Greg wissen und sah zu mir.

„Gesundheit.“, meinte Riley über seine Schulter zu mir.

Ich nickte und stellte fest das Celina sich auf Gregs Rücken im Tiefschlaf befand. Als sie irgendwas murmelte, lächelte Greg breit und strich ihr mit dem Daumen über die Kniekehle, was sie scheinbar schaudern ließ. Er lächelte gleich noch mehr. Riley schüttelte den Kopf.

„Wir sind fast da.“, meinte er dann an mich und deutete mit dem Kopf auf die Kreuzung die in meine Straße führte. Daraufhin seufzte ich, schlang die Arme ein winziges bisschen fester um ihn und lehnte meinen Kopf müde an seinen Hinterkopf.

Etwa zwei oder drei Minuten später gab ich ihm meinen Haustürschlüssel und er öffnete leise die Tür. Dann brachte er mich leise nach oben, wo er mich vorsichtig im Bett absetzte, wo ich beinahe sofort einschlief.

 

Der Samstag verlief gar nicht so schlecht. Die drei kamen wieder zu Besuch und gingen mit mir in unseren Garten. Dann holten wir unseren Stadtbummel nach und gingen in fast jeden Laden. Gegen Abend mussten Riley und Greg dann Celinas und meine Einkäufe nach hause tragen, wobei es Riley leichter hatte, da wir zuerst zu mir gingen.

Am Sonntag wollten wir dann an den Strand gehen, aber das fiel aus weil es anfing zu regnen. Also hatten wir die Idee ins Hallenbad zu gehen, aber da es zu voll war, blieben wir auch diesem fern. Nach reichlich viel Überlegung, Grübeln und scharfem Nachdenken, waren wir dann zu dem Entschluss gekommen es uns einfach im Wohnzimmer auf der Couch gemütlich zu machen und ein paar Filme zu gucken. Und das den ganzen Tag. Riley und Greg stopften sich mit Chips und Cola voll, während Celina und ich lieber Kirschen, Erdbeeren, Himbeeren und Schokolade aßen. Die beiden Jungs krümelten die ganze Couch voll und mussten es sauber machen als meine Mutter herein kam und es sah. Nachdem wir dann etwa eine Viertelstunde lang zu viert das Wohnzimmer aufgeräumt hatten, belohnten wir uns damit indem wir einfach weiter Filme guckten. Am Abend wollten die Jungs dann Horror und Thriller gucken. Celina und ich wollten aber Liebesschnulzen und Romantische Filme sehen. Auch wenn ich mit niemandem schmusen konnte.

 

„Also, ich bin ja immer noch für Dracula.“, meinte Greg, während Celina und ich uns einen Film aussuchten.

„Den können wir ja danach gucken.“, gab Celina zurück und deutete auf den nächsten Film, „Wie findest du den?“

Ich schüttelte den Kopf und wir sahen weiter.

„Habt ihr es bald?“

„Nein, haben wir nicht.“

„Ich schlafe gleich ein.“

„Soll Rika dir noch eine Kuscheldecke und ein weiches Kissen holen?“

Riley lachte leise, woraufhin Greg ihm eins rüber zog. Riley schlug zurück, was zu einer kleinen Rangelei führte. Während also Celina und ich die Filme durchsahen, landeten die beiden Jungs auf dem Boden, während sie sich rangelten.

„Der hier?“

Ich schüttelte langsam den Kopf und deutete auf einen anderen.

„Ich weiß nicht so recht... Was ist mit dem hier?“

Ich öffnete ihn um ihr zu zeigen das die CD nicht da war.

„Schade.“

Ich nickte und stellte die Hülle zurück. Dann deutete sie auf den nächsten.

„Wie ist es mit dem hier?“

Ich schüttelte den Kopf. Dann seufzten wir beide und sahen weiter. Ich hörte wie die beiden gegen den Tisch knallten. Daraufhin stöhnte einer der beiden schmerzhaft auf, woraufhin ich hörte wie jemand gegen eine Wand knallte.

„Der hier?“

Ich sah auf den Titel. 'Knutschen für Anfänger'. Daraufhin sah ich sie schräg an.

„Okay, dann wohl besser nicht.“

Ich hörte wie einer der Jungs eine Reihe undefinierbarer Schimpfwörter ausstieß und deutete auf den nächsten Film.

„Hört sich gar nicht so schlecht an. Den nehmen wir.“

Als wir uns umdrehten, landeten die beiden gerade hinter der Couch auf dem Boden und rissen dabei einen Beistelltisch um.

„Aua.“, meinte Riley mit Schmerz in der Stimme.

„Geh runter von mir.“, meinte Greg danach.

„Du liegst auf meinem Arm.

„Du zerquetscht meine Lunge.“

„Ich kann meinen Arm nicht mehr spüren!“

„Ich bekomme nicht mal Luft!“

Ich schüttelte den Kopf, setzte mich auf die Couch und sah zu den beiden hinunter. So schlimm war es gar nicht. Ich schüttelte die Hülle stark genug das man die CD hören konnte und die beiden sahen auf. Daraufhin lösten sie sich schnell voneinander und standen auf. Riley fuhr sich mit der Hand durchs Haar, während Greg seine Kleidung richtete.

„Nichts passiert.“, meinte Greg dann.

„Alles cool.“, stimmte Riley zu.

Celina lachte ein wenig, während ich belustigt den Kopf schüttelte. Daraufhin setzten wir uns dann auf die Couch und machten es uns gemütlich.

 

„Okay, wer legt jetzt die CD ein?“, wollte Celina wissen als wir uns alle endlich auf die Couch gequetscht und alles bei uns hatten was wir brauchten. Ich seufzte, kam nach drei Anläufen von der Couch hoch und legte kurz die CD ein. Dann quetschte ich mich wieder zwischen Celina und Riley und nahm die Fernbedienung. Wenige Augenblicke später ging dann der Film los. Stille. Bis ich hörte wie Greg und Celina anfingen zu knutschen. Ich bemerkte auch erst das Riley mir einen Arm um die Schultern gelegt hatte, als er begann meinen Oberarm zu streicheln. Das war etwa in der Mitte des Filmes. Es fühlte sich gar nicht so schlecht an. Okay, es fühlte sich wirklich... angenehm? Wundervoll? Fantastisch? Dabei streichelte er nur meinen Oberarm...

Nach eine Weile lehnte ich mich etwas an ihn. Daraufhin glitt seine Hand von meinem Oberarm zu meinem Bauch. Ich schauderte und sah zu ihm auf. Er sah ganz entspannt zum Fernseher. Seine andere Hand lag auf der Armlehne und trommelte mit den Fingern abwesend auf der Polsterung. Ich lächelte leicht und griff danach. Daraufhin nahm er beide meine Hände in seine und schlang die Arme so um mich das unsere Hände an meinem Bauch lagen, wobei er mich weiter dort streichelte.

Kurz vor Ende des Filmes kam dann mein Vater herein.

„Das Essen ist gleich fertig.“, meinte er und zwang sich weder auf meinen Bauch noch zu Celina und Greg zu sehen, die so aussahen als würden sie in den nächsten paar Minuten ein verschlossenes Zimmer mit einem Bett brauchen.

„Wir sind gleich da.“, gab Riley zurück.

Ich nickte zustimmend.

Als Dad wieder ging, tippte er Greg an die Schulter. Dieser löste sich so langsam von Celina das es mir vorkam wie eine Ewigkeit.

„Rikas Vater sagt, das Essen ist gleich fertig.“, erklärte er ihm kurz.

Ich zwang mich nicht zu grinsen. Celina hatte Lippenstift getragen und nun war er nicht nur auf ihren Lippen verschmiert, sondern auch auf Gregs Lippen.

„Ähm, Greg, du...“, Riley deutete sich auf die Lippen, „Und Celina auch.“

Diese lief rot an und schlug die Hand vor den Mund. Greg dagegen seufzte und sah ihr zu wie sie versuchte das wieder in Ordnung zu bringen. Dann wischte sie ihm den Mund ab, als könne er das nicht selber.

„Und was macht ihr zwei da?“, wollte Greg dann von Riley wissen.

Dieser trat ihm einfach kurz gegens Schienbein, woraufhin er sich die Stelle rieb.

„Ich frag nicht nochmal nach. Aber eine Frage habe ich schon.“

Er sah wieder zu uns. „Habt ihr euch schon geküsst?“

Ich lief rot an und Riley trat erneut zu. Diesmal fester. Ich dagegen verbarg mein Gesicht in meinen Händen und hielt seine Dabei fest. Naja, eigentlich verbarg ich mein Gesicht dann ja in seinen Händen... Riley lachte leise.

„Komm jetzt, steh auf.“, meinte er dann.

Ich schüttelte den Kopf.

„Rika, so schlimm ist es doch nicht, oder?“

Ich nickte. Daraufhin schwieg er kurz.

„Greg und Celina sind nicht mehr im Zimmer.“, flüsterte er mir dann ins Ohr, „Nimm die Hände runter.“

Ich schüttelte erneut den Kopf.

„Soll ich meine runter nehmen?“

Ich schüttelte den Kopf abermals.

„Wie kommen wir dann zum Essen?“

Erneutes Kopfschütteln.

„Rika.“, meinte er dann belustigt, „Nimm die Hände runter. Sonst mache ich das, was Gregs Frage berechtigt.“

Was meinte er jetzt damit?

„Rika, Hände runter.“

Ich schüttelte den Kopf. Eigentlich hatte ich ein Seufzen erwartet. Stattdessen küsste er meinen Nacken.

 

 

„Was habt ihr denn noch gemacht?“, wollte Greg wissen als wir uns setzten.

Ich war mir sicher bald als rote Ampel fungieren zu können.

„Nichts.“, gab Riley zurück.

Was er 'nichts' nannte, war in Wirklichkeit die Tatsache das er mich fast geküsst hatte. Nachdem ich die Hände einfach nicht runter genommen hatte, hatte er begonnen meinen Hals zu küssen. Meinen Hals, mein Ohr, mein Kiefer... Dann hab ich die Hände runter genommen, da ich verstanden hatte was er mit 'Sonst mache ich das, was Gregs Frage berechtigt' meinte.

Er hätte mich wirklich geküsst, wenn ich die Hände nicht runter genommen hätte... Dabei waren wir doch nur Freunde.

Küsst man sich auch unter Freunden?

„Was machen wir gleich noch?“, wollte Celina wissen.

„Äh...“, Greg sah kurz auf die Uhr, „Du musst gleich Zuhause sein.“

„Und?“

„Was und? Ich bringe dich nach dem Essen nach hause und gehe dann selbst nach hause.“

Sie seufzte. „Kannst du nicht bei mir übernachten?“

„Damit meine Mom etwas falsches denkt?“

Jason verschluckte sich. Dad ließ die Gabel fallen. Moms Gabel fiel sogar auf den Boden.

„Damit sie etwas falsches denkt?“, hakte Annie nach.

Celina wurde rot und hielt sich die Hand vors Gesicht während sie den Kopf senkte.

„Greg, du solltest lernen ein bisschen zurückhaltender zu sein. Nicht das die Röte in Celinas Gesicht noch für immer da bleibt.“, meinte Riley tadelnd.

Greg streichelte Celina den Rücken. Etwa zwanzig Minuten – oder mehr – später räumte meine Mutter den Tisch ab. Riley küsste mich zum Abschied auf die Wange. Greg lächelte und Celina küsste mich auf die andere Wange. Danach ging ich direkt ins Bett.

 

Im selben Moment trat Raymund in Nukas Büro, wo Nick natürlich schon wartete.

„Was gibt’s?“, wollte Raymund wissen und setzte sich auf einen der Stühle.

„Nick hat eine Idee wie ihr an Irina kommt.“, gab Nuka zurück, „Ich möchte das ihr mir die Informationen so schnell wie möglich bringt. Sie sind sehr wichtig. Versucht sie mir in drei Tagen auf den Schreibtisch legen zu können.“

Raymund und Nick nickten und standen auf. Dann verließen sie das halb verfallene Gebäude und machten sich auf den Weg um sich das Haus anzusehen.

„Wie lautet der Plan?“, wollte Raymund von Nick wissen als sie an der Villa mit dem stummen Mädchen vorbei kamen.

„Ist Simpel. Morgen besuchen wir sie, sagen ihr wir wären vom FBI und stellen ihr die Fragen um an die Informationen zu kommen.“

„Wird sie nicht einen Ausweis verlangen?“

Er warf mir eine Brieftasche zu. Jedenfalls sah das Teil so aus. Als ich es aufklappte sah ich oben einen gefälschten Ausweis und unten eine Marke.

„Wo hast du die denn her?“

„Von einem Freund.“

„Sag mal, hast du eigentlich irgendein Problem?“

„Wie kommst du darauf?“

„Du sprichst beinahe monoton, maximal nur drei Sätze und scheinst kälter als eiskalt.“

Nick blieb kurz stehen, woraufhin Raymund es ihm gleich tat und zu ihm sah. Dann nickte Nick zu Raymunds Verwunderung.

„Ich habe ein riesiges Problem. Zufrieden?“

„Ein riesiges Problem? Hat es mit Hugh Traver zu tun?“

Seine Augen schienen ein paar Schattierungen dunkler zu werden. „Mehr oder weniger.“

 

Verdammt, Nick war so nahe dran sie wieder zu finden. Er durfte jetzt nur nicht zu viel verraten. Er durfte nichts sagen was auf sie aufmerksam machte. Er musste schleichen. Dann würde er sie bald wieder in den Armen halten. Er war sich sicher, wenn er sich sein Ziel nur oft genug vor Augen hielt, würde er es bald haben. Und der Ansporn sein Zielt bald erreicht zu haben, schien das Einzige zu sein das ihn noch am Leben hielt.

Nur noch ein paar Tage. Dann sind wir wieder zusammen. Versprochen.

 

Als ich am nächsten Tag in die Schule kam, stellte ich fest das ich immer noch angestarrt wurde. Diesmal jedoch, wusste ich aus irgendeinem Grund, das es nicht der selbe Grund war wie letzte Woche.

Was haben die denn?

Die Antwort kam mit Riley. „Hallo, Rika.“, meinte er lächelnd und küsste mich vor all den Schülern auf die Wange. „Gut geschlafen?“

Ich wurde etwas rot, versuchte ein leichtes Lächeln und nickte.

Daraufhin lächelte er gleich etwas mehr.

„Wunderbar.“

Wir machten uns auf den Weg zu meiner Klasse, wobei er meine Hand hielt.

„Treffen wir uns dann in der Mittagspause wieder im Musikzimmer?“, fragte er unterwegs.

Ich nickte.

„Mom hat mir einen Weg gezeigt wie ich dir das Klavierspielen leichter beibringen kann.“

Ich lächelte etwas mehr. An der Klasse angekommen, legte ich kurz meine Tasche hin, zog die Jacke aus und nahm die Tasche wieder.

„Dann sag ich, bis zur Mittagspause.“

Ich nickte. Daraufhin küsste er mich wieder auf die Wange und ging, während ich in die Klasse ging.

 

Die Stunden verliefen einfach super. In der ersten hatte ich alle Informationen, quasi aufgesaugt. In der zweiten hatte ich auch eine Menge zum aufschreiben gefunden, ebenso in der dritten.

In der Mittagspause ging ich dann direkt zum Musikzimmer, wo Riley bereits wartete. Er saß am Klavier und spielte ein paar Töne. Als die Tür hinter mir zufiel, sah er auf und lächelte. Es sah einfach... umwerfend aus. Ein anderes Wort dafür fand ich nicht. Er saß da, am Klavier, spielte ein paar Töne und sah mich über den Flügel hinweg lächelnd an.

„Komm her.“, bat er dann.

Ich legte meine Jacke und die Tasche weg und setzte mich neben ihn.

„Diesmal wird es wirklich sehr einfach.“, begann er.

Er erklärte mir zwar sehr viel, zeigte mir dafür aber mindestens genauso viel, sodass ich es mir recht gut merken konnte. Es machte mir sehr viel Spaß, sodass es mir vorkam das wir nur fünf Minuten dort gewesen waren, als es klingelte. Riley sah mindestens genauso überrascht aus wie ich.

„Das wars dann wohl schon.“, meinte er leicht enttäuscht, „Wie wäre es wenn wir später ein Eis essen gehen? Ich hole dich dann um 3 Uhr ab.“

Ich nickte lächelnd. Er erwiderte es erleichtert. Dann standen wir auf, ich nahm meine Sachen und wollte bereits gehen. Es überraschte mich das er mich nochmal zurück hielt.

„Eine kurze Sache noch.“, meinte er, „Es ist eine ganz normale Frage und du musst nicht unbedingt antworten.“

Ich wand mich ganz an ihn und sah ihn wartend an.

„Wie würdest du reagieren wenn du Nicko wiedersehen würdest?“

Das war nicht schwer. Ich nahm meinen Block und einen Stift heraus und schrieb es auf.

'Ich glaube, ich würde ihm ohne nachzudenken in die Arme fallen. Ob er mich nun erkennt oder nicht. Ich würde schon einen Weg finden es ihm zu erklären.'

Er lächelte ein wenig als er es las. Dann beugte er sich zu mir runter und küsste mich auf den Mundwinkel. Okay, er hatte mich zwar nicht direkt geküsst, aber schon der Mundwinkel reichte aus um meinen Bauch kribbeln zu lassen.

„Bis später.“, meinte er dann und ging.

Ich stand da... fassungslos und nicht in der Lage mich zu bewegen. Dann klingelte es nochmal und ich eilte in die Klasse.

 

Riley lächelte immer noch als er nach hause ging. Es schien funktioniert zu haben. Er hatte Rika etwas glücklicher machen können. Nun, genau genommen hatte er ihr auch etwas gegeben das er sonst niemandem gab. Und das wurde ihm immer klarer. Er kannte sie nur eine Woche... und sie hatte sich in sein Herz geschlichen.

Er lächelte bei dem Gedanken an Rika. Er hatte ihr seine Liebe geschenkt. Eigentlich wollte er ihr Freundschaft schenken, aber daraus wurde unbewusst mehr, wie ihm bewusst wurde. Er wollte das Rika glücklich war. Und wenn es sein musste, würde er nach ihrem Bruder suchen um an sein Ziel zu gelangen.

Gib mir nur ein wenig Zeit.

~Kapitel 6~

Raymond

„Jetzt?“, hakte ich überrascht nach.

„Jetzt.“

Nick drehte um und ging voraus. Er war vor genau 30 Sekunden hier rein geplatzt und gesagt wir würden zu Irina gehen. Da ich nicht wusste was ich tun sollte, stand ich einfach auf und folgte ihm schnell.

Warum hat er es nur so eilig?

Ich folgte ihm eine Weile. Wir gingen die Straße hinauf, bogen ab, gingen an der Villa mit dem stummen Mädchen vorbei und kamen irgendwann an unserem Ziel an. Nick gab mir unterwegs den Ausweis und die Marke. Als ich dann bei der Frau klingelte, dauerte es nur etwa zwei Minuten bis ein kleines Kind von etwa 7 Jahren öffnete. Ich lächelte sie an und hockte mich hin.

„Hallo. Wir würden gerne mit deiner Mutter sprechen.“, erklärte ich ihr, „Ist sie zuhause?“

Sie nickte. „Einen Moment.“

Sie ließ die Tür offen, während sie weg ging um die Frau zu holen die wir suchten. Wir erkannten sie vom Foto das in ihrer Akte war.

„Ja?“

„Hallo, wir sind vom FBI und würden Ihnen gern ein paar Fragen stellen. Es dauert nicht lange.“, erklärte ich ihr kurz, „Dürfen wir rein kommen?“

„Natürlich.“

Sie ließ uns herein und führte uns dann ins Wohnzimmer, wo das Mädchen gerade an einem Klavier ein paar einzelne Töne spielte.

„Nehmen sie doch Platz. Möchten sie Kaffee?“

„Gerne, danke.“

Nick schüttelte den Kopf. „Wasser wäre nicht schlecht.“

Sie nickte und ging wieder, während ich mich hinsetzten und Nick sich ein wenig umsah. Kurz darauf ertönte die Stimme eines Jungen aus dem oberen Stockwerk.

„Livia, komm mal bitte her!“, rief er, „Ich glaube du hast hier eine Sachen zu viel in deinem Zimmer liegen lassen!“

Das Mädchen am Klavier seufzte tief, stand auf und eilte aus dem Zimmer.

„Hübscher Name.“, bemerkte ich.

„Hm.“, machte Nick nur und sah sich ein Foto an.

Als Irina wieder kam sah er sich das Klavier an.

„Hier ist der Kaffee und Ihr Wasser.“, meinte sie lächelnd und setzte sich, „Also, worum geht es?“

„Es kam ein Gerücht über eine gewisse Tammy Danelle. Wenn wir richtig informiert sind arbeiten Sie mit ihr im Forschungslabor?“

„Ja, das ist richtig, aber sie arbeitet in einem anderen Abteil. Sie kümmert sich um das Mathematische, wie Wissenschaftlichen Versuche, Gleichungen und jegliche Art. Ich arbeite eigentlich eher in der Kantine als Köchin.“

„Dann wissen Sie doch sicher über Mrs. Danelle Bescheid, oder?“

„Wir sind ziemlich gute Freunde, wenn Sie das meinen.“

Nick spielte leicht abwesend ein paar Töne am Klavier. Ich beachtete es nicht weiter, aber Irina schien das schon etwas zu interessieren.

„Können Sie uns vielleicht sagen was genau in Mrs. Danelles Abteil geforscht wird?“

„Man sucht momentan nach einer Möglichkeit unheilbare Krankheiten wie HIV oder schwere Krebserkrankungen zu heilen. Auch über die Pest wird geforscht oder andere hochgefährliche Krankheiten.“

„Also betätigt sie sich hauptsächlich im Gesundheitlichen Bereich.“

„Ja.“ Sie sah bei einem kurzen Stück eines Liedes zu Nick rüber, sagte jedoch nichts.

„Wissen Sie wie weit die Forschungen bereits sind?“

„Entschuldigen Sie die Frage, aber was hat das mit Gerüchten zu tun?“

Ich überlegte und dachte mir einfach etwas aus. „Man behauptet sie würde Informationen verkaufen. Wir wollen überprüfen ob die veröffentlichten Informationen stimmen.“

„Oh. Tammy würde Sowas niemals tun.“

„Das sagen Sie, aber würden Sie bitte die Frage beantworten? Ich kann nicht mehr tun als meiner Pflicht nachzukommen.“

„Ja, entschuldigen Sie. Ich kann nur irgendwie nicht glauben das sie so etwas tun würde. Also, im Bereich HIV sind sie nicht sehr weit voran gekommen, aber bei Krebs scheinen sie fast das Ziel zu erreichen. Als ich das letzte mal mit Tammy darüber gesprochen habe, hat sie erwähnt das sie einen gigantischen Fortschritt gemacht haben. Bei der Pest haben sie gerade herausgefunden was genau sie auslöst, aber ich weiß nicht was genau.“

Ich nickte, während Nick wieder kurz etwas spielte.

„Entschuldigen Sie? Woher kennen Sie dieses Lied?“

Nick sah abrupt auf. „Wie bitte?“

 

 

Rika

Irina schüttelte kurz den Kopf. „Mich geht es vielleicht nichts an, aber eine Freundin meines Sohnes war vor kurzem zu Besuch und hat genau das selbe Lied am Cello gespielt.“

In dem Augenblick erschien ein Junge in der Tür. „Mom, ich gehe wieder zu Rika. Wir wollten heute wieder in die Stadt Eis essen.“

„Aber nicht das du mir später wieder mit Bauchschmerzen nach hause kommst, mein Junge. Und lade sie doch mal wieder ein. Sie ist so gut am Cello.“

Er lächelte. „Ich sag’s ihr.“

Als er dann kurz zu Raymond und dann auf Nick sah, starrte er ihn quasi an. Nick schien zur Salzsäule erstarrt. Er war blass geworden.

„Ich sag dann mal bis später.“, meinte der Junge dann an seine Mutter und ging.

„Bis später!“, rief Irina noch hinterher.

 

Gerade als ich mich nach einer schönen Dusche fertig angezogen hatte, hörte ich unten die Klingel. Ich lächelte ein wenig und eilte die Treppe hinunter. Jason öffnete gerade die Tür als ich unten ankam. Riley lächelte mich an.

„Na, das nenne ich mal perfektes Timing.“, meinte Jason, „Sie kam gerade erst aus dem Bad.“

Ich schlug ihm leicht auf die Schulter.

„Ich wünsche euch beiden viel Spaß.“

„Ich hab ja nicht mal das Haus betreten.“, murmelte Riley.

Ich schmunzelte und ging mit ihm los. Ohne zu zögern nahm er meine Hand, während wir durch die Stadt gingen.

„Wie wäre es wenn wir erst ein Eis essen, dann ins Kino gehen und dann noch ein Eis essen?

Ich zog amüsiert die Braune zusammen und sah ihn lächelnd an.

„Ich mag Eis.“

Ich nickte leicht lächelnd.

„Super.“ Er küsste mich auf die Wange. „Und während wir den Film gucken futtere ich natürlich Popcorn.“

Ich nickte nach dem 'Natürlich-futterst-du-Popcorn' Motto und ging mit ihm die belebte Straße hinab.

„Wollen wir in einer Eisdiele essen oder auf dem Marktplatz am Brunnen? Der Platz ist heute sowieso leer.“

Ich machte eine Geste die besagte das ich lieber am Brunnen das Eis aß. Er lächelte gleich noch mehr.

„Wusste ich es doch. Magst du eigentlich Vanilleeis?“

Ich nickte.

„Und Erdbeere?“

Ich nickte erneut.

„Zitrone?“

Erneutes nicken.

Er lächelte. „Perfekt. Ich mag genau das selbe.“

Ich lächelte schräg. Kurz darauf bestellte er auch schon das Eis.

„Wollen wir uns das Eis teilen?“, schlug er vor.

Ich zögerte kurz und nickte dann. Daraufhin bekam er eine extra große Portion, bezahlte und ging mit mir weiter.

„Was würdest du tun wenn ich sagen würde ich hätte Nicko gesehen?“, fragte er auf einmal.

Unwillkürlich blieb ich stehen und starrte ihn an. Er blieb ebenfalls stehen, sah zu mir zurück und wartete.

„Du wärst also verwirrt.“

Ich nickte sogar.

„Darf ich das Bild nochmal sehen?“

Ich holte den Anhänger aus meinem T-Shirt und hielt es ihm hin. Er sah es sich eine Zeit lang an und zog mich dann sanft weiter.

„Mom findet ich sollte dich ruhig mal wieder mit nach hause bringen.“

Ich lächelte etwas.

„Hättest du Lust?“

Ich nickte.

„Wie wäre es dann morgen? Nein, warte. Morgen geht nicht.“

Er raufte sich die Haare. „Da bin ich nicht mal in der Schule. Ich muss mit Mom wohin. Ist nicht so wichtig. Hat was mit meinem Großvater zu tun. Verwandte, du weißt schon. Kennst du sicher. Man besucht sie regelmäßig und wenn man einmal absagt wollen sie sofort wissen warum. Also geht man doch hin um ihnen nicht sagen zu müssen das man keine Lust hat oder schon etwas anderes vor hat. Und nur um sie nicht zu enttäuschen.“ Er zog die Brauen zusammen. „Was rede ich da eigentlich für ein Schwachsinn?“

Ich schmunzelte, schlang die Arme um ihn und küsste ihn auf die Wange. Er lächelte darüber und setzte sich dann an den Rand eines Brunnens.

„Okay. Ich möchte mal etwas ausprobieren.“, meinte er, „Du musst dafür aber die Augen zumachen und machen was ich sage, okay?“

Ich zögerte nicht und schloss die Augen. Als es still blieb, linste ich kurz.

„Nicht gucken.“, mahnte er amüsiert.

Ich schloss die Augen wieder.

„Okay, Mund auf.“

Ich tat was er wollte.

„Noch ein bisschen... noch ein Stück... und... stopp.“

Er schob mir vorsichtig einen Löffel Eis in den Mund.

„Okay. Jetzt darfst du raten was das für ein Eis war. Zeige ein Finger wenn es Erdbeere war, zwei bei Zitrone, drei bei Vanille, vier wenn du es nicht weißt und fünf bei einer Mischung.“

Es dauerte ein wenig bis ich etwas tat. Zwei Finger.

„Richtig. Okay, machen wir weiter. Mund auf.“

Ich lächelte etwas und tat was er wollte. Dann zeigte ich wieder zwei Finger.

„Wieder richtig. Jetzt wird’s aber etwas schwerer. Mund auf.“

Ich öffnete ihn erneut, schmeckte ab und zeigte wieder zwei Finger. Daraufhin seufzte er.

„Du schummelst doch nicht, oder?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Okay... Mund auf.“

Es dauerte sehr lange bis ich etwas zeigte. Fünf.

„Okay. Welche Sorten?“

Zwei.

„Zitrone, richtig.“

Ich zögerte kurz. Drei.

„Vanille. Bist du dir sicher?“

Ich nickte.

„Ist richtig. Langsam habe ich das Gefühl du hättest ein zweites Paar Augen. Und zwar dort wo ich es nicht sehen kann.“

Ich schmunzelte und schüttelte den Kopf.

„Okay. Jetzt halte einfach mal kurz still, okay?“

Ich nickte und wartete.

„Nicht bewegen.“

Ich wartete weiter. Ich wurde sogar langsam misstrauisch und zog leicht die Brauen zusammen.

„Nicht bewegen.“, ermahnte Riley, „Ich bin gleich fertig.“

Ich entspannte mich wieder und wartete weiter.

„Okay, jetzt mach mal wieder den Mund auf.“

Ich tat was er wollte. Daraufhin gab er mir noch mehr Eis. Ich schmeckte so lange ab bis ich das Eis nicht mehr richtig schmecken konnte und zweigte dann vier Finger. Daraufhin lachte er leise.

„Jetzt hab ich die Schwachstelle gefunden.“

Ich öffnete ein Auge und sah ihn an.

„Augen zu.“

Ich sah ihn noch ein paar Sekunden lang an und schloss das Auge dann wieder.

„Mund auf.“

Ich tat wieder was er wollte.

„Okay.“

Wieder versuchte ich es so lange bis ich das Eis nicht mehr richtig schmecken konnte. Dann zeigte ich wieder vier.

„Okay, ich denke, ich lasse dich mal besser nicht so unwissend. Es war Zitrone und Erdbeere. Nur verrührt.“

Ich öffnete wieder die Augen, nahm ihn den Becher aus der Hand und sah hinein. Dann schürzte ich die Lippen, nahm ihm noch den Löffel weg und begann das Eis weg zu löffeln.

„Hey, ich will auch noch was.“, lachte er und griff nach dem Becher.

Ich lächelte nur zurück und zog ihn zur Seite.

„Immerhin hab ich es doch bezahlt.“

Ich streckte ihm die Zunge raus.

„Du kleine...“

Er zog mich zu sich, schlang die Arme um mich und begann mich zu kitzeln. Daraufhin wand ich mich heftig und versuchte seinen Händen auszuweichen. Bis er es dann irgendwie schaffte mir Becher und Löffel wegzunehmen.

„Okay. Machen wir das so.“, meinte er und zog mich so zu sich das ich mit dem Rücken an ihn lehnte, „Ich behalte das Eis und darf dich füttern.“

Ich öffnete den Mund. Daraufhin gab er mir einen Löffel Eis und drückte mir noch einen Kuss auf die Wange. Dann nahm er sich selbst einen Löffel.

„Gleich darfst du den Film aussuchen. Aber nicht wieder so lange wie gestern.“

Ich grinste ihn an und öffnete erneut den Mund. Daraufhin gab er mir wieder einen Löffel Eis.

„Ich frage mich langsam ob du einen festen Freund hast.“

Ich schüttelte den Kopf und nahm den Löffel in den Mund, obwohl er ihn gerade nehmen wollte. Er lachte ein wenig und nahm sich einen neuen.

„Also kein Freund. Kein fester zumindest. Abgesehen von Greg natürlich.“

Ich kniff ihm leicht in den Oberschenkel.

„Okay, dann ist Greg dir wohl nicht gut genug. Und ich? Ich meine, ich sehe doch sicher viel schlimmer aus als er.“

Ich schüttelte den Kopf und nahm ihm den Löffel aus der Hand. Dann häufte ich Eis darauf und drückte ihn ihm wieder in die Hand, bevor ich den Mund öffnete. Er lächelte etwas und fütterte mich weiter.

„So ist es brav, kleines Baby.“

Ich kniff ihm erneut in den Oberschenkel.

„Okay. Formulieren wie es anders.“

Ich horchte.

„Richtig so, meine Süße.“

Abrupt drehte ich den Kopf zu ihm herum.

„Was ist? Soll ich das lieber nicht sagen?“

Ich drückte ihm lediglich einen Kuss auf die Wange.

 

Eine halbe Stunde später betraten wir beide sein Zuhause.

„Mom, da bin ich wieder!“, rief er.

„Ich dachte du kommst erst heute Abend wieder!“, rief Irina zurück.

„Ja. Das ist schon etwas schräg. Wir wollten ins Kino, aber die wollten uns nicht rein lassen weil sie dachten Rika wäre zu jung. Tja, sie muss wohl noch ein bisschen wachsen.“

Ich knuffte ihn in die Seite und folgte ihm zum Wohnzimmer.

„Also sind wir zu ihr gegangen, haben ihr Cello geholt und sind dann her.“

„So klein ist sie doch gar nicht.“

„Das sieht der Typ am Kino wohl anders. Aber da sie noch keinen Ausweis hat, konnten wir ihm nichts beweisen.“

„Hat sie nicht?“

Er hielt sich an den Türrahmen zum Wohnzimmer fest und lehnte sich vor, weshalb ich nicht an ihm vorbei kam und auch nichts im Wohnzimmer sehen konnte.

„Wie es aussieht haben wir immer noch Besuch.“

„Das macht nichts, denke ich. Ich glaube wir sind sowieso gleich fertig. Du kannst ihr ja weiter das Klavier beibringen. Es macht Ihnen doch nichts aus, oder?“

„Ganz und gar nicht.“, sagte ein Mann im Wohnzimmer.

Ich kannte die Stimme. Ich musste nicht mal lange nachdenken. Es musste der Mann gewesen sein dem ich nach meinem ersten Besuch getroffen hatte. Er hatte mich gefragt ob ich wusste wo der Park sei. Riley wand sich an mich.

„Hast du Durst?“

Ich wackelte abschätzend mit dem Kopf.

„Setzt dich schon mal, ich hole dir dann eben Saft.“

Ich nickte, nahm das Cello vor mich und betrat das Wohnzimmer, wobei ich mich mal wieder umsah. Es sah einfach umwerfend aus. So hell und freundlich. Beim meinem letzten Besuch hatte ich mich gar nicht so genau umgesehen. Nun bemerkte ich viele kleine Dinge die das Zimmer noch fröhlicher gestalteten. Mein Anhänger baumelte hin und her, als ich mich ein Stück drehte.

„Rika?“

Ich drehte mich zu Irina.

„Wie lange spielst du eigentlich schon Cello?“

Ich zog die Brauen zusammen, während ich nachdachte. Dann hielt ich acht Finger hoch.

„Jahre?“

Ich nickte. Dann fiel mein Blick auf die beiden Männer. Den einen erkannte ich. Der Mann hatte gesprochen. Den anderen kannte ich auch, wie ich mehr als überrascht feststellte.

Nicko.

Ich schluckte und zwang mich dazu ihm nicht in die Arme zu fallen. Wir starrten uns einfach nur an.

„Nicko?“

Wie sehr wünschte ich mir das auch ein Ton aus meinem Mund kam. Als sein Blick dann auf meinen Anhänger fiel atmete er lange aus und zog leicht die Brauen zusammen. Hieß das jetzt er erinnerte sich nicht mehr an mich? Dann stellte ich jedoch fest das seine Miene immer weicher wurde. Der Mann neben ihm starrte uns beide verwirrt an. Nicko schien es nicht mal zu bemerken.

„Kennen sich die beiden?“, fragte Irina.

„Ich wollte gerade das selbe fragen.“, gab der anderen zurück.

Nicko stand einfach auf, kam zu mir und zog mich in seine Arme. Ich ließ das Cello einfach los und schlang die Arme fest um ihn.

„Ich dachte schon ich finde dich nie.“, flüsterte er in mein Haar, „Meine kleine Rika. Und du hast nichts von mir vergessen?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Tut mir Leid das ich dich so lang allein gelassen habe. Es ist schwer zu erklären.“ Er legte mir eine Hand in den Nacken und streichelte mit dem Daumen meinen Hals. „Du warst so lange ohne leibliche Familie... Ist deine jetzige Familie denn gut zu dir?“

Ich nickte langsam.

„Hast du mich vermisst?“

Ich nickte erneut. Und ich konnte nicht mal aufhören. Bis er mir übers Haar strich. Am liebsten würde ich für immer so stehen bleiben. Damit ich mir sicher sein konnte das er immer bei mir bleiben würde.

„Nick, sag mal, wer ist das eigentlich?“, wollte der fremde Mann wissen.

Ich sah überrascht zu Nicko auf.

Nick? Da fehlt doch das O.

Er grinste zu mir herab. „Das erkläre ich dir später.“, flüsterte er mir zu.

Ich lächelte ihn strahlend an. Wenn er 'später' sagte, würde er länger bei mir bleiben. Nun drehte er sich zu seinem Freund um und hielt mich vor sich.

„Den Namen kennst du ja schon.“ Ich stellte fest das Nickos Stimme dem Fremden gegenüber wesentlich kälter war. „Rika ist meine Schwester. Wir haben uns vor 12 Jahren aus den Augen verloren.“ Nicko wand sich an mich. „Das ist mein Kollege Raymond.“ Mir gegenüber war seine Stimme warm, freundlich und liebevoll. „Ich erzähle dir das alles später, okay?“

Raymond sah verblüfft von meinem Gesicht zu Nickos und wieder zurück. Hin, her, hin und her.

„Ihr seit euch ziemlich ähnlich.“, stellte Irina dann fest.

Nicko schlang die Arme um mich und hielt mich bei sich, wobei er seinen Kopf auf meinen Schopf legte. „Mein einziges Familienmitglied.“

Ich hielt seine Hand fest.

„Seit wann hast du eine Schwester?“, fragte Raymond vollkommen verwirrt, „Das bring mich ganz durcheinander. Du hast sie nie erwähnt. Obwohl... Wenn ihr euch vor so langer Zeit aus den Augen verloren habt, könnten man deine schlechte Laune erklären.“

Als ich zu Nicko aufsah, grinste er mich an. „Du kannst mich später ausfragen. Erst will ich dich spielen hören. Keine Widerrede. Wenn ich dich schon wieder habe, dann will ich dich auch hören können. Auch wenn du stumm bist. Und da kommt dein Cello ins Spiel.“

„Das waren mehr als drei Sätze.“, stellte Raymond fest, „Ich habs. Du bist besessen. Nuka wird Augen machen wenn ich ihm das erzähle. Und Ashley erst.“

Nun zog ich die Brauen zusammen und sah Nicko fragend an. „Eine nervende Kollegin.“, erklärte er kurz.

Ich schmunzelte ein wenig. Was nervten ihn nicht? Mich ausgenommen.

„Okay, Kleines. Jetzt möchte ich dich aber wirklich mal hören.“, meinte Nicko an mich und ließ mich langsam los.

Daraufhin hockte ich mich kurz hin, hob das Cello auf und setzte mich auf einen Stuhl, während ich es aus der Tasche holte. Nicko setzte sich so nahe zu mir wie möglich und sah mir dabei aufmerksam zu. Als Riley herein kam, stellte er meinen Saft auf den Tisch und setzte sich ans Klavier, machte jedoch nicht Anstalt etwas zu spielen. Als ich das Cello dann in der Hand hielt, spielte ich 'unser' Lied. Als ich fertig war seufzte er.

„Nicht mal Chantal konnte so gut spielen.“, meinte Nicko.

Chantal. Unsere hochbegabte Schwester. Ich konnte über das Kompliment nur lächeln, aber er wusste wie sehr ich mich darüber freute.

„Wer ist jetzt Chantal?“, wollte Raymond wissen.

Nicko seufzte. „Kannst du dir das nicht denken?“

„Irgendeine Ex von dir?“

„Hundertprozentig nicht. Ich war nicht in der Lage eine Beziehung zu führen. Frag nur Ashley.“

„Ist nicht dein Ernst oder?“

Ich stellte amüsiert fest, dass er sich sofort einen Satz verkniff.

„Ich weiß schon Bescheid. Du brauchst es nicht sagen.“, meinte Raymond, der das wohl bemerkt hatte.

„Ich nehme mal an, Rika, das du mit ihm befreundet bist?“, meinte Nicko dann an mich und deutete auf Riley.

Ich nickte und lächelte etwas. Dann winkte ich Riley zu mir. woraufhin er sofort zu mir kam. Er ergriff die Hand die Nicko ihm reichte ohne zu zögern.

„Ich bin Riley. Und Sie sind Rikas Bruder?“

Nicko nickte. „Sag einfach Nicko.“

Raymond war nur noch verwirrter. Zu Riley war er nicht so kalt wie zu Raymond, aber auch nicht so freundlich wie zu mir. Er war einfach nur... nett.

„Ich glaube wir reden einfach später mal wenn ich mit zu Rika gehe.“

Ich lächelte noch mehr. Raymond seufzte erneut.

„Ich gehe dann mal. Nicht das Nuka uns noch suchen lässt.“, meinte er dann und stand auf.

Ich winkte ihm noch bevor er raus ging. Er winkte leicht lächelnd zurück. Nicko blieb aber noch und hörte dann zu wie ich spielte. Mal mit Irina, mal mit Riley oder allein. Irgendwann setzte er sich dann an den Flügel und spielte mit mir 'unser' Lied. Er war ein Profi am Klavier.

„Ein fantastischer Pianist.“, lobte Irina.

Riley nickte. „Genauso gut wie Rika.“

Als ich auf die Uhr sah, machte ich Riley darauf aufmerksam.

„Du musst ja gleich zu hause sein.“, stellte er fest, „Dabei hat es doch gerade erst angefangen Spaß zu machen.“

„Man soll aufhören wenn es am schönsten ist.“, meinte Irina.

Ich seufzte und packte mein Cello wieder ein. Nicko nahm es mir ab, während Riley uns noch zur Tür brachte.

„Wir sehen uns dann übermorgen in der Schule.“, meinte er und verzog leicht das Gesicht, „Weißt ja warum ich morgen nicht da bin.“

Ich nickte und nahm ihn nochmal in die Arme. Dann küsste er mich auf den Mundwinkel und ließ mich wieder los.

„Bis dann.“

Ich winkte ihm lächelnd. Dann drehte ich mich um und ging mit Nicko nach hause.

„Du magst ihn sehr, oder?“, fragte dieser als wir von der Auffahrt gingen.

Ich nickte.

„Du kennst ihn aber noch nicht so lange, oder?“

Überrascht sah ich ihn an.

„Ich versuche schon die ganze Zeit dich zu finden. Aber ständig komme ich zu spät in die Stadt. Diesmal war es nur Glück das wir hier waren. Das hat mit meinem Job zu tun, weißt du?“

Ich nickte.

„Naja... Und dann waren wir halt bei Irina... Ich habe gar nicht mit dir gerechnet.“ Er legte mir einen Arm um die Schultern. „Du hast mir wirklich sehr gefehlt. Ich weiß gar nicht wie ich die Zeit ohne dich überlebt habe.“

Ich nickte zustimmend.

„Bist du ohne mich zurecht gekommen?“

Ich wackelte abschätzend den Kopf.

„Hast du denn im Laufe der Zeit immer noch so wenig Stimme wie vorher? Oder hat sich das gebessert?“

Ich versuchte zu sprechen. Es endete diesmal überraschender Weise in einem Husten. Als ich wieder richtig atmen konnte, versuchte ich es probeweise erneut. Es passierte so gut wie gar nichts. Der Knackpunkt: So gut wie.

Ich spürte ein Kratzen, als wäre etwas in meinem Hals das mich daran hindert zu sprechen. Ich rieb mir stirnrunzelnd den Hals.

„Ist irgendwas anders?“

Ich nickte langsam und unsicher.

„Ist es gut?“

Ich hob die Schultern.

„Okay.“ Er küsste mich auf den Schopf und tätschelte mir dann den Kopf. „Ich hab dich lieb.“

Wie gern hätte ich ihm das selbe gesagt. Um ihm das zu zeigen nickte ich und schlang die Arme um ihn. Er verstand meine Gesten immer. Egal wie seltsam sie auch waren, er wusste immer was ich ihm sagen wollte. Genauso wie jetzt. Das erkannte ich daran das er lächelte.

Als wir wenig später das Haus erreichten, holte ich kurz den Schlüssel heraus und schloss auf. Dann zog ich ihn an der Hand herein und schloss die Tür wieder.

„Hallo, Rika!“, rief Jason aus dem Wohnzimmer, „Diese Mädchen das hier war... wie hieß die noch gleich? Celine? Celina? ... Keine Ahnung, jedenfalls, sie hat angerufen!“ Er erschien in der Wohnzimmertür und hielt überrascht inne. Dann sah er verblüfft aus. „Bist du nicht...“

„Ihr Bruder.“, stimmte Nicko zu.

Jason lächelte und gab ihm die Hand. „Ich bin Jason. Ihr Bruder, kann man sagen. Zwar nicht blutsverwandt wie du, aber eben der Bruder.“

Nicko lächelte ein wenig mehr. „Ich verstehe schon. Ging es ihr in den vielen Jahren denn gut?“

„Ihr ging es nicht gerade schlecht. Manchmal sank ihre Stimmung fast bis auf den Nullpunkt. Dann hat sie immer Cello gespielt. Das ist als würde sie ihre Stimmung spielen. Sie spielt immer so wie sie sich gerade fühlt. Aber ich hab sie nur ein oder zwei mal fröhlich spielen hören. Und einmal als sie ein fröhliches Lied spielen wollte, was ihr so ziemlich misslang.“ Er schmunzelte ein wenig und tätschelte mir den Kopf, während ich ein wenig lächelte. „Ach, Rika, Mama ist erst in einer Stunde wieder da. Annie war so blöd und hat sich die Hand gebrochen als sie die Tür zu gemacht hat.“ Er schüttelte den Kopf.

„Wie geht das denn?“, wunderte sich Nicko, „Ich kenne ja viele Arten wie man sich etwas brechen kann, aber von Sowas hab ich nun noch nicht gehört.“

„Ich weiß selbst nicht wie sie das gemacht hat. Annie ist übrigens meine Schwester. Also, richtige Schwester.“

„Ich schätze einfach mal das meine kleine Rika die einzige Person in diesem Haus ist die nicht mit dir blutsverwandt ist.“

Er nickte. „Annie und ich wohnen hier aber nicht mehr. Ich komme aber täglich zu Besuch. Bisher hat Rika sich immer riesig gefreut wenn ich da war. Bei Annie hatte sie sich zwar auch gefreut, aber... ich glaube du hast ihr einfach nur so sehr gefehlt.“

„Wie war es mit ihrer Gesundheit?“, fragte Nicko weiter.

„Hin und wieder mal eine kleine Erkältung oder eine leichte Grippe. Vor ein paar Tagen bekam sie dann eine andere Krankheit die, wie der Arzt sagte, sehr selten war. Er sagte, sie würde langsam die Freude am Leben verlieren. Wenn ich mich nicht täusche, hatte sie an dem Tag, glaub ich, ziemlichen Stress mit Riley gehabt. Dieser hat ihr von Anfang an gut getan. Naja, noch am selben Tag, schon am Abend, kam Riley dann mit zwei Freunden zu Besuch. Der eine hieß Greg. Und seine Freundin... Ich bin mir ganz sicher das sie Celina heißt.“

Ich nickte.

„Die drei haben sie irgendwohin mitgenommen. Am folgenden Tag waren sie dann wieder außer Haus und am dritten Tag, genau genommen gestern, blieben die vier hier und haben sich Filme angesehen. Rika schien es wieder besser zu gehen. Aber jetzt müssen wir uns keine Sorgen mehr machen, denke ich.“ Er lächelte mich an. „Mama hat dir eine Kleinigkeit zu essen gemacht. Es steht in der Mikrowelle.“

Ich nickte und sah zu Nicko hoch.

„Ich komme gleich nach.“, versicherte er mir. Ich lächelte ihn strahlend an und eilte in die Küche. Ich hatte wirklich einen riesen Hunger.

 

„Hat sie sich gut eingelebt?“, fragte Nicko weiter an Jason gewandt.

„In der Schule scheint es ganz gut zu gehen. Riley gibt ihr kostenlose Klavierstunden, sie bringt Annie die Geige bei. Also, in unserer Familie benimmt sie sich eigentlich recht neutral. Ich sehe sie als meine Schwester, aber ich kann ihr, glaube ich, nicht genug Liebe entgegen bringen. Und das scheint sie zu merken. Mama, Papa und Annie geht es genauso. Sie sehen sie als Teil der Familie. Wir haben sie alle furchtbar gern, aber Liebe... Sie braucht einfach mehr. Sie war unglücklich. Ein Lächeln sah man eigentlich recht selten. Seit sie Riley kennt lächelt sie schon öfter, aber... sie hat dich eben richtig angestrahlt. Du bist ihr das wichtigste in ihrem Leben.“

„Ich weiß. Sie ist auch das wichtigste in meinem Leben.“

„Du wirst sie hier lassen, oder?“

Nicko nickte. „Fürs Erste. Wenn ich sie irgendwann mal mitnehme wird der Kontakt zu euch natürlich bleiben, wenn ihr es wollt.“

„Ich werde mit Freuden den Kontakt halten.“

„Bleibt ihr jetzt endgültig hier in der Stadt?“

„Meine Mutter sagt ja. Wir sind in letzter Zeit sehr viel umgezogen weil Rika sich nicht wohl fühlte. Sie wurden in den Schulen als Außenseiterin behandelt und sie wurde auch recht oft schon depressiv. Hier hat sie Riley, Greg und Celina. Und sie wird in der Schule nicht wie eine Außenseiterin behandelt. Wohnst du in der Stadt?“

„Es war nur vorübergehend geplant, weil ich nicht wusste, dass sie hier wohnt. Ich hab sie gesucht. Die ganze Zeit. Und kam immer zu spät in der Stadt an.“

Jason nickte, als Zeichen, dass er es verstand. „Und jetzt?“

„Ich hab sie gefunden. Ich hab vor mir hier eine Wohnung zu suchen und den Job zu wechseln.“

„Jobwechsel?“

„Mein jetziger Job passt nicht gerade zu der Rolle als die Art von Bruder die ich für Rika schon immer war und bin. Und außerdem setzt der Job voraus das ich mobil bleibe. Das ich also die Stadt wechseln kann. Und ich habe nicht vor Rika nochmal zu verlieren.“

„Was war damals eigentlich passiert als du verschwunden bist? Anders kenne ich es nicht. Das einzige was wir von Rika erfahren haben ist das du weg warst. Einfach... weg.“

„Das ist eine komplizierte Geschichte, die ich vorher gerne mit Rika selbst besprechen würde.“

Jason nickte verständnisvoll und lächelte ein wenig. „Natürlich. Weißt du, sie hat nie sehr viel von dir berichtet. Immer wenn sie versucht hat aufzuschreiben was passiert ist, hat sie angefangen zu zittern, sodass sie nicht schreiben konnte. Nach dem dritten Versuch haben wir nicht mehr versucht sie darum zu bitten.“

Nicko nickte erneut und sah in die Richtung in die Rika gegangen war.

„Die Küche ist den Gang runter, vierte Tür links.“, erklärte Jason ihm.

„Danke. Auch dafür das du auf sie aufgepasst hast. Und hoffentlich weiter auf sie aufpassen wirst.“

 

Hmmm... mal sehen, was gab es denn leckeres? Der Kartoffelpüree war noch ein bisschen warm. Ein Schnitzel, Nudeln und Soße. Lecker.

Ich schaltete kurz die Mikrowelle ein und setzte mich auf die Theke, um zu warten. Meine Beine baumelten hin und her, während ich mich in der Küche umsah. Es wurde alles in angenehmen warmen Brauntönen gehalten. Eines der Dinge, die ich an dieser Küche mochte, war das große Fenster, dass den Garten zeigte.

Die Mikrowelle machte im selben Augenblick PING in dem Nicko herein kam. Ich nahm den Teller hinaus und setzte mich mit ihm an den Tisch. Nicko sah mir einfach nur schweigend beim Essen zu und lächelte mich an wenn ich zu ihm sah.

„Ich möchte nichts essen, danke.“, meinte er als ich ihn fragend ansah. Er konnte meine Blicke immer noch lesen. Ich aß den Teller kurz leer, damit ich mit ihm 'sprechen' konnte, woraufhin Nicko mich eine Weile betrachtete und offensichtlich nachdachte.

„Eins verspreche ich dir. Ich werde dich nie wieder allein lassen.“, begann er.

Ich lächelte und nickte.

„Damit ich dich nicht allein lassen muss, werde ich meinen Job aufgeben müssen.“ Er zog die Brauen zusammen. „Ich muss dafür mobil sein. Aber ich bin meinem Chef... noch etwas schuldig. Wäre dieser Job nicht, hätte ich dich nicht finden können. Ich werde irgendwann für eine Weile weg gehen müssen, aber ich komme wieder. Okay?“

Ich nickte wieder.

Er sah auf die Uhr. „Es ist spät. Wir reden morgen weiter, okay?“

Ich folgte seinem Blick auf die Uhr und seufzte.

„Ich bin morgen hier, wenn du wieder nach hause kommst.“

Ich lächelte ihn wieder an, stand mit ihm auf und ging mit ihm zur Haustür, wo er mich nochmal fest an sich zog und auf Wangen und Stirn küsste.

„Wir sehen uns dann morgen.“

Ich nickte und lächelte ihn glücklich an.

„Bis morgen, meine Kleine.“

Damit löste er sich langsam von mir und ging. Ich sah ihm noch hinterher, bis er an der Straße war und schloss dann die Tür. Nachdem ich Jason noch einen Kuss auf die Wange gegeben hatte und meinen Eltern eine gute Nacht gewünscht hatte, was alle etwas überraschte, ging ich nach oben ein mein Zimmer und legte mich schlafen.

~Kapitel 7~

In der Schule war es genauso laut wie immer. Irgendwo wurde jemand gerufen, woanders antwortete jemand auf jemanden, ein Anderer redet wie ein Wasserfall und noch jemand redet dazwischen. Und all das mal das achtfache.

Ich ignorierte die Blicke und ging durch die Flure. Ich seufzte und erinnerte mich daran, warum Riley nicht da war. Es schien langweilig.

Die Stunden zogen sich in die Länge und die Pausen waren auch nicht mehr so toll. In der Mittagspause saß ich dann mit Greg und Celina zusammen, die jedoch größtenteils gegenseitig miteinander sprachen, während ich aß. Ohne Riley war es tatsächlich richtig langweilig.

Nach der Mittagspause gingen wieder die langen Stunden weiter. Lange Stunden, lange Pausen. Dann lächelte ich jedoch, da ich wusste, das Nicko Zuhause auf mich warten würde.

Am Ende der letzten Stunde ging ich dann mit etwas schnellerem Schritt nach hause und war somit auch früher da. Als ich das Haus betrat, hörte ich die Stimme meines Bruders im Wohnzimmer, also ging ich dort hin und sah, dass er sich mit meinen Eltern unterhielt. Sobald er mich sah, unterbrach er sich und lächelte mich an. Dann stand er auf, kam zu mir und küsste mich auf die Stirn.

„Hey, meine Kleine. War wohl nicht so besonders in der Schule?“

Ich seufzte nur.

„Bring deine Tasche in dein Zimmer. Ich muss noch wegen früher mit dir reden.“

Ich nickte und eilte nach oben. Dort warf ich meine Tasche in die Ecke meines Zimmers und eilte wieder nach unten. Diesmal war Nicko allein im Wohnzimmer und sah nachdenklich auf den Tisch. Ich trat ein und setzte mich neben ihn, woraufhin er aufsah und mich etwas anlächelte. Ich lächelte sofort zurück. Als mein Blick dann fragend wurde, verschwand sein Lächeln langsam und senkte den Blick.

„Weißt du noch, warum Mom, Dad und Chantal gestorben sind?“

Ich nickte. Es war ein Unfall gewesen, wie Celina, Greg und Riley erraten hatten. Wir waren in einem Freizeitpark gewesen. Die Vier wollten in eine der Achterbahnen, aber da ich nicht allein bleiben durfte und wollte, blieb Nicko bei mir. Wir hatten Mom Dad und Chantal beobachtet. Aber dann war etwas passiert, das keiner geahnt hatte. Die Wagen entgleisten. Es gab keine Überlebenden.

„Nun... das war ein geplanter Unfall.“

Ich sah ihn entsetzt an.

„Er hatte es eigentlich auf mich abgesehen. Deshalb bin ich auch verschwunden als du 5 warst. Du solltest nicht die Tür öffnen, weil man dich sonst entführt hätte.“ Er nahm mein Gesicht in seine Hände und strich mir mit dem Daumen über die Wangen.

„Wenn dir irgendwas passiert wäre, hätte ich es mir nie verzeihen können, verstehst du. Du bist alles was ich noch habe. Ich lasse nicht zu, das man dich mir wegnimmt.“

Ich fragte mich, warum er nicht zurück gekehrt war. Und er schien die Frage in meinen Augen zu lesen.

„Man hat mich mitgenommen. Im Austausch dafür haben sie geschworen dich in Ruhe zu lassen. Aber sie haben gelogen und haben Jacko geschickt. Also bin ich wieder geflohen. Aber ich wollte dich nicht weiter in Gefahr bringen und bin zu einem Freund gegangen. Er hat dafür gesorgt das du sicher bist, indem er dich dieser Familie anvertraut hat. Aus Sicherheitsgründen hat er mir nicht gesagt was er mit dir tun würde, aber ich habe ihm vertraut. Ich habe ihm mein Leben anvertraut. Nämlich dich. Ich weiß nicht, was er noch getan hat. Aber deine Eltern- Ich meine, deine Zieheltern haben mir erzählt, was er getan hat. Dass er dich ihnen anvertraut hat. Er hat ihnen gesagt, sie dürften nicht zu lange am selben Ort bleiben, weil man dich sonst finden würde.“ Er lächelte schwach. „Man sieht ja, wie lange ich gebraucht habe um dich zu finden.“

Nun fragte ich mich wo er die ganze Zeit war. Wieder las er die Frage an meinen Augen ab.

„Ich habe eine Ausbildung gemacht. Beim Militär. 4 Jahre. Ich darf dir nicht sehr viel darüber sagen, aber sie haben mir gesagt, sie würden sich darum kümmern, das du ein ganz normales Leben führen kannst. Sie haben Schutz geboten. Aus der Ferne, versteht sich. Es kommt keiner von ihnen an dich heran. Du bist vollkommen sicher. Okay?“

Ich nickte, wusste aber nicht wovor ich sicher sein soll. Ich wusste, er las die Frage in meinen Augen, aber er lächelte nur und küsste mich auf die Stirn und auf die Lider. Dann zog er mich in seine Arme und hielt mich bei sich. Ich lehnte mich an ihn und horchte seinem Herzschlag in seiner Brust. Es schlug ein klein wenig schneller, aber dennoch kräftig und gleichmäßig.

Ich seufzte wohlig und schloss die Augen. Dabei merkte ich, das mir irgendwas fehlt. Ich wusste nur nicht was.

 

Als ich am nächsten morgen aufwachte, war tatsächlich das erste was ich sah Riley. Mein Wecker klingelte, ich öffnete die Augen und er lächelte mich an.

„Guten morgen Rika.“

Ich blinzelte etwas überrascht und setzte mich dann langsam auf, während ich zustimmend nickte.

„Nicko hat mich rein gelassen. Da ich gestern nicht da war, wollte ich es wieder gut machen, indem ich dich zur Schule abhole.“ Er schaltete für mich den Wecker aus und stand dann von der Bettkante auf. Ich dagegen griff direkt nach meinem Block.

'Du musst nichts gut machen. Ich wünschte lediglich, dass ich auch einen Großvater haben würde, den ich besuchen könnte.' Ich dachte kurz nach. 'Es war nur ziemlich langweilig ohne dich.'

Ich reichte Riley den Block und kletterte aus dem Bett. Meine Kette baumelte ein wenig hin und her. Nicko hat ein neues Bild hinein getan. Das letzte war zwar noch darin, aber das neue war davor, sodass man das alte nicht sehen konnte.

„Hmmm... Nun, wenn ich nichts gutmachen muss, dann werde ich einen Freund von mir wohl enttäuschen müssen.“, meinte Riley als er den Text gelesen hatte und legte ihn mit zuckendem Mundwinkel wieder auf den Tisch. Dann gab er aber doch nach und lächelte einfach. „Ich hatte vor mit dir auf seine Party morgen zu gehen. Greg hat mir per E-Mail geschrieben, dass übermorgen hitzefrei ist.“

Er wollte mit mir auf eine Party gehen? Mit mir!

Ich sah ihn verwundert an, woraufhin er nur lächelte. Dann ging ich weiterhin verwundert zu meinem Schrank und suchte mir frische Sachen heraus. Als ich alles zusammen hatte, bat ich Riley mit einer Geste vor der Tür zu warten und zog mich um sobald er der Bitte nachgekommen war. Dann beruhigte ich kurz mein schnell klopfendes Herz und ging mit meiner Tasche zu Riley auf den Flur, der seine Tasche gerade schulterte. Als ich die Tür zuzog, fiel sein Blick auf meinen Anhänger und er nahm es vorsichtig in zwischen zwei Finger um sich das Bild anzusehen. Nicko hatte mich von hinten umarmt und seinen Kopf auf meine Schulter gelegt, während wir in die Kamera lächelten. Riley lächelte über das Bild und legte den Anhänger vorsichtig an seinen Platz zurück.

„Ihr seht richtig gut zusammen aus.“, meinte Nicko hinter ihm.

Ich sah an Riley vorbei, ließ meine Tasche fallen und lief Nicko in die wartenden Arme.

„Guten morgen, Kleines.“, meinte er und küsste mich auf den Schopf.

Ich sah zu ihm auf und küsste ihn auf die Wange, woraufhin er noch ein bisschen mehr lächelte. Dann sah ich ihn fragend an und wusste, dass er nur in meine Augen sehen musste um zu wissen was ich meinte.

„Weißt du, ich dachte mir, ich sehe mal ob ich bei dir an der Schule etwas finde.“

Meine Brauen schnellten hoch, woraufhin das Lächeln zu einem amüsierten Grinsen wurde.

„Hey hey, ich hab studiert. Und ich war auf der Uni. Das darfst du nicht vergessen.“ Er sah zu Riley auf. „Habt ihr Musiklehrer?“

„Einen. Und der kommt mit den vielen Schülern nicht mehr zurecht. Es sind zu viele.“

Nicko nickte und sah wieder zu mir hinab. „Was glaubst du? Wäre ich ein gute Lehrer?“

Ich legte den Kopf etwas schräg und schürzte die Lippen. Dann grinste ich ein wenig.

„Das ist nicht witzig. Das ist mein voller ernst.“

Das Grinsen wurde ein wenig intensiver.

„Ich meine das wirklich ernst. Ich kann streng sein. Frag nur Raymond.“

Ich gab ihm einen kleinen Kuss unter dem Auge und nickte dann.

„Ach du.“ Er löste sich langsam von mir. „Unten ist noch Frühstück. Es dürfte sogar für euch beide reichen. Aber nicht mehr zu lange, sonst kommt ihr noch zu spät. Ich tauche da dann etwa um... 10 Uhr auf.“

Ich nickte und er küsste mich nochmal auf die Stirn, bevor er sich endgültig von mir löste und mir den Kopf tätschelte, bevor er an uns vorbei in eines der Zimmer ging. Das Arbeitszimmer. Riley kam mit meiner Tasche zu mir, reichte mir diese und ging dann mit mir nach unten in die Küche, wo wir schnell frühstückten und dann los gingen.

 

„Ihr seht aus wie ein Paar.“, meinte Greg nachdenklich und sah mich und Riley mit leicht zur Seite geneigtem Kopf an.

Wir standen vor dem Musikzimmer und warteten darauf das wir wieder rein durften. Nicko spielte gerade unserem Musiklehrer vor, damit der wusste, ob Nicko auch 'begabt genug' war um das überhaupt unterrichten zu dürfen, was ich selbst ein bisschen dämlich fand. Greg und Celina waren dabei weil sie Nicko gerne mal kennen lernen wollten und weil sie mir und Riley zusehen wollten.

„Wie ein Paar?“, hakte Celina nach, „Sie sehen eher so aus, als wären sie richtig verlobt.“

Ich zog etwas die Brauen zusammen und sah zu Riley, der die zwei mit hochgezogenen Brauen ansah.

„Verlobt, ja... Dann wollen wir von euch mal gar nicht erst anfangen. Und wenn schon.“ Nun grinste er und zog mich an der Taille zu sich. „Dann heiraten wir eben. Oder Rika? Wir müssen die zwei ja nicht einladen.“

Mein Mundwinkel zuckte amüsiert. Ich wusste, dass er nur scherzte. Und das war auch gut so. Ich wollte, dass wir nur Freunde waren.

Als die Tür geöffnet wurde, sahen wir dort hin und erkannten den Musiklehrer unserer Schule in der Tür. Er beachtete uns nicht weiter und ging den Flur hinab. Während Greg, Celina und Riley ihm noch verwundert hinterher sahen, ging ich ins Musikzimmer, wo Nicko am Klavier saß und auf einem Notenblatt ein paar Dinge notierte. Ich lächelte etwas darüber und ging zu ihm, woraufhin er aufsah und lächelte.

„Hey, Kleines. Wie waren die ersten Stunden?“

Ich verdrehte die Augen und setzte mich neben ihn.

„So schlimm?“

Als Antwort seufzte ich nur.

„Was soll man da machen? Unterricht ist Unterricht. Sei froh, dass du überhaupt welchen hast. Die Kinder in Afrika können solchen Luxus nicht genießen. Hallo Riley.“

Ich rückte näher an Nicko und lehnte mich an ihn, woraufhin er einen Arm um mich schlang.

„Hallo Nicko. Das hier sind Greg und Celina.“

„Freut mich euch kennen zu lernen. Rika hat euch das eine oder andere Mal erwähnt.“

Ich lächelte schräg.

„Ihr seht euch wirklich verdammt ähnlich.“, meinte Celina überrascht, „Ich dachte schon das würde nur täuschen.“

Ich wusste einfach das Nicko lächelte. „Die Gene unserer Mutter haben sich bei uns beiden an sie Spitze gekämpft. Rika sieht fast genauso aus wie sie in ihrem Alter. Nur das Rika eben viel schöner, süßer und bei weitem vernünftiger aussieht.“

Ich zog eine Braue hoch und sah zu ihm auf.

„Oh, glaub mir Kleine. Sie hat mehr Unsinn angestellt als ich.“

Ich biss mir auf die Unterlippe um nicht breit zu grinsen und drückte mein Gesicht an seinen Hals, damit er es nicht sah. Er dagegen lachte leise.

„Ach ja, du erinnerst dich offenbar an Silvester, was?“ Ich bemerkte wie meine Schultern zuckten, weil ich lautlos lachte.

„Oh oder Weihnachten. Mein Geburtstag, nicht zu vergessen. Oder deiner!“

Wenn ich nicht stumm wäre, würde ich jetzt lauthals lachen. Stattdessen lachte ich lautlos und verbarg mein Gesicht an seinem Hals.

An Weihnachten hatte er sich einen Spaß daraus gemacht, in einem der Geschenke eine Art Zeitbombe einzupacken. Nur das sie etwa genauso gefährlich war wie Knallfrösche. Meine Mutter hatte sich so sehr erschreckt, dass sie wie verrückt geschrien hatte. Dad war extrem zusammen gezuckt. Ich selbst hatte gewusst das Nicko das gemacht hatte. Und Chantal? Ja, was war mit Chantal? Sie hatte sich bei den Knallen nicht erschreckt. Aber dafür hatte Nicko ihr eine Spinne eingefangen. Sie war hysterisch auf das Sofa gesprungen und hatte geschrien, als wäre die kleine Spinne ein gefährliches Raubtier. In Wahrheit war es eine etwas ein Zentimeter große Kreuzspinne. Als Mom und Chantal dann kurz davor war ohnmächtig zu werden, fing Nicko die kleine Spinne ein und ließ sie im Garten frei.

An Silvester hatte Nicko einen Schneemann gebaut und im Inneren hauchdünne Papiertüten eingebaut, in denen er Knallkörper getan hatte. Lediglich eine einzige Schnur hatte alle Knallkörper verbunden. Diese Schnur hatte er geschickt als Route getarnt. Somit hatte er dann einen Schneemann mit Schwanz gebaut. Nachdem er dann alle davor positioniert hatte um ihnen das kleine Spezial an ihm zu zeigen, war er dann hinter den Schneemann gegangen und hatte die kleine unscheinbare Schnur angezündet. Dann hatte er sich mit mir an einen Punkt gestellt, an dem wir nicht besonders viel Schnee abbekamen und hatten zugesehen wie der Schneemann regelrecht explodierte. Wir hatten uns vor Lachen kaum halten können, während Mom, Dad, Chantal und ein paar Freunde damit beschäftigt waren sich von dem Schnee zu befreien. Von den Geburtstagen wollte ich erst gar nicht anfangen. Am Ende mussten wir den explodierten Kuchen von dem Wänden wischen.

Nachdem ich mich völlig erschöpft vom Lachen erholt hatte, blieb ich in Nickos Armen liegen und sah zu ihm auf.

„Jetzt bist du ganz rot.“, bemerkte er, „Du wirst doch nicht krank oder?“

Ich lächelte und gab sah ihn auf eine ganz bestimmte Art an, die ihm sagte, das ich nicht ohne ihn leben könnte.

„Hast du aber getan.“, meinte er darauf und zog mich auf seinen Schoß. „Ganze zwölf Jahre lang.“

Ich sah ihn finster an. Er dagegen tätschelte mir nur den Schopf und sah dann zu den anderen Drei auf.

„Und ihr seit also alle drei mit meiner Rika befreundet?“

Celina lächelte.

„Ja. Riley hat sie in ihrem Vorgarten Cello spielen hören und war bereits hin und weg von ihr.“, erklärte Greg, woraufhin Riley etwas lächelte. „Am nächsten Tag hat er sie dann hier gefunden und seit dem sind sie befreundet.“

„So früh schon?“ Nicko sah zu mir.

Ich hob die Schultern und lächelte Riley an, welches er auch sofort erwiderte.

„Sag mal, gehst du eigentlich auf Mikes Party?“, wolle Greg plötzlich von Riley wissen.

„Klar.“, gab dieser zurück, „Ich wollte Rika mitnehmen.“

Er meinte es tatsächlich ernst. Er wollte mit mir auf eine Party. Das war als ob man eine Blinde mit auf eine Party nahm.

„Dann musst du dich ja später schick machen.“, meinte Nicko zu mir, wobei er sofort in meinen Augen las. „Warum sollte er dich nicht mitnehmen?“, wollte er leise von mir wissen. „Du bist wunderschön, hast einen wundervollen Charakter... Du trinkst doch kein Alkohol, oder?“

Ich schüttelte mit dem Kopf.

„Das beruhigt mich. Wer weiß was man mit dir machen würde, wenn du nicht ganz bei Sinnen wärst.“

Ich seufzte. Dann drückte er mich nochmal an sich und küsste mich auf die Wange.

„Ich muss jetzt wieder los.“

Ich hielt mich fester an ihm fest, woraufhin er leise lachte und mit mir in den Armen aufstand. Hätte ich eine Stimme, hätte ich jetzt aufgeschrien, weil es so schnell ging. Aus Reflex hielt ich mich an ihm fest.

„Nimmst du sie mir mal ab?“, wollt er von Riley wissen und ging zu ihm.

Dieser nahm mich ohne zu zögern entgegen, während Nicko sich von mir löste. Dann küsste er mich auf die Stirn.

„Bis später, meine Süße.“ Er las meinen Abschied von meinen Augen ab und lächelte. „Ich werde schon da sein.“

Damit strich er mir nochmal kurz übers Haar und ging dann raus. Ich dagegen seufzte tief und hielt mich an Riley fest, der zu mir hinab sah. Ich lächelte etwas und küsste ihn auf die Wange, bevor ich mit einem kleinen Zappeln sagte, dass ich wieder runter wollte. Er stellte mich auf dem Boden ab und lächelte mich dann an, was ich sofort erwiderte.

„Wollen wir jetzt weiter lernen?“, schlug er vor.

Ich nickte und setzte mich mit ihm ans Klavier.

 

Ich betrachtete mich im Spiegel und schürzte die Lippen.

„Du bist wunderschön.“, wiederholte Nicko hinter mir.

Ich seufzte und hielte meine Haare zu einer Frisur hoch. Nicko nahm meine Handgelenke, drehte mich zu sich um und nahm dann mein Gesicht in seine Hände.

„Du bist wunderschön. Verstanden? Du musst dir nicht die Haare machen. Außerdem sehen sie offen viel schöner aus. Schöner kannst du einfach nicht sein... um dich schöne zu machen, müsste man dein Aussehen erst zerstören.“

Ich lächelte ein wenig und küsste ihn auf die Wange. Dann ließ er mich los und gab mir einen Klaps auf die Kehrseite.

„Jetzt geh runter. Riley wartet schon.“

Ich lächelte nochmal kurz, nahm noch schnell meine Kette um und eilte dann nach unten, wo Riley sich etwas nervös umsah. Als ich unten ankam, sah er auf und lächelte. Ich lächelte zurück und küsste ihn auf die Wange.

„Bist du fertig?“, wollte er wissen und legte mir zaghaft die Hände an die Taille.

Ich nickte, woraufhin er dann mit mir los ging. Diesmal berührte er mich nicht. Dafür fiel mir auf, dass er offenbar immer noch nervös war.

„Ich nehme an, du trinkst kein Alkohol.“, meinte er irgendwann.

Ich nickte zustimmend und rieb mir über die nackte Schulter als ein kalter Wind aufkam. Kurz darauf legte Riley mir seine Jacke über, woraufhin ich zu ihm aufsah und etwas lächelte. Er lächelte zurück und betrachtete mich, bevor er die Jacke vor mir zuzog.

„Du bist wunderschön.“, meinte er dann lächelnd und zog mich sanft weiter. „Es ist nicht mehr weit. Da vorn ist es schon.“

Er deutete auf ein großes weißes Haus auf der anderen Straßenseite und zog mich im nächsten Augenblick auch schon den kurzen Weg zur Tür hinauf. Er klingelte kurz, wobei ich jedoch bezweifelte das es jemand hörte, da man die Musik bereits auf der anderen Straßenseite gehört hatte. Dennoch wurde wenige Momente danach die Tür geöffnet und ein Junge in unserem Alter, schwarzen Haaren und grauen Augen öffnete die Tür.

„Hey Mike.“, meinte Riley lächelnd, „Schon was kaputt gegangen oder konntest du alles retten?“

„Du kennst mich Riley.“, gab er zurück, „Ich lass doch keine zerbrechlichen Dinge herum liegen.“ Er sah zu mir. „Hey, ich bin Mike. Darf ich fragen wer du bist?“

„Das ist Rika.“

Er sah wieder zu Riley, der ihm geantwortet hatte. „Rika, ja. Schöner Name.“ Er lächelte mich wieder an. „Ich habe gehört du wärst stumm. Oh man... Ich habe dich schon oft gesehen, aber ich hab dich eben gar nicht wiedererkannt. Kommt rein. Ach und, Riley. Halte dich besser ein bisschen von den Mädchen fern. Evangeline ist hier.“

Riley seufzte tief, nickte dann und ging dann mit mir hinein. Mike nahm mir Rileys Jacke ab und ging dann mit uns ins riesige Wohnzimmer. Auf der einen Seite war eine große freie Fläche, auf denen die Gäste tanzten. Auf der anderen Seite war eine Art Sitzecke. Dort ging Riley mit mir hin und entschuldigte sich kurz um etwas zu trinken zu holen. Kurz darauf kam er dann mit zwei Gläsern zurück und gab mir eins mit einer dunklen Flüssigkeit.

„Das ist nur Cola.“, beruhigte er mich, „Wenn du glaubst, damit stimmt irgendwas nicht, dann stell es weg. Ich weiß nicht, ob jemand was in die Flasche gefüllt hat oder nicht. Wenn ja, muss ich Mike fragen ob ich eine neue Flasche bekomme.“

Ich nickte und nippte kurz an der Cola. Da sie normal schmeckte, nahm ich einen größeren Schluck und stellte sie dann vor mich auf den Tisch. Riley dagegen trank sein halbes Glas leer, schüttelte kurz den Kopf und trank dann den Rest aus. Als ich ihn fragend ansah, stellte er das Glas weg.

„Das ist Colakorn.“

Also Alkohol. Ich bemerkte wie mir unbehaglich wurde. Mike hatte sich zu den Tänzern gesellt und tanzte gerade mit einer hübschen Brünetten.

„Komm mit. Wie wäre es mit ein bisschen tanzen?“ Riley war bereits aufgestanden und hatte mich am Handgelenk auf die Beine gezogen, dann entzog ich es ihm jedoch sanft und schüttelte den Kopf. „Was ist? Möchtest du nicht?“

Ich schüttelte erneut den Kopf, woraufhin er etwas enttäuscht da stand.

„Okay, dann... bleiben wir eben ein bisschen hier sitzen.“

Ich biss mir auf die Unterlippe und setzte mich wieder mit ihm, während ich auf den Tisch sah und er die tanzenden Gäste beobachtete. Als eine Frau zu uns kam, stand Riley auf.

„Hallo Riley!“, rief sie begeistert, „Ich hab dich ja eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen.“

„Hey... Angelie.“ Er klang alles andere als begeistert. „Ich dachte du wärst in Florida.“

„War ich auch. Ich bin vorgestern wieder zurück gekommen. Cool oder?“

„Äh... ja. Klar.“ Er setzte sich wieder und sie nahm überraschenderweise auf seinem Schoß Platz.

„Ich hab dich vermisst.“

Ich drehte den Kopf weg, mit dem Versuch das Gespräch auszublenden. Aber es gelang mir nicht.

„Ich weiß nicht ob... das so gut ist. Ich meine... Ich will nichts von dir und...“

„Schon gut, Riley. Ich verlange ja nichts von dir. Ich möchte nur ein bisschen Spaß. Bitte.“

„Ange, ich meine das wirklich ernst. Ich möchte nicht-“

„Ich weiß das doch.“

Ich wusste das sie ihn nun küsste. Ich wusste nicht warum, aber es tat weh. Es tat verdammt weh. Als Riley dann auch noch stöhnte, stand ich auf und setzte mich an einen Tisch, nahe der Tanzfläche. Etwa zwei Minuten später setzte Mike sich zu mir.

„Hey, alles in Ordnung?“ Er sah etwas besorgt aus.

Ich nickte lediglich und brachte ein Lächeln zu Stande.

„Wie wäre es mit tanzen? Du kannst doch tanzen, oder?“

Ich biss mir leicht auf die Lippe und schüttelte den Kopf. Daraufhin lächelte er nur.

„Komm mit. Ich zeige dir wie es geht.“

Ohne eine Ausrede zu akzeptieren zog er mich einfach auf die Beine und zur Tanzfläche, wo er mich an sich zog und die Hände auf meine Hüften legte, während meine Hände an seiner Brust landeten. Ich schluckte und sah ihn wartend an.

„Es ist ganz einfach. Du musst nur deine Hüfte zum Rhythmus bewegen.“ Er übte leichten Druck auf meine Hüfte aus, sodass sie automatisch zur Seite wiegte. Er lächelte etwas darüber.

„Genau so. Nur ein bisschen langsamer. Zum Rhythmus. Babam babam babam babam. Merkst du es?“

Ich nickte langsam. Gerade als er wieder etwas sagen wollte, endete das Lied und ein langsameres begann. Sein Mundwinkel zuckte und erzog mich ganz an sich heran.

„Jetzt ist es sehr einfach. Einfach nur am Partner festhalten und zum Takt hin und her bewegen. Etwa so.“

Und wir taten es tatsächlich. Wir tanzten. Seine Arme lagen um meiner Taille und sein Gesicht war nur Zentimeter von meinem entfernt. Aber das war schon alles. Er lächelte mich lediglich noch an und ließ seine Hände auf meinem Rücken liegen. Er ließ mir Freiheit. Als er mich dann jedoch etwas enger an sich zog, wurde ich etwas verkrampft.

„Keine Angst. Ich mache schon nichts, was du nicht willst. Ich mache es nur etwas gemütlicher. Wenn du aufhören willst, lasse ich dich sofort los. Okay?“

Ich atmete kurz durch und nickte dann. Daraufhin zog er mich weiter ganz an sich, schlang die Arme weiter um mich und legte sein Kinn auf meinen Schopf, während ich mich ein kleines bisschen an ihn schmiegte.

Nach einer Weile endete dann auch das Lied und Mike setzte sich mit mir wieder an den Tisch. Dabei fiel mein Blick auf Riley und ich blieb wie erstarrt stehen.

„Was-“ Mike folgte meinem Blick.

Riley hatte sich mittlerweile vollkommen Angelie hingegeben und küsste sie nun mit aller Leidenschaft. Es tat wahnsinnig weh das zu sehen. Ich hielt sogar den Atem an. Dann stürzte ich aus den Raum und hörte wie Mike mir folgte.

„Hey, Rika warte!“, rief er mir hinterher.

Ich wartete erst gar nicht auf ihn. Ich eilte einfach weiter zur Tür und riss sie direkt auf. Allerdings brauchte ich dafür genau die paar Sekunden, die Mike brauchte um mich zu erreichen. Er hielt mich am Handgelenk fest und zog mich zu sich.

„Hey, glaub mir. Riley hat nichts mit ihr, wenn es das ist, was dich so zusetzt.“

Die Tränen liefen mir über die Wangen und der Schmerz wollte einfach nicht aufhören.

„Glaub mir, ich weiß wie weh Sowas tut. Aber Riley... Ich weiß nicht wie ich das sagen soll.“ Als mir eine weitere Träne über die Wange lief, verfolgte er sie mit seinen Blicken und atmete lange aus. „Angelie ist einfach... Wenn er nicht nachgegeben hätte, hätte sie ihn sicher sogar vergewaltigt. Wenn sie etwas will, dann holt sie es sich. Ob nun auf die weiche oder harte Tour. Verstehst du?“

Ich wand den Blick ab.

„Riley liegt nichts an ihr. Ehrlich. Er verabscheut sie regelrecht.“

Das macht das ganze jedoch nur schlimmer. Er küsste gerade die Frau die er verabscheute und mich... Offenbar war ich ihm so wenig wert, dass er lediglich mal mit mir Scherze machte oder mich umarmte. Er war... Ja. Er war eben nur ein Freund.

Erst jetzt bemerkte ich, das ich mir eigentlich mehr wünschte.

„Soll ich dich nach hause fahren? Es ist kalt draußen.“, bot Mike an.

Ich sah kurz nach draußen und nickte dann.

„Okay, warte kurz.“

Er ließ mich los und eilte, jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend, eine Treppe hinauf und kam dann eine Minute später wieder hinunter. Dann ging er mit mir raus und zog die Tür hinter uns zu. Er ging mit mir zu einem Wagen, der schwarz aussah, jedoch blau schimmerte wenn Licht darauf fiel. Er hielt mir die Beifahrertür auf, schloss sie dann wieder und stieg hinters Steuer. Ich musste ihm nicht mal zeigen wo ich wohnte. Er fuhr mich direkt dort hin und fuhr sogar bis zur Tür.Überraschenderweise ging Nicko gerade hinaus und sah überrascht auf als der Wagen hielt. Ich winkte Mike um Abschied und stieg dann aus, woraufhin Nicko die Brauen zusammen zog und Mike wieder weg fuhr.

„Alles okay? Warum weinst du?“ Nicko kam sofort zu mir und nahm mein Gesicht in seine Hände. „Was ist passiert? Hat man dir weh getan? Bist du verletzt?“

Ich schüttelte langsam den Kopf und kniff die Augen zusammen, bevor ich schluchzte und mich an ihn lehnte. Er schlang nahezu verzweifelt die Arme um mich und küsste mich auf den Schopf.

„Ist schon gut. Komm, wir gehen rein. Du erkältest dich noch.“

Fünf Minuten später saßen wir in meinem Zimmer auf dem Bett. Ich war dabei schwerfällig aufzuschreiben was passiert war. Nicko sah dabei aufmerksam auf den Text. Als ich dann mitten drinnen abbrach, nahm er mir Block und Stift aus der Hand und zog mich wieder an sich.

„Ist schon gut. Es wird alles wieder gut. Versprochen.“ Er wiegte mich sachte in seinen Armen und küsste mich wieder und wieder auf den Schopf. Bis ich irgendwann einschlief.

 

Riley war mehr als erleichtert als Angelie es langsam langweilig wurde ihn zu küssen. Sie seufzte, stand von seinem Schoß auf und ging einfach weg, woraufhin Riley sich angestrengt über die Lippen rieb und das Wohnzimmer mit Blicke durchsuchte.

Wo war Rika?

Er hatte gemerkt, dass sie aufgestanden war. Kurz darauf hatte er sie kurz mit Mike auf der Tanzfläche tanzen sehen.

Ein kleiner Stich der Eifersucht zuckte durch seine Brust. Mit ihm hatte sie nicht tanzen wollen. Aber mit Mike hatte sie getanzt. Vielleicht wollte sie nur Freundschaft...

Er stand auf und sah sich im Haus nach ihr um. Als er sie nirgendwo finden konnte, sah er im Garten nach, fand aber nichts. Daraufhin fuhr er sich quasi verzweifelt mit der Hand durchs Haar und drehte sich um. Nichts. Sie war einfach weg.

Vielleicht... Er hatte nicht im Schlafzimmer nachgesehen, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass sie mit jemandem dort war.

Kopfschüttelnd ging er wieder hinein und sah sich nach Mike um. Aber als er diesen auch nirgendwo fand, beschlich ihm ein ziemlich schlechter Gedanke.

Ob die beiden wohl... Er schüttelte sofort wieder den Kopf. Nein. Das würde Rika niemals tun. Nicht mit jemandem, den sie gerade erst kennen gelernt hatte. Dennoch wurde das er Gefühl nicht los das sie mit ihm weg war.

Als er dann sah, wie Mike aus dem Flur herein kam, atmete er auf, nur um den Atem dann anzuhalten. Mike trug nun eine Jacke und legte seine Autoschlüssel beiseite. Ohne zu zögern ging Riley zu ihm.

„Hey, Mike.“, rief er ihm schon von weitem zu und ging weiter zu ihm. „Hast du... Rika gesehen?“, wollte er dann zögernd wissen und sah sich wieder um, in der Hoffnung sie doch noch irgendwo zu finden und eventuell noch mit ihr tanzen zu können.

„Rika? Warum? Wo ist denn Angelie?“, fragte Mike zurück und zog sich die Jacke aus.

„Hey, ich habe jetzt keine Lust auf Scherze. Hast du Rika nun gesehen oder nicht?“

Mitten in der Bewegung hielt Mike inne und sah Riley ein paar Augenblicke sprachlos an. Es war das erste mal, das Riley keine Scherze über Mikes Scherze gemacht hatte. Und das sollte schon was bedeuten.

„Sie ist Zuhause. Warum regst du dich denn so auf?“

„Warum Zuhause? Ich meine... ihr habt doch getanzt.“

„Ja schon, aber... Ja. Ich wollte sie eigentlich beschäftigen, bis Angelie dich in Ruhe lässt, aber als ich mit ihr wieder an den Tisch gegangen bin... Sie hat dich gesehen und dann ist sie zur Tür... Sie ist richtig zur Tür gestürmt. An der Tür habe ich sie dann eingeholt und habt versucht ihr das mit Angelie zu erklären, aber... Ich glaube das hat sie sogar noch mehr verletzt...“ Er fasste sich in den Schopf. „Ehrlich, ich mag sie. Und ich finde ihr passt wirklich super zusammen. Ich hab versucht sie zum bleiben zu bringen, aber... Sie wollte gehen. Also habe ich ihr angeboten sie zu fahren, damit sie nicht in der Kälte nach hause laufen muss.“

Während Mike sprach sanken Rileys Schultern hinab und seine Hoffnung sank. Wäre er bloß nicht auf diese Party gegangen. Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und wand sich ab.

„Ach, verdammt nochmal.“ Er hatte nicht gewusst, das etwas so sehr weh tun konnte.

Wäre er bloß nicht auf diese verdammte Party gegangen. Er hätte mit ihr in Kino gehen sollen, wie er es zuerst vor hatte. Aber dann kam ja Mike und hatte ihm von der Party erzählt. Allerdings hatte da keiner gewusst, dass Angelie auftauchen würde. Evangeline konnte er zwar aus dem Weg gehen, aber Angelie wäre ihm früher oder später über den Weg gelaufen. Sie hätte sich nicht mal von Rika stören lassen.

„Verdammter Mist.“, fluchte er erneut und stützte sich an der Kommode ab um sich zu beruhigen.

„Sie ist dir wichtig, oder?“

Riley sah ihn mit richtig verzweifelter Miene an. Dann sah er wieder hinab. „Ich liebe sie.“

~Kapitel 8~

Als ich am nächsten morgen aufwachte, bemerkte ich Kopfschmerzen und drehte mich müde auf die Seite, wobei ich meine Augen öffnete. Allerdings schloss ich sie sofort wieder, weil ich das Gefühl hatte mich übergeben zu müssen und sich alles drehte.

Verdammter Mist, dachte ich mir und drehte mich auf den Bauch.

Mir war heiß, weshalb ich die Decke von mir schieben wollte, dann jedoch bemerkte, dass sie bereits am Boden lag. Ich keuchte und öffnete wieder die Augen. Obwohl sich immer noch alles drehte und die Übelkeit nicht nachgelassen hatte, drückte ich mich hoch und versuchte mich aufzusetzen. Als ich gefährlich schwankte, hielt ich mich am Bettgestell fest und lehnte mich an die Wand. Mein Anhänger baumelte dabei hin und her.

Ich hielt den Atem an und drückte mich von der Wand ab, um aufzustehen, was mir nur sehr schwer gelang. Ich hielt mich an dem niedrigen Tisch fest und taumelte stark schwankend zur Tür. Dabei fiel ich quasi dagegen und knallte mit der Stirn leicht dagegen, da mein Kopf auf meinen Schultern saß wie ein Wackelkopf. Dennoch drückte ich den Türgriff schwach runter und zog die Tür auf. Ich ignorierte die Tatsache das ich nur ein knappes T-Shirt und Hot pens und lehnte mich gegen den Türrahmen, damit ich nicht umkippte. Als ich nach vorn kippte, hielt ich mich dann am Türrahmen fest und sah den Flur entlang. Ich wollte in der Küche etwas trinken. Andererseits wollte ich mich im Badezimmer aber auch mit einem kalten Bad abkühlen.

Ich entschied mich erst in die Küche zu gehen, damit ich nicht so dehydriert war und machte mich taumelt und stark an die Wand gestützt auf den Weg zur Treppe. Dort sah ich eine Weile hinunter und umklammerte dann fest das Geländer, bevor ich mich auf die Stufen wagte. Ich brauchte geschlagene vier Minuten um die Treppe hinunter zu kommen. Drei Mal wäre ich fast gefallen und fünf Mal musste ich anhalten, weil mir bei der Anstrengung immer heißer wurde. Ich hatte das Gefühl kaum Luft zu bekommen.

Unten angekommen stützte ich mich wieder an der Wand ab und zwang mich zur Küche. Gerade als ich dort ankam, kam Nicko aus dem Wohnzimmer in den Flur, während es zeitgleich klingelte.

„Rika?“ Er sah mich besorgt an und ging kurz an die Tür, ohne mich aus den Augen zu halten.

Als er dann sah, wie schlecht es mir ging, drückte er die Klinke einfach kurz runter und eilte dann zu mir um mich zu stützen.

„Was ist los? Du kochst ja regelrecht. Lieber Himmel, Rika. Du musst wieder ins Bett.“

Ich schüttelte den Kopf und versuchte weiter zur Küche zu kommen.

„Rika?“ Diesmal war es Riley, der an der Tür stand und mich entsetzt ansah.

Nicko schlang einen Arm um meine Taille und brachte mich so stehen zu bleiben. Ich zerrte an seinem Arm. Ich brauchte unbedingt etwas zu trinken.

„Hey, schon gut. Riley, hol bitte schnell ein Glas Wasser. Kaltes Wasser.“

Er eilte in die Küche, während Nicko mich an sich zog und mein Gesicht zu sich drehte um mich genau anzusehen. Die Augen fielen mir ständig wieder zu. Der kurze Weg hier runter hatte mich vollkommen erschöpft. Mir war unsagbar heiß und ich wünschte mich direkt in die Antarktis um mich abzukühlen. Stattdessen drückte Riley mir wenige Momente, die mir wie Stunden vor kamen ein kaltes Glas in die Hand. Da es mir fast aus der Hand glitt, nahm er es mir sofort wieder aus der Hand.

„Ins Bad.“, meinte Nicko entscheidend und hob mich hoch.

Riley folgte ihm ohne Worte ins Badezimmer, wo Nicko mich mit Kleidung in die Badewanne legte und kaltes Wasser hinein laufen ließ. Dann zog er mich höher, damit ich nicht unter ging, nahm Riley das Glas ab und stützte meinen Kopf ab, damit er mir das Glas richtig an die Lippen halten konnte. Ich trank so gierig, das mir das Wasser aus den Mundwinkeln wieder hinaus lief.

Als das Glas leer war, füllte Riley es sofort wieder auf, während das kalte Wasser in die Wanne lief. Ich trank Literweise Wasser und irgendwann stellte Nicko das Wasser ab. Wieder und wieder fielen mir die Augen zu, aber ich zwang sie immer wieder auf. Aber irgendwann war ich zu müde. Und die Vorstellung zu schlafen sah so schön aus. Also wehrte ich mich nicht mehr und versuchte zu schlafen.

„Rika. Hey, Rika. Du darfst jetzt nicht einschlafen, hörst du?“

Nickos Stimme war befehlerisch, verzweifelt und ich hörte sogar seine Angst mich zu verlieren. „Nicht einschlafen! Rika, bitte! Tu mir das nicht an! Du bist das Einzige das ich noch habe, hörst du? Du darfst mich jetzt nicht so mir nichts dir nichts verlassen! Nicht, wo ich dich doch gerade erst wiederbekommen habe!“

Ich bemerkte wie ich immer schwerer Luft bekam. Mir war immer noch furchtbar heiß. Ich hörte am Rande wie Nicko Riley sagte er solle den Notarzt rufen. Dann hörte ich wieder wie er mir sagte ich solle nicht einschlafen. Aber ich war so müde. Und das wollte ich ihm einfach sagen. Und ich wollte ihn dabei ansehen. Ich wollte ihm sagen, dass ich ihn nicht verlassen würde, dass ich nur schlafen wollte. Allerdings gestaltete sich all das als viel zu schwer. Besonders, weil ich nicht sprechen konnte. Ich bekam so gut wie keine Luft und meine Lieder schienen wie zugeklebt. Es war, als hätte ich keine Kontrolle mehr über meinen Körper. Ich hörte nur noch wie ich atmete, wie mein Herz schlug, und was alles um mich herum passierte. Riley kam wieder herein, sagte das der Notarzt unterwegs war, und hockte sich dann neben Nicko, der mich nun an sich zog und mir immer weiter sagte ich dürfe nicht einschlafen.

Plötzlich hörte ich eine ganz andere Stimme. Sie kam definitiv von einem Mädchen. Sie war hell und weich und kam mir irgendwie vertraut vor. Ich hatte Schwierigkeiten damit sie zu verstehen. Ich bemerkte das Nicko abrupt verstummte. Alles um mich herum wurde still.

Nicko und Riley waren die einzigen Wörter die ich in einem Satz verstehen konnte. Diese Stimme kam mir so bekannt vor. Irgendwo hatte ich eine ähnliche einmal gehört. Vor vielen Jahren... So lange her...

„Rika. Du...“ Nicko brach den Satz ab und drückte mich an sich. Das geschah so plötzlich, das meine Augen auffielen und ich verschwommen und drehend sah wie ein Mann in einer roten Jacke herein kam.

Ab da bekam ich alles nur halb mit. Ich sah was passierte, hörte alles, aber ich speicherte es nicht ab. Ich antwortete auf fragen, die ich kurz danach wieder vergaß. Ich sah einige Dinge, die kurz darauf nur schwärze in meinen Erinnerungen ließen. Die einzigen Dinge an die ich mich noch erinnerte, war ein regelmäßiger Laut, der dumpf aber sehr laut zu mir heran drang. Es hielt eine Weile an bevor es wieder abbrach und nur schwach in der Erinnerung zurück blieb. Eine gefühlte Ewigkeit später hörte ich ein Piepen. Irgendwo hatte ich es schon mal gehört, wusste jedoch nicht wo genau. Wenn ich versuchte mich daran zu erinnern, sah ich nur weiß. Und schwache Schemen, die alles hätten darstellen können. Irgendwann belieht ich Satzfetzen bei in Erinnerung.

„...paar Tage dann...“

„...erheblich besser...“

„...abrupt verschlechtert, aber...“

„...sollten vielleicht eine...“

„...gut geklappt. Bald...“

Ich konnte damit kaum etwas anfangen. Es hätte ein Zimmergenosse gemeint, oder irgendetwas anderes hätte angesprochen worden sein. Aber ich konnte schlafen. Ich schlief die ganze Zeit und spürte wie ich langsam abkühlte. Es passierte so unendlich langsam.

 

Eines Tages hörte ich wie die Tür aufging. Vier Paar Schritte betraten den Raum.

„Wie sieht es mit ihr aus, Doktor?“, wollte eine männliche besorgte Stimme wissen.

Eine tiefere professionelle männliche Stimme antwortete. „Ihr Zustand ist erheblich stabiler und ihr geht es den Umständen Entsprechend gut. Ihre Temperatur ist um weitere 2° gefallen und steht nun auf 45°. Es kann sein, dass sie demnächst zu sich kommen wird. Allerdings nur kurz. Ihr Körper ist noch viel zu erschöpft um einer langfristige Belastung stand zu halten. Ich werde ihr heute nochmal Blut abnehmen und sehen wie weit der Virus abgeklungen ist. Wenn noch zu viel vorhanden ist, wird sie wohl noch ein paar Tage schlafen. Es kann aber auch sein, dass er weit genug abgeklungen ist, dass sie noch heute die Augen öffnet.“

„Wie sieht es mit ihrer Stimme aus? Bevor sie her gebracht wurde, hat sie wieder gesprochen.“

„Ich habe die Akte gelesen. Ich stehe hier vor einem medizinischen Wunder. Das Mädchen hätte eigentlich den Rest ihres Lebens lang stumm bleiben müssen. Aber einige Test haben bestätigt, das sie wieder sprechen wird, sobald sie wieder wach ist.“

Ich spürte einen schwachen Schmerz in der Armbeuge. Er war bei der Hitze kaum zu spüren. Es dauerte nicht sonderlich lange, bis der Schmerz verschwand.

„Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie wieder aufwacht. Sie müssen sich keine Sorgen mehr machen.“

Der Satz wurde von einem Geräusch begleitet, bei dem ich mir unwillkürlich vorstellte, wie ein Stuhl irgendwo hingestellt und dann über den Boden geschoben wurde. Kurz darauf berührte etwas angenehm warmes, weiches meine Hand und wurde davon umfangen. Es war etwas kälter als ich, aber dennoch warm, wie ich wusste.

„Ihr Handeln, Ihre Schwester in kaltes Wasser zu legen, war wirklich gut. Wir würden gerne das selbe tun, aber leider gibt es nichts, das groß genug wäre.“, meinte die professionelle Stimme entschuldigend.

„Ich hoffe es dauert nicht mehr lange, bis sie wieder zu sich kommt.“, gab die andere Stimme zurück.

Direkt danach wurde meine Hand gegen etwas anderes weiches gedrückt. Etwas, das sanft und viel weicher war. Dann wurde sie wieder davon gezogen und wieder gänzlich von der warmen Weiche umfangen.

„Ich gehe jetzt besser wieder. Wenn sie aufwacht, rufen Sie bitte eine Schwester. Sie wird ein Medikament brauchen.“

Damit entfernten sich zwei Paar Schritte und eine Tür wurde geschlossen. Das Geräusch des Stuhl ertönte erneut, diesmal auf der anderen Seite. Dabei wurde die warme Weiche an über meine Stirn gestrichen und die sanfte Weiche drückte sich an meine Wange, bevor sich beides entfernte und das, worauf ich lag, auf der selben Seite kaum merklich hinab neigte. Ganz langsam sank ich in die Stille und Schwärze eines Schlafes.

 

Nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit, öffnete ich langsam und müde die Augen. Ich hörte zu beiden Seiten regelmäßige, tiefe Atemzüge. Irgendwas lag auf meinem Bauch, wobei irgendwas anderes meine Taille umschlang. Etwas anderes lag quer über meinen Beinen. Als ich ein verschlafenes Seufzen an meinem Ohr hörte, schüttelte ich ganz leicht den Kopf und drehte ihn zur Seite, woraufhin ich in Nickos schlafendes Gesicht sah. Als ich an mir hinab sah, stellte ich fest, dass er die Arme um mich geschlungen hatte, Riley seinen Kopf auf meinem Bauch gebettet hatte uns sein Arm über meinen Beinen lag. Ein Geräusch von weiter links ließ mich dort hin blicken.

Ein Junge in meinem Alter hatte sich gerade aufgesetzt und rieb sich das Auge, wobei er erst aus dem Fenster und dann zu mir sah. Dann blinzelte er.

„Du bist ja wach.“ Seine Stimme war so überrascht, dass ich die Brauen leicht zusammen zog.

Er sah kurz an seinen Armen entlang und stand dann auf um leise zu mir zu kommen. Ich beobachtete ihn verwirrt, während er nach einem kleinen Gerät griff und dort einen Knopf drückte. Danach lächelte er mich ein wenig an.

„Ich rufe nur eine Schwester.“, meinte er leise und sah erst zu Nicko, dann zu Riley und dann wieder zu mir. „Du hast etwa drei Wochen lang geschlafen. Hab ich zumindest gehört. Als ich eingeliefert wurde, warst du schon hier.“ Er lächelte etwas mehr. „Ich gehe jetzt ein bisschen raus. Wenn ich wieder komme, schläfst du wahrscheinlich wieder. Ach und... lass die Beiden hier ruhig noch ein wenig schlafen. Die wachen meist um 13 Uhr auf. Und es ist erst 9 Uhr.“

Damit lächelte er nochmal, zog sich kurz einen Morgenmantel an und verließ dann Barfuß das Zimmer. Ich sah verwundert auf die Tür, die sich direkt nachdem sie zugefallen ist wieder öffnete. Der Junge streckte den Kopf herein.

„Ich bin übrigens Gabriel.“

Damit zog er den Kopf wieder zurück und die Tür fiel ins Schloss.

Gabriel? Wie der Erzengel Gabriel? Ich schüttelte den Kopf. Jetzt phantasiere ich. Es gibt keine Engel. Er ist einfach nur ein netter Junge.

Bei diesem Gedanken seufzte ich und sah zu Riley, der sich gerade verschlafen schmatzend an meinen Bauch kuschelte.

Ein Kichern keimte in mir auf, aber ich wusste, das kein Ton hervor kommen würde. Als plötzlich ein melodieartiges Geräusch zu hören war, hielt ich abrupt den Atem an um zu lauschen, aber das Geräusch verstummte ebenso plötzlich wie es aufgetaucht war. Ich sah mich um, um die Quelle des Geräusches zu suchen und seufzte dann, als ich nichts fand.

Ich gähnte müde und wollte gerade wieder die Augen schließen, als die Tür wieder auf ging und eine Krankenschwester herein kam.

„Wie schön!“, meinte sie begeistert, für meinen Geschmack jedoch etwas zu laut und kam zu mir. „Sie sind wieder wach! Nach so langer Zeit ist es wirklich wunderbar Ihre Augen offen zu sehen, ohne einen Daumen darüber zu sehen, der die Lider oben hält.“

Ich ließ meinen Kopf ins Kissen sinken und seufzte erneut. Die Schwester sah mit tadelndem Blick auf die beiden Jungs und schüttelte den Kopf.

„Das die sich nicht benehmen können.“

Nicko brummte müde und schob sein Gesicht an meinen Hals, bevor er seufzte und weiter schlief. Riley dagegen zog die Brauen zusammen, murrte leise und drehte den Kopf auf die andere Seite. Als dann mein Magen knurrte, hob er abrupt den Kopf und fiel dabei fast vom Stuhl. Dieser stand kurz auf zwei Beinen und knallte dann mit einem lauten Geräusch auf den Boden, woraufhin Nicko zusammen zuckte und den Kopf hob. Als er sah, dass Riley der Grund für das Geräusch war, seufzte er und ließ den Kopf wieder fallen.

„Hör auf so viel Lärm zu machen.“, nuschelte er verschlafen und atmete kurz tief durch.

„Ich kann da nichts für.“, gab Riley zurück, der verschlafen auf meinen Bauch sah. „Sie hat offenbar Hunger.“

Die Schwester stand still neben dem Bett und sah den beiden amüsiert zu.

„Geh was essen.“, nuschelte Nicko.

„Nicht ich habe Hunger. Sonder Rika.“, gab Riley müde zurück, „Ihr Magen hat geknurrt.“

„Besorge einen Maulkorb.“ Nicko war bereits wieder im Land der Träume.

Riley legte den Kopf wieder auf meinen Bauch und seufzte müde. „Ein Magen kann keinen Maulkorb-“

Da er den Kopf in meine Richtung hielt, fiel sein Blick auf mein Gesicht und er hielt inne. Dann war er hellwach und hob den Kopf.

„Du bist wach!“

„Ich schlafe.“, widersprach Nicko.

„Nicht du, du Idiot. Rika!“

Angesichts der Lautstärke kniff ich ein wenig die Augen zusammen und zog die Brauen zusammen.

„Nicht so laut.“, ermahnte die Schwester, „Könnten Sie bitte aus dem Bett gehen. Ich würde der Patientin gerne ihr Medikament verabreichen.“

Nicko hob überrascht den Kopf. „Hm? Medikament?“

Ich sah zu Nicko, der darauf völlig neben der Spur zurück sah. Er regte sich keinen Millimeter, sagte nichts, sah einfach nur zurück und existierte. Dann kniff er langsam die Augen ein wenig zusammen, woraufhin ich mir ein Grinsen verkneifen musste.

„Wie tief schlafe ich gerade?“, wollte er misstrauisch wissen.

„Gar nicht.“, gab die Schwester zurück, „Sie sind hellwach. Jetzt stehen Sie auf. Ihre Schwester braucht jetzt das Medikament.“

Nun weiteten sich seine Augen und er sprang vom Bett auf. Dann beugte er sich über mich und hielt mein Gesicht in seinen Händen.

„Ich dachte ich träume. Meine Güte, Rika. Du hast mir so viel Angst gemacht, wie ich sie nie erlebt habe und nie wieder erleben möchte.“ Er küsste mich lange auf die Stirn und ließ mich dann mit einem Blick auf die Schwester los.

Sie legte mir eine Tablette auf die Zunge und hielt mir ein Glas Wasser an die Lippen. Jedenfalls dachte ich erst es wäre Wasser. Der bittere Geschmack sagte mir jedoch, das sie die Tablette mit Medizin hinunter spülte. Damit bekam ich immerhin zwei Medikamente auf einmal.

Als sie das Zimmer wieder verließ ließ ich den Kopf erschöpft ins Kissen fallen. Ich war wieder so müde. Aber glücklicherweise war mir nicht mehr so heiß wie vorher.

„Geht es dir besser?“, wollte Nicko besorgt wissen und legte mir die Hand an die Wange.

Ich nickte müde und bemerkte die Trägheit, die wohl davon kam, dass meine Temperatur immer noch zu hoch war. Nicko strich mir übers Haar und sah mich an, als könne er immer noch nicht glauben, dass ich wach war. Oder das ich überhaupt bei ihm war. Ich hob schwach die Hand und legte sie ihm auf die Wange, woraufhin eine einzelne Träne aus seinem Augenwinkel rann. Ich zog die Brauen zusammen und wischte sie weg, woraufhin er etwas lächelte und mich auf die Stirn küsste.

„Du glaubst nicht, wie froh ich bin, dass es dir besser geht.“, meinte er dann leise.

Ich lächelte zurück und seufzte dann müde. Als Riley schließlich näher kam, sah ich zu ihm und erinnerte mich an die Party, weshalb ich den Blick ab wand und Nickos Bizeps ansah, der sich schwach unter seinem Pullover abzeichnete. Die Hand die an seiner Wange war, lag nun an dem Bizeps seines anderen Arms. Des Rechten um genau zu sein.

„Rika, ich...“ Riley unterbrach den Satz und griff nach meiner Hand, die er mit beiden Händen umschloss, als wäre sie etwas wertvolles. „Es tut mir Leid. Ich meine...“ Ich spürte eher als es zu sehen, dass er den Kopf schüttelte. „Es gibt für mein Verhalten keine Entschuldigung. Das weiß ich mittlerweile. Ich hätte erst gar nicht auf sie eingehen sollen. Aber es tut mir trotzdem wahnsinnig Leid, Rika. Verzeihst du mir?“

Ich zögerte ziemlich lange und ließ mir seine Worte durch meinen ziemlich müden Kopf gehen. Als er dann seufzte und meine Hand loslassen wollte, erwiderte ich seinen Griff und hielt ihn fest. Dann nickte ich langsam und sah wieder zu ihm. Er sah unendlich erleichtert aus und setzte sich auf den Stuhl, auf dem er sich zurück lehnte und die Augen schloss. Dann fuhr er sich mit den Händen übers Gesicht, sah mich wieder an und nahm wieder meine Hand, auf deren Rücken er einen sanften Kuss drückte. Als die Haut an der Stelle prickelte, hätte ich beinahe verwirrt die Brauen zusammen gezogen, konnte das jedoch unterdrücken und lächelte ein wenig über die Geste. Dann fielen mir jedoch langsam die Augen zu und ich schlief wieder ein.

 

Als ich wieder aufwachte, waren Nicko und Riley weg. Dafür saß Gabriel an meinem Bett und beobachtete mich nachdenklich. Er hatte die Ellenbogen auf der Matratze neben meinem Arm gestützt und hielt seinen Kopf am Kinn in seinen Händen. Ich sah ihn verwundert an, woraufhin der nachdenkliche Ausdruck verschwand und ein freundlicher fröhlicher Ausdruck den Platz einnahm.

„Es ist schön, wenn du wach bist.“, beschloss er, „Deine Augen sind wunderschön.“ Er nahm eine Hand runter, woraufhin sein Kinn auf einer Hand gestützt wurde. „Die Beiden Jungs, dein Bruder und dein Freund, sind vor zwei Stunden gegangen.“

Ich zog die Brauen zusammen.

„Sie wollten nicht. Aber der Arzt sagte, du brauchst erst mal Ruhe und die Beiden würden dir alles andere als Ruhe geben.“

Mein Mundwinkel zog sich in die Höhe und ich sah auf die Bettdecke.

„Hast du Hunger?“

Ich nickte langsam, woraufhin er den Zeigefinger hob um mir zu bedeuten das ich warten sollte. Dann stand er auf, nahm seinen Morgenmantel, zog ihn an und ging hinaus. Drei Minuten später kam er mit einem Tablett zurück und stellte es auf eines dieser netten Krankenhaustischen ab, die man über das Bett schieben konnte. Dann nahm er eine kleine Schaltkonsole neben dem Bett in die Hand und drückte einen Knopf, woraufhin die Kopfseite des Bettes ein wenig angehoben wurde.

„Der ist für das Kopfende.“, erklärte er mir und deutete auf den Knopf den er eben gedrückt hatte. „Damit geht er nach oben. Damit nach unten.“ Er deutete auf den Knopf darunter, woraufhin ich nickte. „Die hier sind für das Fußende. Hoch und runter.“

Ich nickte erneut und lächelte ihn dankbar an, woraufhin er zurück lächelte und den Tisch über mich schob, sodass ich essen konnte. Dann setzte er sich wieder auf den Stuhl und sah mir beim Essen zu. Als ich ihm ein Brötchen reichte, schüttelte er den Kopf.

„Ich habe schon gegessen, danke.“

Ich zögerte kurz hielt es ihm dann aber weiter hin. Er sah mich ein wenig traurig an.

„Außerdem darf ich keine Brötchen mehr essen.“

Ich zog die Brauen zusammen und legte das Brötchen zurück. Dann sah ich eine Weile auf das Tablett und reichte ihm letzten Endes meinen Joghurt und den Löffel. Er sah eine Weile den Joghurt an und schien zu überlegen. Dann sah er zu mir, sah wieder zum Joghurt und dann wieder zu mir.

„Du möchtest ihn wirklich nicht haben?“

Ich schüttelte den Kopf. Er überlegte wieder ein wenig und seufzte dann tief.

„Ein Joghurt mehr kann ja nun nicht schaden, denke ich.“ Er nahm ihn mit einem dankbaren Ausdruck entgegen, öffnete ihn und machte sich hungrig über den Inhalt her. Diesmal war ich es der ihn beobachtete. Er sah aus, als habe er tagelang nichts gegessen. Er brauchte gerade mal zwölf Sekunden für den kleinen Nachtisch, für den ich selbst sicher zwei Minuten gebraucht hätte. Als er den Joghurtbecher auf mein Tablett stellen wollte, öffnete sich die Tür und eine Schwester kam herein. Als sie den Joghurtbecher in seiner Hand sah, sah sie ihn tadelnd an und stemmte die Hände in die Hüften.

„Gabriel, dir wurde doch verboten mehr als einen Joghurt am Tag zu essen. Das ist nicht gut für dich.“, tadelte sie ihn in leicht wütendem Ton.

„Ich wollte aber.“, widersprach er, „Und so wie es aussieht, mag sie keine Joghurts.“

Er warf mir einen Blick zu, woraufhin ich den Kopf schüttelte um zu signalisieren, dass er Recht hatte. Auch wenn er in Wirklichkeit log.

„Und dann isst du ihn einfach?“

„Sie hat ihn mir angeboten. Und da ich nicht wollte, dass man sie schief ansieht, wenn man sieht, dass sie den Joghurt nicht gegessen hat, habe ich ihn gegessen.“

Sie seufzte tief. „Geh wieder in dein Bett. Du brauchst Ruhe. Du durftest ja nicht mal das Tablett holen. Husch husch. Ab ins Bett. Sonst muss ich dir ein Beruhigungsmittel geben.“

Sein Ausdruck wurde etwas trostlos und er erhob sich vom Stuhl. Unterwegs öffnete er den Morgenmantel und legte ihn über die Rückenlehne des Stuhles der neben seinem Bett stand. Dann setzte er sich in sein Bett und lehnte sich zurück. Er lag sozusagen im sitzen.

„Okay, Rika. Sieh mich bitte mal an.“

Ich sah zur Schwester, die kurz meine Augen untersuchte, meine Temperatur miss und sich kurz meinen Rachen ansah. Dann untersuchte sie noch Herzschlag und Puls, nickte und ging dann zu Gabriel.

„Jetzt zu dir. Wie sieht es mit den Schmerzen aus?“, wollte sie von ihm wissen und nahm ein Klemmbrett von dem Tisch der bei ihm stand.

„Ist schon besser geworden.“

„Du darfst nicht lügen, das weißt du?“

Er seufzte tief. „Es ist wieder schlimmer geworden.“

Sie trug etwas ein. „Wie viel Belastung hältst du denn noch aus?“

„Ich bin gestern eine halbe Stunde durchs Krankenhaus gewandert, wenn du das meinst. Zwei mal im Abstand von 8 Stunden.“

Sie seufzte und trug wieder etwas ein. „Ich glaube wir müssen dich wieder anschließen.“

Gabriels Gesichtsausdruck wurde noch trostloser und wirkte bereits leer. „Schon? Ich dachte das würde noch ein oder zwei Tage dauern.“

Sie schüttelte den Kopf. „Es schreitet schneller voran als die letzten Male. Tut mir wirklich Leid. Dr. Gibson weiß langsam nicht mehr was man machen könnte. Es käme nur noch ein neues Herz in Frage, aber das möchtest du nicht. Demnach wären... deine Chancen nicht sehr hoch, die Geburt deiner Schwester noch mit zu bekommen.“

„So schnell?“

„Es tut mir Leid. Dir kann nur noch ein neues Herz helfen. Die Medikamente helfen nicht mehr, du reagierst auf das Material eines Schrittmachers allergisch...“

„Schon okay. Ich wusste ja, dass es nicht so lange dauern würde, aber so schnell... Ich dachte ich würde noch lange genug leben, um meine Schwester sehen zu können.“

„Die Diagnose ist aus der Zeit, als die Medikamente noch wirkten. Jetzt hält dein Herz nichts mehr auf.“

Ich zog die Brauen zusammen. Offensichtlich war der Junge Herzkrank und lag im Sterben. Er schien es akzeptiert zu haben, nur eben nicht so viel Zeit zu haben, wie er dachte. Was genau er wohl hatte?

Als die Schwester nach einigen Worten ging, sah er zu mir. Er seufzte tief und sah dann aus dem Fenster. Als sieben Minuten später eine andere Schwester hinein kam, sah er zu ihr.

„Du?“, meinte sie überrascht, „Ich dachte, es dauert noch etwas, bis du an die Geräte musst.“

„Die Medikamente wirken nicht mehr.“, gab Gabriel nahezu monoton zurück.

Sie seufzte tief und nahm dann die Kabel um ihn an diverse Geräte anzuschließen. Ich beobachtete das alles aufmerksam. Gabriel ließ es über sich ergehen und schien genau zu wissen wo welches Kabel hin kam. Als die Schwester fertig war, ging sie wieder und Gabriel sah einfach nur zu mir, während ein seltsam schwaches Piepen zu hören war.

„Du fragst dich sicher, was mit mir ist, oder?“, meinte er trostlos.

Ich nickte langsam, woraufhin er hinab sah.

„Seit meiner Geburt schlägt mein Herz nicht so schnell und stark, wie es eigentlich schlagen soll. Damals haben sie mir direkt einen Herzschrittmacher implantiert, um zu sehen ob das Herz die Regelmäßigkeit und den Druck übernimmt. Aber stattdessen wurde ich krank. Es stellte sich heraus, das ich einer der wenigen bin, die gegen das Material, aus dem die Schrittmacher gemacht sind, allergisch reagieren. Also gab man mir Medikamente, die mein Herz stärken sollten. Es funktionierte einwandfrei. Aber nun lassen sie langsam nach und helfen nicht mehr. Mein Körper scheint eine Immunität dagegen entwickelt zu haben.“ Er machte eine Pause. „Ich wusste, dass ich früh sterben würde. Als die Medikamente noch halfen, sagte man mir, ich würde noch 21 Jahre alt werden. Mindestens. Und jetzt? Die Geburt meiner Schwester soll in fünf Tagen sein.“

Ich kannte ihn zwar nicht lange, aber es reichte schon, um das zu wissen, was man über ihn wissen musste. Und das reichte aus, um mir Tränen in die Augen zu treiben.

So schnell?

Er hatte nicht mal mehr eine Woche. Und er würde seine Schwester nie kennen lernen. Aber was noch schlimmer ist, ganz offensichtlich wird nicht einmal die Familie bei ihm sein können. Seine Mutter muss mittlerweile im Krankenhaus sein. Wie es mit weiterer Familie aussah wusste ich nicht, aber so wie er mich ansah, schien er gerade den gleichen Gedanken zu haben. Es sah sehr schlecht aus.

Ohne groß zu zögern, stand ich auf, ging zu ihm und legte mich neben ihm ins Bett. Unterwegs schwankte ich ein bisschen, aber ich kam heil bei ihm an. Als ich nun neben ihm lag, schlang ich die Arme um ihn, was er auch sofort bei mir tat und seinen Kopf an meiner Brust bettete.

„Danke.“, flüsterte er.

Ich nickte nur und spürte wie die Erschöpfung mich langsam einholte. Er zog die Decke unter mir weg und deckte mich mit zu, bevor ich in den Schlaf sank und er sich wieder an mir festhielt.

 

Das schwache Piepen hinter mir schien nun schwächer zu sein als vorher. Es drang erst dumpf an mein Ohr, wurde dann aber deutlicher. Ich öffnete langsam die Augen und stellte fest, dass Gabriel und ich uns immer noch gegenseitig festhielten. Diesmal lag seine Wange an meinem Schlüsselbein, während er regelmäßig atmete. So wie es aussah, schlief er.

Da ich ihn nicht wecken wollte, schloss ich wieder die Augen und wartete einfach. Plötzlich war mitten im Piepen eine Art stolpern zu hören. Sein Atem stockte und er verkrampfte sich kurz, bevor seine Muskeln sich wieder entspannten. Sekunden verstrichen und wieder war ein Stolpern zu hören. Plötzlich wusste ich, dass er nun wach war. Er klammerte sich an mich und drückte seine Wange an mein Schlüsselbein, während ich ihn einfach nur festhielt. Dieses Stolpern wiederholte sich in immer kürzeren Abständen. Dann hörte man kurz ein durchgehendes Piepen, bevor es im vorigem Takt weiterging. Es war zwar schwach, aber wieder regelmäßig.

Er atmete langsam auf und umschlang mich dann etwas mehr. Er keuchte ein wenig, atmete dann aber wieder normal. Als er sich dann offenbar davon erholt hatte, drehte er seinen Kopf so, dass er das Gesicht an meiner Halsbeuge verbergen konnte und vergoss leise ein paar Tränen. Als ich ihm eine Hand auf den Hinterkopf legte, zuckte er zusammen und sah zu mir auf. Dann seufzte er jedoch und verbarg sein Gesicht wieder an meiner Halsbeuge. Diesmal jedoch ohne Tränen.

Irgendwann spürte ich, dass er wieder schlief und leistete ihm dabei Gesellschaft.

 

Am nächsten Tag wurde ich bereits wieder entlassen. Ich verabschiedete mich mit einer festen Umarmung von Gabriel, der mir ein aufmunterndes Lächeln schenkte. Die Schwester versprach mir, Bescheid zu sagen, falls sein Herz die Belastungen nicht mehr ertragen könnte und er...

Ich verbot mir diesen Gedanken. Ich mochte Gabriel. Er war einer meiner Freunde geworden. Ich wünschte nur, ich hätte ihn kennen gelernt, als er noch nicht ins Krankenhaus musste.

 

Als ich wieder in die Schule ging, wartete Riley am Eingang der Schule auf mich. Ich erwiderte das Lächeln das er mir schenkte und ließ mich von ihm begleiten.

„Geht’s dir heute wieder besser?“, wollte er wissen und nahm zaghaft meine Hand.

Etwas verwirrt über diese Geste, ließ ich es einfach zu, während ich auf seine Frage nickte.

„Hast du heute schon etwas vor? Also... Heute oder Morgen. Meine Mom ist mit Livia bei einer Freundin und... Ich wollte fragen, ob du bei mir übernachten möchtest.“

Ich sah ihn überrascht an, während er fragend zurück sah.

„Also, wenn du nicht möchtest, ist das okay.“, meinte er irgendwann, „Nicht weiter schlimm.“

Ich biss mir schuldbewusst auf die Unterlippe und blieb stehen, was er mir nach tat und verwundert zurück sah. Als ich nickte, begann er zu lächeln und zog mich etwas enger zu sich. Ich bemerkte, dass uns einige Schüler verwundert ansahen. Als wir irgendwann an einer kleinen Gruppe Jungs vorbei kamen, hörte ich, wie sie begannen zu reden, bevor sie anfingen zu lachen. Ich sah irritiert zurück, aber Riley zog mich sanft weiter.

„Ignorier sie einfach.“

Ich verstand es kaum, weil einer der Jungs zu uns ging und ihm ins Wort fiel.

„Hey, Riley. Ich hab nur eine kurze Frage, dann bin ich wieder weg.“

Riley sah misstrauisch an, wartete aber dennoch mit mir.

„Ich habe mich nur gefragt... Macht es mit ihr eigentlich Spaß im Bett, wenn sie stumm ist? Ich meine, kann sie überhaupt noch stöhnen?“ Noch während er sprach begann er zu lachen.

Riley zog mich weiter und stieß ihn beiseite. „Achte nicht auf ihn.“, meinte er zu mir, „Es sind Idioten.“

Dennoch tat es weh, dass sich jemand über mich lustig machte. Sicher, es half, dass Riley mich aufmunterte, aber es half nur minimal. Der Junge hatte irgendwie Recht. Ich konnte nicht mal richtig weinen, geschweige denn stöhnen... egal in welcher Situation.

„Außerdem, der Doktor hat gesagt, wenn du wieder aufwachst kannst du wieder sprechen.“, fuhr Riley fort, „Also hat er sowieso gelogen.“

Ich zog die Brauen zusammen und wurde langsamer.

„Was ist?“, wollte Riley wissen und sah zurück.

Meine Finger berührten leicht meinen Hals, woraufhin er wohl verstand was ich meinte.

„Wusstest du es nicht?“ Er zog mich sanft zu sich. „Der Arzt hat es uns gesagt als du etwa fünf Tage im Krankenhaus warst. Er sagte, du wärst ein medizinisches Wunder und hättest den Rest deines Lebens nicht mehr reden können. Aber eine Untersuchung hat ergeben, dass du es doch kannst. Und Nicko und ich habe es sogar gehört. Kurz bevor du ohnmächtig geworden bist.“ Er lächelte ein wenig. „Das war bisher das Schönste was ich je gehört habe.“

Ich sah ihn bereits mit großen Augen an und fasste mir weiter an den Hals. Bevor ich aber irgendwie versuchen konnte zu sprechen, begann er mich enger an sich zu ziehen. Dann klingelte es jedoch, woraufhin er aufsah und seufzte, wobei er irgendwas vor sich hin murmelte.

„Wir müssen zum Unterricht. Sehen wir uns dann später? Zum Schulschluss? In der Mittagspause muss ich in der Klasse bleiben.“

Ich nickte und küsste ihn noch schnell auf die Wange, bevor wir in den Klassen eilten.

 

 

In der Mittagspause traf ich auf Greg und Celina, die mich stürmisch umarmten.

„Du hast uns solche Angst gemacht, Rika.“, meinte Celina und sah mich besorgt an. „Geht’s dir besser?“

Ich nickte.

„Während du weg warst, ist ein Schüler wieder an die Schule gekommen, der bei deinem Eintreffen suspendiert war. Jeremy.“, meinte Greg.

Celina lehnte sich zu mir. „Ganz ehrlich, er ist, pardon, ein Arsch. Die, die ihn mögen sind meist ebenfalls welche.“ Sie nickte um ihre Aussage Ausdruck zu verleihen und lehnte sich dann wieder an Greg.

„Er verbreitet die meisten Gerüchte. Und das neuste bist du.“

Ich zog die Brauen zusammen.

„Es macht ihm Spaß über Schüler herzuziehen, die Nachteile oder Schwächen haben. Du bist stumm. Und das ist eben ein sehr großer Nachteil.“

Ich biss mir ein wenig auf die Unterlippe. Riley sagte, ich konnte wieder sprechen. Ob ich es wohl versuchen sollte? ... Besser nicht.

„Komm, du musst doch sicher Hunger haben.“ Celina nahm mich sanft an der Hand und hakte sich bei Greg ein, der ihr dann direkt den Arm um die Taille legte. „Heute gibt es wirklich sehr leckeres Essen.“, erklärte Celina und wollte anscheint weiter erzählen, hielt dann jedoch inne, als der Junge hinter uns trat, der Riley gefragt hatte, ob es wohl Spaß machte mit mir, einem stummen Mädchen, zu schlafen.

Ich verkniff mir ein seufzen und vergrub die Hände in meinen Hosentaschen.

„Ach, bevor ich es vergesse.“, meinte Greg wieder an mich, „Als du im Krankenhaus warst, wurde Nicko als Musiklehrer eingestellt.“

Ich sah ihn überrascht an und blinzelte.

„Er spielt wirklich richtig gut.“

„Wo ist er eigentlich?“, fragte Celina.

Greg sah sich um. „Da drüben.“ Er deutete auf den Eingang der Cafeteria, woraufhin ich dort hin sah und dann zu Nicko lief.

Er sah sich um und lächelte mich an als er mich entdeckte.

„Hey, meine Kleine.“, meinte er und drückte mich an sich „Wie läuft’s bis jetzt?“

Ich zeigte ihm mit der Hand das Okay-Zeichen.

„Keine Probleme?“

Ich wackelte abschätzend mit dem Kopf und seufzte.

„Hast du schon von Jeremy gehört?“

Ich nickte und ging mit ihm wieder zur Schlange, wobei ich darauf achtete, den Blickkontakt mit Nicko zu halten, da er wieder in meinen Augen las.

„Verstehe. Ignoriere es einfach. Er weiß gar nichts.“

Ich nickte zustimmend und reihte mich mit Nicko bei Celina und Greg ein.

„Ich nehme an, Riley hat dir bereits gesagt, was der Doktor uns gesagt hat?“

Ich nickte und lächelte ihn an.

„Gut. Wir werden das wohl aber noch üben müssen. Es hört sich noch kratzig an. Und heiser. Aber Riley hat trotzdem so ausgesehen, als würde er denken, er träumt.“

Ich schmunzelte.

„Schade, das Mom das nicht erleben kann. Hm?“

Zur Antwort lehnte ich mich nur an ihn, woraufhin er mir einen Arm um die Schultern legte und mir einen Kuss auf den Schopf drückte. Als wir an der Reihe waren, suchte ich mir kurz etwas zu essen aus und Nicko bezahlte für mich, woraufhin ich ihn dankbar anlächelte und mich mit ihm zu Celina und Greg setzte. Dort redeten wir über alles mögliche, während Nicko oft Geschichten über unsere Kindheit erzählte.

Als Nicko erfuhr, dass ich bei Riley übernachten wollte, lächelte er mich an und küsste mich auf die Wange.

„Dann sag ich schon mal viel Spaß euch Zwei. Ich nehme dann deine Tasche mit nach hause. Es ist Wochenende.“

Nun blinzelte ich wieder überrascht. Ich hatte gar nicht gewusst, dass bereits Wochenende war.

Nach den letzten beiden Stunden traf ich Riley dann wie verabredet am Eingang der Schule. Nicko war ebenfalls bei ihm und nahm mir meine Tasche ab. Dann drückte er mir noch einen kurzen Kuss auf den Scheitel und ging nach hause, während ich mit Riley zu ihm ging.

Was er wohl geplant hatte?

 

„Also... ich weiß nicht so Recht, was man macht, wenn... äh...“

Riley sah etwas ratlos aus, während wir im Flur standen und er mir die Jacke abnahm. „Wie wäre es, wenn wir uns einen Film ansehen, Pizza essen und... dann irgendwas spielen?“

Ich lächelte und nickte, woraufhin er erleichtert lächelte und mit mir in ein Zimmer ging, dass ich bisher gar nicht kannte.

Es war genau genommen ein Wohnzimmer. Offenbar hatten sie zwei. In diesem hier waren die Fenster jedoch verdunkelt und die einzigen Möbel bestanden aus einem sehr großen Fernseher, eine lange Couch, ein Couchtisch und viele Regale mit DVDs. Ich lächelte ein wenig über die Sammlung und sah mir die Titel an.

„Such du den Film aus. Ich bestelle die Pizza.“

Ich nickte und begann zu suchen. Irgendwann fiel mir ein Film in die Hand, den ich gar nicht kannte. Er lief gute zweieinhalb Stunden lang. Ein Weltuntergangfilm. Nun ja, warum nicht? Wie hieß der Film? 2012...

Als Riley wieder herein kam, saß ich bereits auf der Couch und stellte mit der Fernbedienung alles ein.

„Du kommst ja gut zurecht.“, bemerkte er und setzte sich neben mich, während ich auf Play drückte. „Was ist das für ein Film?“

Ich hielt lediglich meinen Finger vor den Mund um ihm zu sagen er solle still sein, woraufhin er seufzte, ein wenig lächelte und sich zurück lehnte.

Irgendwann im Film, etwa an der Stelle, an der die Familie mit dem Flugzeug aus der Aschewolke flog, was in Wirklichkeit gar nicht möglich war, klingelte es an der Tür und Riley stand auf um ran zu gehen. Ich wartete und sah weiter den Film. Wenige Minuten später kam Riley mit zwei geschnittenen Salamipizzen zurück und reichte mir eine.

Als eine Riesenwelle eine Luxusjacht kenterte, waren wir fertig mit essen und ich lehnte mich mit einem leisen Seufzer an Riley. Ich merkte, wie er überrascht zu mir hinab sah. Dann legte er mir einen Arm um die Taille und lehnte seine Wange an meinen Schopf.

Irgendwann zog Riley mich etwas enger an sich und streichelte mit den Fingerspitzen über meinen Arm. Ich erschauderte unter der Berührung und sah zu ihm auf. Er sah sofort zu mir hinab und warf mir einen fragenden Blick zu.

„Was ist?“, wollte er leise wissen.

Irgendwas veränderte sich. Ich wusste nicht genau was, aber ich wollte es auch gar nicht wissen. Fakt war, dass meine Gedanken begannen verrückt zu spielen. Die Einen wollten Riley näher kommen. Die Anderen sagten mir jedoch die ganze Zeit, dass Riley doch nur ein Freund war. Mehr nicht. Aber dennoch wehrte ich mich nicht, als Riley sich mir langsam näherte. Erst spürte ich nur seinen warmen Atem. Dann folgten seine Lippen auf meinen und er legte mir sanft eine Hand in den Nacken um mich dort vorsichtig an sich zu ziehen, während die andere Hand mich an der Taille zu ihm zog.

Ich erwiderte den Kuss ohne zu zögern und seufzte sogar, als er meinen Mund zu erkunden begann. Nie hätte ich gedacht, dass es so schön sein würde, mit Riley gemeinsam die Zeit zu verbringen.

Der Kuss wurde jedoch je unterbrochen, als es wieder an der Tür klingelte. Er stöhnte genervt, löste sich sanft von mir und seufzte. Als er aufstehen wollte, hielt ich ihn jedoch fest und zog ihn wieder zu mir, woraufhin er ein wenig lächelte. Ich erwiderte das Lächeln und küsste ihn nochmal, woraufhin er mich auf seinen Schoß zog und die Arme um mich schlang. Wir ignorierten das Klingeln an der Tür, den Fernseher und die Tatsache, dass der Film bereits vorbei war. Es war einfach viel zu schön um den Kuss zu unterbrechen.

 

Ich seufzte leise und sah mich ein wenig um. Riley schob mich sanft voran in ein Wohnzimmer.

„Möchtest du etwas trinken?“

Als ich sah, wie ein mir unbekannter Junge sich zu einem mir ebenfalls unbekanntem Mädchen hinab beugte, schüttelte ich den Kopf.

„Okay, ähm... Setzt dich. Ich hole mir nur eben etwas.“

Ich sah ihm hinterher und setzte mich dann auf die Couch. Ich blieb jedoch nicht lang allein, denn es setzte sich kurz darauf jemand zu mir. Es war der Junge, der Riley in der Schule gefragt hatte, ob es Spaß machte mit mir zu schlafen.

„Hey, bist du nicht Rileys... beste Freundin?“, wollte er wissen und grinste ein wenig. „Wir wurden einander noch nicht vorgestellt. Ich bin Jeremy. Du bist Rika, stimmts?“ Er nahm meine Hand und drückte einen Kuss auf den Handrücken, was ich nur verwirrt beobachtete. „Ich habe so einiges von dir gehört. Unter anderem, dass du fabelhaft Cello spielst. Und das du stumm bist.“

Das er das wusste, wusste ich bereits.

„Tut mir Leid... Das mit der Frage, die ich Riley gestellt habe. Ich habe auch erst später erfahren, dass ihr nur Freunde seit.“

In dem Moment kam Riley zurück. Er sah Jeremy finster an und sah zu mir.

„Ich weiß, du wolltest nichts trinken, aber ich habe dir trotzdem etwas Wasser mitgebracht.“, meinte er und gab mir ein Glas mit einer klaren durchsichtigen Flüssigkeit, die nur Wasser sein konnte. Ich lächelte ihn dankbar an und trank ein wenig davon.

„Wasser?“, hakte Jeremy nach, „Sie sieht eher so aus, als könnte sie ein Glas Whisky vertragen.“

„Sie trinkt kein Alkohol.“, warf Riley ein und legte mir einen Arm um die Taille.

„Hmmm... Man sagte mir, ihr wärt nur Freunde.“

„Zu dem Zeitpunkt waren wir es wahrscheinlich noch.“

„Ah. Und es hat sich also von vorgestern auf heute geändert, ja?“

Ich lächelte etwas und lehnte mich an Riley, der Jeremys Frage bejahte.

„Nun... wenn das so ist, wird es wohl schwer werden ihr nicht von Ronja zu erzählen.“

Ich zog die Brauen zusammen und sah zu Riley, der neben mir erstarrte.

„Riley?“ Es war nur ein Wort, aber es reichte um ihn aus der Starre zu holen.

„Hm?“ Er sah zu mir hinab und schien Jeremy vollkommen vergessen zu haben.

„Ronja?“ Ich sah ihn fragend an.

Er seufzte tief und zog mich etwas enger an sich. „Ronja... ist eine... Ich weiß nicht, wie ich das nennen soll.“

„Wie wäre es mit Affäre?“, schlug Jeremy vor.

Meine Augen weiteren sich ein wenig.

„Das stimmt nicht.“, protestierte Riley sofort, „Ronja und ich... waren hin und wieder mal zusammen. Aber da waren nur flüchtige Küsse und... einmal haben wir uns richtig geküsst, aber das ist vorbei.“, fügte er noch schnell hinzu, da meine Augen sich abermals weiteren. „Seit ich dich gesehen habe, läuft da gar nichts mehr.“

Wie so oft schon an diesem Abend seufzte ich und sah Riley unschlüssig an.

„Du glaubst mir doch, oder?“

Bisher hatte er mich noch nie belogen und er hatte mir auch freiwillig davon erzählt.

„Rika?“

Allerdings kannte ich ihn nicht sooo gut, weshalb er auch genauso gut einer von der Sorte Jungs sein konnte, die mit den Mädchen nur spielen.

„Rika? Du... Du glaubst mir doch... oder?“ Er nahm mein Gesicht in seine Hände und sah mir in die Augen. „Rika, ich würde dich nie belügen. Nie.“

Unwillkürlich fiel mir ein Spruch ein, den Nicko gern benutzte.

„Sag niemals nie.“, murmelte ich leise, „Sonst passiert es so oder so.“

„Rika, ich... ich könnte dich nicht anlügen. Ich... Dafür bist du mir viel zu wichtig, hörst du?“

Ich sah unsicher zurück und fragte mich ob er mich wohl nur mochte, oder ob er mich liebte. Als ich den Blick ein wenig abwandte, griff er nach meiner Hand und zog mich an sich.

„Ich möchte dich nicht verlieren.“, murmelte er in mein Haar.

Als Antwort seufzte ich tief und gab nach. Er atmete erleichtert auf und umschlang mich so fest, als würde ich in den nächsten Sekunden meine Meinung ändern. Als nächstes drückte er einen Kuss auf meinen Hals und flüsterte mir zu, wie wichtig ich ihm sei und das er mich nicht missen wollte. Ich bekam wage mit, wie Jeremy ein undefinierbares Geräusch machte und dann ging. Riley dagegen löste sich langsam von mir und zog mich auf seinen Schoß, bevor er wieder die Arme um mich schlang und mich auf die Schulter küsste.

 

Irgendwann, nachdem Riley eine beträchtliche Menge an Alkohol getrunken hatte, bemerkte ich, dass er seine Hand auf meinen Bauch legte und mich sanft enger an sich zog. Ich legte meine Hand auf seine, um ihm zu signalisieren, dass es so okay war. Seine Antwort gab er in Form eines Kusses, den er mir auf den Hals drückte. Ich seufzte und erstarrte dann jedoch, als seine Hand unter mein T-Shirt glitt und die Andere über mein Bein wanderte.

„Riley?“

„Hm?“, machte er darauf träge.

„Nicht.“ Ich zögerte kurz.

„Warum?“

„Hast getrunken. Alkohol.“

Auf meine Antwort seufzte er tief und lehnte sich zurück, wobei er mich jedoch losließ. Ich blieb kurz so sitzen und drehte mich erst zu ihm um als er tief seufzte.

„Wir können wieder zu dir, wenn du möchtest.“, murmelte ich und drehte mich ganz um, um mich auf ihn zu legen.

Er sah aus dem Augenwinkel zu mir hinab und beobachtete wie ich mit dem obersten Knopf spielte, den er offen gelassen hatte.

„Bin müde.“, nuschelte ich irgendwann und legte meinen Kopf auf seine Schulter.

Er atmete aus und stand mit mir auf den Armen auf, „Möchtest du zu mir?“

Ich nickte und schlang die Arme um seinen Hals.

 

Als wir gute 20 Minuten später ins Bett gingen, seufzte ich müde und kuschelte mich an Riley, der die Arme um mich legte und an sich zog. Es dauerte nur gute 2 Minuten bis ich einschlief.

 

Es war mitten in der Nacht, als Riley mich weckte. Er stöhnte gerade in mein Ohr, während er mich auf die Wange küsste und seine Hand unter meinem T-Shirt über meinen Rücken wandern ließ.

„Riley?“ Ich sah in die Richtung in der ich sein Gesicht vermutete und bemerkte sofort, dass ich direkt in sein Gesicht sah. Man roch, dass er Alkohol getrunken hatte. „Riley?“

Die Antwort kam in Form eines Kusses. Es schmeckte stark nach Alkohol, weshalb ich ihn instinktiv wegdrückte. Er schien geschlafen zu haben, denn er zuckte zusammen und sah mich überrascht an. Ein paar Sekunden verstrichen, bevor er bemerkte, wo seine Hände gerade waren. Er zog sie sofort zurück und setzte sich auf.

„Tut mir Leid.“, kam es sofort von ihm, als er sah, dass er mir fast das Oberteil ausgezogen hatte. Er raufte sein Haar und brachte dann meine Kleidung in Ordnung. „Ich... Ich hatte so einen Traum... von dir. Es tut mir wirklich Leid. Ist alles okay? Ich... habe dir doch nicht weh getan, oder?“

Ich nickte auf seine erste Frage und er wurde etwas blass. Ich fasste ihn beruhigend am Arm, als er ihn wegziehen wollte.

„Geht mir gut.“, meinte ich leise, „Ich...“ Ich dachte kurz nach. „Erschrocken.“

Er atmete auf und legte mir die Hand an die Wange. „Tut mir wirklich Leid.“

Ich schüttelte den Kopf. „In Ordnung.“

„Nein, ist es nicht. Hättest du mich nicht geweckt, dann... Ich weiß nicht, was ich sonst gemacht hätte.“ Er wollte mich bereits küssen, schien sich dann jedoch zu erinnern, dass er Alkohol getrunken hatte und küsste mich stattdessen auf die Stirn. „Ich geh eben duschen und esse eine Kleinigkeit. Schlaf du ruhig weiter.“

Ich zögerte etwas, legte mich dann jedoch wieder richtig hin und ließ mich von ihm zudecken, woraufhin er aufstand und das Zimmer verließ. Kurz darauf hörte ich ein paar Räume weiter die Dusche angehen. Ich schloss die Augen und versuchte zu schlafen, was jedoch nicht so recht funktionieren wollte. Stattdessen fiel ich in eine Art Dämmerschlaf.

Ich bekam mit, wie Riley ins Zimmer kam. Er legte sich aber nicht, wie ich vermutet hatte, wieder zu mir ins Bett. Er kam nur zu mir, hob mich kurz hoch und legte mich dann wieder sorgfältig hin. Ich seufzte, machte es mir gemütlich und tastete nach ihm, da ich in dem Augenblick noch nicht ganz realisiert hatte, dass er gar nicht neben mir lag. Als ich ihn nicht ertastete, blinzelte ich müde und hob müde den Kopf. Er legte gerade ein Kissen auf die Armlehne seiner Couch und griff nach einer Decke, die über der Rückenlehne lag.

„Riley?“

Obwohl ich leise sprach, hörte er mich sofort und sah zu mir. „Habe ich dich geweckt?“

Ich schüttelte langsam den Kopf und sah fragend zu ihm. „Nicht bei mir?“

Er sah zur Couch und dann wieder zu mir. „Ich habe Angst, dass ich noch etwas tue, was du nicht willst.“

Ich lag eine Weile nur da und sah ihn an. Irgendwann seufzte er dann, griff nach der Decke auf der Rückenlehne seiner Couch und legte sich auf die Couch. Als er weiterhin nichts machte, stand ich auf, ging zu ihm und legte mich einfach hinter ihn. Er drehte sich überrascht zu mir um und zog die Brauen zusammen.

„Bei dir.“, murmelte ich.

Er atmete lange aus, stand auf und hob mich dann hoch. Er trug mich zu seinem Bett und legte mich hinein. Als er wieder zur Couch gehen wollte, setzte ich mich sofort auf und hielt ihn an der Hand fest.

Ich schluckte. „Ich bin kein Kind, mit dem du machen kannst, was du willst.“

Er zog die Brauen zusammen. „Das versuche ich doch gar nicht.“

„Warum schläfst du dann nicht bei mir?“

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Rika, ich bin noch nicht ganz nüchtern. Ich möchte nichts tun, was du nicht willst. Ich könnte... dir weh tun. Während ich schlafe, verstehst du? Du hast ja gemerkt, was passiert ist.“

„Ich vertraue dir.“

„Aber ich nicht. Verstehst du? Ich... ich habe einfach Angst.“ Er setzte sich zu mir aufs Bett und nahm mein Gesicht zwischen seine Hände. „Ich möchte dir nicht weh tun. In diesem Zustand... es kann sein, dass ich genau das tue, was ich träume. Es kann auch sein, dass ich so ruhig da liege, dass es aussieht, als wäre ich tot. Verstehst du, was ich meine?“

Ich senkte den Blick und biss mir leicht auf die Unterlippe. „Wenn du weißt was passieren kann, warum hast du mich dann wieder mit her genommen? Warum möchtest du, dass ich hier schlafe, wenn du dann gar nicht bei mir bist?“

„Ich bin doch bei dir.“

„Bist du nicht. Du bist auf der Couch.“ Ich sah hinab. „Statt hier zu sein, hätte ich Zuhause mit Nicko reden können. Ich wollte Zeit mit dir verbringen. Das war der einzige Grund, weshalb ich hier bin und nicht bei Nicko. Denn er wird jetzt bei mir bleiben. Bei dir bin ich mir nicht sicher.“

„Du wolltest doch her.“, meinte er verwirrt, „Ich habe dich gefragt, ob du zu mir möchtest. Du hast genickt.“

„Weil ich dachte, dass du bei mir sein würdest.“

„Ich bin bei dir. Ich bin zwar nicht neben dir, aber bei dir. Immer noch im selben Raum. Nur vier Meter entfernt.“

„Vier Meter zu viel. Versteh doch, ich möchte dich neben mir haben. Ich möchte dich festhalten. Ich möchte in deinen Armen aufwachen.“

„Heute Nacht geht es nicht.“

Ich sah ihm stumm an und schwieg. Ich wusste, dass er es konnte. Er wollte es aber nicht versuchen. Und das enttäuschte mich. Es tat weh.

Ohne noch länger zu zögern stand ich auf und begann mich umzuziehen. Ich achtete nicht weiter auf Riley und ignorierte seine Bitten zu bleiben.

„Rika, du verstehst einfach nicht.“

„Nein, du verstehst nicht.“, fuhr ich ihn an, „Ist es so viel verlangt es zu versuchen? Ich wollte Zeit mit dir verbringen. Ich will nicht allein im Bett liegen, während du auf der Couch liegst. Wenn das das einzige ist, was du mir heute geben kannst, gehe ich lieber nach hause.“

„Ich kann einfach nicht.“

„Du willst nicht. Du weigerst dich, mir zuliebe etwas zu versuchen. Glaubst du, ich bin aufgewacht, weil du das Kissen genommen hast? Ich habe nicht mal richtig geschlafen. Ich bin aufgewacht, weil du nicht bei mir warst. Ich möchte dich bei mir wissen, Riley.“ Mir lief eine Träne über die Wange, die Riley erschrocken beobachtete. „Verstehst du mich? Ich konnte nicht schlafen, weil du nicht bei mir warst. Ich brauchte dich und du warst nicht da.“

„Rika, ich... Ich habe es schon einmal versucht. Mit... meiner Ex. In der Nacht hatte ich nicht viel getrunken. Ich hatte einen sehr brutalen Traum... Sie musste ins Krankenhaus.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich will dir nicht weh tun.“

Weitere Tränen liefen über meine Wangen und ich schloss die Augen. Jetzt verglich er mich schon mit seiner Ex. Vielleicht war es doch ein Fehler mehr von ihm zu wollen als Freundschaft.

„Rika es... es tut mir Leid, dass ich... dir heute nicht geben kann, was du brauchst.“ Er legte die Arme um mich, aber ich drückte ihn sofort von mir und schüttelte den Kopf.

„Du versuchst es nicht.“

„Ich habe es doch versucht.“

„Es ist nichts passiert. Ich habe dich geweckt, hast du das vergessen?“

„Nein. Aber dass du mich überhaupt wecken musstest, ist doch schon Beweis genug, dass es nicht geht.“

„Ist es nicht. Es beweist, dass es einmal nicht geklappt hat. Man kann es aber nochmal versuchen. Und dazu bist du nicht bereit.“ Ich schlang die Arme um mich. „Du willst einfach nicht.“

„Rika, komm her. Bitte.“

Ich schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück, als er einen auf mich zu machte. „Ich kann das nicht. Ich kann nicht so tun als sei nichts, während du dich einfach weigerst mir zuliebe etwas zu versuchen.“

„Ich weigere mich nicht, ich-“

„Wenn du dich nicht weigern würdest, lägen wir bereits im Bett und würden schlafen.“

„Ich habe doch versucht es dir zu erklären. Ich möchte nicht, dass dir das selbe passiert wie Geneviève.“

Ich hielt es einfach nicht mehr aus und lief aus dem Zimmer. Ich wollte nicht hören, wie er mich mit seiner Ex verglich und sagte er könne es nicht, wo es doch ganz klar danach aussah, dass er einfach nicht wollte. Wenn er mich nicht bei sich haben wollte, warum bat er mich dann mitzukommen? Ohne auf Riley zu achten, der sich etwas übergezogen hatte um mir zu folgen, lief ich die Straßen entlang nach hause. In dem Tempo dauerte es nicht sehr lange. Ich holte bereits den Schlüssel aus der Tasche als ich die Auffahrt betrat. An der Tür jedoch fiel es mir schwer aufzuschließen, da meine Hände wie verrückt zitterten. Letzten Endes steckte ich den Schlüssel einfach wieder ein und begann zu klingeln. Immer und immer wieder. Ich hörte erst auf, als Riley meine Hand von der Klingel zog und mich zu sich drehte. Ich entwand mich seinem Griff und wich zurück.

„Rika. Bitte. Hör mir zu.“, bat er mich verzweifelt.

„Ich habe zugehört. Ich möchte nicht noch mehr hören. Es war ein Fehler. Das alles mit dir war ein einziger großer Fehler.“

Er wurde blass. „Was?

„Ich hätte dich ignorieren sollen. Ich hätte dich nicht an mich ran lassen dürfen. Sowas bringt doch nur Schmerzen.“ Ich schluchzte. „Ich wünschte, ich hätte dich nie kennen gelernt.“

Er schluckte hart und trat langsam einen Schritt zurück. Dann nickte er langsam. „Dann... werde ich dich nicht weiter belästigen.“

Er stand noch kurz unschlüssig da, bevor er sich schließlich umdrehte und ging. Kurz darauf ging die Tür auf und er verschlafener Nicko stand auf der Schwelle. Als er mich sah, war er sofort hellwach, woraufhin ich mich direkt in seine Arme warf.

„Rika, alles in Ordnung? Was ist los? Ist etwas passiert?“ Er zog mich an sich und hob mein Gesicht weit genug, damit er mich ansehen konnte. „Hat er dir weh getan?“

Ich schluchzte. „Es tut so weh. Es tut so weh, Nicko.“

Er schien einen Augenblick zu brauchen um zu verstehen dass es sich nicht um eine Verletzung handelte. Dann zog er mich wieder an sich und streichelte mir übers Haar. „Ist schon gut. Das hört wieder auf. Irgendwann.“

„Mach das es aufhört. Bitte. Nicko bitte.“

Er küsste mich auf die Schläfe. „Das kann ich nicht. Wenn ich könnte würde ich es tun, aber ich kann nicht. Tut mir Leid.“

Ich konnte nicht sagen, wie lange wir da standen, aber irgendwann zog er mich herein, schloss die Tür und hob mich hoch um mich in mein Zimmer zu bringen und ins Bett zu legen. Er zog mir fürsorglich Hose und T-Shirt aus und setzte sich dann zu mir. Ich setzte mich daraufhin auf und rückte zu ihm, woraufhin er mich zwischen seine Beine zog und fest bei sich hielt. Er wiegte mich tröstend vor und zurück, während er mich hielt.

„Erzählst du es mir?“, bat er als ich mich langsam beruhigte.

Ich versuchte ein paar mal durchzuatmen und schluckte ein paar Tränen hinunter. Nicko schwieg einfach nur und bewahrte Engelsgeduld.

„Er... Er wollte nicht bei mir sein.“, erklärte ich, „Er hat … Wir waren auf einer Party und er hat getrunken. Er sagt, wenn er träumt, passiert es öfters, dass er das tut, von dem er träumt. Heute Nacht... er … er hat... Ich glaube, er hat von einer Frau geträumt. Ich weiß es nicht.“ Ich schluckte verkrampft einen Schluchzer hinunter. „Er wollte mit mir schlafen. Während er geschlafen hat. Aber ich habe ihn geweckt und er ist zu sich gekommen. Er sagte, er habe Angst, dass er mir weh tut oder etwas tut, das ich nicht will. Deshalb wollte er auf der Couch schlafen, aber ich wollte bei ihm schlafen. Ohne ihn konnte ich einfach nicht schlafen. Aber er hat das nicht verstanden. Er sagte, er könne mir heute Nacht nicht mehr geben. Dann... dann hat er gesagt dass.. dass ihm mal etwas mit seiner... Ex passiert ist. Er hatte einen brutalen Traum. Sie musste ins Krankenhaus, aber... ich bin nicht sie. Er hat mich mit ihr verglichen, uns gleichgestellt.“ Diesmal konnte ich den Schluchzer nicht schlucken und weinte an Nickos nackter Brust. „Er kann mich nicht lieben, wenn ich ihm genauso wichtig bin wie sie. Er liebt mich nicht. Nicko, es tut so weh. Mach das es aufhört.“

„Wie gern ich das tun würde.“ Er zog mich enger an sich und wartete geduldig bis ich mich wieder einigermaßen beruhigt habe. „Was ist passiert, bevor ich dir aufgemacht habe?“

„Ich habe ihm gesagt, dass es ein Fehler war. All das mit ihm. Ich sagte, dass ich mir wünschte, ihn nie kennen gelernt zu haben. Dass ich ihn hätte ignorieren sollen. Und das Sowas nur Schmerzen bringt. Er... er sagte das er... Er will mich nicht länger belästigen.“

Ich wusste, Nicko schloss genau jetzt die Augen. Dann lehnte er seine Stirn an meinen Kopf und küsste mich auf die Stirn. „Ist gut. Es wird alles wieder gut. Ich bin immer für dich da, hörst du?“

Dankbar das ich Nicko hatte, klammerte ich mich ganz fest an ihn und wünschte, ich müsste ihn nie wieder loslassen.

~Kapitel 9~

Ich konnte kaum fassen, dass ich Riley tatsächlich nirgendwo sah. Ganze zwei Wochen vergingen und ich hörte nicht einmal von Celina oder Greg etwas über ihn. Es war, als hätte es ihn nie gegeben. Niemand erwähnte seinen Namen und ich wagte es auch nicht, nach ihm zu fragen, aus Angst etwas zu hören, das ich nicht hören wollte. Wie zum Beispiel, dass er eine andere gefunden hatte. Oder dass er vielleicht sogar die Schule gewechselt hatte. Oder umgezogen war.

„Rika? Hast du gehört was ich gesagt habe?“

Ich blinzelte und sah zu Celina. „Hm?“

Sie seufzte. „Ach du. Wann hast du das letzte mal Cello gespielt?“

Das war eine gute Frage. Das Cello half mir bei Nickos Abwesenheit meine Gedanken zu sortieren. Ich hatte lange nicht mehr gespielt. „Keine Ahnung.“

„Vielleicht... solltest du mal wieder spielen.“

Ich schüttelte den Kopf und war im nächsten Augenblick wieder ganz in Gedanken versunken. Ich fragte mich, wie es Riley wohl ging und ob er an mich dachte.

Ich seufzte und sah aus dem Fenster. Ob er mich wohl vermisst?

„...Riley schon lange nicht mehr gesehen.“

Ich horchte automatisch auf, als Celina Rileys Namen erwähne, ließ mir jedoch nichts anmerken und sah weiter aus dem Fenster.

„Du bist doch in seiner Klasse. Was ist mit ihm?“

Es war eine Weile still, bevor Greg antwortete. „Ich weiß es nicht. Er redet nicht sonderlich viel mit mir.“ Er schwieg kurz und ich sah aus dem Augenwinkel, wie er zu mir herüber sah, bevor er sich ein wenig zu Celina lehnte und ihr etwas zuflüsterte. Sie redeten eine Weile miteinander, bevor Greg sie dann kurz küsste und weiter aß.

„Rika?“

Ich sah noch einen Augenblick aus dem Fenster, bevor ich mich langsam an Celina wand. „Ja?“

„Wie wäre es, wenn wir heute ein wenig schoppen gehen? Greg hat heute keine Zeit und da dachte ich mir, dass wir mal was zusammen machen könnten.“

Ich überlegte ein wenig. Eigentlich hatte ich heute noch nichts geplant Nicko war auf Wohnungssuche und suchte nebenbei noch nach einem kleinen Nebenjob. Damit er was zu tun hatte, wie er sagte. Er hatte zwar genug Geld, aber er wollte sich nützlich machen.

„Ich hab noch nichts geplant.“, meinte ich irgendwann.

„Gut. Ich hol dich dann um... 3 Uhr ab, okay?“

Ich nickte und im selben Moment klingelte es.

 

Riley

Mitten in der Stunde lehnte Greg sich zu mir herüber und achtete darauf, dass unsere Lehrerin nicht zu uns sah.

„Hast du heute Zeit?“, wollte er leise von mir wissen.

Ich brauchte nicht lang um zu überlegen. „Ich muss auf Livia aufpassen.“, gab ich zur Antwort.

„Von wann bis wann denn?“

„Von 3 bis 9 Uhr. Warum?“

Er zuckte mit den Schultern. „Du kannst sie ja mitnehmen.“

Ich drehte meinen Kopf ein wenig zu ihm. „Wohin soll es denn gehen?“

„In die Stadt. Celina hat heute schon was vor und mit dir habe ich schon seit Tagen nichts mehr gemacht.“

„Celina hat keine Zeit?“, hakte ich nach.

Bevor und während ich mit Rika zusammen war – ich dachte nur ungern daran, da es höllisch weh tat – war der einzige Grund, das jemand von ihnen keine Zeit hatte, der andere gewesen. Sie hatten immer irgendwas zusammen gemacht, nie oder selten traf man sie einzeln an.

„Ja. Wir finden, dass zu viel Nähe nicht gut für die Beziehung ist. Also wollten wir mal ein bisschen Abstand halten. Es wird sonst langweilig, verstehst du? Wenn wir ständig was zusammen machen... da weiß man irgendwann nicht mehr, was man machen soll. Naja, wir haben also beschlossen für ein paar Tage etwas mit Freunden zu machen. Das macht die Beziehung aufregender, weißt du?“

Ich sah Greg nur verwundert an. „Okay.“

„Also, hättest du Lust mit in die Stadt zu kommen? Wie gesagt, du kannst Livia ja mitnehmen.“

Ich zögerte ein wenig. „Warum nicht.“

 

Rika

Ich saß im Musikzimmer am Klavier und überlegte, ob ich wohl etwas spielen sollte. Riley hatte es mir ganz gut beigebracht. Ich könnte weiter üben.

Ich hob die Hand, hielt jedoch Zentimeter über den Tasten inne und ballte die Hand zur Faust, bevor ich sie wieder wegzog. Dann saß ich ein paar Minuten nur da, bevor ich wieder die Hand hob, nur um dann wieder inne zu halten. Kurz darauf hob ich wieder die Hand, hielt über den Tasten inne und hielt den Atem an. Dann stieß ich die Luft wieder aus und ließ die Hand sinken.

„Spielst du nun, oder spielst du nicht?“

Ich drehte mich erschrocken um und erblickte Jason in der Tür. „Wie lange stehst du schon da?“, wollte ich sofort von ihm wissen.

„Lange genug um zu wissen, dass du offenbar Zuckungen in deiner rechten Hand hast. Starke Zuckungen. Und Atemstörungen.“

Ich seufzte und blickte wie durch Zufall auf mein Cello. Es stand in der Ecke und setzte bereits Staub an.

„Es würde doch nicht schaden, wenn du das eine oder andere Lied spielen würdest.“

Ich zögerte etwas, schüttelte dann jedoch den Kopf und stand auf. „Ich spiele nicht mehr.“

Er seufzte. „Musik ist dein Leben. Du kannst es doch nicht einfach so aufgeben.“

„Es war mein Leben. Ich spiele nicht mehr.“

Ich ging an ihm vorbei nach unten ins Wohnzimmer, wo ich mir ein Kissen nahm, die Arme darum schlang und den Fernseher einschaltete. Eine halbe Stunde später klingelte es an der Tür, woraufhin ich aufstand und sie öffnete. Wie ich es mir bereits gedacht habe, war es Celina.

„Bist du fertig?“, wollte sie wissen, musterte mich ein wenig und lächelte.

Ich nickte. „Wir können gehen.“

Sie musterte mich ein wenig genauer. Dann schüttelte sie denn Kopf. „Nein, so kannst du nicht gehen.“

Sie nahm mich sanft an der Hand, zog mich hinter sich her, als sie herein kam, die Tür zuwarf und hoch in mein Zimmer ging. Dort setzte sie mich auf mein Bett und ging zu meinem Kleiderschrank um sich den Inhalt anzusehen. Sie wühlte eine Weile darin herum, während sie vereinzelnd Teile heraus nahm, sie sich ansah und wieder herein legte. Irgendwann entschied sie sich für ein T-Shirt und ein Rock, den ich bisher noch nie getragen hatte, weil ich ihn für zu kurz hielt. Sie suchte sogar meine Unterwäsche aus. Und meine Socken. Und Schuhe. Als sie alles beisammen hatte, drückte sie es mir in die Hand und stellte sich wartend an die Tür. Ich zögerte etwas und sah sie lange an. Als sie nicht raus ging, drehte ich mich um und begann mich zaghaft umzuziehen. Es war das erste mal, dass jemand dabei war.

„Wow.“, meinte sie plötzlich.

Ich hatte gerade die Unterwäsche angezogen und sah sie nun verwirrt an. „Was?“

Sie kam etwas näher und ging einmal um mich herum, was mir ziemliches Unbehagen bereitete. „Das sieht richtig klasse aus.“ Plötzlich schüttelte sie den Kopf. „Zieh dich weiter an.“

Ich tat zögernd worum sie bat und stand dann in viel zu kurzem Rock in meinem Zimmer. Er bedeckte gerade mal die Hälfte meines Oberschenkels.

„Perfekt.“, meinte Celina.

„Der Rock ist etwas kurz.“, bemerkte ich nervös.

Sie nahm mich einfach an der Hand und zog mich wieder hinter sich her. Unterwegs liefen wir fast an meiner ganzen Familie vorbei und draußen lief ich sogar in Nicko herein. Er hielt mich an den Schultern fest und drehte mich zu sich.

„Warte mal, kleines Fräulein.“

Ich stand wie erstarrt da und schluckte, während er eine Braue hob und mich fragend ansah.

„Wo solls denn hingehen?“

„Wir gehen schoppen.“, antwortete Celina.

„Schoppen?“, hakte er nach und sah an mir herunter, „Im Mini?“

„Naja, sie ist ja jetzt Single. Und sie sieht klasse aus.“

Er sah Celina zögernd an, während ich versuchte meinen Rock herunter zu ziehen, was natürlich nicht funktionierte. „Nun...“ Er sah wieder zu mir und fragte sich wohl gerade ob ich Sowas öfter tat. „Dann wünsche ich euch... äh... viel Spaß?“

Celina nickte und nahm mich wieder an der Hand. „Bis dann, Nicko.“

„Ja... bis dann.“

Ich winkte ihm noch, bevor sie mich bereits weiter zog. „Bis später!“, rief ich ihm noch zu.

Er sah mir verwundert hinterher und ließ den Blick dann ein bisschen tiefer, woraufhin ich einen erschrockenen Gesichtsausdruck bei ihm erkennen konnte. Ich sah noch wie er sich an den Kopf fasste und sich dann an die Tür wand, bevor Celina mich vom Grundstück weg zog und ich ihn nicht mehr sehen konnte.

Wir kamen gerade rechtzeitig an der Bushaltestelle an, stiegen in den Bus und bezahlten kurz. Dann zog sie mich bereits durch den Bus, bis ganz nach hinten. Natürlich so, dass mir alle Jugendlichen Jungs hinter mir her sehen konnten. Als sie mich auf einen Platz drückte, war ich bereits ganz rot geworden und starrte stur auf den Boden.

Als sich jemand neben mich setzte, zuckte ich zusammen und sah auf. Er kam mir bekannt vor. Sehr bekannt.

„Rika?“

Ich blinzelte ein wenig. Die Stimme kannte ich doch auch. „Mike?“

Er lächelte. „Du bist es ja tatsächlich. Wie geht es dir?“

„Naja... ganz okay.“

Er betrachtete mich ein wenig. „Ich wusste gar nicht, dass du Röcke trägst.“

„Äh... Tue ich auch gar nicht.“

Er sah wieder zu mir auf und zog eine Braue hoch. „Ach nein?“

„Jedenfalls nicht oft.“ Ich zog wieder an meinem Rock – ohne Erfolg.

„Wie läuft’s mit Riley?“

Ich zuckte zusammen und stammelte irgendwas vor mich hin. Ich wusste nicht genau was es war, aber er schien es zu verstehen.

„Oh. Schade. Tut mir Leid um euch zwei. Ihr habt richtig gut zusammen ausgesehen.“ Er zögerte etwas. „Wohin gehst du?“

„Ich? Ich äh... Ich gehe mit Celina schoppen.“

Er sah an mir vorbei zu Celina und reichte ihr lächelnd die Hand. „Hallo. Ich bin Mike.“

Sie ergriff sie lächelnd. „Celina.“

Er zögerte kurz. „Gregs Freundin?“

Sie lächelte sofort etwas mehr. „Genau.“

„Freut mich dich kennen zu lernen. Greg redet ziemlich viel über dich, wenn du nicht da bist.“ Er wand sich wieder an mich. „Aber jetzt wieder zu dir. Du bist jetzt Single?“

Ich nickte zaghaft.

„Hmmm...“ Er betrachtete mich ein wenig. „Würde es dich stören, wenn ich dich küsse?“

Ich bekam vor Überraschung den Mund nicht mehr zu. Er schien es falsch zu deuten, denn er beugte sich lächelnd zu mir und küsste mich. Einfach so. Mitten im Bus.

„Das ging schneller als ich dachte.“, bemerkte Celina neben mir halblaut, als spräche sie zu sich selbst.

Kurz darauf zog Mike sich sanft zurück und sah mich lange an. Ich war auf dem Sitz ein wenig heruntergerutscht und hatte mich in die Lehne gedrückt. Ich hoffte nur, er war nicht gekränkt.

„Alles okay?“, wollte er leicht besorgt wissen und wagte einen Blick an mir herab, wobei er die Brauen hoch zog.

Als ich seinem Blick folgte, stellte ich fest, dass mein Rock ein wenig hochgerutscht war. Ich zog ihn sofort wieder runter und lief rot an.

„Ach, da sind wir ja schon.“, meinte Celina plötzlich neben mir.

Mike sah zu ihr auf. „Habt ihr etwas dagegen, wenn ich euch begleite?“

Sie lächelte. „Nicht im Geringsten.“

Sie nahm meine Hand, zog mich auf die Beine und dann hinter sich her aus den Bus. Mike folgte uns und nahm dann den Platz neben mir ein, während Celina zielgerichtet auf das Einkaufscenter zuging. Unterwegs bemerkte ich die Blicke der anderen Männer. Sowohl jung als auch ein wenig älter. Ich wurde sofort tief rot und starrte den Boden an. Im Center ging sie mit mir stundenlang in die verschiedensten Läden. Wenn sie mich losließ, blieb Mike immer bei mir und flirtete mit mir, wobei mir eher unwohl war, als dass es angenehm sein könnte. Ich fühlte mich seltsam.

Nachdem Celina mit mir einige Sachen gekauft und mit etwa sechs Tüten aus verschiedenen Läden durchs Einkaufcenter ging, beschloss sie in ein Café zu gehen. Sie setzte sich an den nächstbesten Tisch – für 5 Personen – und setzte sich mit mir. Mike nahm wie selbstverständlich neben mir Platz.

Ich bestellte einen Milchshake und Tortellini. Ich hatte wahnsinnigen Hunger, weil ich noch nichts gegessen und etwa drei Stunden mit laufen, tragen, laufen, umziehen und weiter laufen verbracht hatte. Ich bemerkte nicht, was Celina und Mike bestellten. Wenige Augenblicke später bekam ich meinen Milchshake und zog ihn zu mir um am Strohhalm zu nuckeln, damit ich nichts sagen musste. Wenige später kamen auch meine Tortellini.

„Ihr seid ein nettes Paar.“, bemerkte Celina plötzlich.

Ich verschluckte mich am Essen und hustete heftig, woraufhin Mike abrupt zu mir sah. Es dauerte ein wenig bis ich wieder normal atmen konnte und sah Celina fassungslos an.

„Wir sind kein Paar.“, entgegnete ich auf ihre Bemerkung.

„Er hat dich geküsst.“

Ich lenkte meinen Blick auf mein Essen. „Ich habe nicht gesagt, dass ich es will.“

„Das mag zwar sein, aber dennoch hat er dich geküsst.“

„Ist hier zufällig noch Platz?“

Wir sahen alle abrupt auf, als Gregs Stimme ertönte. Celina sprang abrupt auf und fiel ihm um den Hals.

„Was machst du denn hier?“

Er lachte ein wenig und ließ sich von ihr küssen. „Ich bin unterwegs. Wir beide hatten Hunger und da dachte ich, wir könnten in ein Café gehen.“ Er küsste sie innig und zog sie enger an sich. „Ich hab dich vermisst.“

Mein Blick viel auf den Jungen, der schräg hinter ihm stand, woraufhin ich erstarrte und wieder auf mein Essen sah.

„Wir haben Glück, dass Rileys Mutter ihren Termin verschieben musste und er nicht auf Livia aufpassen musste, sonst wäre sie jetzt dabei.“

„Hmmm...“ Celina löste sich langsam von Greg und setzte sich mit ihm. Allerdings saß er nun zwischen ihr und Mike, weshalb der letzte freie Platz neben mir war. „Setzt dich doch Riley.“

„Ich... äh...“

Ich wagte es nicht aufzusehen.

Als ein kleines Kind an Tisch vorbei ging und über das Tischbein stolperte, verrückte sie dabei den Tisch, woraufhin mein Milchshake umkippte und der Inhalt sich auf meinen Rock ergoss. Ich sprang abrupt auf und sah an mir herunter, während Celina sofort nach dem Becher griff und ihn wieder hinstellte. Mike griff nach Servietten und begann den Tisch sauber zu wischen, woraufhin Greg wiederum aufstand um eine Kellnerin zu informieren.

Ich sah mich um und eilte dann in die Damentoilette, wo ich versuchte den Rock mit Hilfe von Tüchern und Wasser wieder in einen passablen Zustand zu bekommen. Als ich es mehr oder weniger geschafft hatte, ging ich wieder zurück und stellte fest, dass nicht nur der Tisch wieder super aussah, sondern, dass Riley nun auch Platz genommen hatte. Neben meinem. Ich zögerte kurz, setzte mich dann aber doch und griff nach meiner Gabel um weiter zu essen. Riley warf einen kurzen Blick zu mir, während ich verlegen und nervös meine Tortellini aß.

„Rika? Hörst du mir schon wieder nicht zu?“

Ich sah abrupt auf, als Celina mich an der Schulter berührte. „Wie bitte?“

Sie seufzte. „Ach du.“

„Was denn?“ Ich sah von ihr zu Greg und wieder zu ihr.

„Ich habe gefragt, ob du vielleicht einen anderen Rock anziehen möchtest?“

Ich sah sie verdattert an. „Anderen Rock?“

„Ja. Ich meine... deiner ist ja nun nicht mehr so anschaulich. Und ich hab doch welche gekauft.“

Erst jetzt verstand ich, was sie meinte. „Oh. Ich... weiß nicht.“ Ich sah an mir herab. Der Rock sah beinahe wieder einwandfrei aus. Er war nur noch ein bisschen nass. „Er sieht noch ganz gut aus.“

„Wenn du willst, kann ich dir beim aus- und anziehen helfen.“, bot Mike mit einem gewissen Unterton an und legte mir eine Hand auf den Oberschenkel.

„Mein Rock ist in Ordnung.“, presste ich hervor und schob seine Hand beiseite. „Alles okay.“

Er lachte leise und legte einen Arm auf meine Stuhllehne, woraufhin ich ein wenig starr wurde. Ich schluckte und krallte meine Finger in meinen Rock, den ich ein wenig weiter hinunter zog, damit man nicht so viel von meinen Beinen sah. Ich hatte bereits Angst den Rock wieder loszulassen.

„Ich bin gleich wieder da.“, meinte er plötzlich und stand auf.

Ich entspannte mich ein wenig und sah ihm kurz hinterher, bevor ich mit zitternder Hand nach meiner Gabel griff. Ich hörte wie Riley neben mir Luft holte, als wollte er etwas sagen. Aber er blieb stumm und atmete wieder aus, woraufhin Celina kurz zu ihm sah und dann wieder zu mir sah.

„Alles okay?“

Ich sah auf, nickte hektisch und sah dann wieder auf mein Essen, das langsam weniger wurde. Ich versank wieder in Gedanken und bekam nicht mit, dass Mike wiederkam. Dafür zuckte ich zusammen, als er mir einen Arm um die Schultern legte und ließ sogar die Gabel fallen. Dann sah ich abrupt auf und blickte direkt in seine grauen Augen.

„Du wirkst so abwesend.“, meinte er und näherte sich merklich.

Aus Reflex lehnte ich mich von ihm weg. „Ich- ich... äh... denke nach.“

Ich lehnte mich so weit nach hinten, dass ich bereits Rileys Schulter berührte. Als Mike immer noch näher kam, rückte ich schließlich zu Riley herüber und tat das, wonach mir gerade am liebsten war. Wie ein verängstigtes Kind setzte ich mich auf Rileys Schoß, klammerte ich mich an ihn und drückte mein Gesicht an seine Brust. Diesmal war er es, der seine Gabel fallen ließ. Ich wusste nicht, was noch passierte, da ich mich einfach nur an ihn klammerte und alles andere abschaltete. Bei ihm fühlte ich mich geborgen und sicher. Mike dagegen machte mir Angst mit seinem Benehmen.

Als Riley zaghaft die Arme um mich legte, zuckte ich zusammen, löste mich jedoch nicht von ihm, woraufhin er mich umschlang und festhielt. Er hielt mich eine Weile nur fest, bevor er mich richtig an sich zog und sein Gesicht in meinem Haar vergrub.

„Ach, verdammt.“, meinte Mike irgendwann, „Ich muss nach hause.“

„Schon okay.“, meinte Greg, „Hat alles geklappt. Bisher zumindest. Wir sehen uns.“

„Bis dann. Ach und Rika, tut mir Leid wegen dem Kuss.“ Als ich aufsah, war er bereits weg.

Riley ließ mich abrupt los und sah mich einfach nur an. Als ich den Blick zu ihm wand, hielt er einen Augenblick stand. Dann sah er hinab, nur um dann auf zu keuchen und wieder herauf zu sehen. Als ich ebenfalls hinab sah, stellte ich fest, das mein Rock vollständig hoch gerutscht war. Ich zog ihn sofort wieder herunter und lief rot an, während Riley nach der Tischplatte griff und sie so fest im Griff hatte, dass seine Knöchel weiß hervor traten.

„Rika.“

Ich sah wieder zu ihm auf und blickte direkt in bernsteinfarbene Augen. Ich hielt überrascht den Atem an. Plötzlich zog er mich wieder fest an sich und küsste mich fest auf den Hals. Dann bemerkte ich ein Saugen und schnappte nach Luft. Kurz darauf ließ Riley von meinem Hals ab, griff in mein Haar und küsste mich auf den Mund.

„Oh wow.“, war von Celina zu hören, „Der ist ja riesig.“

Mir wurde alles zu viel. Eine Woche lang hörte ich nichts von Riley. Dann tauchte er hier einfach auf. Okay, als Mike mich bedrängt hatte, war ich zu ihm geflüchtet, aber er küsste mich einfach so, mitten in der Öffentlichkeit, machte mir einen Knutschfleck und tat so, als wäre nie was passiert.

Ich drückte ihn weg und sprang auf, woraufhin er irritiert zu mir aufsah.

„Was ist los?“, wollte er dann verwundert wissen und stand auf.

Was los ist? Das fragt er noch?

Die Ohrfeige die ich ihm gab, war wahrscheinlich im ganzen Café zu hören. Er fasste sich vorsichtig an die Wange und sah mich verdattert an.

„Was soll das?“

„Riley, ich glaube-“

Eine weitere Ohrfeige unterbrach Gregs Satz.

„Das hättest du nicht sagen sollen.“, beendete er seinen Satz.

Der Angesprochene keuchte und sah mich verwirrt an. „Rika, warum-“

„Riley.“, fiel Greg ihm ins Wort, „Bevor du jetzt wieder eine Ohrfeige kassieren musst, hör besser auf zu fragen.“

„Aber-“

„Kein aber.“

Ich war gerade dabei mein Portmonee aus meiner Rocktasche zu kramen und legte das Geld für meine Bestellung auf den Tisch, bevor ich mein Portmonee wieder einsteckte.

„Rika, willst du schon weiter?“, wollte Celina verwundert wissen.

„Nein.“, gab ich zurück, „Ich gehe nach hause.“

 

Riley

Ich sah Rika verwirrt hinterher und betastete meine schmerzende Wange. Ich verstand die Welt nicht mehr. Erst ließ sie sich von Mike küssen, dann wollte sie ihn nicht mehr, dann verkroch sie sich auf meinem Schoß, ließ es zu, dass ich ihr einen Knutschfleck machte und dass ich sie küsste, nur um mich dann wieder weg zu stoßen und mich zu ohrfeigen. Ich hatte gehofft, dass sie mir unseren letzten Abend verzeihen würde, aber dem war wohl nicht so.

Ich ließ mich frustriert auf meinen Platz sinken und legte den Kopf auf den Tisch und die Hände gefaltet in den Nacken. Celina und Greg schwiegen, während ich schwieg. Irgendwann sah ich dann wieder auf.

„Was ist mit ihr los?“, wollte ich verzweifelt wissen.

„Ich glaube, du hast es dir gerade mit ihr verscherzt.“, meinte Greg darauf.

Ich sah ihn begriffsstutzig an, woraufhin Celina tief seufzte.

„Was hast du erwartet?“, wollte sie von mir wissen, „Du hast dich eine Woche lang weder gemeldet, noch dich bei ihr blicken lassen. Dann organisieren wir schon so ein Aufeinandertreffen und du hast nichts besseres zu tun als sie erst zu ignorieren und sie dann zu behandeln, als wärt ihr bereits Wochen lang zusammen. Das ging ihr ganz offensichtlich zu schnell.“

„Die Frage, was los sei, war auch ziemlich daneben.“, fügte Greg hinzu, „Und demnach auch die Frage, was die Ohrfeige sollte.“

Ich atmete lange aus und ließ meinen Kopf wieder auf den Tisch sinken.

 

Rika

Wütend knallte ich die Haustür hinter mir zu. Ohne inne zu halten, ging ich direkt nach oben in mein Zimmer. Dort riss ich mir direkt den Rock hinunter und zog mir das T-Shirt über den Kopf. Ich nahm mir vor die beiden Sachen später wegzuwerfen.

Ich war gerade dabei mir frische Sachen anzuziehen, als es an der Tür klopfte. Ich reagierte nicht und zog mich weiter an.

„Rika? Alles okay?“, ertönte Jasons Stimme.

„Alles in Ordnung.“, gab ich zurück.

„Ich ähm.... Ich weiß, du und Riley habt ein paar Differenzen zu klären-“

„Es gibt nichts mehr zu klären.“

„Ach nein? Äh... Jedenfalls, er ist unten und wollte mit dir sprechen.“

„Ich will ihn nicht sehen.“

„Bist du sicher? Ich meine nur, du hast seit eurer Trennung so traurig ausgesehen.“

„Ich will ihn nicht sehen.“, wiederholte ich darauf nur und griff nach meinem Handy.

„Wenn du es sagst... Ich richte es ihm aus.“

Während er sprach, wählte ich die Nummer für das Krankenhaus und fragte nach Gabriel. Nachdem ich meinen Namen genannt hatte, teilte man mir mit, dass es sehr schlecht um ihn stehen würde, er aber noch lebte. Die Ärzte wunderten sich darüber, aber sie nahmen es so hin und sahen es von der positiven Seite.

Nachdem ich einen Besuch meinerseits angekündigt hatte, steckte ich mein Handy ein und wollte mein Zimmer verlassen, lief jedoch in jemanden hinein. Als ich auf sah, blickten grüne Augen zurück.

„Jason meint, du seist ziemlich wütend.“

Ich atmete langsam aus und rieb mir über die Schulter. „Mit ihm hat das nichts zu tun.“

Er legte mir einen Arm um die Taille, als ich mich auf den Weg nach unten machte. „Was ist passiert? Auf wen bist du wütend?“

„Es ist... Also... Riley hat...“

„Riley.“, meinte er, als ich nicht weitersprach. „Was hat er getan? Hat er vielleicht eine andere? Oder hat er dir weh getan?“

„Nein. Nichts dergleichen. Im Gegenteil. Er-er hat mich geküsst, aber...“

Er wartete darauf, dass ich etwas sagte. „Aber? Was ist so schlimm daran? Ich verstehe dich nicht ganz.“

„Es ist einfach... Er zeigt sich eine ganze Woche nicht, meldet sich nicht. Dann... war er plötzlich da. Ich war mit Celina in einem Café und er kam mit Greg dazu. Er hat mich quasi ignoriert, ganz davon abgesehen, dass er mich ständig angesehen hat. Dann... Da war noch ein anderer Junge. Mike. Er hat mich ziemlich bedrängt und ich bin zu Riley... äh... jedenfalls, nachdem Mike gegangen ist, hat Riley... er hat mir einfach einen Knutschfleck verpasst und mich geküsst als wäre nie irgendwas gewesen. Ich meine- Also- Er- Nicko, ich bin so verdammt wütend auf ihn.“

Ich umschlang ihn und drückte, wie kurz zuvor bei Riley, mein Gesicht an seine Brust. Nicko hielt mich fürsorglich in seinen Armen und küsste mich liebevoll auf den Schopf.

„Vielleicht solltest du mit ihm reden?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich will ihn nicht wiedersehen. Und diesmal meine ich es ernst.“

„Nun... Ich glaube, dann hast du ein kleines Problem.“

Ich sah zu ihm auf.

„Er weigert sich zu gehen, ohne mit dir gesprochen zu haben.“

Ich schnaubte. „Von mir aus kann er da unten Wurzeln schlagen. Ich geh ins Krankenhaus.“

Er zog die Brauen zusammen. „Was willst du im Krankenhaus?“

„Einen Freund besuchen.“

Damit löste ich mich wieder von ihm und ging nach unten. Offenbar war Riley im Wohnzimmer, denn ich sah ihn nicht, als ich das Haus verließ.

 

Ein leises 'Herein' sagte mir, dass ich ruhig eintreten konnte und öffnete die Tür, bevor ich den Kopf herein streckte. Gabriel lag gelangweilt im Bett und starrte aus dem Fenster. Offenbar hat er nicht mit Besuch gerechnet.

Ich schloss die Tür hinter mir und nahm einen Stuhl mit an die Bettkante. Als er den Stuhl hörte, sah er überrascht zu mir.

„Oh. Rika, du bist es. Ich dachte schon, du wärst eine Schwester.“ Er setzte sich auf und rückte ein wenig näher zum Kopfende. „Wie sieht es mit deiner Stimme aus? Geht’s dir gut?“

Ich lächelte ihn an. „Dank meinem... Ex habe ich keinerlei Probleme mehr mit meiner Stimme.“, gab ich zur Antwort, „Gut geht es mir allerdings nicht sonderlich.“

Er sah mich leicht besorgt an. „Was ist denn los? Bist du krank? Ist was passiert?“

Ich seufzte. „Ich will dich damit nicht belasten. Wie sieht es bei dir aus? Die Frau am Telefon sagte, es stünde schlecht um dich.“

Er lächelte matt. „Das kann man wohl sagen. Ich bin total aus der Puste, nur weil ich von der Toilette wieder komme.“

„Warum bittest du nicht um ein neues Herz? Das dürfte dir doch helfen, oder nicht?“

Er nickte. „Ja. Ein neues Herz würde mich wieder gesund machen. Aber... andere brauchen das Herz wahrscheinlich dringender als ich. Es gibt Kinder die ein neues Herz brauchen.“

„Du wirst ihnen schon kein Herz wegnehmen. Es ist ja nicht so, als gäbe es nur eins. Außerdem brauchst du es genauso dringend wie sie. Du bist todkrank und stirbst bald.“

Ein Mundwinkel zuckte. „Du hörst dich an, als wäre ich wichtig für Menschen, die ich nicht kenne.“

Ich schüttelte den Kopf. „Vielleicht nicht, aber denen die du kennst. Deiner Familie zum Beispiel.“

Er seufzte. „Nein. Denen bin ich nicht wichtig.“

„Wie kommst du darauf?“

„Meine Schwester.“, antwortete er, „Die Geburt war vor fünf Tagen. Nicht einer hat nach mir gesehen. Ich habe nach ihnen gefragt, aber nie kam jemand. Ich konnte nicht mal meine Schwester sehen.“

Ich nahm seine Hand und drückte sie. „Das tut mir Leid.“

Er versuchte ein Lächeln. „Naja, es ist schön, dass wenigstens du gekommen bist.“

Ich lächelte zurück. „Tut mir Leid, dass ich nicht früher da war. Ich dachte nur, deine Familie möchte dich sicher etwas für sich haben, wenn deine Schwester erst mal auf der Welt ist. Ich wollte da nicht im Weg stehen.“

„Ich verstehe schon. Trotzdem danke.“

„Immer wieder gern. Mir bist du nämlich wichtig.“

„Danke. Vielen dank.“

„Dafür musst du dich nicht bedanken. Du hast mir auch zur Seite gestanden.“

„Das war das mindeste, das ich tun konnte. Übrigens, deine Stimme ist wundervoll. Wie eine Melodie, die einem den Atem raubt.“

Ich wurde ein wenig rot. „Danke.“

„Nicht dafür.“

„Denkst du darüber nach?“

„Worüber?“

Ich sah zu ihm auf. „Über ein neues Herz. Unter anderem bist du im Moment der Einzige, der mir wahrscheinlich helfen könnte. Sicher, Nicko könnte auch, aber ich möchte ihn nicht zu sehr damit belasten, weil er gerade so viel zu tun hat. Außerdem hab ich dich gern und ich will nicht, dass du stirbst. Du bist wahrscheinlich der beste Freund, den ich habe.“

Er lächelte mich an. Er lächelte mich richtig an. „Okay. Ich werde darüber nachdenken. Aber nur unter einer Bedingung.“

„Und die wäre?“

„Singst du mir was vor?“

„Ich soll singen?“

„Naja...“ Er rückte wieder etwas weiter runter und legte sich hin. „Ich kann in letzter Zeit nicht so gut schlafen. Es wäre schön, wenn du mich in den Schlaf singen könntest. Und... würdest du vielleicht auch dann noch ein bisschen bleiben?“

Ich nickte. „Das mache ich gerne.“

Er drückte meine Hand, die zuvor seine gedrückt hatte. „Danke.“

Ich lächelte darauf nur.

 

Als ich wach wurde, wurde Gabriel gerade in seinem Bett herein geschoben. Ich sah überrascht auf und stellte fest, dass er offenbar schlief. Der Arzt, der dabei war, bemerkte mich und lächelte mich freundlich an, während er den Krankenschwestern etwas mitteilte. Dann wand er sich an mich.

„Sind Sie nicht das Mädchen, dass vor ein paar Wochen hier war?“

Ich nickte zögernd.

„Rika, richtig?“

Ich nickte erneut.

„Gut. Wie ist es mit Ihrer Stimme? Sie können doch wieder sprechen.“

„Äh ja.“

„Fällt es Ihnen sehr schwer?“

„Das kommt auf die Situation an, aber ich komme ganz gut damit zurecht.“

„Das höre ich. Sie haben eine bemerkenswerte Stimme.“

„Dankeschön.“

„Nun, da es Ihnen ja ganz offensichtlich wieder gut geht...“ Er stand auf. „Schönen Tag noch.“

„Ihnen auch.“

Er nickte und verließ das Zimmer, woraufhin ich wieder zu Gabriel sah und mich zu ihm setzte. Ich hatte auf einem anderen Bett gelegen.

Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis Gabriel langsam und blinzelnd die Augen öffnete. Er merkte offenbar nicht sofort, dass ich sein Hand hielt, denn er sah einfach nur an die Decke. Als ich leichten Druck auf seine Hand ausübte, sah er überrascht zu mir.

„Oh. Ich dachte, du wärst schon weg.“, meinte er ebenso überrascht und lächelte erleichtert.

Ich lächelte zurück. „Wie du siehst bin ich noch da. Was wurde gerade gemacht?“

Er schwieg einen Augenblick. Dann zog er einfach das Krankenhausshirt bis zu seinem Hals hoch, woraufhin ich seine Brust erkennen konnte. Die Decke bedeckte ihn von seiner Taille ab abwärts. Seine Brust war sauber mit weißem Leinen verbunden. Ich hob zaghaft die Hand und legte sie vorsichtig auf sein Herz. Wegen dem Verband spürte ich jedoch nichts.

„Ich komme aus der OP.“, meinte er leise.

„Du warst mit der Herz-OP einverstanden?“

Er lächelte schwach. „Ich hab so ein Mädchen kennen gelernt, das ziemlich gute Argumente vorgebracht hat.“

„Ach ja? Was sagte sie denn?“

„Das ich wahrscheinlich ihr bester Freund bin und sie mich gern hat. Sie will nicht, dass ich sterbe.“

Ich lächelte. „Du hast deine Meinung geändert, weil sie dich gern hat?“

„Nein.“ Diesmal lächelte er mich richtig an. „Ich hab sie geändert, weil sie für mich gesungen hat.“

Lachend zog ich ihn zu mir und küsste ihn auf die Wange, bevor ich ihn umarmte. Er legte ebenfalls die Arme um mich und lachte leise.

„Wie alt bist du überhaupt?“, wollte ich von ihm wissen, als ich mich kurz darauf von ihm löste.

„Das glaubst du mir sowieso nicht.“

Ich stieß ihn leicht an. „Sag schon.“

„Ich bin 19 Jahre alt.“

Ich sah ihn ungläubig an. „19?“, hakte ich nach, „Du siehst aus wie 16 oder 17.“

Er lachte leise. „Ich sag doch, du würdest mir nicht glauben.“

„Bist du wirklich 19?“

Er sah mich einen Augenblick an. Dann grinste er. „Nein. Aber fast. Ich habe in zwei Wochen Geburtstag.“

„Oh. Wann denn genau?“ Ich stützte die Ellenbogen auf der Matratze ab und den Kopf in die Hände und sah ihn neugierig an.

„Ich habe am 26.4. Geburtstag.“

Ich blinzelte. „Oh! Hast du, bis auf deine Schwester, eigentlich noch mehr Geschwister?“

„Naja... Ich habe noch einen älteren Bruder. Er ist jetzt 23. Ich glaube, er weiß nicht einmal, dass ich im Krankenhaus bin.“

„Warum?“

„Sagen wir es so. Meine Eltern haben keinen besonders guten Draht zu ihm.“

„Und du?“

Er schwieg einen Augenblick. „Ich habe mich eigentlich immer ganz gut mit ihm verstanden.“

„Warum rufst du ihn dann nicht einfach mal an?“

Er blinzelte. „Ich... Ich weiß nicht, wie er reagieren würde.“

„Dann finde es doch einfach heraus. Hast du seine Nummer?“

Er nickte. „Ja.“

„Würdest du sie mir geben?“

Er zog die Brauen zusammen. „Wenn du möchtest.“

Ich zog mein Handy aus meiner Tasche und reichte es ihm, woraufhin er die Nummer eingab und es mir zurück gab. Es war offenbar eine Handynummer. Ich speicherte sie unter dem Namen Gabriels Bruder und steckte das Handy dann wieder ein.

„Was möchtest du damit?“, wollte Gabriel wissen, als ich mich wieder an ihm wand.

„Das erfährst du noch. Gibt es eigentlich etwas, dass du dir zum Geburtstag wünschst?“

Er schwieg und überlegte. Lange. Sehr lange.

„Sag es einfach, wenn dir was einfällt.“

„Da gibt es schon etwas.“ Er zögerte etwas. „Ich hätte gerne meine eigene Gitarre. Eine Akustikgitarre.“

„Kannst du spielen?“

Er nickte. „Ich bin ziemlich gut, finde ich. Leider hatten weder ich, noch meine Eltern genug Geld für eine Gitarre.“ Er zuckte mit den Schultern.

„Was machst du eigentlich?“

Er sah mich verwirrt an. „Ich liege.“

Ich lachte leise. „Nein. Ich meine, was machst du an deinem Geburtstag?“

Wieder überlegte er. „Wahrscheinlich dasselbe wie immer. Nichts.“

„Nichts?“

„Ja. Nichts.“

„Was machst du denn, wenn du hier raus bist?“

„Wenn ich hier raus bin, laufe ich erst mal durch den Park und esse das größte Eis, dass man je gegessen hat.“

Wieder fing ich an zu lachen, da in seiner Stimme nicht nur Begeisterung, sondern auch so viel Ernst mit schwang, dass ich mir sicher war, dass er wirklich so viel Eis essen würde, wie er konnte.

 

Drei Tage später kam ich erst spät nach hause. Die Besuche bei Gabriel stehen bereits auf meinem Tagesplan und sind fest eingeplant, bis er entlassen wird. Ich habe herausgefunden, dass er leider weder Job noch Wohnung hat, da er beides kündigte, sobald er hörte, dass er wohl nicht mehr lebend aus dem Krankenhaus raus kommt. Also hatte ich ihm direkt angeboten bei uns zu wohnen, bis er wieder auf eigenen Beinen stehen konnte. Erst weigerte er sich anzunehmen, aber nachdem ich ihn ein wenig bearbeitet hatte, stimmte er doch zu. Ich musste nur noch meine Eltern davon überzeugen.

„Rika, da bist du ja!“, meinte meine Mutter, als ich direkt ins Esszimmer kam. „Ich dachte schon, du übernachtest dort.“

Mein Mundwinkel zuckte. „Nein. Wir hatten nur eine etwas längere Diskussion geführt.“

Sie nickte zustimmend. „In Ordnung. Aber komm bitte ab morgen wieder pünktlich. Oder ruf wenigstens an, wenn du zu spät kommst.“

„Mach ich.“ Ich setzte mich neben Nicko und ignorierte Riley, der neben Jason saß. Er hatte es sehr ernst gemeint als er sagte, dass er erst geht, wenn er mit mir gesprochen hat. Nachdem er die erste Nacht auf der Couch übernachtet hatte, hatte meine Mutter ihn in ein Gästezimmer gesteckt. Diese kam gerade mit meinem Abendessen herein. „Dad?“

„Ja, Kleines?“, meldete sich dieser.

„Ich hab da eine Frage.“

Er hielt mit Essen inne und schenkte mir seine ganze Aufmerksamkeit. „Was gibt’s denn?“

„Nun... es geht um Gabriel. Er hat keinen Job und keine Wohnung und... da hab ich ihm angeboten, dass er solange bei uns wohnen kann.“, erklärte ich schnell, „Geht das in Ordnung? Nur so lange, bis er wieder auf eigenen Beinen steht, natürlich. Er ist auch ganz pflegeleicht.“

Er schwieg eine Weile und dachte darüber nach. Irgendwann schürzte er die Lippen, zog die Brauen zusammen und beobachtete mich ein wenig beim Essen. „Was ist mit deiner Hand?“, wollte er nachdenklich wissen.

Ich sah überrascht zu ihm und dann auf meine Hand. Sie steckte in einem Verband. „Ich äh... Ich hab mir das Handgelenk verstaucht.“

Er zog eine Braue hoch. „Wie hast du das geschafft.“

Nun wurde ich rot. „Wir haben ein Rollstuhlwettrennen gemacht.“ Ich zog die Brauen zusammen. „Er muss geübt haben. Keiner ist auf Anhieb so schnell. Oder er hat geschummelt.“

Er lachte leise. „Warum nicht?“

Ich sah verwirrt auf. „Ich mag Schummeln aber nicht.“

„Davon spreche ich auch gar nicht.“

Stumm sah ich ihn begriffsstutzig an. Nicko neben mir lachte leise.

„Gabriel kann ruhig hier wohnen, bis er etwas gefunden hat.“, erklärte mir mein Vater.

Ich sprang lächelnd vom Stuhl auf, eilte zu ihm und fiel ihm um den Hals. „Dankeschön!“

 

Später am Abend saß ich mit dem Handy in der Hand im Wohnzimmer und starrte auf die Nummer von Gabriels Bruder. Ich biss mir leicht auf die Unterlippe und atmete kurz darauf kurz durch, bevor ich auf den grünen Knopf drückte. Ich hielt mein Handy an mein Ohr und wartete darauf, dass er abnahm.

„Jaydon Davidson.“, meldete sich eine tiefe Männerstimme.

„Äh... Hallo.“

Einen Augenblick war es still. „Wer sind Sie?“

Ich zögerte etwas, und fummelte am Saum meines T-Shirts herum. „Ich bin- Ich- äh... Sind Sie Gabriels Bruder?“

Wieder war es eine Weile still. „Wer will das wissen?“

„Ich ähm... Ich bin eine Freundin von ihm.“, antwortete ich.

„Eine Freundin?“

„Ja. Ich habe ihn im Krankenhaus kennen gelernt.“

Kurzes Zögern. „Bist du dir sicher, dass wir von dem selben Gabriel sprechen?“

„Hellbraune Haare, hellbraune Augen, 18 Jahre alt, Geburtstag am 26.4., Grübchen an den Wangen, ca. 1,90 groß?“ Als ich keine Antwort erhielt, überlegte ich, was ich ausgelassen hatte. „Er sagt, am liebsten hätte er zu seinem Geburtstag eine Gitarre.“

„Was willst du von mir?“

„Naja... Er sagt, du wärst der Einzige, dem er noch wichtig ist. Abgesehen von mir. Ich meine... Also... Ich wollte fragen, ob du an seinem Geburtstag vielleicht herkommen könntest.“

„Ich bin nicht sonderlich versessen darauf meinen Eltern zu begegnen. Er weiß warum und versteht es mittlerweile, wenn ich ihn nicht besuchen kann.“

„Er wohnt nicht bei seinen Eltern. Sie äh... Sie glauben wahrscheinlich er wäre tot.“ Bei dem letzten Wort bekam ich eine Gänsehaut. Es war erstaunlich, dass er überlebt hat. „Noch ein paar Tage, dann wäre es sogar der Fall gewesen.“

„Was?!“

„Ich sagte doch, ich habe ihn im Krankenhaus kennen gelernt.“

„Ja, aber... Man sagte, er würde es wenigstens bis zu seinem 21 Lebensjahr schaffen. Er ist erst 18.“

„Das sagte er mir auch. Aber die Medikamente halfen nicht mehr und das Einzige um ihn zu retten war ein neues Herz, aber das wollte er nicht. Er-“

„Wie geht es ihm?“, unterbrach Jaydon mich sofort.

„Es geht ihm gut. Ich- Er hat das neue Herz.“

„Du sagtest doch, er wolle keins.“

„Ich habe ihn überredet. Er ist mir ans Herz gewachsen und ich möchte nicht, dass er stirbt, weil er glaubt, er würde damit jemandem das Herz wegnehmen.“

„Er- er lebt? Und es geht ihm gut?“

„Ja. Es geht ihm prächtig. Erst heute haben wir ein Rollstuhlwettrennen gemacht.“

Er atmete lange aus. „Wann wird er entlassen?“

„Am 24. Also nächste Woche. Da meine Eltern nichts dagegen haben, wohnt er dann vorübergehend bei mir. Er hat seine Wohnung und seinen Job gekündigt, als er hörte, dass er das Krankenhaus wohl nicht mehr lebend verlassen würde. Deshalb habe ich ihm vorgeschlagen, so lange bei uns zu wohnen.“

„Wo wohnst du?“

Ich gab ihm die Adresse und die Telefon Nummer durch, woraufhin er sich bedankte und nun viel entspannter wirkte als zu Beginn des Gesprächs.

„Wie heißt du eigentlich?“, wollte er plötzlich wissen.

„Ich... Rika. Rika Traver.“ Das war mein ursprünglicher Name. Ich hatte ihn eigentlich nie abgelegt.

„Traver? Aus Sacramento?“

„Ähm... Da bin ich geboren, ja.“

„Ich habe in der Zeitung gelesen, was damals passiert ist.“

Ich blinzelte. „Warst du damals nicht ein bisschen jung.“

„Lesen konnte ich trotzdem.“

Ich antwortete nicht.

„Jedenfalls... Ich denke, ich werde zum 26. bestimmt zu euch kommen können.“

„Wirklich?“

„Ja. Ich denke, ich werde schon einen Tag früher kommen.“

„Er wird sich sicher wahnsinnig freuen dich wieder zu sehen.“, erwiderte ich lächelnd, „Aber es bleibt eine Überraschung für ihn.“

Ich werde damit kein Problem haben.“

„Gut. Dann... Ich werde sehen, dass ich irgendwo eine Gitarre für ihn auftreiben kann.“

„Zufällig weiß ich, wo man eine her bekommt. Ein guter Freund von mir, will seine verkaufen.“

„Das passt ja super.“

„Wie wäre es, wenn ich ihn frage, für wie viel er sie mir verkaufen würde. Wir können ja beide die Hälfte bezahlen, wenn du unbedingt etwas beisteuern möchtest.“

Ich begann unwillkürlich zu lächeln. „Ja. Klar.“

„Super. Ich rufe ihn dann gleich sofort an und schreibe dir eine SMS wenn ich sie habe.“

„Gut. Dann... bis zum Geburtstag.“

„Bis dann.“

Ich wartete noch bis er aufgelegt hatte und legte dann ebenfalls auf. Dann schloss ich die Augen, ließ mich erleichtert in den Sessel sinken und atmete aus.

„Mit wem hast du gesprochen?“

Ich schrie leise erschrocken auf und sah zu Nicko, der sich auf die Couch setzte und den Fernseher einschaltete. Nebenbei bemerkte ich, dass Riley sich auf die Couch gegenüber von ihm setzte und ab und zu, zu mir herüber sah.

„Entschuldigung.“, meinte Nicko, lächelte jedoch amüsiert darüber, dass ich mich erschrocken hatte. „Also. Mit wem hast du gesprochen? Mit einem Lover, den ich noch nicht kenne?“

Ich wurde rot. „Ich habe keinen Lover.“

„Ach nein? Wer ist dann nochmal Gabriel?“

„Ein Freund. Aber ich habe gar nicht mit ihm gesprochen.“

„Mit wem dann, wenn ich fragen darf.“

„Was, wenn du es nicht darfst?“

Er sah mich verdutzt an. Ich begann zu grinsen, woraufhin er mit dem Augen rollte. „Sag schon.“

„Mit Jaydon.“

Er hob eine Braue. „Wer ist Jaydon?“ Nun zog er sie zusammen und sah mich ernst an.

„Er ist Gabriels Bruder.“

„Er hat einen Bruder?“

„Ja. Er wohnt in St. George, weil er keinen besonders guten Draht zu seinen Eltern hat. Ich habe ihn gefragt, ob er zu Gabriels Geburtstag her kommen kann, weil er der Einzige ist, dem Gabriel, dessen Meinung nach, noch wichtig ist. Abgesehen von mir. Naja... und nebenbei wollen wir ihm noch eine Gitarre schenken.“

„Wow. Gute Idee.“

Ich lächelte.

„Wie alt ist er denn?“

„Wer?“, hakte ich nach.

Er grinste. „Beide.“

„Gabriel ist 18, wird 19 und Jaydon ist 23.“

„23? Dann hat er doch sicher schon einen Job.“

Ich zog die Brauen zusammen. „Gabriel sagt, er habe sich sehr dafür eingesetzt mit ein paar Freunden eine Band zu gründen, als er auszog.“

„Und Gabriel?“

„Er... Also, er hat als Dachdecker gearbeitet.“

Nicko nickte respektvoll. „Nicht schlecht.“

Ich lächelte ein wenig. „Er hat nebenbei noch Abendschule gemacht.“

Nun war Nicko offenbar sprachlos. Riley starrte mich nur stumm an.

~Kapitel 10~

Ich lächelte als ich Gabriel in die Arme nahm. Er drückte mich fest und lächelte mich an, als er mich wieder losließ. Dann nahm er die Tasche, die zu seinen Füßen lag und folgte mir aus dem Krankenhaus. Die Naht auf seiner Brust war noch nicht ganz verheilt, aber es gab dennoch keinerlei Einschränkungen. Er konnte wieder tun und lassen was er wollte.

„Ist es weit bis zu dir?“, wollte er wissen und verließ mit mir das Krankenhaus.

„Nur ein bisschen. Aber das ist egal. Nicko ist mitgekommen.“, gab ich zurück.

Er sah mich fragend an.

„Er hat ein Auto.“

„Ach so. Okay.“

Ich führte ihn zu Nickos Wagen. Nicko selbst stand an der Fahrertür und sprach mit einer Frau. Als er mich sah, lächelte er und verabschiedete sich.

„Habt ihr alles?“, wollte er wissen und nahm Gabriel die Tasche ab.

Ich sah zu Gabriel, der die Frage nur bejahte. Daraufhin stiegen wir in den Wagen und fuhren los. Das Lied, dass wir gehört hatten als wir parkten, setzte wieder ein, woraufhin Nicko ein wenig leiser drehte.

„Du bist also Gabriel.“, meinte er, als er sich in den Verkehr eingefädelt hatte.

„Jep. Gabriel Davidson.“

„Davidson? Verwandt mit Jaydon Davidson?“

Gabriel lächelte. „Er ist mein Bruder.“

„Tatsächlich?“ Nicko warf mir durch den Rückspiegel einen Blick zu.

„Ja. Kennst du ihn?“

„Kennen ist nicht der richtige Ausdruck. Ich war mit seinem besten Freund befreundet.“

„Bester Freund? Ach, Raphael?“

„Ja. Raphael Graziano.“

„Mit ihm habe ich mich auch ganz gut verstanden. Und mit seiner kleinen Schwester.“

„Ja, die Kleine ist wirklich zum anbeißen.“

„Weißt du, wie es den Beiden geht?“

Nicko schwieg lange bevor er antwortete. „Als ich Violeta das letzte Mal gesehen habe...“ Er machte eine Pause und grinste ein wenig. „Das glaubst du mir nicht.“

„Erzähl.“

Nicko grinste sofort ein wenig mehr. „Sie hat ein Kind.“

Gabriel sah ihn ungläubig an. „Nein. Ehrlich?“

„Ja. 7 Monate.“

„Wow. Wer ist der Vater?“

„Kennst du nicht. Er ist Litauer.“

„In New Bern?“

„San Diego. Sie sind umgezogen. Vorletztes Jahr.“

Nun zog er die Brauen zusammen. „Deshalb hab ich sie nie erreicht.“

Nicko lachte leise. „Ich hab sie mal besucht, bevor sie umgezogen sind. Das ist ein Wahnsinns Unterschied.“

„Warum?“

Langsam verschwand das Lachen. „Wann hast du das letzte Mal von den beiden gehört?“

„Von Letty und Raphael?“

„Ja.“

Gabriel blies die Wangen auf, atmete aus und überlegte. „Damals waren wir noch kleine Nervensägen. Das werde ich ganz bestimmt nicht vergessen. Raphael kam von einer Probe zurück und ist auf der Couch eingeschlafen. Letty und ich haben ihn mit Fingerfarbe angemalt. Als er es bemerkt hat, hat er uns so lange gekitzelt, bis uns die Tränen kamen. Dann haben mich meine Eltern abgeholt und ich habe sie nie wieder gesehen.“

Nicko seufzte leise. „Sowas wirst du wohl auch nie wieder erleben können.“

„Weil Raphael keine 17 jährigen kitzeln würde, bis sie weinen?“

„Nicht deshalb. Er... Er ist mit 16 verstorben.“

Das Lächeln verschwand aus Gabriels Gesicht. „Was? Warum?“

„Soweit ich weiß, starb er als bei ihnen eingebrochen wurde. Ich kenne nicht die ganze Geschichte. Nur, das Violeta sich die Schuld gibt und sie sich nicht mal von Levin ausreden lässt. Sie hat auch gesehen, wie es passiert ist.“ Nicko zögerte kurz. „Er wurde erstochen.“

Gabriel schwieg. Ich lehnte mich daraufhin an ihn und schlang die Arme um ihn.

„Aber Violeta geht es gut, oder?“, hakte ich nach.

Nicko nickte. „Ja. Ihr geht es fantastisch. Levin tut ihr gut. Sie lächelt wieder. Das hat sie seid der Beerdigung nicht mehr getan.“

Gabriel legte die Arme um mich und zog mich fest an sich. Dann fiel mir etwas ein.

„Nicko?“

„Ja?“ Er sah mich durch den Rückspiegel an.

„Können wir, bevor wir nach hause fahren, Eis essen gehen?“

Nun lächelte er wieder. „Natürlich, Kleines.“

 

Eine Stunde später betraten wir das Haus. Ich stöhnte vor Schmerz und hielt mir die Hände auf den Bauch.

„Ich hab dir ja gesagt, du sollst nicht so viel Eis essen.“, meinte Nicko.

„Ich kann doch nicht wissen, dass Gabriel das Eis essen im Krankenhaus geübt hat.“, gab ich zurück.

Dieser lachte leise. Wir hatten ein kleinen Wettkampf gemacht, in dem es darum ging, soviel Eis zu essen wir man konnte. Gabriel hatte haushoch gewonnen. Allerdings war ich nicht die Einzige mit Bauchschmerzen.

Ich stöhnte auf und ging direkt ins Wohnzimmer, um mich auf die Couch fallen zu lassen. „Ich esse nie wieder Eis.“, jammerte ich und drehte so den Kopf, dass ich sehen konnte, wer anwesend war.

Es waren genau zwei Personen. Riley und Jason. Gabriel folgte mir nach wenigen Sekunden und ließ sich neben mich fallen.

„Ich würde gerne das selbe sagen, aber das wäre gelogen.“, meinte Gabriel und rieb sich den Bauch.

Ich schnaubte. „Ich wette, die erste Küchenmaschine, die du dir in deine Wohnung geholt hattest, war eine Eismaschine.“

„Nein. Ein Kühlschrank mit eingebautem Gefrierschrank.", entgegnete er grinsend.

Ich murrte, kroch etwas weiter zu ihm hinauf und legte meinen Kopf auf seinen Schoß.

„Was ist? Hast du kein Kissen gefunden?“, neckte er mich.

„Warum ein Kissen, wenn ich hier schöne weiche Beine habe? Sie sind sogar warm, wer hätte das gedacht?“

Er lachte leise und bemerkte nun die anderen. „Oh! Entschuldigung... ich habe euch nicht bemerkt.“, meinte er und setzte sich ein wenig auf. „Ich bin Gabriel Davidson.“

Jason nickte. „Ich bin Jason. Rikas Bruder. Riley kennst du schon, oder?“

Gabriel nickte. Riley dagegen starrte nur auf mich herab und beachtete Gabriel nicht, als hätte er gar nicht bemerkt, dass er vorhanden war. Als mein Handy plötzlich klingelte, zuckte ich zusammen, kramte in meiner Tasche herum und nahm ab.

„Ja?“, meldete ich mich.

„Rika?“

„Oh!“ Ich setzte mich abrupt auf, stand auf und eilte aus dem Zimmer. „Hallo Jaydon.“ Ich achtete darauf, dass Gabriel mich nicht hört und ging weiter in die Küche. „Gibt es Probleme?“

„Nein. Ich wollte nur sagen, dass ich die Gitarre habe. Er hat sie mir geschenkt, weil ich ihm schon öfter von Gabriel erzählt habe. Und ich wollte sagen, dass ich schon morgen kommen wollte. Ist das okay?“

„Nun, ich denke schon. Wolltest du dann sofort herkommen, oder treffen wir uns erst mal? Dann können wir alles so besprechen und dann kommst du einfach übermorgen her.“

„Keine schlechte Idee. Also, ich rufe dich dann morgen wieder an und sag dir, wo wir uns treffen.“

„Ist gut.“

„Bis morgen.“

„Bis morgen.“ Ich legte auf, steckte mein Handy wieder ein und wollte wieder zurück gehen, als Nicko vor mir auftauchte. „Huch.“, kam es mir überrascht über die Lippen.

„Mit wem hast du denn telefoniert?“

„Äh...“ Ich sah stumm zu ihm auf, woraufhin er eine Braue hob.

„Ja?“

„Mit... äh...“

„Nun sag schon. Ich tu dir schon nichts.“ Er rollte mit den Augen. „Und du weißt, dass du mit mir reden kannst.“

Ich seufzte. „Aber du darfst Gabriel nichts davon sagen. Du darfst es nicht erwähnen oder irgendwie darauf hinweisen oder es andeuten oder-“

„Rika?“

„Ja?“

„Sag es einfach.“

„Ich hab mit Jaydon geredet.“

„Jaydon?“, hakte er nach, „Gabriels Bruder?“

„Ja. Er kommt morgen in die Stadt. Wir treffen uns. Und übermorgen kommt er dann zu Gabriels Geburtstag her. Es soll eine Überraschung sein. Und wir haben auch ein Geschenk für ihn. Ich möchte, dass es ein schöner Tag für ihn wird. Und dabei wirst du mir auch helfen müssen. Ich muss auch noch gucken, dass ich-“

„Rika?“

„- die Dekoration kaufe und dann muss ich-“

„Rika.“

„- noch ein paar Freunde einladen, damit er auch mehrere Kontakte knüpfen kann und-“

„Rika!“

„Ja?“

„Entspannt dich erst mal. Ich werde dir helfen, okay? Mach dir nicht so einen Kopf darum. Das ist alles einfacher, als du es dir gerade vorstellst. Aber mit den Freunden solltest du heute schon anfangen.“

Ich seufzte, holte mein Handy heraus und suchte Celinas Nummer heraus. „Celina und Greg kommen bestimmt. Und Mike sicher auch. Greg und Celina kennen bestimmt auch ein paar, die man einladen kann.“ Ich wählte ihre Nummer und wartete darauf, dass sie abnahm.

„Was habe ich gerade gesagt?“, wollte Nicko von mir wissen.

„Wenn ich zu spät anrufe, dann sind sie zu sehr miteinander beschäftigt und dann geht sie nicht mehr- Oh hey Celina!“

„Hallo Rika. Was gibt’s?“, wollte Celina von mir wissen.

„Haben du und Greg übermorgen Zeit?

„Äh... Moment. Liebling, hast du übermorgen Zeit?“ Im Hintergrund ertönte eine Stimme. „Ja, wir haben Zeit. Warum?“

„Nun... Ein Freund von mir hat dann Geburtstag und ich wollte euch einladen. Er hat im Moment noch nicht wirklich Kontakt mit anderen. Außer mit mir. Er war eine Weile im Krankenhaus. Könnt ihr kommen?“

„Klar.“

„Fallen dir noch ein paar andere Leute ein? Und kannst du Mike fragen, ob er auch kommt?“

Sie schwieg einen Augenblick. „Ich kümmer mich drum. Kümmer du dich um die anderen Sachen. Du wirst übermorgen schon genug Gäste haben.“

Ich atmete aus. „Aber nicht zu viele. Du weißt, was ich meine.“

„Ich werde schon nichts falsch machen, Schwester. Wir sehen uns morgen in der Schule.“

„Ja. Bis morgen.“

Sie legte auf, woraufhin ich tief seufzte und das Handy wieder einsteckte. Nicko hob eine Braue, woraufhin ich nickte. Er verstand sofort, lächelte ein wenig und tätschelte mir das Haar.

„Jetzt fehlen nur noch-“

„Rika.“, unterbrach Nicko mich, „Geh wieder zurück. Ich mach das schon mit der Dekoration.“

„Danke.“

Ich nahm ihn in die Arme, gab ihm einen Kuss auf die Wange und ging dann wieder ins Wohnzimmer. Gabriel hatte sich auf der Couch lang gemacht und machte keine Anstalt Platz zu machen, als ich näher kam. Er sah mich nur grinsend an und erzählte gerade von unserem Rollstuhlwettrennen. Ich setzte mich auf seine Hüften und sah zu Jason und Riley.

„Was machen wir jetzt?“, fragte ich in die Runde, als Gabriel fertig mit Erzählen war.

Jason schürzte die Lippen. Riley blinzelte verwundert.

„Wie wäre es mit... Kino.“, schlug Jason vor.

„Ich sag ein Spaziergang.“, meinte Gabriel.

Sie machten abwechselnd einige Vorschläge, bis Riley mitten drinnen ein Vorschlag einwarf.

„Warum gehen wir nicht ein bisschen in den Park?“, meinte er, während er aus dem Fenster sah, als würde er sich das Wetter ansehen, „Wir können ja ein Picknick machen oder so.“

Ich blinzelte überrascht. „Gute Idee.“ Ich nickte. „Auf in den Park.“

„In den Park?“, hakte Jason nach und stand mit mir auf.

„Du musst ja nicht mitkommen.“

Er lachte leise. „Und dich mit zwei Jungs allein lassen?“

„Hey, wenn du dabei bist, bin ich mit drei Jungs allein. Was findest du dann besser?“

Er fing an zu lachen, drückte mich an der Schulter an sich und küsste mich auf den Scheitel. „Ich bin doch viel zu alt für dich.“

„Das ist nicht der Einzige Grund, denke ich.“

Er sah aus dem Augenwinkel zu mir herab. „Ach nein?“

„Nein. Der wahre Grund ist der, dass ich dein schlimmstes Geheimnis hüte.“

Er lachte leise. „Wenn du wüsstest, Kleines. Hol du die Decke. Ich geh in die Küche.“

Ich rollte mit den Augen und sah ihm hinterher. „Traut er mir nicht zu, Sandwiches zu machen?“

Gabriel lachte leise. „Also ich traue dir nicht mal zu, eine Scheibe Toast einwandfrei mit Butter zu beschmieren.“

„Hey!“, rief ich aus und drehte mich zu ihm.

„Da muss ich ihm Recht geben.“, meinte Riley, „Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie du vor vier Tagen die Butter auf den Boden geworfen hast. Nicht zu vergessen, dass dir danach dein Toast runter gefallen und Jason rein getreten ist.“

Gabriel brach in Gelächter aus, während ich Riley gespielt finster ansah. Er grinste mich an, woraufhin mein Herz einen kleinen Sprung machte und ich unwillkürlich lächeln musste. Dann fiel mir etwas ein.

„Ach... Riley?“

Aufgrund des Untertones in meiner Stimme sah er mich misstrauisch an. „Ja?“

„Erinnerst du dich noch an das kleine Geschehen vorgestern?“

Er sah mich verwundert an. Ich dagegen grinste amüsiert.

„Gabriel findest das sicher auch witzig. Ich sage nur: Gemüsesuppe und- ah!“ Ich schrie abrupt auf, als er aufsprang und mich durchs Wohnzimmer jagte.

„Wenn du auch nur ein Wort davon verlierst!“, rief er, während er mir folgte als ich um die Couch herum rannte. „Ich schwöre dir, dann wachst du mit kurzen Haaren auf!“

„Das ist Körperverletzung!“, rief ich darauf nur aus und wich ihm aus, als er eine kleine Abkürzung über den Couchtisch nahm.

„Ich nenne das Rache.“, gab er lachend zurück, fing mich ein und begrub mich unter sich, als wir stolpernd zu Boden fielen.

Sein Gesicht war lachend in meinem Haar vergraben, während ich lachend unter ihm lag und meine Nase gegen sein Hals drückte.

„Ach, wir werden noch verrückt.“, meinte er als das Lachen langsam verebbte und er zu mir herab sah.

„Wir ja?“, hake ich nach, „Wohl eher du.“, lachte ich leise.

„Warum nur ich? Du bist doch schreiend durchs Wohnzimmer gerannt, wie eine Verrückte, die denkt, der Teufel wäre hinter ihr her.“

„Es war ja auch der Teufel hinter mir her.“

Er lachte leise und schüttelte den Kopf. Ich zuckte zusammen, als plötzlich ein Paar Füße neben meinem Kopf standen.

„Ah, hast du endlich wieder angefangen mit ihm zu sprechen? Ist das Kriegsbeil begraben?“, wollte Mom von mir wissen.

Ich öffnete den Mund um etwas zu sagen, hielt dann aber inne. Riley schluckte über mir und wand den Blick ab. Als Mom von Dad gerufen wurde, ging sie wieder heraus und ließ mich mit Riley und Gabriel, der noch auf der Couch lag, allein. Als nun Nicko nach Gabriel rief, stand dieser auf und ging in den Flur.

„Ich... nehme an, du möchtest es immer noch nicht hören.“, meinte Riley halblaut.

Ich zögerte eine Weile, atmete aus und sah dann zu ihm auf. „Du wirst so lange warten, bis du es mir erzählt hast, oder?“

Er war ein Augenblick still, nickte dann aber kaum merklich.

Ich schluckte den Kloß herunter, der mir im Hals hing und zögerte ein wenig. „Okay.“, meinte ich dann leise, „Ich höre.“

Er schwieg eine Weile, den Blick abgewandt, und schien nachzudenken. „Also... Zuerst, wegen der Nacht damals.“ Ich zuckte zusammen und senkte den Blick. „Ich... hatte Angst. Ich hatte panische Angst, dir weh zu tun. Ich weiß, du wolltest bei mir schlafen. Neben mir. Aber genau das war es, was mir Angst gemacht hat. Angenommen, es wäre wieder passiert und ich wäre nicht aufgewacht. Was dann? In einem anderen Traum hätte ich-“ Er unterbrach sich selbst, schwieg kurz und fuhr dann fort. „Ich wollte dir nicht weh tun. Und das im Café... Ich... Du hast mir so gefehlt und... Ich hatte einfach den Drang... Ich wollte dich packen und nie wieder loslassen. Am liebsten hätte ich dich geküsst, bis du keine Luft mehr bekommst. Ich wollte dich nie wieder vermissen. Ich möchte dich nie wieder vermissen. Rika, ich liebe dich von ganzem Herzen und es tut weh, dich nicht an meiner Seite zu haben. So oft musste ich mitten in der Nacht damit kämpfen, nicht einfach in dein Zimmer zu gehen um dich wenigstens sehen zu können.“ Er sah verzweifelt zu mir herab, während ich stumm zu ihm hinauf sah. „Ich tue alles was du willst. Alles. Aber bitte vergib mir. Verzeih mir, was ich dir angetan habe. Ich wollte dir nie weh tun oder dich bedrängen. Ich liebe dich nur so sehr.“

Eine einzelne Träne glitt über seine Wange und tropfte auf meine Wange. Er sah herab, fluchte leise und atmete kurz durch, bevor er wieder schluckte. Dann fluchte er erneut, drehte den Kopf zur Seite und drückte den Mund an seine Schulter, als würde er sich etwas verkneifen. Ich senkte den Blick auf die kleine Kuhle unter seinem Hals und merkte wie auch mir die Tränen kamen. Er hatte im Café einfach nur die Kontrolle verloren und hatte damals nicht bei mir schlafen wollen, weil er so wahnsinnige Angst hatte, mir weh zu tun. Hatte ich ihm Unrecht getan? Immerhin hatte er es gut gemein, als er sich mir verweigert hatte. Und das er die Kontrolle verloren hatte, war doch ein Beweis dafür, dass er mich wirklich liebte... oder?

Ich kniff einen Augenblick lang die Augen zusammen um den Kopf frei zu bekommen und sah dann wieder zu Riley auf, der sich nicht bewegt hatte. „Kein Alkohol“, meinte ich dann.

Er sah zu mir herab. „Wie bitte?“

„Du trinkst nie wieder Alkohol. Du sagtest, dass dir... das nur passieren, wenn du Alkohol intus hast. Also trink einfach kein Alkohol mehr.“

Er nickte. „Alles was du willst.“, wiederholte er.

„Und wenn du merkst, dass du die Kontrolle verlierst, sag es mir bitte.“

Er zögerte kurz, nickte dann aber wieder.

„Küss mich.“

Er sah zaghaft zu mir herab. „Habe... ich mich gerade verhört?“

„Ich möchte, dass du mich küsst.“, wiederholte ich langsamer.

Sein Mund stand offen, während er zu mir herunter sah. Nachdem er ein wenig gezögert hatte, senkte der zaghaft den Kopf und küsste mich vorsichtig. Er küsste mich erst nur leicht, dann ließ er es langsam zu, leidenschaftlicher zu werden und legte mir eine Hand in den Nacken. Es dauerte nicht lange, bis er eine Hand in meinem Schopf vergrub und seinen Arm um meine Taille legte, um mich an sich zu ziehen. Meine Hände waren unbewusst zu seinen Schultern gewandert, bevor ich die Arme um seinen Hals gelegt hatte und innerlich hoffte, das der Moment noch lange anhielt. Meine Hand wanderte von seinem Nacken zu seinem Schopf hinauf und hinab zu seiner Wange. Er hielt kurz inne, um zu mir herab zu blicken, senkte dann aber wieder den Kopf um mich erneut zu küssen. Ich war so in dem Kuss vertieft, dass ich nicht einmal hörte, wie man nach mir rief. Ich merkte nicht, dass Jason ins Wohnzimmer kam und uns eine Weile beobachtete, bevor er das Wohnzimmer verließ und jemandem etwas zurief.

Kurz darauf wurden wir jedoch sanft von jemandem angestuppst, weshalb Riley sich überrascht von mir löste und auf sah. Ich folgte seinem Blick und sah somit zu Nicko hinauf, der mit gehobener Braue zu uns herab sah.

„Sagtest du damals nicht, es sei dir ernst, dass du nie wieder mit ihm sprichst?“, meinte er amüsiert und lächelte warm, wobei er Riley die Hand reichte um ihm aufzuhelfen.

Ich merkte wie ich rot wurde und beeilte mich aufzustehen. „Ich... Also... Ich habe es mir anders überlegt.“, gab ich zurück und rieb mir die Hände an meiner Hose ab.

„Das habe ich gesehen. Jason hatte die Idee ein paar DVDs in den DVD-Player zu schieben, weil es gerade angefangen hat zu regnen, aber ihr habt ja das Wohnzimmer blockiert. Hättet ihr zwei Lust mitzumachen? Gabriel war sofort Feuer und Flamme.“

Ich lächelte. „Gerne.“

Riley nickte ebenfalls. „Wird sicher Spaß machen.“

„Gut. Ich sage nur noch den anderen Bescheid. Wir werden wohl die Möbel an die Wand schieben müssen. Jason will, dass wir alle hier übernachten.“ Nicko schüttelte den Kopf und zuckte dann mit den Schultern.

„Machen wir ihm die Freude.“, meinte ich und seufzte kurz, bevor ich Richtung Wohnzimmertür ging.

„Wohin gehst du jetzt?“, wollte Nicko verwundert wissen.

Ich schmunzelte. „Ich gehe mich umziehen. Wenn ich hier schlafe, dann bestimmt nicht in Jeans.“

Nicko schnaubte amüsiert und sah sich kurz im Raum um, während ich diesen verließ und hinauf in mein Zimmer ging. Während ich mich umzog, hörte ich unten viel Lärm von den herum geschobenen Möbeln. Als ich fertig war, war es bereits wieder leise. Im Flur begegnete ich kurz Jason, der sich wohl ebenfalls etwas zum Schlafen anziehen wollte.

„Du trägst was beim Schlafen?“, neckte ich ihn.

Er grinste mich spitzbübisch an. „Nur heute Nacht.“ Er zwinkerte mir zu. „Damit du nicht rot wirst.“

Ich lachte leise, wurde aber schon bei dem Gedanken rot und eilte dann weiter nach unten. Im Wohnzimmer waren die Jungs bereits in Boxershorts und versuchten den Boden so gemütlich wie möglich zu machen. Dafür verwendeten sie eine Menge Decken und Kissen. Letzten Endes schien es ganz gemütlich zu sein, wäre da nicht die Tatsache, dass es nun keine Decke zum Zudecken gab. Als Nicko das bemerkte, seufzte er und eilte nach oben. Nicht, ohne vor mir stehen zu bleiben und mich kurz zu betrachten.

„Sieht hübsch aus.“, meinte er lächelnd.

Ich lächelte zurück. „Danke.“ Es war mein Lieblings Schlaf-T-Shirt. Es war rot und unten war ein Rotfuchs aufgedruckt. Daneben stand „Lovesick because of you“. Auf der Rückseite stand „You've stolen my heart“. Als ich das T-Shirt sah, musste ich es einfach haben.

„Wie niedlich.“, bemerkte Gabriel grinsend.

Ich grinste zurück. „Zumindest niedlicher als du.“

„Hey!“

Ich lachte, ging zu ihm herüber und küsste ihn kurz auf die Wange, woraufhin er mich mit einem Ruck in seine Arme zog und fest hielt.

„Sie gehört mir!“, rief er aus und vergrub sein Gesicht in meinem Schopf.

Ich lachte leise. „Ich gehöre hier niemandem. Nicko ist ja gerade raus gegangen.“

Gabriel schnaubte, während Riley leise lachte. Ich dagegen wand mich aus der Umarmung und ließ mich dann mitten auf unserer Schlafstätte nieder. Wenige Augenblicke später kam Nicko mit ein paar Decke zurück. Ich zählte durch. Es waren sechs. Aber...

„Wir sind doch nur fünf.“

Nicko sah zu mir auf. „Was? Ach, nein. Annie ist auch hier.“

„Ach ja?“

Er nickte und wenig später betrat sie mit Jason das Wohnzimmer. Ich stand auf um sie zu umarmen, stellte sie und Gabriel kurz einander vor und setzte mich dann wieder auf meinen Platz. Nicko hatte mir bereits eine Decke gegeben und war gerade in der Küche um ein paar Snacks zu holen, während Jason mit den Filmen beschäftigt war und Riley sich neben mir nieder ließ.

Dann hielt er plötzlich inne. „Es stört doch nicht, wenn ich hier schlafe, oder?“, wollte er leicht besorgt wissen und sah zu mir.

Ich schüttelte den Kopf. „Ist schon gut so.“

Gabriel beschlagnahmte den Platz auf der anderen Seite. „Dauert es noch sehr lange?“, wollte er nebenbei wissen und machte es sich gemütlich.

Ich sah zu Jason. „Wie viele Filme suchst du aus?“, wollte ich von ihm wissen.

„Drei.“, gab er zurück., „Wir müssen ja auch irgendwann schlafen.“

„Wie spät ist es eigentlich?“, fragte Annie von der Couch aus.

„18 Uhr.“, antwortete Nicko, der gerade wieder herein kam.

Ich drehte mich herum, um zu sehen was er mitgebracht hatte. „Keine Getränke?“, hakte ich nach.

„Die hole ich noch.“, gab er zurück und stellte die Snacks dort ab, wo wir am besten heran kamen. Zwischen die einzelnen Kissen. Dann ging er wieder in die Küche.

Jason pflanzte sich am Rand auf der Seite, auf der Gabriel lag. Als Nicko wieder kam, verteilte er ein paar Flaschen Wasser und machte es sich dann neben Riley gemütlich, da das der letzte freie Platz war.

„Jason?“, meldete ich mich.

„Ja?“, ertönte seine Stimme links von mir.

„Kann es sein, dass du vergessen hast, eine DVD einzulegen?“

Er zögerte etwas, stand dann aber unter leisem Gelächter aus und legte eine CD ein. „Das ist The Cave. Den habe ich erst vorgestern gekauft.“

„Ist der gut?“, wollte Annie wissen.

„Keine Ahnung. Ich habe ihn noch nicht gesehen, aber der Trailer ist gut. Es ist ein Horror oder so.“

„Na super.“, murmelte ich und zog schon mal die Decke höher.

 

Eine halbe Stunde später lag ich bereits ganz unter der Decke und hatte mich bei Riley verkrochen, während ich bei jedem plötzlichem Geräusch zusammen zuckte. Als der Film irgendwann offenbar zu ende war, streckte er sich und zog die Decke runter.

„Du kannst jetzt wieder auftauchen.“, meinte er amüsiert, „Der Film ist vorbei.“

„Bist du sicher?“, hakte ich nach, „Manchmal kommt noch etwas nach dem Abspann.“

Er grinste zu mir herab, während ich mich an seinen Bauch klammerte und ich zaghaft zu ihm aufsah. „Ja, ich bin mir sicher.“

Ich hatte mein Gesicht die ganze Zeit an seine Brust gedrückt und drehte den Kopf langsam zur Seite um zu den anderen zu sehen. Annie löste sich gerade von Jasons Arm, damit dieser aufstehen konnte. Gabriel streckte sich und fuhr sich durchs Haar. Auf der anderen Seite stellte ich fest, dass Nicko mich amüsiert ansah. Ich murrte und drückte mein Gesicht wieder an Rileys Brust, woraufhin dieser leise lachte und den Kopf auf meinen Schopf legte, wie er es getan hatte, als er Film noch lief.

„Was für ein Film ist es diesmal?“, wollte Annie wissen.

„Moment.“ Ich hörte wie er eine CD einlegte und die DVD-Hülle zudrückte. „Cutthroat Island.“

Ich drehte mich überrascht um. „Wo hast du den denn ausgegraben?“

Er lachte und machte es sich wieder neben Annie gemütlich. „Frag nicht. Guck einfach.“

Und wie ich guckte. Riley schien jedoch mehr damit beschäftigt zu sein mich anzusehen, als den Film. Ab und zu hörte ich ihn leise seufzen. Irgendwann nahm ich nach einem der besagten Seufzer seine Hand und drückte sie liebevoll. Er verschränkte darauf unsere Finger und zog mich sanft zu sich. Ich ließ es geschehen und lehnte mich an ihn, während ich mir den Film aufmerksam ansah. Er war eigentlich relativ alt und mit älteren Methoden gemacht. Aber er gefiel mir trotzdem. Der dritte Film jedoch war mir zu langweilig. Jason wollte unbedingt Alexander der Große gucken. Ich gähnte irgendwann und lehnte meinen Kopf an Rileys Schulter, der offenbar ebenfalls müde war. Als der Film endlich vorbei war, löste ich mich von Riley, an dem ich fast eingeschlafen war, und machte es mir auf meinem Platz gemütlich, während Riley es mir gleich tat, dabei zu mir herüber rückte und einen Arm um mich legte. Ich lächelte darüber und drehte mich zu ihm um, um mich an ihn zu kuscheln, bevor ich ins Land der Träume glitt.

 

Ich wurde davon wach, dass ich geküsst wurde und kam langsam zu mir, woraufhin ich kurz blinzelte und seufzte, als ich Riley erkannte. Es war noch dunkel und die Anderen schliefen noch. Ich legte Riley vorsichtig die Hand an die Wange, woraufhin er seufzte und sich halb auf mich rollte. Irgendwann kam es mir vor, als wäre ich wieder eingeschlafen. Mein Traum erschreckte mich ein wenig.

 

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich vollkommen entspannt, glücklich und irgendwie ausgeglichen. Ich stellte sofort fest, dass Riley offenbar auf mir lag, die Arme fest um mich geschlungen, das Gesicht an meiner Schulter. Wenige Sekunden später regte Riley sich langsam und stöhnte, bevor er kurz darauf den Kopf hob und zu mir sah.

„Guten Morgen.“, murmelte er und küsste mich kurz.

„Guten Morgen.“, gab ich zurück, „Sag mal... Wie bist du auf mich rauf gekommen?“

Er sah mich eine Weile an, zog die Brauen zusammen und sah nachdenklich auf mich herab. „Ich... weiß nicht genau. Ich weiß nur, dass ich in der Nacht aufgewacht bin und dich nur küssen wollte. Dann bin ich, glaube ich, wieder eingeschlafen.“ Er küsste mich erneut. „Aber ich habe einen netten Traum gehabt.“ Er grinste mich an.

„Ach ja?“

„Ja.“

„Darf ich fragen, wovon du geträumt hast?“

„Mmmh. Von uns beiden.“ Er küsste mich abermals. „Wir haben-“ Er hatte sich gerade mit den Armen abgestützt, als er abrupt inne hielt.

Ich tat es ihm gleich und sah einen Augenblick starr zu ihm herauf, bevor ich an mir herunter sah. „Riley? W-warum... Wo sind...“

Er schluckte. „Ich habe das schlechte Gefühl, dass ich nicht geträumt habe.“

„Dann haben wir wahrscheinlich dasselbe geträumt.“

Er zögerte eine Weile, bewegte dann vorsichtig seine Hüfte und fluchte, bevor er scharf ausatmete und die Augen schloss. „Rika?“

„Oh Gott.“, meinte ich darauf, „Oh mein Gott.“

„Es tut mir Leid.“

„Wo- Wo sind meine Sachen?“

„Ich weiß es nicht.“ Er tastete unter der Decke, während ich versuchte mich umzusehen. „Ich glaube, ich habe etwas gefunden.“, meinte er irgendwann und zog etwas hervor.

Ich sah zu ihm auf und sah direkt auf meinen Slip. Ich riss es ihm aus der Hand und unterdrückte einen Aufschrei. „Riley, könntest du bitte...“

Er erhob sich von mir, weshalb ich schauderte und die Augen schloss. Offenbar war er direkt eingeschlafen. Er legte sich vorsichtig neben mich und achtete dabei darauf, dass die Decke nicht verrutschte. „Es tut mir Leid.“

Ich achtete nicht darauf und zog mir den Slip wieder an. Kurz darauf reichte mir Riley auch meinen BH und fand mein Schlaf-T-Shirt über meinem Kissen. Er entschuldigte sich am laufendem Bande, während ich mich fluchend anzog und dann aufstand. Er hatte unterdessen auch seine Shorts gefunden und stand auf, als ich Anstalt machte, das Wohnzimmer zu verlassen.

„Rika.“

Ich ignorierte ihn und eilte weiter ins Bad.

„Rika, warte. Hör mir zu. Bitte.“

Ich schloss hinter mir die Tür, schloss ab und eilte zum Waschbecken, wo ich mir erst einmal mit kaltem Wasser das Gesicht wusch. Dann sah ich lange in den Spiegel, schluckte hart und fragte mich, wie ich es Riley sagen sollte.

„Rika?“ Er klopfte. „Rika, bitte mach die Tür auf. Es tut mir Leid. Ich weiß, du warst noch nicht so weit, aber ich dachte, ich hätte geträumt. Wenn ich gewusst hätte, dass ich wach bin... Ich hätte aufgehört. Rika, bitte. Ich... ich liebe dich.“

Mir stiegen Tränen in die Augen, weshalb ich fast den Knutschfleck an meinem Hals übersehen hätte. Ich wischte mir die Tränen weg. Dann ging ich an die Tür und zögerte ein wenig, bevor ich nach dem Schlüssel griff, die Hand dann jedoch wieder weg zog.

„Mach bitte auf.“, ertönte Rileys Stimme auf der anderen Seite.

Ich lief einmal in einen kleinen Kreis durchs Badezimmer, schloss dann aber auf und öffnete die Tür. Fast augenblicklich danach stürzte ich mich in seine Arme und hielt ihn fest umschlungen. Er hielt mich erleichtert fest und küsste mich auf die Stirn.

„Ich habe Angst.“, meinte ich halblaut.

„Es tut mir Leid. Es tut mir so Leid.“, gab er darauf zurück.

Ich schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht. Es ist nicht schlimm, dass es passiert ist. Ich wollte zwar wirklich noch warten, aber es ist nicht so schlimm. Es ist eher... Ich... Riley.“

Er sah leicht verwirrt zu mir herab. „Was ist? Wenn es nicht das ist, was ist es dann?“

„Ich... Du... hast nicht... also... Du hast nicht verhütet und ich-ich nehme die Pille nicht und noch dazu habe ich gerade meine fruchtbaren Tage.“, sprudelte es aus mir heraus, „Was ist, wenn ich schwanger werde? Riley, ich möchte kein Kind. Noch nicht. Es ist viel zu früh! Ich habe Angst.“

Während ich sprach wurde er etwas blass, fasste sich aber schnell und drückte mich beruhigend an sich. „Ist schon gut. Du wirst nicht schwanger. Es ist alles in Ordnung.“

„Ich habe Angst davor Riley.“

„Mach dir keine Sorgen. Es wird alles gut.“

„Was ist denn los?“, wollte Nicko wissen, der hinauf gekommen war.

Riley seufzte leise, während ich mich daran erinnerte, dass all das direkt neben ihm passiert war.

„Oh Gott.“, kam es mir über die Lippen, während ich mein hochrotes Gesicht an Rileys Brust verbarg.

Dieser atmete erleichtert durch, als er merkte, dass meine Angst nicht mehr die Überhand hatte.

„Ist alles mit ihr in Ordnung?“, wollte Nicko besorgt wissen und kam zu uns herüber.

„Wir hatten einen... kleinen Unfall. Letzte Nacht.“

„Unfall? Letzte Nacht?“, hakte er nach, „Ihr habt doch direkt neben mir geschlafen.“

Als ich kurz zu Riley hinauf lugte, stellte ich fest, dass er nun auch rot wurde. „Nun... wir... also... Der Unfall... passierte... direkt neben dir.“

Eine Weile starrte er uns nur an. Dann schien es Klick zu machen, denn sein Mund klappte plötzlich auf. „Ihr habt- ihr habt- Ihr hattet Sex?“

Ich wurde noch roter und drückte mein Gesicht an Rileys Brust.

„Es war... nicht beabsichtigt.“, versuchte er zu erklären, „Wir... wir... also...“

„Ihr hattet Sex?“, wiederholte er, „Direkt neben mir?“

Als ich vorsichtig zu Nicko sah, stellte ich fest, dass er etwas blass wurde.

„Meine Schwester... hatte neben mir Sex. Sie war... nackt... neben mir. Ihr ward... beide nackt... neben mir.“ Er atmete kurz durch, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und sah dann zaghaft wieder auf. „Aber ihr... ihr habt... Habt ihr wenigstens verhütet?“

Mein Gesicht glühte und als Riley nichts sagte, fluchte Nicko leise.

„Heut ist nicht mein Tag.“, meinte er dann, „Heut ist definitiv nicht mein Tag.“ Einen Moment überlegte er, seufzte dann aber leise. „Kommt, geht euch duschen, zieht euch etwas an und geht dann runter. Ich mache unterdessen Frühstück. Das bleibt besser erst mal unter uns.“

Ich nickte kurz und ging dann direkt wieder ins Bad. Nach kurzem Zögern folgte Riley mir schüchtern und schloss die Tür hinter sich ab.

„Es... stört dich doch nicht... oder?“ Eine leichte Röte lag in seinem Gesicht.

Ebenfalls rot geworden schüttelte ich den Kopf. „Du... kannst mir ja den Rücken schrubben.“

Das zauberte ein schräges Lächeln in sein Gesicht. „Ich tue alles für dich.“

~Kapitel 11~

Etwa eine Stunde später betrat ich mit Riley das Esszimmer. Es überraschte mich, dass nur Nicko dort saß und wartete. Als er uns hörte, sah er auf und lächelte uns leicht zu.

„Ich muss mit dir sprechen Rika.“, meinte er, als ich mich mit Riley setzte.

„Worum geht es?“, wollte ich wissen und sah meinen Bruder fragend an.

„Erinnerst du dich daran, wie ich dir sagte, dass ich für eine Weile weggehen würde?“

„Ja.“

„Nun... jetzt ist es soweit. Ich werde einen allerletzten Auftrag erledigen und deshalb möchte ich dich bitten, ganz besonders aufmerksam zu sein und auf dich aufzupassen. Auch dich möchte ich darum bitten auf sie acht zu geben.“, fügte Nicko an Riley hinzu, „Es ist eine Mission, bei der der Feind sich etwas suchen wird, was mich oder meine Kameraden schwächen kann.“

„Aber warum soll ich dann auf mich aufpassen?“, wollte ich verwirrt wissen.

„Rika, du bist meine einzige Schwäche. Wenn man dich entführen oder verletzen würde... Verstehst du, was ich dir sagen möchte?“

Ich nickte langsam, um zu zeigen, dass ich es verstand. „Ich werde auf mich aufpassen.“

„Gut. Es wird zwei vielleicht drei Monate dauern, aber dann bin ich wieder voll für dich da, versprochen.“

„Drei Monate.“, wiederholte ich und zögerte ein wenig, „Ist es gefährlich?“

Er senkte den Blick und nickte langsam. „Ja. Es ist sehr gefährlich. Deshalb möchte ich, dass auf dich so gut es geht aufgepasst wird.“

„Es kann also gut sein, dass du dabei verletzt wirst?“

Schräg lächelte er mich an und streichelte mir über den Schopf. „Ich werde auf mich aufpassen.“

„Aber die Gefahr besteht, oder?“

„Leider ja. Aber ich kann dir versichern, dass ich in den letzten fünf Jahren nicht eine einzige schlimme Verletzung hatte.“

Ohne zu zögern stand ich auf und ging zu ihm herüber, um mich auf seinen Schoß zu setzen und die Arme um ihn zu schlingen. „Wenn du verletzt werden kannst, heißt das, dass du auch... dass du... Ich will nicht, dass du gehst.“

Er legte die Arme fest um mich und vergrub sein Gesicht in meinem Haar, als ich mich an ihn lehnte. „Ich verspreche dir, ich werde gesund und munter wiederkommen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Du darfst nicht gehen.“

„Rika, ich muss. Es wäre gefährlicher nicht zu gehen. Danach bin ich für immer bei dir, hörst du?“

„Aber wenn etwas schief geht, dann kommst du nicht mehr wieder.“ Tränen schossen mir bei dem Gedanken in die Augen.

„Rika, ich...“ Als seine Stimme brach, drückte er mich etwas fester an sich und küsste mich auf den Scheitel. „Ich komme zurück. Das verspreche ich dir.“

Als ich draußen ein Hupen hörte, erfasste mich Panik. „Nicht jetzt schon. Bitte!“

Er stand langsam auf. „Es tut mir leid, Rika.“

Leise weinend ging ich mit ihm in den Eingangsbereich, wo eine Tasche bereits lag. Er drückte mich nochmals an sich, streichelte mir übers Haar und küsste mich auf die Stirn, bevor er mich losließ und seine Tasche nahm. Riley legte mir tröstend einen Arm um die Taille, während ich zusah, wie Nicko die Tür öffnete, leise durchatmete und hinaus ging. Er schaffte es vielleicht fünf Meter weit, bevor ich hinterher stürzte und ihn festhielt.

„Geh nicht Nicko. Bitte geh nicht. Ich will nicht, dass du gehst. Bleib bei mir.“

„Rika, ich... Ich kann nicht bleiben.“ Er stellte seine Tasche ab, drehte sich zu mir und nahm sanft mein Gesicht in seine Hände. „Wenn es nach mir ginge, würde ich auch lieber hier bleiben, aber ich kann nicht. Wenn ich bleiben würde, wären sie gezwungen mich zu holen. Das könnte sogar gefährlich für dich werden. Es tut mir so unsagbar leid, dass ich gehen muss, aber- Rika, es tut mir so leid.“

Ein erneutes Hupen brachte ihn dazu, mich innig auf die Stirn zu küssen, bevor er mich losließ und mit der Tasche in der Hand zu dem wartenden Auto zu gehen. Ich hörte wage, wie jemand zu mir kam, als ich langsam auf die Knie sank und die Arme um mich schlang. Im nächsten Moment kniete Riley neben mir und zog mich an sich. Schluchzend krallte ich mich an seinem Oberteil fest, während er mir tröstende Worte zusprach und beruhigend über den Rücken streichelte.

Nach einer Weile half er mir vorsichtig auf und hielt mich eng an sich gedrückt, als er mit mir wieder hinein ging. Jason, der gerade in die Küche gehen wollte, blieb abrupt stehen und sah mich besorgt an.

„Rika? Was ist los? Was ist passiert?“, wollte er wissen und kam zu uns herüber.

„Nicko ist gerade für ein paar Monate weggefahren.“, erklärte Riley.

„Was? Warum? Er wollte doch hierbleiben.“

„Er hat etwas von einem letzten Auftrag erzählt.“

„Und was hat Rika dann so zum weinen gebracht?“

Riley zögerte ein wenig und zog mich enger an sich. „Der Auftrag ist ziemlich gefährlich. Und sie hat Angst, dass er nicht zurück kommt. Sie wollte ihn nicht einmal gehen lassen.“

„Rika...“ Jason legte mir sanft eine Hand auf den Rücken. „Nicko ist sehr gut in dem was er tut. Glaub mir. Er wird zurück kommen.“

„Wie kannst du dir da so sicher sein?“, wollte ich von ihm wissen.

„Er sagte doch, er kommt zurück, oder nicht?“

Ich nickte stumm.

„Dann wird er das auch tun. Glaub mir.“

Hoffentlich hielt Nicko sein Versprechen.

 

Mein Handy weckte mich aus meinem kleinen Nickerchen, den ich im Wohnzimmer auf der Couch genommen hatte. Verschlafen hob ich den Kopf von Rileys Schoß und holte mein Handy aus der Tasche, um abzunehmen.

„Ja?“, meldete ich mich.

„Jaydon hier.“

„Oh. Ja. Stimmt.“

„Störe ich?“

„Nein. Ich... hab nur nicht mehr dran gedacht.“

„Wie sieht es mit dem Treffen aus?“

„Gut. Ähm... Wo?“

„Ich hab im Nadias ein Tisch reserviert. Auf den Namen Gregson.“

„Ach... okay. Also... kann ich meinen Freund mitbringen?“

„Natürlich. Dann also in einer Stunde?“

„Ja, das ist in Ordnung.“

„Gut. Bis dann.“

„Bis dann.“

Mit diesen Worten legte ich auf, atmete einmal kurz durch und sah dann zu Riley auf.

„Wo willst du mich mithin nehmen?“, wollte er neugierig wissen.

„Ins Nadias.“, antwortete ich mit einem Lächeln, „Ich muss mich nur schnell umziehen.“

„Wenn du möchtest, helfe ich dir dabei.“

Eine leichte Röte legte sich ein mein Gesicht. „Nein. Ich bin ein großes Mädchen.“

Amüsiert sah er mir nach, als ich das Wohnzimmer verließ. Eine Stunde später betrat ich mit Riley das Nadias und sah mich um. Ich hatte es bisher nur von außen gesehen und musste sagen, dass es einfach umwerfend war. Und teuer. Sofort eilte auch eine Kellnerin herbei.

„Willkommen im Nadias. Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Wir... Wir treffen uns mit jemandem. Es wurde ein Tisch reserviert.“, erklärte ich unsicher.

Sie wand sich an einen kleinen Computer, der links von uns auf einem kleinen Empfang stand. „Unter welchem Namen?“, wollte sie wissen.

„Gregson.“

„Ah ja. Folgen Sie mir bitte.“

Riley drückte mir ermutigend die Hand, als wir der Kellnerin zu einem Tisch folgten, der etwas abgeschieden war.

„Mr. Gregson. Ihr Gäste sind da.“

Da die Kellnerin mir den Blick versperrte, konnte ich ihn nicht sehen. Dennoch hörte ich gut, wie er seinen Stuhl zurück schob und aufstand.

„Vielen dank. Bringen Sie doch bitte die Karte.“

„Kommt sofort.“

Damit ging die Kellnerin wieder, woraufhin ich Jaydon nun erkennen konnte. Er schien ziemlich überrascht.

„Rika?“, versuchte er es vorsichtig.

„Ja.“

Erleichtert bedeutete er uns mit einer Geste uns zu setzen. „Setzt euch nur.“

„Gerne. Das hier ist Riley.“

„Freut mich dich kennenzulernen.“, begrüßte Jaydon ihn mit einem leichten Lächeln, als sie sich die Hand gaben.

„Mich ebenfalls.“, entgegnete Riley und schob mir einen Stuhl zurück, bevor er mir einen kurzen Kuss gab und sich neben mich setzte.

„So... du bist also das Mädchen, dass meinem Bruder das Leben gerettet hat.“, begann Jaydon freundlich und lächelte leicht. „Ich hoffe, es geht ihm gut.“

„Sehr gut sogar. Als ich ihn das erste Mal im Krankenhaus gesehen habe, hätte ich nie gedacht, dass er so... lebensfroh ist.“, antwortete ich.

„Früher war er ein ziemlich hyperaktives Kind.“

„Du kannst es sicher kaum abwarten ihn wiederzusehen.“

Er nickte. „Oh ja. Ich frage mich die ganze Zeit, was er wohl sagen wird.“

„Er wird sich sicher wahnsinnig freuen.“

„Das hoffe ich. Also... wie wollen wir es nun machen? Soll ich morgen einfach dort auftauchen?“

Mit einem Lächeln begann ich ihm zu erzählen was ich geplant hatte. Er hörte aufmerksam zu, bestellte nebenbei das Essen und hörte auch während dem Essen weiter zu. Schließlich nickte er bedächtig.

„Ja, das ist eine gute Idee.“, meinte er schließlich, „Um die SMSs kann äh...“ Er sah Riley einen Moment nachdenklich an. „Riley, richtig? Darum kannst du dich doch sicher kümmern.“

„Kein Problem.“, antwortete dieser und sah dann fragend zu mir. „Wie schmeckt deine Pasta?“

„Hab noch nie so lecker gegessen.“, antwortete ich, „Außer natürlich, als ich bei dir geschlafen hab.“, ergänzte ich dann amüsiert.

Er lachte leise.

„Wie schmeckt dein Auflauf?“

„Nicht so gut wie du.“

Ich wurde rot. Wenig später hielt er mir seine Gabel mit etwas Auflauf an den Mund.

„Probier mal.“

Zaghaft probierte ich und blinzelte dann. „Das schmeckt gut!“

„Nicht so gut wie du.“, wiederholte er und lachte leise, als ich erneut rot wurde. „Ich liebe es, wenn du rot wirst.“

„Du bist fies.“

„Ach ja? Warum?“

„Weil du mich dazu bringst rot zu werden. Ich mag es nicht, wenn ich rot werde.“

Amüsiert sah er auf mich herab. „Ich mag es aber.“

„Warum?“

„Weil es süß aussieht.“

„Ich bin aber nicht süß.“

„Oh doch, das bist du.“

„Bin ich nicht.“

Jaydon sah uns amüsiert zu.

„Ob du es mir nun glaubst oder nicht, aber du bist süß. Und du kannst nichts dagegen tun.“

Ich schnaubte.

„Das ist auch süß.“

Finster sah ich zu ihm auf.

„Und das auch. Meinst du nicht auch, dass sie einfach zum anbeißen aussieht?“, wollte er dann von Jaydon wissen.

Dieser nickte und brach in Gelächter aus, als ich ihn entsetzt ansah. „Niedlich deine Kleine.“, meinte er dann an Riley.

„Nicht nur niedlich.“, entgegnete dieser, „Sie ist einfach wundervoll.“ Während er das sagte, sah er zu mir herab und spielte ein wenig mit meinen Haaren. „Etwas wortkarg...“ Er grinste mich amüsiert an. „Aber wundervoll.“

„Wortkarg.“, wiederholte ich halblaut.

„Naja... statistisch gesehen hast du in deinem ganzen Leben im Durchschnitt sicher weniger als ein Wort am Tag gesagt.“

Ich sah ihn verdattert an. Dann machte es Klick und ich begann leise zu lachen. „Ja, ganz bestimmt.“

„Ich glaube, den Witz habe ich nicht verstanden.“, bemerkte Jaydon.

„Also... Rika war, seit sie fünf Jahre alt war, bis vor wenigen Wochen stumm.“

„Ach so? Das wusste ich nicht.“

Ich verzog ein wenig das Gesicht. „Es war kein gewünschter Zustand. Aber es war nun mal so.“

Riley küsste mich sanft auf die Schläfe. „Ich liebe dich trotzdem.“

Verlegen sah ich auf den Tisch herab.

„Zurück zum Thema.“, meinte Jaydon wenig später, „Um wie viel Uhr soll ich vorfahren?“

„Findest du 20 Uhr zu spät?“

„Nein.“

„Gut. Dann um 20 Uhr.“

 

Ich streckte mich müde und kuschelte mich an die warme Brust neben mir. Der Besitzer der Brust seufzte leise im Schlaf, drehte sich auf die Seite und zog mich an sich.

„Riley?“, murmelte ich müde.

„Mmmh?“, machte er darauf verschlafen.

„Wie spät ist es?“

„Weiß nicht.“

„Siehst du nach?“

Er murrte ein wenig, stützte sich ein wenig mit den Armen ab und ließ sich dann wieder ins Kissen fallen. „Zu früh zum Aufstehen.“, antwortete er dann und zog mich wieder an sich.

„Wie spät denn?“

„9 Uhr.“

Ich murrte ein wenig. „Ich muss aufstehen.“

„Musst du nicht.“

„Wenn heute Abend alles fertig sein soll, dann schon.“

„Ich will aber nicht.“

„Du kannst ja liegen bleiben.“

„Aber wenn du gehst, kann ich nicht mehr schlafen.“

Ich sah zu ihm auf und küsste ihn kurz. „Ich möchte das gerne machen. Gabriel hat sich das Glück verdient.“

„Ich hab irgendwie das Gefühl, dass er auf dich steht.“

Amüsiert schüttelte ich den Kopf. „Quatsch. Jetzt komm. Gehen wir duschen.“ Mit diesen Worten stand ich auf und suchte mir Kleidung aus dem Schrank.

Er schlug die Augen auf. „Wir?“, hakte er hellwach nach, „Du meinst... du und ich? Beide? Zusammen? Unter der Dusche?“

„Das sagt dieser Satz aus.“

Ohne ein weiteres Wort sprang Riley aus dem Bett. „Komm, wir sind beide ganz ganz schmutzig. Ich werde dich sehr gründlich säubern müssen.“

Mit großen Augen und rotem Gesicht ließ ich es zu, dass er mich an der Hand hinter sich her zog.

Diese Dusche würde ich niemals vergessen.

 

Eine halbe Stunde später betrachtete ich unglücklich die Flecken an meinem Hals.

„Mussten die sein?“, fragte ich ihn missmutig und sah ihn durch den Spiegel hindurch an.

Er beugte sich gerade hinab, um das Shirt aufzuheben, dass ihm eben runter gefallen war, und sah zu mir auf. „Was?“

„Die Knutschflecken.“, antwortete ich und hob die Braue, als sein Blick ein wenig tiefer glitt. Nicht etwa zu meinem Hals, nein. Er sah direkt auf meinen Hintern, der nur in einer Panty steckte, da meine Kleidung wegen ihm im Bad nass geworden war. „Ich bin hier oben!“

Sein Blick glitt wieder hinauf. „Hm?“

Leicht verärgert drehte ich mich zu ihm um und deutete auf meinen Hals. „Die Knutschflecken.“

„Was ist so schlimm daran?“ Er legte den Kopf ein wenig schräg und ließ den Blick erneut ein wenig tiefer gleiten. Oben herum trug ich lediglich einen BH, was ihn wohl ziemlich ablenkte.

Mit einem Seufzen wand ich mich ab und ging zu meinem Schrank, um mir ein Shirt zu holen. Kurz darauf umschlangen Rileys Arme mich warm von hinten. Ein warmer Kuss auf meine Schulter, ein sanfter auf mein Haar und daraufhin sein Gesicht darin vergraben.

„Ich liebe dich.“, flüsterte er.

Ich schmolz dahin. „Ich liebe dich auch.“

Ein vorsichtiges Knabbern an meinem Ohrläppchen. „Du schmeckst gut. Darf ich dich heute zum Abendessen verputzen?“

Ich lächelte schräg und griff nach einem Shirt. „Nein.“

„Wie wäre es als Mitternachtssnack?“

„Ich bin ein Snack?“ Gespielt vorwurfsvoll sah ich zu ihm auf.

„Ein Mitternachtsfestmahl.“, korrigierte er, „Mit sehr leckerem Dessert. Magst du Erdbeeren mit Sahne?“

Rot geworden wand ich den Blick ab und griff nach einer Jeans. „Ja.“, murmelte ich dann leise, „Jetzt lass mich los, ich will mich anziehen.“

Ein letzter Kuss auf meinen Hals. Dann ließ er mich los und zog sich weiter an, woraufhin ich mir ein Shirt überzog, mir einen hübschen Rock aussuchte und schließlich noch nach einem Halstuch griff, um die Knutschflecken zu überdecken. Wenig später gingen wir hinunter. Jason hatte sich bereit erklärt mit Gabriel irgendwo anders zu übernachten, deshalb war das Geburtstagskind nicht im Haus. So hatten Riley und ich genug Zeit alles zu dekorieren. Mom und Dad waren seit gestern Abend bis morgen früh nicht da, damit sie nicht störten. Es dauerte Stunden alles zu dekorieren, doch nach und nach tauchten ein paar Gäste auf und halfen.

„Das sieht ja richtig klasse aus!“, ertönte von der Wohnzimmertür Celinas Stimme.

Ich drehte mich überrascht um und eilte dann zu ihr, um sie zu umarmen. „Es ist so schön, dass ihr kommen konntet!“, begrüßte ich sie, bevor ich Greg freundschaftlich in die Arme nahm.

„Natürlich kommen wir.“, meinte er und schlug bei Riley ein. „Du hast doch darum gebeten. Und so wie es aussieht kommen auch alle Gäste, die wir eingeladen haben.“

Celina lächelte mich an. „Wir haben nur die eingeladen, denen wir trauen und haben ihnen gesagt, dass sie bitte niemanden mitbringen. Außerdem haben wir darauf geachtet nicht zu viele einzuladen. Das erleichtert später alles.“

„Vielen Dank.“

„Aber das machen wir doch gerne. So, jetzt kümmer du dich besser um das Essen. Greg und ich regeln hier alles.“

„Danke.“

„Jetzt geh schon.“, drängte Greg amüsiert und schob mich aus den Raum.

Ich sah Riley fragend an, woraufhin er mir sofort folgte, als ich mich auf den Weg in die Küche machte. Dort bereiteten wir kleine Snacks vor und suchten ein paar Flaschen Getränke zusammen. Als ich auf die Uhr sah, trieb ich Riley sachte zur Eile an. 17 Uhr. In einer Stunde würde Gabriel zurück kommen und dann musste alles fertig sein.

Aus dem Wohnzimmer ertönte in kurzen Abständen ein paar Lieder, die immer nur kurz abgespielt wurden. Scheint als würde jemand eine Trackliste zusammenstellen. Es waren nicht nur Lieder zum Feiern. Ich hörte auch Lieder wie In Her Eyes von Josh Groban oder It Is You I Have Loved von Dana Glover. Es tauchten auch Lieder wie Kiss The Rain oder River Flows In You auf. Als dann auch noch deutsche Lieder dazu kamen, sah ich nachdenklich zur Küchentür.

„Wer stellt die Liste zusammen?“, fragte ich in den Raum wissend, dass nur Riley anwesend war.

„Ich weiß nicht.“, antwortete er, „Vielleicht Celina. Sie hat einen guten Geschmack, was Musik betrifft.“

Mit einem Seufzen nahm ich die beiden Schüsseln mit Nudel- und Kartoffelsalat und brachte sie ins Wohnzimmer. Riley folgte mir mit weiteren Snacks. Es dauerte tatsächlich eine halbe Stunde alles ins Wohnzimmer zu bringen und so hinzustellen, dass nicht nur alles sicher stand, sondern auch gut zu erreichen war. Kaum, dass es soweit war, tauchte Greg auf und dekorierte mit ein paar Geübten Handgriffen den Tisch, bevor er weiter ging, und die Möbel noch ein wenig zurecht schob.

„Okay. Dann ist es gleich wohl soweit.“, bemerkte ich schließlich etwas nervös mit einem Blick auf die Uhr.

Wir hatten offenbar doch etwas länger gebraucht. Es waren nur noch zehn Minuten übrig.

„Okay... Leute?!“, rief ich kurz in den Raum.

Es wurde langsam stiller, bis schließlich alle schwiegen und mich wartend ansahen.

„Also... Das Geburtstagskind wird gleich da sein, wenn alles nach Plan verläuft. Gegen 20 Uhr kommt noch ein ganz besonderer Gast und ich hoffe, ihr könnt Gabriel dann etwas ablenken, damit er nichts bemerkt. Ich möchte, dass es etwas besonderes für ihn wird.“ Unsicher rang ich mit den Händen. „Ich denke, es wird schon Überraschung genug für ihn sein, dass wir überhaupt feiern, also denke ich, sollten wir diesen Überraschungseffekt sein lassen, in denen alle von irgendwo heraus springen und laut Überraschung rufen.“ Einige lachten leise. „Nun... ich hoffe, ihr werdet alle Spaß auf der Party haben, ohne alles zu Kleinholz zu verarbeiten.“

Celina und Greg begannen zu applaudieren, woraufhin die anderen mitmachten und zwei sogar Pfiffen. Riley drückte mir einen Kuss auf den Mund.

„Hast du gut gesagt.“, lobte er mich lächelnd.

Kurz darauf wurden sie wieder still, als ein Auto zu hören war. Ich trat zum Fenster und sah hinaus. Da waren die beiden.

„Okay, da sind sie... Naja, ihr könnt euch wenigstens alle zusammen hinstellen und ihn dann begrüßen. Die meisten von euch kennt er ja nicht.“ Ich sah zu der kleinen Menge. „Wahrscheinlich niemanden.“

Celina grinste amüsiert, Greg schmunzelte.

„Er wird sich schon freuen, Liebling.“, munterte Riley mich auf.

„Ja, ganz bestimmt.“, stimmte Mike zu, der sich wohl irgendwo zwischen den 17 Leuten befand.

„Ich hab dich gar nicht kommen sehen.“, bemerkte Riley überrascht und tauchte in die Menge ein, um seinen Freund zu begrüßen.

„Hab mich auch vor dir versteckt. Ich wusste ja nicht wie du reagieren würdest. Immerhin hab ich Rika geküsst und-“

„Du hast was?!“

„Das wusstest du nicht?“

„Mike!“

„Das war ein Plan! Hey, nimm die Hand runter, ich- Aua! Lass das!“

Die kleine Menge begann zu lachen, während ich wage beobachten konnte, wie Riley Mike ein weiteres mal gegen die Schulter boxte.

„Mach das nicht nochmal!“, warnte Riley ihn finster.

„Hab ich auch nicht vor, Mann. Sie gehört dir, ich rühr sie nicht an, okay?“

„Das will ich dir auch raten.“

Die Haustür wurde geöffnet, woraufhin ich schnell in den Flur eilte.

„Man, hier ist ja überall das Licht an.“, bemerkte Jason und kratzte sich am Hinterkopf.

„Wie wars?“, wollte ich unschuldig und etwas nervös wissen, als ich Gabriel hinter ihm sah.

„Hast du mal gesehen, wie viel Eis der verputzt? Die Eisdiele muss jetzt sicher ihre Vorräte auffrischen.“, entgegnete Jason und klopfte dem Geburtstagskind auf die Schulter.

Dieser lächelte mich an und zog mich in die Arme. „Ich hab dich ein bisschen vermisst. Aber alles in allem war es ganz schön. Wie war dein Tag?“

„Etwas... anstrengend.“

„So?“ Verwundert sah er zu mir herab. „Warum?“

„Komm mal mit.“

Sanft nahm ich ihn an der Hand, trat zur Wohnzimmertür und lugte kurz hinein. Dann zog ich Gabriel sanft hinter mir her hinein.

„Happy Birthday!“, riefen alle zugleich aus.

Ich sah gerade noch rechtzeitig auf, um zu sehen wie das Lächeln verschwand und er mit grenzenloser Überraschung und großen Augen auf die Leute sah.

„Was... Wer...“ Blinzelnd sah er sich um. „Eine... Party?“

„Für dich.“, ergänzte ich, „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“

„Das hast du gemacht?“, fragte er atemlos.

„Ich hatte ziemlich viel Hilfe.“, antwortete ich.

Er raufte sich das Haar. „Das... das... Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Jetzt breitete sich wieder ein Lächeln in seinem Gesicht aus. „Danke. Wäre Rika nicht, hätte ich jetzt sicher einen Herzstillstand erlitten, aber... verdammt, danke! Worauf wartet ihr noch? Das hier soll doch eine Party sein, oder?“

Ich atmete erleichtert auf und lächelte leise, als er zu den Gästen ging, sich bei jedem einzelnen Vorstellte und sich von jedem einen Glückwunsch abholte. Celina schaltete die Musik ein, Greg kümmerte sich um passende Beleuchtung und Riley gesellte sich zu mir.

„Ist dir ziemlich gut gelungen.“, lobte er mich zum zweiten Mal und küsste mich sanft. „Aber ich wette, die nächste Überraschung toppt alles.“

„Das will ich hoffen. Hoffentlich bekommt er dann nicht wirklich einen Herzstillstand.“

Er lachte leise. „Magst du tanzen?“

„Mit dir gerne.“

Begeistert zog er mich in die Mitte des Wohnzimmers und zog mich an sich. Es war ein langsames Lied und wir waren die Einzigen die tanzten, doch bei ihm war es mir egal. Er hielt mich eng umschlungen, während wir uns langsam hin und her wiegten. Meine Arme lagen um seinem Hals, seine Stirn lehnte an meiner und er sah mir tief in die Augen. Dann glitt sein Blick auf meine Lippen.

„Du bist wunderschön.“, wisperte er.

Ich lächelte leicht. „Danke.“

Ich gab ihm einen Kuss als Belohnung. Sein Lächeln war die Antwort. Als das Lied vorbei war, tauchte Gabriel neben mir auf.

„Bekomme ich einen Tanz mit dem Mädchen, dass mir das Leben gerettet hat?“

Ich lächelte ihn an. „Natürlich.“

Riley lächelte ebenfalls leicht. „Danach möchte ich sie aber wieder haben.“

Gabriel lachte leise. „Ich werde darüber nachdenken. Vielleicht behalte ich sie auch für den Rest des Abends.“

Warum fühle ich mich gerade wie eine Trophäe?

Das Gefühl wurde ein wenig stärker, als Gabriel ein paar Schritte zurück trat und an mich zog. Er hielt mich nicht so eng an sich gedrückt wie Riley, doch fester, als es sich eigentlich gehörte.

„Ich danke dir.“, meinte er ein wenig später, „Man hat noch nie eine Party für mich veranstaltet.“

„Es ist ein besonderer Anlass. Außerdem kommt das Beste noch, also warte lieber mit deinem Danke.“

„So? Was kommt denn noch?“

„Ein Geschenk.“

„Und was schenkst du mir?“ Er lächelte schräg.

„Das ist eine Überraschung. Du musst dich ein wenig gedulden.“

„Hmmm... Kommt das Geschenk von dir?“

„Ja. Naja... eigentlich sind es zwei Geschenke, aber das zweite teile ich mir mit jemandem.“

„Teilen? Mit wem?“

„Betriebsgeheimnis.“

„Dann werde ich mich bei dem Betrieb eben bewerben.“

„Und wenn es genug Angestellte hat?“

„Ach... Ein Unfall hier... eine Krankheit da... Platz gibt es schnell.“

Amüsiert lächelte ich ihn an. „Ich verrate es dir trotzdem nicht.“

„Schade. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch.“ Ich merkte kaum, wie er mich enger an sich zog.

„Und einen großen Magen hast du auch noch.“, bemerkte ich amüsiert, „Wie viel Sport machst du, damit er so flach bleibt?“

„Ach, es ist nicht schwer ihn flach zu halten. Die Muskeln sind ein wenig schwerer zu erhalten.“

„Muskeln?“

„Jep. Hier.“ Er nahm meine Hand und legte sie auf seinen Bauch. Ich konnte sie deutlich fühlen. Er war ziemlich trainiert.

„Ich... Wow. Die sind ja steinhart. Hast du dich mit Stahl eingekleidet?“

Er lachte amüsiert auf und legte meine Hand in seinen Nacken. „Nein, habe ich nicht. Das ist alles ein Verdienst harter Arbeit.“

„Harter Arbeit, ja?“

„Sehr harter Arbeit.“ Seine Grübchen tauchten auf seinen Wangen auf. „Darf ich mir noch etwas von dir wünschen?“

„Äh... ja klar. Einen Wunsch hast du frei.“

„Einen nur?“

„Einen.“

„Wie wäre es mit... drei weiteren Wünschen?“

Ich lachte leise auf. „Nicht gestattet.“

„Schade. Okay... Dann wünsche ich mir... Hmmm...“ Nachdenklich sah er auf mich herab. Sein hellbraunes Haar fiel ihm in die Stirn, ich strich es beiseite. „Wenn ich keine drei Wünsche haben darf... dann hätte ich gerne drei Küsse.“

„Was?“ Ich blinzelte zu ihm auf.

„Drei Küsse.“

„Äh... Gabriel... ich...“

„Ich hab Geburtstag.“, erinnerte er mich, „Es sind ja nur Küsse. Drei. Und auch nur heute Abend. Morgen früh sind sie verwirkt, wenn ich sie nicht alle heute Abend bekomme.“

Ich biss mir leicht auf die Unterlippe. „Ich weiß nicht. Riley wird sich sicher nicht darüber freuen.“

„Es sind nur drei. Damit möchte ich mich auch bei dir bedanken. Mit jedem einzelnen Kuss. Einen für mein Herz. Einen für deine Stimme.“

„Und der dritte Kuss?“

„Ich weiß noch nicht.“ Er lächelte schräg. „Mir fällt sicher etwas ein.“

Ich schluckte. Mein Herz raste. Was sollte ich tun? Einerseits wollte ich ihm Glück schenke. Andererseits ich hatte mich gerade erst mit Riley versöhnt. Das wollte ich nicht aufs Spiel setzen. Doch wenn ich Gabriel so ansah... fiel es mir schwer abzulehnen. Heute war sein Geburtstag. Und er möchte sich damit auch bedanken.

„Drei Küsse...“, wiederholte ich und sah unsicher zu ihm auf.

„Nicht mehr und auch nicht weniger.“, stimmte er zu und sah erwartungsvoll zu mir herab.

„Zur Feier des Tages, weil du Geburtstag hast.“

Damit zauberte ich ein glückliches Lächeln in sein Gesicht. „Das ist ein Ja, oder?“

Ich atmete kurz durch und nickte dann. Im nächsten Moment hob er mich bereits hoch, drehte sich mit mir um seine eigene Achse und stellte mich wieder ab. Ich war noch dabei mein Gleichgewicht wiederzufinden, als er bereits mein Gesicht in seine Hände nahm und sich zu mir herab beugte, um mich zu küssen. Mein erster Impuls war die Augen offen zu halten, aber... er küsste gut. Und ziemlich lang. Es fiel mir schwer die Lider oben zu halten, bis mir schließlich die Augen zufielen. Gabriel küsste mich hingebungsvoll, mit so viel Gefühl, dass mir schwindelig wurde.

Als er wieder von mir abließ, drehte sich alles ein wenig. Blinzelnd hielt ich mich an ihm fest, bis alles stehen blieb. Dann sah ich zu ihm auf.

„Welcher Dank war das?“, wollte ich von ihm wissen.

„Der war für deine Stimme.“

Für deine Stimme...

Ich senkte den Blick. „Gern geschehen.“ Damit trat ich einen schritt zurück und lächelte leicht zu ihm auf. „Ich sollte jetzt wieder zu Riley gehen. Sonst kommt er noch rüber.“

Sein Mundwinkel zuckte. „Ich hoffe, er hats gesehen.“, murmelte er leise.

„Wie bitte?“

„Ich sagte, ich hoffe du hast noch viel Spaß.“

Ich lächelte ihn etwas mehr an. „Ich hoffe, du auch.“

Mit diesen Worten ging ich zu Riley herüber, der mit etwas verstimmter Miene bei Mike an der Seite stand.

„Was war das gerade?“, wollte er wissen und sah zu mir herab.

„Ich wollte es dir vorher klären. Er hat gefragt, ob er sich etwas wünschen darf.“

„Und er hat sich einen Kuss gewünscht?“

„Drei, um genau zu sein.“, antwortete ich, „Aber nur heute Abend. Wenn er sie heute Abend nicht alle bekommt, sind sie Morgen früh verwirkt. Es sind nur drei und er hat Geburtstag, außerdem möchte er sich damit auch bedanken, also dachte ich... Du weißt, ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch, aber... gefallen tut mir das nicht.“

Ich lächelte schräg und streckte mich ein wenig, um ihn etwas zuzuflüstern. „Vielleicht kannst du mich zu einem Mitternachtsfestmahl überreden.“

Als ich ihm ins Gesicht sah, lächelte er und seine Augen funkelten ein wenig. „Und du bist dir sicher?“, fragte er fürsorglich.

Ich biss mir leicht auf die Lippe, nickte aber. „Ja.“

Begeistert küsste er mich innig und lächelte mich dann an, wobei er mir einen Arm um die Taille legte und an sich zog. „Du weißt hoffentlich, dass ich versuchen werde ihn daran zu hindern, dich nochmal zu küssen.“

„Das habe ich befürchtet.“, entgegnete ich trocken, drückte ihm aber noch einen Kuss auf den Mund. „Hat er sich schon gemeldet?“

Sofort zog Riley sein Handy aus der Hosentasche. „Vor zwei Minuten.“, antwortete er dabei und öffnete eine SMS. „Hier. Er hat sich auf den Weg gemacht, um pünktlich da zu sein.“

„Gut. Sag mir Bescheid, wenn er da ist. Sorgst du dann für Ablenkung?“

„Ach... ich werde ihn einfach mit JJ verkuppeln.“, entgegnete er belustigt.

Ich lachte amüsiert. „Mach keinen Unsinn.“

„Tu ich schon nicht. Ich bitte einfach den einen oder anderen sich mit ihm ein wenig zu unterhalten und seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das können die prima, glaub mir.“ Er küsste mich erneut. „Ich hab dich sehr vermisst.“

„Ich hab dich auch vermisst.“, antwortete ich leise.

„Ihr knutscht jetzt aber nicht rum, oder?“, fragte Mike leicht genervt, „Dieses Geturtel ist eine Sache, aber bitte nicht knutschen.“

Riley warf ihm einen Blick zu. Dann lächelte er amüsiert, zog mich enger an sich und begann mich richtig zu küssen. Ich hielt mich an ihm fest, als meine Knie weich wurden und seufzte leise auf, bevor ich den Kuss erwiderte. Eine seiner Hände legte sich auf meinen Hintern, um mich dort zusätzlich an sich zu ziehen. Ich dagegen legte ihm meine Hände in den Nacken, ließ eine Hand dabei in sein Haar gleiten.

„Okay, das reicht jetzt.“, bemerkte Mike neben uns, „Ich fühle mich jetzt geärgert, ihr könnt- Mann, Alter! Mit Zunge? Muss das jetzt sein?“

Riley lachte unterdrückt, während er sachte meinen Mund erkundete. Meine Hand glitt von seinem Nacken zu seiner Wange. Die Hand auf meinem Hinter begann sich ein wenig zu bewegen, streichelte mich ein wenig.

„Sucht euch ein Zimmer.“

Nun begann Riley wirklich zu lachen, löste sich von mir und drückte sein Gesicht an mein Haar. Eines seiner Hände legte sich auf meine Wange, glitt langsam ein wenig herab. Dann küsste er mich ein zweites mal, diesmal jedoch etwas kürzer. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie er sich etwas in die Gesäßtasche steckte, wurde jedoch von ihm abgelenkt, als er sein Handy heraus holte.

„Er ist da. Ich sage eben ein paar Freunden Bescheid. Bis gleich.“ Ein weiterer Kuss. „Ich schreib dir, wenn du raus gehen kannst.“

„Gut.“ Ein Kuss meinerseits. „Bis gleich.“

Er lächelte mich nochmals an und verschwand dann in der Menge.

„Der kann wirklich nicht die Finger von dir lassen, oder?, wollte Mike amüsiert von mir wissen.

„Warum fragst du?“, fragte ich zurück.

Er hüstelte. „Ach... nur so.“

„Er wollte dich nur ärgern.“

„Das ist mir klar.“

Verwirrt sah ich zu ihm auf, doch er sah sich einfach nur ein wenig um. Mit einem leisen Seufzen tat ich es ihm gleich und sah, wie sich zwei Jungs zu Gabriel gesellten.

„Hattet ihr eigentlich schon?“

Perplex sah ich zu Mike auf. „Wie bitte?“

Er sah zu mir herab und hob eine Braue. „Na, ob ihr schon hattet. Du und Riley.“

Ich blickte verwirrt zurück.

„Sex.“

Abrupt wurde ich rot und senkte den Blick. „Wir... ähm... also... äh...“

„Ja oder nein? Ich bin nur ein wenig neugierig.“

„Ja.“, antwortete ich leise.

„Ehrlich?“ Er klang überrascht.

„Wir wollten eigentlich noch warten. Es war... ein Unfall.“

„Ein Unfall.“, wiederholte er skeptisch, „Sex ist eigentlich nie ein Unfall.“

„Er ist mitten in der Nacht aufgewacht und hat mich geküsst. Und dann... wir waren müde und dachten wir würden träumen.“

Sprachlos sah er zu mir herab. „Meinst du das ernst?“

Zaghaft sah ich zu ihm auf, antwortete aber nicht.

„Du meinst es wirklich ernst. Also... das ist... krass. Ihr habt also quasi im Schlaf miteinander geschlafen, ja?“

Ich wurde etwas roter und atmete leise durch.

„Naja... jedem das seine. Wie ist er denn so im Bett?“

Entsetzt sah ich ihm ins Gesicht. „Was?!“

Sein Mundwinkel zuckte. „War nur ein Scherz.“

Mein Handy vibrierte in meiner Hosentasche. Ich nahm es hervor und öffnete die SMS von Riley.

Er ist abgelenkt. Mach, dass du raus kommst, bevor er dich weiter beobachtet.

Amüsiert lächelnd sah ich kurz zu Gabriel und ging eilig in den Flur. Dort ging ich leise zur Tür, öffnete sie so leise ich konnte und lehnte sie hinter mir an, bevor ich die Auffahrt hinunter eilte. An der Straße wartete Jaydon an einen Wagen gelehnt. Als er mich hörte, sah er sofort auf und lächelte leicht.

„Hey.“, begrüßte ich ihn lächelnd.

„Hey. Wie läufts gerade?“

„Ziemlich gut. Im Moment ist er noch abgelenkt. Ich frage Riley, ob ich mit dir rein kommen kann.“ Mit diesen Worten holte ich mein Handy heraus und tippte schnell eine SMS. „Gabriel war ziemlich überrascht von der Party. Ich bin mir sicher, er wird sich wahnsinnig freuen, wenn er dich sieht.“

„Das hoffe ich.“, antwortete er nervös und etwas ungeduldig.

Mein Handy vibrierte. Ich öffnete die SMS.

Er sieht sich gerade um, aber ich denke, ihr könnt schon mal zur Tür kommen. Ich schreib dir, sobald ihr rein kommen könnt.

„Komm, wir gehen an dir Tür. Hast du die Gitarre dabei?“, meinte ich an Jaydon und beobachtete kurz, wie er das besagte Instrument aus dem Auto holte, bevor wir die Auffahrt hinauf gingen.

„Ihr habt ein ziemlich großes Haus.“, bemerkte er.

„Meine Pflegeeltern mögen es. Und heute entpuppt es sich auch als sehr praktisch.“

Ein Schmunzeln zierte sein Mundwinkel. An der Tür warteten wir etwa zwei Minuten. Dann gab mir Riley das OK. Vorsichtig schob ich die Haustür auf und winkte Jaydon herein. Er folgte leise, woraufhin ich die Tür vorsichtig schloss. Dann bat ich ihn leise im Flur zu warten und ging ins Wohnzimmer. Ich brauchte nicht lange, um Gabriel zu finden, der sich gerade mit einem Mädchen unterhielt. Er musste mich bereits aus dem Augenwinkel gesehen haben, denn er sah sofort auf, als er mich sah.

„Ich hab dich schon gesucht.“, bemerkte er mit einem Lächeln.

„Ich hab da etwas für dich.“, entgegnete ich darauf.

„Was denn?“ Neugierde blitzte in seinen Augen auf.

„Ein... Geschenk.“

„Und wo ist es?“ Er sah auf meine Hände und guckte an mir vorbei auf meinen Rücken.

„Im Flur.“ Ich nahm ihn an die Hand und zog ihn sanft zur Tür. „Mmmmh... warte hier.“

Er bliebt etwa einen Meter vor der Tür stehen, woraufhin ich zu dieser ging und zu Jaydon sah. Ich winkte ihn zu mir, woraufhin er nickte, kurz durchatmete und dann zur Tür kam. Ich sah sofort zu Gabriel, der ein weiteres Mal sein Lächeln verlor. Es schien ihm endgültig die Sprache verschlagen zu haben. Er öffnete ab und an den Mund, um etwas zu sagen, brachte jedoch kein einziges Wort heraus. Jaydon dagegen begann ihn breit anzulächeln, ging auf ihn zu und zog ihn in seine Arme. Sein kleiner Bruder wusste offenbar nicht ganz wie ihm geschah, blieb einen Moment reglos stehen und umschlang dann seinen älteren Bruder. Das letzte was ich von seinem Gesicht sah, bevor er es an seinem Bruder verbarg, waren Tränen, die ihm über die Wangen glitten.

Ich lächelte über den Anblick und spürte, gerührt von diesem Anblick, Tränen in meinen Augen. Da Jaydon die Gitarre im Flur abgestellt hatte, gab es nichts, was Gabriel daran hinderte ihn mit den Armen fest zu umarmen.

Ein warmer Arm legte sich um meine Taille. Ein Paar Lippen drückte sich sanft auf meine Schläfe. Dann folgte Riley meinem Blick.

„Er wird dir ewig dankbar sein.“, bemerkte er, „Du hast ihm nicht nur das Leben gerettet... du hast ihm auch seinen Bruder zurück gegeben. Der dir ebenfalls ewig dankbar sei wird, weil du seinem Bruder das Leben gerettet und ihn ihm zurück gegeben hast.“

„Und was tust du?“

„Ich mache die Frau glücklich, die zwei Brüdern das Leben geschenkt hat.“

Ich lächelte glücklich zu ihm auf und ließ mich in seine Arme ziehen.

 

Es verging eine ganze Stunde, in der Jaydon und Gabriel sich einfach nur unterhielten und sich ab und zu immer wieder umarmten. In der Zwischenzeit holte ich die Gitarre und setzte mich mit ihr und Riley auf die Couch. Irgendwann tauchten die Brüder dann bei uns auf.

„Spielst du live für uns?“, wollte Gabriel wissen, als er die Gitarre sah und grinste seinen Bruder an.

„Nein, ich hab heute frei. Aber... du kannst sie ja ausprobieren. Rika sagte mir, du hättest gern eine. Und ich meine mich gut daran zu erinnern, wie du es mir ebenfalls gesagt hast.“

„Du meinst...“

„Das ist das Geschenk, dass ich mir mit jemandem teile.“, erklärte ich ihm.

Gabriel atmete lange aus, schloss die Augen und lehnte sich zurück. „Mein eigenes Herz wäre heute schon etwa vier mal stehen geblieben. Willst du damit testen, wie viel mein neues Herz aushält?“

„Dann stimmt es also?“, fragte Jaydon, „Du hast dich für eine OP entschieden?“

Gabriel setzte sich auf und sah zu seinem Bruder. „Wäre Rika nicht, läge ich jetzt unter der Erde.“

Jaydon sah eine Weile auf ihn herab. Dann sah er zu Riley. „Ich verstehe jetzt so langsam, was du gestern meintest.“ Sein Blick glitt zu mir. „Ein wundervolles junges Mädchen. Ich kann dir wahrscheinlich nicht genug danken.“

„Solange Gabriel glücklich ist, brauche ich es auch nicht.“

Mit einem Lächeln zerzauste Jaydon seinem Bruder das Haar. „Jetzt erzähl mal, Brüderchen. Warum wohnst du hier und nicht bei unseren Eltern oder in deiner Wohnung?“

„Naja... das war so...“

Ich horchte mit halbem Ohr Gabriels Erzählung und lehnte mich an Riley, glücklich darüber, dass in diesem Moment alles so perfekt schien.

Ich wünschte, du könntest das jetzt auch sehen, Nicko. Du würdest dich genauso freuen wie ich. Komm bitte bald nach hause. Gesund und munter.

~Kapitel 12~

Zwei Stunden später stand ich in der Küche, um die Salate frisch aufzufüllen. Die Gäste aßen, als hätte sie tagelang nichts gehabt. Ganz abgesehen davon, dass bereits die Hälfte der Getränke leer waren. Dabei waren es im Grunde nur 21 Personen, mich und Riley eingeschlossen.

„Hier bist du.“, ertönte Gabriels Stimme von der Küchentür.

Ich sah von der Schüssel auf und lächelte ihn an. „Hast du mich gesucht?“

„Ja.“ Er stellte zwei leere Flasche auf der Küchenzeile ab und kam zu mir herüber. „Wenn Riley bei dir ist, kommt man gar nicht an dich heran.“

„Er ist ein wenig eifersüchtig.“, antwortete ich und sah wieder auf den Salat herab.

„Ist er das?“ Warm legten sich seine Hände auf meine Hüften, wobei er mir über die Schulter sah, um mir zuzusehen. „Ah... Kartoffelsalat. Der ist wirklich lecker.“

„Danke. Und ja, Riley ist eifersüchtig.“

„Warum ist er das?“ Als er das fragte, streckte er kurz eine Hand aus und stibitze sich eine der Kartoffeln, die noch neben der Schüssel auf dem Brettchen lagen. Dann ließ er sie erschrocken wieder fallen. „Au! Die ist ja heiß!“

„Natürlich! Kommt gerade aus dem Topf. Hast du dich verbrannt?“

„Nein. Es geht schon.“

Ich reichte ihm eine Scheibe aus der Schüssel. „Hier. Die ist schon abgekühlt.“

Er biss einfach direkt rein. „Hast du alle Snacks selbst gemacht?“

„Riley hat mir geholfen.“ Seine Hand legte sich wieder auf meine Hüfte. „Ich hab nur die Salate ganz allein gemacht. Da hab ich ihn nicht ran gelassen.“

„Verstehe.“ Langsam trat er ein wenig näher an mich heran, berührte sanft mit der Nasenspitze meine Wange.

„Gabriel? Ich-“

Bevor ich weitersprechen konnte, hob er bereits die Hand, drehte mein Gesicht zu mir und küsste mich das zweite Mal. Diesmal war es etwas aufdringlicher. Im ersten Moment blieb ich nur überrascht stehen. Mein erster Impuls danach war, mich wieder von ihm zu lösen, doch ich zwang mich noch schnell genug zur Ruhe, um es nicht zu tun. Er hatte sich die Küsse gewünscht. Und ich hatte zugesagt. Also ließ ich ihn machen und wurde nur wenige Augenblicke später mitgerissen. Die Hand an meiner Wange glitt in meinen Nacken, die anderen von der Hüfte auf meinen Bauch. Seine Lippen waren weich, sein Atem warm. Der Kuss selbst schien kein Ende zu nehmen. Er küsste mich einfach weiter, während er mich regungslos festhielt. Nur seine Lippen bewegten sich. Und sein Daumen, der sanft über meinen Nacken glitt.

Als er sich irgendwann von mir löste, war mir, wie beim ersten Kuss, ein wenig schwindelig. Blinzelnd sah ich zu ihm auf, während er seine Stirn an meine lehnte und den Blick erwiderte.

„Das war dafür, dass du mir das Leben gerettet hast.“, flüsterte er.

Für sein Herz...

„Gern geschehen.“, flüsterte ich. Dann wand ich mich schnell wieder ab. „Ich muss jetzt den Salat fertig machen.“

Eifrig schnitt ich die Kartoffeln in die Schüssel und mischte alles gut durch. Dann wusch ich mir die Hände und hob die beiden fertigen Salate auf die Hände.

„Rika.“

Auf dem Weg zur Tür hielt ich inne und sah zu Gabriel. „Ja?“

„Den dritten Kuss hole ich mir heute Abend auch noch.“

„Sonst hättest du ihn dir nicht gewünscht.“, entgegnete ich darauf und verließ die Küche.

Im Wohnzimmer gab es bereits seit einigen Stunden die einen oder anderen, die immer mal wieder auf meinen Hals sahen. Es verwirrte mich. Immerhin trug ich doch ein Halstuch.

„Celine?“

Sie sah von den kleinen Sandwiches zu mir auf. „Hm? Was gibt’s?“

„Ähm... Kannst du mir sagen, warum einige auf meinen Hals starren?“

Sie blinzelte überrascht. „Das weißt du nicht? Wann hast du denn das letzte mal in den Spiegel geguckt? Du hast da riesige Knutschflecken. Riley hat sich ganz offensichtlich ziemlich viel Mühe dabei gegeben.“

Mit großen Augen griff ich an meinen Hals. Kein Halstuch. Aber... „Wo ist mein Halstuch?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht hast du es im Eifer des Tages verloren. Als Gabriel hier ankam, hast du es noch getragen. Ich hab gedacht, du hättest es abgenommen, weil es so warm ist. Ah, da kommt dein Herzbube.“

Lächelnd wand sie sich ab und ging zu Greg herüber. Als ich mich umdrehte, sah ich Riley zu mir kommen, der sofort die Arme um mich legte und einen Kuss auf meinen Mund drückte.

„Hallo schöne Frau.“, begrüßte er mich lächelnd.

„Riley.“

„Ja?“

„Weißt du, wo mein Halstuch ist?“

Er sah überrascht auf mich herab. „Dein Halstuch.“, wiederholte er.

„Ja. Ich weiß nicht wo es ist. Ich muss es verloren haben.“

Sein Mundwinkel kräuselte sich ein wenig. „Zufällig weiß ich wo es ist.“

„Wo?“

„Da, wo es deinen hübschen Hals nicht bedecken kann.“

Mit offenem Mund sah ich zu ihm auf. „Du hast es genommen?“

Er grinste ein wenig. „Ich gestehe die Tat. Wie lautet das Urteil?“

„Riley. Es ist peinlich, wenn jeder die Knutschflecken sieht. Ich sehe aus wie eine gefleckte Kuh.“

„Eine sexy gefleckte Kuh.“

Ich boxte ihm gegen die Schulter. „Du bist blöd.“

Er gab mir noch einen Kuss. „Ich versüße dir nur den Tag.“

„Der ist aber schon um. Wo ist mein süßer Abend?“

Mit einem ausgewachsenem Lächeln legte er die Hände ausgestreckt auf meinen Hintern und zog mich an sich. Der Kuss der folgte ließ mich alles um uns herum vergessen. Seine Zunge spielte mit meiner, seine Hände streichelten mich sanft. Ganz von selbst legten sich meine Hände in seinen Nacken. Kurz darauf löste er sich von mir, sah sich kurz um und schob mich dann zu einem Sessel, der noch frei war. Dort setzte er sich hin, zog mich auf seinen Schoß und küsste mich einfach weiter. Ein Arm lag um meiner Taille, eine Hand auf meinem Oberschenkel, wanderte stetig auf und ab. Plötzlich ertönte wenige Meter neben uns eine kleine Bemerkung, die Riley dazu brachte inne zu halten.

„Hat Rika eben nicht noch Gabriel geküsst? Glaubst du, sie fährt zweigleisig?“

Da ich es nur am Rande mitbekommen hatte, sah ich Riley verwundert an, der nun mit ernstem Gesicht zu mir aufsah.

„Was ist?“, fragte ich ihn verwirrt.

„Du hast eben Gabriel geküsst?“, fragte er zurück.

Ich seufzte. „Es war der zweite Kuss, den er sich gewünscht hat und er war es, der mich geküsst hat.“

Er verzog das Gesicht. „Ich hasse es, dass er sich das gewünscht hat.“

Wortlos lehnte ich mich an ihn und fummelte an seinem Kragen herum. Kurz darauf sah ich zu ihm auf, stellte ich fest, dass er jemanden finster ansah. Als ich seinem Blick folgte, entdeckte ich Gabriel bei den Snacks stehen. Er war sich Rileys Blick nicht bewusst.

„Bist du sauer?“, wollte ich von ihm wissen und sah wieder zu ihm auf.

Mit seinem Seufzen sah er zu mir herab und bemühte sich um ein kleines Lächeln. „Nein. Es nervt mich nur ein wenig, dass er dich einfach so küssen kann. Ich mag das nicht. Das ist alles.“

„Du darfst mich jeder Zeit küssen, so oft und wo du willst.“, entgegnete ich und küsste sanft seinen Mundwinkel.

„Das weiß ich ja.“, entgegnete er und sah zu mir auf, wobei er mich etwas enger an sich zog, falls das noch Möglich war.

„Er will dich wahrscheinlich nur eifersüchtig machen.“

„Na, das ist ihm wenigstens ziemlich gut gelungen.“, murrte Riley, „Jeder Zeit sagtest du? So oft und wo ich will?“ Nun sah er etwas weniger schlecht gelaunt aus.

Ich lächelte ihn an. „Immer und überall.“

Seine Brauen glitten in die Höhe. „Überall.“

Sein Blick glitt etwas tiefer und noch bevor ich etwas dazu sagen konnte, beugte er sich bereits zu meinem Dekolletee herab, um mich dort zu küssen. Überrascht schnappte ich nach Luft und griff in seinen Schopf, doch er war nicht davon abzuhalten.

„R-R-Riley. Hier kann uns jeder sehen.“, erinnerte ich ihn.

Seine Lippen glitten höher, an meinem Hals entlang zu meinem Ohr, wo er vorsichtig in mein Ohrläppchen biss. „So sieht wenigstens jeder, dass du mir gehörst.“

„Ich bin nicht dein Eigentum.“, entgegnete ich.

„Aber meine Freundin.“

„Und das ist Grund genug mich vor allen anderen an Stellen zu küssen, die die anderen nicht mal so genau unter die Lupe nehmen dürfen?“

Er murrte und drückte mir einen Kuss auf die Stelle unterm Ohr. „Tut mir leid, falls ich dich in Verlegenheit gebracht habe. Es ist nur ziemlich schwer mich unter Kontrolle zu halten, wenn du mir so... unsittliche Angebote machst, mir so nah bist und noch so unglaublich schön aussiehst. Nicht das es mir in anderen Situationen leichter fällt, aber... im Moment kann ich wirklich nicht die Finger von dir lassen.“

Diese Finger glitten gerade unter mein Unterteil und breiteten sich warm auf meiner Haut aus. Als seine Lippen meinen Mund fanden, vergaß ich die Leute um uns herum und verlor mich in dem wunderbaren Gefühl des Kusses.

 

Ich war schon ziemlich müde, als die Gäste sich langsam dazu entschlossen zu gehen. Riley wich nicht von meiner Seite, während ich mich von den Gästen verabschiedete und sie zur Tür begleitete. Sie gingen natürlich nicht alle auf einmal. Leider.

„Ich bin stolz auf dich.“, lobte Riley mich zum zigsten mal diesen Abend.

„Allein hätte ich das gar nicht geschafft.“, entgegnete ich und gähnte müde hinter vorgehaltener Hand.

Er führte mich zurück ins Wohnzimmer, wo er als erstes Ausschau nach Gabriel hielt, um mich ja nicht in seine Nähe zu bringen.

„Du verhältst dich wie ein Wachhund.“, jammerte ich, „Gabriel ist ein Freund.“

„Ein Freund, der auf dich steht.“

„Tut er nicht.“

„Tut er doch. Er guckt dich ständig an.“

„Andere sehen mich doch auch an.“

„Ja, aber nicht so wie er.“ Sanft zog er mich zu den wenigen, die noch tanzten, zog mich in seine Arme und legte besitzergreifend die Arme um mich, um zu tanzen. „Mir gefällt es nicht, wie er dich ansieht.“

„Mach dir keine Sorgen. Er ist nur ein Freund.“

„Aber einer, den du ziemlich gern hast.“

Ich rollte mit den Augen. „Trotzdem bin ich mit dir zusammen, oder nicht? Hör auf dich umzusehen, als wären wir im Krieg.“

„Wir sind im Krieg.“, witzelte er, „Und Gabriel ist der Feind.“

Ich schlug ihm leicht gegen die Schultern. „Du bist gemein.“

„Ich beschütze dich mit meinem Leben.“

Mein Mundwinkel zuckte. „Lass das.“

„Was denn?“

„So zu tun, als seist du ein Soldat und er der Feind. Er ist mein Freund.“

Mit einem Lächeln lehnte er seine Stirn an meine. „Er ist zumindest mein Feind. Konkurrenz ist immer ein Feind.“

„Nur, dass er keine Konkurrenz ist.“

„Er hats auf dich abgesehen. Er sieht dich so an, wie ich dich ansehe und denkt sich etwas aus, damit er dich küssen kann.“

„Tut er nicht. Und jetzt lass uns über etwas anderes reden, bevor du wieder schlechte Laune bekommst.“

Seine Lippen legten sich auf meine, bevor er in meine Augen sah. „Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch.“

„Rika.“

Riley löste den Blick von mir und sah Gabriel finster an, der gerade zu uns kam. Nun, eigentlich kam er nur zu mir. Riley ignorierte er gekonnt.

„Ja?“ Fragend sah ich zu ihm auf.

„Kann ich dich sprechen?“ Nun warf er einen kurzen Blick auf Riley. „Unter vier Augen.“

„Wenn ihr beide jeweils eins zu macht, sind es vier.“, bemerkte Riley.

Mein Mundwinkel zuckte. „Ich glaub mein Bodyguard hat was dagegen.“, antwortete ich auf Gabriels Frage.

„Sehr sogar.“, entgegnete dieser und zog mich enger an sich. „Was möchtest du?“

Gabriel zog eine Braue hoch und sah nun direkt zu Riley. „Mich bei ihr bedanken.“

„Es wäre mir lieb, wenn du deine Finger dabei bei dir lassen würdest.“

Ich kniff ihm in den Arm. „Wofür möchtest du dich bedanken?“

Damit konzentrierte Gabriel sich wieder voll und ganz auf mich. „Also, wenn du so fragst...“

Ohne den Satz zu beenden hob er die Hand an mein Kinn und beugte sich ein wenig vor. Im nächsten Moment stand ich plötzlich hinter Riley.

„Okay, das reicht mir langsam.“, meinte dieser, „Zwei mal habe ich es toleriert. Treib es nicht zu weit. Wenn du es schaffst, dann hol dir den Dritten, aber wenn du es wirklich wagen solltest sie ein zweites mal vor meinen Augen zu küssen, wachst du in deinem geliebten Krankenhaus wieder auf.“

„Riley!“, rief ich tadelnd aus, „Es ist doch nur ein Kuss. Ein Kuss unter Freunden.“

„Ein Kuss unter Freunden sieht für mich ein bisschen anders aus.“, entgegnete er.

Gabriel hatte ein seltsames Grinsen im Gesicht, dass ich nicht deuten konnte. „Wie du willst.“, meinte er, als hätte es den kurzen Wortwechsel zwischen Riley und mir nicht gegeben. „Ich hol ihn mir. Noch heute Abend. Und es ist mir egal, ob du es siehst oder nicht. Tatsächlich wäre es mir sogar ziemlich lieb, wenn du es sehen würdest.“

„Hör auf damit.“, bat ich ihn.

„Du solltest es dir vielleicht zwei mal überlegen.“, meinte Riley ohne mich zu beachten. Die Situation war für meinen Geschmack zu angespannt. „Oder vermisst du das Bett so sehr?“

„Ich muss zugeben, dass es mir ziemlich gefallen hat, als Rika bei mir im Bett geschlafen hat. Wer weiß. Vielleicht macht sie es dann ja öfter.“

„Gabriel!“, rief ich entrüstet aus.

„Glaubst du wirklich, ich würde sie allein zu dir gehen lassen?“

„Riley!“ Beide ignorierten mich.

Gabriel sah auf seine Armbanduhr. „Ich hab noch etwa eine Stunde. Ich denke das wird reichen.“ Sein Blick fiel auf mich. „Wir sehen uns später.“

Ohne ein weiteres Wort mischte er sich unter die letzten Gäste. Riley schnaubte aufgebracht.

„Reg dich bitte nicht so auf.“, versuchte ich es und trat neben ihn, wobei ich meine Arme um seinen Arm schlang. „Ich mag es nicht, wenn du so wütend bist.“

Angestrengt schloss er die Augen und regte sich eine Weile nicht. Dann atmete er schließlich lange aus, entspannte sich und sah, wieder ruhiger geworden, zu mir herab.

„Tut mir leid.“ Der Arm, den ich festhielt, legte sich um meine Taille und zog mich an sich. „Ich mag es einfach nicht, wenn er dich küsst. Da brennt bei mir eine Sicherung durch.“

Irgendwie war dieser Abend nicht mehr so ganz das, was ich mir gewünscht hatte. Sicher, es war ein voller Erfolg, aber... jetzt bekriegten Riley und Gabriel sich. Ganz ohne Grund, meiner Ansicht nach. Es war ja nicht so, dass ich mich plötzlich für Gabriel entscheiden und Riley verlassen würde. Doch... vielleicht war es genau das, wovor Riley Angst hatte. Hatte er?

„Du musst dir wirklich keine Sorgen machen.“, versuchte ich ihn zu beruhigen, „Drei Küsse. Nur an einem Abend. Mehr passiert ja nicht.“

Ein leicht verzweifelter Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. „Ich weiß ja. Aber es sind genau diese drei Küsse, die mir zu schaffen machen. Es ist schwer zu ertragen, wenn man zusehen muss, wie die Frau die man liebt, von einem anderen geküsst wird. Da ist es egal, ob er nun nur ein Freund ist oder nicht. Das er es tut, ist schon allein schwer genug. Das er ein Freund von dir ist, macht es irgendwie noch schwerer. Aber wenn ich noch zusehen muss...“ Er schüttelte den Kopf.

Ich dagegen lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Also hatte er doch keine Angst, dass ich mich plötzlich für Gabriel entscheiden würde. Er wurde einfach nicht damit fertig, dass jemand anderes mich küssen würde.

Ach Riley. Mein allerliebster Riley.

 

Wortlos vergrub ich mein Gesicht an seinem Hals und atmete tief durch. Er roch so gut. So gut, dass ich auf der Stelle hätte einschlafen können. Aber es waren noch ein paar Gäste da.

„Vielleicht solltest du schon mal ins Bett gehen.“, bemerkte meine große Liebe und sah leicht besorgt auf mich herab. „Du siehst ganz müde aus.“

„Es geht schon. Spätestens um Mitternacht muss ich sie sowieso nach hause schicken.“ Was mir nicht so schwer fallen würde. Die Gäste bestanden neben Celine und Greg, die mit dem letzten Gast gehen wollten, nur noch aus vier Personen, die ebenfalls erledigt aussahen. Und die Uhr sagte, dass es nur noch eine halbe Stunde dauerte, bis Mitternacht war. „Sie gehen gleich sicher von allein.“

„Dann kannst du doch auch ruhig ins Bett gehen.“

Wir saßen auf der Couch, ich neben ihn, wobei er die letzten Gäste beobachtete und ich an ihn gelehnt immer mal wieder weg döste oder einfach seine Nähe genoss.

„Ich werde warten.“, entgegnete ich und stand auf, „Ich hol mir nur etwas zu trinken.“

Da Gabriel gerade nicht im Raum war, wahrscheinlich war er im Bad, blieb Riley auf der Couch sitzen und wartete dort, während ich zum Tisch ging und mir einen Becher Cola holte. Leider stellte ich jedoch fest, dass ausgerechnet die Cola wieder leer war.

„Ich hol mir eben etwas aus der Küche!“, rief ich Riley zu und war bereits auf den Weg zum Flur.

Ich hörte, wie er sofort von der Couch aufsprang, doch er wurde offenbar von jemandem aufgehalten.

„Hey Riley. Sag mal...“

Im Flur kam mir Gabriel entgegen, der sichtlich überrascht darüber war mich zu sehen.

„Ganz allein ohne Riley?“, fragte er.

„Ich hol mir was zu trinken aus der Küche.“, entgegnete ich, „Die Cola im Wohnzimmer ist leer.“

„Wenn ich mich recht erinnere ist die ganze Kiste leer.“

„Oh. Mist.“

„Warum?“

„Weil ich total müde bin und erst ins Bett gehen möchte, wenn die Gäste gegangen sind. Aufräumen können wir ja morgen.“

Während ich redete kam er ein wenig näher. „Mir kommt es ziemlich gelegen, dass ich dich allein antreffe. Deinem Bluthund scheint es ja nicht zu gefallen, dass ich auch nur mit dir rede.“

Ich verzog das Gesicht. „Er ist kein Bluthund. Und er will nur nicht, dass du mich küsst.“

Seine Hand legte sich in meinen Nacken. Sein Mundwinkel hob sich. „Ich hab ja gesagt, ich hol mir den dritten noch. Außerdem sieht er es ja nicht. Er sagte ja, wenn ich kann, soll ich ihn mir holen.“

Da mich die Müdigkeit etwas träge machte, reagierte ich nicht auf den Satz. Gabriel dagegen fasste es so auf, dass ich wohl einfach keine Einwände hatte, die ich ja tatsächlich nicht hatte, beugte sich vor und legte seine Lippen ein letztes mal für diesen Abend auf meine. Wie bei den vorigen Küssen wehrte ich mich nicht. Tatsächlich war es diesmal sogar so, dass ich ihn erwiderte. Er schob mich langsam zurück, drückte mich vorsichtig an die Wand und legte mir die freie Hand an die Seite. Dabei intensivierte er den Kuss, wurde fordernder und tat diesmal sogar etwas, dass er bei den anderen nicht getan hatte. Erst war es nur eine vorsichtige Berührung seiner Zunge an meiner Unterlippe. Die Hand an meiner Seite glitt dabei ein wenig tiefer, legte sich auf meine Hüfte. Dann wurde er noch fordernder, wagte sich mit der Zunge weiter vor und glitt mit den Fingern unter mein Shirt. Sofort hielt ich sein Handgelenk fest, um ihn daran zu hindern, weiter zu gehen. Den Kuss beendete er jedoch nicht. Im Gegenteil. Trotz der Schritte, die aus dem Wohnzimmer führten, küsste er mich sogar noch inniger, zog mich enger an sich heran und wagte es sich sogar leise zu stöhnen. Im nächsten Moment wurde er weggezogen und landete unsanft auf dem Boden.

Ich zuckte zusammen, sah zu Riley auf und schluckte leise. Nun war er wirklich schlecht gelaunt. Gabriel hob grinsend die Hände.

„Du hast es nicht gesehen.“, wand er ein, „Dass du in den Flur kommst, konnte ja keiner ahnen.“

Ich sah, dass Riley ziemlich mit sich rang. Seine Hände ballten sich so fest zu Fäusten, dass die Knöchel weiß wurden. Ich konnte erkennen, dass er sogar die Zähne zusammen biss. Er war wirklich wütend.

„Du solltest vielleicht wieder ins Wohnzimmer gehen.“, meinte ich an Gabriel.

Dieser stand auf, ohne das Lächeln zu verlieren, warf Riley einen kurzen Blick zu und sah dann zu mir.

„Der war für das Geschenk, dass du mir gemacht hast.“, meinte er dann, „Du bist das umwerfendste Mädchen, dass ich je kennen gelernt habe.“

„Gabriel... Du solltest wirklich wieder zurück gehen.“

„Ich weiß. Ich weiß.“ Trotzdem kam er zur mir herüber. „Ich wünsche dir schon mal eine gute Nacht.“

Wieder beugte er sich vor. Meine Augen wurden größer, doch diesmal zielte er nicht auf meine Lippen. Sein Mund berührte lediglich meine Wange. Ich sah, wie Rileys Hände begannen zu zittern.

„Gute Nacht.“, antwortete ich schnell.

Statt ins Wohnzimmer zu gehen, ging Gabriel die Treppe hinauf. Er war wohl auch müde. Als er nun endlich weg war, schloss Riley die Augen und zwang sich ruhig zu atmen. Wortlos trat ich zu ihm, legte die Arme um ihn und wartete einfach, bis er sich beruhigt hatte. Als es weitestgehend der Fall war, legte er ebenfalls die Arme um mich und lehnte seine Wange an meinen Schopf. Es schien, als wäre er auf eine sehr harte Probe gestellt worden.

Irgendwann löste er sich widerwillig von mir und küsste mich auf die Stirn. „Die letzten Gäste sollten jetzt besser auch verschwinden. Dann sollten wir schlafen.“

„In Ordnung. Ich sag ihnen Bescheid.“

Mit einem Nicken löste er sich von mir, woraufhin ich ins Wohnzimmer eilte und die Gäste bat zu gehen, weil es zu spät wurde. Sie bedankten sich für die Einladung, lobten mich für die Party und verabschiedeten sich an der Tür von mir. Celine und Greg taten es ihnen ähnlich. Sie überschütteten mich mit Lob und Glückwünschen zum Erfolg der Party und freuten sich bereits darauf bei der nächsten wieder helfen zu dürfen. Nebenbei verabredeten wir uns für ein Treffen an einer Eisdiele in der Nähe des Parks und verabschiedeten uns dann schließlich.

Riley hatte schweigend zugesehen, sich ebenfalls verabschiedet und stand nun, etwas besser gelaunt, neben mir, meine Hand in seiner verflochten. Ich ging noch schnell mit ihm durch die Räume, schaltete überall die Lichter aus und ging dann mit ihm die Treppe hoch.

„Wo ist eigentlich Jaydon?“, fragte er plötzlich.

„Jason hat ihm ein Gästezimmer gegeben. Er ist vor ein paar Stunden ins Bett gegangen, weil er so müde war.“

„Verstehe.“

Oben angekommen gingen wir in mein Zimmer, wo er die Tür hinter uns schloss und sogar den Schlüssel herum drehte. Neugierig hob ich eine Braue und sah ihn fragend an.

„Warum schließt du ab?“, fragte ich ihn und wurde nervös, als er sich an mich wand.

„Weil...“ Er trat auf mich zu und schob ohne Vorwarnung mein Shirt hoch. „Weil ich jetzt etwas mit dir vorhabe.“, erklärte er, während er mir das Shirt auszog und mir einen Kuss gab.

„Was denn?“, fragte ich neugierig und bemerkte einen Schauder, als er mir den Rock und die Jeans auszog, die ich unter dem Rock trug.

Als er wieder hoch kam, küsste er jedes bisschen Haut, dass er sah. „Etwas, bei dem du vielleicht laut werden könntest.“ Er zog sich das Shirt aus und küsste mich abermals.

„Laut werden?“, hakte ich nach und beobachtete ihn dabei, als er sich die Hose auszog.

Als wir daraufhin nur noch Unterwäsche trugen, hob er mich mit einem Mal hoch, ging mit mir zum Bett und legte mich vorsichtig hinein. „Laut.“, bestätigte er, „Hoffentlich sehr laut. Von mir aus soll Gabriel ruhig hören, dass er dich nicht haben kann.“

Ich rollte mit den Augen. „Ich bin niemandes Eigentum.“

„Nein.“, stimmte er zu, „Aber du bist meine Freundin. Die Liebe meines Lebens. Mein. Ganz allein mein.“ Er zog mir auch den Rest aus und betrachtete mich eingehend. „Du bist wunderschön.“

Mit roten Wangen bedeckte ich mich schüchtern und zupfte an der Decke. Im nächsten Moment legte er sich vorsichtig zu mir und sah mir in die Augen.

„Ich möchte nicht, dass das hier irgendwann irgendjemand anderes sehen darf.“

Ich hatte die Sprache verloren und wusste nicht, was ich nun tun sollte. Aber ich musste nichts tun. Er begann von selbst, indem er mich hingebungsvoll küsste.

Es war wahrscheinlich die schönste Nacht meines Lebens.

 

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich zufrieden, glücklich und lag faul im Bett, ganz dich an Riley gekuschelt. Selbst im Schlaf hielt er mich eng an sich gedrückt, als hätte er Angst, dass ich plötzlich weggehen würde. Als ich an die vergangene Nacht dachte, begann ich zu lächeln und vergrub mein Gesicht an seiner Brust. Er roch so wunderbar. Und er war so warm. So schön warm.

Es war einfach unglaublich. Er war aufmerksam, so unglaublich aufmerksam und einfach unersättlich. Ich ging stark davon aus, dass wir erst um 3 Uhr morgens Schlaf gefunden hatten. Ganz abgesehen davon, dass er offenbar einfach nicht genug bekam, schien er irgendwas verzweifelt versucht zu haben. Da ich tatsächlich ziemlich laut geworden war, ging ich davon aus, dass es nicht das war, was ihn in die Verzweiflung getrieben hatte. Es schien eher... als wolle er mich wirklich ganz haben. Ganz und gar. Am Ende sah er zufrieden und glücklich aus. Er hatte mir gar nicht oft genug sagen können, wie sehr er mich liebte.

Als er mich plötzlich enger an sich zog, sah ich zu ihm auf und stellte fest, dass er die Augen geöffnet hatte und glücklich zu mir herab sah.

„Hey.“, begrüßte er mich träge lächelnd.

„Hey.“, entgegnete ich verschlafen.

Er drehte sich auf den Rücken, zog mich dabei auf seine Brust und hielt mich fest. „Hast du gut geschlafen?“

„Wie ein Murmeltier.“

Ein Klopfen an der Tür hinderte ihn daran etwas zu erwidern, woraufhin ich verwundert aufsah.

„Ja?“

Die Tür wurde geöffnet und Jason sah vorsichtig herein. „Rika?“

„Was gibt’s?“

„Da ist jemand an der Tür, der dich gern sprechen würde.“

Ich blinzelte überrascht. „Okay. Ich komme gleich runter.“

Sorgfältig schloss er wieder die Tür hinter mir, woraufhin ich seufzend auf Riley herab sah.

„Sieht so aus, als müssten wir schon aufstehen.“

Er murrte, rollte sich mit mir herum, sodass er auf mir lag und vergrub sein Gesicht an meinem Hals. „Ich will nicht.“

„Aber Riley. Da wartet jemand auf mich.“

„Es wartet immer jemand auf dich.“, entgegnete er, „Sei es auch nur Gabriel oder ich.“

Ich rollte mit den Augen. „Ich bitte dich. Da ist nichts.“

„Ich will trotzdem nicht aufstehen. Lieber möchte ich noch ein bisschen Zeit mit dir verbringen.“ Seine Lippen glitten an meinem Hals herab, eine Hand wanderte immer tiefer.

„Riley! Bitte, ich muss- Okay. Ei-ei-ein bisschen wird er wohl warten können.“

Amüsiert lächelnd sah er zu mir herauf und küsste mich leidenschaftlich.

 

Eine Stunde später eilte ich die Treppen hinunter. Riley konnte und wollte es einfach nicht lassen. Nicht einen Moment behielt er seine Finger bei sich. Auch jetzt nicht, obwohl wir gerade das Wohnzimmer betraten, wo Jason den Gast hingebracht hatte.

„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.“, entschuldigte ich mich, sobald ich eintrat.

„Dir tut es keinen Moment leid.“, entgegnete Jason amüsiert, „Ich lass dich mal mit ihm allein. Komm Riley, machen wir für die Lady Frühstück.“

Ich schaffte es leider nicht nicht rot zu werden, woraufhin Riley mir einen kurzen, aber innigen Kuss gab und dann Jason in die Küche folgte. Dann fiel mein Blick auf den Gast, der mir irgendwie furchtbar vertraut war. Nicht etwa, weil ich viel Zeit mit ihm verbracht hatte. Nein. Ich mochte ihn nicht. Er... machte mir Angst.

„Hallo Rika.“, begrüßte er mich mit einem Lächeln, das mir ein Schaudern über den Rücken jagte. „Du bist ja richtig erwachsen geworden. Als ich dich das letzte mal gesehen habe, warst du noch ein kleines Kind von 5 Jahren.“

Ich zog nachdenklich die Brauen zusammen, woraufhin er aufstand und auf mich zu ging. Unwillkürlich trat ich ein paar Schritte zurück, trat damit hinaus in den Flur.

„Was ist? Erkennst du mich nicht?“

Angestrengt dachte ich nach, doch mir wollte einfach nicht einfallen, woher ich das Gesicht kannte, warum er mir solche Angst machte.

„Ach, du erinnerst dich wahrscheinlich nicht mehr, oder?“

„Wer... wer bist du?“

Er sah mich überrascht an, bevor er begann zu lächeln. „Du hast also deine Stimme wieder gefunden. Dann wird alles sicher gleich noch mehr Spaß machen.“

Irgendwas gefiel mir an seinem Unterton nicht. „Wer bist du?“, fragte ich erneut.

Weiterhin lächelnd griff er hinter sich. Ich sah Metall aufblitzen. „Onkel Jacko ist zu Besuch.“, antwortete er schließlich, „Und er hat ein Geschenk für dich.“

Er richtete eine Waffe auf mich. Ich spürte, wie das Blut aus meinem Gesicht wich. Mit großen Augen sah ich direkt in den Lauf der Pistole und betete, dass er nicht schoss.

„Wir werden jetzt einen Spaziergang machen. Ach was. Eine Spazierfahrt. Hast du mal in einem Porsche gesessen?“

Was soll ich tun? Was mache ich nur? Soll ich nach Riley rufen? Nein, er könnte verletzt werden. Aber was soll ich nur tun?

Ich schluckte schwer, begann zu zittern. „Bitte nicht.“

Sein Grinsen wurde breiter. „Ich sehe schon. Wir werden sehr viel Spaß haben. Na los, jetzt komm. Es gibt da jemanden, der auf dich wartet. Ich wette Nicko wird sich freuen, dich wiederzusehen. Zwar nur auf einem Bildschirm, aber das ist doch immerhin etwas, meinst du nicht?“

Gänsehaut breitete sich auf meiner Haut aus. Plötzlich hörte ich Schritte, die in unsere Richtung kamen. Kurz darauf kam Gabriel in Sicht, der offenbar schon gefrühstückt hatte. Als er uns sah, blieb er wie erstarrt stehen.

„Wenn du näher kommst, schieße ich.“, warnte Jacko ihn kalt. Das Lächeln war verschwunden. „Der nächste Schuss würde dann dir gelten.“

Ängstlich sah ich zu Gabriel, der mit finsterer Miene unentschlossen da stand. „Bleib wo du bist.“, bat ich ihn, „Er wird schießen.“

Er spannte sich sichtlich an. Ich machte zaghaft einen Schritt auf ihn zu.

„Gabriel, bitte nicht.“

„Ah ah.“, warnte Jacko sofort und streckte die Hand aus. „Komm her. Sonst muss ich dich holen. Und das wird garantiert nicht so nett ablaufen wie bisher.“

Ängstlich sah ich von dem Lauf der Waffe zu Gabriel. Mit einem Seufzen richtete Jacko sie schließlich auf ihn, woraufhin ich nach Luft schnappte und ein paar Schritte auf Jacko zu ging.

„Nicht! Bitte!“

„Dann komm her.“

Ich stand einen Moment unentschlossen da. Wenn ich mit ihm ging, würde hier niemandem etwas passieren. Ich ging einen Schritt weiter.

„Rika, nicht.“, warf Gabriel ein, „Geh nicht mit, wer weiß was er mit dir anstellen wird.“

„Komm mit.“, sprach Jacko darauf nur, „Dann passiert hier niemandem etwas.“

Tränen liefen mir über die Wangen. Gabriel hatte erst gerade sein Leben zurück bekommen. Ich konnte doch nicht zulassen, dass man es ihm wieder nahm. Noch ein Schritt.

„Rika, nicht!“, rief Gabriel aus.

Ich hörte, wie er einen Schritt machte. Dann ertönte ein lauter Knall. Mit aufgerissenen Augen drehte ich mich zu Gabriel um, und stellte fest, dass er auf dem Boden kniete, eine Hand auf seine linke Schulter gepresst.

„Komm jetzt. Die nächste Kugel wird er nicht überleben.“

Erneut ertönten Schritte. Diesmal schnell und laut. Wenige Augenblicke später tauchten Riley und Jason aus der Küche und Jaydon auf der Treppe auf. Alle drei blieben wie erstarrt stehen, als sie die Waffe sahen. Als Jaydon den verwundeten Gabriel sah, wollte er bereits drauf los rennen, doch im nächsten Moment war er es, auf dem die Waffe gerichtet wurde. Sofort blieb er stehen.

„Noch ein Schritt.“ Wieder zielte er auf Gabriel. „Dann wird dein heißgeliebter Bruder nicht mehr lange leben.“

„Ich komme mit!“, rief ich aus, „Bitte, schieß nicht nochmal, ich komme mit!“

„Sag sowas nicht.“, warf Riley blass ein, „Komm her. Du darfst nicht mit ihm gehen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Wenn ich nicht kooperativ bin, wird er auf euch schießen. Er würde euch töten oder sogar auf mich schießen. Ich werde mitgehen.“

Damit trat ich die letzten Schritte zu Jacko und zuckte zusammen, als er mir eine Hand in den Nacken legte. Er übte einen gewissen Druck aus, doch es tat nicht weh. Trotzdem wusste ich, dass er mir so sogar das Genick brechen konnte, wenn er nur wollte. Es wäre vielleicht nicht so einfach, aber nicht unmöglich.

Er zwang mich ihm zu folgen, als er langsam Richtung Tür trat. Niemand bewegte sich, als er die Tür öffnete und mich hinaus zerrte. Er ließ auch die Tür offen und zog mich über die Auffahrt, zu einem schwarzen Porsche. Neben der hinteren Tür blieb er stehen.

„Aufmachen.“

Zaghaft streckte ich die Hand aus und öffnete die Tür.

„Einsteigen.“

Ich stieg in den Wagen und ließ mich auf den Rücksitz sinken. Im nächsten Moment wurde die Tür zugeschlagen, die Fahrertür geöffnet und er stieg ein. Vorsichtig griff ich nach dem Türgriff und wagte es vorsichtig daran zu ziehen.

Kindersicherung. Wie ich das hasste.

Er fuhr los, warf mir dabei einen Blick durch den Rückspiegel zu. „Rutsch rüber, damit ich dich auch sehen kann.“

Ich tat was er verlangte. „Was hast du mit mir vor?“

„Willst du das wirklich wissen?“

Will ich? Ja. Aber was, wenn es etwas schlimmes ist?

Er grinste mich an. „Keine Angst. Solange du tust, was man dir sagt, wirst du nicht verletzt. Nun... ehrlich gesagt hoffe ich allerdings, dass du nicht alles tust, was man dir sagt. Es gibt da so einiges, was ich gerne mit dir tun würde.“ Sein Blick glitt durch den Rückspiegel über mich. „Du bist wirklich hübsch geworden.“

Ich antwortete nicht. Ich sah einfach nur starr vor mich her und weinte still.

Ich wette Nicko wird sich freuen, dich wiederzusehen.

Was hatte er mit mir vor?

 

Nicko

Ich war gerade in der Zentrale, als mein Handy klingelte. Ich hatte Jason gebeten mich nur im äußerstem Notfall anzurufen. Da ich Rika aber in Sicherheit dachte, ging ich davon aus, dass er es natürlich nicht war. Was dann auch so war.

„Ja?“, meldete ich mich.

„Wir wissen jetzt, wer die Bombe gelegt hat. Ein alter Freund von dir. Jackomo Vaidara.“

Ich atmete tief durch. Jacko war der größte Fehler, den ich je begonnen hatte. Ich hatte ihn mit 14 kennen gelernt und erst viel zu spät bemerkt, was er für krumme Dinger gedreht hatte. Ich hatte ihm sogar unbewusst den Zugang zu diversen Häusern verschafft, in die er wenige Tage später eingebrochen war. Er war immer tiefer in den Mist gesackt und hatte die falschen Leute kennen gelernt. Er hatte mich mal mit zu ihnen genommen. Damals waren wir noch Freunde. Doch dann wurde mir das zu viel und ich stieg aus. Dabei verletzte ich unabsichtlich den Kopf der Bande. So geriet ich in ihr Kreuzfeuer. Als ich dann 16 war geriet alles außer Kontrolle. Ich musste Rika verlassen.

„Wo ist er gerade?“, fragte ich unter kühler Kontrolle.

„Das weiß niemand. Wir haben ihn auf dem Highway aus den Augen verloren. Wir haben keinen Schimmer wohin er gefahren ist.“

„Findet ihn sobald es geht. Dann lässt ihn niemand mehr aus den Augen. Fliegt mit dem Hubschrauber hinterher, wenn es sein muss.“

„Haben wir die Erlaubnis zu schießen?“

„Keine tödliche Verletzungen.“, entgegnete ich. Damit war klar, dass sie schießen durften, er aber nicht sterben sollte. Mein Handy vibrierte. „Warte mal einen Moment.“ Ohne auf eine Antwort zu warten sah ich auf mein Display und nahm den eingehenden Anruf an, da ich nicht erkennen konnte, wer anrief. „Ja?“

„Nicko?“ Jason.

„Was ist passiert?“

Einen Moment war es still. „Rika wurde gerade entführt.“

Die Welt blieb stehen, hörte auf sich zu drehen. „Was sagtest du gerade?“, fragte ich leise.

„Da war dieser Typ. Er sagte, er kennt sie. Ich dachte sie seien alte Freunde und hab sie allein gelassen. Ich war mit Riley in der Küche und wir haben uns unterhalten da hörte ich plötzlich einen Schuss.“

Mein Herz krampfte sich zusammen. Wenn er ihr auch nur ein Haar gekrümmt hat-

„Er hat auf Gabriel geschossen. Wir haben die Wunde weitestgehend versorgt, und Jaydon ist gerade auf dem Weg ins Krankenhaus. Er hatte eine Waffe, Nicko. Und er hat weiterhin auf Gabriel gezielt. Er hätte ihn umgebracht, wenn wir etwas getan hätten. Und wäre er tot gewesen, hätte er auf den nächsten geschossen. Also ist Rika freiwillig mitgegangen.“

„Hey Nick, alles klar mit dir?“ Ich hörte Slayers Stimme nicht. Es schien, als sei sie meilenweit weg.

„Wie lange ist das her?“, fragte ich angestrengt.

„Keine zehn Minuten.“

„Ich werde mich darum kümmern.“ Niemand tut meiner Schwester etwas an.

Ich beendete das Gespräch und meldete mich wieder bei dem anderen. „Jacko gehört mir.“, informierte ich ihn, „Ich will ihn lebend.“

„Ist etwas passiert?“

Ich schwieg einen Moment.

„Nick?“

„Er hat meine Schwester.“

Wenige Sekunden später beendete ich den Anruf.

Jacko konnte von Glück reden, wenn ich ihn am leben ließ.

 

 

Rika

Es war vielleicht eine Stunde vergangen, bis wir endlich anhielten. Jacko stieg aus dem Wagen, ging drum herum, öffnete die Tür und riss mich am Arm packend heraus. Dann warf er die Tür achtlos wieder zu und zerrte mich hinter sich her auf ein riesiges Gebäude zu. Eine Villa. Eine riesige Villa.

„Was werdet ihr mit mir tun?“, fragte ich halblaut.

„Nun... als erstes machen wir eine kleine Aufnahme. Kannst du schauspielern? Du wirst jetzt zum Star.“ Pure Ironie. „Danach gibt es ein kleines Fotoshooting. Wir werden dir dafür leider ein bisschen weh tun müssen. Aber keine Sorge, danach bekommst du dein eigenes Zimmer.“

„Wann darf ich wieder nach hause?“

Wenn wir Nicko haben. So einfach ist das. Das Video und die Bilder werden wir ihm schicken um ihm ein wenig Motivation zu geben. Er weiß sicher schon, dass wir dich haben. Wir wissen leider nicht, wie lange es dauert, bis er uns gefunden hat. Wir kommen ihm natürlich liebend gern entgegen, aber dafür müssen wir ein paar Sicherheitsvorkehrungen treffen, weißt du. Er muss allein herkommen. Ganz ohne Verkabelung und dem ganzen Kram.“

Wo ist Nicko da rein geraten?

„Warum wollt ihr ihn haben?“

„Er ist uns was schuldig. Er hat mal beinahe unseren Boss getötet. Das vergisst man nicht. Wir werden ihn bestrafen. Ganz einfach.“

„Bestrafen?“

Ja. Ganz lange. Wir haben uns schon etwas ausgedacht. Du bist nur das Vorspiel. Wenn er erst einmal hier ist kommt der Zwischengang. Ein paar Fausthiebe steckt er ja einfach problemlos weg. Dann kommt der Hauptgang. Er wird an den Füßen aufgehängt und solange ausgepeitscht, bis es ihm die Haut vom Rücken reißt.“

Mir wurde schlecht.

Danach wird das ganze ein wenig mit Salz eingerieben. Ein kleiner Snack, bevor es zum Dessert kommt. Eine Hinrichtung. Er wird erhängt. Ich hoffe, er bricht sich dabei nicht das Genickt.“

Nicht brechen, Rika. Jetzt auf keinen Fall brechen.

Ich schluckte hart. „W-w-warum tut ihr das?“

„Weil er bestraft werden muss.“ Er betrat mit mir die Villa und führte mich eine Treppe hinauf. „Du spielst nur eine kleine Rolle als Lockvogel.“

„Was, wenn er nicht kommt?“

„Oh, er wird kommen. Ganz sicher. Mach dir darüber keine Sorgen.“

Oben angekommen schob er mich durch mehrere verwirrende Flure, bevor er mich schließlich in ein Zimmer führte. Es sah aus wie ein Büro. In der Mitte prangte ein großer Schreibtisch hinter dem ein hochgewachsener Mann saß und mit gerunzelter Stirn auf einen Zettel sah.

„Ich hab das Mädchen.“, meinte Jacko einfach und schob mich vorwärts.

Als der Mann hinterm Schreibtisch den Kopf hob, zuckte ich zusammen. Über die linke Gesichtshälfte zog sich eine Narbe, die sich über das Auge und die Wange zog. Das Auge sah milchig aus, was darauf hinwies, dass er darauf blind war.

„Ah.“, rief er erfreut aus und lächelte. „Rika!“

Ängstlich schlang ich die Arme um mich und zog den Kopf ein wenig ein.

„Du siehst deinem Bruder wirklich sehr ähnlich.“, bemerkte er und erhob sich von seinem Stuhl. „Als ich dich das letzte mal gesehen habe, warst du noch ein kleines Kind. Du bist wirklich eine schöne junge Frau geworden.“ Er ging um den Schreibtisch herum und trat vor mich. Ich wollte zurück treten, doch Jackos Hand in meinem Rücken hinderte mich daran. „Aber wo bleiben denn meine Manieren? Ich bin Jeffrey Denorvey. Wie du nun sicher weißt, bin ich der Kopf der ganzen Bande.“

Erneut glitt mein Blick über sein Gesicht. Die Narbe schien ihn geradezu magnetisch anzuziehen. Es sah so brutal aus.

„Ah ja.“ Jeffrey betastete die Narbe. „Die Narbe. Die hab ich mir zugezogen, als dein Bruder gegangen ist. Das ist nur eine von Vielen. Na komm, setz dich.“

Höflich deutete er auf eine Couch, rechts an der Wand. Als ich zögerte, stieß Jacko mich grob an.

„Mach schon.“, murrte er.

„Ist schon gut.“, warf Jeffrey ein, „Du kannst gehen.“

Mit einer leichten Verbeugung verließ Jacko den Raum, womit ich allein mit Jeffrey war.

„Hab keine Angst. Ich tu dir nichts.“, versuchte er mich zu beruhigen.

Zitternd trat ich auf die Couch zu und setzte mich vorsichtig. „E-e-er s-s-sagte, man würde mir wahrscheinlich w-w-weh tun.“, bemerkte ich.

Er seufzte leise und setzte sich zu mir. „Ich scheue mich davor ein so schönes Mädchen wie dich zu verletzen. Überhaupt verachte ich Frauenschläger, doch... sollte Nicko nicht kommen... müssen wir etwas tun, um ihn anzulocken. Das verstehst du doch, nicht wahr, Rika?“

Ich schluckte.

„Aber du brauchst keine Angst haben. Nickolai wird nicht zulassen, dass dir etwas passiert.“

Nickolai? „W-w-was w-w-werdet ihr mit mir t-t-tun?“

„Als erstes werden wir ein kleines Video von dir machen. Nickolai soll wissen, dass wir dich wirklich haben. Wir werden auch eine Strähne deines hübschen Haares und... naja... vielleicht ein paar kleine Tropfen von deinem Blut brauchen.“

Eine Gänsehaut zog sich über meinen Körper und ich merkte, wie ich blass wurde. „Blut?“, hakte ich beinahe hysterisch nach.

„Nur ein paar Tropfen. Ein kleiner Schnitt in den Arm, und das wars. Hast du Hunger? Oder Durst? Es ist noch ziemlich früh.“

„N-n-nein danke.“

„Wie du willst. Wir sollten dann besser schon mal anfangen, damit du schnell wieder nach hause kannst. Hier geht es um deinen Bruder, nicht um dich.“

Ich schluckte hart und folgte ihm widerwillig, als er aufstand und das Zimmer verließ. Als irgendwo im Haus die Schreie einer Frau ertönten, blieb ich abrupt stehen und sah mich um, wohl wissend, dass ich sie nicht sehen würde.

„Oh, keine Angst. Das ist nur Petricia. Sie ist... Masochistin.“

Erneut spürte ich Übelkeit in mir aufkommen. „Masochistin?“

„Ja. Weißt du nicht, was das ist? Sie hat Freude daran, dass man ihr Schmerzen zufügt. Das macht sie an. Mittlerweile könnte sie nicht einmal kommen, ohne Schmerzen zu haben.“

„Sie sagten doch gerade, dass sie Frauenschläger verabscheuen.“

„Ja. Aber Petricia liebt es geschlagen zu werden. Wie soll ich es da jemandem verbieten?“

Er nahm mich fest am Oberarm und zog mich sanft weiter. Er stieg mit mir zwei Treppen hinauf und ging durch so viele Gänge, dass ich nie die Orientierung hätte behalten können. Schließlich blieb er mit mir vor einer verschlossenen Tür stehen.

„Und? Bist du bereit?“

„Nein.“, flüsterte ich.

„Es wird nicht weh tun... okay, vielleicht ein winziges bisschen. Und erst Recht, wenn du dich wehrst. Bleib weiter so kooperativ, dann passiert dir nichts.“

Ich schluckte und merkte, wie ich die Luft anhielt, als er nach dem Griff der Tür fasste. Er schob mich ein wenig unsanft in den Raum, wo ich die Augen aufriss und einen Schritt zurück trat.

„Nein.“

Ein Stuhl. Daran waren Fesseln befestigt. Jeweils einen für einen Arm, den Beinen und da hing an der Rückenlehne eine Kette mit einem Halsband. Ich sah sofort, dass das Halsband enger wurde, wenn man an der Kette zog. Doch das schlimmste an der ganzen Sache war, dass jede der Fesseln mit Metallspitzen gespickt war, die schmerzhaft in die Haut drücken würden.

Als Jeffrey mich voran schob, schrie ich leise auf und trat einige Schritte von ihm weg.

„Nein!“

Ohne ein weiteres Wort griff er nach mir. Ich begann mich zu wehren.

 

Nicko

Ruhelos ging ich wieder und wieder auf und ab. Es gab keine einzige Spur. Rika war nun seit vier Tagen verschwunden, doch man hat sich noch nicht gemeldet. Ich wusste zwar wo die Löcher dieser Bande waren, doch ich wusste nicht, in welchem Rika nun war.

Ein Klopfen an meiner Tür riss mich aus meinen Gedanken. Slayer stand an der Tür, seine Miene grimmig. Er wusste was passiert war und würde ebenso viel daran setzen wie ich, um Rika zurück zu holen.

Dieser Jason hat angerufen.“ Er hielt mein Handy hoch, dass ich irgendwo in der Zentrale hatte liegen lassen. „Er sagt, er wolle einen gewissen Riley herbringen, damit er in Sicherheit ist.“

Ich zog dir Brauen zusammen. „Ja... Das würde Sinn machen. Er ist Rikas Freund. Sie könnten ihn ebenfalls kidnappen, um Rika gefügiger zu machen.“

„Das schien man wohl sogar versucht zu haben. Deshalb hatte Jason angerufen. Ich hab ihm gesagt, dass man ihn und Riley abholt. Der Rest der Familie wird überwacht.“

Ich nickte. „Gut. Wann sind sie hier?“

„In vielleicht einer halben Stunde. Sie sind mit dem Helikopter unterwegs.“

„Verstanden. Hat man die beiden Unterschlüpfe schon untersucht?“

„Ja. Alles leer. Die Einheit ist auf dem Weg zum nächsten. Die sind verteilt wie Löwenzahn auf einer freien Wiese.“

Ich sagte dazu nichts. Das musste ich auch nicht und Slayer erwartete es auch nicht. „Gib mir Bescheid, wenn die beiden da sind.“

„Verstanden.“

Er legte mein Handy auf den Tisch neben der Tür und ging. Ich dagegen starte lange den Hightech-Computer an, der im Zimmer stand. Ich war bereits alles mögliche durchgegangen. Einmal waren wir ganz kurz davor sie zu finden, doch dann stellten wir fest, dass sie sie immer weiter brachte. Von Unterschlupf zu Unterschlupf.

Tief durchatmend verließ ich das Zimmer, nahm im Vorübergehen mein Handy und machte mich auf den Weg in das Herz des Gebäudes. Heath sah von seinem Computer auf als er mich hörte und lächelte leicht, jedoch etwas gequält.

„Wollte gerade nach dir schicken lassen. Da kam gerade ein Video rein, dass an dich adressiert ist.“, informierte er mich.

Wortlos trat ich zu ihm und sah auf den Bildschirm. Das Bild, dass ich sah, verursachte mir Schmerzen im Herzen. Rika, geknebelt und gefesselt auf einem Stuhl. Dann spielte Heath das Video ab. Es begann damit, dass Rika zu dem Stuhl gezerrt wurde. Sie schrie vor Angst und flehte dem Mann an sie loszulassen. Die Versuchung war groß wegzusehen, besonders als sie sie fesselten und knebelten, doch ich musste hinschauen. Das funktionierte auch ziemlich gut... bis ich sah, dass sie blutete. Überall dort, wo sie gefesselt war. Ich biss fest die Zähne aufeinander, zwang mich ruhig zu bleiben und mir alles anzusehen.

„Hallo Nicko.“, hörte ich dann eine bekannte Stimme aus der kleinen Box neben dem Monitor.

„Denorvey.“, murmelte ich kalt.

„Du kennst ihn?“, fragte Heath überrascht.

„Der Kopf der Bande.“, entgegnete ich nur.

„Wie du siehst habe ich hier deine süße kleine Schwester.“, merkte Denorvey an, „Keine Sorge, ihr geht’s prächtig. Zumindest zu der Zeit, in der wir das hier aufnehmen. Nicht wahr Rika?“

Das Bild von ihrem weinendem Gesicht wurde heran gezoom. Es schmerzte, sie so zu sehen, ohne etwas tun zu können.

„Sieh in die Kamera, Kleines, damit dein Bruder dich sehen kann.“

Sie kniff die Augen zusammen, schluchzte unter dem Knebel. Dann griff man plötzlich grob nach ihrem Kinn und drehte ihr Gesicht zur Kamera.

„Na los, sieh hin.“

Zaghaft öffnete sie die Augen.

„Dieser Schweinehund!“, rief Heath aus.

Meine Finger gruben sich in das Leder seiner Rückenlehne. Man hatte ihr irgendwas gegeben.

Tut mir leid, dass das Video so spät kommt. Sie hat beim erste mal die Kamera zerstört. Da mussten wir ihr etwas zur Beruhigung geben.“

Die Wut brodelte so stark in mir, dass ich ihn am liebsten in Fetzen gerissen hätte. Es war nicht nur so, dass man ihr etwas gegeben hatte. Man hatte auch irgendwas mit ihren Augen angestellt. Ihre Augen waren nicht wie gewohnt so grün wie meine. Sie schienen irgendwie einige Schattierungen heller zu sein.

„Gefallen dir ihre Augen? Ein enger Vertrauter sagte mir, ihr könnten hellere Augen gut stehen. Ich kenn da jemanden, der ziemlich gut mit Laser umgehen kann, weißt du.“ Er lachte leise und Rika schloss gequält die Augen. „Es gibt übrigens einen einfach Weg, wie du sie wieder in Sicherheit bringen kannst. Du musst einfach nur auf die nächste Nachricht warten. In ihr steht alles, was du wissen musst.“

Damit wurde der Bildschirm schwarz.

„Das war noch nicht alles.“, bemerkte Heath, „Das Video geht zwanzig Minuten lang. Das waren nur sieben.“

Im nächsten Moment war wieder Rika zu sehen. Sie saß blass und erschöpft auf dem Stuhl, den Kopf in den Nacken gelehnt, die Augen nur zur Hälfte offen. Sie sah unglaublich müde aus. Etwa zwei Minuten lang saß sie einfach nur da und sah an die Decke. Plötzlich hob sie den Kopf und sah ängstlich an der Kamera vorbei. Kurz darauf ertönten Geräusche. Dann kam jemand mit ins Bild.

„Jackomo.“, merkte ich an.

Ich hasste ihn abgrundtief. Doch das, was er nun tat, brachte mich zur Weißglut. Er nahm sie sich einfach vor laufender Kamera. Ihre gedämpften Schreie waren wahrscheinlich im ganzen Gebäude zu hören. Er nahm nicht einmal Rücksicht auf die Fesseln, die sie offensichtlich immer mehr verletzten. Als das Video endlich vorbei war, regte sich niemand. Es war so still, dass man den Atem hören konnte, das stille Ticken der Uhr, das Surren der Computer.

„Ich bring ihn um.“

Mehr musste nicht gesagt werden. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren verließ ich den Raum und machte mich auf den Weg zum Trainingsraum. Adam war schon wieder dabei von Garret Prügel zu beziehen. Wortlos stellte ich mich an die Seite, bis Adam es mal wieder aufgab. Gegen Garret kam man einfach nicht an. Genau das, was ich nun brauchte.

„Hey Nick.“, begrüßte er mich, als er mich sah. „Gibt es schon Fortschritte?“

„Hast du eben die Schreie gehört?“, fragte ich zurück.

Er fluchte leise. Dann atmete er tief durch und nickte mir zu. „Na gut. Versuch dein bestes.“

Das musste er mir nicht zwei mal sagen. Im nächsten Moment rannte ich auf ihn zu und verpasste ihm einen so heftigen Kinnhaken, dass er beinahe zu Boden stürzte.

Der Kampf hielt nur leider nicht lange an. Es war mal wieder Slayer, der sich meldete. Dabei war ich gerade tatsächlich dabei Garret zu vermöbeln.

„Hey hey. Was ist denn in dich gefahren?“, fragte Slayer verwundert.

„Das miese Arschloch hat der Kleinen was angetan.“, entgegnete Brian, der zu der Zeit im Zimmer war, als das Video abgespielt wurde und nun Gewichte stemmte.

„Erinnert mich bitte daran, dass ich mich nie mit Nicko anlegen werde, wenn er wütend ist.“

„Wird gemacht.“, entgegnete Adam trocken.

„Was willst du?“, wollte ich dann von Slayer wissen.

„Der Junge ist da.“ Er deutete neben sich. „Hast du gerade wirklich Garret zu Kleinholz verarbeitet?“

Zu mexikanischem Schaschlik.“, entgegnete dieser und stand leise stöhnend auf. „Wäre überrascht, wenn du mir nicht mindestens drei Knochen gebrochen hast.“

„Ich wäre überrascht, wenn nicht.“, entgegnete Brian, „Aber ich kann ihn verstehen. Ich wäre auch fuchsteufelswild, wenn das meiner Schwester passieren würde.“

„Du hast 'ne Schwester?“, fragte Garret überrascht.

„Natürlich hab ich eine. Sogar drei.“ Er setzte die Gewichte ab und setzte sich auf.

„Sind sie hübsch?“

„Meine Schwestern gehen dich einen Scheißdreck an.“, entgegnete Brian finster.

Garret lachte leise. Ich dagegen wischte mir ein paar Tropfen Blut von der Wange. Ich hatte Garret einen Zahn ausgeschlagen. Dann sah ich, wie Riley sich vorbeugte, um hineinzusehe, wobei er große Augen machte, als er uns sah. Wortlos sah ich nochmal kurz zu Garret herab, bevor ich zu Slayer und Riley ging.

„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte ich Riley. Er hatte einen Schnitt am Hals... nicht tief. Außerdem hatte er auch einen an der Wange.

„Ja, ich bin in Ordnung. Was meinten die damit, dass man Rika etwas angetan hat?“

Schweigend sah ich auf Riley herab, bevor ich an ihm vorbei ging und ihn bat mir zu folgen. Ich ging mit ihm in mein Zimmer, wo ich ihm so ruhig wie möglich erzählte, was auf dem Video zu sehen war. Seine Augen wurden immer größer, sein Gesicht immer blasser. Schließlich setzte er sich einfach auf den Boden, die Hände fest zu Fäusten geballt.

„Was wird man ihr noch antun?“, wollte er wissen.

„Ich weiß es nicht. Aber ich werde auf jeden Fall dafür Sorgen, dass sie wieder da raus kommt.“

~Kapitel 13~

Rika

Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, seit sie mich in ein Zimmer mit Bett gebracht hatten. Die Fenster waren dicht und es gab hier keine Uhr. Ich wusste nicht einmal ob es Tag oder Nacht war. Das einzige was ich im Moment ziemlich gut sagen konnte war, dass mein Körper höllisch weh tat. Und meine Augen brannten wie Feuer. Ich wusste nicht, was sie damit angestellt hatten, aber es hatte sehr weh getan. Die Stellen, an denen ich gefesselt war, waren immer noch blutig und ab und zu rissen die Wunden auf, wenn ich mich falsch bewegte. Mein Hals schmerzte ebenso, vom vielen schreien. Noch nie habe ich so viel geschrien.

Wo bleibst du nur Nicko?

Die Tür wurde aufgeschlossen. Jemand kam herein.

„Zeit für ein kleines Fotoshooting!“, trällerte ein Mann gut gelaunt.

Er hieß Don, wenn ich mich nicht verhört hatte. Er hatte mich gefesselt, nachdem ich Jeffrey mein Knie zwischen die Beine gerammt hatte. Es war ein Unfall, aber das wollte er mir nicht glauben.

„Na komm, Kleine.“, meinte er gut gelaunt und zerrte mich am Oberarm in eine senkrechte Position.

„Ich kann nicht.“, jammerte ich, „Lasst mich gehen. Bitte.“

„So läuft es leider nicht. Wenn wir dich gehen lassen, kommt Nicko nie her.“

„Ist nicht das allein schon Strafe für ihn? Zu wissen, was passiert, während er hilflos irgendwo anders ist?“

Er lachte amüsiert. „Ach, keine Sorge. Er wird nicht mehr sehr lange Hilflos sein. Um ihm zu helfen, machen wir ihm ein paar kleine Fotos.“

Da ich vor Schmerz nicht mehr gehen konnte, hob er mich einfach hoch und trug mich aus dem Zimmer. Ich wusste nicht wohin, dafür war ich hier zu orientierungslos. Jede Ecke sah gleich aus, die Wände alle makellos und jede Tür war ein Duplikat. Als er mit mir dann einen Raum betrat, merkte ich jedoch sofort, dass es ein anderer war.

„Hier. Du sollst sie umziehen.“, meinte Don plötzlich, „Irgendwas nettes unterwürfiges. Und mach ihr eine Augenbinde um.“

„Oh, sieht sie süß aus.“, ertönte eine weibliche Stimme, „So jung und zart.“

„Nicht zu deinem Vergnügen. Zieh sie nur um.“

Ein weibliches Murren. Dann wurde ich auf ein Bett gelegt. Ich wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden.

„Etwas unterwürfiges sagst du?“, hakte die Frau nach.

„Ja.“

Geräusche ertönten. Klang nach einem Schrank der geöffnet wurde, dann Kleidung die an Stangen hin und her geschoben wurde.

„Ah, ja. Das wäre perfekt!“, rief sie aus.

Ich öffnete die Augen ein wenig, konnte jedoch nur etwas pinkes und ein wenig Plüsch erkennen. Im nächsten Moment war die Frau bei mir und begann mich auszuziehen. Ich versuchte mich zu wehren, wimmerte leise.

„Bitte nicht.“

„So unschuldig.“, gurrte die Frau, „So rein. Denkst du, sie ist noch Jungfrau?“

„Selbst wenn sie es bei der Entführung gewesen ist, ist sie es jetzt sicher nicht mehr.“

„Wie? Hat Jacko sich an ihr vergriffen?“

„Er hat ziemlich viel Spaß gehabt. Alles wurde aufgenommen.“

Sie seufzte enttäuscht. „Schade.“

Als ich einige Minuten später nackt in diesem Bett lag, versuchte ich mich zu bedecken, doch es gelang mir herzlich wenig, da sie bereits wieder begann mir irgendwas anzuziehen. Kurz darauf machte sie ein verzücktes Geräusch.

„Und?“, fragte sie neugierig und stolz auf sich selbst nach.

„Passt gut. Jetzt mach ein paar Fotos von ihr. Du darfst sie auch gern anfassen oder anders positionieren.“

Während sie genau das tat, begann ich zu weinen, versuchten ihre Hände wegzuschieben, mich so hinzulegen, dass ich weniger wie auf dem Präsentierteller da lag. Als es endlich vorbei war, lachte die Frau entzückt auf und ließ mich wieder in Ruhe.

„Darf ich sie heute Nacht behalten? Bitte bitte?“

„Nein. Zieh sie wieder um. Ihre eigenen Sachen.“

„Wie gemein.“, jammerte sie, tat jedoch, wie er ihr befahl.

Zehn Minuten später hob er mich wieder hoch und brachte mich zurück. Als ich in meinem Bett lag, kugelte ich mich ein und zog die Decke über mich. Obwohl es warm war, zitterte ich wie Espenlaub.

Ich will nach hause.

 

Nicko

„Man hat mich gerufen?“, wollte ich wissen und betrat mit Riley im Schlepptau die kleine Zentrale.

„Da kam gerade etwas für dich an.“, antwortete Heath und hielt ein kleines Päckchen in der Hand. „Fühlt sich leicht an. Kein Video.“

Wortlos ging ich zu ihm herüber und öffnete das Päckchen. Natürlich wurde es vorher gründlich untersucht. Als ich dann sah, was in dem Päckchen war, erstarrte ich sofort und ballte die Hände zu Fäusten.

„Was ist es?“, wollte Heath wissen.

„Fotos.“, antwortete ich heiser und nahm einige heraus, um sie mir anzusehen.

Man hat sie in ein sehr knappes Outfit gesteckt, ihr die Augen verbunden und sie noch auf einige andere Arten gedemütigt. Berührungen an Orten, die sehr intim sind, Positionen, die der einer Prostituierten gleichkamen. Ganz unten lag ein kleiner Zettel.

 

Ein wirklich sehr hübsches kleines Ding.

Du willst sie wieder haben, nicht wahr?

Wie wäre es mit einem Tausch?

Sie gegen dich.

Wir sind für ein paar Stunden an folgender Adresse.

Du solltest allein sein, sonst siehst du sie nie wieder.

J.D.

 

Ich biss die Zähne aufeinander. Ramon, der gerade herein kam, bemerkte meine finstere Miene sofort, trat hinter mich und sah mir über die Schulter. Dann gab er ein hohen Pfiff ab.

„Hübsches Mädchen.“, bemerkte er dann.

Heath riss die Augen auf. „Das ist seine Schwester!“

Im selben Moment hatte ich mich umgedreht und ihm einen so heftigen Kinnhaken verpasst, dass er zu Boden fiel. Riley sprang abrupt einen Satz zurück und sah mit großen Augen auf ihn herab.

„Man, du kannst von Glück reden, dass du neu bist.“, redete Heath dann auf Ramon ein, „Wärst du schon länger hier, würdest du jetzt ganz schöne Prügel beziehen.“

Dieser kam langsam wieder auf die Beine. „Tut mir leid. Ich wusste ja nicht... Tut mir leid.“

Wortlos wand ich mich wieder ab und reichte Heath den Brief. „Check das bitte durch und finde heraus wo diese Adresse ist.“

„Kein Problem.“, meinte dieser darauf und drehte sich zum Computer um. „Was... Was ist auf den Bildern?“

Ich schluckte einige Male. Er wusste, dass Rika darauf war. Er wollte wissen, was mit ihr war. „Entblößt, gedemütigt...“, antwortete ich heiser, „Zur Schau gestellt.“ Ich hielt ihm ein Bild hin, das am wenigsten schlimm aussah, woraufhin er nur einen kurzen Blick darauf warf und dann sofort wieder weg sah.

„Wir finden sie schon.“, meinte er dann, „Wir holen sie zurück.“

„Wie geht es ihr?“, wollte Riley dann wissen und zog mir die Bilder aus der Hand, nur um dann zu erblassen. Seine Händen begannen zu zittern und ich bemerkte, dass er sich anstrengte, die Bilder nicht fallen zu lassen. „Rika.“ Er starrte noch ein paar Momente darauf herab. Dann sah er entschlossen zu mir auf. „Ich möchte euch helfen.“

„Riley, dass ist gefäh-“

„Das ist mir egal! Sie... Sie haben Rika.“ Er sah wieder auf die Bilder. „Ich möchte helfen, sie da raus zu holen.“

„Ich wüsste nicht, wie du helfen könntest.“

Zögernd sah er zu mir auf. „Mein Vater war beim Militär. Ist beim Militär. Er... hat mich mal zum Schießstand mitgenommen und mir beigebracht zu Schießen.“

„Mit einer Pistole kommt man nur weiter, wenn man damit auch gut umgehen kann.“

Er schüttelte den Kopf. „Nicht mit einer Pistole. Mit einem Gewehr für Scharfschützen.“

Heath schüttelte den Kopf. „Wie alt warst du da?“

„Das war vor zwei Jahren.“

„Hast du überhaupt getroffen?“

Er legte den Kopf ein wenig schräg, sah leicht zu Boden. „Ich hab öfter die Mitte getroffen, als mein Vater.“

„Auf stehende Ziele.“

Erneut schüttelte er den Kopf. „Auf bewegliche Ziele.“

Ich zog die Brauen zusammen. „Und selbst wenn. Ein Mensch und ein Dummy sind zwei verschiedene Dinge. Ein Dummy empfindet keine Schmerzen. Ein Mensch dagegen kann daran sterben.“ Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich verstehe, dass du helfen möchtest. Aber ich könnte es selbst Rika gegenüber nicht verantworten, wenn du jemanden erschießt oder selbst verletzt wirst.“

Wieder sank sein Blick auf die Bilder. „Ich möchte helfen.“

Ich wollte ihm gerade sagen, dass er leider nicht helfen konnte, als Heath das Wort erhob.

„Ich glaube, ich wüsste da sogar etwas.“

 

Rika

Ängstlich folgte ich Jeffrey über den Betonboden in das alte Lagerhaus und stolperte, als Don mich leicht anstieß, damit ich schneller ging. Da meine Hände auf dem Rücken gefesselt waren, konnte ich mich nicht vor einem schweren Sturz bewahren. So fiel ich mit dem Gesicht auf den Boden und schrammte mir die Wange auf.

Jeffrey drehte sich zu uns um. „Was machst du da?“, wollte er von Don wissen.

„Sie ging so langsam.“, entgegnete dieser.

„Ich sagte, nicht mehr Schmerzen als nötig. Lass sie so langsam gehen wie sie möchte. So lange du dafür sorgst, dass sie auch da ankommt, wo sie hin soll, ist es mir egal.“

Don murrte ein wenig, half mir auf und schob mich dann vorwärts. Jeffrey drehte sich daraufhin wieder um und ging weiter. Im Lagerhaus angekommen warteten bereits ein paar Männer. Jacko und drei andere Männer, die man mir bereits als Rick, Vesmond und Louie vorgestellt hatte. Jeffrey packte mich am Oberarm und schob mich zu Jacko, der mich schmierig angrinste.

„Hier. Bring sie hoch. Hab Spaß, aber verletze sie nicht.“, meinte er, bevor er sich an Louie wand. „Wie spät ist es?“

„17 Uhr, Sir.“

Jacko zerrte mich hinter sich her, zu einer Treppe, die offenbar in ein altes Büro führte. Tränen rannen mir über das geknebelte Gesicht, Übelkeit stieg in mir auf. Ich wusste, was er vor hatte.

Als er mit mir im Büro angekommen war, schloss er hinter sich ab, lächelte mich an und löste den Knebel von meinem Mund.

„So sieht man sich wieder.“, meinte er dann und zog mich zu dem alten Schreibtisch.

„Bitte nicht.“, bat ich so heiser, dass es mich wunderte, dass er mich verstand.

„Jetzt sei doch nicht so schüchtern. Das letzte mal war doch ziemlich gut, oder nicht. Mir hat es richtig gefallen. Dir etwa nicht?“

Sein Mund glitt über meinen Hals, seine Hände wanderten über meinen Körper. Ein Schluchzen kam über meine Lippen.

„Bitte nicht.“, wiederholte ich.

„Ich machs auch kurz, versprochen.“ Mit diesen Worten drehte er mich mit dem Bauch zum Schreibtisch, drückte meinen Oberkörper darauf und griff an meiner Hüfte vorbei zu meinem Reißverschluss.

Bevor jedoch noch irgendwas passieren konnte, ertönten Motorengeräusche. Klang nach einem Motorrad. Kurz darauf schien es quietschend in der Halle zum Stehen zu kommen. Jacko zögerte kurz, ließ von mir ab und ging zu einer Wand, mit einem Fenster, um in die Halle zu sehen.

„Na sieh mal einer an!“, rief er amüsiert aus, „Nicht nur Nickolai, nein. Dein kleiner Freund ist auch mit von der Partie.“

Meine Augen weiteren sich. Nein! Nicht Riley, nein!

„Wie auch immer.“ Er kam wieder zu mir, zog mir die Hose bis zu den Fußknöcheln herunter und drückte mich am Nacken auf den Tisch. „Den Spaß werde ich mir nicht verderben lassen.“

Seine Worte wurden von dem Geräusch eines Reißverschlusses begleitet. Im nächsten Moment fing er schon an. Unwillkürlich begann ich zu schreien.

„Nein! Hör auf! HÖR AUF!“

Plötzlich hörte ich Schüsse, doch Jacko ignorierte es einfach. Im Gegenteil. Es schien ihm sogar Spaß zu machen. Er begann mir weh zu tun, woraufhin ich noch mehr schrie. Plötzlich zersprang das Glas des Fensters, Jacko hörte auf und ich hörte nur noch das Geräusch von etwas schwerem, dass zu Boden fiel. Da meine Beine mich nicht mehr trugen, rutschte ich vom Schreibtisch, fiel auf den Boden und rollte mich zusammen. Schnelle Schritte auf der Treppe ertönten. Aus Angst, es könnte Don oder ein anderer dieser Gang sein, kroch ich um den Schreibtisch herum und versteckte mich. Jemand versuchte die Tür zu öffnen, dann war es kurz still, bevor sie, den Geräuschen nach zu urteilen, eingetreten wurde. Dann ertönten weitere Schritte auf der Treppe.

„Rika?“, ertönte Nickos Stimme, woraufhin Rileys Stimme folgte.

„Großer Gott!“, rief er aus, „Womit hast du geschossen?“

Einen Moment fragte ich mich, was er wohl meinte. Dann sah ich Blut, dass unter dem Schreibtisch hindurch floss und kroch hastig davon weg.

„N-N-Nicko.“, wisperte ich heiser.

„Sch sch.“, meinte dieser plötzlich, „Hast du das gerade gehört?“

„Nicko.“, versuchte ich es erneut.

Dieser eilte sofort um den Schreibtisch herum, blieb wie erstarrt stehen und ließ sich im nächsten Moment neben mir auf die Knie fallen. Wortlos riss er mich auf seinen Schoß, drückte mich fest an sich und wiegte mich sanft vor und zurück.

„Rika... Großer Gott, Rika. Ich hatte solche Angst um dich. Was haben sie nur mit dir gemacht?“ Er steckte die Waffe ein, die er in der Hand hielt, holte ein Messer hervor und schnitt die Fesseln von meinem Handgelenk. Draußen hörte ich weitere Motorengeräusche. „Wie geht es dir? Bist du verletzt?“

Als meine Hände frei waren, schlang ich einfach nur fest die Arme um ihn und hielt mich an ihm fest. „Ich will nach hause. Bitte.“

„Ist schon gut. Schon gut. Lass mich dich nur wieder anziehen.“ Vorsichtig zog er mir die Hose wieder hoch, drückte mich dann fest an sich und stand auf. „Riley, nimm du sie und warte, bis ich euch hole.“

„Warum? Du hast sie doch alle-“

„Das war nicht Denorvey.“

Verwirrt sah ich zu ihm auf. „Wie bitte?“

„Der Mann... Der Mann mit dem blinden Auge.“, meinte Nicko an mich, „Hast du ihn gesehen?“

„Jeffrey Denorvey.“, antwortete ich, „Ja.“

„Wo ist er?“

„Er... Er war doch unten.“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Da waren nur noch ein paar Männer.“

„Aber- Aber- Er war da! Er war dabei!“

Er atmete kurz durch und sah zu Riley auf. Dann sah er wieder zu mir herab. „Warte hier mit Riley, okay? Ich komm euch holen.“

„Aber-“

„Warte hier.“, unterbrach er mich und schob mich sanft in Rileys Arme. „Er ist hier noch irgendwo. Es wäre zu gefährlich dich mitzunehmen, wenn die Gefahr besteht, dass er uns irgendwo auflauert. Warte mit Riley hier und behaltet die Tür im Auge.“

Ich zitterte, als Nicko mich losließ, widersprach aber nicht weiter. Mit einem letzten Blick auf mich verließ er das Büro und zog seine Waffe.

„Hab keine Angst.“, flüsterte Riley, „Er weiß was er tut.“

Wortlos drehte ich mich zu ihm herum und schmiegte mich an seine Brust. „Ich will hier weg. Ich will nach hause.“

„Ist schon gut. Es dauert nicht mehr lange.“

„Ich hatte solche Angst.“

„Ich auch.“, gab er zu, „Ich auch. Was haben sie mit dir gemacht?“

Ohne zu antworten verbarg ich das Gesicht an seiner Brust und hielt mich an ihm fest. Lange Zeit blieb es still, während Riley und ich einfach nur dastanden. Irgendwann hörte ich Schritte auf der Treppe und hob zaghaft den Kopf. Als ich dann sah, wer da herein kam, hielt ich den Atem an und umklammerte Riley fester.

„Wie rührend.“, bemerkte Jeffrey Denorvey, „Aber helfen wird euch das auch nicht.“ Er hob eine Waffe. „Na komm, gib mir das Mädchen.“

Mein Herz setzte einen Schlag aus. „N-n-nicht. Bitte.“

Riley drückte mich fester an sich. „Nur über meine Leiche.“

Jeffrey lächelte schräg. „Das ließe sich arrangieren. Aber ich mag Gewalt nicht. Ich geb dir noch eine Chance. Gib mir das Mädchen. Sofort.“

„Er meint es ernst.“, meinte ich an Riley, während mir die Tränen über die Wangen liefen. „Er wird dich erschießen.“

„Ich lass dich nicht gehen.“, warf Riley ein, „Wer weiß, was sie noch mit dir tun werden.“

„Ah. Verstehe.“, bemerkte Jeffrey, „Ein junges Paar. Schwere Entscheidung, nicht wahr? Lässt du sie gehen oder lässt du dich erschießen, bevor ich sie mir nehme? So oder so kommt dasselbe dabei raus. Am Ende habe ich sie. Also gib sie mir lieber freiwillig.“

„Nein.“

Ein Schuss ertönte. Ich schrie erschrocken auf, während Riley vor Schmerz aufschrie. Schnell rückte ich ein wenig von ihm ab, um zu sehen, wo er getroffen war. Blut sickerte aus seinem Oberarm.

„Oh Gott! Oh Gott!“ Panik durchfuhr mich.

Riley keuchte vor Schmerz auf, griff jedoch im nächsten Moment nach mir und hielt mich fest. „Ich lass dich nicht gehen.“, wiederholte er.

„Der Junge hat Mumm in den Knochen. Das muss ich ihm lassen.“

„Hör auf damit.“, bat ich diesen, „Bitte. Er bringt dich um.“

„Nicko wird den Schuss gehört haben.“, entgegnete Riley darauf nur.

Jeffrey gab ein gereiztes Geräusch von sich. Ich warf ihm einen Blick zu, stellte fest, dass er bereits wieder auf Riley zielte und versuchte diesen sofort zur Seite zu ziehen. Im nächsten Moment fiel bereits der Schuss. Wir beide schrien auf. Ich war in die Schusslinie geraten. Ein furchtbarer Schmerz durchzuckte meine Seite. Ein Schmerz, den Riley gewiss gleichermaßen erlitt. Doch er ließ mich trotzdem nicht los. Auch dann nicht, als er mit mir zu Boden sackte. Jeffrey dagegen kam auf uns zu, packte mich am Oberarm und zog mich mit einem Ruck von ihm weg. Dann zielte er erneut auf Riley.

„Nein!“, schrie ich sofort, „Nein!“

Riley kniete auf allen Vieren auf dem Boden, drückte sich dann eine Hand auf die Seite und keuchte vor Schmerz. Jeffrey zögerte kurz. Dann stieß er ihn mit dem Fuß so an, dass Riley auf dem Rücken landete. Ein weiterer Schuss. Sofort sickerte Blut aus dem Loch in Rileys Brust. Entsetzt schrie ich auf, versuchte zu ihm zu kommen, doch Jeffrey hatte mir einen Arm um die Taille gelegt und zog mich nun erbarmungslos weiter Richtung Tür.

„Nein!“, rief ich weiter aus, „Riley! Riley!

Er lag da, regte sich nicht. Ich versuchte mich an der Tür festzuhalten, doch Jeffrey war um einiges stärker als ich. Ich rutschte ab, wurde von ihm die Treppen hinunter gezogen. Heftiges Schluchzen schüttelte mich durch, als er mich durch die Halle zerrte.

Riley!“, rief ich erneut, „Bitte nicht.“, flüsterte ich dann kläglich, „Bitte nicht.“

Als plötzlich wieder ein Schuss ertönte, blieb Jeffrey abrupt stehen und drehte sich mit mir an seiner Seite um. Ein weiterer Schuss schien ihm am Bein zu treffen. Er streifte geradeso meine Wade. Jeffrey drehte sich zur Seite.

„Komm raus!“, rief er dann.

„Ich bin hier drüben!“, rief Nicko daraufhin hinter uns, woraufhin Jeffrey sich erneut umdrehte.

Als wir ihn erblickten, zog Jeffrey mich sofort vor sich, legte mir eine Hand um den Hals und drückte ein wenig zu, sodass ich automatisch nach seiner Hand griff. Mit der anderen Hand hielt er seine Waffe und zielte auf meinen Bruder. Dieser hatte die Waffe ebenso auf Jeffrey gerichtet.

„Lass meine Schwester los, Denorvey.“, forderte Nicko mit so kalter Stimme, wie ich sie noch nie gehört hatte. Sein Gesicht war ausdruckslos, als wäre in ihm nicht eine einzige Emotion.

„Du weißt was ich im Austausch dafür will, Nickolai.“

Wieder dieser Name.

Es blieb eine Weile still. Dann ging Nicko langsam ein wenig in die Knie und legte die Pistole auf den Boden, bevor er sich wieder aufrichtete und die Pistole ein paar Meter von sich weg stieß. Nicht ein einziges Mal wand er den Blick von mir ab.

„Jetzt lass sie los.“, forderte er erneut von Jeffrey.

Dieser blieb noch ein paar Sekunden so stehen, bevor er mich losließ. Sofort stürzte ich mich auf Nicko und klammerte mich an ihn. Im selben Moment ertönte ein Schuss, der Nicko am Bein traf. Er verzog nicht eine Miene, sank nur ein wenig herab, bevor er sich wieder aufrichtete und die Arme um mich legte.

Er griff in seine Hosentasche und holte ein Handy hervor. „Hier. Geh raus. Ein paar Meter weiter hast du wieder Empfang. Wähle die Nummer die unter Heath gespeichert ist und sag ihm wo du bist.“

„Aber Nicko, Riley liegt da oben. Er hat sich nicht mehr bewegt.“

Er verzog leicht das Gesicht, schloss die Augen und lehnte seine Stirn an meine. „Mach dir keine Sorgen.“

„Aber er hat auf ihn geschossen! Drei mal! Er hat ihm in die Brust geschossen!“ Meine Stimme versagte ihren Dienst. „Was ist- Was ist wenn er- Bitte.“

Er drückte mich nochmal fest an sich, küsste mich auf die Stirn und schob mich dann zum Ausgang. „Geh raus und ruf die Nummer an. Er wird dich abholen und man wird sich um Riley kümmern.“

„Und was ist mit dir?“

Er senkte den Blick, zögerte. Dann sah er wieder zu mir auf. „Ich komme nach.“

„Versprichst du es mir?“

„Ich verspreche es. Ich komme zurück.“

Mit einem Nicken drehte ich mich um und eilte hinaus, hielt das Handy vor mich und wartete darauf, dass es Empfang hatte. So war es dann etwa sieben Minuten später. Ohne weiter zu warten suchte ich die Nummer raus und drückte auf den grünen Knopf. Keine Sekunde später wurde abgenommen.

„Wie läufts da draußen?“, wollte eine männliche Stimme sofort wissen.

Unsicher was ich sagen sollte, schwieg ich ins Handy und sah wieder zur Lagerhalle.

„Nick?“

Ich schluckte schwer.

„Hey, Alter, sag was.“

„Hier... Hier ist Rika.“

Einen Moment blieb es still. „Was ist mit deinem Bruder?“

„Er-er ist noch in der Lagerhalle. Er sagte mir, ich solle anrufen. Ist dein Name Heath?“

„Ja.“ Seine Stimme wurde sanfter. „Alles ist gut. Was hat er noch gesagt?“

„Ich soll sagen wo ich bin.“

„Sehr gut. Sag es mir.“

Ich gab die Adresse durch. „Etwa hundert Meter vom Eingang entfernt zwischen zwei Containern. Es ist eine große Lagerhalle mit grauem Dach.“

„Jemand ist auf dem Weg zu dir, beweg dich nicht vom Fleck okay?“

„Wie lange wird es dauern?“

„Nicht lange. Er wird sich beeilen.“

„Und... Wir brauchen noch einen Arzt.“ Meine Seite begann zu pochen.

„Ist jemand verletzt? Bist du verletzt?“

„Ich wurde angeschossen, aber es geht um Riley. Er-er hat drei Kugeln abbekommen.“ Mein Atem beschleunigte sich. „Bitte, ihr müsst euch beeilen. Eine der Kugeln hat seine Brust getroffen und er hat sich nicht mehr bewegt.“ Ich schluchzte auf. „Jemand muss ihm helfen.“

„Ist er gerade bei dir?“

„Nein, er-“ Ich atmete kurz durch, schluchzte dann aber wieder auf. „Er ist noch im Lagerhaus. In einem Büro im oberen Stockwerk. Da ist eine Treppe und da oben gibt es keine weiteren Räume.“

„In Ordnung. Man wird sich um ihn kümmern, sobald die Leute da sind. Sie haben alle eine Ausbildung und wissen was zu tun ist. Jetzt wollen wir uns erst einmal um dich kümmern. Du sagtest, du wurdest angeschossen.“

„Ja.“

„Okay. Jetzt atme erst einmal tief durch und beruhige dich so gut du kannst. Setzt dich irgendwohin, wenn du kannst.“

Ich sah mich kurz um und setzte mich dann auf eine Kiste in der Nähe. Dort atmete ich einige Male tief durch und schluckte schwer. „Okay.“

„Gut. Jetzt sieh dir bitte für mich deine Wunde an. Ist es ein Durchschuss oder steckt die Kugel noch drinnen?“

„Es ist eine Durchschuss. Die Kugel steckt jetzt, glaube ich, in Rileys Seite.“

„Wolltest du sie abfangen?“, fragte er überrascht.

„N-n-nein. Ich wollte ihn zur Seite ziehen. Aber ich war zu langsam.“

„Ist schon gut. Gib dir auf keinen Fall die Schuld dafür. Jetzt sieh dir bitte die Verletzung an.“

Mit einem Schlucken sah ich an mir herab und zog vorsichtig mein Shirt hoch. Es war ganz schmitzig und etwas kaputt. Außerdem war es getränkt mit Blut. „Es blutet sehr stark.“

„Ist die Eintrittswunde groß?“

„Das kann ich nicht sagen. Ich bin von hinten getroffen. Ich kann nur die Austrittswunde sehen.“

„Verstehe. Wie viel hast du an?“

„Wie bitte?“ Ich klang etwas hysterisch.

„Beruhig dich. Ganz ruhig.“, sprach er sofort auf mich ein. „Ich möchte nur wissen, wie viele Oberteile du trägst. Eins oder mehr als eins?“

„Ich-ich-ich trage ein T-Shirt.“

„Mehr nicht?“

„Nein.“

„Okay.“ Er dachte kurz nach. „Denkst du, du schaffst es einen Streifen vom Saum abzureißen?“

„Ich denke schon.“

„Gut. Er muss möglichst lang sein.“

„Einen Moment.“ Ich klemmte mir das Handy zwischen Ohr und Schulter, steckte einen Finger in das Loch der Kugel und riss es weiter auf. Es dauerte etwas und es war ein wenig anstrengend die Naht durchzureißen, aber nach einigen Minuten hatte ich ein langes Stück in der Hand. „Okay. Ich habs.“

„Gut. Jetzt brauchst du noch ein Stück Stoff. Am besten etwas sauberes, aber irgendwas, was du auf die Wunde drücken kannst.“

„Ich könnte noch etwas von dem Shirt abreißen. Aber es ist ganz schmutzig.“

„Okay. Tu es trotzdem. Es ist nur vorübergehend.“

Ich riss noch ein Stück von meinem Shirt. „Und nun?“

„Falte es zusammen und drück es so auf die Wunden, dass beide etwas gepolstert sind.“

Ich tat was er mir sagte. „Okay.“

„Gut. Jetzt wird’s etwas schwieriger. Du musst das lange Stück so um deine Taille binden, dass das Stück Stoff auf die Wunden gepresst wird. Zieh es so fest es geht, ohne dass du Schmerzen hast.“

Nach einigen Versuchen, in denen mir das andere Stück immer wieder herunter rutschte, hatte ich das lange Stück um meine Taille gelegt und machte einen Knoten. „Fertig.“

„Gut. Hast du noch mehr Verletzungen?“

„Nur noch einen Streifschuss und ein paar Kratzer.“

„In Ordnung. Jetzt bleib einfach da sitzen. Es sind zwei Männer, die kommen werden. Sie heißen Slayer und Brian. Slayer hat eine Medizinische Ausbildung. Lass dir die Wunde von ihm ansehen. Dann tu was die beiden dir sagen. Verstanden?“

„Ja.“

„In Ordnung. Ich werde jetzt auflegen. Falls irgendwas passieren sollte, ruf sofort wieder an, okay?“

„Ja.“

„Gut. Wir sehen uns später.“

Noch bevor ich etwas antworten konnte, hatte er bereits aufgelegt. Ich sah auf das Display und suchte erneut die Nummer heraus. Dann prägte ich sie mir ganz genau ein, für den Notfall. Sobald ich mir sicher war, dass ich jede einzelne Ziffer wusste, steckte ich Nickos Handy ein und wartete ungeduldig. Dann waren wieder leise Motorgeräusche zu hören. Zwei Autotüren wurden geöffnet und kurz darauf zugeschlagen. Ich hob den Kopf, sah mich um und sah dann zwei Männer. Einer kam im Laufschritt auf mich zu und kniete sich zu mir.

„Hey.“, begrüßte er mich vorsichtig, „Du musst Rika sein.“

Ich nickte.

„Ich bin Slayer.“ Er reichte mir die Hand, woraufhin ich sie vorsichtig ergriff.

„Der Arzt?“

Er lächelte schräg. „Ja. Der bin ich.“

„Du musst Riley helfen!“ Mein Herz begann wieder wie verrückt zu pochen. „Bitte! Er ist schwer verletzt.“

„Ganz ruhig. Wir erledigen das. Beruhige dich. Brian ist gerade reingegangen. Er checkt die Lage und holt ihn dann heraus, okay?“

Ich nickte leicht.

„Gut. Darf ich mir das da ansehen?“ Er deutete auf das improvisierte Verband, woraufhin ich nur nickte. Vorsichtig öffnete er den Knoten und nahm den Stoff von den Wunden. „Ein glatter Durchschuss.“, murmelte er, bevor er aufstand, „Komm, ich bringe dich zum Auto. Da habe ich Verbandssachen.“

Als er mir die Hand reichte, ergriff ich sie zaghaft und ließ mich dann von ihm zu einem Schwarzen Geländewagen führen. Dort angekommen öffnete er den Kofferraum, machte ein wenig Platz und klopfte dann auf die frei gewordene Fläche, um mir zu sagen, ich solle mich setzen. Ich tat worum er bat, während er eine Tasche öffnete und ein paar Dinge heraus holte.

„Ich werde jetzt die Wunden säubern und desinfizieren.“, erklärte er, „Ich bin so vorsichtig wie ich nur kann, einverstanden?“

„Okay.“

„Keine Angst. Ich pass auf.“ Er gab etwas Desinfektionsmittel auf ein Tuch und tupfte vorsichtig die Wunden ab. Es begann zu brennen, woraufhin ich zischend die Luft einatmete. „Sch sch sch.“, beruhigte er mich, „Ganz ruhig. Du blutest noch. Wenn sich dein Puls erhöht, verlierst du mehr Blut.“

„Wirst du es einfach so verbinden?“

„Nein. Das werde ich schnell nähen. Keine Sorge, ich habe ein Betäubungsmittel dabei.“

Ich schluckte. „Okay.“

Da er vor mir war und gerade die Austrittswunde versorgte, hatte ich genug Zeit ihn mir ein wenig anzusehen. Er hatte braunes, glänzendes Haar, dass ihm in die Stirn fiel und seine Ohren bedeckte. Seine Augen waren dunkelgrün und konzentriert auf die Wunde gerichtet. Als ich plötzlich zwei Hände neben der Wunde spürte, zuckte ich zusammen.

„Entschuldige.“, meinte er sofort und zog sie zurück, „Ich werde mir die Wunde nur kurz ansehen.“ Vorsichtig tastete er die Wunde ab und nickte dann vor sich her. „Gut. Alles sauber.“ Er richtete sich auf und ging wieder zur Tasche, aus der er eine Spritze und ein kleine Flasche hervorholte. Zwanzig Sekunden später hockte er wieder vor mir und tupfte eine Stelle neben der Wunde ab. „Ich werde die Fläche hier jetzt betäuben. Hab keine Angst.“ Einen Moment war er still. „Jetzt pieckt es.“ Ein kurzer Stich, dann ein unangenehmer Druck. „So.“ Er nahm die Spritze wieder weg und legte sie beiseite. „Die brauchen wir gleich nochmal.“ Er sah auf seine Armbanduhr und dann wieder zu mir auf. „Du bist also Rika.“

„Ja.“

„Wir waren alle überrascht. Bis vor wenigen Tagen haben wir nicht gewusst, dass Nick eine Schwester hat.“

„Er heißt Nicko.“

Er lächelte schräg. „Ja, das wissen wir. Aber wir nennen ihn alle Nick. Eigentlich heiße ich auch nicht Slayer.“

„Nein?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Mein richtiger Name ist Slane Prayer.“

Ich legte den Kopf ein wenig schräg.

„Einige von uns benutzten falsche Namen. Also habe ich von meinem Vornamen die vordere und bei meinem Nachnamen die hintere Hälfte genommen.“ Er holte Nadel und Faden aus seiner Tasche. „Wie ist das Wetter gerade?“, wollte er wissen, als er sich an die Wunde wendete.

Ich sah hinauf in den Himmel. „Der Himmel ist blau. Da sind ein paar Wolken. Es sieht nach Regen aus.“

„Geht die Sonne schon unter?“

„So langsam, ja. Ich kann schon ein paar Sterne sehen.“

„Hmmm... Glaubst du wir schaffen es noch hier weg zu kommen, bevor es dunkel wird?“

„Ich weiß es nicht.“

Ein leichtes Ziehen an der Wunde. Dann hörte ich ein kurzes Schnappen.

„So. Jetzt dreh dich bitte um, damit ich mir die Eintrittswunde ansehen kann.“

Ohne ein weiteres Wort zog ich die Beine an und drehte mich um.

„Hmmm...“, machte er nachdenklich.

„Was ist?“, wollte ich sofort wissen und sah ihn über meine Schulter hinweg an.

„Du blutest immer noch. Und du bist auch blass. Aber du bist noch bei Bewusstsein. Und du scheinst auch keine allzu großen Schmerzen zu haben.“

„Ist das schlecht?“

„Es ist auf jeden Fall ungewöhnlich.“ Er begann die Wunde abzutupfen. Schüsse ertönten, weshalb ich heftig zusammenzuckte. „Schon gut. Mach dir keine Sorgen.“ Er schwieg einen Moment. „Jetzt piekt es wieder kurz.“ Er gab mir eine weitere Betäubungsspritze. Wenig später begann er offenbar zu nähen. „Verrätst du mir deine Blutgruppe?“

„Ich kenne sie nicht.“

„Okay. Dann werden wir später einen Test machen.“

„Warum?“

„Du hast einiges an Blut verloren. Ich werde dir eine Infusion geben.“

„Wird Riley die nicht nötiger haben?“

Er antwortete nicht.

„Er... wird es doch überleben, oder?“

„Das kann ich dir leider nicht sagen. Ich weiß nichts über seinen derzeitigen Zustand. Und da du sagtest, er habe sich nicht mehr bewegt... Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er...“ Er brach ab und seufzte leise. „Ich werde auf jeden Fall tun was ich kann.“

„Bist du denn ein guter Arzt?“

„Der Beste bei uns. Und nebenbei auch ein sehr guter Schütze. Nur dein Bruder ist besser als ich. Aber der wird für andere Dinge gebraucht.“

„Zum Beispiel?“

Er lachte leise. „Das darf ich dir leider nicht verraten.“ Ein weiteres Schnappen. Dann rieb er die Wunde mit einer Salbe ein. „Fertig. Ich werde es jetzt noch verbinden.“

Sofort drehte ich mich wieder um. „Nicko sagte, er würde gefährliche Dinge tun.“

„Die tun wir alle.“ Er rieb auch die andere Wunde mit einer Salbe ein und drückte eine Kompresse darauf. „Halt das bitte.“

Ich hielt die Kompresse fest, während er ein Verband nahm, eine Kompresse auf die andere Wunde drückte und sie beide verband. „Was für gefährliche Dinge?“, fragte ich währenddessen, „Könnte er dabei umkommen?“

„Nick nicht mehr, nein. Wenn er das hier übersteht, dann ist er endgültig raus. Er hat gekündigt, sobald er dich gefunden hat. Das hier ist sein letzter Auftrag.“

„Verstehe.“

Er schwieg einen Moment lächelte mich dann aber aufmunternd an. „Er schafft das schon. Dein Bruder ist hart im Nehmen.“

Ich nickte nur. Einige Zeit später erblickte ich Brian, der einen leblosen Riley auf den Armen trug und auf uns zukam. Ich sprang sofort auf.

„Riley!“, rief ich dabei aus und wurde im nächsten Moment von Slayer aufgehalten.

„Warte. Ganz ruhig. Ich werde ihn mir ansehen.“, sprach er auf mich ein.

Brian legte Riley vorsichtig neben dem Wagen auf den Boden, woraufhin Slayer sich sofort neben ihn kniete.

„Als ich ihn gefunden habe, hatte er noch Puls und hat geatmet.“, erklärte Brian, während Slane Rileys Puls prüfte. „Er hat kurz die Augen geöffnet, wollte sogar etwas sagen, aber er ist zu schwach.“

Ich ließ mich auf Rileys anderer Seite auf die Knie fallen. „Oh Gott, Riley. Riley!“

Dieser öffnete leicht die Augen und richtete den Blick auf mich. Ich brach in Tränen aus, griff nach seiner Hand und drückte sie. Dann sah ich zu Slane auf.

„Hilf ihm! Bitte!“

„Er ist wirklich sehr schwach.“, bemerkte dieser und riss Riley das Shirt auf. „Brian, gib mir bitte die schmale Pinzette. Und die Spritze und das Betäubungsmittel. Nadel, Faden, Mull und Kompressen.“ Er untersuchte die Wunden auf seinem Oberkörper. „Und eine Schale für die Kugeln. Handschuhe und Desinfizierungsmittel. Und ein Sandwich.“

Brian seufzte. „Soll ich dir vielleicht noch eine Coke aus 'nem Supermarkt besorgen?“

„Das Sandwich ist für Rika.“, entgegnete Slane darauf, „Aber ich denke, etwas zu trinken würde ihr auch gut tun.“

Ohne ein weiteres Wort suchte Brian die Sachen zusammen und brachte sie herüber. Sofort betäubte Slayer die Wunden und begann die erste Kugel heraus zu holen, noch bevor die Betäubung wirkte. Riley stöhnte leise auf.

„Die Betäubung wirkt noch nicht.“, bemerkte ich.

„Ich weiß. Aber ich kann nicht länger warten. Er verliert immer noch Blut.“

„Ich geh nochmal rüber und helf Nick beim sauber machen. Ihn wirst du dir gleich auch nochmal ansehen müssen.“

„Hab nichts anderes erwartet.“, entgegnete Slane nur und zog die Kugel aus der Schulter. Dann begann er die Wunde abzutupfen und griff nach Nadel und Faden. „Tut mir leid, Riley. Das wird jetzt auch weh tun.“

Dieser schloss die Augen. Ich drückte seine Hand, drückte dann einen Kuss auf seinen Handrücken und wiegte mich selbst ein wenig vor und zurück. Sobald die Wunde zugenäht war, wand Slane sich an Rileys Brust. Sobald er sich die Wunde ein wenig genauer angesehen hatte, stieß er einen Pfiff aus.

„Was ist?“, wollte ich sofort wissen.

„Nun... wenn ich mir den Winkel so ansehe, dann müsste die Kugel theoretisch gesehen entweder im Herzen oder in der Lunge stecken, aber da er immer noch atmet, gehe ich davon aus, dass sie genau dazwischen steckt.“

Meine Augen weiteten sich ein wenig.

„Sie dort zu lassen könnte gefährlich sein. Sie rauszuholen aber ebenfalls.“

Besorgt sah ich auf Riley herab. „Und nun?“

„Ich werde sie natürlich raus holen. Aber er muss dabei ganz ruhig liegen bleiben. Kannst du ihn irgendwie ruhig halten?“

„Ich... werd's versuchen.“

Mit einem Nicken wand er sich an die Wunde, während ich mich so hinsetzte, dass ich mir Rileys Kopf auf den Schoß legen konnte. Seine Haut war kalt, doch ich wusste, dass er noch lebte. Liebevoll strich ich ihm das Haar von der Stirn und beugte mich herab, um ihm einen sanften Kuss auf die Wangen zu geben.

„Halte für mich durch.“, bat ich ihn leise, mit meinem Mund an seinem Ohr. „Halte durch.“ Ich küsste ihn sanft auf den Mund. Im selben Augenblick begab Slane sich offensichtlich in eine Gegend, in der die Betäubung nicht mehr wirkte. Riley keuchte und stöhnte leise auf woraufhin ich meine Wange an seine drückte und ihm eine Hand auf die gesunde Schulter legte. „Halte durch.“, wiederholte ich leise.

Und dann... ganz plötzlich, von einem Moment zum nächsten, hörte er auf zu atmen. Mir wurde mit einem Schlag kalt. Slane, der es sofort bemerkt hatte, sah zu ihm auf und fluchte. Wenige Momente später hatte er endlich die Kugel, holte sie heraus und prüfte sofort seinen Puls. Dann fluchte er erneut.

„Wiederbeleben. Wiederbeleben. Wiederbeleben.“, begann er vor sich her zu murmeln, während er mit einer Herzmassage begann. „Beatme ihn.“, wies er mich an.

Ich war starr vor Angst.

„Rika! Beatme ihn!“

Langsam, als liefe alles in Zeitluppe, legte ich meinen Mund auf seinen und begann für ihn zu atmen. Kurz darauf begann ich zu schluchzen, umfasste sein Gesicht etwas fester und löste mich kurz von ihm.

„Mach weiter!“, wies Slane mich sofort an.

Erneut begann ich für Riley zu atmen. Wenige Sekunden später schnappte er nach Luft. Im nächsten Moment griff Slayer wieder nach Nadel und Faden und begann umgehend zu nähen. Sobald das erledigt war, wand er sich an Rileys Seite. Ich dagegen blieb weinend über Rileys Kopf gebeugt und schluchzte leise vor mich her.

„Du darfst nicht sterben.“, flüsterte ich Riley zu, „Bitte. Du darfst nicht sterben. Tu mir das nicht an. Ich liebe dich.“

Er rang weiterhin nach Atem. Fünf Minuten später begann Slane Riley zu verbinden und trug ihn dann mit meiner Hilfe auf den Rücksitz des Wagens. Ich setzte mich zu ihm und bettete seinen Kopf wieder auf meinen Schoß, während Slane mir sagte, er würde zu Brian und Nicko gehen. Den Wagen schloss er ab, damit wir wenigstens sicherer waren. Er sagte, die Scheiben seien Kugelsicher. Der ganze Wagen sei kugelsicher. Nun saß ich hier mit Riley und streichelte ihm übers Gesicht, während sein Atem sich wieder normalisierte. Er schluckte einige Male, öffnete leicht die Augen und sah zu mir auf. Seine Lippen bewegten sich. Seine Stimme war so leise, dass ich mich zu ihm herab beugen musste, um ihn zu verstehen.

Liebe dich.“

„Man wird sich um dich kümmern.“, versprach ich ihm, „Sobald sie fertig sind kommen sie wieder und bringen uns hier weg. Dann kümmert man sich um dich.“

Und du?“

„Mir geht’s gut. Slayer hat sich um meine Wunden gekümmert. Sie sind noch betäubt, deshalb habe ich keine Schmerzen.“

Seine Hand bewegte sich. Ich griff danach und drückte sie sanft.

Dein Gesicht.

Ich legte seine Hand an meine Wange. „Es wird alles gut.“

Langsam begannen schwarze Punkte vor meinen Augen zu tanzen. Ich bemerkte noch, wie jemand die Beifahrertür öffnete, bevor ich gegen die Autotür neben mir sackte und alles schwarz wurde.

 

Als ich langsam wieder zu mir kam war es warm und kuschelig weich.

Habe ich geträumt?

Langsam öffnete ich die Augen und blinzelte einige Male. Die Decke, an die ich starrte, war mir gänzlich unbekannt.

Bin ich noch bei Jeffrey und Jacko? Wurde ich gar nicht gerettet?

Ich drehte meinen Kopf ein wenig zur Seite. Dort war eine Wand mit einem Fenster. Die Sonne schien, doch der Himmel schien bewölkt zu sein.

In Jeffreys Häusern sind die Fenster zugenagelt.

Ich fühlte mich irgendwie benebelt. Dennoch begann ich mich langsam auf zu setzten und sah mich um. Es sah aus wie ein Schlafzimmer. Ich lag in einem Einzelbett. Hier war noch eine Kommode, ein Schreibtisch mit Computer und ein Nachttisch. In einer Ecke stand ein Stuhl.

Wo bin ich hier?

Langsam stand ich aus dem Bett auf und bemerkte, dass ich frische Sachen trug. Eine viel zu weite Jogginghose und ein viel zu großes Shirt. Es roch nach Nicko.

Nicko. Bist du hier irgendwo?

Barfuß verließ ich das Zimmer und sah mich in dem Flur um, in dem ich nun stand. Einen Moment stand ich einfach nur da und sah abwechselnd in die eine, dann in die andere Richtung. Schließlich entschied ich mich für den rechten Weg. Von irgendwoher ertönten Stimmen. Also musste hier irgendwo jemand sein.

Orientierungslos irrte ich eine Weile durch die Gänge, bevor ich mich plötzlich in einem großen Raum wiederfand. In einer Ecke war eine Couch mit einem Tisch. In einer weiteren standen Schreibtische mit Computern. An einen von ihnen saß ein Mann und tippte irgendwas in die Tastatur ein. In der dritten Ecke stand ein Kühlschrank, ein Oberschrank und eine schmale Küchenzeile. Ich sah zu dem Mann, an dem Computer.

„Entschuldigung.“

Er sah sofort auf. „Ah, du bist wach.“ Er stand vom Computer auf, legte das Headset beiseite, dass um seinem Hals lag und kam zu mir herüber, um mich zur Couch zu führen. „Setz dich. Du hast sicher Durst, oder?“

Seine Stimme kam mir bekannt vor, doch ich konnte mich nicht erinnern woher. „Ja.“

„Mineralwasser? Cola? Fanta? Vielleicht einen Kaffee?“

„Mineralwasser reicht. Danke.“

Er ging zum Kühlschrank, holte eine Flasche Wasser heraus und nahm ein Glas aus dem Oberschrank, bevor er wieder zu mir kam und mir beides hinstellte. „Hier. Ich sage Nick Bescheid, dass du wach bist und hier bei mir sitzt.“

„Er heißt Nicko.“, entgegnete ich verwirrt.

„Ja. Ich weiß. Aber jeder hier nennt ihn Nick. Warte einen Moment.“ Er holte sein Handy hervor, wählte eine Nummer und hob das Handy an sein Ohr. „Deine Schwester ist wach.“, meinte er dann einfach nur, „Sie sitzt hier und trinkt Mineralwasser.“

Das wollte ich zumindest. Ich hielt die Flasche in der Hand und versuchte vergeblich den Deckel abzudrehen. Der Mann beobachtete es amüsiert. Dann legte er einfach auf und streckte die Hand nach der Flasche aus. Ich reichte sie ihm wortlos, woraufhin er sie mühelos öffnete und mir etwas zu Trinken eingoss.

„Er ist auf dem Weg.“, informierte er mich, als er mir das Glas hinhielt.

„Danke.“, entgegnete ich darauf nur und trank einen Schluck.

„Hast du vielleicht Hunger?“

Bevor ich antworten konnte knurrte mein Magen. Der Mann lächelte schräg, ging erneut zum Kühlschrank und förderte einige Zutaten zu Tage, mit denen er mir ein Sandwich machte. Er legte ihn auf einen Teller aus dem Oberschrank, kam zu mir herüber und stellte es mir hin. Ich griff sofort danach und biss herzhaft hinein. Dann stöhnte ich auf. Ich hatte seit Tagen nichts richtiges gegessen. Don hatte mir immer nur Haferbrei und Wasser gebracht. Als ich mir nun das Sandwich ansah, entdeckte ich Salat, Tomaten, Gurken, Mayonnaise, Salami und Käse. Im Moment war es für mich die leckerste Mahlzeit, die ich je gegessen habe.

Gerade als ich den letzten Happen verputzte und der Fremde mir noch ein Sandwich machte, hörte ich Schritte, bevor Nicko herein kam. Neben ihm ging Riley, der immer noch ziemlich blass aussah. Ich sprang mit einem Schrei auf als ich ihn sah, stürzte mich auf ihn und riss ihn zu Boden. Er keuchte, als ich auf ihm landete und stöhnte dann auf.

„Mein Gott... Rika.“, stöhnte er auf.

Nicko lachte neben uns leise.

„Ich hatte solche Angst um dich.“ Tränen kullerten über meine Wangen. „Du warst so kalt. Und dann hast du aufgehört zu atmen!“ Mir fiel alles wieder ein. „Oh mein Gott, du bist noch verletzt.“, schnell stand ich von ihm auf, kniete mich neben ihn und tastete seine Brust ab. „Habe ich dir weh getan?“

„Alles in Ordnung.“, beruhigte er mich und setzte sich schwerfällig auf, wobei er sich die Seite hielt. „Tut nur ein bisschen weh.“

„Entschuldige.“

„Ist schon gut.“ Als er saß, legte er die Arme um mich, und drückte mich an sich. „Das darfst du gerne noch einmal machen. Dann weiß ich wenigstens, dass du wirklich hier bist und nicht mehr... bei ihnen.“

„Kommt, steht wieder auf.“, bat Nicko uns und reichte uns jeweils eine Hand.

Wir ließen uns beide von ihm aufhelfen, woraufhin wir alle zur Couch gingen. Dort angekommen fiel mir auf, dass Nicko hinkte.

„Wie geht es deinem Bein?“, wollte ich von ihm wissen.

„Es verheilt.“, antwortete er.

„Er hat noch schlimmeres abbekommen.“, bemerkte der Fremde und setzte sich zu uns, „Jeffrey konnte schon immer gut mit Messern.“

Ich machte große Augen und sah zu Nicko auf.

„Es geht mir gut.“, beschwichtigte er mich schnell.

„Was hat er gemacht?“

„Ich habe nur ein paar Kratzer.“, beruhigte er mich, „Nichts schlimmes.“

„Er wäre beinahe an Blutverlust gestorben.“, warf der Fremde ein, „Jeffrey hat ihm ein Messer in die Seite gerammt.“

Nicko warf ihm einen finsteren Blick zu, woraufhin er ihn nur angrinste. Dann sah Nicko wieder zu mir herab.

„Mir geht es wirklich gut. Ich habe schon schlimmeres überlebt. Kümmer dich lieber um Riley.“

Dieser versuchte es sich so gut es ging so hinzusetzen, dass seine Seite nicht schmerzte. Als er endlich eine Position gefunden hatte, lehnte ich mich an seine gesunde Schulter, woraufhin er einen Arm um meine Taille legte und mich an sich zog.

„Hast du große Schmerzen?“, fragte ich ihn besorgt.

„Ich werds überleben.“

„Wie geht es deiner Schulter?“

„Ich spüre den Schmerz kaum.“

„Sitzt du bequem?“

Nicko lachte neben mir und zog mich in seine Arme. „Gott, ich bin so froh, dass ich dich hier habe. Ich dachte, ich würde vielleicht zu spät kommen.“

„Ich bin auch froh da raus zu sein.“

Er drückte mir einen Kuss auf die Schläfe.

„Wann können wir nach hause?“

„Sobald es Riley wieder besser geht. Slayer möchte ihn im Auge behalten.“

Dieser kam nun herein und murmelte irgendwas vor sich hin, während er zum Kühlschrank ging, sich eine Flasche Wasser heraus nach und sie direkt danach in einem Zug leer trank.

„Diese Zicke.“, murmelte er dann, stellte die leere Flasche weg und griff nach einer anderen.

„Wieder Liebeskummer?“, wollte Nicko von ihm wissen.

„Was heißt hier wieder?“, entgegnete Slane gereizt, „Sie hat Schluss gemacht, weil ich ihr zu soft bin. Zu soft! Wie kann sie sowas zu einem Elitesoldaten sagen?“

„Einem Elitesoldaten mit Doktortitel.“, ergänzte der Fremde.

„Halt die Klappe, Heath.“

Ah... Das ist also Heath...

„Ist aber ein wichtiger Aspekt.“, merkte Nicko an, „Du hast nun mal ein großes Herz. Und jetzt erzähl mir nicht, du hättest nicht geweint, als du erfahren hast, dass ich Rika zwölf Jahre lang nicht gesehen habe.“

Wortlos sah er zu uns herüber. Seine Augen waren rot, was ziemlich genau darauf hindeutete, dass er geweint hatte. „Erzähl mich nichts davon, dass ich ein weiches Herz habe.“ Er sah wieder in den Kühlschrank. „Ich weiß auch so, dass ich so emotional wie eine schwangere Frau bin.“

„Nur bekommst du keine Wutausbrüche.“, bemerkte Heath.

„Komm her.“, meinte Nicko, „Sprich mit uns. Wir haben eine Frau dabei, die kann dir helfen.“

„Nein danke.“, entgegnete Slane, kam aber trotzdem zu uns herüber. „Ich gebe es auf diese Frau verstehen zu wollen. Erst bin ich ihr zu grob, dann bin ich zu fürsorglich, dann bin ich ihr plötzlich zu aggressiv und jetzt bin ich zu soft.“

„Du bist vielleicht soft, aber dafür bist du ein knallharter Softie.“, ermunterte Heath ihn.

Slayer murrte. „Reiß mir einer das Herz aus und setz 'ne Maschine ein.“

„Damit du den Sinn für Gerechtigkeit verlierst?“, wollte Nicko wissen, „Niemals. Damit du nicht so rücksichtsvoll mit Leuten wie Rika umgehen kannst? Eher friert die Hölle zu. Sei stolz auf deine Gefühle. Dann bist du eben emotional. Es gibt Frauen die sowas mögen.“

„Ach ja? Welche?“

„Äh... Ja, nun... Irgendwo gibt es schon eine.“

„Annie mag emotionale Männer.“, bemerkte ich, „Sie sagt, sie sind besser als die anderen, weil die anderen so sind wie... eine Kiste. Man weiß nicht, was drinnen ist. Man weiß nicht mal, ob überhaupt was drinnen ist.“

Heath lachte leise. „Slayer hat genug in seiner Kiste. Es ist nicht nur so, dass er emotional ist... Er ist auch intelligent, wie du weißt. Und er redet gern. Er mag shoppen. Und er kocht gerne.“

„Willst du vielleicht noch meinen Lebenslauf vorlesen?“, schlug Slane gereizt vor.

„Mach dir nichts draus.“, versuchte es Nicko, „Es gibt sicher ganz viele Frauen wie Annie. Du musst nur eine finden.“

Er seufzte tief.

Riley streckte sich ein wenig. „Bin ich froh, dass ich Rika habe.“, meinte er und zog mich aus Nickos Arme in seine eigenen. „Sie liebt mich wie ich bin.“

„Das werde ich mir nochmal überlegen.“, entgegnete ich und sah zu ihm auf. „Wie kommst du eigentlich dazu einfach so mit dahin zu fahren?“

Überrascht blinzelte er auf mich herab. „Ich...“

„Dir muss doch klar gewesen sein, wie gefährlich das ist. Die hatten alle Waffen! Und du hattest nicht mal ein Messer oder eine Kugelsichere Weste. Du hattest nichts!“

„Ich hatte Nicko.“, entgegnete er, „Er ist nicht von meiner Seite gewichen.“

„Und woher kommt dann das da?!“ Ich drückte leicht auf die Wunde auf seiner Brust. „Oder das?!“ Ich drückte auf seine verletzte Schulter. „Oder das hier?!“ Nun drückte ich auf seine verletzte Seite. „Du wärst fast gestorben! Was hast du dir dabei gedacht?“

Er sah einfach nur sprachlos auf mir herab.

„Was hätte ich tun sollen, wenn du es nicht überlebt hättest?“ Ich schlug ihm gegen die Schulter. „Was wäre, wenn er dein Herz getroffen hätte?“ Ich schlug erneut zu. „Was hätte ich tun sollen? Was? Sag es mir.“

„Es tut mir leid.“, brachte er hervor, „Wir... haben nicht damit gerechnet, dass Denorvey auf mich schießen würde.“

„Du hättest mich einfach gehen lassen sollen. Dann wäre dir nichts passiert.“

„Ich konnte dich doch nicht einfach so übergeben! Der Kerl hatte eine Waffe!“

„Aber ich war doch nur der Köder! Er hätte mir nichts getan!“

„Er hat auf dich geschossen!“

„Er hat auf dich geschossen, du Idiot! Ich wollte dich nur beiseite ziehen und bin in die Schusslinie geraten.“

„Er hat dich entführen lassen, dich misshandelt und zugelassen, dass du- Dass du-“ Er brach ab und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ich wäre selbst dann noch mitgefahren, wenn ich gewusst hätte, dass ich angeschossen werde. Selbst wenn ich gestorben wäre. Wenn ich gewusst hätte, dass ich sterben würde, ich wäre trotzdem mitgekommen.“

Ich schlug ihn erneut. Und wieder. Und wieder und immer wieder, bis ich nicht mehr konnte. „Dummkopf.“, jammerte ich, „Idiotischer Dummkopf. Nicko hätte mich doch da raus geholt.“

„Es war geplant, dass Nicko alle beseitigt. Er wollte dich allein suchen und allein wieder raus bringen, aber er wusste, dass wahrscheinlich irgendwo noch Leute gewesen wären, die auf euch gelauert hätten. Also sollte ich bei dir bleiben, bis er sicher war, dass keine Gefahr mehr droht.“

„Und warum ausgerechnet du?“

„Weil du mich kennst. Bei anderen völlig fremden Männern wärst du wahrscheinlich nicht so entspannt gewesen.“

Er hatte Recht. Dennoch konnte ich ihm nicht so schnell verzeihen, dass er da aufgetaucht war. Deshalb schlug ich ihn erneut.

„Das tut weh.“, beschwerte er sich, „Lass das.“

Ich schlug erneut zu und holte wieder aus, woraufhin er mich plötzlich packte, an sich zog und einen Kuss auf den Mund drückte. Sofort schlang ich die Arme um seinen Hals und drückte ihn an mich.

„Du bist ein Idiot.“, jammerte ich an seinem Mund.

Er seufzte geschlagen. „Ich weiß. Jetzt lass mich dich küssen.“

~Kapitel 14~

Drei Tage später saß ich mit Riley und Nicko auf dem Rücksitz eines Wagens, mit dem Slayer uns nach hause fuhr. Brian saß auf dem Beifahrersitz. Die beiden würden bei uns bleiben, bis Denorvey gefasst wurde. Er war entkommen, wie ich von Nicko erfahren hatte. Die beiden waren in einem Messerkampf verwickelt, als Brian in die Lagerhalle gekommen war und sofort auf Jeffrey schoss. Dieser hatte sofort die Flucht ergriffen. Nicko war ihm gefolgt, hatte dann aber seine Spur verloren. Man hatte mit einem Hubschrauber in der Nähe auf Jeffrey gewartet.

„Wie geht es Gabriel?“, wollte ich wissen und streckte mich ein wenig.

Wir waren bereits zwei Stunden mit dem Wagen unterwegs.

„Seiner Schulter geht’s super.“, antwortete Riley finster.

„Sag bloß, du kannst ihn immer noch nicht leiden.“

„Er hat dich geküsst. Drei mal!“

Ich seufzte und schlang die Arme um ihn. „Das war ein Geschenk zu seinem Geburtstag. Und das weißt du auch.“

„Ja ja ja. Ich weiß. Aber gefallen tuts mit trotzdem nicht. Er steht auf dich.“

„Tut er nicht.“

„Tut er doch.“

„Nein, tut er nicht.“

„Er will dich küssen, Rika. Natürlich steht er auf dich.“

„Und selbst wenn! Ich bin mit dir zusammen. Nicht mit ihm. Ich hab mich sogar trotz diesen Streitereien für dich entschieden. Obwohl du mich verletzt hast.“

„Rika bitte. Ich habe es gerade geschafft diesen Teil zu vergessen.“ Er zog mich ganz eng an sich und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe. „Jetzt hör auf mit mir zu streiten. Ich bin ein verletzter junger Mann und brauche ganz viel Liebe von der Frau meines Lebens.“

„Hmpf.“

Ein Kuss auf meine Wange. „Gib mir einen Kuss.“

„Gib dir selber einen.“

Seine Nasenspitze rieb sanft über meine Wange. Ich spürte, wie ich langsam weich wurde, regte mich jedoch nicht. Ein leichtes Knabbern an meinem Kiefer. Mein Herz pochte wie verrückt. Dann... ein Kuss auf diese Stelle direkt unter dem Ohr. Ich knickte ein und stöhnte ganz leise auf, woraufhin er triumphierend lächelte und mein Gesicht sachte zu sich drehte, um mich zu küssen.

„Jetzt fangen die schon wieder an.“, beschwerte sich Brian.

„Das ist für sie sowas wie Versöhnungssex.“, erklärte Slayer.

„Aber muss das jetzt sein? Die beiden können doch noch eine Viertelstunde warten, dann können sie auch richtigen Versöhnungssex haben.“

Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde. Riley hatte sich nicht mehr bewegt und ich sah, wie auch er rot wurde.

„Du bist doch nur neidisch, weil du keine Frau hast, mit der du heißen Versöhnungssex haben kannst.“

„Nein bin ich nicht. Und woher willst du überhaupt wissen, dass ich keinen habe.“

„Weil du die beiden ständig so komisch ansiehst. Die beiden haben definitiv mehr Action in ihrem Bett als du.“

„Haltet endlich die Klappe!“, rief Nicko plötzlich aus, „Ihr redet da von meiner Schwester, ihr Idioten!“

Ein Blick auf meinen Bruder sagte mir, dass auch er rot geworden war. Ob er wohl an dasselbe dachte wie ich? Und an das selbe, an das Riley definitiv gerade dachte? Nicko sah zu uns.

„Mir euch beiden muss ich übrigens noch ein ernstes Gespräch führen.“

„Ein ernstes Gespräch?“, hakte ich nach.

„Verhütung.“, antwortete er nur, bevor er sich abwand uns aus dem Fenster starrte.

Ja, er hatte definitiv an den Morgen gedacht, an dem Riley und ich ihm von unserem Unfall berichtet hatten. Riley räusperte sich und löste sich ein wenig von mir.

„Also... was das angeht...“, hob er an.

„Sag jetzt nicht, ihr hattet in meiner Abwesenheit wieder Verkehr.“

Lieber Gott, lass mich im Erdboden versinken.

Riley blieb reglos sitzen. „Äh... Wir...“

Slane räusperte sich. „Vielleicht solltet ihr später darüber reden.“ Ich konnte sogar sehen, dass Brian rot geworden war.

„Gute Idee.“, warf ich ein und zog Riley zu mir. „Wir reden später mit Nicko darüber. Komm her, und halt mich warm, mir ist kalt.“

„Kalt? Mir ist unerträglich heiß.“, entgegnete Riley.

Noch bevor einer von uns etwas sagen konnte, bog Slayer in unsere Einfahrt ein und parkte wenige Momente später in der Nähe der Haustür. Schnell stiegen wir alle aus, bevor wir uns auf den Weg hinein machten. Sobald hinter uns die Tür zugefallen war, tauchten meine Eltern im Flur auf.

„Großer Gott, Rika!“, rief meine Mutter aus und stürzte zu mir, um mich in ihre Arme zu reißen. „Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht. Geht es dir gut? Brauchst du etwas?“

Ein dickes Kissen zum rein schreien wäre prima. „Es ist alles in Ordnung.“

„Habe ich gerade Rika gehört?“, ertönte Jasons Stimme aus dem Wohnzimmer und kam mit Annie in den Flur.

„Große Güte! Wie seht ihr aus?!“, rief Annie aus und bekam bereits Tränen in den Augen, als sie zu uns stürzte und mich in ihre Arme riss. „Geht es dir gut? Was haben sie dir angetan?“

Ich kam nicht mal dazu Luft zu holen, denn im nächsten Moment kamen Gabriel und Jaydon aus dem Garten herein. Sobald Gabriel mein Gesicht sah, malte sich unendliche Erleichterung in seinem Gesicht ab und er eilte herüber.

„Dem Himmel sei Dank, Rika.“ Auch er drückte mich fest an sich, weshalb ich mich fühlte wie in einem Sandwich.

Es wunderte mich, dass Irina, Rileys Mutter, mit einem mir unbekanntem Mann aus dem Wohnzimmer kam. Sie brach sofort in Tränen aus, als sie ihren Sohn sah, der sofort zu ihr herüber kam. Dann hörte ich ein Schniefen und drehte mich zu Slane um, der sich gerade Tränen von den Wangen wischte.

„Du bist ja wirklich ziemlich nah am Wasser gebaut.“, bemerkte ich, während ich nach Atem rang.

„Es ist so rührend, wie sich alle um dich Sorgen.“, entgegnete er und nahm ein Taschentuch von Brian entgegen.

„Ist schon gut.“, meinte er dabei, „Wir verstehen dich ja.“

Meine Mom begann mein Gesicht mit Küssen zu pflastern und Gabriel drückte sein Gesicht an meinem Hals, wo er tief durchatmete. Annie hielt mich einfach nur fest.

„Ich glaube, Rika erstickt gleich.“, bemerkte Nicko und befreite mich von den sechs Armen, die mich festhielten.

Ich atmete erleichtert auf. „Mir geht’s wirklich gut, Leute.“, meinte ich daraufhin und rieb mir über die brennende Seite.

„Sie muss nur ihre Seite etwas schonen.“, erklärte Slane, „Sonst bricht ihre Wunde wieder auf.“

„Eine Wunde?“, hakte Mom sofort nach, „Was ist passiert?“

„Alles in Ordnung.“, wiederholte ich, „Es ist nur ein Durchschuss.“

„Ein Durchschuss!“, rief Annie aus und riss mich wieder an sich.

„Mir geht’s super.“, versuchte ich es weiter.

„Du wurdest angeschossen?“, hakte Gabriel erstickt nach.

„Nein. Riley wurde angeschossen.“

Irina schrie unter Tränen auf und drückte Riley noch fester an sich. Er wurde blass. Offenbar drückte sie unbewusst auf seine Wunden.

„Mom.“, hob er zaghaft an, „Nicht so fest.“

„Wenn Riley angeschossen wurde...“, meinte Jason, „Warum hast du dann eine Wunde?“

„Ich bin in die Schusslinie geraten, als ich versucht habe ihn beiseite zu ziehen.“

Nun legte auch Mom wieder ihre Arme um mich. „Oh Gott, Rika.“

Slane schniefte erneut.

„Lass alles raus, Großer.“, meinte Brian und klopfte ihm auf die Schulter. „Lass alles raus.“

„Ich hatte nie so eine Familie.“, bemerkte er weinerlich.

„Ist schon okay. Lass es einfach raus.“

„Sie haben sich nie um mich gekümmert.“

„Du hast ja uns.“

Nicko seufzte tief und reichte ihm ein weiteres Taschentuch. Slane schluchzte auf. Ich war überrascht, wie emotional er ganz offensichtlich war.

„Wenn du willst, kannst du was von meiner Familie ab haben.“, bemerkte ich, „Sie zerquetschen mich.“

Nun ging Dad dazwischen. „Annie, jetzt lass deine Schwester wieder los. Sie wird noch klaustrophobisch. Liebling, geh doch mit ihr das Essen machen. Sie haben sicher alle Hunger.“

Mom nickte. „Ja, gute Idee. Kommst du Annie?“

Diese sah Slane eine Weile verblüfft an, bevor sie sich von mir löste. „Ja... Ja, ich komme schon.“

Ich atmete erleichtert auf.

„Nicko, sagst du uns nun, wer die beiden sind?“, wollte Dad dann von meinem Bruder wissen.

„Natürlich. Das sind Slayer und Brian. Sie... müssen eine Weile hier bleiben. Das würde ich Ihnen gerne später genauer erklären. Euch allen. Vielleicht... nach dem Essen.“

„Verstanden. Jason, sieh doch bitte nach dem Gästezimmer. Wir haben leider nur noch eins frei.“

„Schon in Ordnung.“, entgegnete Brian, „Unser großer Softie hier würde sogar mit dem Boden klar kommen.“

Dieser putzte sich die Nase. Dann wand ich mich an meinen Vater.

„Vielen Dank, Dad.“

„Immer gerne.“ Er tätschelte mir den Kopf. „Bist du wirklich in Ordnung?“

„Es brennt nur ein wenig.“

„Und der Rest? Du warst drei Wochen lang weg.“

Ich schluckte hart, lächelte dann aber. „Damit werde ich schon fertig.“

„Sag mir einfach, wenn du etwas brauchst, okay?“

„Mach ich. Ich... Ich hab dich lieb, Dad.“

Er begann zu lächeln. Das war das erste mal, dass ich es ihm sagte. „Ich dich auch, Rika.“

Diesmal war ich es, die die Umarmung begann. Slane brach endgültig in Tränen aus, woraufhin Nicko und Brian ihm beruhigend die Schultern klopften.

„Das ist ja ein riesiges Baby.“, bemerkte Dad leise.

„Ist er nicht.“, entgegnete ich, „Er ist nur emotional. In ernsten Situationen hat er dafür einen umso klareren Kopf. Er hat uns alle verarztet.“

„Hmmm... verstehe.“

„Rika.“

Ich sah zu Riley herüber. „Ja?“

„Ich möchte dir jemanden vorstellen.“

Überrascht löste ich mich von Dad und ging zu Riley herüber, der mir sofort einen Arm um die Taille legte.

„Rika, das ist mein Vater Russel.“ Er deutete auf den fremden Mann. „Dad, das ist Rika. Sie ist meine Freundin.“

Russel betrachtete mich einen Moment. Er hatte schwarzes kurz geschorenes Haar, dieselben bernsteinfarbenen Augen wie Riley und war etwa zwei Köpfe größer als Nicko, der bereits drei Köpfe größer war als ich. Ich schluckte und reichte ihm nervös die Hand. Er hatte einen seltsam grimmigen Blick.

„Freut mich Sie kennen zu lernen.“, begrüßte ich ihn etwas nervös.

Er ergriff sie ohne Zögern. „Mich ebenfalls. Irina hat ab und an davon erzählt, dass Riley eine Freundin hat.“ Er legte dieser einen Arm um die Schultern und lächelte leicht, was ihn etwas weniger grimmig aussehen ließ.

„Dad ist in der Armee.“, erklärte Riley, „Deshalb ist er nicht oft zuhause.“

„Oh. Also... mein Bruder ist- ich meine, er war auch Soldat.“

Dieser trat nun zu uns. „Rika, lass Slayer sich doch bitte nochmal deine Wunde ansehen. Riley, du solltest dich auch nochmal durchchecken lassen. Er macht sich Sorgen um deine Brust.“

Ich lächelte ihn an. „Das ist er.“, meinte ich dann an Russel, „Mein Bruder Nicko. Das ist Rileys Vater Russel. Irina kennst du ja schon.“

Nicko lächelte schräg. „Ja.“, antwortete er dann zögerlich und reichte beiden die Hand. „Angenehm.“ Dann sah er wieder zu mir. „Lässt du dich bitte jetzt untersuchen? Er ist ganz aufgelöst und Ablenkung tut ihm gut.“

Ich sah zu Slane, der immer noch stumm weinte und die Tränen wegwischte. Brian sprach beruhigend auf ihn ein. „Er ist wirklich sehr emotional.“

„Er hat eine interessante Vergangenheit.“

„Okay.“ Ich ergriff Rileys Hand. „Kommst du?“

„Klar.“, meinte dieser und ging mit mir zu Slane, der sich erneut die Nase putzte.

Als er uns sah, lächelte er warm. „Hey.“

„Hey.“, entgegnete ich, „Nicko meint, wir sollen uns nochmal von dir untersuchen lassen.“

„Klar. Vielleicht in der Küche? Habt ihr da gutes Licht?“

Ich nickte. „Ja. Sie ist auch groß, also werden wir da Mom und Annie nicht im Weg stehen.“

„In Ordnung.“

Wortlos begleitete er uns in die Küche, während er sich die restlichen Tränen wegwischte. In der Küche setzten Riley und ich uns auf den Tisch. Kurz darauf folgte Brian mit Slayers Arztkoffer.

„Was hast du da eigentlich alles drinnen?“, wollte Brian wissen, als er sie neben uns abstellte, „Die wiegt sicher fünfzehn Kilo?“

„Zwanzig.“, entgegnete Slane, „Man muss auf alles vorbereitet sein. Fangen wir mit Riley an. Zieh dir bitte das Shirt aus.“

Riley tat worum Slane bat, woraufhin ich ihm half das Verband zu lösen. Dann sah Slane sich die Wunden an.

„Hmmm...“, meinte er, als er sich die Wunde an der Schulter ansah. „Der Faden ist schon wieder gerissen.“ Er rieb sich kurz übers Gesicht. Das war nun das fünfte Mal, dass der Faden riss und dann abgegangen war. „Vielleicht hält eine Klammer.“

Riley wurde blass. „Eine Klammer?“

Slayer seufzte leise. „Lieber nicht.“ Er durchsuchte seinen Koffer, zog sich nebenbei Handschuhe an und rieb seine Hände mit Desinfektionsmittel ein.

„Was macht ihr da?“, fragte Annie neugierig und kam herüber.

„Uns untersuchen lassen.“, entgegnete ich, „Slayer ist Arzt.“

Dieser rieb sich mit dem Handgelenk kurz das gerötete Auge und murmelte etwas vor sich her. „Erst mal eine Betäubung.“, bemerkte er dann und machte eine Spritze fertig.

Riley seufzte. Er hasste Spritzen.

„Arzt?“, hakte Annie nach und betrachtete Slane etwas genauer.

Ich grinste sie an. „Er ist Single.“

Slane warf mir einen finsteren Blick zu. „Danke für die Erinnerung.“

„Sie war nicht die Richtige.“, entgegnete ich, „Wie Brian schon sagte, du bist ein knallharter Softie. Ich mag dich.“

„Danke.“, entgegnete er halblaut und gab Riley die Spritze. „Ich dich auch.“ Dann seufzte er erneut. „Ich muss einen stabileren Faden nehmen. Den muss ich hinterher aber ziehen. Das würde dann weh tun.“

Riley schluckte kurz. „Aber dann verheilt es richtig, oder?“

„Ja.“

„Gut.“

Slane holte Nadel und Faden heraus, der anders aussah, als die vorher. Er warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr und begann dann zu nähen.

„Ich mag intelligente Männer.“, bemerkte Annie und beobachtete ihn aufmerksam.

„Slay.“ So nannte ich ihn ständig. Ich war die einzige, die ihn so nennen durfte, wie er mal sagte.

„Ja?“

Ich legte den Kopf etwas schräg. „Was meintest du, als du sagtest, deine Familie hätte sich nie so um dich gekümmert?“

Er atmete tief durch. „Ich hatte noch drei weitere Geschwister.“, erklärte er, „Meine Mutter zog uns alle allein auf, weil mein Vater bei einem Autounfall ums Leben kam.“

„Oh.“

„Sie hat viel gearbeitet, damit wir genug zu Essen hatten. Eine Freundin hat so lange auf uns aufgepasst. Als mein ältester Bruder alt genug war, hat er auf uns aufgepasst. Wir haben in einer Zweizimmerwohnung gelebt, die ziemlich heruntergekommen war. Mom konnte die Miete gerade noch bezahlen, ohne dass wir Hunger litten.“ Er zog die Schultern hoch. „Seit dem Tot meines Vaters war sie verbittert und schimpfte viel mit uns. Ich war mir damals sicher, sie würde sich wünschen, wir wären nicht da. Dann wäre ihr Leben einfacher, weißt du? Wie auch immer... Wir hatten kein einfaches Leben. Meine Brüder und ich stritten uns um jede Scheibe Brot. Und obwohl meine Mutter uns nicht zu mögen schien, hat sie sich immer als letztes etwas zu Essen genommen. Sie hat erst gegessen, wenn wir satt waren. Im Grunde war sie also eine ganz gute Mutter. Sie war nur nie da, wenn es uns schlecht ging. Sie musste arbeiten.“

„Verstehe. Ich... Meine Eltern sind bei einem Unfall gestorben.“, erklärte ich.

Ausnahmslos alle sahen mich an. Doch ich redete nicht weiter. Ich sah einfach stumm auf den Boden. Riley drückte tröstend meine Hand, woraufhin ich aufsah und ihn matt anlächelte. Dann sah Slane auf Rileys Seite und stieß einen Pfiff aus.

„Das sieht klasse aus.“, bemerkte er dann, „Etwas rot, aber es verheilt ziemlich gut.“ Dann sah er auf Rileys Brust. Dort hatte er mit Absicht einen ziemlich dünnen Faden benutzt. Wie bei den vorigen Untersuchungen betäubte er ihn kurz, zog vorsichtig den Faden und führte ein ganz dünnes metallenes Stäbchen ein, um nachzusehen, wie tief die Wunde war. Diesmal atmete erleichtert auf. „So langsam ist sie weit genug zugewachsen.“ Er griff nach Nadel und Faden, nahm diesmal den normalen. „Jetzt kann es in Ruhe verheilen.“

Auch Riley atmete erleichtert auf. „Und es ist alles heil, ja?“

„Ja.“, beruhigte Slane ihn.

„Was war mit der Wunde?“, fragte Annie neugierig und besorgt.

„Es ist eine Schusswunde.“, erklärte Slane, „An dem Winkel, in dem die Kugel in den Körper gedrungen ist, konnte man erkennen, dass die Kugel entweder in der Lunge oder im Herz stecken müsste.“

Annie machte große Augen.

„Riley hatte Glück. Sie steckte genau dazwischen, sodass keines der Organe beschädigt war. Nun war es jedoch zu gefährlich die Kugel drinnen zu lassen. Sie herauszuholen jedoch auch.“

„Und?“

„Ich musste sie natürlich raus holen. Es hätte ständige Schmerzen verursacht, wenn sie drinnen geblieben wäre. Er hätte es wahrscheinlich nicht mal lange überlebt. Nur ein tiefer Atemzug und die Kugel könnte sich an das Herz drücken, es vielleicht sogar beschädigen. Unglücklicherweise hatte Riley einen Herzstillstand kurz bevor ich die Kugel hatte. Ich musste ihn mit Rikas Hilfe wiederbeleben.“

Wiederbeleben. Wiederbeleben. Wiederbeleben, ging mir Slanes Mantra durch den Kopf. „Er ist ein gute Arzt.“, bemerkte ich.

Er lächelte mich schräg an. Bei meinen nächsten Worten verschwand es jedoch wieder und wich einem Seufzen.

„Und emotional instabil.“

„Vielen Dank.“

Ich grinste ihn an. „Aber deshalb mag ich ihn so sehr. Man kann gut mit ihm reden und kann darauf vertrauen, dass er hinter einem steht.“

„Hoch mit dem Shirt.“, meinte er kommentarlos, „Zeig mir deine Seite.“

Ich hob mein Shirt bis unter die Brust, woraufhin der den Verband abnahm und sich die Wunde ansah.

„Umdrehen.“

Ich zog die Beine an, wand ihm den Rücken zu und hob erneut das Shirt an. „Sieht du's?“

„Ja. Sieht alles gut aus. Tut es weh?“

„Nur ein bisschen.“

„Gut.“

Wenig später rieb er es erneut mit einer Salbe ein und verband es. Als ich mich umdrehte, half ich ihm dann Rileys Wunden einzureiben und zu verbinden. Dann drückte ich Riley jeweils einen Kuss auf seine Wunden und dann einen auf seinen Mund.

„Eine bessere Krankenschwester als dich kann ich nicht haben.“, bemerkte er mit einem schrägen Lächeln.

Ich erwiderte das Lächeln, stand mit ihm auf und ließ mich dann von ihm in die Arme ziehen.

„Ich liebe dich.“, flüsterte er mir zu und küsste mich sanft.

„Ich liebe dich auch.“

Slane seufzte neben uns tief. „Tut mir bitte den Gefallen und fangt jetzt nicht an zu knutschen, ja?“

Wortlos drehte ich mich zu ihm um und nahm ihn in die Arme. Verwirrt blieb er reglos stehen und sah auf mich herab, während ich ihn einfach nur festhielt.

„Danke, dass du ihn gerettet hast.“, flüsterte ich schließlich.

Lange ausatmend legte er mir eine Hand auf den Schopf und eine auf den Rücken. „Das ist doch mein Job.“, murmelte er dann, „Ich bin Arzt.“

„Du bist Scharfschütze mit medizinischer Ausbildung.“, korrigierte ich, „Mit ziemlich guter medizinischer Ausbildung, aber trotzdem Scharfschütze. Dein Job war es mich da raus zu bringen, aber trotzdem hast du ihn gerettet.“

„Ich kann einfach nicht fahren, wenn hinter mir ein Mädchen weint.“

Ich sah perplex zu ihm auf.

„Wäre er gestorben, hättest du ununterbrochen geweint. Dann hätte ich nicht fahren können?“

„Warum?“

Nun schaltete Brian sich wieder ein. „Weil er selbst geflennt hätte wie ein kleines Baby.“ Er schlug Slay auf die Schulter. „Aber so ist er eben, das weißt du ja.“

Dieser warf Brian einen verärgerten Blick zu.

„Warum seid ihr eigentlich hier?“, wollte Annie plötzlich wissen und beobachtete Slayer neugierig.

„Zu eurem Schutz.“, entgegnete dieser und schaltete auf den beruflichen Modus um. „Ich denke, Nicko wird euch noch alles erklären.“

„Das Essen ist fertig.“, fuhr Mom dazwischen, „Rika, sag doch bitte den anderen Bescheid. Annie, hilf mir den Esstisch im Esszimmer zu decken.“

„Kann ich Ihnen helfen, Ma'am?“, bot Brian an.

Sie musterte ihn kurz abschätzend. „Nun... Sie könnten mir gleich helfen das Essen rein zu tragen.“

Annie ging zur Küche und streckte sich, um Teller aus dem Oberschrank zu holen. Da wir nun viele Gäste hatten, waren es entsprechend viele Teller.

„Warte, ich helfe dir.“, meinte Slane plötzlich und eilte zu ihr herüber, als sie die Teller wackelig aus dem Schrank zog.

Da er um einiges größer und kräftiger war als sie, hatte er keine Probleme damit die Teller herauszuholen. Als er sie ihr dann reichte, schien es, als würde er sie das erste mal ansehen. Was wahrscheinlich sogar der Fall war. Er starrte sie wortlos an, hielt die Teller in der Hand und blinzelte zwei, drei Mal. Dann reichte er ihr die Teller.

„Hier.“, murmelte er.

„Danke.“, entgegnete sie, offenbar genauso gebannt wie er.

Ich schmunzelte vor mich her, während ich die beiden beobachtete. Sie sahen sich einfach nur an, schienen nicht einmal zu blinzeln. Dann schüttelte Annie plötzlich den Kopf.

„Das Essen.“, meinte sie dann, drehte sich um und verließ eilig die Küche. Slane sah ihr wortlos nach.

„Wer...?“

„Das ist Annie.“, beantwortete ich seine unbeendete Frage, „Meine Schwester.“ Ohne ein weiteres Wort nahm ich Rileys Hand und zog ihn hinter mich her aus der Küche. „Ich glaube, sie mögen sich.“, bemerkte ich, als ich weit genug von der Küche entfernt war.

Riley sah kurz zurück und nickte dann. „Das denke ich auch.“ Er zog mich etwas dichter an sich und legte mir einen Arm um die Taille, bevor er mich plötzlich ins Gästebad zog, die Tür hinter uns abschloss und mich an die Wand drückte, um mich zu küssen.

Abrupt hielt ich mich an ihm fest, schnappte nach Luft und kam ihm ein Stück entgegen. Er legte die Arme um mich, küsste mich leidenschaftlicher und begann mit den Händen über meinen Körper zu wandern. Plötzlich zog sich alles in mir vor Angst zusammen, weshalb ich mich abrupt von ihm löste und ihn ein wenig weg schob. Zögernd hielt er mich etwas fester, sah verwirrt auf mich herab und hob leicht den Kopf.

„Alles okay?“, fragte er leise.

„Ich... kann noch nicht.“, entgegnete ich und schloss die Augen, als mir Bilder in den Kopf kamen. Bilder von Jacko. Dann riss ich die Augen wieder auf, weil die Bilder so nur noch deutlicher waren. „Er war so grausam.“

Rileys Augen weiteten sich ein wenig, bevor er mich an sich zog und fest umschlang. „Dir passiert nichts mehr. Du bist jetzt sicher.“

„Aber Jeffrey läuft noch frei da draußen herum.“

„Sie werden ihn kriegen, Rika. Du musst keine Angst haben. Ich werde nicht von deiner Seite weichen. Egal was passiert.“

Etwas beruhigt lehnte ich mich an ihn und schloss die Augen.

„Für mich ist eine Leben ohne dich wie ein Leben ohne Luft. Ich lebe, doch ich kann nicht atmen, es ist viel zu schwer. Und dann kommst du und... alles ist so leicht und einfach.“ Er schmiegte sein Gesicht an meinem Schopf. „Ich werde dich nie gehen lassen, selbst wenn es mich umbringt.“

Das hatte er bereits bewiesen.

Und ich brach in Tränen aus.

 

Es war mitten in der Nacht und obwohl der Tag lang war konnte ich nicht schlafen. So war es mir bereits die letzten Tage ergangen. Riley schlief neben mir tief und fest, doch ich lag hell wach auf dem Rücken neben ihm. Nach einer Weile drehte ich mich auf die Seite, sah ihn an und beobachtete ihn einfach. Er lag ebenfalls in meine Richtung auf der Seite. Es sah so aus, als würde er die Hände nach mir ausstrecken.

Von einem inneren Drang getrieben rückte ich etwas näher an ihn heran, berührte vorsichtig seine Arme. Als schien er sogar im Schlaf mein Vorhaben zu erkennen hob er einen der Arme, sodass ich eng an ihn rücken konnte, und legte sie fest um mich. Dann stellte ich fest, dass er wach war.

„Kannst du nicht schlafen?“, fragte er leise.

Ich kuschelte mich an ihn. „Nein.“

„Was ist denn los?“

„Ich habe Angst.“ Ich schwieg einen Moment. „Immer, wenn ich die Augen schließe, habe ich das Gefühl wieder dort zu sein. In dem Bett. Und ich habe Angst, dass Jacko jeden Moment herein kommt. Ich habe Angst, dass Don mich holt. Ich habe Angst, dass... Ich habe einfach so schrecklich Angst.“

„Du musst keine Angst haben.“, entgegnete er mit so sanfter Stimme, dass ich mich etwas sicherer fühlte, geborgen. „Die beiden werden dir nie wieder etwas antun können.“ Ein zarter Kuss auf meine Schläfe. „Hab keine Angst, Liebling.“, flüsterte er, „Ich bin bei dir. Jetzt schließe die Augen und schlaf. Morgen fühlst du dich besser.“

Tatsächlich begann ich mich müde zu fühlen. „Halte mich so lange fest, ja? Halte mich, damit mich niemand holen kann.“

„Ich werde dich festhalten, bis du wieder aufwachst.“, beruhigte er mich und drückte mir einen ganz sanften Kuss auf die Lippen. „Schlaf, Liebling. Und träum von den schönen Momenten, die wir miteinander hatten.“

Das tat ich dann auch.

 

Am nächsten Tag saß ich mit Riley in meinem Zimmer und sah ihn auf Grund seines Vorschlages, den er mir soeben erklärt hatte, skeptisch an.

„Es ist wieder bei Mike.“, fügte er hinzu.

„Erinnerst du dich daran, dass es bisher immer schlecht ausging, wenn wir auf einer Party waren?“, entgegnete ich, „Entweder hat dich ein anderes Mädchen abgeknutscht oder du hast zuviel getrunken.“

„Ich habe dir versprochen kein Alkohol mehr zu trinken und Mike hat nur Mädchen eingeladen, die er mag. Es ist keine große Party.“

Ich rieb mir den Nacken. „Ich weiß nicht. Was ist, wenn Jeremy da ist? Und was werden alle über unsere Abwesenheit in den letzten Wochen sagen?“

„Das ist mir egal.“

„Und was ist mit unserer Sicherheit?“

Nach dem Essen am Abend unserer Ankunft hatte Nicko allen erklärt warum Slayer und Brian bei uns blieben. Niemand hatte etwas dagegen, dass sie blieben. Irina bestand sogar darauf, in der Zeit mit Riley bei uns zu bleiben, damit auch er in Sicherheit war.

„Brian würde uns sicher begleiten. Oder Slayer.“, beantwortete Riley meine Frage.

Ich seufzte unsicher.

„Was soll denn schon passieren?“, wollte er wissen, „Ich verspreche dir, dass alles gut laufen wird.“

„Na gut.“, meinte ich schließlich, denn es gab nun wirklich nichts mehr worüber ich mir Sorgen machen musste.

Vor Freude lächelte Riley mich breit an und drückte mir einen innigen Kuss auf den Mund. Als er sich wieder von mir löste, sah ich ihn überrascht an.

„Warum möchtest du eigentlich so unbedingt auf die Party?“, wollte ich wissen.

„Dort sind viele meiner Freunde. Und Mike ist einer meiner besten Freunde.“

Ich verzog ein wenig das Gesicht. Er war zwar ganz in Ordnung, aber in der Zeit, in der ich von Riley getrennt war, war er ein bisschen zu aufdringlich. Andererseits hatte er einen gewissen Sinn für Humor. Eigentlich war er nicht sooo schlecht.

„Wann findet die Party statt?“, wollte ich wissen.

Er lächelte etwas mehr. „Sie fängt in zwei Stunden an.“

„So früh?“

„Ja. Es ist ja keine spontane Party.“

„Ach nein?“

„Nein. Sein Bruder kommt nach hause.“

„Er hat einen Bruder? Und wo war er?“

„Er ist Soldat und war in Afghanistan.“

„Oh mein Gott.“ Es gab zu viele Soldaten in meinem Leben. „Geht es ihm gut?“

„Er ist kerngesund. Es ist auch keine riesige Party mit viel Alkohol. Es wird Sekt getrunken, ein wenig Bier und sonst gibt’s noch Saft, Cola und so weiter. Ich denke, du wirst dich nicht sehr unwohl fühlen.“

„In Ordnung. Wann wollen wir dann los?“

„Ich hatte gehofft, wir könnten in einer Stunde los gehen.“

Ich sprang auf. „Dann muss ich jetzt unter die Dusche.“

Er blinzelte überrascht. „Sagtest du Dusche?“

„Du wirst brav hier warten.“, entgegnete ich und gab ihm einen kleinen Kuss.

„Das ist nicht fair.“, beschwerte er sich und folgte mir aus dem Zimmer. „Hast du vor mich wahnsinnig zu machen? Ich komme mit!“

„Nein, sonst brauchen wir nur wieder zu lange.“

„Ich hab dir gesagt, ich werde nicht von deiner Seite weichen.“

An der Badezimmertür hielt ich lachend inne und gab ihm noch einen Kuss. „Du wartest. Du kannst ja hier vor der Tür warten. Mit rein nehme ich dich jedenfalls nicht.“

Ich hörte ihn tief seufzen, als ich die Tür hinter mir schloss.

 

Anderthalb Stunden später betraten wir das mir bereits bekannte Haus. Mike begrüßte uns überschwänglich und drückte mich dabei fest an sich.

„Wo seid ihr so lange gewesen?“, wollte er wissen, „Greg und Celina waren krank vor Sorge.“

„Es ist eine sehr lange und komplizierte Geschichte, über die wir eigentlich nicht reden wollen.“, entgegnete Riley, „Das hier ist Slayer.“ Er deutete auf unseren Bodyguard.

Mike blinzelte einige Male und hob dann die Hand zum Gruß. „Äh... Hi.“

Ich konnte ihm die Reaktion nicht verübeln. Slayer war ganz in schwarz gekleidet, trug eine Lederjacke und eine Sonnenbrille. Er erinnerte mich ein bisschen an die Men in Black. Nur, dass er keinen Anzug trug. Und ich wusste, dass er unter der Jacke zwei Waffen und ein Messer bei sich trug. Sein wortloses Nicken verstärkte nur den Eindruck.

„Wer ist der Typ?“, fragte Mike Riley leise, als wir den Flur betraten.

„Das ist eine komplizierte Sache. Er ist ganz in Ordnung.“

„Daran hege ich keine Zweifel, sonst hättet ihr ihn nicht mitgebracht.“

„Ich seh mich ein bisschen um.“, meinte Slay an mich, „Vergesst einfach, dass ich da bin und amüsiert euch.“

„In Ordnung.“, entgegnete ich lächelnd.

Er lächelte leicht zurück und verschwand im Haus. Riley ergriff daraufhin meine Hand und ging mit mir und Mike ins Wohnzimmer.

„Wann kommt dein Bruder an?“, fragte Riley.

„In zwei Stunden.“ Mike lächelte begeistert. „Meine Eltern können es kaum abwarten.“

Ich lächelte leicht. Als ich mich dann umsah, entdeckte ich einige Schulkameraden, die sich lachend unterhielten. Da war sogar der Junge, der neben mir saß. Der große Schweiger. Er saß einfach stumm neben einem Mädchen, dass ihm ein wenig ähnlich sah und hörte ihr zu. Dann fiel mein Blick auf Jeremy, der sich gerade angeregt mit einem seiner Freunde unterhielt. Sofort wand ich den Blick ab und folgte Riley zu dem kleinen Büfett, dass von einer Frau angerichtet wurde, die dem Aussehen nach zu urteilen Mikes Mutter war.

„Ah, hallo Riley. Schön dich zusehen.“, begrüßte sie meinen Freund lächeln, bevor ihr Blick auf mich fiel. „Hallo. Wir kennen uns noch nicht, oder? Ich bin Arina. Mikes Mutter.“

„Ich bin Rika. Rileys Freundin.“

„Seine- Oh, freut mich wirklich sehr dich kennen zu lernen.“ Sie lächelte etwas mehr. „Man hat mir schon ein wenig von dir erzählt. Es ist wirklich schön, dass Riley eine so kluge und talentierte Freundin gefunden hat.“

Ich wurde ein wenig rot. „Danke.“

Riley hatte sich einen Pappteller genommen und sah sich nun die kleinen Gerichte an. „Halleluja!“, rief er plötzlich aus und stürzte sich auf kleine Muffins. „Deine sind einfach die besten.“, meinte er und biss direkt in einen hinein, während er sich noch drei weitere auf den Teller tat und mir einen in die Hand drückte. „Probier mal.“, meinte er an mich, „Sie schmecken umwerfend.“

Zaghaft biss ich ab und zog überrascht die Brauen hoch. „Mmmmh... sind die lecker. Tust du mir auch noch einen rauf.“

Er lächelte schräg und schnappte sich noch einen der Muffins. „Für die umwerfende Lady.“

Arina lachte herzlich. „Bedient euch nur so viel ihr wollt. In der Küche ist noch reichlich Nachschlag.“

„Vielen Dank.“ Riley lächelte mich breiter an. „Magst du Amerikaner?“

Ich blinzelte. „Du bist doch einer.“

Nun lachte er leise und deutete auf ein rundes Gebäck mit Zuckergussglasur. „Ich meine solche Amerikaner.“

„Oh.“ Erneut wurde ich ein wenig rot. „Ich hab sie noch nie probiert. Sie sind so klein.“ Nicht größer als fünf Zentimeter im Durchmesser.

„Die sind auch selbst gemacht. Die üblichen sind gut doppelt so groß.“ Er nahm einen davon und hielt ihn mir an den Mund. Vorsichtig biss ich ab und schloss die Augen.

„Lecker.“

Mit einem Lächeln nahm er auch einige davon auf den Teller. „Und Kirschen für die Lady.“, meinte er, als er die tiefroten Kugeln sah. „Du isst doch Kirschen, oder?“

„Sie sind mein absolutes Lieblingsobst.“

„Gut.“

Mit einem Teller voll Süßkram und Kirschen führte er mich zur Couch und hielt mir den Teller hin, woraufhin ich einen der Amerikaner nahm und abbiss. Plötzlich gesellte sich Jeremy zu uns.

„Wunderschönen guten Abend.“, begrüßte er uns, „Ich hab mich gefragt, wo ihr all die Wochen gewesen seid.“

„Wir waren verhindert.“, antwortete Riley, weil ich gerade den Mund voll hatte. „Soll ich dir etwas zu trinken mit bringen?“, fragte er mich dann.

Ich schluckte eilig. „Ähm... Orangensaft hätte ich gerne.“

„Orangensaft für die Lady.“, wiederholte er mit einem Nicken und stand auf, wobei er unseren Teller auf den kleinen Tisch vor uns stellte.

„Ich dachte, du seist stumm.“, bemerkte Jeremy überrascht.

„War ich auch.“, entgegnete ich und warf ihm einen kleinen Blick zu, bevor ich nach einem weiteren Amerikaner griff. „Mein Arzt nennt mich ein medizinisches Wunder.“, fügte ich hinzu.

„Noch dazu sagt man, du seist ein musikalisches Wunder.“, bemerkte er, „Ich finde, du bist ein göttliches Wunder. Auch wenn ich eigentlich gar nicht gläubig bin.“

Verwirrt sah ich ihn an, woraufhin er schräg lächelte, was ihn seltsam gut aussehen ließ. „Ein göttliches Wunder?“, hakte ich nach.

„Schön wie ein Engel.“, erklärte er, „Und doch sollst du ständig irgendwelche Probleme anziehen. Ich hab gehört ein Freund von dir sei im Krankenhaus gewesen, weil er angeschossen wurde.“

Er redet von Gabriel. Ich verzog das Gesicht. „Ja.“

„Wie ist das passiert? Oder besser, wer hat auf ihn geschossen?“

Ich zögerte und aß eine Kirsche, während ich darüber nachdachte, was ich wohl antworten sollte. „Jemand, den ich aus meiner Kindheit kannte.“, antwortete ich dann, „Und um den ich mir jetzt keine Sorgen mehr machen muss.“, fügte ich leise hinzu.

Als Riley zurück kam, lächelte ich ihn an und nahm begeistert den Orangensaft entgegen, den er mir hinhielt. Dann nahm ich einen Schluck und hielt ihm eine Kirsche an den Mund, die er sofort aus der Hand aß, bevor er mir einen Kuss gab und einen Arm um meine Taille legte. Als ich mich von ihm lösen wollte, um ihm noch eine Kirsche zu geben, lächelte er mich nur an und küsste mich erneut, wobei er mich eng an sich zog. Leise lachend erwiderte ich den Kuss und legte die Arme um seinen Hals.

Wenige Minuten später wurden wir von einem weiblichen Schrei unterbrochen. Nun, es war nicht direkt der Schrei. Es war eher Celina, die diesen Schrei ausgestoßen hatte und mich aus Rileys Armen riss, um mich an sich zu drücken.

„Großer Gott, Rika!“, rief sie aus, „Ich bin so froh, dass du wieder da bist!“

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Slay aufgeschreckt aus dem Garten herein kam, sich kurz umsah und dann erleichtert aufatmete. Ich sagte ihm mit einer kurzen Geste, dass alles in Ordnung war, woraufhin er amüsiert den Kopf schüttelte und sich an den Türrahmen lehnte, um uns zu beobachten.

„Wir hatten solche Angst um dich! Was ist nur passiert? Warum seid ihr verschwunden?“

„Das ist etwas kompliziert.“, entgegnete ich und verzog ein wenig das Gesicht, als sie unabsichtlich Druck auf die Wunde ausübte.

Riley dagegen wurde so weiß wie die Wand, als Greg ihm freundschaftlich auf die Schulter schlug.

„Wir sind echt froh, dass ihr wieder da seid.“, meinte er lächelnd und zog die Brauen zusammen, als er seine Blässe bemerkte. „Alles okay mit dir?“

„Ja.“, entgegnete Riley, „Es wäre nur klasse, wenn du mir vielleicht auf die andere Schulter schlagen würdest.“

Während er das sagte, schob er Celinas Arm ein wenig höher, sodass der Druck auf meine Wunde nicht ganz so groß war. Plötzlich löste sie sich dann von mir und warf sich auf Riley. Dieser wurde kreidebleich und hielt den Atem an.

„Celina, könntest du vielleicht-“ Er unterbrach sich selbst, als sie ihn ein wenig fester an sich drückte.

Plötzlich tauchte Slay bei uns auf, nahm die Sonnenbrille ab und hockte sich neben die beiden. „Könntest du ihn vielleicht ein bisschen lockerer festhalten?“, bat er, „Er ist verletzt, weißt du?“

Als sie die fremde Stimme hörte, löste sie sich von Riley und sah Slayer mit großen Augen an.

„Kennen wir uns?“, wollte Greg verwirrt wissen.

„Nein.“, entgegnete er, „Ich bin auch nicht lange in der Stadt.“ Er zog eine Grimasse. „Alles in Ordnung, Riley?“, wollte er dann wissen.

Dieser nickte nur langsam. „Es geht schon.“

„Was für Verletzungen hat er?“, fragte Jeremy, der die ganze Zeit schweigend bei uns gesessen hatte.

Slay zögerte ein wenig. „Schlimme... Verletzungen. Es dauert noch ein wenig, bis sie verheilt sind.“

Plötzlich klingelte ein Handy. Slane holte sein schweigend aus seiner Hosentasche und sah eine Weile auf das Display. Seine Miene wurde verschlossen. Er hob ab und hob das Handy ans Ohr.

„Ja?“, meldete er sich, stand auf und ging wieder in den Garten. „Alles in Ordnung.“, hörte ich ihn noch sagen, bevor er zu weit weg war.

„Meinst du, das ist Nicko?“, flüsterte ich Riley zu.

„Das interessiert mich gerade nicht.“, entgegnete er und lehnte sich zurück. Er war immer noch weiß.

„Gehts dir gut? Tut es sehr weh?“

„Wenn du mich küsst, dann nicht.“

Ich begann zu grinsen. „Also geht es dir gut.“

Ein Murren war die Antwort.

„Wo ward ihr?“, wollte Celina wissen und setzte sich zu Greg, der sich auf die andere Seite von Riley gesetzt hatte.

„Lange Geschichte.“, antwortete ich und hielt Riley wieder eine Kirsche an den Mund, während ich ihm einen sanften Kuss auf die Wange drückte. „Ich rede nicht gerne darüber.“, fügte ich noch hinzu.

Greg beugte sich zu Celina und flüsterte ihr etwas zu, woraufhin sie ihn entsetzt ansah.

„Ganz bestimmt nicht.“, meinte sie dann und schüttelte energisch den Kopf.

„Was?“, fragte ich verwirrt.

„Ach... gar nichts“, entgegnete sie lächelnd, „Wie geht es Nicko? Ist er schon zurück?“

Ich nickte vorsichtig. „Ja. Es geht ihm gut.“

„Warum musste er eigentlich gehen?“

Ich atmete kurz durch und sah zu Riley. Dieser sah zu mir. Dann seufzten wir beide und wanden den Blick ab.

„Das hat alles miteinander zu tun.“, meinte ich darauf nur und griff nach Rileys Hand.

Dieser sah einen Moment darauf herab, bevor er mich plötzlich anlächelte. „Magst du tanzen?“

Ich sah ihn mit großen Augen an. „Ich-ich-ich kann nicht tanzen.“

„Seltsam... als wir das letzte mal hier waren hast du auch mit Mike getanzt.“

„Er... wollte mir zeigen wie es geht.“

„Dann zeig ich es dir eben auch.“

Ohne ein Nein zu akzeptieren stand er auf, zog mich auf die Beine und weiter zur Tanzfläche. Es war ein heiteres Lied, weshalb er mir einfach zeigte, wie ich mich bewegen musste. Mehr als einmal begann ich zu lachen, weil ich mir dabei so komisch vorkam. Ab und zu begann er mich einfach herum zu wirbeln, wie in altmodischen Tänzen, doch das brachte mich eher vor Freude zum Lachen. Nach etwa zwei Stunden konnte ich ihn dazu überreden sich wieder mit mir zu setzen, doch er führte mich nicht zur Couch. Stattdessen führte er mich zu einem hoch gewachsenem Mann, der bei Mike stand und ihn breit anlächelte. Als Riley mit mir bei ihm ankam, sah er auf und begrüßte Riley begeistert.

„Riley! Schön dich zu sehen. Bist du gewachsen? Wie lange war ich weg? Zehn Jahre?“
„Es waren nur Zwei.“, entgegnete Mike amüsiert.

„Kaum zu fassen. Du hast auch abgenommen, oder? Ich meine, ich hätte dich ein bisschen besser gepolstert in Erinnerung.“

Mike lachte leise und warf mir einen kurzen Blick zu. Ich dagegen sah ungläubig zu Riley auf, der etwas rot geworden war, aber immer noch lächelte.

„Jetzt bist du aber zu weit in der Vergangenheit.“, meinte er, „Ich war schon immer so schlank.“

„Aber du bist ein bisschen blass. Brauchst mehr Farbe im Gesicht. Ich muss schon sagen, das rot steht dir.“

Mike lachte noch mehr und hielt sich eine Hand vor den Mund, damit es nicht so offensichtlich war.

„Es erinnert mich ein bisschen an die Zeit, in der du noch ein kleiner Knirps warst. Rote Pausenbäckchen, eine Stupsnase und- oh hoppala.“ Sein Blick fiel auf mich. „Da hab ich doch glatt die schöne Frau übersehen.“

Riley räusperte sich kurz. „Das ist Jonathan, Mikes älterer Bruder.“, stellte er ihn vor, „Jona, das ist Rika. Meine Freundin.“

„Nicht schlecht. Hat aber ganz schön lange gedauert, bis du endlich ein akzeptables Mädchen gefunden hast, hm?“

Ich zog die Brauen zusammen. Akzeptabel? Vorsichtig sah ich an mir herunter. Das nennt er akzeptabel?

„Rika ist das reizendste Mädchen, dass wir alle je kennen lernen durften.“, warf Mike ein, „Sie hat im Krankenhaus einen Jungen kennen gelernt, der im Sterben lag und hat ihn dazu gebracht sich ein neues Herz implantieren zu lassen, damit er weiter lebt. Dann hat sie zu seinem Geburtstag eine erfolgreiche Überraschungsparty für ihn geschmissen und seinen Bruder eingeladen, den er seit Jahren nicht mehr gesehen hat.“

„Also, das verdient Respekt. Einem jungen Mann das leben zu retten, in dem man ihn dazu bringt sich für eine Operation zu entscheiden.“

Ich wurde etwas rot und sah zur Seite.

„Sie hat sogar mein Leben gerettet.“, bemerkte Riley und lächelte mich an.

Abrupt sah ich zu ihm auf. „Hab ich gar nicht. Das war Slay.“

Sein Mundwinkel zuckte. „Du hast aber alles in die Wege geleitet.“

Ich öffnete den Mund, um zu widersprechen, schloss ihn jedoch wieder, weil er Recht hatte. Dann sah ich ihn finster an. „Ich bin immer noch sauer auf dich.“ Mit diesen Worten boxte ich ihm vorsichtig aber hart in die verletzte Seite.

Er erblasste ein wenig, schnaufte und lachte dann leise. „Ich werde den Schmerz wortlos in Kauf nehmen.“, meinte er dann, „Du bist immerhin davon überzeugt ich hätte es verdient.“

„Hast du auch.“, entgegnete ich, „Idiot.“

Er lachte erneut, woraufhin ich ihn nochmal boxte. Wortlos stellte er sich auf meine andere Seite und nahm meine Hand in seine. Jonathan sah uns skeptisch zu und hob nun eine Braue.

„Du wirst ja immer blasser.“, bemerkte Mike.

„Sie zielt auch gut.“, meinte Riley darauf und rieb sich über die Wunde. „Wie wars da drüben?“, wollte er dann von Jonathan wissen.

„Schrecklich.“, entgegnete dieser und sah ein wenig erschöpft aus. „Es ist nicht einmal nachts still. Zumindest nicht da, wo ich war. Ich kam durch einen Ort der völlig nieder gebrannt war. Neben einem der Häuser lagen die verstorbenen Einwohner.“ Er verzog das Gesicht. „Das gehört nicht hier her.“

Ich drückte Rileys Hand ein wenig fester und lehnte mich an seine Schulter, wobei er meinen Druck sanft erwiderte. Dann legte er mir einen Arm um die Taille.

„Das macht nichts.“ meinte er dabei, „Rika zieht schlechte Nachrichten magnetisch an.“

Ich schürzte die Lippen und fragte mich, ob ich beleidigt sein sollte oder ihn nochmal schlug.

„Was für schlechte Nachrichten?“, fragte Jonathan überrascht.

„Naja, man kann sie eigentlich nicht als schlecht bezeichnen. Ihr Bruder ist auch Soldat.“

„Oh.“ Er sah mich überrascht an. „Wie heißt er denn? Vielleicht kenne ich ihn.“

Ich zögerte kurz. „Nicko Traver.“

Er blinzelte einige Male und sah er mich nachdenklich an. Dann schien es ihm wie Schuppen von den Augen zu fallen.

„Ach, Nick.“, meinte er dann, „Ich hab ihn seit einer ganzen Weile nicht mehr gesehen. Wie geht es ihm?“

„Ähm... eigentlich ziemlich gut.“, antwortete ich und zuckte zusammen, als Slay plötzlich neben mir auftauchte. „Woah, Slay! Ich bekomm noch einen Herzinfarkt.“

Er grinste mich an. „Gut zu wissen, dass ich immer noch so gut schleichen kann. Ich soll von Nicko ausrichten, dass eure Mütter gesagt haben, dass ihr beide spätestens um acht Uhr zuhause sei sollt.“

„Acht?“, hakte ich nach, „Wir haben schon sechs. Das heißt wir müssen in einer Stunde schon wieder los, richtig?“ Ich sah zu Riley auf.

Dieser nickte. „Ja. Aber ich dachte du wolltest nicht auf die Party.“ Sein Mundwinkel zuckte. „Dann müsstest du dich doch freuen nach hause zu kommen.“

„Diese Party hier ist anders als die letzten beiden.“

„Allerdings.“, stimmte Mike zu, „Keine Angelique, kein Alkohol... Rika hat einen positiven Einfluss auf dich.“

„Wenn du die Wahl hättest zwischen Alkohol und Rika, würdest du auch Rika nehmen.“

Mike zögerte ein wenig. „Nein, lieber nicht. Sonst schlägst du mich wieder.“

Ich verzog das Gesicht. „Ich dich wahrscheinlich auch.“

„Nun... wenn das so ist, dann verzichte ich auf den Alkohol. Ich bin neugierig, ob du so fest zuschlagen kannst, wie du aussiehst.“ Sein Mundwinkel hob sich spöttisch.

„Eigentlich neige ich nicht zu Gewalt.“, warf ich ein.

„Du hast mich auf der Fahrt nach hause verprügelt.“, warf Riley ein.

„Hab ich nicht.“, verteidigte ich mich, „Ich hab dich nur bestraft.“

Slayer lachte. „Für mich hat es so ausgesehen, als würdest du ihn daran hindern wollen all das nochmal zu tun.“

„Besonders effektiv scheine ich ja nicht gewesen zu sein.“, murrte ich, „Sonst würde er sich endlich mal dafür entschuldigen.“

„Und das werde ich nicht tun.“ Riley grinste mich an. „Ich hab dir schon gesagt, dass ich es immer wieder tun würde.“

„Du bist lebensmüde.“ Ich sah ihn verzweifelt an. „Du willst mich in den Wahnsinn treiben, oder?“

Nun wurde sein Blick weich und sanft. „Nein. Ich könnte nur die Vorstellung nicht ertragen dich all das allein durchstehen zu lassen.“

Ich sah zu Slayer auf. „Sag was!“

„Was denn?“, wollte dieser wissen.

„Irgendwas, damit er wieder zur Vernunft kommt.“

„Ich würde wahrscheinlich dasselbe machen.“, meinte er an Riley.

Ich ließ die Schultern hängen. „Doch nicht sowas. Ach, ihr seid doch alle blöd. Wenn wir wieder zuhause sind schnapp ich mir Gabriel und kaufe ein One-Way-Ticket nach Vegas.“

Riley stöhnte auf. „Musst du ausgerechnet mit Gabriel kommen?“

„Ist dir Mike lieber?“

Sein Blick verfinsterte sich. „Nein.“

„Na also.“

Murrend zog er mich vor sich und legte fest die Arme um mich. „Ich kann Gabriel wirklich nicht leiden.“

„Ich aber. Sehr gut sogar.“

„Genau das ist ja das Problem. Er ist scharf auf dich und du magst es auch noch.“

„Er ist nicht scharf auf mich.“

„Doch ist er.“

„Nein, ist er nicht.“

„Bevor ihr wieder in den üblichen Pärchenstreit verfallt... Amüsiert ihr euch gut?“, unterbrach Slayer unsere angehende Diskussion.

„Es war eigentlich ziemlich schön.“, antwortete ich.

„Ziemlich schön.“, wiederholte Riley und schürzte die Lippen. „Komm, wir gehen in den Garten. Dann mach ich es noch schöner.“

Noch bevor ich etwas erwidern konnte, nahm er mich bereits an der Hand und zog mich hinaus.

„Ich hoffe, du hast ein Kondom dabei!“, rief Mike quer durchs Wohnzimmer.

Ich lief rot an, doch Riley lachte nur.

„So schnell gehe ich doch nicht zur Sache!“, rief Riley zurück, „Ich behandle mein Mädchen respektvoll.“

Daraufhin musste ich einfach lächeln und betrat mit ihm den Garten. Es überraschte mich, dass er vollkommen menschenleer war. Riley lächelte ein wenig, zog mich über die Terrasse zum Rasen und hielt auf einen Baum zu. Er stellte sich so hin, dass man uns nicht sofort sah, drückte mich sanft an den Baum und lehnte sich an mich.

„So.“, meinte er, als er offensichtlich zufrieden mit der Position war. „Du willst also mit Gabriel nach Vegas, ja?“

„Wenn du so fragst... warum nicht?“ Ich legte die Arme um seinen Hals. „Vielleicht magst du ja mitkommen.“

Lächelnd senkte er den Kopf und küsste mich. Es wurde ein Kuss, von dem ich mir wünschte, dass er nie enden würde.

~Kapitel 15~

einen Monat später

Nervös ging ich Hand in Hand mit Riley über den Schulflur und sah mich aufmerksam um. Seit drei Wochen ging ich wieder zur Schule und fühlte mich ständig beobachtet. Ich wusste, es gab keinen Grund zur Sorge. Slayer bewachte unser Zuhause, Brian hielt Wache vor der Schule und Nicko warf innerhalb der Schule einen Blick auf Riley und mich. Trotz allem war ich wahnsinnig nervös. Was, wenn sich jemand in die Schule schlich? Was, wenn-

„Rika?“

Ich sah zu Riley auf. „Hm?“

„Mach dir keine Sorgen. Heath überwacht alles digital.“

Tatsächlich trug ich ein GPS-Chip an meinem Körper, ebenso wie Riley.

„Denorvey kommt keine zehn Meter an dich heran.“

Dennoch rückte ich näher an Riley und hielt mich an seinem Arm fest, während wir auf den Ausgang zusteuerten.

„Es muss ja nicht Jeffrey sein.“, entgegnete ich, „Es reicht ein Handlanger, den keiner je gesehen hat. Jemanden, den er neu angeheuert hat.“

Er löste seinen Arm aus meiner Umarmung und legte ihn mir um die Taille. „Alles ist in Ordnung, Rika.“

Ich seufzte leise. Dann begann mein Magen sich irgendwie seltsam anzufühlen. Mir war schlecht, obwohl ich nichts falsches gegessen hatte. So ging das bereits seit Wochen. Morgens wenn ich aufstand, mittags wenn ich Schulschluss hatte, manchmal abends nach dem Essen.

„Ist dir wieder schlecht?“, fragte Riley besorgt, „Du solltest wirklich mit Slayer sprechen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Das ist gleich vorbei.“

„Du wirst ganz grün. Musst du dich übergeben?“

„Nein, es ist alles... in Ordnung.“ Mein Magen rebellierte. „Alles gut, ich... Ich... Oh Gott, ich muss doch-“

„Ist gut, die Toilette ist gleich da vorn.“

Er begleitete mich bis zur Tür der Mädchentoilette und wartete dann geduldig. Ich schaffte es gerade noch in die Toilettenkabine. Glücklicherweise ging nichts daneben, das wäre furchtbar peinlich gewesen.

Vier Minuten später spülte ich mir mehrmals gründlich den Mund aus und betrachtete mich im Spiegel. Ich war etwas blass, bekam aber bereits wieder etwas Farbe. Die Übelkeit war wie weggeblasen, also verließ ich den Raum wieder.

„Besser?“, fragte Riley und zog mich zu sich.

Ich nickte wortlos.

„Kaugummi?“

Noch bevor ich antwortete, hielt er mir bereits eines an den Mund. Erleichtert nahm ich ihn direkt entgegen. Als wir das Schulgebäude verließen, wartete Brian mit dem Wagen direkt an der Ausfahrt des Parkplatzes.

„Alles in Ordnung?“, fragte er, wie immer.

„Ja.“, war die routinemäßige Antwort.

Riley hielt mir höflich die Tür auf, bevor er nach mir einstieg und legte mir im Auto einen Arm um die Schultern. Liebevoll küsste er mich auf die Wange. „Du solltest wirklich mit Slayer sprechen.“, flüsterte er mir besorgt zu, „Das geht schon seit Wochen so.“

„Das ist nicht nötig.“, entgegnete ich ebenso leise.

„Aber was, wenn es eine schlimme Krankheit ist? Vielleicht ist es eine Lebensmittelvergiftung.“

„Es ist nichts weiter.“, widersprach ich, „Es ist ja ab und an nur ein bisschen Übelkeit.“

„Und Erbrechen.“, merkte er an, „Und du hast ständig Heißhunger. Vielleicht hast du ja was mit dem Magen. Slayer hat doch bei Jason letztens dieses komische Bakterium diagnostiziert. Vielleicht hast du das auch.“

Ich rümpfte die Nase. „Jason hatte andere Symptome. Ihm war nach dem Essen schlecht und hatte sogar Schmerzen. Mir ist morgens schlecht. Manchmal mittags. Etwas seltener abends, ganz unabhängig davon ob ich gegessen habe oder nicht.“

„Aber dein Hunger-“

„Ist schon okay. Demnächst müsste ich meine Periode bekommen. Es liegt bestimmt daran.“

Unzufrieden sah er mich an. „Und die Übelkeit?“

„Nur eine kleine Verstimmung.“

„Über Wochen?“

„Riley.“

„Ich mache mir nun mal Sorgen.“ Sanft drückte er mir einen Kuss auf die Stirn.

„Alles in Ordnung?“, fragte Brian erneut und besah sich uns im Rückspiegel.

„Nicht wirklich. Rika-“

Ich stieß ihm in die Seite. „Ich bin nur müde.“, warf ich ein, „Ich hab nicht gut geschlafen. Riley ist ein bisschen verschnupft und schnarcht wie ein Rasenmäher.“

Dieser warf mir einen finsteren Blick zu. „Ist Slayer zuhause?“, fragte er dann und sah wieder zu unserem Fahrer.

„Ja.“, antwortete er und sah erneut durch den Rückspiegel, diesmal jedoch nicht zu uns. „Wir müssen aber einen Umweg machen.“, während er das sagte, griff er nach dem Radio und stellte irgendwas ein.

„Ein Umweg?“, hakte ich nach.

„Jep.“

Plötzlich ertönte ein Tuten im Auto. Er hatte also eine Nummer gewählt und rief über das Auto an. Ich fragte mich, wie Heath das Handy mit dem Radio verknüpft hatte.

„Ja?“, ertönte Heath' Stimme.

„Du musst mal ein Nummernschild checken.“ Er ratterte eine Kombination runter und wartete ein paar Momente.

„Volltreffer. Der Wagen wurde vor vier Tagen als gestohlen gemeldet.“

Brian nannte eine Adresse. „In einer Viertelstunde fahr ich da vorbei.“

„Gut.“ Einen Moment Schweigen. „Es sind Leute unterwegs, die den Wagen mit einem Sender versehen.“

Ich zog die Brauen zusammen. „Warum wird er nicht angehalten?“

„Weil er uns zu Denorvey führen könnte.“, antwortete Brian, während es Klickte, was uns davon in Kenntnis setzte, dass Heath aufgelegt hatte.

„Und wohin fahren wir nun?“, fragte ich neugierig.

Brian lächelte mich durch den Rückspiegel an. „Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass du neue Unterwäsche brauchst.“

Ich riss die Augen auf. „Wie bitte?“

Riley spannte sich neben mir etwas an.

„Als ich Nicko darauf angesprochen habe, haben wir abgesprochen, dass einer von uns mit euch zwei Einkaufen geht. Kommt doch gerade wie gerufen, nicht?“

Meine Wangen färbten sich rot. Ich sollte Unterwäsche kaufen... Die Tatsache das Riley dabei war, war eine Sache. Aber Brian?

„Das ist alles deine Schuld.“, flüsterte ich Riley finster zu.

„Warum meine?“, fragte dieser verdutzt.

„Weil du immer meine Unterwäsche zerreißt.“

„Oh... nun...“ Er kratzte sich am Nacken. „Daran hab ich dann nie gedacht.“

Ich hob eine Braue.

„Was?“

„Mehr willst du dazu nicht sagen?“

„Ich werde von nun an vorsichtiger mit deinen Slips umgehen.“ Er zwinkerte mir zu. „Vielleicht solltest du aufhören welche unter deiner Shorts zu tragen, wenn wir schlafen gehen.“, sinnierte er dann.

Mein Gesicht brannte. „Riley.“

„Das würde sicher helfen. Allerdings... hätten sie dann keinen Reiz mehr. Die Slips, meine ich.“

Brian warf uns einen Blick zu, sagte jedoch nichts.

„Oder du wechselst zu Tangas. Pantys sind so... unhandlich.“

„Unhandlich?“, wiederholte ich, „Ich werde keine Tangas tragen.“

„Nicht mal einen?“

„Nein. Und jetzt... hör auf mit mir darüber zu reden.“

„Warum?“

„Weil Brian zuhören kann.“ Ich deutete auf unseren Fahrer.

„Den interessiert das doch nicht.“

„Das tut er in der Tat nicht.“, bemerkte dieser und konzentrierte sich auf die Straße.

„Hörst du?“

Innerlich stöhnend schloss ich die Augen und ließ die Schultern sinken. „Ich möchte trotzdem nicht über... meine Unterwäsche sprechen. Das... Das ist mir peinlich.“

Sein Mundwinkel zuckte. „Ich weiß.“

„Was?“

„Deshalb rede ich ja mit dir darüber.“

„Oh, du...“ Ich schlug ihm gegen die Schulter, woraufhin er leise auflachte, die Arme um mich legte und mir einen Kuss gab.

„Ich liebe dich.“, flüsterte er dann an meinem Ohr.

Und schon schmolz ich dahin, wurde wie Pudding in seinen Händen. Wie... heißer Vanillepudding... mit viel Milch. Um genauer zu sein, war ich jedes Mal hin und weg, wenn er es sagte.

Hin und weg ist noch weit untertrieben.

Irgendwie sprachlos sah ich einfach nur zu ihm auf, während er auf mich herab sah und lächelte, als könne er nicht anders, wenn er mich sah. Dann war da plötzlich dieses Verlangen nach ihm. Ohne Vorwarnung griff ich in seinen Nacken und zog ihn zu mir herab, um ihn zu küssen. Etwas überrascht von dieser plötzlichen Reaktion, griff er unsicher hinter mich, damit er nicht auf mich fiel. Im nächsten Moment erwiderte er bereits den Kuss und drückte mich an sich.

„Hey, ihr solltet vielleicht noch eine Stunde warten. Dann habt ihr ein Zimmer.“, unterbrach Brian uns und hielt kurz darauf auf einem Parkplatz. „Na kommt, ihr Turteltauben. Ich dachte Frauen mögen Shopping.“

Ich seufzte tief auf und löste mich nur widerwillig von Riley, der offensichtlich nicht erfreut über die Unterbrechung war.

Ich hasse Shopping.“, bemerkte ich dann und trottete Brian hinterher, nachdem wir ausgestiegen waren.

Riley ging neben mir her und nahm liebevoll meine Hand. „Ich freue mich schon darauf.“

„Warum?“

Er grinste mich an. „Ich kann mit dir die Dinge aussuchen und... prüfen ob sie dir passen.“

Wieder hatte er es geschafft mich mit wenigen Worten verlegen zu machen. „Riley!“, tadelte ich ihn halblaut.

Dafür legte er mir den Arm um die Taille.

Als wir eine nette Modeboutique betraten, steuerte Brian geradewegs einen Sessel an und machte es sich bequem.

„Ich warte hier. Sucht so viel aus wie ihr braucht. Achtet nicht auf den Preis. Ich hab genug dabei.“, während er das sagte, nahm er sich eine Sportzeitschrift, die offenbar allein für diese Zwecke – wartende Männer – dort lagen und begann zu lesen.

Riley dagegen hatte offenbar bereits etwas im Auge, denn er zog mich zielsicher zu einem Kleiderständer und blicke zwischen ihm und mir hin und her. Als ich schließlich seinem Blick folgte, entdeckte ich halbdurchsichtige schwarze Spitzenunterwäsche.

„Nein.“, antwortete ich auf seine stumme Frage.

„Warum nicht?“, wollte er dann wissen und nahm einen von ihnen vom Haken. „Sie sehen doch hübsch aus.“

„Sie sind durchsichtig.“

„Nur ein bisschen. Probier sie an. Ich bin sicher, sie steht dir.“

„Riley.“

„Rika.“

„So etwas trage ich nicht.“

Er lächelte sanft. „Nur ein Paar. Für mich. Für ein Wochenende. Du musst es ja nicht tragen, wenn wir zur Schule gehen.“

Unsicher besah ich mir die Unterwäsche. Offenbar schien er meine Größen bereits zu kennen, denn er hatte die richtige in der Hand.

„Nur eine. Vielleicht gefällt sie dir ja.“

„Na gut. Ich probiere ein Paar an. Aber nur eins.“

Dann waren wir etwa eine Stunde lang damit beschäftigt weitere Sets zu finden, die sowohl mir, als auch ihm gefielen. Als ich dann in der Umkleidekabine stand, probierte ich erst die ungefährlichen Sets an. Etwas in schwarz, etwas in weiß, etwas in rot, ein bisschen kariert, ein bisschen gestreift, gepunktet und anders gemustert. Jedes Mal sagte ich Riley Bescheid, um zu sehen, wie er darauf reagierte. Dann kamen sie. Halbdurchsichtig, schwarz und genau dort etwas enger, wo es nötig war. Ich zögerte, als ich mich zum Vorhang umdrehte. Ich musste zugeben, im Spiegel sah ich nicht schlecht aus und es war nicht so durchsichtig, wie ich gedacht hatte. Dennoch... ich fühlte mich seltsam darin.

„Riley?“

„Bist du fertig? Kann ich rein sehen?“, fragte er vorsichtig.

Erneut zögerte ich kurz. „Ja.“

Zwei Sekunden später schob er den Vorhang so zur Seite, dass lediglich sein Kopf hinein passte. Sobald sein Blick auf mich fiel, wurde er etwas starr. Seine Augen weiteren sich etwas, seine Lippen teilten sich.

„Wow.“, kam es ihm kurz darauf über die Lippen.

„Ist es nicht zu... aufreizend?“

„Nicht zu... zu... was?“ Sein Blick glitt aufmerksam über mich. „Ich glaube, ein Paar ist zu wenig. Ich... werde... vielleicht noch zwei holen. Ein in rot und eins in... in weiß...“ Seine Lider senkten sich etwas. Den Blick sah ich manchmal, wenn er mit mir im Bett lag. „Weiß klingt gut.“

„Wir haben uns auf eins geeinigt.“

„Mhm.“, machte er darauf nur zustimmend, ohne den Blick zu heben. „Glaubst du, es fällt auf, wenn ich eine Weile hier bei dir bin?“

„Riley... geh raus.“

Er schluckte. Dann schloss er kurz die Augen, nickte und seufzte kurz. „Ja... gut. Ich... hole die anderen... Sachen.“

Mit diesen Worten zog er den Kopf zurück und den Vorhang wieder zu, noch ehe ich protestieren konnte. Ich dagegen zog mich hastig wieder um und hatte gerade den Kabine verlassen, als Riley mit den zwei Sets zu mir kam.

„Hast du alles?“, fragte er mich etwas abwesend.

„Ja.“

Mein Blick fiel auf die Unterwäsche in seinen Händen. Seine Wangen waren etwas gerötet, als sei ihm irgendwas unangenehm. Im nächsten Moment drückte er mir die Unterwäsche in die Hand und schob mich sanft Richtung Kasse. Brian unterhielt sich gerade lächelnd mit einer Angestellten und betrachtete einen rosafarbenen Spitzen-BH.

„Aber es muss doch ungemütlich sein mit diesen Stäben herum zu laufen.“ Er betastete gerade die Bügel des BHs und sah die Frau mit gehobener Braue an.

„Aber nein.“, entgegnete sie, „Wir spüren sie ja kaum. Unangenehm wird’s nur, wenn sie zu lang oder zu weit gebogen sind.“

„Sie spüren sie nicht?“

„Nein. Sie sitzen ja direkt unter der Brust. Wenn ein BH richtig geschnitten ist, spürt man den Bügel nicht. Es kommt natürlich auch auf die Brust selbst an.“

„Tatsächlich? Also... haben Sie die richtigen Brüste für BHs mit Bügel?“

Ihre Wangen färbten sich ein wenig rot. „Das kann man so sagen, ja.“

Im nächsten Moment hing sein Blick an der genannten Oberweite. „Und was genau war noch gleich der Sinn eines BHs?“

„Brian.“, ging ich dazwischen, als die Angestellte für eine Antwort ansetzte.

Überrascht sah er zu mir, woraufhin sich die Angestellte ebenfalls zu uns drehte.

„Seid ihr etwa schon fertig?“, fragte er ein wenig enttäuscht.

„Jep.“, entgegnete ich, „Und du... lässt dich beraten?“, riet ich belustigt, „Ich wusste gar nicht, dass du schon BHs benötigst. Du solltest vielleicht mit Körbchengröße A anfangen, die passen dir wahrscheinlich eher. Und ich denke, dass die mit Bügel unangenehm sein könnten. Es gibt auch welche ohne Bügel und sogar ohne Naht.“

Die Frau vor ihm hielt sich dezent die Hand vor den Mund und kicherte leise.

„Außerdem solltest du es vielleicht mit schwarz oder dunkelgrün versuchen. Oder braun. Rosa ist eine weibliche Farbe, weißt du? Ich denke damit siehst du etwas aus wie eine Tunte.“

Riley verkniff sich ein Lachen.

„Ich bin mir sicher, die freundliche Dame hier gibt dir ihre Nummer, damit du mit derselben fabelhaften Betreuung nach einem passenden BH suchen kannst, wenn du mehr Zeit hast und nicht damit beschäftigt bist uns herum zu chauffieren.“

Brian, der augenscheinlich kurz davor gewesen war mir den Hals umzudrehen, hob nun überrascht eine Braue und sah zu der Frau auf. Diese wurde sogleich etwas roter und griff in ihre Hosentasche.

„Ich bin von Montags bis Freitags von 8 bis 15 Uhr hier. Der Laden schließt aber erst um 22 Uhr. Rufen Sie einfach einen Tag vorher an, dann... kann ich garantieren, dass ich Sie betreuen kann.“, erklärte sie und reichte ihm eine kleine Karte, auf der sie scheinbar ihre Nummer gekritzelt hatte.

„Vielen Dank.“, entgegnete Brian zurückhaltend und sah sich die Nummer an.

„Nun dann... werde ich jetzt wieder an die Arbeit gehen. Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen noch.“

Mit diesen Worten eilte sie hastig an uns vorbei in einen Gang mit Dessous.

„Na, dich hat's ja ziemlich erwischt.“, bemerkte Riley amüsiert.

Brian dagegen grinste vor sich hin und fuhr sich durchs Haar. „Einen Moment dachte ich schon, du würdest mir alles versauen.“, bemerkte er dann an mich.

Ich grinste ihn schelmisch an. „So schätzt du mich also ein, ja? Ich brauche dich noch um meine Sachen zu bezahlen, also werde ich dich erst ärgern, wenn wir im Auto sitzen.“

Zehn Minuten später startete er den Motor und sah nachdenklich zu mir herüber. „Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, ich würde mir einen BH kaufen wollen?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Du bist langsam so muskulös, dass es so aussieht, als könntest du welche gebrauchen.“

Riley brach in Gelächter aus, woraufhin Brian verdutzt an sich herunter sah. Seine Brust war tatsächlich muskulös. Etwas verärgert sah er wieder zu mir.

„Sie sieht nicht so aus.“, widersprach er dann, „Muskeln sind etwas anderes als weiches Fleisch.“

„Rede dir das nur ein. Denk aber daran, dass Frauen mit muskulöser Brust auch BHs tragen.“

Die ganze Fahrt über warf er mir finstere Blicke zu und murmelte vor sich hin.

„Von wegen. Meine Brust ist muskulös, aber so schlimm ist es wirklich nicht. Es ist ja nicht so, dass ein BH nötig wäre. Ich meine, Muskeln bleiben ja wo sie sind. Warum sollte ich dann einen BH tragen? Nein, ich brauche keinen.“

Es dauerte nur eine halbe Stunde bis nach hause. Mein Magen begann bereits wieder sich seltsam zu fühlen und regte sich ein wenig.

„Du wirst langsam wieder etwas grün.“, bemerkte Riley besorgt, als wir zur Tür gingen.

„Alles in Ordnung.“, entgegnete ich darauf und betrat mit ihm das Haus.

„Ist dir wieder schlecht?“ Eine Sorgenfalte erschien zwischen seinen Brauen.

„Nur ein wenig.“

„Wir sind wieder da!“, rief Brian kurz und ging dann auf direktem Weg ins Wohnzimmer.

Riley folgte mir die Treppen hoch, wo wir in mein Zimmer gingen.

„Wie schlimm ist es wirklich?“, wollte er dann wissen, „Ich mache mir wirklich Sorgen um dich.“

„Es ist nicht so schlimm.“, entgegnete ich darauf und stellte meine Schultasche beiseite, bevor ich mich aufs Bett setzte und meine Schuhe auszog. „Ich glaube nicht, dass ich brechen muss.“

„Ist es in letzter Zeit schlimmer oder besser geworden?“

„Keins von beidem.“, antwortete ich wahrheitsgemäß, „Massierst du mir den Nacken?“

Ohne Zögern kickte er sich die Schuhe von den Füßen und wartete, bis ich mich hingelegt hatte, bevor er sich neben mich setzte und mit einer angenehmen Massage begann. In letzter Zeit war ich oft verspannt... vor Angst. Normalerweise wartete ich dann immer bis abends mit der Bitte mich zu massieren, doch nun...

„Hast du immer noch Angst?“, fragte er mich halblaut und ließ die Hände mit sanftem Druck über meinen nackten Rücken gleiten.

„Deutlich weniger als direkt nach unserer Heimkehr.“, antwortete ich und entspannte mich langsam.

Ich wusste, er sprach nicht von meiner Angst vor Denorvey. Er sprach von meiner Angst vor Berührungen. Seit damals wurde seine Zurückhaltung auf eine harte Probe gestellt... was ihn jedoch nicht davon abhielt mich jeden Abend zum Schreien zu bringen. Er dagegen litt jeden Abend, da ich immer noch zu viel Angst davor hatte weiter zu gehen. Noch immer sah ich unschöne Dinge, wenn er unbewusst irgendwas falsches tat. Ich nahm es ihm nicht übel, dass er ab und zu etwas ungeduldig war, wenn es darum ging mit ihm zu schlafen oder ihn zu berühren. Er war auch nur ein Mann.

Und als ebendieser drückte er mir nun einen warmen Kuss auf den Nacken, zog sanft eine Spur an meinem Rücken hinab, bevor er mich langsam herum drehte und sich über mich beugte.

„Du bist so wunderschön.“, hauchte er, bevor er den Kopf senkte, um mich zu küssen.

 

Zwei Stunden später kniete ich vor der Toilette im Badezimmer und würgte die gerade erst zu mir genommene Mahlzeit wieder aus. Ich hatte nicht einmal aufessen können, weshalb nun jeder Zeuge von dem war, was seit Wochen jeden Tag passierte.

„Jeden Tag sagst du?“, hörte ich Slayer an der Tür fragen.

„Morgens und nach der letzten Stunde jeden Tag. Abends glücklicherweise etwas seltener.“

„Und das seit drei Wochen, ja?“

„Ja.“

Einen Moment Stille, die lediglich von der Toilettenspülung unterbrochen wurde.

„Du sagst, sie hat Heißhungerattacken.“

„Ja. Manchmal wacht sie nachts auf, weil sie Hunger hat, obwohl sie gut zu Abend gegessen hat.“

Ich begann mir eifrig die Zähne zu putzen.

Slayer seufzte tief. „Sonst noch irgendwas?“

„Nicht, das ich wüsste. Mehr sagte sie mir nicht. Und mehr habe ich auch nicht mitbekommen.“

„Okay.“

Sobald ich mich wieder wohler fühlte trat ich zu Riley und Slayer, die an der offenen Tür standen.

„Ich würde dir gerne Blut abnehmen.“, bat Slay, „Und eine Urinprobe.“

Ich rümpfte die Nase. „Muss das sein?“

„Ich... hab da so einen Verdacht.“, entgegnete er darauf nur.

„Okay.“

Er nickte kurz und ging los, um die Dinge dafür zu holen.

„Gehts dir besser?“, fragte Riley und zog mich liebevoll an sich.

Etwas erschöpft lehnte ich mich an ihn. „Ja.“

„Gut.“ Ein sanfter Kuss auf meine Stirn.

 

Eine Viertelstunde später, ich saß mit Riley und Slayer im Wohnzimmer, hatte Slay bereits die Ergebnisse. Er war ziemlich fix, wie ich fand.

„Und was ist es nun?“, fragte Riley geduldig.

Ich drückte nervös seine Hand, woraufhin er den Druck erwiderte.

„Die gute Nachricht ist... Rika ist gesund.“, begann Slayer unruhig.

Riley atmete lange aus. „Gibt es eine schlechte?“

„Schwer zu sagen. Je nachdem wie ihr es seht und... wer die Ursache ist, könnte es sowohl eine schlechte, als auch eine gute Nachricht sein.“

Wer die Ursache ist?“, wiederholte Riley und sah ihn verwirrt an. „Was meinst du?“

Eine Minute lang saß Slayer schweigend da und starrte auf den Zettel in seiner Hand. Dann atmete er leise durch und sah zu mir auf.

„Rika, du... Du bist schwanger.“

Ich hielt den Atem an.

Mein Herz setzte einen Schlag aus.

Der Raum drehte sich ein wenig, weshalb ich mich an Rileys Arm klammerte.

„Wie lange?“, fragte Riley atemlos.

„Seit ungefähr... sechs bis acht Wochen. So genau konnte ich es in der kurzen Zeit nicht sagen. Das Problem ist... dass sowohl Riley... als auch... nun ja... ein anderer als Vater in Frage käme.“

Der Raum drehte sich etwas schneller.

„Was hat sie für Optionen?“

„Die üblichen. Das Kind bekommen und behalten oder zur Adoption freigeben. Oder sie lässt es abtreiben.“

Ich begann zu hyperventilieren und drückte meine freie Hand an meinen Unterleib.

Schwanger... Nur von wem? Riley... oder Jacko?

„Hey hey.“, sprach Riley beruhigend auf mich ein und legte mir die Hände an die Wangen. „Beruhige dich.“

Ich schloss die Augen und legte meine Hand auf seine.

„Alles wird gut.“, versicherte er mir und streichelte mir mit den Daumen über die Wangen. „Egal was passiert. Ich bin bei dir. Okay?“

Ich schluckte einige Male und versuchte meine Atmung unter Kontrolle zu kriegen. Mein Herz raste wie verrückt.

„Sch sch sch.“ Ein sanfter Kuss auf meine Stirn. Dann auf meine Schläfe. „Ich bin da. Alles wird gut.“

Langsam beruhigte ich mich wieder und ließ mich von Riley an seine Brust ziehen.

„Wir schaffen das. Ob du es behältst oder nicht, ich bin bei dir. Ich werde immer bei dir bleiben. In Ordnung?“

Ich nickte hektisch und hielt mich an ihm fest, ließ mich von ihm trösten. Liebevoll wiegte er mich sachte hin und her, streichelte mir übers Haar, küsste mich auf die Stirn.

„Ich... Ich kann das Kind nicht abtreiben.“, kam es mir irgendwann über die Lippen. „Ich kann doch nicht... einfach ein ungeborenes Kind töten lassen.“

„Das ist in Ordnung. Das ist vollkommen in Ordnung.“

„Es ist unschuldig. Selbst wenn es von Jacko ist, es... Das Kind kann doch nichts dafür.“

„Ich weiß. Ich verstehe das und es ist okay. Alles gut.“

„Und... Was ist mit dir?“

„Hm?“

„Ist es für dich okay? Ich meine... wenn du nicht... der Vater bist...“

Er drückte mich etwas fester an sich. „Das ist okay. Jacko... Jacko ist tot. Egal wer das Kind gezeugt hat... Ich bin der Vater. Niemand sonst.“

Dann brach ich in Tränen aus.

 

Tief atmete ich durch und stieg mit Riley aus dem Wagen. Weitere sechs Wochen waren vergangen, seit ich erfahren habe, dass ich schwanger war. Neben der Tatsache, dass Denorvey immer noch frei herum lief kam noch hinzu, dass ich langsam einen Babybauch bekam. Riley und ich kamen gerade frisch aus den Ferien – zwei Wochen Herbstferien – weshalb der Bauch nun eher auffiel, als wenn wir in den Wochen Unterricht gehabt hätten.

„Mach dir keine Sorgen.“, sprach Riley mir zu, „Es fällt gar nicht auf.“

„Das liegt wohl daran, dass ich diesen übergroßen Pullover trage.“, entgegnete ich frustriert und schob die Ärmel hoch. Es war Rileys Pullover. Ich trug ihn auch nur, weil Riley der Meinung war, meine eigenen Pullover wären nicht warm genug für diese Temperaturen und deshalb schädlich für das Kind, wie er sagte.

Männer.

„Dir ist doch warm, oder nicht?“, entgegnete mein Herz neben mir und lächelte mich sanft an.

„Mir ist nicht warm.“, entgegnete ich, „Mir ist heiß. Wir haben 17°C, Riley. Außerdem gehen wir in die Schule. Da gibt es etwas, was sich Heizung nennt. Und ich sitze direkt daneben. Dank dir.“

Sein Lächeln vertiefte sich ein wenig.

„Es ist nicht nur so, dass ich in diesem Ding fast schwitze. Ich verschwinde geradezu darin. Sieh nur, es reicht mir fast bis an die Knie.“

„Hör auf in die Hocke zu gehen, dann ist alles in Ordnung.“

Ich rollte mit den Augen und richtete mich wieder auf, sodass der Pullover nur noch die Hälfte meiner Schenkel bedeckte. „Er ist viel zu groß. Ich sehe aus wie ein Sack Kartoffeln.“

Sein Mundwinkel zuckte. „Wie ein heißer Sack Kartoffeln.“

Ich begann zu kichern. Dann trafen wir auf Celina und Greg.

„Hallo ihr zwei!“, rief Celina uns glücklich zu und winkte euphorisch, bevor sie Riley in die Arme riss und zur Begrüßung an sich drückte. „Wie geht es euch?“, wollte sie wissen, löste sich von Riley und schlang als nächstes die Arme um mich. „Na hoppalla.“, bemerkte sie amüsiert und schob mich etwas von sich. „Du hast ja zugenommen.“

Ich warf Riley einen finsteren Blick zu, der daraufhin nur eine Braue hob, als würde er sagen: „Hey, ich hab nicht gesagt, du würdest dick aussehen.“

„Also, ich sehe nur eine wunderhübsche Brünette in einem viel zu großen Pullover.“, entgegnete Greg und lächelte mich zwinkernd an. Riley begrüßte er mit einem Schlag auf die Schulter. „Wie geht’s euch?“

„Gut.“, antwortete Riley und griff nach meiner Hand. „Etwas stressig, aber gut.“

„Wegen der Sache mit Denorvey?“, fragte Celina und sah uns besorgt an. „Hat man immer noch nichts gefunden?“

„Nein.“, antwortete Riley und seufzte leise. „Nun, man geht gerade einer Spur nach, aber bisher ist er noch frei.“

„Einer Spur?“

„Wir dürfen nicht darüber reden.“

„Verstehe.“

„Wie auch immer. Was ist mit euch? Wie waren eure Ferien?“

Nun begann Celina wieder übers ganze Gesicht zu strahlen. „Oh, es war wundervoll.“

Greg grinste selbstzufrieden.

„Greg ist mit mir nach Jamaica geflogen. Nach Jamaica! Es war fantastisch. Unser Hotel war in der Nähe von Corral Spring, nahezu direkt an der White Bay. Es war so wunderschön. Wir waren jeden Tag schwimmen und haben uns die Umgebung angesehen.“

„Jamaica.“, wiederholte Riley lächelnd, „Wie konntest du dir das alles leisten?“

„Ich hab heimlich gejobbt und Geld gespart.“, antwortete Greg und sah seine Freundin verträumt an.

Mir fiel auf, wie braun sie sogar geworden war. Ebenso wie Greg.

„Ich sag's dir, Riley, wenn du mit Rika irgendwohin fliegen willst, dann flieg mit ihr gefälligst nach Jamaica.“, beteuerte sie.

„Ich hatte da ein anderes Ziel vor Augen.“, entgegnete er still vor sich hin lächelnd.“

Ich blinzelte ihn an. „Du hast vor mit mir wegzufliegen?“

„Oh, verdammt.“ Celina verzog das Gesicht. „Hab ich es versaut?“

„Nein.“, entgegnete Riley, „Ich wollte es ihr sowieso demnächst sagen. In den Weihnachtsferien.“, erklärte er mir dann, „Ich hab mit Nicko gesprochen. Wir halten es alle für eine gute Idee, wenn wir ein bisschen raus kommen. Nur du und ich... und Slayer. Heath hat die Flüge und das Hotel auf einen anderen Namen gebucht, also wird niemand uns finden können.“

„Und Weihnachten?“

„Verbringen nur wir zwei. Mit Slayer.“ Als würde er ihn jedes Mal vergessen. „Er ist auch nur da wenn... naja... Wenn du... ihn brauchst. Falls irgendwas passiert.“

Erst vorgestern war ich mitten in der Nacht schreiend aufgewacht und hatte panisch um mich geschlagen, als würde ich ertrinken. Ich hatte Riley beinahe eine Rippe gebrochen, als er versucht hatte mich zu beruhigen.

Die Aussicht auf einige Wochen Ruhe... irgendwo im Ausland... beruhigte mich seltsamerweise sofort.

Wochenlang allein mit Riley. „Das klingt schön.“

„Er kümmert sich wirklich rührend um sie.“, hörte ich Celina sagen.

„Sie ist ja auch sein ein und alles.“, entgegnete Greg, als läge das auf der Hand.

„Ja, aber... er umsorgt sie richtig. Fällt dir das nicht auf?“

„Was meinst du?“

„Sieh hin.“

Tatsächlich war er gerade dabei mir sachte über die Wange zu streicheln und mir einen Kuss zu geben.

„Sieht mir nach ganz normalem Geknutsche aus.“, hörte ich Greg sagen.

„Das meine ich doch nicht.“

„Was dann?“

„Na... sieh doch mal genauer hin.“

„Ich will ihre Zungenspiele nicht- Aua! Wofür war das?“

„Du sollst hinsehen. Mach die Augen auf.“

„Ich bin kein Voyeur, Liebling. Im Gegenteil. Es turnt mich ab meinen besten Freund dabei zu beobachten, wie er- Ich mach ja schon.“

Nur wenige Augenblicke später löste Riley sich von mir und küsste meinen Handrücken. „Alles gut?“, fragte er.

„Alles gut.“, antwortete ich.

„Wo ist ihre Tasche?“, hörte ich dann Greg fragen.

„Riley trägt sie.“

„Äh... Warum? Aua, Mensch... Celina. Was soll das? Hör auf mich zu schlagen.“

„Siehst du es immer noch nicht?“

„Riley kümmert sich um Rika, trägt ihre Tasche und ist liebevoll. Da ist doch nichts bei. Ganz abgesehen von seinem Pullover.“

„Was... sein Pullover? Was hast du mit seinem Pullover?“

„Wir haben 27°C, Darling. Rika muss in dem Ding doch eingehen vor Hitze.“

„Rika- Ach du meinst... Oooh.“

Das Schulklingeln unterbrach sowohl die zwei, als auch Riley und mich. Dieser seufzte leise und machte Anstalt, mich zur Klasse zu bringen, als hätte er Celina und Greg bereits vergessen.

„Wir sehen uns dann gleich in der Klasse.“, bemerkte Greg.

Riley nickte und winkte ihm kurz zu. „Bis gleich.“

„Bis gleich in der Pause.“, meinte ich an die beiden, bevor sie sich auch auf den Weg zur Klasse machten.

„Glaubst du, sie ahnen was?“, fragte ich halblaut.

„Ich denke nicht.“ Liebevoll drückte er meine Hand. „Mach dir keine Sorgen.“

Leise seufzend blieb ich mit ihm vor meiner Klasse stehen und ließ mich von ihm für einen Kuss an sich ziehen.

„Warte wieder hier, ja?“, flüsterte er und strich mir über die Wange.

Ich summte nur zustimmend vor mich hin, genoss den Kuss und lehnte mich an ihn.

Er lächelte an meinem Mund und löste sich von mir. „Dein Lehrer guckt uns schon wieder so böse an.“, bemerkte er amüsiert und küsste mich nochmal kurz. „Du solltest jetzt rein gehen.“

„Okay. Bis später.“

„Bis später.“

Er gab mir noch einen allerletzten Kuss, bevor er sich abwand und zu seiner Klasse eilte.

„Miss Traver. Würden Sie uns nun bitte mit Ihrer Anwesenheit beehren?“, ertönte hinter mir Mr. Yves Stimme.

„Natürlich.“, entgegnete ich und sah Riley noch hinterher, bis er um die Ecke bog, bevor ich mich umdrehte und in die Klasse ging. Hastig ging ich an meinen Platz und bemerkte den Fremden Mann nicht, der neben der Tafel stand. „Entschuldigen Sie.“

„Der Unterricht hat ja noch nicht begonnen.“, beschwichtigte Mr. Yves leicht lächelnd.

Ich erwiderte es leicht und holte meine Sachen heraus, während es klingelte. Mr. Yves bat einen Mitschüler die Tür zu schließen und rief dann die Klasse zur Ruhe.

„Heute haben wir überraschend Unterrichtsbesuch bekommen.“ Er deutete auf den Fremden, den ich übersehen hatte und in diesem Moment wurden mir drei Dinge klar.

Erstens: Die Sicherheitsmaßnamen waren nicht gut genug.

Zweitens: Es war keiner in der Nähe, der zu Nico gehörte.

Drittens: Ich saß in der Falle.

Der Mann, der Fremde, war einer von Denorveys Leuten. Ich hatte ihn zwar noch nie gesehen, doch er hatte etwas an sich, das mich instinktiv wissen ließ, dass er zu Denorvey gehörte.

So unauffällig ich konnte griff ich nach meinem Handy und wählte die Kurzwahl für Heath' Handy.

„Das ist Envolio Daventi vom FBI. Er möchte nur ein paar Fragen stellen, dann fangen wir mit dem Unterricht an.“

Ich schluckte. Dieser Envolio ließ den Blick aufmerksam durch die Klasse gleiten, weshalb ich mich etwas kleiner machte und meine Haare vor zog.

„Es wird wahrscheinlich viel schneller gehen.“, bemerkte er nebenbei, „Wir suchen jemanden. Ein junges Mädchen, braunes Haar, grüne Augen, etwa 1,67 groß.“

Ich spürte, wie ich begann zu zittern, als er mich beschrieb.

„Weiß, schlank und ausgesprochen still.“

„Das klingt ein bisschen nach Rika.“, hörte ich jemanden flüstern.

„Sieh mal... sie zittert.“

„Ob es ihr wohl gut geht?“

Niemand meldete sich. Sie tuschelten nur, sahen unauffällig zu mir herüber. Dann fiel Envolios Blick auf mich. Diese Augen... Ich hatte sie schon mal gesehen.

„Warum suchen Sie sie?“, fragte plötzlich jemand.

Er nahm den Blick nicht von mir. „Zeugenschutzprogramm.“, entgegnete er abwesend, als würde er eine Antwort auf eine Frage nennen, die er schon tausend Mal gehört hatte. Als hätte er sie geübt, sich vorbereitet. „Sie ist in Lebensgefahr.“ Seine Augen wurden etwas enger, als würde er langsam vermuten, dass ich es war. „Sie, wie ist Ihr Name?“

Alle drehten sich zu mir um, verstummt, als wären sie geschcockt. Ich dagegen zitterte wie Espenlaub und brachte keinen Ton hervor.

„Mr. Yves, wie ist der Name dieses Mädchens?“

„Rika Traver.“, antwortete dieser verwundert.

Einen Moment war es still. „Hat sie vor einigen Wochen gefehlt? Über einen längeren Zeitraum?“

„Ja, sie war sehr krank.“

„Und ihr Freund?“

„Sir?“

Envolio trat langsam auf mich zu. „Ihr Freund war auch krank, nicht wahr?“

„Ja.“

Neben mir blieb er stehen und ging in die Hocke. „Rika Traver.“ Er betrachtete mich etwas genauer. Dann begann er zu lächeln. „Siehst aus wie dein Bruder.“, murmelte er dann und stand auf, „Ich möchte Sie mit ins Departement nehmen.“

Bis auf die Millimeter von meinem Zittern, bewegte ich mich nicht.

„Miss Traver...“ Er nahm meine Tasche und verstaute die Sachen auf meinem Tisch darin. „Komm Sie. Ich bringe Sie in Sicherheit.“

Als ich mich weiterhin nicht regte, griff er vorsichtig nach meinem Arm und zog mich vom Stuhl. Nur mit Mühe hielt ich mich auf den Beinen und folgte ihm verängstigt.

„Sie ist so blass.“, hörte ich jemanden flüstern, „Sieht beinahe krank aus.“

„Hab keine Angst. Ich tu dir nichts.“

Zittrig beschleunigte sich mein Atem.

Als er mit mir dann die Klasse verließ, lächelte er auf mich herab. „Du bist wirklich eine hübsche junge Frau geworden.“, bemerkte er dann, „Als ich dich das letzte mal gesehen habe, warst du noch ein kleines Kind.“

Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Dieser Mann... hatte Denorveys Augen. Diese Sätze hatte Denorvey selbst zu mir gesagt und dieser Mann... Envolio, sagte genau dasselbe. Er musste... mit ihm verwandt sein. Vielleicht... sein Sohn.

„Lassen Sie mich gehen.“, bat ich leise, „Bitte.“

„Aber nicht doch.“ Nahezu liebevoll tätschelte er mir den Kopf. „Arme, arme Rika.“ Er legte mir einen Arm um die Schultern und drückte mich leicht. „Es gibt für alles seine Gründe. Hier geht es nicht um dich. Es geht um ihn.“

Tränen traten mir in die Augen. Ich dachte, wir würden den Haupteingang benutzen, doch stattdessen führte er mich in eine andere Richtung, durch Gänge, die ich nie betreten hatte. Plötzlich befanden wir uns auf einem Parkplatz.

„Komm, sei ein braves Mädchen und gib mir dein Handy. Ich würde gerne mit der Person reden, die du angerufen hast.“

Mir wurde eiskalt. Dennoch zog ich mein Handy hervor und reichte es ihm.

„Gutes Mädchen.“ Er hob das Handy ans Ohr. „Ich gehe davon aus, ihr wisst Bescheid. Richte Nickolai aus, dass Rika in guten Händen ist. Ich habe bereits eine Nachricht geschickt, in der der nächste Treffpunkt mit meinem Vater notiert ist.“

Sein Sohn. Ich bin in den Händen von Denorveys Sohn.

In dem Moment erreichten wir einen schwarzen Sportwagen, deren Hintertür er mir aufhielt, während er auflegte.

„Bitte sehr.“

Wie betäubt starrte ich in den Wagen.

„Na komm. Ich werde dir nichts tun.“

„Und... andere?“

Erneut legte er mir einen Arm um die Schultern und beugte sich herab, um mir ins Ohr zu flüstern. „Solange du in meiner Gewahrsam bist wird dich niemand anrühren außer mir. Und ich schwöre dir, ich werde dir nicht weh tun. Einverstanden?“

„Aber... Nicko- Ich-“

„Sch sch sch.“ Als er mich auf die Schläfe küsste, wurde mir schwindelig. „Ich weiß, ich weiß. Hab keine Angst.“ Mit diesen Worten schob er mich sanft in den Wagen. „So ist es brav.“

Er achtete noch darauf, dass ich mich anschnallte, bevor er die Tür schloss und sich ans Steuer setzte. Dann fuhr er los.

 

Wie betäubt hatte ich einfach nur da gesessen, während er fuhr. Mein Handy lag auf dem Beifahrersitz und aus irgendeinem Grund sah er es immer wieder grinsend an. Nach ein oder zwei Stunden Fahrt hielt er vor einem wunderschönen Einfamilienhaus und stieg aus. Einen Moment dachte ich, das wäre unser Ziel, doch dann stieg er in einen anderen Wagen, der dort lediglich in der Einfahrt stand und fuhr weiter. Eine weitere Stunde später erreichten wir dann das Ziel. Es war ein Einfamilienhaus, allerdings war es viel größer als das andere und wirkte moderner.

„Trautes Heim, Glück allein.“, hörte ich ihn sagen, bevor er ausstieg und mich aus dem Wagen dirigierte. „Du hast dein eigenes Bad. Ich habe mir auch die Freiheit genommen dir Kleidung kaufen zu lassen.“

„Ich will nach hause.“

„Ich weiß, ich weiß.“ Tröstlich drückte er meine Schulter und schob mich ins Haus. „Ich würde dich auch nirgendwo lieber hinbringen, aber es geht leider noch nicht. Das musst du verstehen.“ Er klang so ernst, dass jeder andere ihm geglaubt hätte. „Komm, ich zeige dir das Zimmer.“

Es war wunderschön. In der Mitte stand ein Himmelbett mit beigefarbener Bettwäsche. Es gab noch einen riesigen Kleiderschrank, eine Kommode und sogar einen Frisiertisch. Zu meiner linken befand sich eine weitere Tür, die vermutlich ins Bad führte. Wohin die Tür zu meiner rechten führte war mir allerdings unklar.

„Ich hoffe du verstehst, dass ich dich nicht allein lassen kann.“

Mit großen Augen sah ich zu ihm auf.

„Wie ich bereits sagte, hast du dein eigenes Bad.“ Er deutete zu meiner linken auf die Tür, „Aber das Bett teilen wir uns. Mein Bad ist hier rechts.“ Er deutete auf die andere Tür. „Ein kleiner Deal. Ich betrete dein Bad nicht und... du betrittst mein Bad nicht, hm?“ Er stuppste mich leicht an. „Na los, sieh dich um. Du wirst wahrscheinlich eine Weile hier verbringen.“

Allein... mit Denorveys Sohn. Statt mich umzusehen ließ ich mich langsam auf den Boden sinken und steckte meinen Kopf zwischen die Knie. Allein... Schon wieder.

Impressum

Texte: © Copyright 2010 – Alle Inhalte, insbesondere Texte sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, einschließlich der Vervielfältigung, Veröffentlichung, Bearbeitung und Übersetzung, bleiben vorbehalten, Lisa Irmer
Tag der Veröffentlichung: 15.04.2010

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /