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Prolog

 

Es war dunkel und stürmte. Der Regen prasselte gegen mein Fenster, als würde er versuchen herein zu kommen. Ich zog die Decke über meinen Kopf und versuchte weiterzuschlafen. Plötzlich hörte ich wie unten etwas zu Bruch ging. Sofort versetzte ich mich in die Senkrechte und sah auf die Tür. Ich rieb mir müde die Augen und krabbelte vorsichtig aus dem Bett. Als ich das Gleichgewicht gefunden hatte, ging ich müde zur Tür und rieb mir dabei weiter die Augen. Dann griff ich mit einer Hand nach dem Türknauf und zog mit beiden Händen die Tür auf. Als ich in den Flur sah, war es stockdunkel. Ich gähnte müde und bemerkte nun, dass ich Durst hatte. Also ging ich in den Flur und machte mich auf den Weg nach unten. An der Treppe angekommen hörte ich Krach aus der Küche und war plötzlich hellwach. Langsam kletterte ich die Treppe hinunter und schlich zur Küchentür.

„Letty, geh wieder ins Bett.“, hörte ich Raphael, meinen älteren Bruder von der Treppe sagen.

In der Küche wurde es still. Ich drehte mich zu Raphael um. „Ich hab aber Durst. Darf ich noch etwas trinken?“

„Tut mir Leid, Letty. Geh wieder ins Bett, ja.“ Er kam zu mir und hockte sich vor mich. „Ich bring dir ein Glas Wasser nach oben, okay?“

Ich seufzte. „Okay.“

Ich wollte mich bereits zum gehen wenden, als ich mein Lieblingsstofftier sah. Erheitert wollte ich zu der großen Stofftierkatze gehen um sie mit nach oben zu nehmen.

„Nicki!“, rief ich dabei begeistert aus.

Ich zog das Stofftier in meine Arme und drückte es an mich.

„Guck mal, Raphael. Ich hab Nicki wiedergefunden!“

„Ja. Jetzt geh schnell wieder ins Bett.“

Irgendwas stimmte nicht. Das merkte sogar ich. Ein 7 jähriges Mädchen. Sonst machte es meinem Bruder nichts aus wenn ich so spät noch wach war. Er nahm sogar die Schuld auf sich, wenn Mom und Dad mich erwischten.

„Ist alles okay, Raphael?“

Er lächelte leicht. „Es ist alles in Ordnung.“

„Okay. Dann gehe ich jetzt wieder ins Bett.“

Ich lächelte ihn strahlend an, bekam von ihm noch einen Kuss auf die Stirn und ging dann wieder zur Treppe. Gerade als ich die Hälfte hinter mir hatte, fiel mir etwas ein und kletterte mit einem Seufzer wieder nach unten. Dann begann wieder der Krach und ich hob den Kopf. Raphael wurde von einem Fremden Mann in schwarz in den Flur gedrängt. Raphael hielt sein Handgelenk fest. In der dazugehörigen Hand befand sich Moms Küchenmesser.

Als Raphael mich nun bemerkte, war er zu sehr abgelenkt, sodass es dem Fremden gelang ihm das Messer brutal in die Brust zu rammen.

 

Der Umzug

Ich schreckte aus meinem Traum hoch und sah direkt auf das Bild meines Bruders, das in Posterformat an meiner Wand hing. Ich atmete tief durch, schloss die Augen und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. Dieser Albtraum verfolgte mich nun seit diesem Vorfall. Ständig musste mein Verstand mir vor Augen halten wie er gestorben war. Wegen mir. Weil ich ihn abgelenkt hatte.

Ich ließ mich wieder ins Kissen fallen und schloss die Augen. Jedoch nur, um sie wieder zu öffnen, da mir das Bild von dem Fremden und Raphael mit dem Messer in der Brust vor Augen kam. Als ich meinen Kopf Richtung Nachtschrank drehte, sah ich auf meinen Wecker und stellte fest, dass es 14:25 Uhr war.

„Verdammt.“, fluchte ich leise. Ich habe schon wieder zu lange geschlafen.

Kurz seufzend fuhr ich mir mit den Händen übers Gesicht und stand dann auf. Ich ging durch den Flur ins Bad, sprang kurz unter die Dusche, putze mir die Zähne und ging dann wieder in mein Zimmer um mich anzuziehen. Als ich nach unten in die Küche ging, war sie leer. Am Kühlschrank hing ein Zettel.

 

Sind um 17 Uhr wieder da.

Mach keinen Unsinn.

Der Kühlschrank ist voll.

Mom und Dad

 

„Wann ist er es nicht?“, murmelte ich und warf den Zettel in den Müll.

Ich machte mir schnell etwas einfaches zu Essen, verschlang es und ging dann ins Wohnzimmer, wo ich mich auf die Couch setzte, die Füße unter zog und mir die Fernbedienung schnappte, ehe ich den Flimmerkasten einschaltete und durch die Kanäle zappte, wobei ich keine fünf Minuten bei einem Kanal blieb.

Als ich alle 5000 Kanäle durch hatte, schaltete ich den Flimmerkasten wieder aus und sah aus dem Fenster. Die Sonne schien hell am Himmel. Vielleicht fand ich ja ein stilles Plätzchen am See, wo ich mir die Zeit vertreiben konnte.

Von diesem Gedanken motiviert sprang ich auf und eilte nach oben in mein Zimmer, wo ich mir eines meiner Lieblingsbücher, meinen Schlüssel und meine Brieftasche schnappte, nach unten eilte und das Haus verließ. Mit meinem Fahrrad machte ich mich auf den Weg zum Park. Das Fahrrad war eigentlich eher ein Jungenrad. Es hatte Raphael gehört, aber als Mom und Dad es verkaufen wollten, war ich dazwischen gegangen und sie gebeten es für mich zu behalten. Das hatten sie auch getan und es in der Garage aufbewahrt. Als ich dann alt genug war, hatte ich es herausgeholt und Dad gebeten es fahrtüchtig zu machen. Damals hatte er es rosafarben lackieren wollen, kam dann aber meiner Bitte nach, äußerlich nichts daran zu verändern und lackierte es schließlich dunkelgrün. Er wechselte die Räder aus, setzte den Sitz in die richtige Höhe und richtete das Lenkrad aus. Dann hatte er es mir überlassen.

Lange hatte ich damit auf dem Rasen im Vorgarten gesessen und es mir nur angesehen, ehe ich meine ersten Fahrversuche gemacht hatte. Ohne Stützräder. Die Folgen waren ein Aufgeschürftes Knie, ein angeschlagenen Ellenbogen und ein geprelltes Handgelenk, aber ich ließ mich davon nicht runter ziehen und übte immer und immer weiter. Als meine Eltern es mir verboten, da ich erst mal meinen Verletzungen Zeit zum Genesen geben sollte, hatte ich stattdessen mit dem Fahrrad auf dem Rasen gesessen und es angesehen. Als ich das OK meiner Eltern bekam übte ich dann weiter, fest entschlossen es zu lernen.

Aber das Fahrrad war nur eins von vielen Sachen die ich von Raphael hatte.

Am Park angekommen fuhr ich den Weg eine Weile entlang, ehe ich querfeldein über die Wiese fuhr, um zu dem See zu gelangen, an den ich wollte. Mit dem Mountainbike war das kein Problem. Raphael hatte sein Rad geliebt. Er war nicht wie die anderen Jungs auf Autos scharf. Er liebte den Sport, also fuhr er lieber mit dem Rad.

Ich stieg vom Fahrrad ab und legte es vorsichtig ins Gras als ich am See war. Die Vögel zwitscherten eine Melodie und die Enten schwammen seelenruhig im Wasser. Zwei Schwäne leisteten ihnen Gesellschaft. Der Wind glitt über die Wiese und zwischen den Bäumen, flüsterten in den Blättern. Ich seufzte wohlig, schlug mein Buch auf und begann es zum X-ten-Mal zu lesen.

 

Etwa um 17:20 Uhr fuhr ich wieder nach Hause. Als ich das Fahrrad in die Garage schob, erkannte ich am Auto das Mom und Dad wieder da waren. Ich stellte mein Rad ab und ging hinein.

„Violeta?“, meldete sich Mom aus der Küche.

Nein, der Weihnachtsmann. „Ja, ich bin’s.“, gab ich zurück.

„Komm doch bitte her, wir müssen mit dir etwas besprechen.“, meinte nun Dad.

Ich seufzte, schlüpfte kurz aus meinen Schuhen und ging in die Küche, wo Mom Fleisch fürs Abendessen klein schnitt. Ich setzte mich zu Dad an den Esstisch und sah ihn fragend an.

„Was gibt’s?“, wollte ich wissen als er nichts sagte.

Er seufzte. Okay, das war ein schlechtes Zeichen. Irgendwas lief hier gerade gewaltig schief und das hatte nichts mit der Uhr zu tun die eine Stunde und zweiundzwanzig Minuten vor ging.

„Was ist los?“, fragte ich misstrauisch.

„Wir ziehen um.“, erklärte meine Mutter kurz und schmerzlos.

Schweigen breitete sich in der Küche um, während ich von Dad zu Mom und wieder zurück sah. Hin und her und hin und her und...

„Wie bitte?!“, brach es schließlich aus mir heraus.

„Letty.“, begann Dad vorsichtig, „Ich habe ein Angebot aus Kalifornien bekommen.“

„Kalifornien? Das ist ja ganz am anderen Ende der USA!“

„Violeta, bitte hör mir erst mal zu.“

Ich biss die Zähne zusammen, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte auf die Tischplatte während Dad mir erklärte, dass er in San Diego bessere Aussichten auf eine Beförderung hatte, damit wir mehr Geld hatten. Er war Arzt und arbeitete im Krankenhaus. In San Diego brauchten sie einen Chefarzt und Dad war qualifiziert genug. Also konnten wir entweder hier bleiben, wo Dad unterbezahlt war, oder wir zogen nach Kalifornien, wo er sogar mehr Geld bekam als ein Chefarzt im Durchschnitt bekam. Also hatten Mom und Dad sich für San Diego entschieden, damit wir es alle besser haben konnten.

„Verstehst du was ich meine, Letty?“ Er hatte sich neben mich gesetzt und sanft meine Hand genommen. Dass er mich Letty nannte zeigte, dass es ihm wirklich wichtig war, dass wir es besser hatten.

Ich seufzte tief und lehnte mich an seine Schulter. „Ist okay.“, flüsterte ich, „Aber ich möchte mein eigenes Badezimmer haben.“

Er lachte und küsste mich auf die Stirn, während er mich in seine Arme zog. „Du bekommst alles was du möchtest, meine Kleine.“

 

Ich seufzte tief als ich mit den zusammengefalteten Umzugskartons in mein Zimmer trat. Mom und Dad telefonierten gerade mit dem Besitzer unseres neuen Hauses. In zwei Tagen ging der Flug. Die meisten Möbel wurden bereits am Morgen abgeholt. Mom und Dad hatten mit einem Innenarchitekten gesprochen, der unser neues Haus so einrichten sollte, wie die beiden es gerne hätten. Mein Zimmer war mir überlassen., also hatte ich es ihnen grob erklärt und sie hatten es an den Architekten weitergegeben. Kleinigkeiten würde ich dann selbst machen.

Nun faltete ich eines dieser blöden Kartons auseinander, sodass es ein richtiger stabiler Karton war, und begann meine Bücher hineinzulegen, wobei ich darauf achtete auch andere Dinge hinein zu tun, damit er nicht zu schwer wurde. Anschließend klebte ich es mit Klebeband zu und arbeitete mich so Schritt für Schritt in meinem Zimmer weiter. Von meinen Büchern, über meinen Computer und meinen Postern, zu meiner Kommode und meinem Nachtschrank. Am Ende schien mein Zimmer viel zu leer zu sein. Ich schüttelte den Kopf, seufzte und begann die Kartons nach unten zu bringen. Als alle im Flur waren, nahm ich den Koffer unter meinem Bett hervor, legte ihn auf mein Bett und begann meine Kleidung darin zu verstauen. Sobald das erledigt war, brachte ich ihn ebenfalls nach unten. Somit war ich gegen 21 Uhr fertig, weshalb ich mich für das Bett fertig machte und dann schlafen ging.

 

Der nächste Tag verlief genau so wie ich es mir gedacht hatte. Ich musste Mom und Dad dabei helfen die anderen Räume in Umzugskartons zu verstauen, bevor die Umzugshelfer da waren. Da ich ausnahmsweise früh genug aufwachte, hatten wir etwa 13 Stunden Zeit, da die Helfer gegen 20 Uhr kamen. Nachdem wir die Räume in den Kartons verstaut hatten, machten wir bei unseren Zimmern weiter. Raphaels Sachen gehörten mittlerweile mir. Und die nahm ich selbstverständlich mit. Ich verteilte sie in verschiedenen Kisten unter meinen Sachen, damit Mom und Dad nicht auf die Idee kamen sie wegzuwerfen, was sie bereits so einige Male versucht hatten.

Das einzige Gute an dem Umzug war, dass wir in ein größeres Haus zogen und ich ein größeres Zimmer und mein eigenes Bad bekam. Die schlechten Dinge waren zum Beispiel die neue Schule, die neuen Mitschüler, die Fremdheit der Stadt, die vielen Jungs, besonders die Surfer, und so vieles mehr.

Ich seufzte tief als ich Raphaels Bild von der Wand löste. Ein sicheres Zeichen dafür, dass ich in der folgenden Nacht nicht gut schlafen werde. Schlimmer war allerdings, dass die Ferien nur noch, mit dem heutigen Tag, drei Tage dauerten. Dann begann das neue Schuljahr. Allein der Gedanke daran bescherte mir Kopfschmerzen. Eine ganze Schule voller Mädchen und Jungen die mich nicht kannten. Ich war gefundenes Fressen für die. Das hatte wahrscheinlich damit zu tun, dass ich gar nicht sooo schlecht aussah.

Schwarze lange Haare, die mir bis an die Hüfte fielen, eisblaue Augen, die perfekt meine Laune widerspiegelten, da sie praktisch immer auf Eis lag, eine sportliche, üppig bestückte Figur und honigfarbene Haut. Dad fand ich würde später Model werden. Mom tippte eher auf Schauspielerin. Aber ich wollte weder das Eine, noch das Andere sein. Genaugenommen wusste ich selbst nicht was ich werden wollte, aber garantiert weder Model, noch Schauspielerin.

 

Der Flug war langweilig. Genau so wie ich es mir vorgestellt hatte. Und die Fahrt zu unserem neuen Haus... Okay, die war gar nicht so schlecht. Unterwegs machten wir an einem Café halt um etwas zu essen. Wir setzten uns an einen Tisch, der leider mitten im Café stand. Ich trommelte gelangweilt mit den Fingern auf der Tischplatte herum, woraufhin Mom mir einen warnenden Blick zuwarf.

„Was ist?“, wollte ich wissen.

„Lass das.“, gab sie zurück.

„Was denn?“

„Das da.“ Sie deutete auf meine Finger.

„Mir ist langweilig.“

„Letty.“, warf Dad nun ein.

Ich sah zu ihm. „Was ist denn?“

„Das macht uns nervös. Hörst du bitte damit auf?“

Ich seufzte und nahm die Hand runter, wobei ich aus dem Fenster sah.

„Letty, möchtest du Waffeln?“, wollte Dad nach einer Weile des Schweigens meinerseits wissen, in der er sich mit Mom unterhalten hatte.

„Waffeln sind okay.“, meinte ich, während ich mir die Bäume ansah.

„Möchtest du etwas trinken?“

„Wasser, danke Dad.“

„Ist alles okay?“

Ich sah zu ihm. „Mir geht’s gut. Wirklich. Mir ist nur langweilig. Wird mein Rad schon da sein?“

„Ja. Deine Sachen, also die Kartons mit deinen Sachen, wirst du in deinem Zimmer finden. Wenn wir da sind, wirst du nur noch auspacken müssen.“

Seufzend nickte ich. Unmittelbar danach erschien eine Kellnerin am Tisch und nahm die Bestellung auf.

„Wie sieht das Haus aus?“, wollte ich etwas später wissen, woraufhin Mom und Dad zu mir sahen.

Mom lächelte etwas. „Lass dich überraschen.“

Mit einem weiteren Seufzer sah ich wieder aus dem Fenster. Als dann eine Gruppe Jungs herein kam, sah ich automatisch zum Eingang des Cafés. Es waren vier. Und alle vier sahen zu mir als sie mich bemerkten. Da sie nicht so aussahen, als würden sie so bald wieder wegsehen, sah ich wieder zu Dad.

„Falls es dich interessiert.“, meinte Dad an mich, „In der Nähe des Hauses gibt es ein Park.“

„Mit einem See.“, fügte Mom hinzu, „Er ist größer als der in deinem Lieblingspark.“

„Und mit dem Rad kommst du da auch schnell hin.“, fuhr Dad fort, „Es gibt eine Menge Hügel und viel Platz.“

Ich sah zwischen ihnen hin und her. Als die Kellnerin kam, waren sie dann endlich still, da sie mit Essen beschäftigt waren, während ich in meinem eher herum herumstocherte und nur wenig aß. Lediglich mein Glas leerte ich schnell.

„Ich bin gleich wieder da.“, meinte ich als ich fertig war und stand auf um zur Toilette zu gehen.

Dad nickte. „Ich bezahle schon mal die Rechnung. Dann warten wir am Auto auf dich.“

Ich nickte. „Okay.“

Damit ging ich in die hintere Ecke des Cafés und einen kleinen Flur entlang zur Damentoilette. Dort spritzte ich mir am Waschbecken Wasser ins Gesicht, trocknete mein Gesicht ab und sah in den Spiegel. Das Mädchen das zurück sah, war genau das, welches mich immer ansah. Die eisblauen Augen waren kalt und schienen regelrecht aus Eis zu sein. Das Haar schien dunkler zu sein. War wohl wieder Zeit für eine Dusche.

Ich rieb mir kurz die Augen und verließ dann wieder die Damentoilette. Als ich den kleinen Flur wieder entlang ging, lief ich einem Jungen aus der Gruppe wortwörtlich in die Arme.

„Aufpassen, Kleine.“, meinte er als er mich auffing, da ich beinahe hingefallen wäre. „Wir wollen ja nicht, dass dir noch etwas passiert. Alles okay?“

Ich sah zu ihm auf und nickte. „Ja. Alles in Ordnung. Danke der Nachfrage.“

„Autsch. Stell mal jemand die Heizung an.“

„Tut mir leid, ist kaputt gegangen.“ Ich wand mich aus seinen Armen.

„Ruf den Klempner an.“

„Telefon ist nicht angeschlossen.“ Damit ging ich an ihm vorbei, während er leise lachte.

„Du hast doch sicher ein Handy.“

„Ich verrate nicht jedem dahergelaufenem Streuner meine Nummer.“, gab ich zurück.

„Wuff.“

„Kinder.“ Diesmal murmelte ich es eher, als es zu sagen.

Die drei anderen Jungs sahen mich überrascht an als ich an ihnen vorbei ging und das Café verließ. Ich ging zum Auto, stieg ein und schnallte mich an, woraufhin Dad weiterfuhr.

 

Als wir nach einer gefühlten Ewigkeit vor einem weiß gestrichenem Haus hielten, sah ich mich ein wenig um und entdeckte mein Rad in der Garage, die noch zu voll gestellt für das Auto war.

„Na endlich.“, murmelte ich und stieg mit Mom und Dad aus.

Dieser öffnete den Kofferraum und gab mir meine Tasche und meinen Koffer, die ich entgegen nahm und dann zum Haus ging.

„Wo ist mein Zimmer?“, fragte ich unterwegs.

„Obere Etage, Flur links entlang, letzte Tür rechts.“, gab Dad zurück.

Ich betrat das Haus - da die Tür angelehnt war brauchte ich keinen Schlüssel - und sah mich ein wenig im Flur um, bevor ich meine Sachen die Treppe hinauf schleifte und den Flur links entlang ging.

„Letzte Tür rechts.“, murmelte ich und trat in mein neues Zimmer.

Es war genauso eingerichtet wie ich es haben wollte. Eine Tür zu meiner Rechten führte in mein Badezimmer. Mein Schreibtisch war noch leer, da mein Computer wohl noch in einem der Kartons war, die in der Ecke zu meiner linken standen. Zuallererst warf ich den Koffer und meine Tasche auf mein Bett und räumte sie aus. Hin und wieder ging ich kurz ins Bad um Toilettenartikel, wie Zahnbürste und Zahnpasta dort unterzubringen. Als sie ausgepackt waren, hob ich eine der Kartons hoch und öffnete sie, woraufhin Raphael mir entgegen lächelte.

Ein leichtes Lächeln trat auf meine Lippen und ich holte es heraus. Ich hielt es ausgebreitet vor mir und suchte mich nach einer passenden Stelle um. Letzten Endes hängte ich es an die Wand, die ich sehen würde, wenn ich mich im Bett aufsetzen würde. So, wie es Zuhause gewesen ist. In meinem alten Zuhause. Als nächstes stellte ich ein paar Bücher in mein Regal und stellte meinen Wecker, sowie ein Nachtlicht auf meinem Nachttisch. Dann folgte eine Leselektüre auf das kleine Tischchen und ein Bild meiner Familie. Mom, Dad, Raphael und ich, sowie mein Cousin Brandon, mein Cousin Van und meine Cousine Carina.

Es dauerte eine Weile bis ich alles ausgeräumt hatte. Da es jedoch noch hell draußen war, wollte ich noch nicht schlafen, also ging ich nach unten und fand Mom und Dad im neuen Wohnzimmer, wo sie die Schränkte einräumten.

„Dad, kann ich mich ruhig ein wenig umsehen?“, wollte ich wissen, „Ich wollte das Rad nehmen.“

„Ja mach nur.“, gab er zurück, „Morgen lasse ich zwei Haustürschlüssel machen. Dann bekommst du deinen eigenen. Wie findest du dein Zimmer?“

Ich nickte. „Es ist in Ordnung.“ Ich ging zu ihm und küsste ihn auf die Wange. „Bis später.“

„Bis später. Und nicht zu lange.“

„Ich hab mein Handy dabei.“

Damit verließ ich das Haus, ging in die Garage und schob mein Fahrrad heraus. Kurz darauf fuhr ich beretis die Straße hinab und sah mich um, suchte den Park, den Dad mir versprochen hatte. Nachdem ich dann eine Weile umher gefahren war, fuhr ich an der Jungengruppe aus dem Café vorbei. Als wenige Meter, nachdem ich an ihnen vorbei gefahren war, mein Handy klingelte, fuhr ich an die Seite und hob ab.

„Ja?“, meldete ich mich.

„Deine Mutter wollte jetzt essen machen.“, meinte Dad, „Kommst du zurück, oder hast du kein Hunger?“

„Doch, ich mach mich auf den Weg.“

„Schon was Interessantes gefunden?“

„Nicht wirklich. Bis gleich.“

„Bis gleich.“

Ich legte auf, steckte das Handy ein und drehte um.

„Hey, warte mal.“, rief der Junge der mich im Café angesprochen hatte, woraufhin ich inne hielt als ich losfahren wollte. Sie waren bereits näher gekommen und hatten mich fast erreicht.

„Was ist?“, wollte ich wissen.

„Wie heißt du?“, fragte er als er nahe genug war.

„Ich weiß nicht, warum ich es dir sagen sollte.“

Einer seiner Freunde schüttelte seine Hand, als hätte er sich verbrannt und sagte dabei leise etwas zu meinem ungebetenen Gesprächspartner. Dieser sah ihn amüsiert an.

„Machen wir es so.“, meinte er dann, „Du verrätst mir deinen Namen und ich verrate dir meinen Namen.“

„Und wenn ich kein Interesse an deinem Namen habe?“

„Willst du nicht wissen mit dem du sprichst?“

„Ich spreche mit einem Streuner.“

„Wuff.“

„Miau.“

Er lächelte amüsiert, woraufhin ich weiterfuhr. Ich ignorierte seine Rufe und bog an der nächsten Kreuzung rechts ab. Etwa fünf Minuten später hielt ich Zuhause an und schob mein Fahrrad in die Garage. Als ich ins Haus trat und mich ein himmlischer Geruch empfing, ließ ich die Tür hinter mir zufallen und ging direkt in die Küche, wo Mom gerade das Essen servierte.

„Pünktlich auf die Sekunde.“, meinte Dad lächelnd, „Was hast du so gesehen?“

„Ich bin einmal um den Block gefahren und bin dann ein paar Straßen weiter gewesen. Aber ich hab den Park nicht gefunden.“

„Dafür musst du nur rechts die Straße runter, dann links, drei Kreuzungen abwarten und dann wieder rechts.“

„Oh. Dann bin ich als letztes falsch abgebogen.“

„Dann musst du noch die Straße runter und wieder links. Dann bist du praktisch am Strand des Sees.“

„Okay. Ich sehe es mir morgen mal an.“

Er lächelte mich an und begann dann mit uns zu essen.

Der Streuner

Nach dem Essen war nicht mehr viel los. Ich half Dad beim Ausräumen der Kartons, während Mom den Abwasch erledigte. Währenddessen unterhielt mich mehr oder weniger mit ihm, wobei auch meine Albträume zum Thema wurden. Aber darüber redeten wir nicht viel. Er fragte nur ob sie schlimmer wurden. Ob es besser wurde, wenn nicht, ob ich trotzdem schlafen konnte. Als wir fertig waren wünschte er mir eine Gute Nacht, küsste mich auf die Stirn und lächelte mich an. Daraufhin lächelte ich leicht zurück und ging nach oben in mein Zimmer. Dort ging ich noch schnell ins Bad, zog mich dann in meinem Zimmer mein Nachthemd an und schaltete dann das Licht aus. Es war bereits dunkel draußen, weshalb ich recht gut einschlafen konnte.

 

Als ich am nächsten morgen wieder schweißgebadet aufwachte, war Raphaels Lächeln wie immer das Erste was ich sah. Ich atmete kurz durch, strich mir das Haar zurück und sah aus dem Fenster. Als ich dann sah, wer das Haus gegenüber verließ, weiteten sich meine Augen. Ich sah kurz auf meinen Wecker, ärgerte mich darüber, dass ich mal wieder zu lange geschlafen hatte und ging dann zum Fenster um genauer hinzusehen. Tatsächlich war es der Junge der mich in Café und beim Rad fahren angesprochen hatte.

„Verdammt.“, fluchte ich leise und ging ins Bad.

Dort sprang ich wie jeden morgen unter die Dusche, putzte mir ausgiebig die Zähne und ging dann nach unten, wo Mom und Dad mit jemandem sprachen. Als ich ins Wohnzimmer sah, nahm ich an es wären die Nachbarn. Mom und Dad sahen zu mir.

„Guten Morgen.“, begrüßte mich Dad lächelnd.

„Morgen.“, gab ich zurück.

„Das sind unsere Nachbarn.“, erklärte Mom und bestätigte meine Vermutung, „Sie wohnen gegenüber von uns. Sie haben einen Sohn in deinem Alter. Er wollte auch gleich hier sein.“

Wenn Gott noch einen Funken Mitleid für mich übrig hatte, dann sollte er bitte vermeiden, dass dieser Junge her kam. Aber wie es aussah, schien Gott mich immer noch zu hassen, denn kaum hatte ich diesem Gedanken zu Ende gedacht, klingelte es an der Tür.

„Das muss er sein.“, meinte Mom.

Da weder sie noch Dad Anstalt machte an die Tür zu gehen, seufzte ich und erledigte das für sie. Als ich sie dann öffnete, war ich kurz davor sie wieder zu schließen. Der Streuner war ziemlich überrascht als er mich sah. Ihm blieb der Mund offen stehen und er sah aus als wäre gerade ein Wunsch in Erfüllung gegangen, den er einer angeblichen Fee genannt hat.

„Fängst du jetzt wieder an zu bellen?“, wollte ich von ihm wissen.

Er lächelte wieder amüsiert. „Wuff?“

Ich war sehr in Versuchung mein Vorhaben in die Tat umzusetzen und die Tür wieder zu schließen, aber da seine Eltern im Haus waren, trat ich beiseite. Im Sinne von, ich ging von der Tür weg und gesellte mich zu Dad auf die Couch, worunter man verstehen konnte das ich mich neben ihn setzte und mich an ihn lehnte.

„Was ist los?“, wollte er wissen.

„Gott hasst mich.“, gab ich zurück.

Er lachte leise.

„Wie heißt sie?“, wollte die Frau, unsere Nachbarin, wissen, während sie mich neugierig musterte.

„Violeta.“, gab Mom zurück.

Im selben Augenblick kam der Streuner herein und setzte sich zu seinen Eltern. Seine Mutter lächelte. „Das hier ist Levantin. Er kann Ihrer Tochter ja die Stadt zeigen. Vielleicht freunden sich die Beiden ja an.“

Durfte ich ihr sagen, dass ich es hasste, wenn man über mich redete als wäre ich nicht anwesend? Mom schien es leider immer noch nicht kapiert zu haben.

„Eine sehr gute Idee. Sie ist sehr zurückhaltend. Ich glaube ein bisschen Gesellschaft in ihrem Alter wäre gar nicht so schlecht.“

„Wie alt ist sie denn?“

„Siebzehn. Und Ihrer?“

„Er ist ebenfalls siebzehn.“ Ich war doch kein Gegenstand!

Dad, der meine schlechte Laune wohl bemerkte, schlang einen Arm um meine Taille und zog mich etwas enger an sich. Es schien aber auch, als wolle er damit ebenfalls zeigen das geplante Hochzeiten nicht in Frage kamen.

„Was für einen Job haben Sie eigentlich?“, fragte die Mutter des Streuners weiter, während dieser gelangweilt auf der Couch saß und mich neugierig beobachtete.

„Ich arbeite als Krankenschwester.“, antwortete meine Mutter, „Mein Mann ist Arzt im Krankenhaus. Wir sind hergezogen, weil er hier als Chefarzt arbeiten kann.“

„Oh, Sie sind Chefarzt?“ Nun sah die Frau Dad an, während ihr Mann neugierig auf sah. „Wie schön. Mein Mann ist Chirurg.“

Ich seufzte tief. „Ich geh etwas essen.“, murmelte ich dann und erhob mich langsam.

„Mach das, meine Kleine.“, gab Dad zurück und sah mir noch kurz nach.

In der Küche stand ich dann eine Weile vor dem Kühlschrank und fragte mich was ich wohl essen sollte. Nach reiflicher Überlegung entschied ich mich für ein Rührei und nahm Eier heraus.

„Bekomme ich auch etwas?“

Ich sah auf als ich die Stimme des Streuners an der Tür hörte. „Warum?“, wollte ich dann schlicht wissen.

„Ich habe noch nicht gefrühstückt. Und gestern habe ich nicht zu Abend gegessen.“

„Das ist nicht mein Problem.“

„Böses Mädchen.“

„Ich habe nie behauptet ich wäre nett.“

Er lächelte mal wieder amüsiert und ging zu mir, woraufhin ich begann Eier in eine Schüssel zu geben, damit ich sie verrühren konnte.

„Ich glaube nicht, dass du so unfair bist und mich hungern lässt.“

„Mir fällt aber kein Grund ein, weshalb ich für dich kochen sollte.“ Ich nahm ein Schneebesen zur Hand und rührte das Ei, während der Streuner weiter mit mir sprach.

„Und wenn ich 'Bitte' sage?“

„Dann danke ich nach und lehne wieder ab.“

„Bitte bitte.“

Ich sah zu ihm, stellte die Schüssel beiseite und holte eine Pfanne hervor. „Weißt du, dass du mir ziemlich auf die Nerven gehst?“

„Ich möchte mich lediglich mit dir unterhalten.“

Ich gab einen Schuss Öl in die Pfanne und stellte den Herd an. Dann gab ich noch einen Schuss Milch zu dem Ei und verrührte das erneut, während ich darauf wartete, dass das Öl und die Pfanne warm waren.

„Violeta.“, meinte er irgendwann, woraufhin ich zu ihm sah.

„Was ist?“

„Nichts.“, gab er zurück, „Ich habe mich nur gefragt wie es ist deinen Namen zu sagen.“

„Aha.“ Ich widmete mich wieder dem Ei.

„Du hast einen hübschen Namen.“

Ich erwiderte nichts.

„Wer hat ihn dir gegeben?“

„Das muss ich dir nicht erzählen.“

„Ich bin nur neugierig. Und da wir offenbar Nachbarn sind, würde ich gerne mehr über meine neue Nachbarin herausfinden.“

„Mach es doch einfach wie deine Eltern und frag meine Mutter.“

„Wollte ich ja. Aber sie sagte nur, ich solle dich fragen, da dir ein bisschen Gesellschaft gut tun würde.“

„Da geht es mir doch gleich besser. Jetzt kannst du ja wieder verschwinden.“

„Du hast meine Frage aber noch nicht beantwortet.“

„Weil ich keinen Grund weiß, es zu tun.“

„Wir sind Nachbarn.“

„Das ist Privat.“

„Und wenn ich dir im Gegenzug etwas von mir erzähle?“

„Kein Interesse.“

„Du solltest wirklich dringend dem Klempner rufen.“

Ich sah ihn ausdruckslos an. „Der hat gerade Urlaub.“

„Hast es wohl schon versucht, was?“

„Warum sollte ich?“

„Vielleicht weil man dann besser Freundschaften schließen kann?“

„Und wenn ich daran nicht interessiert bin?“

Er sah mich nachdenklich an, während ich das Ei in die Pfanne schüttete und einen Pfannenwender zur Hand nahm um das Ei zu bearbeiten.

„Hattest du überhaupt Freunde?“

„Ist eine Weile her.“

„Du hast mir ja mal geantwortet.“

„Ich hatte Mitleid mit einem streunenden Köter.“

„Wuff.“

Ich schüttelte den Kopf. „Kinder.“ Ich wand mich wieder dem Ei zu.

„Hast du etwas gegen Kinder?“

„Kinder denken nicht nach. Sie tun einfach Dinge, ohne über die Folgen nachzudenken. Sie Handeln einfach, ohne zu wissen, was passieren könnte.“

„Woher willst du das wissen?“

„Wir waren selbst Kinder.“

„Heißt das, als Kind hast du gehandelt ohne nachzudenken?“

Ich presste die Lippen aufeinander und holte zwei Teller aus dem Schrank. „Die Frage muss ich nicht beantworten.“

„Zwei Teller?“

Ich warf ihm einen kalten Blick zu. „Wenn du mich weiter nervst, überlege ich es mir anders. Das gilt auch während wir essen.“

Er seufzte und rollte mit den Augen.

„Nun?“

„Ist ja schon gut. Ich frage dich nichts Privates mehr.“

Ich zögerte noch kurz. Dann stellte ich die Teller nebeneinander auf die Theke und verteilte das Ei. Dann nahm ich noch kurz zwei Gabeln, legte eine auf die Theke und nahm mir dafür einen Teller, mit dem ich mich an den Tisch setzte. Der Streuner folgte mir mit seiner Portion und setzte sich mir gegenüber.

„Wo hast du vorher gewohnt?“

„New Bern.“

„New was?“

„New Bern.“

„Wo ist das denn?“

„In North Carolina. Musst du nicht kennen.“

„Das ist ja ganz am anderen Ende der USA.“

„Ja.“

„Hat es dir dort gefallen?“

Ich hob den Kopf. „Warum willst du das wissen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Neugierde.“

„Du weißt, dass du gerade eine private Frage gestellt hast?“

Er legte beschützend die Arme um seine Portion. „Ich nehme die Frage zurück.“

Ich schnaubte. Daraufhin begann er zu essen und stöhnte, woraufhin ich aufsah.

„Ich hoffe du hast gestöhnt weil du dir wehgetan hast.“

„Nein. Es ist nur furchtbar lecker. Macht das die Milch?“

„Keine Ahnung. Mom hat es immer so gemacht. Anders kenne ich es nicht.“

„Hmmm...“ Er sah auf seine Portion hinab. Dann aß er so schnell weiter, dass mir der Mund offen stehen blieb. Im einen Augenblick war der Teller noch voll und im nächsten hatte er bereits die Hälfte verputzt. Als er zu mir aufsah, hielt er inne. „Entschuldige. Das passiert mir ständig, wenn ich zu viel Hunger habe und mir etwas gut schmeckt.“

Ich schüttelte den Kopf und aß weiter.

 

Tatsächlich hatte er es geschafft den Rest des Essens still zu sein. Jedoch nur, bis wir beide fertig waren.

„Zeigst du mir dein Zimmer?“, bat er als ich aufstand und die beiden Teller nahm.

Die Hand an seinem Teller, hielt ich inne und sah ihn beinahe geschockt an. Aber nur beinahe. Es landete wieder im ausdruckslosen Bereich.

„Nein.“, gab ich dann zurück und trug die beiden Teller zur Spüle um sie abzuwaschen.

„Dann nicht. Dann frage ich eben deine Mutter.“

Er stand auf, ging zur Tür...

„Mein Zimmer geht dich nichts an.“, meinte ich zu seiner Aussage, woraufhin er an der Tür stehen blieb.

„Ich finde es aber ganz interessant.“

„Du kennst mein Zimmer nicht, also kannst du es gar nicht interessant finden.“

„Es ist dein Zimmer. Also ist es interessant.“

„Geh doch in dein Zimmer.“

„Ich kann es dir zeigen, wenn du willst.“

„Kein Interesse.“

Ich trocknete Geschirr und Besteck ab und ging dann wieder ins Wohnzimmer, wo ich mich zu Dad hinunter beugte.

„Ich geh nach draußen.“, flüsterte ich ihm zu, da Mom und unsere Nachbarin sich aktiv unterhielten. Das Thema? Natürlich ich und der Streuner.

„Suchst du den See weiter?“, wollte Dad ebenfalls leise wissen.

Ich nickte, woraufhin er aussah als würde er mir gerne Gesellschaft leisten. Stattdessen seufzte er.

„Ja, geh nur. Aber sei um 19 Uhr wieder Zuhause. Deine Mutter braucht Hilfe beim Kochen.“ Oh oh. Das war alles andere als gut. „Sie hat die drei zum Essen eingeladen.“

„Ich glaube ich ziehe zu Brandon.“

Er lachte leise und tätschelte mir den Kopf. „Dann grüß ihn mal von mir.“

„Mach ich. Hast du die Schlüssel schon?“

„Die sind morgen fertig.“

Nun meldete sich meine Mutter. „Violeta?“

Ich sah auf. „Ja?“

„Sei doch so lieb und zeig dem jungen Herren das Haus.“

„Dad kennt es doch schon.“

Dieser lächelte mich an und küsste mich auf die Schläfe. Mom rollte mit den Augen. „Ich rede von Levantin.“

„Ich wollte aber gerade gehen.“

„Das hat doch noch Zeit. Es dauert doch auch nicht so lange.“

Ich seufzte tief und richtete mich auf. „Komm mit.“

„Sie ist ein bisschen unhöflich.“, bemerkte unsere Nachbarin. Wie hieß sie überhaupt?

„Sie hat ein kleines Problem, seit...“

„Liebling, das muss jetzt nicht sein.“, unterbrach Dad meine Mutter sanft, „Ein anderes Mal.“

Da ich jedoch ganz genau wusste was sie sagen wollte, wurde ich automatisch etwas starr und sah die Beiden an. Ich ging erst weiter, als Levantin an der Zimmertür auf mich wartete.

Ich ging zu ihm und betrat mit ihm den Flur. „Die Küche kennst du ja schon.“, meinte ich dabei und ging den Flur hinunter. „Da ist das Gästebad.“ Ich deutete auf eine Tür zu meiner Linken. „Und da ist Dads Arbeitszimmer.“ Ich deutete auf eine Tür zu meiner Rechten. „Man könnte genauso gut sagen es wäre eine Bibliothek, weil er ein Haufen Bücher über Medizin hat.“

„Kann ich es mir mal ansehen?“, bat der Streuner daraufhin.

Ich zuckte mit den Schultern und öffnete die Tür. Im Arbeitszimmer deutete ich dann auf die Bücherregale. „Wie bereits gesagt, sind die meisten medizinische Bücher. Ein weiterer Teil gehört zum anatomischen Bereich. Ein kleiner Teil wäre noch wirtschaftlich und ein weiterer gehört zu Gesundheit und Ernährung. Dad könnte genauso gut als Professor an einer Universität unterrichten.“

„Und warum tut er dass dann nicht?“

„Zum Ersten möchte er Leben retten. Er möchte Menschen helfen, denen noch geholfen werden kann. Zum Zweiten möchte er, dass wir es gut haben und als Chefarzt verdient man eben mehr als ein Professor.“

„Was hat seinen Willen nach dem ersten Punkt hervorgerufen?“

Ich schüttelte den Kopf um die Erinnerungen loszuwerden. „Das ist egal.“

Ich verließ mit ihm wieder das Arbeitszimmer und ging dann weiter. Wir gingen die Treppe hinauf und den Flur hinab. Dort deutete ich zu meiner Linken auf die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern.

„Hier ist Mom und Dads Schlafzimmer. Angrenzend an ein Badezimmer.“ Ich deutete auf die Tür daneben und deutete dann auf die Tür zu meiner Rechten. „Das ist ein Gästezimmer, ebenfalls mit angrenzendem Bad.“

Dann ging ich mit ihm den Flur hinauf und deutete auf die Türen. Gästezimmer, Bad, Gästezimmer, Bad, Gästezimmer, Bad.

„Und hier ist mein Zimmer, mit Badezimmer. Das war’s, jetzt können wir wieder runter.“

„Warte mal.“

Ich hielt inne als ich an ihm vorbeiging und sah ihn fragend an.

„Ich möchte mir dein Zimmer ansehen.“

„Oh nein. Mein Zimmer ist tabu. Verzieh dich.“

„Dahergelaufene Streuer tun nicht immer das, was man ihnen sagt.“

Damit öffnete er meine Zimmertür und betrat es, woraufhin ich ihm folgte, damit er bloß nichts anfasste. Er stellte sich etwa in die Mitte des Raumes und sah sich langsam um. Als er Raphaels Bild sah, zog er die Brauen zusammen.

„Wer ist das?“

Ich presste die Lippen aufeinander und sah mir das Bild an. Wenn ich es ihm nicht sagen würde, würde er Mom fragen. Und die würde dann gleich alles über ihn erzählen. „Das ist Raphael.“, meinte ich schließlich.

„Dein Freund?“

„Vielleicht.“

„Er sieht dir ziemlich...“ Er hielt inne als er zu mir sah. „Ähnlich.“, beendete er kurz darauf den Satz. „Dein Bruder?“

Ich nickte nur stumm. Dann blinzelte ich kurz, da ich Tränen in den Augen spürte. Ich nahm mein Schlüsselbund vom Schreibtisch, nahm mein Handy und schob ihn dann aus meinem Zimmer raus, wobei er sich jedoch wehrte.

„Ich bin noch nicht fertig.“, protestierte er.

„Das ist aber mein Zimmer. Und ich möchte, dass du raus gehst. Eigentlich solltest du nicht mal hier rein. Also verschwinde.“

„Was ist nur mit dir los?“

„Nichts, was dich zu interessieren hat.“

„Tut es aber.“

„Das ist mir egal. Und jetzt raus hier.“

„Aber...“

„Raus!“

Er verstummte und ging hinaus. Daraufhin folgte ich ihm und schloss die Tür ab, bevor ich wieder nach unten ging.

„Ich bin dann draußen!“, rief ich als ich am Wohnzimmer vorbei kam und griff bereits nach dem Henkel der Haustür.

„Violeta?“, rief dann jedoch Mom, „Komm doch bitte nochmal her.“

Ich zögerte kurz, ging dann aber doch zur Wohnzimmertür und stellte fest, dass der Streuner sich wieder zu seinen Eltern gesetzt hat. „Ja?“

„Warum lässt du dir von Levantin nicht die Stadt zeigen?“

„Ich komme auch gut allein zurecht.“

„Aber er kennt die Stadt und sie ist sehr groß.“

„Ich bin aber kein Kind mehr. Ich komme allein zurecht.“

Damit wand ich mich wieder ab und ging hinaus, wobei ich die Rufe meiner Mutter ignorierte und die Tür hinter mir zuzog. Wenige Augenblicke später fuhr ich auch schon die Straße hinab.

Okay, was sagte Dad noch gleich? Die Straße runter, dann links, drei Kreuzungen abwarten und dann wieder rechts. Im Kopfe hakte ich die Dinge einzeln nach und hielt am Ende vor einer riesigen Wiese an. Hier war die Straße zu ende. Auf einem Schild sollte offenbar der Name des 'Parks' stehen, wurde jedoch von Farbe überdeckt die Jugendliche mit Spraydosen darauf gesprüht haben mussten. Ich schüttelte den Kopf, stieg vom Fahrrad und schob es über die Wiese. Kurz darauf kam ich dann auch am See an. Ich legte das Fahrrad ins Gas und setzte mich daneben. Dann sah ich mir das Wasser an, zog die Beine an und legte mein Kinn darauf, wobei ich die Arme um meine Beine geschlungen hielt.

 

Irgendwann gegen 16 Uhr sah ich aus dem Augenwinkel eine Gruppe Jugendliche. Zwei Mädchen drei Jungs. Als sie an mir vorbei gingen, blieben zwei der Jungs stehen.

„Hey, bist du nicht das Mädchen von gestern?“

Ich sah auf und erkannte, dass die beiden Jungs zwei von der Gruppe aus dem Café waren.

„Du bist es ja wirklich.“

„Wer ist das?“, wollte eines der Mädchen wissen, während das andere mich neugierig musterte.

„Sie hat Levin abserviert.“, gab der andere Junge zurück.

„Wie heißt du?“, wollte der Erste wissen.

„Warum willst du das wissen?“, fragte ich zurück.

Der dritte Junge schauderte. „Verdammt kalt hier.“

„Passt zu ihren Augen.“, meinte wiederum der zweite Junge.

Der Erste lächelte mich an. „Ich bin nur etwas neugierig. Levin ist eigentlich eher der Typ Junge dem die Mädchen hinterher laufen und sich nicht abservieren lässt.“

„Wer ist Levin?“

„Der, mit dem du gestern im Café und auf der Straße gesprochen hast.“

„Du meinst, Levantin.“

Er öffnete den Mund, schloss ihn dann jedoch wieder, nur um ihn dann wieder zu öffnen. „Woher weißt du, dass er Levantin heißt?“

Ich zuckte mit den Schultern. „So haben ihn seine Eltern meinen Eltern vorgestellt.“

Nun zog er die Brauen hoch. „Und wie heißt du?“

„Das ist egal.“

„Finde ich nicht, immer hin hast du Levin ja abserviert.“

„Der Streuner interessiert mich nicht.“

Eines der Mädchen fing an zu lachen. „Streuner?“

„Bezogen auf streunender Köter.“, meinte der Gemeinte als er auf uns zukam. „Sie ist gestern gegenüber von uns eingezogen. Ich glaube sie mag mich.“

„Du warst wohl Gassi, als Gott die Intelligenz verteilt hat, oder?“

Nun lachten beide Mädchen, während die Jungs mich entgeistert ansahen.

„Du warst wohl Gassi als Gott die Gefühle verteilt hat.“

„Besser ohne Gefühle als ohne Intelligenz.“ Ich stand auf und klopfte meine Hose ab.

„Du musst dir nicht die Mühe machen und für mich aufstehen.“

„Nein. Ich muss mir die Mühe machen und aufstehen um einem streunendem Köter aus dem Weg zu gehen. Ich will ja keine Flöhe haben.“

„Wuff.“

„Ich glaube ich rufe demnächst den Hundefänger. Er hat ein Tier übersehen.“

„Oh, das Tier würde ich gerne mal sehen.“

„Hast wohl keinen Spiegel, oder? Zerbrechen bei deinem Anblick.“

„Ja, ich bin zu schön für sie.“

„Lag wohl daran, dass du das Bild von jemand anderen vor dich gehalten hast.“

„Wow. Wie viel Erfahrung du haben musst. Wie viele sind bei deinem Anblick eigentlich schon gestorben? Einhundert oder zweihundert?“

Ich biss die Zähne aufeinander.

„Was ist? Hat es dir die Sprache verschlagen?“

Die beiden Mädchen fielen vor Lachen beinahe zu Boden, während die drei Jungs sich das Lachen versuchten zu verkneifen. Der Streuner bekam von mir eine Ohrfeige, bevor ich es überhaupt selbst bemerkt hatte. Seine Hand wanderte zu seiner Wange, an der ein Handabdruck zu sehen war.

„Aua.“

„Möchtest du die für unser nächstes Aufeinandertreffen schon haben, oder willst du noch warten bis das da weg ist?“ Ich deutete auf seine Wange, die langsam ein wenig blau wurde.

„Was ist nur mit dir los?“

„Hast du mich das nicht erst gefragt?“

„Das hat aber eher darauf basiert, dass du so gefühllos bist. Nun basiert es eher darauf, das du von abwehrend zu aggressiv umgestiegen bist.“

„Liegt vielleicht daran, dass ich dich einfach nicht ausstehen kann.“

Damit nahm ich mein Fahrrad, schob es zur Straße und fuhr irgendwo hin, wo ich ihn vielleicht nicht traf. Da ich mich jedoch nicht so gut auskannte, fuhr ich doch lieber nach hause. Mom und Dad unterhielten sich noch mit unseren Nachbarn.

„Du bist ja schon wieder da.“, meinte Mom überrascht.

„Mir ist ein Streuner über dem Weg gelaufen.“, gab ich nur zurück und ging in den Garten, wo Dad mir eine Hängematte aufgehängt hatte. Darüber hatte er ein Sonnensegel aufgehängt, sodass ich sogar im Regen dort liegen konnte. Nun legte ich mich hinein und sah hinauf zum Sonnensegel, während ich mir durch den Kopf gehen ließ was der Streuner und ich uns gegenseitig an den Kopf geworfen haben.

Bei unserer ersten Begegnung schien er wohl einfach nur Kontakt mit mir haben zu wollen. Beim zweiten Mal war es wohl ebenfalls so. Und beim dritten Mal? ... Beim dritten Mal wollte er mehr über mich erfahren. Und nun? Okay, ich gab zu, ich hatte angefangen ihn zu beleidigen, aber das machte mir nicht sonderlich viel aus. Das Schlimmste war nur, dass er sagte, jemand würde sterben, nur weil er mich sah. Und was Raphael betraf, hatte er da nicht mal Unrecht. Raphael hatte mich nur angesehen... und ist deshalb gestorben.

Ich drehte mich auf die Seite, dem Haus das Gesicht abgewandt, und spürte wie mir leise die Tränen über die Wangen liefen. Es fühlte sich seltsam an, nichts zu fühlen, aber dennoch zu weinen. Vielleicht hatte der Streuner ja Recht und ich besaß gar keine Gefühle... Aber wie konnte ich Mom und Dad dann so lieben? Und wie hatte ich Raphael so verehren können?

 

„Letty, kommst du?!“, rief Dad irgendwann von der Gartentür. „Das Essen ist fertig!“

Ich räusperte mich kurz. „Ich bin gleich da!“

Er schien den Wink zu verstehen, denn ich hörte wie die Gartentür geschlossen wurde. Ich setzte mich auf und begann sorgfältig die Tränen aus meinem Gesicht zu wischen. Dann stand ich ganz auf, entfernte noch kurz die Überreste meiner Tränen und ging ins Haus. Dort ging ich aber erst ins Bad um meine Nase frei zu kriegen und spritzte mir kurz Wasser ins Gesicht. Dann trocknete ich es mir wieder ab und ging in die Küche, wo bereits alle am Tisch saßen. Der Einzige freie Platz war jedoch neben dem Streuner. Zwischen ihm und Dad, gegenüber von Mom. Ich seufzte leise und setzte mich an den Tisch.

Mom verteilte das Essen und sobald alle ihren Teller vor sich stehen hatten, begannen wir auch schon. Sie unterhielt sich während dem Essen aktiv mit unserer Nachbarin, deren Name ich immer noch nicht kannte, während Dad hin und wieder ein paar Worte mit ihrem Ehemann wechselte.

„Violeta?“

Ich sah auf als Mom mich ansprach. „Hm?“

„Warum bist du denn so still heute?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Nicht besonders viel Interesse an Konversationen.“

Sie seufzte. „Du musst ein bisschen an deinen Umgangsformen ändern.“

„Ich komm ganz gut so zurecht wie es ist.“

„Aber, wie willst du den Freundschaften schließen, wenn du alle mit diesem Tonfall ansprichst?“

Ich seufzte tief. „Dad!“ Ich wand mich an die Angesprochene Person.

„Das war deren Idee, nicht meine.“, verteidigte er sich.

„Deren Idee?“ Ich sah von Mom zu unserer Nachbarin und wieder zurück. „Mom! Ich bin... Ich bin kein Kind mehr. Ich werde erwachsen und wenn ich keine Freunde haben möchte, dann möchte ich auch keine.“

„Aber jeder braucht eine gewisse Zuwendung. Und außerdem bist du so oft allein unterwegs. Du kannst zum Beispiel mal etwas mit Levantin unternehmen.“

Ich lehnte mich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und begann mich taub zu stellen. Ich wusste, es war nicht besonders schlau das Verhalten vorzuweisen, da wir Gäste hatten, aber Mom hatte angefangen, also war ich nicht Schuld, oder? Oder?! ODER?!

Mom redete und redete, während ich mich darauf konzentrierte mein Essen anzustarren. Spaghetti. Mom machte wirklich leckere Spagetti. Die Besten die ich kannte. Sie sorgte immer dafür, dass die Fleischbällchen schön groß und die Nudeln schön lang waren. Sie schmeckten einfach super. Ich liebte sie. Aber mir war irgendwie der Appetit vergangen. Ich wusste nicht, ob es an Mom lag, oder an dem Streuner neben mir, der mich beobachtete. Dad ignorierte einfach ihr Gerede und konzentrierte sich voll und ganz auf sein Essen.

Als sie irgendwann still war, ignorierte ich es weiter und stellte mich weiter taub. Als die Anderen irgendwann fertig waren mit essen, stand ich auf und ging wieder in den Garten wo ich mich wieder in die Hängematte legte und an das Sonnensegel sah. Als irgendwann eine Katze auf meinen Bauch sprang, sah ich überrascht zu ihr hinab.

„Na wer bist du denn?“, fragte ich sie, wohl wissend, dass Katzen nicht sprechen konnten.

Sie war groß und hatte ein hübsches rotorange-schwarz getigertes Fell. Wie ein Tiger. Sie legte sich einfach auf meinen Bauch, den Kopf auf meine Brust und schien zu erwarten, dass ich sie streichelte. Also tat ich ihr den Gefallen. Wenige Sekunden später schnurrte sie auch schon und schloss die Augen. Ich sah wieder an das Sonnensegel und schloss die Augen, während die Katze es sich auf mir immer gemütlicher machte und ich sie streichelte.

Als sich plötzlich jemand zu mir auf die Hängematte setzte, sah ich auf und stellte fest, dass der Streuner mich offensichtlich verfolgte.

„Was willst du denn schon wieder?“, wollte ich von ihm wissen.

„Unsere Mütter fanden ich solle dir Gesellschaft leisten.“

„Habe ich bereits.“

„Kann man ändern.“ Daraufhin verscheuchte er einfach die Katze, woraufhin ich ihn kalt ansah. „Und wie sieht’s jetzt aus?“

„Allein bin ich vollkommen zufrieden.“

„Du siehst aber nicht so aus.“

„Mir egal. Hau ab, ich will allein sein.“

„Geht nicht.“

„Du lügst, ohne rot zu werden.“

„Deine Mutter hat mich ausgesperrt.“ Er stieß sich mit dem Fuß ein wenig vom Boden ab, woraufhin die Hängematte ins Schaukeln geriet. „Und da du die einzige Person in diesem Garten bist, habe ich mich dazu entschieden mich mit dir zu unterhalten.“

„Und so wurde ich zu einem Opfer von vielen. Ich schaufle mir später mein Grab.“

Er sah mich eine Weile nachdenklich an, bevor er begann mich zu mustern. Dann sagte er etwas, dass mich völlig aus der Bahn warf.

„So viele Kurven. Und ich ohne Bremsen.“

Ich starrte ihn entgeistert an. Als er mich jedoch ansah, hatte ich mich wieder gefasst und sah ihn eher ausdruckslos an.

„Bist du eigentlich Single?“

Ich schwieg eine Weile. Dann hielt ich die Hand mit der Handfläche zu ihm nach oben. „Sprich mit meiner Hand.“, meinte ich dann.

Er fing tatsächlich an zu lachen. Dabei lehnte er sich etwas zu weit vor, sodass wir beide von der Hängematte fielen. Er landete der Länge nach im Gras, während ich auf dem Rücken und mit den Beinen auf seinem Rücken landete. Als er sich vom Lachen erholt hatte, drehte er sich auf den Rücken und bemerkte meine Beine. Denen folgte er hinauf, bis zu meinem Gesicht, das ihn ausdruckslos anstarrte.

„So langsam bekomme ich Kopfschmerzen.“, meinte er etwas später, „Darf ich dich mehr aus der Nähe anstarren?“

„Was willst du von mir?“

„Ist ein Kuss Zuviel Verlangt?“

„Was?!“

„Hmmm... Ich hab mir deine Antwort ein bisschen anders vorgestellt.“

Was sollte ich dazu sagen? „Du spinnst doch.“

„Liegt wahrscheinlich an dir.“

Ich schüttelte den Kopf und sah ihn an als wäre er nicht mehr ganz richtig im Kopf. Er dagegen grinste, während er mir in die Augen sah. Dann fiel sein Blick ein paar Zentimeter tiefer.

„Du hast hübsche Lippen. Darf man die küssen?“

„Spinnst du?“

„Warum? Magst du sie nicht?“

Ich schüttelte irritiert den Kopf, zog meine Beine von ihm runter und stand auf. Er stand ebenfalls auf und sah mir zu, wie ich kurz meine Hose abklopfte und dann zur Gartentür ging. Die war tatsächlich zu. Ich klopfte an die Scheibe, aber nichts rührte sich. Verdammt, warum mussten wir auch ein Haus kaufen, bei dem man nicht aus dem Garten kam, wenn man die Tür nicht benutzen konnte? Die Zäune waren zu hoch und das Haus war zu breit.

Ich begann nahezu an der Scheibe zu hämmern. Als dann endlich Dad in den Flur kam, sah er zu mir ging rüber und öffnete die Tür.

„Warum war die zu?“, fragte er verwirrt.

„Levantin meint, Mom hätte ihn ausgesperrt.“

„Ach, deshalb ist sie allein zurückgekommen Und warum hämmerst du wie verrückt an die Scheibe?“

„Er wollte mich küssen.“

Er seufzte tief und ließ mich herein. „Es wundert mich, dass das bisher keiner gemacht hat.“

„Dad.“

„Das ist mein Ernst. Du bist eine hübsche Frau, was aber nicht heißt, dass du jetzt wildfremde Jungs mit nach hause bringst.“

„Daaad.“

„Du weißt, dass ich nur scherze.“

„Da-had!“

„Ja?“

„Ich hab dich lieb.“

Er lächelte mich an und küsste mich auf die Stirn. Dann sah er mich an und lachte leise, wobei er amüsiert den Kopf schüttelte. „Wie früher. Mich immer weiter reden lassen, obwohl du etwas ganz anderes meinst.“

Ich seufzte. „Ich bin in meinem Zimmer. Und ich will ALLEIN bleiben.“

„Ich sag’s deiner Mutter.“

Ich atmete auf und ging dann hoch in mein Zimmer, das ich aufschloss und mich dann in mein Bett warf. Es wurde langsam spät. Also stand ich wieder auf und ging ins Bad um unter die Dusche zu gehen.

 

Als ich aus der Dusche stieg, wickelte ich mich in ein Handtuch und ging rüber in mein Zimmer. In der Verbindungstür blieb ich jedoch wie angewurzelt stehen.

„Was machst du schon wieder hier?!“, wollte ich von dem Streuer wissen, der sich auf meinem Bett breit gemacht hat und sich eines meiner Bücher ansah.

„Ich wollte mir dein Zimmer zu Ende ansehen.“

„Raus hier!“

„Ich gucke schon nicht.“

„Du dämlicher Streuner, raus hier!“

„Wuff.“

Ich ging wieder ins Bad und schlug die Tür laut zu. Es konnte doch einfach nicht sein, dass er mich nicht in Ruhe ließ. Er hatte zwar genug Anstand besessen mich nicht anzusehen, sobald ich aus dem Bad raus war, aber er hatte einfach nichts in meinem Zimmer zu suchen.

Da fiel mir etwas ein. Ich stand auf, ging zur Tür die in den Flur führte und öffnete sie ein Stück. Dann hielt ich jedoch inne, weil ich mir bei meinem Vorhaben irgendwie feige vorkam. Also schloss ich die Tür wieder.

Dieser Köter war einfach nicht fair. Er sperrte mich in meinem eigenem Badezimmer ein. Er brachte mich zur Weißglut. Ich wusste einfach nicht was ich mit ihm tun sollte. Auf der einen Seite wollte ich ihn aus dem Fenster werfen. Auf der Anderen wollte ich ihn ertränken. Ich musste mich nur für eines der Beiden Dinge entscheiden.

Als ich hörte wie meine Zimmertür zufiel, horchte ich auf und hörte wie der Streuner die Treppe hinunter ging. Daraufhin stand ich langsam auf und ging wieder in mein Zimmer. Das Erste was mir auffiel, war ein Zettel auf meinem Schreibtisch. Ich ignorierte ihn vorerst und ging zu meinem Schrank um mir ein Nachthemd anzuziehen. Dann stand ich eine Weile in meinem Zimmer und sah den Zettel an. Nach langer Überlegung ging ich zu meinem Schreibtisch und las mir den Zettel durch.

 

Hey, tut mir wirklich Leid was ich am See gesagt habe. Ich würde es dir ja gerne ins Gesicht sagen, aber seit dem kann ich einfach nicht an etwas anderes denken, als an dich, wenn du vor mir stehst. Und es tut mir Leid, dass ich dir in eurem Garten so auf die Pelle gerückt bin. Ich tu's nie wieder, versprochen.

Levin

 

Ich zog die Brauen zusammen und sah den Zettel verwirrt an. Was war mit ihm los? Erst versucht er an mich heran zu kommen, dann beleidigt er mich, dann macht er mich an und dann entschuldigt er sich.

KANN ER SICH NICHT ENTSCHEIDEN?

Ich schüttelte erneut den Kopf, ließ den Zettel liegen wo er war und legte mich ins Bett. Immer noch verwirrt von diesem Jungen glitt ich in den Schlaf und wurde von prasselndem Regen empfangen.

Erster Schultag

Es war laut als ich meine neue Schule betrat. Viele sahen mich neugierig an. Einige riefen mir etwas hinterher. Andere wendeten sich von mir ab. Und ich? Ich ging an allen vorbei zum Sekretariat. Gerade als ich hinein wollte, kam jemand heraus.

Ein blonder Junge, etwas größer als ich und ein breites, eigentlich sympathisches Lächeln im Gesicht. Als er mich sah lächelte er mich unwillkürlich an.

„Hey, du bist doch die Neue, oder?“, meinte er sofort, „Violeta, wenn ich mich recht entsinne. Ich bin Nikolai, aber du kannst mich ruhig Niko nennen. Warte kurz, ich hole eben deine Sachen.“

Schon war er wieder im Sekretariat verschwunden, ohne, dass ich irgendwas zu ihm sagen konnte. Und bevor ich auch nur irgendwie anders reagieren konnte, war er auch schon wieder zurück.

„Wie es aussieht haben wir die ersten beiden Stunden zusammen, also kann ich dich ja begleiten. Solange jemand bei dir ist, nerven dich die Anderen nicht, also sieh es positiv. Du hast einen Vorteil, ich habe einen Vorteil.“

„Aha. Ja äh... Danke.“

„Scheinst nicht sehr gesprächig zu sein.“ Sein Lächeln verschwand und er atmete beruhigend durch. „Das ist gut, dann muss ich wenigstens nicht ständig labern.“

Ich zog die Brauen hoch.

„Mrs. Anderson, die Direktorin, fand, ich 'wäre perfekt geeignet um unserer neuen Schülerin die Schule zu zeigen und die Anderen von ihr fernzuhalten'.“

„Was?“

„Egal. Komm mit. Zum Mathematikraum geht es da lang.“ Schon hatte er mir einen Arm um die Taille gelegt und ging mit mir los.

„Hat Mrs. Anderson auch gesagt du sollst mich anmachen?“

„Nein, aber so hören die Jungs wenigstens auf dir Sprüche hinterher zu rufen.“

„Ah.“

„Wenig Gefühl... gefällt mir. Wir kommen sicher gut miteinander aus.“

„Ja. Sicher.“ Ich wurde wieder ausdruckslos und ließ mich von ihm zu unserer Klasse führen. „Wer ist noch in unserer Klasse?“

„Diese Stunde? Da wären Julia, Naomi, Mandy, Anna, Dana, Linda, Rikada, Jamie, Tyson, Paul, William, Davey, Aaron, Sebastian, Bastian und Eddy.“

Kein Levantin. Das war gut. „Und in der nächsten?“

„Beinahe dieselben. Statt Bastian, Julia, Dana und Davey sind Angelo, Zarina, Fergusson und Yvonne da.“

Wieder kein Levantin. Das wurde ja immer besser. „Wie sieht’s in der dritten Stunde aus?“

„Da sind... Angelo, Zarina, Fergusson, Yvonne, Jana, Lacy, Hewitt, Angelika, Tai, Kevin, Sasha, Max, Joy, Leonie, Drake, Olaf, Gregory und Simon.“

Vielleicht hatte ich ja Glück und ich bin mit ihm in keiner Klasse. „In der vierten?“

„Statt Angelo, Hewitt, Tai und Kevin, sind Adam, Vayl, Valec und Levin da.“

„Levin?“

„Levantin.“

Meine Schultern sanken herab. „Fünfte?“

„Im Prinzip dieselben. Zarina, Yvonne und Fergusson gehen raus und Tyson, Aaron und ich kommen rein.“

„Gibt es eine sechste?“

„Nein.“

Ich atmete auf.

„Kann es sein, dass du Levin nicht besonders magst?“

„Ja, dass kann sein.“

„Ich bin mir jetzt sicher, dass wir uns gut verstehen werden. Ich kann ihn auch nicht leiden.“

Wir betraten die Klasse, setzten uns und warteten etwa eine Minute auf den Lehrer, bevor der Unterricht begann.

 

Die Stunden liefen eigentlich ganz gut. Ich konnte eine Menge dazu beitragen und es gab niemanden in der Klasse, der mich besonders genervt hat. Lag wahrscheinlich daran, dass der Streuner nicht da war. Oder daran, dass Nikolai so nahe bei mir saß. In der Mittagspause begleitete er mich dann schweigend zur Cafeteria, wo wir uns etwas zu essen holten und uns an einen Tisch setzten. Das Gute war, fast alle Jungs hielten sich von mir fern. Das Schlechte, es waren eben nur fast alle.

Man hörte deutlich wann der Streuner die Cafeteria betrat. Jungs sowie Mädchen riefen nach ihm als wäre er ein Weltstar und nur heute für ein paar Minuten zu Besuch, sodass jeder unbedingt ein Autogramm bekommen muss, bevor er wieder geht. Schade nur, dass es nicht wirklich so war, sonst wäre er bereits weg, bevor er sich neben mich setzte, was er genau in diesem Augenblick tat.

„Hallo Violeta.“ Warum hasste ich es, wenn er meinen Namen sagte?

„Auf Wiedersehen, Streuner.“, gab ich zurück ohne von meinem Essen aufzublicken.

Es wunderte mich, dass er still blieb. Da er es nach etwa sieben Minuten immer noch war, hob ich den Kopf und sah ihn an, womit ich feststellte, dass er mich die ganze Zeit beobachtete.

„Falls du darauf wartest, dass ich mich bekleckere, wartest du vergeblich. Hau ab und spiel mit deiner Rassel. Und vergiss deinen Schnuller nicht, damit du still bleibst.“

Damit wand ich mich wieder meinem Essen zu, während er mich weiter beobachtete. Irgendwann sah ich dann wieder zu ihm.

„Was willst du?“

„Nichts. Es macht nur Spaß dir zuzusehen. Obwohl... Ist ein Kuss immer noch zu viel verlangt?“

„Du spinnst.“

„Ist das ein nein?“

„Ich werde dich nie im Leben küssen.“

„Das haben schon mal ein paar Mädchen gesagt. Um genauer zu sein, die Mädchen, die dich jetzt eifersüchtig ansehen.“

„Schon mal daran gedacht, dass es ziemlich abturnend ist, wenn du einem Mädchen sagst, wie viele du schon vor ihr geküsst hast?“

Er zog die Brauen zusammen und dachte offenbar nach, während ich mich wieder meinem Essen zu wand.

„Verdammt.“, meinte er kurz darauf, „Du hast Recht.“

Ich ignorierte ihn einfach wieder, während mein Tablett sich langsam leerte. Als er leer war, stand ich auf und brachte ihn weg. Ich konnte regelrecht spüren wie der Streuner mir hinterher sah. Ich hatte schon die Idee ihm den Mittelfinger zu zeigen, ließ es aber dann doch, da ich dann ja auf ihn reagieren würde. Also ging ich, nachdem ich das Tablett losgeworden bin, brav in die Klasse um dort zu warten. Dann erinnerte sich jedoch ein Teil meines Verstandes daran, dass ich die letzten beiden Stunden mit dem Streuner aushalten musste. Okay, theoretisch gesehen nur eine. Ich war mir sicher, er würde sich den Platz neben mir ergattern. In der letzten Stunde, würde ich einfach den Platz neben Nikolai ergattern. Hoffentlich setzte er sich so hin, dass ich außen sitzen konnte.

Als nun der Streuner herein kam, bewahrheitete sich meine Befürchtung. Er setzte sich neben mich. Okay, eigentlich war es nicht sooo schlimm. Ihn konnte ich mittlerweile ganz gut ignorieren. Bei Jungs die ich nicht kannte, wäre es sicher nicht so einfach.

„Du lässt mich wohl nie in Ruhe, oder?“ Es war eigentlich mehr eine Feststellung als eine Frage. Aber er schien es anders zu sehen.

„Nein... Ich glaube nicht, nein. Warum?“

„Du gehst mir auf die Nerven.“

„Nun... da ein Kuss zu viel verlangt ist, werde ich mir eben etwas anderes überlegen müssen.“

„Ich soll dich küssen, damit du mich in Ruhe lässt?“

„So könnte man es sagen. Muss man aber nicht.“

Ich biss die Zähne zusammen und sah stur auf ein Zeichen, dass von der letzten Stunde noch an der Tafel war. Ich schaffte es sogar, das was der Streuner sagte nicht zu hören. Als ihm das offenbar auffiel, sah er beleidigt nach vorn.

Die Klasse füllte sich langsam und je mehr anwesend waren, umso mehr hatte ich das Gefühl, dass alle mich anstarrten. Das bestätigte sich als jemand begann mit dem Streuner über mich zu sprechen, als wäre ich gar nicht da. Als dann endlich der Lehrer herein kam, sahen alle nach vorn.

 

Als ich die Klasse am Ende der Stunde verließ, holte mich einer der anderen Jungs ein und lief neben mir her.

„Violeta, richtig?“, wollte er wissen und lehnte sich etwas vor um mir ins Gesicht zu sehen.

„Ja.“

„Hi, ich bin Vayl. Ich hab bemerkt, dass du offenbar nicht besonders viele Freunde hast.“

„Ich habe auch kein Interesse an Freundschaften.“

Er zuckte mit den Schultern. „Wenn du reden möchtest, oder Fragen hast, kannst du dich ruhig an mich wenden. Niko ist in den Pause oft woanders.“

„Aha. Ich werde dran denken, wenn ich Nikolai nicht finden kann.“

Jetzt lächelte er mich an. „Was dagegen wenn ich dich zur Klasse begleite? Soweit ich weiß haben wir ja die nächste auch zusammen.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Mir egal.“

Sichtbar zufrieden mit sich selbst ging Vayl schweigend neben mir her. Dabei schien er auch offensichtlich Probleme damit zu haben ein paar Fragen nicht zu stellen. Als wir dann in die Klasse kamen, atmete ich erleichtert auf, da Nikolai bereits einen Platz hatte und mich zu sich winkte. Ich setzte mich auf die Seite von ihm, die am Rand des Tisches war.

„Und? Hast du die letzte Stunde überlebt, oder muss ich den Notarzt rufen?“, wollte er amüsiert wissen.

„Noch so eine Stunde und du kannst dein Handy raus holen.“

„So schlimm?“

„Wie würdest du dich fühlen, wenn dich dein Nachbar eine ganze Stunde lang anstarrt?“

„War die Frage ironisch gemeint oder muss ich antworten?“

„Ironisch.“

„Dann ist gut.“

Wir sahen wieder nach vorn. Als der Streuner herein kam, sah er mich natürlich sofort und setzte sich dann auf den Platz hinter mir. Ich hätte beinahe meinen Bleistift zerbrochen.

„Es ist nur noch eine Stunde.“, ermutigte Nikolai mich leise.

„Nicht direkt.“, gab ich zurück, „Er ist mein Nachbar.“

Er sah mich an und schwieg eine Weile. „Dann hast du wirklich ein Problem.“

„Danke, das wusste ich bereits. Schlimmer ist noch, dass er mich offenbar nicht in Ruhe lassen will.“

„Schon mal mit Juckpulver versucht?“

Mein Mundwinkel zuckte verräterisch, bevor ich wieder meine Fassung hatte und ihn ausdruckslos ansah. „Gute Idee. Wo bekomme ich es her?“

„Gute Frage.“ Er sah an die Tafel und überlegte eine Weile. Dann sah er wieder zu mir. „Soweit ich weiß, hat Antonio fast immer was dabei. Vielleicht gibt er dir ja etwas. Am besten, du verteilst es in seinem Bett. Dann hat es genug Zeit um sich auf seinem Körper zu verteilen und so dauert es etwas länger, bis er es wieder los ist.“

Ich nickte. „Ich muss nur warten bis er nicht da ist.“

Diesmal zuckten seine Mundwinkel und er sah wieder nach vorn. „Weißt du auch welches sein Zimmer ist?“

„Zur Not verteile ich es in allen. Seine Mutter hat mich angesehen als wäre ich ihre neue Schwiegertochter.“

„Und der Vater?“

„Bei ihm würde ich mich entschuldigen, da er sich mit meinem Vater offenbar gut versteht und der Einzige war, der mich nicht angesehen hat wie seine Beute.“

Er biss sich auf die Unterlippe. „Aber wenn du dich bei ihm entschuldigst, wissen die anderen Beiden, dass das Juckpulver von dir kommt.“

„Dann schicke ich ihm eine Karte ohne Absender und unsigniert.“

„Das könnte klappen, solange niemand sieht, dass du die Karte in ihren Briefkasten schiebst.“

„Wofür gibt’s Postboten?“

„Hast du Sowas schon mal gemacht?“

„Was?“

„Anonyme Briefe verschicken.“

„Ein paar Mal. Hat Spaß gemacht. Mein größter Feind hat gedacht er hätte eine Verehrerin. Eine Verehrerin die ihm bei jedem Treffen versetzt hat und sich eine dämliche Ausrede ausgedacht hat um sich zu entschuldigen.“

„Und das hat er geschluckt?“

„Ja.“

„Was waren das für Ausreden?“

„Ich hab geschrieben sie wäre krank, sie müsse auf ihren kleinen Bruder aufpassen, sie musste Nachsitzen, sie hat ihren Vater besucht, ihre Großeltern, Cousins und Cousinen sind als Überraschung zu Besuch gekommen und mein Favorit, ihr Freund hat sie gefragt ob sie nicht etwas mit ihm unternehmen will.“

„Ihr Freund?“ Er sah mich verwundert von der Seite an.

„Ich war Single, also sieh mich nicht so an. Außerdem war das der letzte Brief den er von ihr bekommen hat. Danach hat er sich drei Tage lang gefühlt wie ein Vollidiot.“

„Und du?“

„Ich hab’s genossen. Er hat nämlich aufgehört mich zu nerven. Eine Woche nach der Offenbarung ihres Freundes hat er aber wieder damit angefangen.“

„Und was hast du gemacht?“

„Ich habe ihm eine ehemalige Freundin auf den Hals gehetzt.“

Er zog eine Braue hoch.

„Sie mochte ihn. Und waren glücklich zusammen. Und ich hatte auch meinen Vorteil.“

„Er hat dich nicht mehr genervt?“

„Nein. Das hat er weiterhin gemacht, aber er hat die Schule gewechselt um bei ihr zu sein.“

„Okaaayyy. Eine ehemalige Freundin?“

„Ich war mit ihr im Kindergarten. In der zweiten Klasse ging die Freundschaft zwar in die Brüche, aber wir haben hin und wieder mal etwas gemacht.“

„Was ist passiert?“

„Ich hab sie nicht mehr an mich heran gelassen. Etwa so weit, wie ich dich an mich heran lasse.“

Zwei Brauen schnellten in die Höhe. „Echt?“

„Bilde dir bloß nichts darauf ein.“

Eine sank wieder hinab. „Worauf?“

„So gefällst du mir.“ Ich sah wieder nach vorn. „Aber nur weil du mich nicht nervst.“

„Ist das gut?“

„Irgendwie schon. Ich bekomme keine Kopfschmerzen von dir.“

„Und von ihm?“ Er deutete auf den Streuner.

„Erwähne ihn bloß nicht.“

Er lachte leise und sah wieder nach vorn, wobei Schweigen sich über uns ausbreitete und der Lehrer die Klasse betrat.

 

Ich atmete auf als es zum Schulschluss klingelte und packte meine Sachen zusammen. Zu meiner Überraschung ging der Streuner einfach an mir vorbei. Vielleicht hatte das Gespräch mit Nikolai ja einen Vorteil gegeben. Ich zuckte mit den Schultern, verließ die Klasse und machte mich auf den Weg nach draußen. Dort ging ich dann zu meinem Fahrrad, mit dem ich her gefahren war. Es war recht angenehm mit dem Fahrrad nach hause zu fahren. Der Wind kühlte ab und der Streuner konnte mich nicht nerven. Als ich zuhause ankam, stellte ich kurz mein Rad in die Garage und ging dann hinein, wo ich direkt in die Küche ging. Zwar waren weder Mom noch Dad zuhause, aber dafür hatte Mom mir etwas zu Mittag gemacht bevor sie ging. Der Zettel am Kühlschrank sagte mir, dass es in der Mikrowelle war, die ich daraufhin einschaltete und meine Schultasche zum Tisch nahm um die Hausaufgaben zu machen.

Begleitet von einem PING von der Mikrowelle, stand ich auf, woraufhin es an der Tür klingelte.

„Augenblick!“, rief ich und holte kurz mein Essen aus der Mikrowelle.

Dann stellte ich es auf die Theke und ging an die Tür, wo überraschender weise nicht der Streuner, sondern Nikolai stand.

„Entschuldige wenn ich dich gerade störe.“, meinte er, „Aber ich hab hier etwas für dich.“

Er zog eine kleine Tüte aus seiner Tasche und hielt sie mir hin. Die Aufschrift verriet mir, dass es das Juckpulver war, was ich vergessen hatte zu besorgen.

„Oh, Danke. Das hab ich ganz vergessen.“

„Rieche ich gerade Auflauf?“ Er spähte an mir vorbei in den Flur, wohl wissend das er den Teller nicht sehen würde.

„Äh ja. Meine Mutter hat mir etwas gemacht bevor sie zur Arbeit musste. Ich hab es gerade aufgewärmt.“ Sein Magen knurrte und ich sah überrascht darauf herab. „Du hast doch in der Cafeteria gegessen.“

„Äh... ja.“ Er wurde etwas rot und legte die Hand auf seinen Bauch. „Meine Mutter findet, dass ich ziemlich schnell Hunger bekomme.“

„Aha. Dann...“ Ich hob die Schultern. „Komm rein. Ich gib dir was ab.“

„Echt?“

„Bilde dir bloß nichts darauf ein!“

Er hob abwehrend die Hände. „Ich doch nicht.“

Ich verdrehte die Augen und trat beiseite damit er eintreten konnte. Dabei fiel mein Blick auf den Streuner der den Blick gerade von uns abwandte und auf seine Haustür zuging. Als Nikolai im Flur war, schloss ich die Tür wieder und ging mit ihm in die Küche.

„Da Mom immer denkt ich würde mit meinem Alter mehr essen als vorher, macht sie mir immer zu viel, also können wir es uns locker teilen.“

„Du hast gerade Hausaufgaben gemacht?“

Ich sah zu ihm. „Ja.“

Er setzte sich gegenüber von meinem Platz und sah mir zu wie ich mich wieder dem Essen zu wand und es auf zwei Teller verteilte. Es war etwas das ich definitiv von Raphael hatte. Jemand musste nur darauf aufmerksam machen, dass er Hunger hatte und ich gab ihm etwas, ob ich ihn nun mochte oder nicht. Raphael hatte beinahe darauf gewartet das ich immer sagte ich habe Hunger. Er hatte mich sofort hoch genommen, mich auf seine Schultern gesetzt und mir etwas zu essen gekocht, während ich von seinen Schultern aus zusah.

Als ich Nikolai nun den Teller hinstellte und mich auf meinen Platz setzte, erinnerte ich mich daran wie Raphael das immer gemacht hatte. Kurz bevor das Essen fertig war, hatte er ich von den Schultern genommen und auf den gemütlichsten Platz gesetzt. Dann war er wieder zum Essen geeilt hatte es auf zwei Teller verteilt und war dann wieder zu mir gekommen um das Essen mit mir in unseren Mägen zu verstauen. Dabei hatte er oft herum gealbert und mich zum lachen gebracht. Manchmal war Mom dann herein gekommen und hatte gesagt, dass man mit Essen nicht spielt.

Ich unterdrückte einen schwerer Seufzer und begann zu essen. Als wir fertig waren, spülte ich die Teller kurz ab und stellte die Teller weg, während Nikolai wieder aufstand und sich zum Gehen fertig machte.

„Wir sehen uns dann morgen in der Schule.“, meinte er mit der Hand auf dem Bauch. „Ein Lob an deine Mutter. Das war wirklich lecker.“

Ich nickte und brachte ihn zur Tür. „Ich richte es ihr aus. Bis morgen.“

„Bye bye.“

 

Erinnerungen und Geschehnisse

Nachdem ich mit meinen Hausaufgaben fertig war, hatte ich mich im Garten in die Hängematte gelegt, wo ich ein wenig döste. Ich hatte nicht mitbekommen, dass Mom und Dad wieder gekommen waren. Auch nicht, dass unsere Nachbarn offenbar wieder zu Besuch waren.

Als ich langsam wieder wach wurde, bemerkte ich, dass es seltsam warm war. Obwohl ich im Schatten lag. Und irgendwas lag auf...

Ich öffnete die Augen und sah direkt in die Augen des Streuners. Zugegeben, sie sahen gar nicht so schlecht aus. Sie waren silbrig und waren übersät mit grünen Funken. Nun sah ich sofort, dass er mich angrinste, sobald ich ein paar Sekunden nur still dagelegen hatte.

„Du hast wundervolle Augen.“, bemerkte er dann.

Ich zog die Brauen zusammen und versuchte ihn von mir weg zu drücken. „Du hast wohl zu viel Ice Age geguckt, was?“

„Klar! Eben gerade erst. Weißt du was? Mir ist aufgefallen, am Anfang mögen sich die Drei überhaupt nicht und am Ende waren sie eine Herde. Du magst mich jetzt nicht, also gehe ich davon aus, dass du mich später wirklich gern haben wirst.“

„Oh!“, rief ich daraufhin aus, „Dann muss ich dich jetzt wohl mögen, damit ich dich später hassen kann.“

Er lachte ein wenig und ignorierte einfach meine Hände die versuchten ihn an der Brust wegzudrücken.

„Geh runter von mir.“, forderte ich.

„Noch nicht. Es ist gerade schön gemütlich. Und du hast ausgesehen als würdest du frieren.“

„Es hat locker 25°. Da werde ich doch wohl nicht frieren.“

„Und warum hast du dann gezittert?“

„Albträume.“ Und das war nicht gelogen. Ich konnte immer noch den Regen hören. Und das lag nicht daran, dass es offenbar auch in Realität regnete.

„Was hast du denn geträumt?“

„Das ist egal. Jetzt geh runter von mir.“

„Ich will aber nicht. Dann stehe ich im regen. Die Hängematte hängt genau in der Mitte unter dem Sonnensegel. Und gerade hier kommt der Regen nicht hin. Meine Eltern machen sich nur wieder Sorgen, wenn ich krank werde. Und bevor du mich runter wirfst, du landest dann ebenfalls auf dem Boden und der ist gerade Matsch geworden.“

Ich sah ihn finster an und hörte widerwillig auf ihn wegzudrücken. Stattdessen verschränkte ich die Arme vor der Brust und versuchte Abstand von ihm zu bekommen. Wir lagen einfach nur schweigend da, wobei mir auffiel, dass er seinen Blick über mein Gesicht schweifen ließ.

„Du lachst nicht viel, oder?“

„In den letzten zehn Jahren habe ich nur zwei Mal gelacht.“

„Und davor?“

Ich wand den Blick ab, woraufhin er sich damit zufrieden gab mein Profil zu betrachten.

„Warum hältst du Abstand zu anderen?“, fragte er irgendwann.

„Das ist nicht wichtig.“

„Für mich schon.“

„Für dich? Was ist für dich nicht wichtig?“

„So einiges. Zum Beispiel, dass du mich offenbar nicht magst.“ Er verlagerte sein Gewicht, bis er ein wenig mehr auf mir lag, wobei die Hängematte ein wenig wackelte. „Du bist wirklich hübsch.“

„Aha.“ Konnte ihn mal jemand von mir runter holen? „Und das sagst du mir, weil?“

„Ich mache dir gerne Komplimente.“

„Aha.“

„Du würdest dich wirklich nicht von mir küssen lassen, oder?“

„Nein.“

Er seufzte und legte sich noch mehr auf mich rauf, sodass sein Gesicht nur noch ein paar Zentimeter von meinem entfernt war. „Und wenn ich es einfach tue?“

„Nun... dann werde ich wohl dafür sorgen, dass du zeugungsunfähig bist.“

Er schürzte die Lippen. „Du wurdest wohl noch nie geküsst, was?“

Unwillkürlich erinnerte ich mich an eine Erinnerung, die ich sorgfältig aus meinem Gedächtnis gestrichen hatte. Ich konnte regelrecht die fremden Hände auf mir spüren. Konnte den ekelhaften Atem schmecken. Ich spürte wieder wir mir die Tränen über die Wangen liefen, das kratzen der abgebrochenen Äste an meinem nackten Rücken. Ich konnte sogar die Geräusche hören die er gemacht hatte. Spürte die Bewegungen.

„Geh runter von mir.“, brachte ich hervor. Die Luft wurde seltsam knapp.

„Was ist los?“ Etwas wie Sorge spiegelte sich in seinem Gesicht.

„Runter von mir.“ Ich begann zu zappeln, woraufhin er sich sofort aufsetzte und von der Hängematte kletterte. Ich setzte mich auf, beugte mich weit nach vorn und rang nach Atem.

Nach diesem Ereignis, es war vor zwei Jahren, bin ich sieben Monate in Behandlung gewesen. In der Zeit hatte ich keinerlei Berührungen ertragen können und war schnell in Panik geraten. Wochen nach der Behandlung, war ich nur Zuhause geblieben und wurde von meinen Eltern krankgeschrieben, während sie mir halfen mich wieder an andere Leute zu gewöhnen.

„Violeta?“ Er streckte die Hand nach mir aus, aber ich sprang sofort von ihm weg.

„Nicht anfassen!“ Der Regen störte nicht. Im Gegenteil, er half sogar. Er half dabei die Tränen auf meinen Wangen unsichtbar zu machen.

Levantin schien das Alles falsch zu verstehen, denn er ließ die Hand fallen und sah mich mit einem seltsamen Blick an. Da es mir irgendwie missfiel, dass er es falsch verstand, hob ich die Hände und machte einen Schritt auf ihn zu.

„Im Moment ertrage ich es nicht.“, meinte ich leise, „Falsche Erinnerungen, versteht sich.“ Ich versuchte ein kleines entschuldigendes Lächeln, aber das misslang mir gründlich. Meine Unterlippe zitterte, woraufhin ich die Hand hob und sie vor meinen Mund hielt. „Es ist eine Weile her, aber die Erinnerungen fühlen sich immer noch sehr real an.“ Irgendwo in der Nähe donnerte es und der Regen wurde stärker. Ich hörte es an die Fenster prasseln, was mich zusätzlich an die Nacht vor zehn Jahren erinnerte. „Tut mir Leid.“ Ich sah zu dem Streuner, der mich nun anders ansah, für mich aber dennoch mit einem undefinierbaren Blick. Es erinnerte ein wenig an einen Hund, der sein Herrchen trösten wollte, es jedoch nicht konnte.

„Was ist passiert?“, wollte er stattdessen wissen.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich kann es nicht erzählen. Und außerdem muss ich dich doch noch hassen, schon vergessen? Ich kann einfach nicht mit dir befreundet sein.“

„Warum nicht?“

Diesmal gelang mir das Lächeln ein wenig mehr. „Was soll ich tun wenn ich dich dann verlieren würde? Es tut weh beste Freunde zu verlieren. Personen die einem sehr viel bedeuten. Es ruft unerträgliche Schmerzen hervor.“

Er machte einen Schritt auf mich zu und hob die Arme, als wolle er mich umarmen.

„Nein, warte! Nicht anfassen! Bitte!“

Er kam einfach weiter zu mir und legte die Arme um mich, woraufhin ich instinktiv begann mich gegen ihn zu wehren. Bilder kamen mir vor Augen. Gerüche, Geräusche, gefühlte Dinge.

Ich sah wieder sein Gesicht, als er mich auf dem Weg nach hause abgefangen hatte um mich um Hilfe zu bitten. Er hatte behauptet seine kleine Schwester wäre in den Wald gelaufen, woraufhin wir in diesen gegangen waren um sie zu suchen. Eine Schwester die es gar nicht gab.

Als wir weit genug von der Straße entfernt waren, hatte er angefangen mich zu berühren. Und als ich zurückgehen wollte, hatte er mich einfach auf den Boden geworfen. Er hatte meine Bluse einfach aufgerissen, sie von meinem Körper gezogen und sie irgendwo auf den Boden geworfen. Da es dunkel war und niemand mehr im Wald oder auf der Straße unterwegs war, hatte niemand meine Schreie gehört. Meine Hilferufe. Oder mein Flehen.

Als alles vorbei gewesen ist, hatte er mich einfach liegen lassen. Ich war vor Schmerz beinahe ohnmächtig geworden. Er hatte mich für jeden Schrei geschlagen und nochmals zugeschlagen als ich mich wehrte. Je mehr ich mich wehrte, umso mehr Schläge bekam ich. Aber er hatte mein Gesicht nicht angerührt. Er hatte mir nur in den Magen geschlagen. Magen, Brust, Schultern, Arme. Einmal hatte er mich sogar gewürgt.

Als meine Sicht wieder klar wurde, hörte ich langsam auf mich gegen die Umarmung des Streuners zu wehren. Er hatte mich fest an sich gedrückt und hielt seine Wange an meiner Schläfe, während er mir beruhigend den Rücken streichelte. Es wirkte. Ich wurde langsam ruhiger. Aber dann brach ich in Tränen aus und lehnte mein Kopf an seine Brust.

Als meine Tränen langsam versiegten, waren wir mittlerweile nass bis auf die Knochen. Er blieb noch ein wenig mit mir so stehen, bevor er sich langsam von mir löste, mein Gesicht zu sich anhob und mich ansah.

„Geht’s wieder? Oder soll ich dir noch eine Kuscheldecke holen?“ Trotz des Scherzes schwang Sorge in seiner Stimme mit.

„Es geht wieder.“, gab ich zurück und räusperte mich. „Danke.“

Er begann wieder zu lächeln und der amüsante Ausdruck legte sich leicht auf sein Gesicht. „Das heißt aber nicht, dass ich dich nicht mehr küssen möchte. Ein Kuss von dir und du hast Ruhe vor mir.“

Ich schlug ihm leicht beleidigt gegen die Schulter. „Blöder Streuner.“

„Höre ich da gerade Gefühle?“

„Halt die Klappe.“

„Es war nur eine Frage.“

„Glaub mir, wenn du auch nur ein Wort über das verlierst, was gerade passiert ist, dann musst du mit mehr kämpfen als nur Juckpulver.“

„Apropos, wo ist das eigentlich?“

Ich schürzte die Lippen. „Sag ich dir nicht.“

Er rollte mit den Augen. „Du hast das doch nicht ernst gemeint, als du Nikolai sagtest, du würdest es in meinem Bett verteilen, oder?“

„Oh, doch doch.“ Ich ging an ihm vorbei zum Haus. Unterwegs eilte er mir jedoch hinterher, schlang von hinten die Arme um mich und ging mit mir zurück zur Hängematte, während ich versuchte mich von ihm zu befreien. An der Hängematte angekommen legte er mich dann darauf und begrub mich unter sich, woraufhin ich vortäuschte nach Atem zu ringen.

„Du machst mich platt!“, rief ich.

Er lachte. „Mache ich gar nicht. Ich bin nicht so schwer.“

„Ich ersticke.“

„Wenn das so ist, werde ich mich zur Verfügung stellen um dir zu helfen. Mund zu Mund Beatmung.“

„Das kannst du dir abschminken.“

„Ich trage kein Make up.“

„Ach nein? Ich hätte schwören können verschmierten Eyeliner gesehen zu haben. Und ist das etwa Lippenstift?“

Er lachte und schüttelte den Kopf. „Du hast ja Humor. Wer hätte das Gedacht?“

„Glaub mir, wenn ich dich morgen in der Schule treffe bin ich wieder die Alte.“

„Runzlig?“

Ich schlug ihm auf die Schulter. „Streuner!“

„Sonnenschein!“

„Von wegen, ich gib dir gleich Sonnenschein.“

„Aber da bitte.“ Er tippte sich auf die Lippen.

„Pah!“ Ich schlug ihm wieder gegen die Schulter. „Streuner.“

„Schönheitsprinzessin.“

„Streuner.“

„Mrs. Kalifornien.“

„Mrs. Kalifornien?“

„Ja. Du hast den Schönheitswettbewerb als Mrs. Kalifornien gewonnen.“

„Pah. Ich doch nicht. Streuner.“

„Soll ich etwa scharfe Geschütze auffahren?“

„Dann marschiere mal nach Afghanistan. Die können dich an der Front gut gebrauchen.“

Er lachte leise. „Du hast tatsächlich Humor. Ich hätte nicht gedacht, das du wirklich so toll sein würdest, wenn du deine Gefühle zeigst.“

„Ach?“

„Ja. Ich hab eher gedacht du wärst so ein extrovertiertes Mädchen, wie Yvonne.“

„Oh, dass kann ich auch.“

„Beweise es!“

„Spinnst du?“

„Warum?“

„Ich hab doch gesagt, ich werde dich nicht küssen.“

„Und wenn ich dich küsse? Immerhin küsst du dann nicht mich, sondern anders herum.“

„Okay, lass es mich anders formulieren. Meine Lippen werden nie im Leben deine Berühren. Sonst setzt es Maulschellen.“

Er zog die Brauen hoch. „Sonst setzt es Maulschellen?“

Ich zuckte die Schultern. „So 'ne Redewendung aus 'nem Roman.“

„Oh. Was für ein Roman? Würde ich gerne mal lesen.“

„Du kannst lesen? Ich bin mir sicher ich habe den Zettel in meinem Zettel vor lauter Rechtschreibfehler nicht lesen können.“

„Hey! Pass auf was du sagst, Mädel.“ Er legte sich etwas mehr auf mich, woraufhin ich meine Arme gegen seine Brust stemmte.

„Nicht so nahe. Ich brauche auch meine Freiheit.“

„Du bist doch kein Vogel.“

„Zwitscher zwitscher. Flatter flatter. Piep piep, ach nein, das war ja eine Maus.“

Er zog die Brauen zusammen und lachte wieder ein wenig. „Wo hast du das her?“

„Den Humor? Keine Ahnung. Ich glaube von Raphael. Von ihm habe ich eine Menge.“

„Was denn noch?“

„Die Angewohnheit, Leuten Essen zu machen oder anzubieten, wenn es ein Anzeichen dafür gibt, dass sie Hunger haben.“

„Oh, ich sterbe vor Hunger. Stillst du ihn?“

„Diese Art von Hunger doch nicht!“

„Schade. Ich mag deine Lippen.“

„Du kennst sie noch gar nicht.“

„Noch? Oh wow. Das heißt wohl, dass ich dich irgendwann küssen, darf. Ich freue mich jetzt schon darauf dich zu küssen, bis du nicht mehr weißt ob du Mädel oder Bursche bist.“

„Ha ha ha. Ich bezweifle das du überhaupt so gut küssen kannst, du streunender Köter.“

„Wuff.“

Diesmal lachte ich, woraufhin in seinen Augen etwas aufblitzte und er mich warm lächelnd betrachtete. Es fühlte sich gut an mal wieder zu lachen.

Als ich den Streuner wieder ansah, sah er ein wenig verträumt aus und betrachtete wieder mein Gesicht. Beinahe unmerklich näherte er sich, woraufhin ich seltsam still unter ihm wurde. Dann lehnte ich mich jedoch abrupt zur Seite, woraufhin die Hängematte zur Seite kippte und wir auf dem Boden mitten im Matsch landeten. Ich auf ihm drauf und er auf dem Rücken.

„Hast du es so eilig?“, neckte er mich.

„Quatsch.“

„Du meinst wohl, Matsch.“ Damit schubste er mich spielerisch von sich runter. Mitten in eine Matschpfütze.

Ich verzog ein wenig das Gesicht, nahm eine Hand voll Matsch und schmierte es ihm ins Gesicht, woraufhin er mich mit dem Bauch voran in die Pfütze drückte und den Matsch auf meinen Rücken schmierte. Ich kroch aus der Pfütze und stand auf, woraufhin er ebenfalls aufstand.

„Ich glaube ich gehe duschen.“, meinte ich nachdenklich und sah an mir hinunter. Dann sah ich zu ihm. „Und du brauchst ein Bad.“

„Warum soll ich baden und du duschen?“

„Weil Hunde immer gebadet werden.“

Er rollte mit den Augen, während ich zum Haus ging. Dort zog ich mir dann die Schuhe aus und betrat den Flur. Ich seufzte als mich die Wärme umfing und tapste barfuß zur Treppe. Am unteren Absatz kam Dad in den Flur und sah mich amüsiert an.

„Schlammkur?“, neckte er mich.

„Der Streuner hat mich in den Matsch geschubst.“, gab ich zurück, „Also habe ich ihn damit eingeseift.“

„Jetzt braucht ihr wohl beide eine Dusche, oder?“

„Ich brauche eine Dusche. Er braucht ein Bad.“

„Ein Bad?“

„Hunde duschen nicht.“

Er lachte ein wenig. „Geh duschen, bevor du hier noch alles dreckig machst.“

Damit eilte ich die Treppe hinauf und ging in mein Badezimmer. In Handumdrehen hatte ich mich ausgezogen und sprang unter die Dusche.

 

Eine halbe Stunde später ging ich wieder die Treppe hinunter. Ich hatte lange über den Streuner nachgedacht. Und über dass, was im Garten vorgefallen war. Ich war zu dem Entschluss gekommen, dass es einfach besser war, wenn wir nicht befreundet waren. Sobald ich alt genug war, würde ich wieder nach New Bern ziehen.

Als ich im Flur ankam, hörte ich wie Mom von der Nacht vor zehn Jahren erzählte. Sie war gerade dabei zu erzählen, dass ich die Treppe nochmal runter gegangen war. Ich ging näher und blieb in der Wohnzimmertür stehen. Sie bemerkten mich gar nicht.

Dad hielt Mom tröstend in den Armen, während Levantins Eltern neugierig zuhörten. Der Streuner selbst saß frisch geduscht neben seinem Vater und horchte aufmerksam. Als Mom die Nacht durch hatte, erzählte sie was danach passiert war. Dad hatte mich ohnmächtig neben dem leblosen Raphael gefunden und hatte den Notarzt gerufen. Für Raphael kam jede Hilfe zu spät. Ich dagegen musste eine Woche im Krankenhaus bleiben, bis ich mich wieder weit genug beruhigt hatte um nach hause gehen zu können. Dann war ich in Therapie gewesen.

„Sie glaubt es wäre ihre Schuld gewesen.“, meinte Mom letzten Endes, „Sie gibt sich die Schuld.“

„Es war meine Schuld.“, meinte ich leise, woraufhin alle zu mir sahen.

Dad stand sofort auf und ging zu mir, woraufhin er mich in die Arme zog, mir einen Kuss auf die Stirn drückte und mir wieder und wieder sagte das es nicht meine Schuld war. Dass ich noch jung war und gar nicht hätte wissen können was es für Folgen haben könnte. Ich dagegen sah an allen vorbei auf ein Bild das auf einer Kommode stand. Ich konnte es von der Tür aus zwar nicht erkennen, aber ich wusste, dass Raphael auf dem Bild in die Kamera lächelte. Daneben stand ein Bild von mir. Er hatte genauso ausgesehen wie ich. Schwarze Haare, eisblaue Augen...

Ich drehte meinen Kopf weg und verbarg das Gesicht an Dads Brust. Dabei lehnte ich mich an ihn und schlang die Arme um seine Taille. Ich krallte meine Hände in seinen Pullover als mich der Schmerz erfasste. Es war beinahe unerträglich.

Ich wusste, dass der Streuner mich gerade ansah. Ich konnte es praktisch spüren. Es war, als würde er mich berühren, seine Arme um mich legen. Ich wünschte nur er würde mir nie nahe genug kommen, um irgendwann denselben Schmerz auszulösen, wie es bei Raphael war.

Das würde ich nicht ertragen.

Gefühlskalt

Als es zur Stunde klingelte, saßen Nikolai und ich bereits wieder an unseren Plätzen. Wir hatten uns lediglich nur begrüßt und dann geschwiegen. Während dem Unterricht schob er mir dann einen Zettel rüber.

 

Wie lief es gestern noch mit Levin?

 

Ich nahm den Zettel auf meinen Notizblock und griff nach meinem Stift.

 

Du hättest ihn mal sehen sollen. Er scheint Probleme damit zu haben sich nicht zu kratzen.

 

Ich schob den Zettel zurück und achtete wieder auf den Unterricht. Kurz darauf kam der Zettel zurück.

 

Du hast ihn schon gesehen?

 

Ich sah kurz zum Lehrer und griff dann wieder nach meinem Stift.

 

Seine Mutter hat mich gebeten ihn auf dem Rad mitzunehmen, weil er zu spät fertig wurde.

 

Ich schob den Zettel wieder zurück. Wenige Augenblicke später lachte Nikolai leise. Nachdem Dad mich beruhigt hatte, hatte Levantins Mutter die Idee gehabt uns ihr Haus zu zeigen. Ich hatte die Chance sofort gesehen und war mitgegangen. Der Streuner hatte mir sein Zimmer nur widerwillig gezeigt und hatte mich einen Augenblick allein lassen müssen, weil seine Mutter ihn gerufen hatte. In der kurzen Zeit war ich das ganze Juckpulver losgeworden.

Heute Morgen hatte er mich finster angesehen und mir auf dem Weg zur Schule gesagt ich würde es büßen. Ich dagegen hatte nur gefragt was er meinte. Als wir dann an der Schule ankamen, hatte er mich wieder finster angesehen. Das Ernste daran verflog jedoch als er sich auf dem Weg zum Gebäude versuchte am Rücken zu kratzen und nicht an die richtige Stellen ran kam. Dann war er ein wenig seltsam gelaufen, was mich erahnen ließ wo es ihm dann gejuckt hatte. Irgendwie hatte er aber auch süß ausgesehen als er sich aufgeregt hatte.

Ich wusste, der Streuner war eigentlich ganz okay... um nicht zu sagen wirklich super, aber es war nicht gut, dass wir befreundet waren.

 

Als ich in der Pause die Klasse verließ, war der gute Eindruck auf den Streuner beinahe gänzlich verschwunden. Als es geklingelt hatte, hatte sich einer seiner Freunde zu mir gestellt und mir von einem Gerücht erzählt das der Streuner herum erzählt hatte. Es bezog sich auf den Tot meines Bruders, weshalb ich dem Jungen beinahe eine Ohrfeige gegeben hätte. Der Streuner hatte erzählt, Raphael wäre tatsächlich nur deshalb gestorben, weil er mich angesehen hatte. Okay, im Prinzip war es nicht wirklich falsch, aber es herum zu erzählen und es so darzustellen, dass ich ihn umgebracht habe, machte mich wütend und enttäuschte mich.

Ich ignorierte die Schüler die mich ansahen, auf mich zeigten und anderen etwas zuflüsterten. Als ich wenige Minuten später dem Streuner über den Weg lief, war ich schon in Versuchung ihn darauf anzusprechen, aber ich ignorierte ihn einfach. Er grüßte mich zwar und schien mich auf sich aufmerksam machen zu wollen, aber ich ging weiter.

„Violeta!“

Ich stellte mich taub.

„Violeta, warte doch mal!“

Einfach weiter gehen und ihn ignorieren.

„Letty, jetzt bleib doch mal stehen!“ Er hielt mich am Oberarm fest, damit ich stehen blieb und wartete kurz um zu Atem zu kommen. „Was... Warum ignorierst du mich?“

„Sieh dich mal um.“, gab ich zurück, „Worüber reden die wohl?“

Er zog die Brauen zusammen und sah sich um, wobei ihm auffiel, dass die anderen Schüler miteinander tuschelten. „Was weiß ich? Was hat das damit zu tun, dass du mich ignorierst?“

Ich entzog ihm meinen Arm, verschränkte beide Arme vor der Brust und wand den Blick ab.

„Violeta.“ Er winkte vor meinem Gesicht hin und her. „Hallo, ich habe dich etwas gefragt.“

Ich hätte ihm am liebsten eine gescheuert. Stattdessen erzählte ich ihm wütend, was mir sein ach so toller Freund erzählt hat. Daraufhin sah der Streuner mich nur mit großen Augen an.

„Violeta ich... Ich hab das nicht gesagt.“, verteidigte er sich, „Ich habe kein Wort über diese Nacht verloren. Auch nicht über die Wochen die dazu gehören. Ich habe niemandem etwas davon erzählt und es auch ganz bestimmt nicht dafür benutzt um dich zu demütigen. Das ist ein schreckliches Ereignis und du gibst dir dafür die Schuld, da werde ich es doch nicht einfach benutzen um dir weh zu tun. Ich... Ich würde dir nicht mal wehtun wollen.“

„Woher wissen sie es dann?“

„Das weiß ich nicht, aber ich habe es nicht erzählt.“

„Er hat aber gesagt, es käme von dir. Und bis jetzt weiß ich nur, dass nur deine Eltern wissen, dass du davon weißt. Und soweit ich weiß, seid ihr drei auch die Einzigen denen meine Eltern es erzählt haben. Also bleibst nur du. Und du hast heute Morgen ja auch gesagt, ich würde es mit dem Juckpulver büßen.“

„Damit meinte ich doch lediglich, dass ich dir einen kleinen Streich spielen würde. Und ich habe nichts erzählt.“

„Wer soll es denn dann gewesen sein?“

„Ich weiß es nicht, Mädchen. Ich kann dir nur sagen, dass ich es nicht gewesen bin.“

„Dass hilft mir auch nicht sonderlich weiter. Du bist einfach der Einzige, der es gewesen sein könnte. Und da dein Freund mir gesagt hat, du wärst es gewesen... Ich habe nichts anderes erfahren. Es steht Aussage gegen Aussage. Wenn du es nicht warst, dann sag mir wer es war.“

„Violeta, ich weiß nicht wer es war. Und ich bin es nicht gewesen.“

„Dann finde heraus wer es war.“

„Wie soll ich das denn machen?“

„Was weiß ich, denk nach, aber kümmere dich darum, dass dieses Gerücht verschwindet.“

„Ich kann da nichts machen, ich bin ein einfacher Schüler, ein einfacher Junge. Ich bin nicht anders als die anderen Jungs an der Schule.“

Ich versuchte mich einigermaßen zu beruhigen und atmete tief durch. „Machen wir es so. Du sorgst dafür, dass das Gerücht von der Bildfläche verschwindet und du bekommst dafür den Kuss den du so gerne haben möchtest.“ Ich verzog kaum merklich das Gesicht, setzte dann jedoch die ausdruckslose Maske auf und sah ihn an.

Er dagegen rieb sich das Kinn und sah mich nachdenklich an. „Du drückst dich nicht davor? Du würdest mich wirklich... richtig küssen?“

„Ja.“ Aber es kann sein, dass ich dich dann nicht mehr in dem guten Licht sehen kann, fügte ich in Gedanken hinzu.

Er atmete kurz durch und studierte eine Weile mein ausdrucksloses Gesicht. Dann nickte er langsam. „Okay. Aber ich mache das nur für dich. Bei jedem anderen Mädchen hätte ich abgelehnt.“

Damit ging er weiter. Ich unterdrückte den Drang ihn zurück zu holen und ihm zu sagen, dass ich ihn doch nicht küssen würde, aber das war es doch, was ihn dazu antrieb. Der Kuss würde zwar all das zerstören, dass irgendwie zwischen uns war, aber ich konnte nicht mit dem Schmerz leben, den die anderen mit dem Gerücht auslösten. Es tat immer weh an diesen Zeitpunkt zu denken. Ich hatte gesehen wie das Leben aus Raphaels Augen erlosch. Und das zerriss mich innerlich. Daran erinnert zu werden machte es nur schlimmer.

 

In der Mittagspause saß ich wieder mit Nikolai am selben Tisch. Er aß aktiv sein Tablett leer, während ich in dem Essen nur herum stocherte. Ich hatte keinen sonderlichen Appetit.

„Was ist los?“, wollte Niko leicht besorgt und mit vollem Mund wissen.

„Keinen Hunger.“, gab ich zurück.

„Heißt das, du isst das nicht mehr?“

Ich schob es ihm rüber. „Guten Appetit.“

Er schürzte die Lippen und sah mich eine Weile an. Dann schob er es zurück. „Egal ob du nun Hunger hast oder nicht. Entweder du isst, oder ich zwinge dich dazu.“

„Ich habe keinen Hunger.“

Eine Weile blieb es still zwischen uns. Dann erhob er sich, ging um den Tisch herum und setzte sich neben mich. Als er mich auf seinen Schoß setzte, wehrte ich mich, aber er hielt mich fest, nahm einen Löffel voll essen und zwang mich den Mund zu öffnen, bevor er mir den Löffel in den Mund schob. Bevor ich das Essen wieder ausspucken konnte, hielt er ihn zu.

„Und jetzt, schlucken.“

Ich versuchte mich ihm zu entziehen, aber er hielt mich erbarmungslos fest und sah mich erwartungsvoll an. Also schluckte ich widerwillig das Essen herunter, woraufhin er mich weiter fütterte. Ich wehrte mich zwar die ganze Zeit, aber er machte einfach weiter und zwang das Essen in mich hinein. Als das Tablett leer war, fühlte sich mein Kiefer an als hätte man von beiden Seiten dagegen geschlagen. Nikolai dagegen hielt mich auf seinem Schoß fest und sah mich wartend an, wohl um reagieren zu können, falls sich Anzeichen eines Würgereizes zeigten. Da sich dieser jedoch nicht meldete, versuchte ich von seinem Schoß zu kommen, was er jedoch nicht zuließ.

„Lass... mich... runter.“, forderte ich und zerrte an seinen Armen die um meiner Taille lagen.

„Danke für die Massage.“

Ich begann auf seine Arme zu schlagen, aber ihn kümmerte es nicht.

„Fühlt sich gut an. Du solltest Masseurin werden.“

Ich machte Anstalt zuzubeißen, woraufhin er seine Arme wegzog und ich von seinem Schoß rutschte. „Geht doch.“

Er schmunzelte ein wenig, stand auf und setzte sich wieder auf seine Seite des Tisches. Wenige Augenblicke später hörte ich schon die Mädchen nach dem Streuner rufen. Er protestierte, offenbar weil sie irgendwas machten. Als Nikolai das sah, zog er die Brauen hoch.

„Dein Nachbar ist ein Star.“, meinte er dann.

„Schade, dass er nicht so lange bleibt wie einer.“, gab ich zurück.

„Wie lange bleibt denn ein Star?“

„Ein paar Minuten.“

Ein paar Sekunden später ließ der Streuner sich neben mir nieder und kratzte sich kurz an der Taille. „Es ist ätzend das Tablett zu tragen, wenn einem gleichzeitig der ganze Körper juckt.“

Ich presste die Lippen aufeinander um kein Geräusch von mir zu geben, während Nikolai grinste.

„Woran das wohl liegt?“, meinte dieser.

„An dem Monster, hier neben mir.“

Ich stieß ihm den Ellenbogen in die Seite.

„Oh danke, da hat es gerade richtig stark gejuckt. Es tut zwar weh, aber wenigstens juckt es jetzt nicht.“

„Streuner.“

„Schönheitsprinzessin.“

„Pah.“

„Höre ich da wieder etwas?“

Ich schwieg. Daraufhin lachte er leise und aß in wenigen Minuten sein Tablett leer. Dann sah er zu mir.

„Du schuldest mir was.“

Ich zog die Brauen hoch. „Tue ich das?“

„Ja. Ich hab mich an die Abmachung gehalten. Glaub mir, es war nicht einfach die ganzen Schüler davon zu überzeugen, dass das, was sie gehört haben, nicht stimmt.“

„Es stimmt ja, aber-“

„Sie müssen es doch nicht wissen.“, unterbrach er mich, „Außerdem sind sie jetzt still. Du schuldest mir was.“

„Jetzt?“

„Nein. Später. Bei dir.“

Mir wurde unwohl bei den Gedanken. Er wollte wirklich, dass ich ihn küsse. Und er erwartete auch, dass ich mich an meinen Teil der Abmachung hielt und ihn küsste. Allerdings war es schon sehr... selbstsüchtig, eine Abmachung zu treffen, bei dem sein Vorteil darin lag, dass ich ihn küsste.

 

Die letzten beiden Stunden waren still verlaufen. Ich hatte mich gut auf den Unterricht konzentrieren können. Allerdings hatte ich in beiden Stunden neben dem Streuner sitzen müssen. Es war für meine Laune zwar nicht mehr so schlimm, aber ich wollte immer noch nicht, dass wir befreundet, geschweige denn mehr waren. Ich wusste nicht ob ich ihn liebte. Ich wusste nicht wie Liebe sich anfühlte. Aber ich wusste, dass ich diese Freundschaft nicht wollte. Ihn irgendwann zu verlieren würde viel zu schmerzhaft sein.

 

Der Streuner begleitete mich als ich nach hause ging. Er saß vor mir auf der Stange, was für ihn jedoch ziemlich unangenehm war. Aber er beschwerte sich nicht, was ein Punkt für ihn war. Als wir das Haus betraten, ging ich wie die Tage davor, direkt in die Küche.

„Du hast Hunger, richtig?“, meinte ich als der Magen des Streuners knurrte.

„Das hast du richtig gedeutet.“, gab er zurück.

Ich stellte die Mikrowelle an, nachdem ich auf Moms Zettel gelesen hatte, dass sie mir Schnitzel gemacht hatte. Natürlich lagen zwei Stücke auf dem Teller.

„Wusste deine Mutter, dass ich herkomme?“, wollte der Streuner wissen als er das zweite Stück sah.

„Nein, aber sie denkt ich würde mehr essen. Sie hofft ich würde mehr essen. Sie findet ich bin zu mager.“

„Unter mir hast du dich aber nicht so angefühlt. Und auch in meinen Armen nicht. Du bist wunderschön, so wie du bist.“

„Amen.“

„Scheint das nur so, oder bist du gefühlvoller geworden?“

„Das bildest du dir nur ein. Ich habe lediglich aufgehört dich zu beleidigen, Streuner.“

„Den Kosenamen werde ich wohl nie los, was?“

„Nein.“

„Na dann... Wuff.“

Ich seufzte. „Ich hoffe du hast keine Flöhe.“

Als wollte er genau das sagen, kratzte er sich am Bauch. Ich konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken, weil es erstens, ein passender Zeitpunkt war; und zweitens, es irgendwie süß aussah.

„Du bist wirklich hübsch wenn du schmunzelst. Oder wenn du grinste oder lächelst, wobei letzteres das Schönste von allen ist.“

„Setzt dich hin.“

„Natürlich, Ma'am.“

Ich rollte mit den Augen als er sich verbeugte und dann zum Tisch ging. Als die Mikrowelle hinter mir PING machte, drehte ich mich dann um und holte den Teller heraus, bevor ich das zweite Schnitzel auf einen zweiten Teller tat und damit zu dem Streuner an den Tisch ging.

„Machen wir es eigentlich hier, im Garten oder in deinem Zimmer?“, wollte er irgendwann während dem Essen wissen.

Die Zweideutigkeit in diesem Satz, brachte mich dazu mich zu verschlucken, sodass ich hustete, bis ich rot war. Danach rang ich nach Atem und sah ihn entgeistert an.

„Was ist?“

„Kannst du es nicht so sagen, dass man nicht gleich denkt, wir würden ins Bett springen?“

„Also, so hätte ich es nicht bezeichnen. Es hört sich respektlos an. Aber um deine Frage zu beantworten, ich kann es anders sagen. Möchtest du mich lieber hier, im Garten oder in deinem Zimmer küssen? Aber um das andere Thema nochmal anzuschneiden, warum sagst du Sowas mit so einer respektlosen Bezeichnung?“

„Weil Sowas nicht zu den Dingen gehört, die ich gerne tue.“

„Gerne tue? Heißt das du-“

„Nein.“, unterbrach ich ihn, „Ich habe... die Erfahrung einmal gemacht und möchte es um nichts auf der Welt wiederholen. So einfach ist das.“

„War wohl der falsche Junge.“

„Er war über zwanzig.“ Da war ich mir sicher, denn er hatte älter ausgesehen als Raphael.

„Du... machst Sowas mit Älteren?“

Ich antwortete nicht. Stattdessen sah ich stur auf mein Essen und stocherte darin herum. Der Appetit war mir vergangen.

„Du wolltest es nicht, oder?“

„In meinem Zimmer.“, gab ich stattdessen zurück.

„Was?“

„Ich möchte dich in meinem Zimmer küssen.“

„Oh. Jetzt?“

Ich zögerte kurz. Dann nickte ich, stand auf und stellte die Teller auf die Theke. Dann ging ich mit dem Streuner nach oben in mein Zimmer, wo ich mich auf mein Bett setzte. Er folgte mir und sah dabei ein wenig aus wie ein Raubtier, das sich an seine Beute anpirschte. Er setzte sich neben mich aufs Bett und zog mich näher zu sich. Ich sah zu ihm auf und erinnerte mich wieder daran wie der Mann im Wald mich geküsst hatte. Ich hoffte nur, ich würde dem Streuner dabei nicht so sehr wehtun.

Dieser wartete nun darauf, dass ich ihn küsste. Ich atmete leise und kurz tief durch und nahm vorsichtig sein Gesicht zwischen meine Hände. Ich spürte wie mein Atem zitterte als ich ihn langsam zu mir zog. Als er nahe genug war, küsste ich ihn so, wie ich es eben kannte.

Keine zwei Sekunden später löste er sich von mir und sah mich mit zusammen gezogenen Brauen an, während er sich die Lippen rieb.

„Tust du mir mit Absicht weh?“, wollte er mit seltsamem Ausdruck wissen.

Okay, dann hatte es wohl nicht geklappt, dachte ich mir und drehte mich von ihm weg. Ich seufzte tief und ließ dann den Kopf ein wenig hängen. „Ich kenne es nicht anders.“

Er schwieg. Ich konnte nicht sehen wie er mich ansah, aber er blieb still sitzen und schwieg weiter.

„Tut... tut es immer weh?“, wollte ich von ihm wissen.

Er zögerte kurz. „Was?“

„Tut es immer weh, wenn man küsst? Ich meine, ich dachte vorher es wäre schön zu küssen.“

Er schwieg kurz. „Eigentlich soll es gar nicht wehtun Jedenfalls nicht so. Küssen ist eigentlich angenehm, aber du warst gerade aggressiv.“

„Ich dachte Küsse wären so.“

„Wovor?“

„Wie bitte?“

„Wovor dachtest du, es wäre schön zu küssen? Was ist passiert, dass du das nicht mehr dachtest?“

„Nachdem ich meinen ersten Kuss hatte.“

„Wann war das?“

„Vor zwei Jahren.“

Wieder kurzes Schweigen. „Was ist passiert? Was genau ist passiert?“

Ich schlang die Arme um mich. „Ich will nicht darüber sprechen.“

Er seufzte tief, schlang die Arme um mich und zog mich zu sich. „Ich halte dich fest. Erzähl mir was passiert ist. Niemand wird es erfahren.“

Es blieb eine Weile still, während der Streuner mich einfach nur festhielt und seine Wange an meinen Scheitel lehnte. Sein Bein hatte er an meinem Rücken entlang um mich herum gelegt, während das Andere an der Bettkante lag.

„Es war dunkel.“, begann ich, „Ich war bei meiner ehemaligen Freundin gewesen. Auf dem Weg nach hause hatte mich ein Fremder angesprochen und mich gebeten, ihm bei der Suche nach seiner Schwester zu helfen, die in den Wald gelaufen ist.“

Ich erzählte immer weiter, beschrieb jedes Detail, ließ nichts aus. Ich zögerte nicht als mir die Tränen über die Wangen liefen. Levantin hielt mich die ganze Zeit in den Armen und zog mich fester an sich, während er schweigend zuhörte.

„Die Rippen unter meiner linken Brust waren völlig zertrümmert.“, fuhr ich danach fort, „Dad hatte die lebensrettende OP geführt und ein anderer Arzt hat die zertrümmerten Rippen heraus geholt. Danach hat er künstliche eingesetzt. Ich brauchte auch eine neue Leber und einige Organe waren beschädigt. Letzten Endes kam ich zwar mit hässlichen Narben, aber lebendig wieder nach hause.“

Schweigen breitete sich über uns aus, während Levantin mich einfach nur festhielt und wiegte. Irgendwann legte er vorsichtig die Hand auf die Rippen unter meiner linken Brust.

„Hier?“, hakte er dann nach.

Ich nickte und schob seine Hand auf meinen Bauch, etwas über meinem Bauchnabel. „Und dort.“ Ich schob es weiter nach rechts und ein Stückchen hoch. „Und hier. Mein Schlüsselbein konnte man noch retten, ohne zu operieren.“

Es entstand eine kurze Pause, während er das Gesagte verarbeitete. „Violeta?“

„Ja?“

„Ich möchte dich küssen. Und zwar richtig.“

Ich schluckte. „Ja.“ Immerhin schuldete ich ihm noch einen, denn als wir die Abmachung getroffen haben, hatte er gesagt er wolle einen richtigen Kuss.

Nun ließ Levantin mich langsam los und drehte mich zu sich, wobei er meinen Kopf am Kinn hoch hob. „Es tut nicht weh.“, versprach er mir, „Es könnte ein wenig brennen, aber das ist eine andere Art Schmerz.“

„Brennen?“

Er lächelt matt und beugte sich zu mir hinab. Kurz bevor sich unsere Lippen berührten stoppte er kurz und sah mir in die Augen. Dann näherte er sich langsam und küsste mich schließlich. Und er hatte Recht. Es tat nicht weh. Es brannte nur ein wenig, ich konnte nur nicht sagen wo genau. Es fühlte sich wirklich schön an. Ganz und gar nicht wie bei dem Fremden im Wald. Der Kuss hatte genau die gegenteilige Wirkung wie ich gedacht hatte. Ich dachte, es würde wehtun, weshalb ich dachte, ich würde Levantin nicht mehr so sehr mögen. Aber da es nicht weh tat und einfach schön war... Ich wollte ihn nur noch küssen.

Er zog mich immer enger an sich und erkundete sanft meinen Mund mit seiner Zunge, wobei er mich bereits auf seinen Schoß zog. Ich legte ihm daraufhin die Hände an die Brust und schmiegte mich an ihn. Als seine Hände unter mein T-Shirt glitten, fühlten sie sich heiß auf meiner Haut an, aber es machte mir Angst. Ich geriet in Panik und löste mich von ihm, woraufhin er mich verdutzt und leicht benebelt ansah. Ich zog seine Hände unter meinem T-Shirt hervor und hielt sie auf meinem Schoß fest.

„Was ist?“, wollte er leise wissen, „Ich habe dir doch nicht wehgetan, oder?“

„Nein.“, gab ich zurück, „Du hast mir Angst gemacht.“

Er schwieg, während ich auf seine Hände hinab sah und mir ein wenig ansah. Es waren hübsche Hände. Schlanke lange Finger an weichen warmen Händen. Sie waren etwas größer als meine. Und sie fühlten sich gut an als er sie mit meinen verschränkte.

„Ich... habe dir Angst gemacht?“, hakte er etwas später vorsichtig nach.

Ich zuckte mit den Schultern. „Als du meinen Rücken berührt hast, habe ich Angst bekommen.“

Er atmete kurz durch und hob dann mein Gesicht an meinem Kinn an. „Darf ich es versuchen? Ganz vorsichtig? Ich höre auf, wenn du es sagst.“

Ich zögerte lange und nickte dann langsam. Daraufhin legte er die Hand vorsichtig auf den unteren Teil meines T-Shirts und ließ sie dort eine Weile liegen. Dann schob er sie langsam etwas tiefer und glitt dann ganz langsam damit unter mein T-Shirt. Sobald seine Haut auf meine traf, wurde mir warm und mein Herz setzte einen Schlag aus. Gleichzeitig bekam ich Angst und krallte meine Hand in den Ärmel seines Pullovers.

Ich erwartete er würde irgendwas tun, was der Mann damals im Wald auch getan hatte, aber das blieb aus. Er ließ die Hand einfach nur auf meinem Rücken liegen und streichelte mit seinem Daumen meine Haut. Langsam legte sich die Angst wieder und als sie verschwunden war lehnte ich mich erleichtert an Levantins Brust. Er zog mich etwas an sich, wobei die Hand von meinem Rücken auf meinen Bauch rutschte. Ich erstarrte, aber er nahm sie nicht dort weg. Stattdessen hielt er still und wartete, bis ich mich an die Berührung gewöhnt hatte. An das Gefühl, die Zärtlichkeit. An die Wärme. Erst als ich wieder völlig entspannt und locker war streichelte er meinen Bauch und streifte dabei unbewusst die Narbe über meinem Bauchnabel.

„Wo ist sie?“, wollte er wissen, als hätte er meine Gedanken gelesen.

Ich richtete mich auf und legte seine Hand dann auf die Narbe. Dann musste er wieder warten bis ich mich entspannt hatte und tastete dann vorsichtig die Narbe ab.

Brandons Besuch

„Violeta?“ Es klopfte an der Tür, woraufhin ich nahezu von dem Schoß des Streuners sprang und mich hinstellte. Gerade als ich stand, wurde die Tür geöffnet und Dad sah hinein. „Hier seid ihr zwei. Letty, Brandon kommt heute zu Besuch.“

Ich fasste mir an den Kopf. „Brandon?“

„Er wohnt hier in der Nähe, schon vergessen? Zieh dir was Hübsches an. Vielleicht neckt er dich dann ein bisschen weniger.“

„Äh, ja. Mach ich.“

Der Blick den Dad dem Streuner zuwarf, definierte ich als 'Beschützervater-Blick'. Die Art von Blick, die Väter den Freunden der Tochter zuwerfen, wenn die Tochter dem Vater unheimlich wichtig ist. Als ich das sah, wurde ich ein wenig rot und ging ins Badezimmer. Kaum das die Tür zu war, hörte ich auch schon Dads Stimme. Okay, er sprach mit ihm. Ich wollte nicht wissen was er sagte.

„Oh Gott.“, murmelte ich und schlug die Hände vors Gesicht.

Nachdem die Tür meines Zimmers wieder geschlossen wurde, wartete ich ein paar Sekunden und sah dann hinein. Levantin hatte es sich in meinem Bett gemütlich gemacht und las das Buch, das auf meinem Nachtschrank gelegen hatte.

„Du hast doch nichts dagegen, für ein paar Minuten raus zu gehen, oder?“, bat ich ihn.

„Ich bin hier beschäftigt, also werde ich wohl kaum Zeit finden um zu spannen. Was ist ein Donas?“ Er sah auf das Cover des Buches. Feuer und Stein.

„So heißt ein Pferd. Donas bedeutet Dämon. Weil das Pferd so böse ist.“

„Wie kann ein Pferd böse sein? Hat es rote Augen? Ist es blutrünstig?“

„Es beißt in die Hand, die versucht nach den Zügeln zu greifen.“

„Oh... na dann. Der Name passt ja.“

Er sah wieder in das Buch und las weiter. Daraufhin trat ich in mein Zimmer und ging zum Kleiderschrank, während ich wieder und wieder einen Blick auf den Streuner warf. Irgendwann drehte ich mich zu ihm um und sah ihn böse an. Er bemerkte es erst nach einer Minute und sah mich fragend an.

„Was ist? Ich habe nicht zu dir gesehen und ich war leise.“

„Du machst mich nervös, wenn du da liegst, während ich mich umziehen will.“

Er schürzte die Lippen. Dann drehte er sich einfach auf den Bauch, sodass er sich erst wieder umdrehen musste um mich anzusehen. „Besser?“

„Teilweise.“, murrte ich daraufhin und drehte mich unsicher zu meinem Schrank zurück.

Erst nachdem ich mir das siebzehnte Mal über die Schulter gesehen hatte, begann ich mich wirklich umzuziehen.

„Sag mal.“, meinte er dabei, ohne vom Buch aufzusehen. „Wer ist eigentlich Brandon? Und woher hast du dieses Buch? Ich meine... Da wird einem Kind erzählt, dass Mann und Frau es von-“

„Sprich es nicht aus.“, unterbrach ich ihn, „Ich weiß was da steht. Und ich habe es von Brandon zu Weihnachten bekommen. Er ist auf dem Familienfoto. Neben Raphael.“

Er griff nach dem Bild, weiterhin ohne den Blick vom Buch abzuwenden. Ich war damit beschäftigt mir ein schwarzes Kleid anzuziehen. Es war lang und betonte die Figur. Es war ebenfalls ein Geschenk von Brandon gewesen. Zum Geburtstag. Er fand es passte zu mir, weil ich so hübsche schwarze Haare hatte. Dazu gab es sogar passende Schuhe, aber ich stellte mich mit schwarzen Socken zufrieden.

„Ich bin fertig.“, meinte ich und zupfte das Kleid zurecht, während der Streuner sich wieder auf den Rücken drehte um mich anzusehen.

Er schwieg erstaunlich lange und als ich zu ihm sah, stellte ich fest, dass er immer noch ins Buch sah.

„Willst du mich nicht angucken?“

„Hm? Wie bitte?“

Ich ging zu ihm und nahm ihm das Buch aus der Hand.

„Hey, das wurde gerade spannend.“

„Das lenkt dich offenbar nur ab und außerdem müssen wir jetzt sowieso runter.“

Ich legte das Buch zurück und ging voran aus dem Zimmer. An der Tür hielt der Streuner mich jedoch nochmal zurück und zog mich in seine Arme.

„Du bist das schönste Wesen das ich je gesehen habe.“, flüsterte er mir ins Ohr und drückte einen Kuss darauf, während mein Herz vor Überraschung raste.

Dann ließ er mich los und hielt mir die Tür auf, woraufhin ich, um Fassung ringend, mein Zimmer verließ und nach unten ging. Gerade als ich den untersten Absatz der Treppe erreicht hatte, ging die Tür auf und Brandon kam mit meiner Tante, meinem Onkel und seiner kleinen Schwester herein, die nun 4 Jahre alt war.

„Letty, du bist wunderschön.“, meinte Brandon als er mich sah und lächelte mich strahlend an. „Hey, hübsches Kleid. Von welchen tollen Mann hast du das denn?“

„Von dir, du Dummkopf.“, gab ich zurück und fiel ihm in die Arme.

„Okay, wer hat dir Gefühle eingehaucht? Muss ich mir jetzt Sorgen machen, dass du mir fremd gehst? Ma chérie, tu me brises le cœur.“ Mein Liebling, du brichst mir das Herz.

„Übertreibe mal nicht.“

„Je? Exagère? Pas do tout.“ Ich? Übertreiben? Nicht im Geringsten.

„Doch natürlich.“

Non.“

Oui.“

„Mon petit papillon, tu es la plus importante dans ma vie. Bien sûr, cela me brise mon cœur quand quelqu'un d'autre que moi, ressentir des sentiments.“ Mein kleiner Schmetterling, du bist das wichtigste in meinem Leben. Natürlich bricht es mir das Herz, wenn jemand anderes als mir dir Gefühle einhaucht...

„Du übertreibst schon wieder, mein Lieber.“

„Oh, je suis ton ami? Merveilleux!“ Oh, ich bin dein Lieber? Wundervoll!

„Jetzt hör auf mit diesem Französisch!“

„Excuses-moi. J'ai un pari sur la course, de suivre le père. Je dois essayer de parler français toute la journée.“ Entschuldige. Ich habe eine Wette am laufen, die Dad überwacht. Ich muss versuchen den ganzen Tag französisch zu sprechen.

„Nun, wenn das so ist, hast du bereits verloren. Du hast schon eine andere Sprache gesprochen.“

Er seufzte. „Oui.“

„Brandon.“

Oui?“

„Kein französisch.“

Er zögerte kurz. „Oui?“

Ich sah ihn finster an.

„Schon gut, schon gut. Aber es ist deine Schuld, wenn ich zwanzig Dollar hinblättern muss.“

„Es ist deine Schuld. Du hast die Wette doch abgeschlossen.“

Er zuckte mit den Schultern und lächelte mich wieder an. „Trotzdem siehst du wunderschön aus, ma chérie. Je pourrais toi embrasser, de haut en bas.“ Ich könnte dich von oben bis unten abküssen.

Ich wurde rot. „Du spinnst. So hübsch ist das gar nicht.“

„Oui.“

„Ich habe gesagt, kein französisch.“

„Ich soll das also vor allen auf Englisch sagen?“

„Nein!“

„Dann also auf Französisch. So einfach, ma chérie.“

Ich rollte mit den Augen.

„Jetzt komm aber ein bisschen höher und gib mir ein Kuss auf die Wange.“

„Warum?“

„Warum? Wieso warum? Ich brauche keinen Grund dafür um Sowas anzufordern. Entweder du gibst mir einen auf die Wange, oder ich küsse dich auf deinen hübschen Mund.“

Ich sah ihn finster an. „Erpresser.“

Er zog die Brauen hoch. „Nicht doch, ma chérie. Es ist ein Deal. Du küsst mich auf die Wange und ich lasse deinen Mund in Ruhe.“ Er grinste mich an.

Daraufhin verdrehte ich die Augen, zog mich an ihm hoch und küsste ihn kurz auf die Wange. Dann nochmal und nochmal und nochmal. „Es ist schön, dass du da bist.“

„Das finde ich auch, ma petite.“ Er drückte mich an sich und vergrub sein Gesicht in meinem Haar. „Hmmm... Das riecht toll. Wenn du dir die Haare schneidest, gib sie mir, dann stopfe ich damit mein Kissen.“

„Brandon!“

Er lachte und ließ mich wieder los. „J'aime tes cheveux, tu belle cousine sucrée.“ Ich mag dein Haar, du wunderschöne süße Cousine.

„Es sind nur Haare.“

„Oui. Deine Haare. Schöne Haare. Schwarze Haare... Letty Haare.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Wie. Nicht deine?“

Ich lachte leise und schlug ihm leicht gegen die Brust. „Spinner.“

„Touché.“ Er lächelte auf mich herab. „Je t'aime, ma petite chérie.“ Ich hab dich lieb, mein kleiner Liebling.

„Ich dich auch.“

Damit löste ich mich vollständig von ihm und trat ein paar Schritte zurück.

„Oh, jetzt ist mir ganz kalt. Ma chérie, komm wieder zurück.“

„Das kannst du vergessen. Ich will von dir nicht zerquetscht werden.“

„S'il te plaît.“ Bitte.

Non.“

Er seufzte. „Schade. Zu schön um wahr zu sein. Wenigstens kann ich dich weiterhin ansehen.“ Er betrachtete meine Taille. „Dieses Jahr schenke ich dir zum Geburtstag eine Corsage.“ Er legte den Kopf ein wenig schräg. „Und ein französisches Kleid. Das müsste dir eigentlich auch stehen. Oder besser, gleich ein richtiges Corsagenkleid.“

Ich sah wie Dads Brauen in die Höhe schossen. „Das fehlt uns noch. Das Brandon sich in Letty verliebt.“

„Schon passiert!“, meinte dieser, „Wir heiraten noch dieses Wochenende und machen dann Flitterwochen en France. Ich bin lediglich zu Besuch gekommen um sie mit nach Las Vegas zu nehmen, wo wir dann in einer kleinen Kapelle heiraten, bevor ihr uns davon abhalten könnt.“

Ich hatte bereits bei den Flitterwochen angefangen zu lachen und stützte mich an Dad und dem Streuner ab um nicht zu fallen. Brandon lächelte dabei und sah mich nun mit den Händen in den Taschen weiterhin lächelnd an.

„Ach, ich liebe dein Lachen, ma chérie.“, meinte er als ich mich beruhigt hatte und mir die Tränen von den Wangen wischte.“

„Was hast du mir meinem Neffen gemacht?“, wollte Dad von meinem Onkel wissen.

„Arlette und ich haben uns gedacht, wir könnten ihn eine Weile von Frauen fern halten, in der Hoffnung er würde weniger Frauenherzen brechen. Nun hat er sich wohl in unsere schöne Letty verliebt.“ Er seufzte. „Hat nur leider keine Zukunft.“

„Ma chérie, mon cœur est à toi.“, fügte Brandon überflüssigerweise hinzu. Mein Liebling, mein Herz gehört dir.

Alistair, mein Onkel, lachte ein wenig und tätschelte ihm den Kopf, während er ihm etwas auf Französisch zuflüsterte.

„Er ist also dein Cousin?“, riet der Streuner hinter mir.

Ich nickte. „Aber nur halb. Als Alistair und Arlette geheiratet haben war er bereits 4 Jahre alt. Sein richtiger Vater ist kurz nach der Geburt in einem Autounfall ums Leben gekommen.“

„Die beiden haben seltsame Namen.“

„Alistair ist Schotte. Arlette ist Französin.“

„Und du?“

„Dad ist aus Schottland. Mom aus Italien. Raphael und ich haben größtenteils italienische Gene. Die schwarzen Haare zum Beispiel.“

Der Streuner sah zu meinem Dad und betrachtete eine Weile die braunen Haare. Es hatte einen schwachen roten Schimmer, je nachdem wie das Licht darauf fiel. Dann sah der Streuner zu Alistair, deren Haar richtig rot war. Dann sah er ein wenig zu mir.

„Hast du auch etwas Schottisches im Blut?“

„Oh und ob.“, meinte Mom, „Sie ist sturer als ein Esel. Genau wie ihr Vater uns sein Bruder. Allesamt Sturköpfe.“

Alistair lachte ein wenig und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Callum, wann ist Jole denn so freundlich geworden?“

„Das ist mir selbst ein Rätsel.“, gab mein Vater zurück und sah Mom nachdenklich an, bevor er sich an Arlette wand. „Machst du ihm auch so viele Komplimente, caro?“

„Nicht halb so viele.“, gab Arlette zurück, „Er bildet sich viel zu viel darauf ein.“

„Ach, ich mag dich, Schwägerin.“

„Das zieht bei mir nicht mehr.“

„Ich hab dich sehr gern, caro?“

Sie lächelte ihn an. „Du Charmeur du.“

Ich lachte leise. „Onkel Alistair, Dad flirtet gerade mit Tante Arlette.“, meinte ich amüsiert.

Alistair sah Dad daraufhin mit hochgezogenen Brauen an. „Flirten, ja?“

„Hat sie gelernt die Kunst des Flirtens zu verstehen?“

Er grinste mich an. „Noch lange nicht.“

„Hey!“, warf meine Tante ein, „Ich darf doch wohl um ein bisschen Respekt von meinem Mann erwarten, oder nicht.“

„Ein bisschen vielleicht schon.“, meinte dieser.

„Ach, Arlette, komm zu mir. Von mir bekommst du genug.“, warf Dad ein.

„Ach, und was ist mit mir?“, wollte Mom von ihm wissen.

Meine Dad und mein Onkel sahen sich an. Dann zuckte Dad mit den Schultern. „Du kannst ja zu Alistair gehen. Aber ich nehme Letty mit, sonst verheiratest du sie noch mit irgendwelchen Jungs.“

„Was?!“ Alistair sah sie erschrocken an. „Oh nein. Die wunderbare Letty wird nicht verheiratet. Dafür ist sie viel zu...“

Ich sah ihn erwartungsvoll an.

„Wundervoll. Bist du sicher, dass du meine Nichte bist? Und erst 17? Ich könnte schwören wir wären nicht verwand und mindestens gleich alt.“

Wir brachen in Gelächter aus. Ich liebte diese Familie einfach.

„Okay, Callum, was ist mit meiner Nicht passiert. Dieses wunderschöne Mädchen hier ist voll mit wundervollen Gefühlen. Als ich das letzte mal hier war, hat sie mich nur ausdruckslos angesehen, als wäre ich eine langweilige Statue.“

„Das hat irgendwas mit dem Jungen zu tun.“, gab Dad zurück und deutete auf den Streuner neben mir.

Nun wanden sich Brandon, Alistair und Arlette dem Streuner zu.

„Dein Auftritt, Streuner.“, flüsterte ich ihm zu und trat ein Schritt von ihm weg.

„Was?“, wollte dieser verwirrt wissen.

Ich rollte mit den Augen, beugte mich wieder zu ihm und flüsterte ihm etwas zu. Daraufhin nickte er und ich flüsterte weiter. Etwa fünf Minuten später hatte er sich vorgestellt, etwas von sich erzählt und ihnen weiß gemacht er würde 'mir den Hof machen'. Bei der Bezeichnung hatte Alistair mich lange nachdenklich angesehen. Als der Streuner fertig war, beugten sich die Brüder zueinander und flüsterten ein wenig auf Schottisch. Davon verstand ich kein Wort. Irgendwann sahen sich die beiden ernst an. Ein kurzer Blick zum Streuner. Dann sagte Dad kurz etwas und Alistair brach wieder in Gelächter aus, bevor er dem Streuner auf die Schulter klopfte, woraufhin dieser beinahe hingefallen wäre.

„Musstest du das erzählen?“, wollte ich leise von Levantin wissen.

„Warum? Ist doch die Wahrheit.“

„So wie es aussieht, wäre Alistair damit einverstanden wenn wir heiraten würden. Er ist Schotte. Und er liebt die Traditionen. Er ist ein bisschen altmodisch.“ Letzteres flüsterte ich etwas leiser.

„Ma chérie, ist das dein ernst?“, wollte Brandon von mir wissen. „Du bist schon vergeben?“

Non!“ Ich schürzte die Lippen. „Tu ne penses pas vraiment que je deviendrais un ami?“ Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich mir einen Freund zulegen werde?

Er grinste. „Non. Das erleichtert mich sehr, ma chérie. Wie wäre es, wenn wir ein wenig in dein Zimmer gehen?“

„Wir sind Cousine und Cousin.“

„Nun, aber wir sind nicht blutsverwandt, oder?“

Ich sah ihn finster an.

„Schon gut, schon gut.“ Er fuhr sich mit der Hand durchs rote Haar, das genau wie das von Alistair aussah. „Dann werde ich mich wohl um Carina bemühen.“

Alistair rollte mit den Augen. „Die Familie ist tabu, petit clou.“

Brandon lief dunkelrot an, während ich ein Lachen unterdrückte und Arlette die Brauen hochzog. Dad rollte mit den Augen und sagte etwas auf Schottisch, woraufhin Alistair etwas erwiderte und ihn nachdenklich ansah. Dann verfielen sie in einem tiefen Gespräch, das höchstens Mom oder Arlette unterbrechen könnten, aber sonst... eher nicht.

„Kommst du mit in den Garten?“, wollte der Streuner nebenbei wissen.

„Warum nicht. Brandon, kommst du mit?“

„Wohin?“, wollte dieser wissen.

„In den Garten.“

„Avec plaisir, ma chérie.“ Mit Vergnügen, mein Liebling.

 

„Letty?“

Ich lag auf der Hängematte und sah ans Sonnensegel, während Brandon daneben im Gras lag und der Streuner es sich am anderen Ende der Hängematte gemütlich gemacht hat.

„Ja?“, meldete ich mich und sah zu Brandon hinab.

„Wolltest du eigentlich umziehen, oder wärst du lieber in New Bern geblieben?“

Der Streuner hob den Kopf und sah mich neugierig an. Ich dagegen zuckte mit den Schultern und legte mich wieder hin um an das Sonnensegel zu sehen.

„Ich wäre lieber dort geblieben. Dort bin ich aufgewachsen. Wenn ich dort bin, fühlt es sich an, als wäre ich bei Raphael, verstehst du? Besonders auf der Wiese am See.“ Ich schloss die Augen und erinnerte mich an einen Tag an dem ich mit Raphael dort gewesen bin.

„Tut mir wirklich Leid, dass das mit ihm passiert ist.“, meinte Brandon nachdenklich. „Il serait en sécurité maintenant fier de toi, ma petite.“ Er wäre jetzt sicher stolz auf dich, meine Kleine.

„Je suis fière d'être sœur. Qu'il est... est mort ou non.“ Ich bin stolz, seine Schwester sein zu können. Ob er nun... verstorben ist oder nicht.

„Avec le temps de panser les plaies.“ Die Zeit heilt alle Wunden.

„Il est dit. Mais il n'est pas. Le temps fait que la douleur plus supportable.“ So heißt es. Aber so ist es nicht. Die Zeit macht nur den Schmerz erträglicher.

Es war ein paar Sekunden still. Dann spürte ich, wie er meine Hand nahm und einen Kuss auf den Handrücken drückte. „Es ist doch sicher besser geworden, oder nicht.“

Ich sah zu ihm und schwieg ein wenig. Nach einer Weile seufzte ich und legte mich wieder richtig hin. „Manchmal ja, manchmal nein.“

Als der Streuner mich mit dem Fuß am Oberschenkel an tippte, sah ich fragend zu ihm hinab.

„Ich hab dich noch gar nicht lächeln gesehen.“, meinte er, „Ich habe dich lediglich lachen hören.“

„Sie hat seit zehn Jahren nicht mehr richtig gelächelt.“, meinte Brandon, „Vielleicht hat sie mal ein Lächeln angedeutet oder hat schwach gelächelt, aber nie richtig. Was ist da eigentlich zwischen euch zwei?“

„Nichts.“, gab ich sofort zurück.

„Von wegen nichts.“, warf der Streuner ein, „Wir sind mindestens befreundet.“

„Nein, sind wir nicht.“

„Wie kommst du darauf?“

„Ich habe nie gesagt, dass ich mit dir befreundet sein möchte.“

„Trotzdem hast du mich geküsst.“

„Was?“, hakte Brandon nach und sah mich entsetzt an. Es wunderte mich etwas, dass das Entsetzen nicht gespielt war. „Ihr habt euch geküsst?“

„Es war eine Abmachung.“, gab ich leise zurück und sah in die entgegen gesetzte Richtung. „Nichts weiter.“

„Eine Abmachung?“

„Er beseitigt ein Gerücht von der Schule und ich küsse ihn dafür. Mehr nicht.“

„Letty, man küsst jemanden nicht einfach so. Da müssen schon Gefühle mitspielen. Erst dann ist es wirklich schön.“

„Das weiß ich.“, gab ich mit zusammen gebissenen Zähnen zurück.

Glücklicherweise wurde das Gespräch unterbrochen als Brandons Schwester heraus kam.

„Brandon!“, rief sie freudig und warf sich in seine Arme. „Mama sagt du spielst mit mir.“

„Was möchtest du denn spielen?“, fragte dieser und ließ meine Hand los.

Mir war gar nicht aufgefallen, dass er sie noch festhielt.

„Ich möchte Mensch-ärgere-dich-nicht spielen. Bitte bitte bitte.“

„Okay. Aber drinnen.“

„Ja!“

„Dann lass mich los, damit ich aufstehen kann.“

Ich hörte wie die Beiden aufstanden und dann herumalbernd rein gingen. Wenige Augenblicke später bewegte sich der Streuner und kurz darauf lag er wieder auf mir und drehte mein Gesicht zu sich.

„Warum streitest du ab, dass wir befreundet sind.“, wollte er wissen.

„Geh von mir runter.“, meinte ich nur und versuchte meinen Kopf wegzudrehen.

Er seufzte tief und legte sich einfach ganz auf mich, wobei er die Arme um meine Taille schlang. Er legte seinen Kopf seitlich auf meine Brust, woraufhin ich zu ihm hinab sah.

„Ich mag dich wirklich.“, meinte er, „Und ich will mit dir zusammen sein.“

„Das geht nicht.“

„Doch, es geht.“

„Nein. Ich werde nicht mit dir zusammen sein. Und ich werde auch nicht mit dir befreundet sein.“

„Warum willst du das nicht? Du kannst nicht dein ganzes Leben lang allein sein.“

„Das verstehst du nicht.“

„Erzähl es mir.“

„Nein.“

„Na los. Erzähl schon.“

„Nein.“

Er zog sich ein wenig hoch und drückte sein Gesicht leicht an meinen Hals, wobei er es ignorierte, dass ich versuchte ihn wegzuschieben. „Bitte. Erzähl es mir.“

„Levantin, geh von mir runter.“

„Erst wenn du mir endlich sagst, warum du nicht willst, dass wir befreundet sind.“

Ich seufzte tief und drehte den Kopf auf die Seite. „Ich will es einfach nicht. Du bist genau der Typ Junge, der die Freundin ein paar Wochen hält und sich dann eine Andere sucht. Ich ertrage es nicht ständig jemanden zu verlieren, weil ich immer etwas falsch mache.“

Er hob abrupt den Kopf. „So bin ich nicht. Ich hatte bisher nur zwei Freundinnen. Und mit beiden war ich mindestens ein Jahr lang zusammen. Ich war es nicht der Schluss gemacht hat. Sie waren es. Und ich war ihnen immer treu. Außerdem, warum solltest du etwas falsch machen?“

Ich sah eine Weile zu ihm auf und war bereit mich jedes Grashalm zu klammern. „Liebst du mich?“

Die Luft wich aus seine Lunge, ihm entglitt sein Gesichtsausdruck und ich war mir sicher, er wäre sogar blass geworden, wenn er nicht den Kopf geschüttelte hätte, als wolle er den Kopf frei bekommen.

„Ob ich dich liebe?“ Es hörte sich eher so an als würde er sich das selbst fragen. Er zog die Brauen zusammen und sah auf das Gras, als hätte es die Antwort für ihn. „Dich lieben?“ Er schwieg eine Weile und schien einfach nur darüber nachzudenken. „Meilė...“

Was? „Wie bitte?“

Er hob den Kopf und sah mich verwundert an. „Was?“

„Was hast du gerade gesagt?“

Er zog die Brauen zusammen. „Was habe ich denn gesagt?“

„Irgendwas von wegen Meile.“

Sein Gesichtsausdruck entspannte sich wieder. „Meilė. Das ist Litauisch.“

„Du sprichst Litauisch?“

„Meine Eltern sind Litauer. Sie haben mir Litauisch und Englisch beigebracht.“

„Oh. Und was bedeutet Meilė?“

„Es heißt Liebe.“

„Oh.“

Die Stille breitete sich wieder über uns aus, während er offenbar wieder nachdachte. Ich versuchte so kalt wie möglich auszusehen, während er mich betrachtete.

„Ich weiß es nicht.“, meinte er letzten Endes. „Ich bin mir nicht sicher. Sowas habe ich noch nicht gefühlt. Aber es fühlt sich gut an.“

Er beachtete mein entsetztes Gesicht nicht und küsste mich einfach wieder. Er hielt mich etwas fester bei sich und zog mich an der Taille und am Nacken zu sich. Ich dagegen konnte nicht reagieren und ließ es einfach über mich ergehen. Er schien nicht mal daran zu denken aufzuhören. Er küsste mich immer weiter, als würde er sterben, wenn er aufhörte. Die Hand an meiner Taille suchte den Ausschnitt am Rücken und streichelte ihn, ohne darauf zu warten, dass sich meine Anspannung löste. Ich bekam langsam Angst, weil er mich auf dieselbe Art küsste wie der Mann im Wald. Levantin küsste mich zwar nicht so aggressiv, aber ich wusste genau was er wollte. Und das machte mir Angst. Ich konnte mich vor Angst nicht mehr bewegen oder ein Ton von mir geben. Levantin schien das nicht einmal zu bemerken, denn er küsste mich einfach weiter. Auch als ich begann zu zittern. Erst als er eine Spur von Küssen über meine Wange zog und die Tränen schmeckte, hielt er inne und erstarrte. Dann hob er ruckartig den Kopf und sah mich entsetzt an.

„Letty?“ Er hob die Hand von meinem Nacken um mich an der Wange zu berühren, aber dann kam ich aus meiner Starre heraus und wich zurück, wobei ich ihn von mir weg schubste.

Die Hängematte schaukelte und wir fielen hinaus, was mich jedoch sonderlich wenig interessierte. Ich stand auf und eilte zur Gartentür.

„Violeta, warte!“

Ich ignorierte ihn einfach und rannte den Flur hinab zur Treppe, wo ich hinauf eilte und dabei zwei Stufen auf einmal nahm.

„Violeta! Warte doch!“

Oben angekommen hörte ich wie er an der Treppe ankam und mir hinauf folgte. Ich war bereits an meiner Zimmertür als er oben ankam. Ich öffnete sie schnell, huschte hinein und warf sie sofort wieder zu und lehnte mich dagegen. Mein Herz raste vor Panik. Ich tastete nach dem Schlüssel und schloss in dem Augenblick ab in dem Levantin die Tür öffnen wollte.

„Letty, lass mich rein. Bitte.“

Ohne ihm zuzuhören ging ich weiter zur Badezimmertür und schloss diese ebenfalls ab. Dann setzte ich mich auf mein Bett und rückte in die Ecke, die am weitesten von der Tür entfernt war. Ich ignorierte Levantins Bitten um Einlass und wickelte die Decke um mich, wobei ich die Knie anzog und die Arme darum schlang. Ich zitterte am ganzen Körper und biss die Zähne zusammen, damit sie nicht klapperten.

Als plötzlich die Tür aufging, riss ich den Kopf hoch und erkannte Dad und Alistair in der Tür.

„Letty, was ist los?“, wollte Dad sofort wissen und eilte zu mir.

Er setzte sich zu mir ans Bett und nahm mein Gesicht in seine Hände. Alistair ging in den Flur. Ich wusste nicht was er dort machte.

„Violeta, was ist passiert?“, fragte Dad weiter und sah mich besorgt an, während er mir die Tränen von den Wangen wischte.

„Ich hab Angst.“, gab ich leise zurück und drängte mich an ihn. „Ich hab Angst, Papa.“

„Ist schon gut.“ Er schlang die Arme um mich und hielt mich fest bei sich, wobei er mir den Rücken streichelte und seine Wange an meinem Schopf schmiegte, während ich mich an ihn lehnte und zitterte. „Es ist alles in Ordnung. Wir sind hier allein. Im Haus ist niemand den du nicht kennst. Arlette ist mit Brandon und Cecile nach hause gegangen. Nur du, Jole, Alistair, Levantin und ich sind im Haus. Es ist alles okay.“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich hab Angst.“

Er küsste mich auf die Schläfe und rieb mir über die Oberarme. Ein Zeichen dafür, dass er wieder loslassen wollte, aber ich zog ihn nur fester zu mir.

„Lass mich nicht allein.“

Ängste

Als ich am nächsten Morgen wach wurde, bemerkte ich, dass es offenbar später war als an den letzten Schultagen. Dies bestätigte sich als ich auf den Wecker sah. 13:10 Uhr. Ich seufzte tief und stand auf um mich anzuziehen, wobei ich bemerkte, dass ich das schwarze Kleid noch trug. Dann fiel mir wieder alles ein und ich ließ mich wieder auf dem Bett sinken. Dad hatte mich für ein paar Tage krankgeschrieben.

Als ich kurz darauf wieder aufstand und das Kleid auszog, fiel mein Blick auf mein Buch Feuer und Stein. Ich erinnerte mich daran, wie Levantin damit in meinem Bett gelegen hatte, während ich das Kleid anzog. Er hatte mich nicht angesehen. Stattdessen hatte er die ganze Zeit ins Buch gesehen und hatte sich sogar auf den Bauch gelegt.

Mir fiel auch wieder ein, wie wir beide auf dem Bett gesessen hatten. Er hatte die Hand auf meinem Rücken gehabt und sie so lange nicht bewegt, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Dann hatte er meinen Rücken gestreichelt, mir aber nicht wehgetan. Im Gegenteil. Es hatte sich sogar schön angefühlt. Aber nun... Ich wusste nicht, ob er letzten Abend vergessen hatte zu warten, oder ob er es mit Absicht nicht getan hatte. Aber er hatte mir Angst gemacht und mich an den Abend im Wald erinnert.

Ich schüttelte den Kopf um die Erinnerungen loszuwerden und ging ins Badezimmer, wo ich unter die Dusche sprang. Gerade mal 15 Minuten später betrat ich, in einem Handtuch eingewickelt, mein Zimmer und zog mich an. Als ich am Fenster vorbei kam, fiel mir der Streuner auf, der an der Straße vor unserem Grundstück stand und unschlüssig auf die Tür sah. Dann, als hätte er meinen Blick gespürt, sah er zu meinem Fenster auf und blickte mich an. Zögernd hob er die Hand und winkte mir grüßend zu. Ich seufzte kurz, ging zur Tür und verließ das Zimmer, um mir etwas zu Essen zu machen. Als ich die Küche betrat, sah ich zu meiner Überraschung Mom und Dad am Tisch sitzen. Sie sahen beide auf als ich herein kam und Mom ging an die Theke, um mir etwas zu essen zu holen.

„Wie geht’s dir heute?“, fragte sie dabei und sah mich besorgt an als sie zurück an den Tisch kam.

„Etwas besser.“, gab ich zurück und setzte mich zu Dad.

„Hast du gut geschlafen?“

„So wie immer.“

Sie stellte mir einen Teller mit gebratenem Speck und Rührei hin und legte mir eine Gabel daneben. Unwillkürlich dachte ich daran, wie ich dem Streuner und mir etwas zu essen gemacht hatte. Er hatte so schnell gegessen, dass ich ihn nur mit offenem Mund ansehen konnte. Aber es hatte ihm geschmeckt. Offenbar sogar sehr.

„Letty?“

Ich sah auf. „Hm?“

„Du wirkst etwas abwesend.“, erwiderte Dad leicht besorgt.

„Alles okay.“, gab ich zurück und begann zu essen.

Mom und Dad sahen sich kurz an und aßen dann ebenfalls weiter. Nebenbei unterhielten sie sich miteinander, was ich jedoch nur am Rande mitbekam. Als ich fertig war, ging ich ins Wohnzimmer, wo ich mich, wie ich es sonst immer tat, auf die Couch legte und fernsah. Ich zappte durch die Kanäle, auf der Suche nach irgendwas Interessantes. Letzten Endes fiel meine Entscheidung auf eine Doku über Großkatzen.

„Der Tiger ist die größte Raubkatze der Welt. Was ihn auszeichnet ist seine Kraft, nicht Schnelligkeit. In seinem tiefen Brustkorb liegen große Lungen. Die Beine des Tigers sind relativ kurz, aber sehr muskulös. Mit dem langen schmalen Körper bewegt er sich geschmeidig und fast lautlos durch den Wald. Er hat einen großen Kopf und eine kompakte, breite Schnauze, in dem ein kraftvolles Gebiss sitzt.“

Ich horchte der Erzählung aufmerksam zu und fragte mich, wie sehr es wohl schmerzte von so einem Tier gebissen zu werden.

„Das gewaltige Gebiss des Tigers hat in der Regel 30 Zähne. Mit den langen Eckzähnen wird die Beute schnell getötet.“

Okay, das beantwortete meine Frage.

„Die riesigen Pranken können Beutetiere mit einem Schlag zu Fall bringen. Die sichelartigen Krallen sind messerscharf, werden sie nicht gebraucht, können sie eingezogen werden.“

Und das beantwortete meine nächste Frage. Diese lautete: Hatte man eine Chance gegen sie? Offensichtlich nicht.

„Der bengalische Tiger, auch genannt Königstiger, erreicht eine Größe von hundertvierzig bis zweihundertachtzig Zentimetern. Seine Schulterhöhe beträgt etwa neunzig bis hundert Zentimetern und sein Schwanz wird bis zu hundert Zentimeter lang.“

Wow. Klein sind sie ja nicht.

„Wie alle Tiger jagt auch der Königstiger meist allein. Dabei pirscht er sich an seine Beute heran oder überfällt sie aus dem Hinterhalt. Er ist so kräftig, dass er sogar größere Tiere als er selbst erlegen kann; in den Sundarbans sind die Beutetiere aber meist kleiner.

Bei einem typischen Angriff schleicht sich der Tiger in der Deckung der dichten Vegetationen an das Beutetier heran. Dabei bewegt er sich so leise, dass das Beutetier nicht ahnen kann, aus welcher Richtung der Angriff erfolgen wird, selbst wenn es seine Witterung aufgenommen hat.“

„Jetzt hätte ich auch gerne so ein Tier.“, murmelte ich nachdenklich und horchte der nächsten Erklärung.

„Ist der Tiger etwa 20 Meter von seinem Opfer entfernt, startet er den Angriff. Mit nur drei bis vier großen Sätzen überwindet er die Entfernung, spring das Beutetier von der Seite an und wirft es zu Boden.

Tiger töten ihre Beute mit einem Biss ins Genick - sie durchtrennen die Wirbelsäule -, größere Tiere werden mit einem Kehlbiss getötet. Bevor der Kadaver gefressen wird, zieht ihn der Tiger in die Deckung. Reste werden sorgfältig versteckt, um sie dann später in Ruhe zu verzehren.“

Ich verzog ein wenig das Gesicht. „Dann essen sie also kalte Mahlzeiten.“, murmelte ich dabei und machte es mir etwas gemütlicher als weiter erzählt wurde.

„Alte und verletzte Tiger-Männchen sind oft benachteiligt gegenüber ihren jüngeren und gesunden Artgenossen und können sich nicht mehr durchsetzen. So werden sie oft in die Randgebiete ihres Lebensraums abgedrängt und können zu Außenseitern werden, die auf leichte Beute aus sind, beispielsweise Hausvieh, oder sogar Menschen, um zu überleben.“

„Die armen Tiere.“, flüsterte ich. Es wurde eine Weile ein Tiger im Alltag gezeigt, bevor weiter gesprochen wurde.

„Tiger sind Einzelgänger. Erwachsene Tiere leben allein in abgegrenzten Revieren, die sich in der Regel nicht mit Revieren anderer Artgenossen gleichen Geschlechts überlappen. Bei den Weibchen hängt die Größe des Reviers von der Lebensraumqualität und der Beutedichte ab; das Revier muss den Bedürfnissen einer Mutter mit ihrem Nachwuchs gerecht werden.

Männliche Tiere beanspruchen größere Reviere, die sich gewöhnlich mit denen von drei bis vier Weibchen geschickt überlappen. Das bedeutet, dass viele Männchen, meist Jungtiere, kein eigenes Revier haben. Diese leben als Nomaden, durchqueren zwar die Reviere anderer Männchen, vermeiden aber Konfrontationen.“

„Männer sind Schweine. Diese hier sind nicht mal treu.“, murmelte ich, „Gehen einfach zu Anderen, wenn sie es wollen.“

„Sowohl Männchen als auch Weibchen kontrollieren regelmäßig ihre Reviergrenzen, setzen Duftmarken und andere Markierungen. Im Allgemeinen reicht dies aus, andere Tiger aus ihrem Revieren fernzuhalten.“

„Hört sich ja nicht besonders prickelnd an.“ Ich bekam nicht mit, dass es an der Tür klingelte. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt zuzusehen, wie zwei Tiger miteinander umgingen.

„Ein Tiger-Weibchen hat mehrere empfängnisbereite Zyklen im Jahr, gewöhnlich zwischen November und April, alle drei bis neun Wochen für einen Zeitraum von drei bis fünf Tagen, so lange bis sie sich erfolgreich gepaart hat oder die Saison vorbei ist. Durch Brüllen und spezielle Urin-Markierungen in ihrem Revier teilt sie ihren männlichen Artgenossen mit, dass sie brünftig ist.“

„Hört sich so an, als wäre sie ein Kiosk und teilt den anderen mit wann die neue Zeitschrift draußen ist.“

„Das im Revier ansässige Männchen hält die Weibchen im Auge und ist rechtzeitig zur Stelle, um sich zu paaren.“

Ich rollte mit den Augen. „Der Held in der weißen Rüstung.“ Ich hörte nicht, dass Mom jemanden herein ließ. Alles was ich mitbekam, war wie die beiden Tiger auf dem Bildschirm miteinander umgingen und das was der Erzähler mitteilt.

„Manchmal kommt es auch zu Revier-Streitigkeiten. Da aber im Sozialgefüge von Tigern das 'Recht des Ersteren' gilt, gelingt es dem ansässigen Tiger meist, den Eindringling zu vertreiben. Kämpfe um Weibchen sind selten. Häufig sind hingegen Kämpfe zwischen Weibchen und neu hinzugekommenen Männchen.“

Ich schmunzelte ein wenig. „Richtig so.“

„Wenn sich die Tigerin gepaart hat, setzt ihr Zyklus aus, bis ihre Jungen anderthalb bis drei Jahre alt sind, also alt genug, um selbstständig auf die Jagt zu gehen und zu überleben.“

Ich seufzte als ich die Jungen Tiger sah, die mit ihrer Mutter spielten. Sie waren so süß.

„Tiger können Würfe von bis zu sechs Jungen haben, normalerweise sind es-“

„Wie bitte? Sechs Junge?“

Ich sah auf als ich Nikolais Stimme von der Tür hörte und setzte mich auf. „Für gewöhnlich sind es drei bis vier.“, erklärte ich ihm. „Also etwa soviel wie bei Katzen oder Hunden. Was machst du hier?“

Er schüttelte verwundert den Kopf und hielt dann einen Block und ein paar Zettel hoch. „Ich bringe dir die Hausaufgaben und Notizen.“

Ich seufzte kurz, schaltete den Fernseher aus und streckte mich beim aufstehen kurz, bevor ich zu ihm ging. „Geh doch schon mal in die Küche. Ich hole eben meine Tasche aus meinem Zimmer.“

Er nickte und tat das, worum ich ihn gebeten hatte, bevor ich nach oben ging, meinte Tasche holte und in die Küche ging, wo Mom und Dad sich Nikolai unterhielten. Als ich herein kam, machte Dad für mich neben sich platz, woraufhin ich mich neben ihm niederließ und meine Sachen herausholte.

 

Etwa eine halbe Stunde später klingelte es wieder und Mom ging an die Tür.

„Also ist Y gleich 7 und A ist gleich 4.“, beendete Nikolai gerade eine Gleichung.

„BX ist demnach dann 58 und AZ 46, richtig?“

Er nickte auf meine Fortführung. „Ganz einfach. Weiter zu Aufgabe b...“

„Letty, komm doch mal bitte!“, rief Mom aus dem Flur dazwischen.

Ich stand auf und ging in den Flur, wo natürlich unsere Nachbarn waren. Levantin eingeschlossen. Allerdings hing diesmal ein lächelndes Mädchen an seinem Arm und kuschelte sich an ihn. Sie war etwa in meinem Alter, hatte blondes Haar und helle leuchtende grüne Augen.

Ich wand mich an Mom und ignorierte die Beiden vollkommen. „Ja?“

„Könnt ihr vielleicht in deinem Zimmer weiter lernen? Ich wollte das Abendessen vorbereiten.“

Ich hob die Schultern. „Von mir aus.“

Damit ging ich wieder in die Küche und informierte Nikolai darüber, dass wir in mein Zimmer gehen mussten, woraufhin wir die Sachen zusammenpackten und ich ihn dann in mein Zimmer führte. Im Flur konnte ich den Blick des Streuners in meinem Rücken spüren, ignorierte es aber vollkommen und ging weiter die Treppe hinauf. Das Letzte was ich von den Gästen hörte, war wie sie begeistert über die Küche redeten. Ich hörte drei Stimmen. Die Mutter des Streuners, den Vater und offenbar die des Mädchens. Der Streuner selbst schwieg scheinbar.

In meinem Zimmer angekommen, zog ich meinen Tisch etwas weiter in die Mitte und zog zwei Stühle heran. Dann breiteten wir die Hausaufgaben auf dem Tisch aus und arbeiteten weiter.

 

Ganze zwei Stunden später waren wir dann endlich fertig. Ich war mir mit der Hand so oft durchs Haar gefahren, dass sie ganz zerzaust waren, aber das interessierte mich nicht. Stattdessen verabschiedete ich mich von Nikolai und packte nebenbei meine Sachen ein. Dann ging ich nach unten zu den anderen in die Küche, aber nur um mir ein Glas Wasser zu holen und mich damit ins Wohnzimmer zu verziehen, wo ich wieder durch die Kanäle zappte und mich auf der Couch lang machte. Ich seufzte tief und zappte und zappte und zappte. Irgendwann kam ich an eine Doku über Europa und sah sie mir eine Weile an, bevor ich weiter zappte. Dann hielt ich bei einem französischen Film.

„Sais-tu seulement ce que tu as fait à moi?“ Weißt du überhaupt, was du mir angetan hast?, wollte eine junge hübsche Frau von einem Mann wissen und gestikulierte wild mit den Händen herum. „Tu as détruit ma vie. Et pourquoi? Pour s'amuser un peu avec une religieuse!“ Du hast mein Leben zerstört. Und wofür? Für ein bisschen Spaß mit einer Nonne!

Ich ergriff die Fernbedienung und zappte weiter. Hin und wieder nahm ich einen Schluck Wasser und zappte die Kanäle wieder hinauf. Mein Kopf lag seitlich auf meinem angewinkelten Arm, während der andere Arm quasi auf dem Boden lag und die Fernbedienung hielt.

„Gibt es denn nichts interessantes in dieser Flimmerkiste?“, seufzte ich und zappte weiter und weiter.

Nach etwa zehn Minuten erreichte ich den tausendsten Kanal. Fünf Minuten später – ich war am Kanal 1500 – strich ich mir kurz das Haar aus dem Gesicht und bemerkte dabei, dass jemand an der Wohnzimmertür stand. Ich zwang mich dazu es zu ignorieren und zappte weiter. Und weiter. Und weiter. Und immer weiter. Am Kanal 2011 angekommen seufzte ich und sah zur Tür, wo ich Levantin bereits vermutet hatte und sich meine Vermutung bestätigte.

„Was willst du?“, wollte ich von ihm wissen und hielt mit dem Zappen inne.

Dort lief gerade eine Dokumentation über die männliche Hormone, woraufhin ich angewidert zur Flimmerkiste sah und einen Kanal weiter schaltete, wo gerade ein Horrorfilm lief. Da es mich überraschenderweise interessierte, sah ich nur halb zu dem Streuner und halb zur Flimmerkiste, um von dem Film, der offenbar gerade erst begonnen hatte, noch so viel wie möglich mit zu bekommen. Durfte ich erwähnen, dass es überraschenderweise bereits dunkel wurde? Die Tierdoku lief wohl länger als ich dachte.

„Ich wollte mit dir über gestern sprechen.“, meinte der Streuner, was ich jedoch nicht wirklich realisierte.

„Aha.“, meinte ich abwesend und konzentrierte mich bereits vollkommen auf den Film.

Ich hörte zwar, dass der Streuner etwas sagte, hörte ihm aber nicht zu, da der Film meine ganze Aufmerksamkeit für sich beanspruchte.

„...anfangen. Was hältst du davon?“

Diese Worte hatte ich lediglich deshalb verstanden, weil es eine Werbepause gab. Ich sah überrascht auf und sah ihn fragend an.

„Was? Wie bitte? Ich hab nicht zugehört, ich meine... Egal. Dad?! Kannst du den Horror hier für mich aufnehmen?!“

„Stell es einfach ein! Ich mach das dann später aus!“, rief Dad zurück, woraufhin ich den DVD-Player kurz so einstellte, dass er den Film aufnahm.

Als alles eingestellt war, stand ich auf und strich mir die Haare aus dem Gesicht. „Also. Du kannst das was du gesagt hast nicht zufällig in Kurzform erklären, oder?“

Er sah mich mit einem Blick an, der mir das Herz gebrochen hätte, wenn ich meine Gefühle ihm gegenüber nicht im Schlaf begraben hätte. Ich konnte nicht genau sagen was sich in seinem Blick widerspiegelte, nur, dass es schlecht wäre, wenn ich für ihn noch Gefühle gehabt hätte. Nun schien es einfach egal zu sein was er von mir hielt. Alles an ihm verlor seine Bedeutung. Nur eine Sache blieb. Und zwar die Angst. Angst davor, dass er mir wieder näher kommen würde. Dass er mir wieder Angst machen würde, oder schlimmer, die Gefühle für ihn wieder aus mir herausholte. Dafür war ich nicht bereit.

„Nein.“, meinte er irgendwann tonlos und bekam einen seltsam leeren Ausdruck im Gesicht. „Das lässt sich nicht kurz erklären.“

„Oh. Na dann.“ Ich sah kurz auf die Uhr. 20:24 Uhr. „Ich glaube es ist Zeit fürs Abendessen.“

Mit diesen Worten ging ich einfach an ihm vorbei in den Flur und weiter in die Küche. Mom schien mich gerade rufen zu wollen, denn sie hatte den Mund bereits geöffnet und sich zur Tür gewandt.

„Oh, da bist du ja schon. Ah, Levantin du auch. Sehr gut. Setzt euch schon mal, ich verteile dann das Essen.“

Ich setzte mich neben Dad und wie ich es mir dachte, setzte sich der Streuner auf den Platz gegenüber... neben dem Mädchen, dessen Name mir entfallen war, nachdem ich mit ihr bekannt gemacht wurde. Ich wusste, dass sie eine Freundin von dem Streuner war und auf eine andere Schule ging, aber der Name fiel mir einfach nicht mehr ein. Es war irgendwas mit S. Sylla oder so.

„Letty?“

Ich sah zu Dad auf als er mich ansprach. „Ja?“

„Kommst du eigentlich mit deinen Bildern voran?“

Ich hielt inne. Die hatte ich ganz vergessen. „Oh oh.“

Während ich das sagte, sprang ich vom Stuhl auf und eilte nach oben. Ich hatte einen Karton mit Farbe gehabt, aber da ich noch nicht malen wollte, hatte ich ihn beiseite gestellt. Daneben war eine Staffelei. Das Problem war, dass die Farbe hart wurde, wenn sie nicht gerührt wurde. Nun öffnete ich schnell den Karton, der in meinem Schrank war, und öffnete eine der Farbdosen um dann die Schultern hängen zu lassen, sie weg zu stellen und die nächste Dose zu öffnen. Zehn Minuten später ging ich mit dem Karton wieder nach unten und stellte ihn im Flur ab, bevor ich wieder in die Küche ging.

„Ich brauche neue Farbe.“

Mom seufzte. „Sie ist hart geworden, oder? Schade.“

„Ich besorge dir gleich morgen neue.“, versprach Dad.

Neben dem Lesen hatte ich ein ganz bestimmtes Hobby. Genau. Malen. Die Staffelei stand früher im Wohnzimmer oder in Dads Arbeitszimmer, je nachdem wo ich gerade die besten Ideen hatte. Dad hatte mir gerne beim malen zugesehen und manchmal sogar versucht zu erraten was ich wohl gerade malte. Die meisten 'Gemälde' waren im Arbeitszimmer und im Wohnzimmer. Einige hingen aber auch hier in der Küche und im Flur.

„Sie malt?“, wollte die Mutter des Streuners neugierig wissen.

„Oh ja.“, gab Mom zurück, „Sie ist eine hervorragende Künstlerin. Das Bild dort drüben ist von ihr.“

Das Bild auf das sie zeigte war ein Mond, der halb hinter den Wolken versteckt war und von Sternen Gesellschaft bekam.

„Das hat sie gemalt?“, hakte unsere Nachbarin nach und sah mich interessiert und neugierig an. „Was hast du denn für Vorlieben? Und was inspiriert dich?“, wollte sie von mir wissen.

Ich kaute langsam auf einem Stück Fleisch herum und schluckte dann, während der Streuner mich neugierig ansah und das Mädchen daneben ihm schöne Augen machte und mich gleichzeitig interessiert und abweisend zu beobachten.

„In New Bern war es der See an dem ich täglich war.“, antwortete ich mit etwas zu eisiger Stimme, wie ich nebenbei bemerkte. „Ich hatte von meinem Zimmer aus einen sehr schönen Ausblick auf die Landschaft. Der Alltag hat mir auch geholfen.“

„Was gab es denn so im Alltag?“

Ich deutete auf ein Bild, auf dem die Sonne gerade unterging. „Sonnenuntergänge.“ Ich deutete ein Bild weiter, auf dem die Sonne hinter Wolken versteckt war und das Licht zwischen den Wolken hervor schien. „Bewölkte aber wunderschöne Himmel. Oder einfache Regentage.“ Ich deutete auf ein Bild neben dem Kühlschrank. Ein Regentag am See. „Man kann alles Mögliche malen. Aber Bilder vermitteln eine Nachricht. Regen bedeutet Trauer, oder nicht? Sonnenuntergänge sind Romantisch und beherbergen Liebe. Hinter Wolken versteckte Sonnen erinnern mich an verschlossenes Glück, das hier und da ausreißt. Und der Mond... Die Realität die sich nicht ändern lässt.“

Mit den letzten Worten aß ich weiter, während die Familie des Streuners mich mit gemischten Gefühlen ansah. Der Streuner selbst sah bei dem letzten Satz etwas verloren da und sah so aus als würde er gar nichts mehr tun. Das Mädchen neben ihm jedoch schien unberührt von dem was ich sagte und holte ihn aus seiner Starre, indem sie ihn auf den Mundwinkel küsste und er sie zerstreut ansah.

„Hm?“

„Iss weiter.“, erwiderte die Blondine und hob seine Gabel an seinen Mund.

Er sah einen Augenblick lang zu mir, erntete dafür jedoch nur Ignoranz und wand sich dann an das Mädchen und öffnete den Mund um die Gabel entgegen zu nehmen. Den Stich in der Herzgegend konnte ich nicht mehr vermeiden, aber ich ließ mir einfach nichts anmerken und aß weiter, während ich mir in Gedanken erklärte, dass ich ihn nie wieder an mich heran lassen würde.

Blondie fütterte den Streuner noch den Rest des Essens lang. Aber diese Stiche tauchten nicht mehr auf. Nach dem Essen blieb ich dann am Tisch sitzen und langweilte mich, während ich mich an Dad lehnte und er mir einen Arm um die Taille legte. Mom spülte ab und die Eltern des Streuners unterhielten sich mit ihr, während sich der Streuner selbst mit dem Mädchen beschäftigte. Diese Beschäftigung bestand größtenteils aus sehr heftigen Flirts und kleinen aber zärtlichen Berührungen.

„Ich glaube wir gehen ein bisschen früher.“, meinte der Streuner irgendwann und stand auf, bevor er der Blondine die Hand reichte.

Seine Mutter lächelte unsicher. „Ja, macht nur.“

„Violeta, geh du doch auch schon schlafen.“, meinte Mom von der Spüle aus.

„Violeta?“, hakte das Mädchen nach als ich aufstand und einwilligte ins Bett zu gehen.

„Was ist?“, wollte ich wissen.

„Die Violeta, von der gesagt wird, sie hätte ihren Bruder umgebracht?“

Ich wusste nur zu gut warum es so still wurde. Mein Blick fiel wütend auf den Streuner, der es nun offenbar sehr eilig hatte weg zu kommen. Statt ihn jedoch darauf anzusprechen und ihm eine Ohrfeige zu geben, tat ich einfach das, was ich am besten konnte. Ich ignorierte ihn vollständig und behandelte ihn wie Luft als ich an ihm vorbei ging um ins Bett zu gehen. Auf der Treppe hielt ich dann nochmal inne und drehte mich zur Blondine um die mir neugierig hinterher sah.

„Um deine Frage zu beantworten. Ja. Ich bin schuld an seinem Tot.“

Ohne noch irgendwas anderes zu tun drehte ich mich wieder um und ging hoch in mein Zimmer. Dort stand ich dann eine Weile in der Mitte des Zimmers und sah an das Bild von Raphael. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Streuner... Nein. Ich würde ihn nicht mehr Streuner nennen. Das würde behaupten, dass er noch irgendwas für mich war. Also, ich sah aus dem Augenwinkel, wie ein Junge mit der Blondine an der Hand zum Haus gegenüber ging und dort an der Tür stehen blieb um zu mir zu sehen. Ich ignorierte es. Als er sich dann der Tür zu wand, bemerkte ich wie mir langsam schwindelig wurde. Ich fasste mir an den Kopf und schüttelte ihn als ich schwarze Punkte sah. Dann ging ich ans Fenster und öffnete es so weit es ging, bevor mir endgültig schwarz vor Augen wurde und ich zusammenbrach. Ich sah gerade noch wie die Tür des Hauses auf der der anderen Straßenseite hinter langem blondem Haar zufiel. Es waren zwei Hände darin begraben gewesen. Die Hände des Jungen. Er hatte sie also geküsst.

 

Als ich langsam wieder zu mir kam, hörte ich ein schrilles regelmäßiges Piepen, wie ich es nach der OP vor zwei Jahren gehört hatte. Ich war im Krankenhaus. Langsam drangen Stimmen heran. Eine Tür wurde geöffnet und sie waren voll da.

„...besser gehen, oder? Wann kann sie wieder nach hause?“ Das war Mom, da war ich mir sicher.

„Es wird noch eine Weile dauern.“, gab eine unbekannte Stimme zurück. „Sie dürfte gleich aufwachen. Wenn Ihr Ehemann ankommt, schicken wir ihn direkt her.“

„Vielen Dank.“

Ich hörte Schritte, die Tür wurde geöffnet und fiel wieder zu. Dann hörte ich wie ein Stuhl oder ein Hocker neben mir abgestellt wurde und kurz darauf nahm jemand meine Hand.

„Oh, Letty. Was ist nur mit dir los? Diese Zusammenbrüche hattest du doch nur als Raphael von uns ging. Was ist nur geschehen, dass es wieder passiert ist?“

Da ich meine Sinne noch nicht ganz beieinander hatte, regte ich mich erst mal nicht und wartete darauf, dass ich wieder voll da war. Das dauerte ein wenig, aber nach einer Weile öffnete ich dann langsam die Augen und sah leicht verschwommen die Decke des Krankenzimmers. Mom sprang im selben Moment auf, indem Dad herein kam.

„Was ist passiert?“, wollte er wissen und war sofort an meiner Seite. Er drehte meinen Kopf zu sich, wobei ich erkannte, dass er seinen Arztkittel trug. Offenbar war er arbeiten gewesen und hatte einen Hausbesuch gehabt und gerade zurückgekommen als man ihm erzählt hat, dass ich hier war. „Schatz, kannst du mich hören?“, wollte er sanft von mir wissen. „Siehst du mich?“

Ich blinzelte ein wenig und nickte dann langsam, bevor er mich auf die Stirn küsste und mein Gesicht befühlte. Dabei bemerkte ich einen stechenden Schmerz am Hinterkopf und am Kiefer, weshalb ich aus Reflex den Kopf weg drehte und Schmerzen im Nacken spürte.

„Das sieht nicht gut aus.“, meinte Dad leise und betastete vorsichtig meinen schmerzenden Kiefer. „Liebling, was ist passiert?“ Diese Frage ging an Mom.

„Sie ist offenbar gestern Abend zusammengebrochen und mit dem Kopf gegen den Tisch geknallt der noch mitten im Zimmer stand. Dann ist sie mit dem Kiefer gegen die Stuhlkante geprallt und auf dem Boden gelandet. Das wird zumindest vermutet.“

„Ich rufe am besten die Krankenschwester und den Arzt der für sie zuständig ist. Sie wird immer wärmer und ist so blass.“

„Das wird die ganze Zeit bereits schlimmer.“

Dad sah mich voller Sorgen an und strich mir das Haar von der Stirn, bevor er mich dort küsste und mir zuflüsterte, dass er gleich wieder da sein würde. Dann löste er sich sichtbar widerwillig von mir und ging hinaus. Ich drehte meinen schmerzenden Kopf zu Mom und legte mich in die kühle, beinahe kalte Hand die sie mir an Wange und Schläfe hielt.

„Mom.“, hauchte ich erschöpft und müde. „Dad.“ Eine Träne kullerte aus meinem Augenwinkel auf das Kissen. Raphael, dachte ich mir und fragte mich ob es wirklich nur drei Menschen gab oder gegeben hatte die mir am wichtigsten waren. Ich wollte die Antwort nicht wissen.

Als Dad mit einer Krankenschwester und einem Arzt zurück kam, wurde ich kurz untersucht und bekam dann Medikamente, sowie eine Schlaf- und eine Schmerztablette, bevor die Beiden wieder gingen und mich mit meinen besorgten Eltern allein ließen.

 

Als ich erneut zu mir kam, war es ganz still und kalt. Ich öffnete langsam die Augen und blinzelte gegen das Licht an, das mich blendete.

„Letty? Bist du wach?“

Als Raphaels Stimme ertönte, riss ich die Augen auf und saß sofort kerzengerade im Bett. Dort stand er. An der Tür des Krankenzimmers. Aber irgendwas war anders.

„Raphael?“, flüsterte ich leise und blinzelte heftig.

Er lächelte matt und kam näher um sich an die Bettkante zu setzen. Ich machte ihm sofort Platz und sah ihn mit großen Augen an.

„Du... du bist doch... tot.“, flüsterte ich und fasste mir an den Kopf.

Er sah auf und nahm meine Hand in seine. „Ich fühle mich doch real an, oder?“ Er legte meine Hand an seine Wange. „Ich... war nicht richtig tot.“

Verwirrt zog ich die Brauen zusammen. „Was? Aber... Ich habe es doch gesehen. Das Messer hat dich direkt in der Brust getroffen. Du warst tot.“

„Scheintot trifft es wohl eher.“

„Scheintot.“ Meine Stimme war nicht mehr als ein Hauch. „Raphael?“

Er nahm mich sanft am Nacken und zog mich zu sich um mich auf die Stirn zu küssen.

„Wo bist du gewesen? Warum hat man uns nicht Bescheid gegeben? Du wurdest doch beerdigt?“

Er schüttelte langsam den Kopf. „Ich bin darin aufgewacht bevor er zum Grab getragen wurde. Ich hatte die Erinnerungen verloren und eine Weile durch die Stadt gewandert. Irgendwann hat mich jemand auf gegabelt und mich ein bisschen versorgt und mir geholfen. Ich hatte Glück, dass ich nicht an den Falschen geraten bin. Er ist mit mir weggezogen. Hierher. Vor ein paar Tagen habe ich die Erinnerungen wiederbekommen und bin sofort nach New Bern gefahren. Aber dann musste ich feststellen, dass ihr umgezogen seit.“

Ich hob zaghaft die Hand und berührte ihn an der Wange, während mir eine Träne über die Wange lief und ich zaghaft sein Gesicht abtastete. Er sah noch genauso aus wie früher.

„Ich... Ich habe gedacht ich würde dich nie wieder sehen.“

Er nahm die Hand von seiner Wange und küsste die Innenfläche. „Ich auch.“

Nun konnte ich mich nicht mehr halten und fiel ihm weinend in die wartenden Arme. Ich klammerte mich verzweifelt an ihn und drückte mein Gesicht an seinen Hals.

 

Als die Tür geöffnet wurde, erschrak ich aus meinem Traum und sah in das Gesicht der Schwester aus der Nachtschicht.

„Alles in Ordnung mit Ihnen? Sie waren ziemlich laut.“

Ich atmete hörbar aus und ließ mich wieder ins Kissen fallen. „Ja. Alles okay.“

Sie nickte und verließ dann wieder das Zimmer. Ich lag noch eine Weile wach, bevor ich dann wieder einschlief. Aber warum hatte ich nicht von der einen Nacht, sondern von Raphaels auftauchen geträumt? Er war tot. Begraben. Es tat weh daran zu denken, aber bevor ich einschlief ließ ich mir diesen Gedanken wieder und wieder durch den Kopf gehen. Von seinem Auftauchen zu träumen war beinahe schlimmer als von seinem Tot zu träumen.

 

Levantin

Ich seufzte tief und rollte mich auf die andere Seite. Heute Morgen hatte ich den Krankenwagen gehört. Ich hatte den Streit, den ich mit Sylvia hatte, links liegen lassen und war ans Fenster getreten, wo ich gesehen hatte wie ein Sanitäter ins Haus gegenüber geeilt war. Violetas Mutter hatte weinend an der Tür gestanden. Ein paar Minuten später war Violeta dann mit einer Trage in den Krankenwagen gebracht worden. Sylvia war sofort vergessen. Ohne auf sie zu achten war ich nach unten geeilt und nach gegenüber gerannt. Violetas Mutter hatte mir erzählt, dass sie Letty bewusstlos in ihrem Zimmer gefunden hatte. Da sie Blut auf dem Boden gesehen hatte, hatte sie den Notarzt gerufen.

Nun lag ich hier in meinem Bett und kam vor Sorge beinahe um. Am liebsten hätte ich sie im Krankenhaus besucht, aber sie hatte mich am Abend zuvor so kalt angesehen, dass ich bezweifelte, dass sie mich überhaupt bemerken, geschweige denn mit mir reden würde. Das war auch der Grund gewesen, weshalb ich hier geblieben bin, als ihre Mutter mir anbot mich mit ins Krankenhaus zu nehmen. Nun wünschte ich mir ich wäre mitgefahren.

Ich drehte mich wieder auf die andere Seite. Ich wusste warum Letty so wütend auf mich war. Weil Sylvia sie auf das Gerücht angesprochen hatte. Ich nahm an, dass sie dachte, Via wüsste es von mir. Aber dem war nicht so. Ich hatte ihr nie davon erzählt. Niemanden. Ich hatte sie zuhause sogar deshalb angebrüllt. Sylvia hatte mich verletzt angesehen, aber ich hatte es ignoriert. Dann hatte ich sie vorsichtig im Haar genommen und ihr ganz genau erklärt was sie falsch gemacht hatte. Dann hatte ich ihr erzählt, dass das Gerücht nicht stimmte. Damit war der erste Streit zwischen uns ausgebrochen, der damit endete, dass sie sich im Gästezimmer einschloss und ich ins Bett ging.

Heute Morgen war es dann erneut eskaliert, was damit endete, dass sie ihre Sachen packte und mir die Freundschaft kündigte, die etwa vier Jahre lang gehalten hatte. Was mich wunderte war jedoch, dass ich keinerlei Reue verspürte. Ich bereute nicht sie angebrüllt zu haben. Ich war zwar nicht der Typ der Frauen gegenüber aggressiv wurde, aber in dem Augenblick hatte es sogar seltsam gut getan.

Wieder drehte ich mich auf die andere Seite und dachte an Violeta. In den letzten Tagen hatte ich seltsam oft an sie denken müssen. An ihre Augen. Ihre kalte Art. Irgendwas in mir wollte hinter die eiskalte Fassade und ihre warmen Gefühle genießen. Ich wollte sie in den Armen halten, sie küssen. Ich wollte mit ihr zusammen sein. Ich wollte...

Überrascht stellte ich fest, dass ich wollte, dass sie mich liebt. Und als ich nun darüber nachdachte warum ich es wollte...

Ich schüttelte den Kopf. „Prakeiktas, Violeta. Aš nežinau, jei aš myliu tave jau nori.“ Verdammt, Violeta. Ich weiß nicht ob ich dich schon lieben will. Ich atmete durch und setzte mich auf, wobei ich mir mit der Hand durchs Haar fuhr. „Kodėl tu turi tik tiek, prakeiktas gražus. Tai suteikia beveik tvarka.“ Warum musst du nur so verdammt schön sein. Das bringt einen ja fast um.

Ich seufzte tief, stand auf und ging in die Küche, wo ich mir einen kleinen Snack machte und ein Glas Wasser trank, bevor ich wieder müde in mein Zimmer ging und mich hinlegte.

„Violeta. Mano gražus ledo princese.“ Meine wunderschöne Eisprinzessin.

Diese Worte hallten sogar noch im Schlaf in meinem Kopf wider.

 

Violeta

Als ich am morgen aufwachte, kam gerade die Krankenschwester mit meinem Frühstück herein. Ich seufzte als ich es sah.

„Ich weiß, es sieht nicht besonders prickelnd aus.“, meinte sie freundlich, „Aber es schmeckt sehr lecker.“

„Es erinnert mich an das Essen, das meine Oma immer essen muss, weil sie keine Zähne mehr hat.“, meinte ich und zwang mich dazu mich aufzusetzen.

Sie lachte ein wenig, stellte es mir hin und ging dann wieder hinaus. „Ihre Eltern haben angerufen und wollten, dass ich Ihnen sage, dass sie in einer Stunde herkommen und jemanden mitbringen.“

„Hm.“ Ich ahnte bereits etwas Schlechtes. Etwas sehr schlechtes.

Und es bestätigte sich genau 54 Minuten später. Mom und Dad kamen herein. Das war noch okay. Aber ihnen folgte der Junge, deren Name ich nicht mal denken wollte.

„Guten morgen, meine Kleine.“, meinte Dad, „Geht’s dir besser?“

Ich setzte mich wieder auf. „Teilweise. Angesichts des Frühstücks, gehe ich mal davon aus, das sie glauben ich wäre eine zahnlose Oma.“

Mom zog die Brauen hoch und Dad lachte ein wenig. „Wie kommst du darauf?“, wollte er dann wissen und küsste mich auf die Stirn, bevor die beiden sich auf die eine Seite und der Junge sich auf die andere Seite des Bettes stellten, wobei Dad für sich und Mom Stühle heran zog.

„Sie haben mir etwas zu essen gegeben, das Oma essen muss. Weil sie keine Zähne hat.“

Ich erwartete, dass der Junge sich hinsetzen und schweigen würde. Aber stattdessen tat er genau dass, was ich als letzte erwartet hätte. Er beugte sich zu mir hinab, hauchte mir einen Kuss auf den Mund uns setzte sich auf einen Hocker, den er heran zog.

Ich sah ihn entgeistert an, aber er sah einfach zurück, als wäre es ganz normal, dass er mir einen Kuss gab, sich setzte und – als wäre der Kuss nicht schon genug – meine Hand nahm.

„Ich hoffe es geht dir bald besser.“, meinte er besorgt und hauchte einen Kuss auf meinen Handrücken.

Meine Augen wurden ein bisschen größer und ich hätte ihm beinahe meine Hand entrissen. Stattdessen sah ich zu Mom und Dad. Mom lächelte ein wenig und Dad beobachtete den Str- den Jungen aufmerksam mit nachdenklichem Blick. Dann sah er mich wieder mit besorgtem Blick an.

„Hast du gut geschlafen? Wie fühlst du dich?“ Er rückte näher heran und befühlte mein Gesicht.

„Ich fühle mich ganz okay. Mir ist immer noch heiß, aber nicht mehr so sehr wie gestern. Was den Schlaf betrifft... Ich habe von Raphael geträumt.“

Er hielt inne. „Von Raphael? Ich dachte, das tust du jede Nacht.“

„Ja, aber diesmal war es nicht... diese Nacht von der ich geträumt habe.“

Ich erklärte ihm kurz war genau ich geträumt hatte, woraufhin seine Stirn sich langsam glättete und er mit seiner Untersuchung fortfuhr.

„Ich bin aufgewacht, weil die Nachtschwester herein gesehen hat. Sie meinte ich wäre laut gewesen... dabei war ich gar nicht laut. Jedenfalls nicht im Traum.“

„Ist schon okay.“, gab Dad sanft zurück und drehte meinen Kopf ein wenig zur Seite um mein Kinn zu begutachten. „Ich bitte die Schwester später dir eine Salbe zu geben. Du musst dem Bereich hier damit einschmieren, okay.“ Er malte mir dem Daumen sanft einen Bereich auf meinem Kinn, woraufhin ich nickte. „Komm ein bisschen näher. Ich möchte mir deinen Hinterkopf ansehen.“

Ich rückte etwas näher an den Rand und half ihm dabei den Verband ab zu machen, dass um meinen Kopf gewickelt war. Dann drehte ich mich mit dem Rücken zu Dad, woraufhin ich gezwungenermaßen zum Stre- – in Gedanken biss ich mir auf die Zunge – zum Jungen sah.

Dieser griff wieder nach meiner Hand, die er loslassen musste als ich Dad mit dem Verband geholfen hatte.

„Ich würde später gerne mit dir sprechen.“, meinte er leise zu mir, während Dad sich meine Verletzung am Hinterkopf ansah.

Ich senkte nur den Blick und fragte mich warum er mich plötzlich so behandelte. Er war doch nicht etwa... Ich sah aus dem Augenwinkel zu ihm auf. Er war es. Da war ich mir sicher.

„Was ist?“, wollte er verwirrt wissen, als er meinen abschätzenden Blick bemerkte.

„Ich glaube, ich weiß was in deinem Kopf vorgeht.“, meinte ich nachdenklich. „Eine Stimme sagt zu dir: Selbstzerstörung wird eingeleitet. 3... 2... 1... 0... Error Error Error.“

Er fing an zu lachen.

„Violeta!“, tadelte Mom mich, während Dad versuchte das Lachen bei sich zu behalten und Levantin so laut lachte, dass man es sicher den ganzen Flur entlang hören konnte.

Ich bemerkte wie mein Mundwinkel zuckte, verkniff mir jedoch jegliche Reaktion. Als er sich vom Lachen erholt hatte, sah Levantin mich an und wischte sie die Tränen aus den Augen.

Jūs esate fantastinis. Tiesiog tobulas.“

„Was?“

Er winkte ab und lachte leise. „Fantastiška ir tobulas.“

„Was sagst du ständig?“

„Das ist nicht so wichtig, sužeisti zuikiai.“

Wie hatte er mich genannt? Sužeisti zuikiai? Was das wohl bedeutete? Verdammt, dieser Junge machte mich neugierig.

„Was heißt das schon wieder?“, wollte ich wissen und zog die Brauen zusammen.

„Wenn ich es dir sage, versprichst du mir, dass du mich dann nicht irgendwie komisch oder verärgert ansiehst?“

Ich zögerte kurz. „Okay.“

Sužeisti zuikiai bedeutet verletztes Häschen.“

„Häschen?!“

Ich hörte Mom kichern, während Dad leise lachte. Levantin grinste ein wenig. „Ist dir Aksominė kojenas lieber?

Aksominė kojenas?“

Er lächelte etwas mehr. „Hört sich gar nicht so schlecht an, wenn du litauisch sprichst.“

Aksominė kojenas hört sich gar nicht so schlecht an. Was heißt das?“

„Samtpfötchen.“

„Oder auch nicht.“

Dad begann mir einen frischen Verband um den Kopf zu wickeln.

„Und Daisies?“

Ich zog die Brauen zusammen.

„Tausendschön.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Was von den drei ist dir denn am sympathischsten?“

„Keins.“

„Dann werde ich mich wohl mit Mėgstamas zufrieden geben.“

Irgendwas sagte mir, dass das kein gutes Wort war, das er sich aussuchte.

„Fertig.“, meinte Dad hinter mir.

Ich setzte mich wieder richtig hin und legte mich ins Kissen. Ich wusste nicht warum, aber aus irgendeinem Grund war ich erschöpft. Mir wurde wieder wärmer und die Decke drehte sich ein wenig.

„Dad?“

„Ja?“ Er beugte sich zu mir und bemerkte offenbar dass ich etwas roter geworden war, denn er befühlte mein Gesicht und sah besorgt aus. „Sieht nicht gut aus.“, meinte er halblaut, „Ist dir wieder wärmer geworden?“

„Ja. Und alles dreht sich.“

Ich kniff kurz die Augen zusammen und kurz tanzten schwarze Punkte vor meinen Augen, weshalb ich den Kopf schüttelte und versuchte mich aufzusetzen. Das gelang mir jedoch nicht, was bedeutete, dass ich sofort zur Seite kippte. Levantin musste mich auffangen und hielt mich fest. Unwillkürlich machte ich große Augen, weil ich mein Gleichgewicht einfach nicht halten konnte.

„Dad?“ Ich bemerkte die Panik in meiner Stimme, die sich dann auch in mir bemerkbar machte als meine Sicht langsam verschwamm. Ich blinzelte angestrengt und klammerte mich an die Arme die mich festhielten. „Dad!“

„Leg dich hin.“, meinte er plötzlich.

Ich bemerkte dass meine Sicht rötlich wurde. Blutrot.

„Hinlegen, Violeta. Levantin, warte bitte draußen.“

„Weint sie etwa gerade blutige Tränen?“, wollte dieser fassungslos wissen.

„Was?!“, rief ich aus.

„Levantin, geh nach draußen. Jole, geh du bitte auch.“

„Papà!“

„Es wird alles wieder gut. Es hört sich schlimmer an als es ist, okay. Du musst dich beruhigen, Letty. Deine Körpertemperatur darf nicht ansteigen.“

„Ich habe Angst.“

„Es wird alles wieder gut. Das verspreche ich dir.“

Das letzte das ich noch wahrnahm, war wie er mich auf die Stirn küsste und ein Tropfen auf mein Gesicht fiel. Er weinte.

 

Als ich langsam wieder zu mir kam, bemerkte ich als erstes das Beatmungsgerät. Als nächstes hörte ich wieder dieses Piepen. Das Taube Gefühl in meinen Gliedmaßen sagte mich das ich wohl ein Schmerzmittel bekommen hatte. Ich nahm an es war Morphium.

Ich öffnete langsam die Augen und sah erst nur verschwommen. Kaum waren sie jedoch weit genug offen das man es sah, tauchte Dads Gesicht vor mir auf.

„Wie fühlst du dich?“, wollte er besorgt wissen.

Ich blinzelte langsam. „Als hätte man mir zu viel von der Droge gegeben. Kannst du es demnächst nicht mit Narcein versuchen?“

Er atmete erleichtert aus. „Ach du. Sei lieber froh das es kein Narcein war.“

„Ich bin aber nicht froh darüber, dass es Morphium ist.“

„Wäre es etwas Schwächeres gewesen, würdest du jetzt Schmerzen haben.“

Ich seufzte. „Ich bin müde.“

„Dann schlaf noch eine Weile.“

Ich seufzte als er mich auf die Stirn küsste. Dann verschwand er aus meinem Blickfeld und kurz darauf hörte ich die Tür zufallen. Keine vier Sekunden später schlief ich bereits tief und fest.

 

Mein Traum lief seltsam ab. Anfangs war es der Pure Horror, da ich wieder von der Nacht im Wald träumte. Aber gerade als der Fremde richtig beginnen wollte, tauchte jemand auf und riss ihn von mir runter. Ich kugelte mich auf dem Boden zusammen, weshalb ich nicht erkennen konnte wer mich da gerade gerettet hatte. Dann hörte ich aber Levantins Stimme.

„Violeta, ist alles okay mit dir? Du bist voller blauer Flecken. Komm, ich helfe dir.“, bot er mir sanft an, wobei er mich auf den Rücken drehte. Ich wich automatisch zurück, woraufhin er verletzt zurück sah. „Violeta, lass dir von mir helfen. Ich werde dir nichts tun.“

Ich zögerte und ließ ihn dann gewähren. Und in dem Augenblick in dem er mir aufhalf, fiel ich wieder zurück. In ein Bett, wie ich erkannte. Und Levantin landete auf mir, wobei er sich sorgfältig von meinem Mund zu meiner Schulter küsste. Als ich mich gegen ihn wehrte, ließ er sofort von mir ab und sah mich wieder verletzt an.

„Was hast du?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nicht.“

Er ließ langsam von mir ab und sah mich unschlüssig an. „Ich verstehe dich einfach nicht. Wenn ich freundlich zu dir bin, bist du abweisend zu mir. Wenn ich unfreundlich zu dir bin, bist du noch kälter zu mir. Was muss ich tun, damit du einfach... du selbst bist?“

Ich sah ängstlich zu ihm auf.

„Letty, ich will dir nichts Böses. Im Gegenteil.“ Er kam langsam wieder zu mir hinunter und küsste meine Schulter. „Ich möchte, dass du wieder Freude am Leben hast. Verstehst du? Du sollst glücklich sein. Und dabei möchte ich dir helfen.“ Bei dem letzten Satz sah er mir ins Gesicht und küsste mich nun auf den Mund.

 

Ich schlug die Augen auf. Ich rechnete mit dem Beatmungsgerät, aber es war nicht vorhanden. Deshalb wagte ich es mich langsam aufzusetzen.

„Letty, du musst erst mal liegen bleiben.“, meinte Levantin neben mir sofort und hielt mich auf. „Das hat dein Vater gesagt.“

Ich sah perplex zu ihm auf. Er war hier? Wie langes schon? Hatte er vielleicht anhand von gemurmelten Wörtern meinerseits gehört was ich geträumt habe?

„Was hast du? Geht es dir nicht gut? Ist alles in Ordnung, sužeisti zuikiai?“

Sužeisti zuikiai... das hieß doch verletztes Häschen. Apropos... Ich fasste mir an den Hinterkopf, der überraschenderweise nicht mehr wehtat. Ich fand auch keine Verletzung. Ich zog die Brauen zusammen und sah Levantin fragend an.

„Was ist passiert?“, wollte ich wissen und sah mich um.

Ich war in einem anderen Zimmer. Es sah nicht aus wie im Krankenhaus, aber ich war auch nicht Zuhause.

„Wo bin ich?“

„Du...“ Er räusperte sich kurz, woraufhin ich wieder zu ihm sah. „Woran erinnerst du dich noch?“

„Du hast Dad gefragt ob ich tatsächlich blutige Tränen weine.“

Er nickte. „Du musstest in eine OP. Dein Vater hat es gemacht, weil er keinem anderen dein Leben anvertraut hat.“ Er lächelte schief. „Er sagte: 'Entweder ich oder keiner'.“ Das Lächeln verblasse langsam und er setzte sich auf den Hocker neben dem Bett. „Er hat die OP erfolgreich und ohne Fehler durchstanden. Zwei Stunden später bist du wieder aufgewacht und hast dich leise und kurz mit deinem Vater unterhalten. Dann bist du eingeschlafen... und nicht mehr aufgewacht. Du hast deinen Geburtstag verschlafen.“

Das hieß ich hatte über vier Monate im Koma gelegen.

„Und der war vor drei Monaten.“

Sieben Monate.

„Wir haben heute den 20.12.“ Wieder lächelte er schwach. „Weihnachten bekommst du wenigstens mit... Solange du nach dem Einschlafen auch wieder aufwachst.“ Mein Mundwinkel zuckte und er nahm zaghaft meine Hand.

„Wie lange bist du schon hier?“, wollte ich von ihm wissen. „Und wo bin ich?“

„In einem Gebäude in der Nähe des Krankenhauses. Das hier ist eine Praxis für Komapatienten. Hier kann ich dich wenigstens rund um die Uhr besuchen. Da du schläfst und dein Zustand gleich bleibt, ist es quasi egal ob ich nun mittags oder um Mitternacht herkomme.“

Wieder zuckte mein Mundwinkel. „Warst du denn um Mitternacht hier?“

„Immer wenn ich nicht schlafen konnte, was in letzter Zeit ziemlich häufig passierte.“

Nun zog ich die Brauen zusammen. „Du konntest nicht schlafen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Das Personal das nachts hier arbeitet hat gar nicht mitbekommen das ich mich zu dir gelegt habe. Bei dir habe ich geschlafen wie ein kleines Kind. Das sagt zumindest dein Vater, der mich einmal erwischt hat.“ Er lächelte mich amüsiert an. „Er sagte: 'Du schläfst wie ein Kind. Es würde mich nicht wundern, wenn du demnächst zu Letty 'Mama' sagst'.“

Ich lachte ein wenig. „Du bist verrückt.“

„Das sagen alle. Aber erst, seit ich dich kennen gelernt habe.“

Wieder zuckte mein Mundwinkel. „Vorher hast du es wohl immer ausgeblendet, was?“

Nun lachte er leise. „Ich wollte mit dir noch über den Abend reden, an dem ich mit Sylvia bei euch war.“

Meine gute Laune verschwand mit einem Schlag und ich entzog ihm meine Hand. Er ergriff sie sofort wieder und hielt sie fest.

„Hör mir zu. Bitte. Ich habe ihr nichts erzählt. Das Gerücht hat sie von ihrer Schule. Ich wollte lediglich deshalb so schnell mit ihr weg, damit sie dir nicht noch mehr Fragen stellen kann. Immerhin weiß ich ja bereits, dass du Fragen nicht ausstehen kannst.“

Ich zog an meiner Hand, aber er ließ sie nicht los.

„Lass mich erst ausreden.“, bat er, „Verstehe mich doch, ich wusste nicht dass sie von dem Gerücht wusste. Hätte ich es gewusst, hätte ich ihr erzählt, dass es nicht stimmt. Ich hätte es ihr ausgeredet. Und das habe ich auch gemacht als wir bei mir waren.“

Mir kam wieder das Bild in dem Kopf, in dem die Tür fast zugefallen war und er seine Hände in ihrem Haar vergraben hatte. Ich wand den Blick ab.

„Letty. Bitte. Was auch immer du denkst, was wir gemacht haben. Das Einzige was wir gemacht haben, ist streiten. Sie wollte mir nicht glauben und hat gesagt, dass ich dich statt ihrer vorzog. Sie hat gesagt, ich wäre blind vor Liebe. Aber sie hat nur in einer Sache Unrecht. Ich war nicht blind vor Liebe. Ich glaube dir, was auch immer du mir sagst. Aber in ihrer Aussage 'blind vor Liebe' steckt auch etwas Wahrheit. Ich- Violeta, ich liebe dich.“

Ich wurde starr, setzte mich auf und sah ihn erschrocken an. Das hatte er nicht wirklich gesagt, oder? Ganz ruhig, Violeta. Du hast dich verhört, das ist alles. Er hat nicht gesagt 'Violeta, ich liebe dich'. Er sagte... Verdammt, er hat es tatsächlich gesagt!

„W-was sagtest du gerade?“, flüsterte ich ungläubig.

„Ich liebe dich.“

Ich öffnete den Mund um etwas zu erwidern, schloss ihn dann aber wieder, da ich gar nichts zu erwidern wusste. „Ab-aber...“, setzte ich an, „Nein, das geht nicht... I-ich...“ Ich fasste mir an den Kopf. „Nein... Nein nein nein, wir können nicht... Ich... Das geht einfach nicht, verstehst du?“ Ich nahm die Hände wieder runter und sah ihn etwas verloren an.

„Du sagst immer, dass du es nicht willst. Nun sagst du, dass es nicht geht. Und ich möchte jetzt wissen, warum? Warum willst du es nicht? Und warum soll es nicht gehen?“

„Ich kann einfach nicht. Selbst wenn ich es wollte, kann ich es einfach nicht.“

„Willst du denn?“

Ich wand den Blick ab und fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. „Se lo voglio?“ Ob ich es will?

Ich sah zwar, dass Levantin die Brauen zusammenzog, ging jedoch nicht darauf ein.

„Ma non ha importanza se lo voglio. Non posso. Non importa quanto io voglio questo.“ Es ist doch egal ob ich es will. Ich kann einfach nicht. Egal wie sehr ich auch will. Mit diesen Worten ließ ich mich ins Kissen fallen und schlug die Hände vors Gesicht, das ich mir angestrengt rieb, bevor ich sie wieder wegnahm.

„Das hört sich nicht an wie Französisch.“, meinte Levantin zaghaft.

„Italiano.“, meinte ich nur, „Si dovrebbe andare. Lo chiederò papà se possiamo cambiare e se posso andare a scuola.“ Du solltest gehen. Ich werde Dad fragen ob wir umziehen können und ob ich die Schule wechseln kann. Ich bemerkte nicht mal, dass ich noch italienisch sprach. Levantin dagegen verstand kein einziges Wort. „Vai avanti, vai già. Mi lasci in pace.“ Los, geh schon. Lass mich allein.

Das einzige was er Tat, war eine Braue hochziehen. „Ich bin kein Italiener.“

Ich zog die Brauen zusammen. „Lo so.“ Ich weiß.

„Und ich verstehe kein Italienisch.“

„Oh.“ Ich schüttelte den Kopf.

„Ich muss aber schon sagen, dass es einen gewissen Anreiz hat, wenn du Italienisch sprichst. Es hört sich fast genauso gut an, als wenn du Litauisch sprichst.“

„Ich bin mit englisch, französisch und italienisch aufgewachsen. Italiener würden denken ich wäre tatsächlich Italiener. Franzosen würden denken, ich wäre Französin und Amerikaner denken nun mal ich wäre Amerikanerin.“

„Und das bist du doch auch.“

„Nicht... direkt.“

Er zog die Brauen zusammen. „Was bist du dann? Wenn nicht italienisch, französisch oder amerikanisch.“

„Bin ich schon. Aber eben nicht... richtig. Ich habe von allen dreien Blut in mir. Ich bin zwar nicht mit Arlette blutsverwandt, aber aus Moms Seite der Familie gibt es ein paar Franzosen. Ich bin auch zum Teil Schottin. Das darfst du nicht vergessen. Ich bin zum Drittel Italienerin und zum Drittel Schottin. Das letzte Drittel ist auf Amerikanerin und Französin verteilt.“

„Verstehe. Und... was hast du nun zu mir gesagt?“

Ich winkte ab und zog die Beine an. „Das ist jetzt sowieso egal.“

Schweigen breitete sich aus, in dem ich einfach nur da saß und er mich betrachtete.

„Wie spät ist es?“, fragte ich irgendwann.

Ich sah nicht genau was Levantin machte. „20 Uhr.“

„Musst du nicht nach hause?“

„Meine Mom kümmert sich bereits nicht mehr darum, ob ich nun Zuhause oder hier schlafe. Ich habe schon längere Zeiten hier verbracht.“

„Was war das Längste?“

„Eine Woche.“

„Du... hast eine ganze Woche hier bei mir gelegen?“

„Tagsüber bin ich hin und her gegangen.“

Ich seufzte. Da ich ein paar von Dads Büchern gelesen hatte, wusste ich dass ich nicht wieder sofort laufen konnte. Meine Muskeln hatten sich in der Zeit, in der ich sie nicht benutzte, abgebaut. Sie mussten sich neu aufbauen, was bedeutete, dass ich sehr lange damit verbringen würde mit Krücken zu gehen. Ein Rollstuhl kam für mich nicht in Frage.

„Violeta.“ Ich sah zu Levantin. „Ich... würde dich gerne in die Arme nehmen.“

Ich zögerte etwas. Dann streckte ich aber die Beine aus und breitete die Arme aus, woraufhin er sich zu mir setzte und mich in seine Arme zog. Er seufzte und hielt mich einfach nur fest bei sich, während ich mich an ihn lehnte und meinen Kopf auf seiner Schulter bettete. Er schien lange nicht geschlafen zu haben, denn nach drei Minuten sank er gegen mich und schlief ein. Ich sah überrascht in sein Gesicht, welches nun völlig entspannt war. Da es für uns beide unbequem wäre so zu schlafen, legte ich mich vorsichtig ins Bett, wobei ich das letzte Stück mehr fiel, als mich zurück zu legen. Levantin seufzte im Schlaf und machte es sich etwas gemütlicher, wobei er die Arme fest um meine Taille legte und seinen Kopf seitlich auf meiner Schulter bettete. Da er auf mir lag, war es für mich praktisch unmöglich, mich zu bewegen, ohne ihn zu stören. Trotz meiner etwas ungemütlichen Lage, schaffte ich es dennoch einzuschlafen. Kurz bevor dies jedoch passierte, schlang ich noch die Arme um ihn.

 

Als ich wieder wach wurde, bemerkte ich, dass das Gewicht auf meiner Schulter, das Levantins Kopf darstellte, verschwunden war. Als ich die Augen öffnete, stellte ich fest, dass der Kopf nun auf meiner Brust lag und seine Hand direkt über meiner linken Brust lag. Ich blinzelte verwirrt und griff nach der Hand um sie dort weg zu nehmen. Daraufhin seufzte Levantin im Schlaf, nahm meine Hand und legte sie mit seiner auf meine Taille, während er sich an mich kuschelte, tief seufzte und dann ruhig weiterschlief. Ich sah mit großen Augen auf ihn herab und fragte mich was wohl gerade in seinem Kopf vorging, dass er tat, was er gerade tat. Die Frage beantwortete sich von selbst, als er meinen Namen murmelte und einen Schmetterlingskuss auf meine linke Brust hauchte.

Ich war unfähig mich zu bewegen. Auf der einen Seite wollte ich ihn einfach aus dem Bett schubsen. Auf der anderen wollte ich ihn zu mir hochziehen, wecken und mich von ihm küssen lassen. Aber irgendwie wollte ich auch das genießen, was gerade passierte.

Das Levantin schlafend auf mir lag. Das er hin und wieder etwas murmelte und sich an mich kuschelte. Das er kleine Schmetterlingsküsse auf meiner Brust und meinem Schlüsselbein verteilte. Das er meine Hand hielt...

Das wurde jedoch beendet als er aufwachte. Erst schlug er normal die Augen auf. Dann blinzelte er, während ich den Atem anhielt und ihn beobachtete. Ich sah wie sein Blick auf die Brust vor seiner Nase landete und er sofort den Kopf hob.

„Oh.“, meinte er dabei und bemerkte dass ich ihn beobachtete. „Äh... Tut mir Leid. Ich... Ich wusste nicht...“

Er unterbrach sich als ich mir über die Stirn rieb und nickte. „Ich weiß. Du hast geschlafen.“ Ich legte die Hand auf meinen Bauch, während er mich einfach nur ansah und offenbar nicht merkte, dass er noch meine Hand hielt.

„Du... hast mich nicht geweckt oder etwas dagegen unternommen?“, fragte er dann unsicher, ohne den Blick auch nur einen Millimeter von mir abzuwenden.

„Du hast geschlafen.“ Und du hast dabei so süß ausgesehen. „Ich... wollte dich nicht wecken. Du hast... gestern Nacht so müde ausgesehen.“

Er zog die Brauen zusammen. „Du achtest auf... mein Wohlbefinden?“

Wie kam ich da wieder raus? „Ich... Ich... Ich wollte... Ich...“, stammelte ich und überlegte was ich sagen könnte.

Er seufzte tief. „Mažas, ich weiß, du fühlst dich nicht wohl, wenn ich mehr von dir erwarte als Freundschaft. Es ist nur so.... Ich fühle mich wohl wenn ich bei dir bin. Ich habe dann immer das Gefühl... Wenn du nicht bei mir bist, fühle ich mich leer. Ich habe das Gefühl nicht vollständig zu sein, verstehst du? Ich kann nicht schlafen, ich kann kaum was essen, ich habe Sehnsucht nach dir. Aber du tust einfach so, als würde ich dich nicht interessieren. Du hast nicht einmal reagiert, als ich dir alles erklärt habe, was ich dir erklären muss. Du...“ Er fasste sich mit der freien Hand verzweifelt ins Haar. „Violeta, ich gehe daran kaputt.“ Er ließ sich vorsichtig auf mir nieder und schlang die Arme um meine Schultern, wobei er sein Gesicht an meinen Hals drückte. „Es tut mir so Leid, dass ich dir das alles antue. Aber ich kann das nicht. Ich kann nicht bei dir sitzen und dich wie eine normale Freundin behandeln. Ich kann dich nicht wie eine Bekannte behandeln. Aber du willst keine Beziehung.“

Ich hatte geschwiegen und mich kein Stück bewegt, während mein Herz begann zu schmerzen. Dafür würde ich ihn am liebsten hassen. Dieser verdammte Köter hatte sich in meinem Herz eingeschlichen.

Ich schlang zaghaft die Arme um ihn und hielt ihn erst nur locker fest. Dann überkamen mich dir ganzen Gefühle, die ich für ihn hatte, aber unterdrückt hatte. Erst Belustigung, dann Zuneigung, Freundschaft... All die Gefühle die ich in seiner Nähe unterdrückt hatte. Glück, Freude, Trauer, Hass, Euphorie... Liebe.

Ich klammerte mich praktisch an ihn und drückte meinen Mund an den Punkt, an dem sein Hals und seine Schulter aufeinander trafen. Er hob abrupt den Kopf und sah mich verwirrt an, woraufhin ich ihn einfach wieder an mich zog und begann sein Gesicht mit kleinen Küssen zu bedecken. Seine Hände waren auf meine Oberarme gesunken und hielten mich nun dort fest, während er immer verwirrter wurde. Letzten Endes küsste ich ihn und hielt sein Gesicht in meinen Händen. Er gab nur langsam nach. Stück für Stück ließ seine Selbstbeherrschung nach und er küsste mich immer gieriger. Bis er sich schließlich bremsen musste und mich keuchend ansah. Ich hatte einen deutlichen Beweis dafür, was er wollte, aber er hielt sich zurück und sah mich einfach nur an. Irgendwann ließ er sich dann vorsichtig auf mir nieder und ließ seinen Kopf neben meinem auf dem Kissen nieder.

„Aš tave myliu, mano aksomo kojenas.“ Ich liebe dich, mein schönes Samtpfötchen.

 

Ich hatte mich entschieden. Levantin und ich hatten nun offiziell eine Beziehung. Aber bevor es jemand außerhalb unserer Familien erfuhr, musste ich erst mal laufen können. Das übte ich täglich. Meine Familie und natürlich Levin unterstützten mich dabei, weshalb ich sehr gute Fortschritte machte. An Weihnachten schaffte ich es ohne große Schmerzen vom Wohnzimmer in mein Zimmer und zurück. Aber sobald ich am Stück länger lief, begannen meine Beine zu schmerzen.

 

Ich saß nun bei uns im Wohnzimmer und sah den anderen zu, wie sie in kleinen Gruppen standen und redeten. Es waren nicht besonders wenig hier. Ich, meine Eltern, Brandon, Cecile, Alistair, Arlette, Carina, ihr Vater Travis, ihre Mutter Faith, ein paar Verwandte die ich nicht kenne und vorher offenbar verschollen waren... Genau genommen waren es die Familien von Arlette und Travis, die angeheiratet waren. Und deren Familie war offensichtlich riesig. Als würde das nicht reichen war noch Levantins Familie zu Besuch, wohl bemerkt das er offenbar noch mehr Verwandte hatte als Arlette. Levin selbst war damit beschäftigt seinen Cousins von der Zeit zu erzählen, die zwischen dem Jetzt und ihrem letzten Zusammentreffen lag. Brandon unterhielt sich aktiv mit Arlettes Familie und Carina spielte mit Cecile.

Ich seufzte gelangweilt. Irgendwann setzte sich Alistair neben mich.

„Du siehst nicht besonders begeistert aus.“, bemerkte er.

„Hmmm...“, machte ich darauf nur und lehnte mich an ihn. „Niemand hat vor dir mit mir gesprochen. Nicht mal Levin hat mich begrüßt. Oder Brandon. Jeder hat mich ignoriert.“

„Ach du.“, meinte er darauf und tätschelte mir den Kopf. „Ich habe eine kleine Überraschung für dich.“

„Haben die nicht alle?“

Er lachte leise. „Ja, aber meine Überraschung wird dich zum Lächeln bringen. Und du bekommst sie erst zu Silvester, mit der Voraussetzung du kannst bis dahin wieder laufen.“

„Ich kann doch laufen.“

Er lächelte etwas. „Ja, aber du musst noch viel besser laufen können. Etwa zwei Stunden. Ohne Pause.“

Ich zog die Brauen zusammen und fragte mich um was es sich bei der Überraschung wohl handelte. Irgendwann gab ich es aber auf.

„Ich denke, das schaffe ich.“, meinte ich dann lediglich, „Aber warum muss ich zwei Stunden lang laufen können?“

Er lächelte geheimnisvoll. „Das verrate ich dir nicht. Sonst wäre es doch keine Überraschung mehr.“

Ich zog einen Schmollmund, woraufhin er amüsiert lachte und mich auf die Schläfe küsste.

„Der Junge tut dir offenbar sehr gut.“

Der Schmollmund verschwand und ich biss mir leicht auf die Unterlippe. „Ich weiß nicht genau, wie ich damit umgehen soll.“

„Mit Liebe?“

„Ich weiß, wie ich mit Liebe umgehen soll... aber ich glaube...“

„Er ist sich nicht bewusst, was es heißt von dir geliebt zu werden?“

Ich zuckte hilflos mit den Schultern, woraufhin er etwas lächelte.

„Brandon wollte mal mit ihm sprechen.“

Ich zog die Brauen hoch. „Brandon?“

„Mein Sohn hat dir offenbar tatsächlich sein halbes Herz geschenkt.“

Streit unter Verwandten

Als irgendwann ein entfernter Cousin ankam, seufzte ich tief und warf ihm einen finsteren Blick zu. Van grinste mich nur süffisant an und begrüßte die Anderen. Letzten Endes stand er vor mir.

„Ciao tesoro.“ Hallo Cousinchen. Er konnte kein englisch. Italienisch war die einzige Sprache die er beherrschte.

„Vada via.“ Hau ab.

„Come avrei fatto. Ma io sono qui per festeggiare il Natale con la mia famiglia. Partire non è un'opzione.“ Wie gerne ich das tun würde. Aber ich bin hier, um mit meiner Familie Weihnachten zu feiern. Weggehen kommt nicht in Frage.

„Che cosa volete?“ Was willst du?

„Niente. Non posso parlare con il fratello di assassino?“ Nichts. Darf ich mich nicht mit der Brudermörderin unterhalten?

Ich sah ihn wütend an und setzte mich etwas auf. „Se si desidera chattare me ora di nuovo al massimo, si può anche tornare indietro.“ Wenn du mich jetzt wieder damit voll quatschen möchtest, kannst du genauso gut wieder zurück gehen.

Sein Mundwinkel zuckte amüsiert. „E mi manchi così divertente?“ Und mir solchen Spaß entgehen lassen?

„Vattene e lasciami in pace.“ Verschwinde einfach und lass mich in Ruhe.

„Mi fa troppo divertente modo per parlare con voi.“ Es macht mir viel zu viel Spaß, mich mit dir zu unterhalten.

„Non ha niente di meglio da fare? Per esempio, il piano di come si volerà di nuovo dalla scuola?“ Hast du nichts besseres zu tun? Zum Beispiel planen wie du erneut von der Schule fliegst?

Nun verfinsterte sich seine Miene ebenfalls. „Non hai idea!“ Du hast doch keine Ahnung!

„Io so di più di quanto tu possa immaginare. A differenza di te posso comprendere le informazioni di cui almeno per me e ricordati di me.“ Ich weiß mehr darüber als du dir vorstellen kannst. Im Gegensatz zu dir kann ich die mir genannten Informationen wenigstens auffassen und mir merken.

„Tu non sai nulla a tutti!“ Du weißt doch überhaupt nichts!

„E voi non sanno nulla di quello che è successo allora!“ Und du weißt nichts über das, was damals passiert ist!

Mittlerweile war es ganz still im Wohnzimmer, während alle anderen zu mir und Van sahen. Vans Eltern standen bei Mom und Dad und hatten sich wohl anfangs nur anfangs unterhalten.

„Io so di più di voi, a quanto pare!“ Ich weiß mehr darüber als du selbst, wie es scheint!, rief Van zurück.

„Come volete sapere di più di me, ma anche quando ero lì!“ Wie willst du mehr wissen als ich, wenn ich doch selbst dabei war!

Wie immer, wenn Van und ich uns über den Weg liefen, entwickelte sich ein Streit, bei dem keiner was verstand, da wir völlig durcheinander redeten. Unsere Väter versuchten uns zu beschwichtigen, was sich jedoch nicht so einfach machen lässt. Wir wehrten uns stur dagegen, während wir uns immer weiter stritten. Es ging so weit, das wir Nase an Nase voreinander standen und uns anschrieen, bis uns die Hälse wehtaten. Levantin stand nur verwirrt da, weil er nicht mal italienisch verstand. Ebenso wie seine Eltern.

Als ich die Hand heben wollte um Van eine Ohrfeige zu verpassen, schlang Dad die Arme um mich und zog mich zurück. Vans Dad tat dasselbe mit Van und redete auf ihn ein, was Dad ebenso bei mir tat. Wir ignorierten es jedoch und stritten immer weiter. Ich bemerkte am Rande, dass meine Mom traurig seufzte und sich an den Kopf fasste, während sie den Kopf schüttelte.

„Violeta, perché non si può non provare almeno una volta a discutere?“ Violeta, könnt ihr denn nicht wenigstens versuchen einmal nicht zu streiten?, wollte sie wissen, woraufhin ich zu ihr sah.

„Si inizia al momento! Ha detto che sarebbe stato un fratello assassino! Lo ammetto sono colpevole perché non è qui, ma io sono ancora ben lungi dall'essere un assassino!“ Er fängt doch ständig an! Er behauptet ich wäre eine Brudermörderin! Ich gebe zu, ich bin schuld daran, dass er nicht hier ist, aber ich bin noch lange keine Mörderin!

Dad zog mich fester in seine Arme. „Ignora facile. Sai bene che Raffaello per lui come un fratello.“ Ignoriere es einfach. Du weißt ganz genau, dass Raphael für ihn wie ein Bruder war.

„Papà, getta di avermi ucciso prima di lui! Fa dannatamente male sentire questo!“ Dad, er wirft mir vor ihn umgebracht zu haben! Es tut verdammt noch mal weh das zu hören!

„E 'lo stesso!“ Es ist doch auch so!, rief Van dazwischen, „Avevi non è stato lì, sarebbe ancora vivo su!“ Wärst du nicht gewesen, wäre er jetzt noch am leben!

„Van!“, tadelte sein Vater.

Aber es war zu spät. Es brach wieder ein Streit aus, der einfach nicht zu stoppen war. Es war schwer zu glauben, dass Van und ich mal unzertrennlich waren.

All das Geschrei endete damit, dass ich Van doch noch eine Ohrfeige geben konnte und in mein Zimmer ging. Meine Beine schmerzten vom langen stehen, weshalb ich auf der Treppe beinahe zusammenbrach. Aber ich zwang mich immer weiter und hörte wie mir jemand folgte. Kurz darauf schlang Levantin einen Arm um meine Taille und hob mich hoch.

Ich lehnte mich an ihn und schloss die Augen, während er mich in mein Zimmer brachte und ins Bett legte. Er legte sich zu mir und schlang die Arme um mich, woraufhin ich mich an ihn kuschelte und das Muster auf seinem T-Shirt nach fuhr.

„Worüber habt ihr gestritten?“, wollte er irgendwann wissen und streichelte mir beruhigend übers Haar.

„Er hat mir mal wieder vorgeworfen Raphael umgebracht zu haben.“

„Was?!“ Er setzte sich auf und sah mich erschrocken an.

Ich seufzte und zog ihn wieder zu mir hinunter, woraufhin er mich fester in die Arme nahm. „Es ist bei ihm nicht sonderlich schlimm. Van und ich streiten immer, wenn wir uns über den Weg laufen. Das was du heute mitbekommen hast, war ein typischer Streit. So oder so ähnlich läuft es immer ab. Manchmal prügeln wir uns auch, aber heute...“

Er strich mir mit den Fingerspitzen über die Wange. „Warum wirft er dir Sowas vor?“

Ich seufzte tief. „Früher, als wir klein waren, war er jeden Sommer zu Besuch. Er kann nur italienisch sprechen, also habe ich schon damals italienisch gelernt. Van und ich waren unzertrennlich. Mit Raphael haben wir so viel Unsinn gemacht, wie kein anderer in der Nachbarschaft. Raphael war für Van wie ein Bruder. Es war für ihn okay, dass Raphael mich lieber hatte. Ich war immerhin die kleine Schwester. Aber Raphael hatte Van auch sehr gern. Wir waren wie drei Geschwister. Aber dann... Seit dem Augenblick, in dem Van gehört hat, dass ich in gewisser Maßen Schuld an Raphaels Tot bin, hasst er mich über alles.“

„Du bist nicht daran schuld. Du warst jung. Du warst noch ein Kind. Versteh doch, wenn du nicht da gewesen wärst-“

„Dann würde er noch leben.“

Er schüttelte den Kopf. „So wie du es mir geschildert hast, war Raphael klar im Nachteil. Er wäre irgendwie anders abgelenkt worden, oder es wäre etwas anderes passiert. Du warst nur ein Auslöser von vielen.“

„Levin, das verstehst du nicht. Er hat sofort zu mir gesehen. Als ich ihn abgelenkt habe, war er unaufmerksam. Und in diesem unaufmerksamen Moment hat er-“

„Violeta. Hör auf damit. Du bist nicht schuld daran.“

„Aber-“

„Nein.“

„Versteh mich doch.“

„Was ist, wenn ich es nicht verstehen will? Du bist nicht schuld an dem Tot deines Bruders. Es war ein unglücklicher Zufall.“

Ich sah ihm lange nur ins Gesicht, während er mir die überlaufenden Tränen aus dem Gesicht wischte.

„Du siehst das alles einfach nur falsch.“, meinte er leise, „Genauso wie Van.“

„Aber-“

„Kein aber. Es ist so.“

„Levantin.“

„Ja?“

„Hör auf mich wie ein armes Kätzchen zu behandeln.“

„Du bist ein armes Kätzchen.“

„Streuner.“

Er lächelte ein wenig und zog mich zu sich hoch um mich zu küssen. Daraufhin seufzte ich leise und legte ihm die Hände in den Nacken, während er mich an der Taille an sich zog. Sein Kuss war sanft, zärtlich, leidenschaftlich. Es war der schönste Kuss den ich je hatte. Dann wurde er langsam leidenschaftlicher. Stürmisch. Fordernd. Ich wusste ganz genau was er wollte. Aber er holte es sich nicht. Er beließ es dabei, mich einfach nur zu küssen und festzuhalten. Als er sich von mir lösen wollte, hielt ich ihn jedoch fest und spürte das Lächeln auf seinem Gesicht.

„Violeta, wenn du so weiter machst, kann ich nicht mehr aufhören.“, warnte er mich an meinem Mund.

„Wer sagt denn, dass du aufhören sollst.“

„Findest du nicht, dass es noch zu früh ist um... mehr als nur Küsse miteinander zu teilen.“

„Doch schon, aber ich möchte nicht aufhören.“

„Wir müssen sowieso wieder nach unten. Sonst kommt wahrscheinlich noch jemand rauf.“

Als wäre das das Stichwort, klopfte es an der Tür. „Violeta, Jole sarebbe ora servire il cibo.“ Violeta, Jole möchte jetzt das Essen servieren., ertönte die Stimme von Vans Schwester. „Avete bisogno di un tempo?“ Braucht ihr noch lange?

Ich seufzte tief. „Solo un attimo. Veniamo giù immediatamente.“ Einen Augenblick noch. Wir kommen gleich runter.

Sie lachte leise. „Tu vieni, eh?“ Ihr kommt, ja? Mit diesem Satz ging sie leise lachend wieder runter, während ich rot wurde und mich ins Kissen sinken ließ.

„Accidenti.“

„Was?“ Levantin zog die Brauen zusammen.

„Das heißt 'verdammt'. Wir müssen jetzt nach unten.“

Damit krabbelte ich über ihn hinüber aus dem Bett und richtete das schwarze Kleid, das vollkommen verrutscht war. Levin sah mir dabei aufmerksam zu und folgte meinen Händen mit seinen Blicken. Als ich fertig war, lag er dann einfach nur da und betrachtete mich, woraufhin ich die Händen in die Hüften stemmte.

„Jetzt steh auf. Wir müssen jetzt runter. Es gibt essen.“

Er seufzte tief und setzte sich ganz langsam auf, bevor er schließlich aufstand und mit mir hinunter ging.

 

 

Levantin

„Levantin?“

Ich wand den Blick von Letty ab und sah zu Brandon, der nun neben mir stand. „Ja?“

„Kann ich kurz mit dir sprechen?“

„Ja, klar.“

Ich stand auf und warf Violeta einen kurzen Blick zu. Sie saß auf der Couch und sprach mit einigen Verwandten. Van war auf der anderen Seite des Zimmers. Brandon ging mit mir in den Garten, wo er sich auf einem Gartenstuhl setzte und mir bedeutete mich ebenfalls zu setzen. Und das tat ich auch.

„Was gibt’s?“, wollte ich wissen und sah ihn wartend an.

„Ich wollte nur, dass du etwas weißt. Über Letty. Du hast sicher schon bemerkt, das Letty ma chérie ist, oder?“

Ich nickte. „Vorgestern hat sie mir erzählt, dass sie dir wirklich sehr wichtig ist.“

„Oui, das ist sie.“ Er lächelte etwas. „Sie ist mir mehr als nur sehr wichtig. Aber darüber wollte ich nicht mit dir sprechen.“

„Schieß los.“

„Du solltest wissen, dass du... von Violeta nicht mehr so schnell wegkommst.“

Ich zog die Brauen zusammen.

„Was ich sagen möchte... Du weißt ja, sie lässt andere nicht an sich heran. Seit Jahren bist du der Einzige, den sie so nahe an sich heran gelassen hat.“

„Ich weiß.“

„Nun... Jetzt, wo du ihr wirklich wichtig bist, wird sie dich nicht wieder so schnell gehen lassen. Wenn sie jemanden liebt, dann tut sie es richtig. Auch wenn sie meinen Vater ansah, als wäre er ein Stein, so hat er ganz genau gespürt, wie sehr sie ihn doch mag. Bereits die Tatsache dass sie tiefere Gespräche mit ihm geführt hat sagt, dass er ihr etwas bedeutet.“ Er setzte sich etwas weiter auf und beugte sich leicht über den Gartentisch zu mir. „Wenn du versuchst sie zu verlassen, wird sie dich nicht einfach so hergeben. Auch wenn sie es dir nicht sagt, so liebt sie dich mehr als du dir vorstellen kannst. Auch wenn sie es nicht zeigt, so ist sie eigentlich sehr sensibel. Und wie du bei dem Streit mit Van bemerkt hast, kann sie auch sehr... wütend werden. Und wenn sie erst mal handgreiflich wird...“ Er schüttelte den Kopf. „Was ich dir damit sagen möchte, du solltest nicht denken, dass sie genau so fühlt, wie sie es in dem Moment zeigt. Tatsächlich ist es so, dass sie maximal nur halb so viel zeigt.“

„Es ist also etwas Besonderes von ihr geliebt zu werden?“

„Es bedeutet eine große Menge.“ Er machte eine kurz Pause, in der ich mir alles, was er sagte, nochmal durch den Kopf gehen ließ. „Eine Sache solltest du noch wissen, obwohl ich glaube, dass du es gar nicht wissen musst.“

„Und das wäre?“

Er zögerte ein wenig. „Wenn du mit ihr nur spielst... und sie das heraus findet. Dann stehst du mit Van auf selber Stufe.“

„Ich spiele nicht mit ihr.“

„Das habe ich gar nicht gesagt. Wie gesagt, ich wollte nur, dass du Bescheid weißt.“

Als aus dem Wohnzimmer Violetas Lachen zu hören war, sah ich in die Richtung und lächelte über ihr wunderschönes Lachen. Als Brandon aufstand, folgte ich ihm hinein und sah sofort zu Violeta, die aufsah als ich herein kam. Ein leichtes Lächeln lag auf ihren Lippen, was sie noch schöner werden ließ. Was würde ich dafür geben sie richtig lächeln zu sehen.

Als ich mich zu ihr setzte, lehnte sie sich ein wenig an mich und nahm meine Hand, während sie sich mit einer ihrer Cousinen auf Französisch unterhielt. Ich dagegen betrachtete sie einfach nur lächelnd und strich mit den Fingerspitzen über ihre Schulter. Daraufhin begann sie mit ihrem Daumen auf meinem Handrücken kleine Kreise zu beschreiben. Ich seufzte leise und zog sie in meine Arme, wobei ich ihr einen kleinen Kuss auf die Schulter drückte und mein Gesicht dann in ihrem Haar vergrub. Nach einer Weile stand dann ihre Cousine auf und ließ uns allein, woraufhin ich meinen Kopf auf Violetas Schulter legte und sie ansah.

„Was ist?“, wollte sie wissen und sah zu mir.

„Habe ich dir schon gesagt, dass du wunderschön bist?“

Wieder lächelte sie ein wenig und küsste mich kurz, woraufhin ich ihre Lippen fixierte. Ich lehnte mich ein wenig weiter in ihre Richtung und küsste sie sanft.

„Levantin.“, lachte sie tadelnd.

Ich lächelte ein wenig und küsste sie gleich nochmal. „Ich kann nichts dafür. Du ziehst mich an wie das Licht die Motte.“, murmelte ich an ihrem Mund und lehnte mich immer weiter zu ihr herüber, woraufhin wir irgendwann der Länge nach nach vorn auf die Couch fielen.

Sie lachte leise und schlang die Arme um meinen Hals, woraufhin ich tief seufzte und mit dem Daumen über ihr Schlüsselbein streichelte.

 

Violeta

Silvester war momentan mit Abstand der schlimmste Tag in diesem Jahr. Van warf mir ständig irgendwelche Knallkörper vor die Füße. Oft war es immer dann, wenn Levin mich küssen wollte. Da ich mich immer darüber aufregte, fand Van helle Freude daran. Einmal hatte ich Levin aus Versehen auf die Zunge gebissen. Seit dem versuchte er nicht mehr mich zu küssen.

„Es tut mir Leid.“, wiederholte ich zum x-Mal.

„Ich weiß. Es ist nicht so schlimm.“, gab Levin zum x-Mal zurück.

„Es tut mir trotzdem Leid.“

Er seufzte und küsste mich auf den Schopf. „Ist schon gut.“

Ich fuhr ihm mit der Hand über die Brust. „Bist du sicher?“

„Ja. Ich muss allerdings schon sagen, dass du ziemlich scharfe Zähne hast.“

Ich stöhnte. „Tut mir Leid.“

„Wann hörst du auf dich zu entschuldigen?“

„Wenn ich dir nichts mehr schuldig bin.“

„Du willst mir etwas als Entschädigung geben?“

„Ja.“

„Und was?“

„Was möchtest du haben?“

Er sah zu mir hinab. „Was ich haben möchte?“

Ich nickte.

Er schwieg daraufhin eine Weile und betrachtete mich. „Ich möchte dich einmal lächeln sehen.“

„Ein Lächeln, hm?“

Als wäre das ein Stichwort rief Alistair mich herein.

„Ich habe dir doch eine Überraschung versprochen!“, fügte er dabei hinzu.

Ich sah verwundert zum Haus und stand mit Levin auf, der mit mir hinein ging. Dort hielt ich erst einmal inne, weil ich Musik aus dem Wohnzimmer hörte. Hatte er etwa...?

Ich eilte an die Wohnzimmertür. Hatte er tatsächlich. Wann habe ich das letzte Mal getanzt? Bestimmt vor drei Jahren. Und Alistair hatte nun einen Tanzabend organisiert.

Ich fiel ihm begeistert in die Arme und küsste ihn mehrfach auf die Wange, bevor ich in mein Zimmer eilte und Levin verwirrt bei den Anderen ließ. In meinem Zimmer zog ich mich um und eilte dann wieder nach unten. Es war ein Tanzkleid, das ich im vorigen Jahr von Brandon bekommen hatte.

Als ich wieder ins Wohnzimmer ging, weiteten sich Levins Augen ein wenig und sein Mund klappte auf.

„Vedete da piuttosto, tesoro.“ Siehst hübsch aus, Cousinchen, meinte Vans Schwester als sie mich sah und lächelte ein wenig.

Ich sah an mir hinab und lächelte selbst ein wenig. „Grazie.“, gab ich dann zurück und ging zu Levin, den ich unter die wenigen Paare zog die tanzten.

„Violeta?“, meinte er dabei.

„Ja?“

„Ich glaube, du solltest etwas wissen.“

„Was denn?“ Ich sah ihn fragend an.

„Ich... Ich kann nicht tanzten.“

Ich lachte ein wenig, zog ihn an mich und küsste ihn kurz. „Dann bringe ich es dir eben bei.“

Er seufzte. „Du solltest noch etwas wissen.“

„Ja?“

„Du siehst umwerfend aus.“

Ich lächelte ihn an und legte ihn die Arme locker um den Hals, da gerade ein langsames Lied begann. Levin schien völlig fassungslos, als er das Lächeln sah.

„Du lächelst ja.“, bemerkte er überflüssigerweise.

Ich lächelte ihn erneut an und küsste ihn kurz. „Jetzt bin ich dir ja zum Glück auch nichts mehr schuldig.“

Die Luft wich aus seiner Lunge und er zog meinen Kopf zu sich um mich stürmisch zu küssen. Ich lachte an seinem Mund und löste mich widerwillig von ihm um weiter zu tanzen. Nur etwa eine halbe Stunde später stellte sich heraus, dass Levin ein richtiges Talent im Tanzen war. Er konnte sich die Schritte ohne Probleme merken und hatte auch Rhythmusgefühl.

Als er mich herum wirbelte, sah ich Van und zwei Jungs aus meiner Schule herein kommen. Ich ignorierte sie einfach und drehte mich ein paar Mal mit Levin, bevor der Tanz endete und ich atemlos zur Couch ging. Levin folgte mir lächelnd und küsste mich.

„Ich kann nicht mehr.“, meinte er als er sich auf der Couch lang machte und seinen Kopf auf meinem Schoß bettete.

Ich fuhr ihm mit der Hand durchs Haar und schmunzelte ein wenig.

„Ehi, fratello assassino! Qui, qualcuno vuole parlare con te.“ Hey, Brudermörderin! Hier möchte jemand mit dir sprechen, rief Van mir über die Musik hinweg zu.

„Si può anche parlare con te correttamente!“ Du kannst auch ordentlich mit dir sprechen!, rief ich zurück und seufzte. „Ich bin gleich wieder da.“

Levantin machte ein widerwilliges Geräusch und hielt mich fest. „Bleib hier.“

Ich lächelte und stand auf. Dann küsste ich ihn nochmal kurz und ging dann zu Van und den beiden Jungs von meiner Schule, wobei ich Van finster ansah.

„Sai, tesoro, se sei arrabbiata, sei ridicolo.“ Weißt du, Cousinchen, wenn du wütend bist, bist du zum Totlachen, meinte Van als ich nahe genug war.

„Lasciami in pace. Tu i miei nervi, sai?“ Lass mich in ruhe. Du nervst, weißt du das?

„Sempre felice, fratello assassino.“ Immer wieder gern, Brudermörderin.

Ich biss die Zähne zusammen. „Se ora di iniziare di nuovo, posso già dirvi in anticipo che non voglio poi andare in camera mia.“ Wenn du jetzt schon wieder damit anfängst, dann kann ich dir schon im Voraus sagen, dass ich dann nicht in mein Zimmer gehen werde.

„Oh no? Ci si può proteggere posto del tuo papà? Non mi piace lasciare che mi ha stracciato, il fratello assassino. Tu lo sai.“ Ach nein? Lässt du dich stattdessen von deinem Daddy beschützen? Ich lass mich nicht gerne schlagen, Brudermörderin. Das weißt du auch. Seine Bemerkung ließ mich schnauben. „Che torni qualche volta. Conta su di esso.“ Das bekommst du irgendwann zurück. Verlass dich drauf.

„Ah, può contare su di voi? Questo è nuovo per me.“ Ach, auf dich ist Verlass? Das ist mir neu.

Er grinste amüsiert. „I due vogliono parlare con voi qui. Con fortuna, cadono in coma alla vista soltanto.“ Die Zwei hier möchten mit dir sprechen. Mit ein bisschen Glück fallen sie bei deinem Anblick nur ins Koma.

Die Ohrfeige die ich ihm gab ließ alle Gespräche verstummen.

„Oh, nicht schon wieder.“, hörte ich Dad sagen. „Violeta, Van, non si può omettere, almeno una volta questo?“ Violeta, Van, könnt ihr das nicht wenigstens einmal unterlassen?

„E 'iniziata!“ Er hat angefangen!, protestierte ich.

„Si è iniziata non importa chi. Ma almeno non deve combattere di nuovo, se conosciuta.“ Es ist egal wer angefangen hat. Ihr sollt doch wenigstens einmal nicht streiten, wenn ihr euch begegnet.

Ich biss die Zähne zusammen und hörte wie Van dasselbe tat.

„Ma è così. Se non fosse, sarebbe ancora vivo.“ Aber es ist doch so. Wäre sie nicht, wäre er noch am Leben, gab Van wütend zurück.

Ich sah ihn ebenso wütend an. „Quando lo si impara alla fine? Ammetto che io sono da biasimare, ma sono ancora lungi dall'essere un assassino.“ Wann lernst du es endlich? Ich gebe zu, dass ich daran schuld bin, aber ich bin noch lange keine Mörderin.

„Non può essere facile.“ Sie können es einfach nicht lassen, meinte Vans Mutter seufzend.

Ich schnaubte. Die beiden Jungs aus der Schule sahen uns verwirrt an.

„Ähm... Violeta?“

Ich sah zu den Beiden. „Ja?“

„Wer sind die alle?“

„Verwandte. Von mir und von Levantin. Van kennt ihr ja bereits.“ Ich deutete auf meinen Cousin, der mich misstrauisch ansah, als sein Name fiel. „Er ist Italiener und kann leider auch nur Italienisch.“

„Und was macht er dann hier in Amerika? Ich meine...“ Einer der Jungs - er hatte blondes Haar und braune Augen - grinste spöttisch und stieß den Anderen - dieser hatte braunes Haar und blaue Augen - in die Seite. „Was für Idioten gehen nach Amerika, wenn sie nur italienisch sprechen?“

Ich sah ihn finster an. Ich war zwar nicht gut auf Van zu sprechen, aber er war mein Cousin. „Nun, es gibt doch auch Idioten, die Urlaub in Italien machen und keinen Schimmer von der Sprache haben. Er ist mein Cousin. Und wenn ihr weiter über ihn lästern wollt, könnt ihr auch gehen.“

„Che cosa parlare?“ Was reden die?

Ich machte eine wegwerfende Geste. „Sciocchezze, di cui non hanno idea.“ Dummes Zeug, von denen sie keine Ahnung haben.

Er sah mich fragend an.

„Essi pensavano che se un italiano parla solo italiano, sarebbe un idiota se ne va in America.“ Sie dachten, wenn ein Italiener nur italienisch spricht, wäre er ein Idiot, wenn er nach Amerika geht.

Er hob eine Braue. „E poi che cosa fa un americano in Italia se non parla italiano?“ Und was macht dann ein Amerikaner in Italien, wenn er kein italienisch spricht?

„Allo stato attuale, essi stessi non hanno idea.“ So wie es aussieht, haben sie selbst keine Ahnung.

„Parliamo subito senza problemi? Senza controversia?“ Unterhalten wir uns gerade ohne Probleme? Ohne Streit?

Ich atmete lange aus. „Sì, assomiglia a questo. Questo è un po’insolito.“ Ja, sieht so aus. Das ist ein bisschen ungewohnt.

„Ci avete alcun diritto ... Vado a mangiare qualcosa.“ Da hast du irgendwie Recht... Ich gehe etwas essen. Damit flüchtete er in die Küche.

 

Van

In der Küche nahm ich mir schlichtweg einen Apfel, während ich darüber nachdachte, dass Violeta mich in Schutz genommen hatte. Obwohl ich sie immer und immer wieder beschimpfte und assassino nannte, nahm sie mich in Schutz. Warum? Ich war mir sicher, dass sie mich hasste. Dennoch haben wir vor wenigen Augenblicken ein ordentliches Gespräch geführt.

Ich sah den Apfel nachdenklich an, während ich gründlich und langsam kaute und mir die Gedanken erneut durch den Kopf gehen ließ. Irgendwann zuckte ich mit den Schultern.

„Se sì non importa. Domani vedrà il mondo già diverso.“ Ist ja auch egal. Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus.

Das hoffte ich zumindest.

 

Violeta

Ich lächelte zu Levin hinab und strich ihm eine Strähne von der Stirn. Er lag der Länge nach auf dem Rücken und besetzte die ganze Couch, während ich auf ihm lag und sein Gesicht betrachtete.

„Was ist?“, wollte er misstrauisch wissen und schlang die Arme enger um meine Taille.

„Nichts. Mir ist gerade nur wieder aufgefallen, dass du schöne Augen hast.“

Er lächelte etwas und seufzte. „Ich kann kaum glauben, dass ich dich jetzt in den Armen halten darf.“

„Wie meinst du das?“

„Bevor du im Koma warst, hättest du mich dich nicht einmal so berühren lassen. Ein Kuss wäre gar nicht in Frage gekommen.“

Ich lächelte schräg und küsste ihn kurz, wobei ich begann sanft sein Gesicht zu streicheln. Er wurde sofort ernst und zog mich zu sich hinab, um mich nochmal zu küssen. Ich lächelte an seinem Mund, während seine Hände auf meinem Rücken hinab wanderten. Meine Hände vergruben sich wie von selbst in seinem Schopf, wobei er mich an den Hüften enger an sich zog. Plötzlich legte er eine Hand in meinen Nacken und zog mich dort an sich, während er begann zu keuchen.

„Meine Güte, Violeta.“, brachte er atemlos hervor, „Ich kann nicht mehr. Hör auf, sonst müssen wir in dein Zimmer gehen. Ich werde dann nicht garantieren können, dass dein Kleid unversehrt bleibt.“

Ich wurde etwas rot und begann wieder sein Gesicht zu streicheln. „Du hast doch angefangen. Ich habe den Kuss lediglich erwidert.“

„Ich halte es ja gerade noch aus, dich auf mir liegen zu haben.“ Als die Hand auf meiner Hüfte auf mein Hinterteil wanderte, bekam sie von der anderen Hand Gesellschaft, während er mit seinem Blick meine Lippen fixierte. „Weißt du eigentlich, wie schön du bist?“

Ich lächelte ihn an, woraufhin er seufzte.

„Ich liebe dich.“

Ich küsste ihn kurz. „Ich liebe dich auch.“

Er stöhnte unter mir auf und sah an die Decke. „Glaub mir, ich bin überglücklich, dass du das gesagt hast, aber ich bedaure, dass es jetzt passiert ist. So nahe am Rande der Selbstbeherrschung kann ich dir nicht zeigen wie sehr ich es begrüße, ohne sofort über dich herzufallen. Ich glaube, für dich ist es zu früh. Also sollten wir jetzt aufhören, sonst kann ich nichts mehr garantieren.“

Ich sah über und über überrascht zu ihm hinab. Gerade als ich etwas sagen wollte, begannen alle im Wohnzimmer zu jubeln, woraufhin Levantin und ich überrascht aufsahen. Dad öffnete eine Flasche Sekt, während die anderen sich ein Glas nahmen. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass sie nun das neue Jahr feierten.

„Aksominė kojenas.“ Ich sah zu Levin hinab, deren Stimme nun rau und heiser war.

„Ja?“

„Bitte sag mir, dass du entweder mit mir in dein Zimmer gehst, oder nichts dagegen hast, wenn ich für eine Weile im Badezimmer verschwinde. Abgesehen von dir, könnte jetzt nur noch eiskaltes Wasser helfen.“

Ich wurde etwas roter und stand langsam von ihm auf. Als ich mich auf seine Hüften setzte, machte er ein erstickendes Geräusch und rieb sich übers Gesicht. Ich stand eilig von ihm auf und machte ihm Platz.

„Bad oder Schlafzimmer?“, wollte er von mir wissen.

Ich zögerte etwas. „Nach oben.“

Kaum waren diese beiden Worte aus meinem Mund, schon war er auf den Beinen und eilte mit mir an der Hand hoch in mein Zimmer, wo er abschloss und mich fest an sich gedrückt fordernd küsste und rückwärts zu meinem Bett schob.

 

Nachdem Levin eine Minute auf mir gelegen hatte, seufzte er erleichtert und drückte mir einen Kuss auf den Hals.

„Ich will nie wieder hier weg.“, nuschelte er und ließ seine Hände von meinen Hüften zu meinen Rippen wandern. Er seufzte erneut leise und drehte seinen Kopf müde so, dass er mich ansehen konnte. „Ich habe dir doch nicht wehgetan oder dir Angst gemacht, oder?“

„Am Anfang hatte ich ein wenig Angst, aber es ist alles okay.“, gab ich zurück und küsste ihn kurz.

Er stöhnte unvermittelt auf und erwiderte den Kuss, bevor ich mich von ihm lösen konnte.

„Nochmal?“, hakte ich fassungslos nach.

„Tut mir Leid. Wenn du möchtest, kann ich auch ins Badezimmer gehen.“

Als er aufstehen wollte, hielt ich ihn fest und zog ihn zu mir hinunter. „Ich bin nur überrascht.“, gab ich zurück und küsste ihn wieder.

 

„Levin?“

„Hmmmmm?“

„Geh bitte von mir runter, ich habe Durst.“

„Mmmmm...“

„Levin.“

„Hmmmm?“

„Geh runter von mir.“

„Mmm...“

„Mir ist heiß.“

„Hmh...“

„Ich möchte aufstehen.“

„Mhm.“

„Levantin, jetzt geh bitte runter von mir. Du wirst langsam schwer.“

„Ich will nicht.“, nuschelte er müde, „Ich kann nicht.“

„Jetzt geh runter von mir. Sonst war es das erste und das letzte mal, dass ich zulasse, dass du mit mir in ein Bett gehst.“

Er murrte lange und rollte sich dann schwach und müde neben mich, bevor er mich in seine Arme zog und an mich kuschelte. Ich seufzte und befreite mich mühselig aus seinen Armen um aufzustehen. Er murrte protestierend, ließ mich dann aber gehen. Jedoch nicht ohne mich zu beobachten.

„Ich bin gleich wieder da.“, meinte ich, während ich mir ein langes T-Shirt anzog und das Zimmer verließ.

Die Anderen waren im Wohnzimmer und unterhielten sich angeregt über verschiedene Dinge. Ich ging jedoch in die Küche und suchte eine Flasche Selter. Die nahm ich mit nach oben, wurde jedoch im Flur aufgehalten.

„Will ich wissen, was ihr beide da oben macht?“, wollte ein mir unbekannter Junge von mir wissen.

Ich bemerkte, dass er Levantin verblüffend ähnlich war. Die Zwei könnten Zwillinge sein. Der Junge vor mir war jedoch etwas größer und hatte andere Augen. Während Levantins grau waren und grüne Sprenkel hatten, waren die Augen des Jungen vor mir völlig verschieden. Das eine Auge war so hell grau, dass es beinahe weiß war. Das Andere war tief schwarz, wies jedoch helle graue Punkte auf, während das graue Auge schwarze Punkte aufwies.

„Gruselig, oder?“

Ich hob eine Braue. „Nicht unbedingt. Wer bist du überhaupt?“

„Wenn sie nicht gruselig sind, was sind sie dann?“

„Sie sind eigentlich richtig schön.“, murmelte ich halblaut, „Wer bist du?“

„Schön, ja?“ Er legte den Kopf schräg und betrachtete mich eingehend. „Du bist Violeta, oder? Levins Freundin?“ Er sah mir wieder ins Gesicht und reichte mir lächelnd die Hand, welche ich zaghaft ergriff. „Ich bin Darius. Levins Cousin. Mom und Dad sind erst vor einer halben Stunde hier angekommen. Laut diverser Aussagen waren du und Levin bereits eine halbe Stunde oben gewesen. Ich will nicht wissen, was ihr macht, oder?“

Ich wurde so rot wie man nur werden konnte und zog die Hand zurück.

„Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht verlegen machen. Sag Levin, dass wir hier sind, ja? Und gib ihm von einer gewissen Liova einen Kuss. Sie vermisst ihn.“

Damit drehte er sich um und ging ins Wohnzimmer. Ich stand einen Augenblick verwundert da, bevor ich nach oben ging, unterwegs ein paar Schlucke trank und mich in meinem Zimmer wieder zu Letin legte. Dieser rollte sich sofort wieder auf mich und machte Anstalt mir das T-Shirt auszuziehen, während er mich küsste. Als er bemerkte, dass ich nur wenig begeistert war, hielt er inne und sah zu mir herab.

„Was ist los? Habe ich dir wehgetan? Habe ich dir Angst gemacht?“, wollte er besorgt wissen.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nein hast du nicht. Ich habe nur eben deinen Cousin kennen gelernt.“

Er zog die Brauen zusammen. „Welchen?“

„Darius.“

Seine Augen wurden etwas größer. „Er hat dich so gesehen?“

„Er sagt, ich soll dir sagen, dass sie da sind. Und ich soll dir von einer Liova einen Kuss geben. Ich soll dir sagen, dass sie dich vermisst.“

Sein Gesicht wurde etwas weicher und er seufzte leise. Wer sie wohl war? Vielleicht eine Ex. Ob er sie wohl noch liebte? So wie er gerade aussah, sprach alles dafür.

Gerade als ich etwas sagen wollte, erhob er das Wort. „Danke, dass du mir das gesagt hast. Darius und ich stehen uns recht nahe. Wir sind wie Brüder.“

„Ihr seht aus wie Zwillinge. Bis auf die Augen.“

„Gruselig, oder?“

„Das hat er mich auch gefragt. Ich finde sie hübsch.“ Ein Muskel in seinem Kiefer zuckte. „Wer ist Liova?“

Er sah mich überrascht an. „Warum?“ Er sah aus, als wäre ihm das Thema unangenehm, während er begann seine Hände sanft über meinen Körper gleiten zu lassen.

„Ich bin neugierig.“, gab ich zurück, „Ist sie deine Ex? Eine beste Freundin? Deine große Liebe?“

Er schnaubte amüsiert. „Nein. Meine große Liebe liegt unter mir und fragt mich wer meine verstorbene Schwester ist.“

„Schwester?“

Er legte seinen Kopf auf meine Brust. „Sie starb vor fünf Jahren an einem Herzstillstand. Sie war nur ein Jahr älter als ich. Ihr Herz schlug nicht richtig. Mitten in der Schule, in der Cafeteria, ist sie einfach umgefallen und hat sich nicht mehr bewegt. Die Ärzte sagen, sie hätte keine Schmerzen gehabt. Das mit dem Kuss, was Darius dir erzählt hat, das sagen wir uns ständig gegenseitig. Kuss von Liova. Sie vermisst dich. Wenn wir mal übers Wochenende weg waren, hat sie uns danach geküsst und gesagt sie habe uns vermisst. Jetzt wo sie das nicht mehr tun kann, vermisst sie uns sicher die ganze Zeit. Deshalb sagen wir das immer. Weil sie es nicht tun kann. Sie hatte ein großes weiches Herz und war oft so liebevoll, dass ich jedes Mal fast geweint habe.“ Er schwieg einen Moment. „Du glaubst nicht, wie viel es mir bedeutet, dass du mir das gesagt hast.“ Er seufzte leise und küsste ich kurz. „Möchtest du schlafen? Du siehst müde aus.“

Ich sah ihn eine Weile nur an und nickte dann zustimmend. Er legte sich daraufhin wieder neben mich und schlang fest die Arme um mich.

 

Ich streckte mich und kuschelte mich seufzend enger an Levin, woraufhin er mich im Schlaf fester an sich zog und meinen Namen wisperte. Ich sah zu ihm auf und lächelte leicht in sein schlafendes Gesicht. Von einem Drang angetrieben hob ich die Hand und strich ihm das Haar aus dem Gesicht. Da es ihn offenbar kitzelte, schüttelte er leicht den Kopf und zog mich dann näher an sich um sein Gesicht an meinem Haar zu verbergen. Ich kicherte leise und fuhr mit der Hand über seine Brust.

„Mein süßer Streuner.“, murmelte ich und zog mich an ihm hoch und ihn kurz zu küssen.

Offenbar brachte ich ihn damit fast komplett wach zu werden, denn er brachte sich mit einer Bewegung auf mich und küsste mich stürmisch. Als ich lachte, wachte er vollständig auf und blinzelte mich an. Als er bemerkte, dass er mich küsste hob er abrupt und perplex den Kopf, weshalb ihm auffiel, dass er auf mir lag.

„Na Sowas.“, murmelte er, „Wie komme ich denn hierher?“

Ich legte ihm locker die Arme um den Hals. „Ich hab dich geküsst.“

Er zog die Brauen zusammen. „Du mich, oder ich dich?“

„Du hast neben mir gelegen. Ich hab dich geküsst und du hast dich auf mich gelegt.“

Er atmete aus und ließ sich wieder ganz auf mir nieder. „Gemütlich ist es ja.“

Ich schmunzelte und küsste ihn kurz. „Wollen wir runter? Du kannst Darius begrüßen, wenn er hier ist.“

Er seufzte und sah mich eine Weile an. „Du willst ihn also sehen, ja?“

„Ich will bei dir sein. Ich dachte, du möchtest ihn vielleicht sehen, weil ihr euch so lange nicht mehr gesehen habt.“

Er lächelte mich leicht an und küsste mich erneut. „Wir können uns sicher noch ein bisschen Zeit nehmen.“

Ich lachte lautlos in seinen Mund hinein und schob ihn sanft von mir. „Heute Abend.“

Er senkte den Blick und zögerte etwas. „Naja... dann bin ich für ein paar Tage nicht hier.“

Ich zog die Brauen zusammen und setzte mich auf. „Nicht hier? Warum?“

„Nun... es ist Tradition bei uns, dass wir Verwandte besuchen. Nächstes Jahr werde ich von Silvester bis zum 2. nicht hier sein. Meine Eltern, Onkel und Tanten machen unter sich aus, wann wir wo sind. Dieses Jahr ist es eben hier, bei meiner Cousine Lilita und bei Leonas, einer meiner anderen Cousins.“

Ich biss mir auf die Unterlippe. „Kann ich mitkommen?“

Er blinzelte überrascht. „Du möchtest... mitkommen? Ehrlich?“

Ich nickte. „Es würde mir sicher Spaß machen mehr von deiner Familie kennenzulernen.“

Er lächelte und küsste mich wieder. Dann sah er mich wieder an. „Du wirst aber sofort packen müssen.“ Er sah auf meinen Wecker. „Wir fahren in drei Stunden. Immerhin... äh... Lilita wohnt in St. George in Utah. Morgen fliegen wir dann nach Toronto. Dort wohnt Leonas.“ Er hielt inne und schwieg einen Augenblick. „Jemand muss den Flug bezahlen.“

„Wie viel kostet das denn?“

„Etwa 317 Dollar.“

„Ist der Rückflug inklusive?“

„Ja.“

„Nun... Vielleicht sagt Mom ja. Oder Dad.“

Er lächelte schräg.

Ich seufzte. „Kenne ich Lilita eigentlich?“

Er lachte leise. „Nein. Du kennst eigentlich nur Darius, Monique und Lily. Morgen lernst du noch eine meiner Lieblingscousinen kennen. Alexandra. Du wirst sie sicher mögen. Soweit ich weiß hat sie jetzt einen Freund.“

Ich schürzte die Lippen und legte ihm die Arme um die Schultern. „Bringst du mir Litauisch bei?“

Er zog überrascht eine Braue hoch. „Nur wenn du mir Italienisch beibringst.“

„Italienisch ist nicht besonders einfach.“

„Litauisch auch nicht.“

Ich biss mir leicht auf die Unterlippe. „Was heißt, ich liebe dich?“

Aš tave myliu.“

Asch?

„Es wird nur so ausgesprochen. Geschrieben wird es anders.“

„Oh. Also... Asch tawä...“ Ich zog die Brauen zusammen. „Milliu. Bei dir hört es sich besser an.“

Er lachte leise. „Ich bin auch geborener Litauer. Aš tave myliu, Aksominė kojenas.“

Ich zog ihn zu mir hinab und küsste ihn kurz, bevor ich wieder locker ließ um ihn anzusehen. „Ich dich auch.“

Er streichelte mir liebevoll über den Oberarm und küsste mich erneut. „Was heißt 'Ich liebe dich' auf Italienisch?“

Ti amo.“

Er schmunzelte. „Wusste ich es doch. Ich habe es irgendwie geahnt, aber ich war mir nicht sicher.“ Er zögerte etwas. „Was heißt 'Guten Tag' auf Italienisch?“

Buon giorno. Oder Ciao.“

Bon gorno?“

Ich lachte leise. „No, caro. Buon giorno.“

„Was?“

Ich küsste ihn auf die Nasenspitze. „Ich sagte, nein, Liebling. Buon giorno.“

„Hmmm...“ Er küsste meinen Mundwinkel und wanderte über meine Wange, bis zu meinem Ohr, wo er an meinem Ohrläppchen knabberte und eine Stelle unter meinem Ohr küsste, bei der ich sofort schwach wurde. „Ich bin gerne dein Liebling.“, murmelte er, während ich die Arme um seinen Hals legte.

Ich lächelte als Antwort und zog ihn zu mir hinab.

„Ich dachte, du willst erst heute Abend.“, bemerkte er amüsiert, küsste sich jedoch zu meinem Hals hinab.

„Du hast geschummelt. Du weißt wie ich reagiere, wenn du mich da küsst.“ Ich deutete auf die Stelle unter meinem Ohr. „Mach das nochmal!“

Er lachte leise und küsste mich dort nochmal, bevor er ein wenig daran knabberte

 

„Dauert es noch lange?“

Wir fuhren nun etwa 7 Stunden mit dem Auto. Levin und ich saßen auf der Rückbank. Genau genommen saß nur er. Ich hatte mich hingelegt und meinen Kopf auf seinen Schoß gelegt, während er mir übers Haar streichelte. Ab und zu legte er seine Hand an meinen Hals oder massierte mir ein wenig meine Schulter, bis ich mich auf die andere Seite drehte, damit er auch die andere Schulter massieren konnte. Wenn er nichts davon tat, dann sah er einfach nur zu mir hinab und streichelte mir zärtlich das Gesicht.

„Nur noch ein paar Minuten.“, antwortete Levins Vater vom Fahrerplatz.

Levins Mutter sagte irgendwas auf Litauisch, woraufhin Levin abwesend etwas erwiderte. Ich wusste, dass es Litauisch war, weil Levin mir anvertraut hatte, das Englisch und Litauisch die einzigen Sprachen waren, die er beherrschte.

Als Levins Mutter wieder etwas sagte, sah dieser überrascht auf und fragte irgendwas. Sein Vater antwortete und mein Streuner lächelte ein wenig, während er wieder etwas sagte. Sie unterhielten sich ein wenig. Als dann mein Name fiel, sah ich überrascht zu Levin auf.

„Was ist mit mir?“

Er sah zu mir hinab und lächelte. „Mom und Dad haben mir eben nur gesagt, dass wir ein eigenes Zimmer bekommen. Eigentlich haben Lilitas Eltern nicht so viele Gästezimmer, weshalb sich viele ein Gästezimmer teilen müssen. Aber Lilita räumt für uns ihr Zimmer und schläft ausnahmsweise bei ihren Eltern, damit wir unsere Privatsphäre haben. Alexandra und ihr Freund, den sie übrigens auch mitbringt wie Mom mir eben gesagt hat, bekommen auch ein Zimmer für sich. Naja, sie brauchen es etwa genauso sehr wie wir beide.“

Ich schmunzelte als er auf letzte Nacht und den heutigen morgen anspielte. Dann zog ich mich an ihm hoch, setzte mich auf seinen Schoß und schlang die Arme um ihn, wobei ich mich an ihn lehnte und meinen Kopf an seiner Schulter bettete. Er vergrub halb sein Gesicht in meinem Haar und legte fest die Arme um mich.

Etwa eine Viertelstunde später – jede Ampel an die wir passierten, wurde gerade rot – ließ Levin mich nur mit offensichtlichem Widerwillen los und ließ mich aussteigen. Im selben Augenblick öffnete ein Mädchen mit braunen Haaren und verschiedenfarbigen Augen die Tür. Ein Junge mit ebenfalls braunen Haaren und dunkelgrauen Augen folgte ihr neugierig. Als sie mich sah, blieb sie überrascht stehen, woraufhin der Junge neben ihr stehen blieb und sie verwundert ansah. Als Levin hinter mir ausstieg, lächelte sie, lief zu ihm und fiel ihm in die Arme.

„Hey Alex!“, rief er lächelnd und sagte irgendwas auf litauisch.

Als sie antwortete, sah der Junge sie überrascht an und warf mir einen Blick zu. Ich sah kühl und ausdruckslos zurück. Das schob sein Mundwinkel ein wenig in die Höhe. Plötzlich zog Levin mich zu sich und erklärte dem Mädchen etwas. Wie hatte er sie genannt? Alex?

„Das ist Alexandra.“, stellte er sie mir vor.

Alexandra lächelte mich an. „Freut mich dich kennen zu lernen.“

Ich sah die Hand, die sie mir reichte kühl an, ergriff sie jedoch mit einem leichten Zögern. Alexandra schien ein wenig unsicher und fragte Levin etwas. Dieser lachte.

„Nein. Sie ist nur unsicher, oder Aksominė kojenas?“

Ich sah zu ihm auf. „Ich weiß nicht, was sie gesagt hat. Ich spreche nur drei Sprachen.“ Ich zögerte. „Machen wir dreieinhalb draus.“

Sein Mundwinkel zuckte. „Du siehst wieder so aus, wie an dem Tag, an dem ich dich das erste Mal gesehen habe.“ Er legte einen Arm um mich und zog mich an sich, „Wie eine kalte Heizung.“

„Wir sind erst ein paar Wochen zusammen. Ich kann nicht von einem Tag auf den anderen herum hüpfen und so tun als wäre alles Friede Freude Eierkuchen. Es ist eine Angewohnheit, die ich mir angeeignet habe, um mich zu schützen. Das weißt du auch.“

Er sah zu Alexandra. „Ich sage doch, sie ist nur unsicher. Sie hat Gefühle. Aber sie braucht ein wenig um aufzutauen.“

„Oh.“ Sie schwieg und sah mich eine Weile an. Dann sah sie zu dem Jungen, eilte zu ihm herüber und zog ihn sanft zu uns. „Das hier ist Luca. Luca, das ist mein Cousin Levantin und seine Freundin Violeta.“

Er lächelte mich freundlich an. „Nett dich kennen zu lernen.“

Ich nickte und registrierte, dass er offenbar mitgehört hatte, denn im Gegensatz zu Alexandra, gab er mir nicht die Hand.

„Alex?“, meldete sich Levin wieder.

Sie sah zu ihm. „Ja?“

„Ich... hab das mit Tante Katia und Onkel William gehört.“ Er schwieg einen Augenblick. „Tut mir wirklich Leid.“

Sie schwieg und senkte ein wenig den Kopf. „Danke.“

„Es ist noch gar nicht so lange her, richtig?“

Sie nickte. Er sah sie einen Augenblick an und zog sie dann an sich.

„Ich werde William wahrscheinlich auch vermissen.“, murmelte er leise, „Und Katia. Und diese Partys die wir alle immer gefeiert haben.“

Sie lachte leise und drückte ihr Gesicht in seine Halsbeuge.

„Ich werde es wahrscheinlich auch vermissen dir und jemand anderem beim Wettessen zuzusehen. Glaub mir, wenn du das offiziell machen würdest und dabei Geld verdienen würdest, wärst du nach einigen Jahren Millionärin.“

Sie lachte nun etwas lauter und schlug ihm stark aber vorsichtig gegen die Schulter. „Ärger mich nicht.“

„Tu ich nicht. Ich bringe dich lediglich zum lachen, damit wir alle unseren kleinen Sonnenschein wieder haben.“

Sie löste sich lächelnd von ihm und küsste ihn auf die Wange. „Danke.“

„Immer wieder gern, Daisies.“

Der Kosename klang wie Daysias. Wenn ich mich richtig erinnerte, hatte er mich auch mal so genannt. Es hieß Tausendschön, wenn ich mich recht entsann.

Sobald Levin wieder die Arme frei hatte, zog er mich vor sich und schlang von hinten die Arme um mich. Ich nahm seine Hände in meine und streichelte seinen Handrücken mit meinem Daumen.

„Wir sollten reingehen.“, meinte Alexandra, „Die anderen warten bereits. Lilita freut sich schon wahnsinnig dich wiederzusehen.“

Wir folgten ihr und Luca herein. Als wir wenige Augenblicke später das Wohnzimmer betraten, blieb ich stehen und sah wie erstarrt auf die Menschenmenge. Es gehörte zu einer meiner Ängsten, in einer großen Menschenmenge voller Fremder zu sein. In der neuen Schule war es noch okay, weil dort alle viel jünger waren. Hier jedoch waren die meisten erwachsen und einige sicher mehr als doppelt und drei Mal so alt wie ich.

„Alles okay?“

Ich sah zu Levantin und rückte an ihn heran. „Ich wusste nicht, dass du eine so große Familie hast.“

Er zog leicht die Brauen zusammen. „Hast du etwa Angst?“

„Ich kenne hier niemanden.“

Er legte mir einen Arm um die Taille und zog mich an seine Seite, wo er mich aufs Haar küsste. „Du machst mich traurig. Du kennst doch mich.“

Wegen des spöttisch verspielten Tons in seiner Stimme sah ich finster zu ihm hinauf. „Du weißt was ich meine.“

Sein Mundwinkel zuckte. „Du sagtest, du würdest hier niemanden kennen. Heißt das, ich bin ein Fremder für dich?“

„Du bist ein Streuner.“, gab ich zurück, „Man kann dich nie gut genug kennen um sagen zu können, dass man dich kennt.“

Er seufzte. „Ich bin immer noch ein Streuner?“

Diesmal lächelte ich und schlang die Arme um ihn, wobei ich mein Gesicht an seiner Brust verbarg. „Du wirst immer mein süßer Streuner bleiben.“

Seine Brust vibrierte an meinem Gesicht als er leise lachte. „Ich wusste gar nicht, dass verschmutzte, unmanierliche Streuner süß sind.“

Ich sah zu ihm auf. „Hast du noch nie einen Hundewelpen gesehen?“

Er sah einen Augenblick überrascht aus. Dann fing er lauthals an zu lachen. Ich sah wie sich einige zu uns umdrehten. Alexandra, die mit Luca gerade bei einer kleinen Gruppe in unserem Alter war, sah überrascht zu uns und kam dann herüber. Luca unterhielt sich aktiv mit einem von Levins Verwandten.

„So habe ich dich ja schon lange nicht mehr lachen hören.“, meinte Alexandra, als sie bei uns war und sah von mir zu ihm und wieder zurück.

Levantin wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, beugte sich zu mir um mich zu küssen und grinste seine Cousine an. „Das liegt wohl daran, dass ich vorher noch nie eine so wundervolle Frau wie Violeta kennen gelernt hatte. Jetzt kenne ich sie schon so lange und sie überrascht mich immer noch.“

„Vergiss nicht, dass ich den Großteil der Zeit im Koma lag.“, bemerkte ich nebenbei.

Alexandra sah mich teils verwirrt, teils überrascht an. „Du hast im Koma gelegen? Warum?“

Ich wollte bereits antworten, als ich bemerkte dass einige Leute zuhörten und zu uns sahen. Daraufhin rückte ich näher an Levantin und schlang die Arme um ihn. Er atmete leise aus und zog mich enger an sich.

„Darüber sollten wir sprechen, wenn wir unter uns sind.“, meinte er dann an Alexandra, „Sie mag es nicht, wenn so viele unbekannte Leute um sie herum sind.“

Sie zog die Brauen zusammen. „Wie war das dann in der Schule?“

„Ältere Leute.“, ergänzte ich leise, woraufhin Levin es wiederholte, da sie mich nicht verstanden hatte.

Sie sah ihn noch verwirrter an, sagte jedoch nichts. Levantin dagegen rieb mir aufmunternd die Schulter. „Komm, ich stell dir alle vor.“

 

Etwa eine halbe Stunde später trugen Levin und ich unser Gepäck in das Zimmer, das wir bekamen. Ich ließ mich auf das Bett fallen und sah zu meinem Streuner, der sich gerade das T-Shirt auszog, weil jemand aus Versehen ein Glas Cola über ihn verschüttet hatte.

Als er sich die Hose auszog, drehte ich mich auf die Seite um ihn zu betrachten, während er zu seiner Tasche ging um sich neue Sachen heraus zu nehmen. Er nahm ein T-Shirt, warf mir einen Blick zu und nahm sich dann eine Hose, bevor er zu mir sah, da ihm offenbar klar geworden war, dass ich ihn beobachtete.

„Was ist? Habe ich etwas in den Haaren?“

Ich lächelte leicht. „Nein. Ich sehe dich nur gerne an.“

Er lächelte zurück, kam zu mir und küsste mich. Ich lachte lautlos als er sich zu mir aufs Bett kniete und sich an mich schob. Als ich ihm die Hände an die Brust legte schob ich ihn leicht von mir.

„Geh duschen. Du klebst.“, lachte ich amüsiert.

„Ich klebe?“ Er sah an sich herunter. „Bist du dir sicher?“

„Ja.“

„Gut, dann muss ich mich nicht darum kümmern, dich eventuell mit unter die Dusche zu zerren. Wenn ich klebe, musst du ja mitkommen.“

Ich lachte ein wenig. „Du weißt was ich meine. Geh duschen.“

„Nur wenn du mitkommst.“

„Oh nein. Ich war heute schon. Außerdem bist du es, der klebt, nicht ich.“

„Und warum klebe ich dann an dir?“

„Ich sage doch, du klebst.“

Er grinste. „Vielleicht bist du es ja, du willst es nur nicht wahrhaben.“

„Levin. Jetzt geh schon.“

Er grinste noch etwas mehr, legte sich ein wenig auf mich und küsste mich nochmal. „Ich will jetzt nicht. Lass uns lieber etwas machen, was mir einen besseren Grund gibt um zu duschen.“

„Heute Nacht. Jetzt geh duschen, sonst wirst du es nie mehr erleben.“

„Letty.“

„Streuner.“

„Mrs. Kalifornien.“

Mein Mundwinkel zuckte. „Mr. Ice Age.“

Er lachte leise. „Du hast immer noch wundervolle Augen.“

„Du hast immer noch zu viel von dem Film geguckt.“

Er küsste mich wieder. „Seltsam. Erst vor ein paar Tagen habe ich ihn wieder gesehen. Ich musste immer nur an dich denken.“ Eine seiner Hände glitt unter mein T-Shirt. Ich schauderte, da sogar seine Hand ein wenig klebte.

„Levin!“

Er lachte leise. „Du kennst doch sicher das süße kleine Kind, oder? Mit den schwarzen Haaren und den braunen Augen.“

„Natürlich. Früher habe ich ihn gerne mit Raphael angesehen.“

Er küsste mich auf die Stirn, die Augenlider und auf die Nasenspitze, bevor er mich wieder auf den Mund küsste. Diesmal lange und sehr hingebungsvoll. Dann löste er sich wieder, da ihm wohl einfiel, was er mir erzählen wollte.

„Weißt du... Ich habe mir vorgestellt, wie es wohl wäre, wenn wir so einen kleinen Jungen hätten.“

Ich hielt mit meinen Bewegungen inne und sah überrascht zu ihm auf. „Ein Kind? Wir beide?“

Er senkte ein wenig den Blick. „Ich weiß, wir sind zu jung dafür. Und ich habe auch nicht vor, so schnell Vater zu werden. Es war einfach nur... es war schön mir vorzustellen wie es wohl ist, dich mit einen süßen Baby auf dem Arm zu sehen. Ein Baby das sowohl dein als auch mein Kind ist.“

Ich sah vollkommen perplex zu ihm auf. „Du... du willst ein... Kind mit mir?“

Er schloss kurz die Augen und küsste mich dann aufs Ohr, als wäre es ihm ein wenig unangenehm mich nun direkt auf den Mund zu küssen. Als wäre es ihm... peinlich. „Nicht sofort. Also- ich meine- Also-“ Er unterbrach sich, atmete kurz durch und sah mich dann an. „Ja. Ich- Ich möchte ein Kind mit dir. Aber nicht so früh.“ Er machte eine kurze Pause und sah auf das Kissen, während er angestrengt nachdachte. Als er fortfuhr, sah er wieder zu mir. „Ich möchte noch warten. Ein paar Jahre. Falls es dir dann immer noch zu früh ist auch länger. Ich möchte dich nicht bedrängen oder meinen Willen aufzwängen. Ich...“ Er schloss wieder die Augen. „Ich hätte es nicht sagen sollen.“ Sein Kopf sank neben meinem aufs Kissen, wobei er tief seufzte. „Vergiss was ich gesagt habe. Es war dämlich von mir. Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob du es vielleicht lieber keine Kinder hättest oder ob es vielleicht Zuviel für dich sein könnte, bereits soweit vorauszuplanen, wo wir doch erst seit so kurzer Zeit... intim miteinander sind.“

Ich legte ihm eine Hand in den Nacken und lehnte meine Wange an seinem Schopf. Er hatte das Gesicht von mir abgewandt, als würde er sich schämen. „Levin?“

Er zögerte kurz, sah mich dann jedoch an. „Ja?“

„In ein paar Jahren. Wenn ich meinen Abschluss und eine eigene Wohnung habe...“ Ich zog ihn im Nacken näher zu mir. „Dann würde ich auch gerne Kinder haben. Am liebsten welche mit silbrigen, grün gesprenkelten Augen.“ Ich zog ihn näher um ihn kurz zu küssen. „Ich- … Ich liebe dich.“

Er sah lange zu mir herab und strich mir das Haar aus dem Gesicht. Dann zog er mich plötzlich im Nacken zu sich und küsste mich stürmisch. Als plötzlich die Tür geöffnet wurde, löste er sich abrupt von mir und sah mit mir dort hin.

„Oh, tut mir Leid.“, meinte Alexandra, „Ich wusste nicht- ich dachte- Tut mir Leid.“ Sie wurde rot und entschuldigte sich immer wieder, während Levin sie verwundert ansah. „Mein Gott, jetzt weiß ich, wie Chris sich immer gefühlt haben muss. Tut mir wirklich Leid. Es kommt nicht wieder vor. Ich klopfe einfach bevor ich rein komme. Tut mir Leid. Entschuldigung.“

Levin sah aus dem Augenwinkel zu mir und dann wieder zu Alexandra. „Alex?“

Sie hielt inne. „Ja?“

Ich sah auf ihre Hände, die ineinander verschlungen mit sich rangen. Levin dagegen sah in ihr Gesicht, das immer noch entschuldigend aussah. „Es ist nicht so schlimm. Ich wollte sowieso duschen gehen.“

„Jetzt auf einmal!“, meinte ich amüsiert, „Eben hat es noch ganz anders ausgesehen.“

Ich sah, wie sein Nacken ein wenig rot wurde. Alex' Augen wurden ein wenig größer, woraufhin er mir liebevoll den Mund zuhielt. „Das hat nichts zu sagen. Ich möchte duschen. Das ist alles.“ Er machte eine kurze Pause. „Sie sollte lediglich mitkommen.“, erklärte er an Alex, „Aber sie wollte nicht, also musste ich sie ja irgendwie davon überzeugen, dass sie auch duschen sollte.“

„Alex?“

Luca erschien in der Tür und sah überrascht zu uns. Dann sah er von Levin auf seine Hand, die auf meinem Mund lag und zu Alex. „Ihr habt doch nichts Verbotenes im Sinn, oder?“

„Nein.“, gab sie zurück.

Als Levin bemerkte, dass ich ihn finster ansah, nahm er seine Hand von meinem Mund.

„Du hast das alles also nur gesagt, damit ich mit unter die Dusche komme?“, wollte ich von ihm wissen.

Er zog die Brauen zusammen und überlegte, woraufhin ihm einfiel was er gesagt hatte. „Nein! Wie kommst du darauf? Ich meinte alles vollkommen ernst. Und ich nehme alles ernst was du gesagt hast.“ Er küsste mich kurz und stand dann auf. „Jetzt sollte ich wohl wirklich duschen gehen.“

Als er gehen wollte, setzte ich mich auf und hielt ihn an der Shorts fest. „Warte mal, mein süßer Streuner. Ich hab vorher noch eine Frage.“

„Süßer?“, hakte Luca nach.

„Streuner?“, ergänzte Alex.

Levins Nacken wurde noch ein wenig roter, während er zu mir sah. „Musste das jetzt sein?“

„Ich hab noch eine Frage.“

„Deshalb musst du mich vor den beiden doch nicht Streuner nennen.“, erwiderte er leise.

„Soll ich dich etwa Köter nennen?“

„Nein.“ Er zögerte einen kurzen Augenblick. „Aber caro hat mir gefallen.“

Ich zog ihn neben mir aufs Bett und hielt ihn an der Taille fest, als er wieder aufstehen wollte. „Bleib hier.“

„Ich dachte ich soll duschen.“, gab er zurück und versuchte aus meinen Armen zu kommen.

„Du sollst noch kurz hierbleiben. Ich habe immer noch eine Frage.“

„Violeta.“

„Levantin.“

Er versuchte wieder aus meinen Armen zu kommen. Als er sich hinstellte und gehen wollte, stellte ich ihn ein Bein, woraufhin er zu Boden ging. Ich setzte mich kurzerhand auf seinen Rücken, woraufhin er ein wenig ächzte.

„Letty. Lass mich doch einfach duschen. Die Frage kannst du noch danach stellen.“

„Du kannst mich auch einfach kurz die Frage stellen lassen. Danach kannst du duschen gehen.“

„Ich will aber duschen. Außerdem glaube ich nicht, dass ich fähig bin eine Frage zu beantworten.“

Er regte sich ein wenig unter mir, woraufhin ich von seinem Rücken rutschte und er aufstehen wollte. Ich hielt ihn fest, woraufhin er sich auf den Rücken drehte und ich mich auf seine Hüften setzte. Er sah fassungslos an sich herab auf seine Hüften. Dann sah er finster zu mir auf.

„Glaub mir, das bereust du später noch.“

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich will eine Antwort.“

Er sah auf meine Hüften und überlegte offenbar ob er mich von sich runter bekam. Als er meinen Gesichtsausdruck sah, erkannte er offenbar, dass er mich nicht los wurde, bis er mir die Frage beantwortet hatte, also seufzte er und ließ sich auf den Boden sinken, während er angestrengt an die Decke sah.

„Dann stell die blöde Frage.“

Ich piekte ihm in den Bauch, woraufhin er zusammen zuckte und zu mir sah.

„Was sollte das? Das kitzelt.“

„Meine Frage ist nicht blöd. Es ist eine ernstzunehmende berechtigte Frage.“

„Nun frag schon.“

Ich sah ihn wartend an, woraufhin er tief durchatmete und kurz die Augen schloss.

„Okay. Es ist eine ernstzunehmende berechtigte Frage. Jetzt frag endlich, bevor ich Alex und Luca hier raus werfen muss, weil ich mich nicht mehr beherrschen kann.“

Ich legte ihm die Hände an die Brust und lehnte mich ein wenig vor. „Ich wollte fragen...“

Ich biss mir leicht auf die Unterlippe, was ihm wohl zeigte, dass ich es ernst meinte. Er stützte sich mit einer Hand am Boden ab und legte mir die andere an die Taille.

„Frag schon.“, ermutigte er mich.

Ich warf einen kurzen Blick auf Alex und Luca. Dann beugte ich mich ganz vor und schlang die Arme um Levin, während ich meinen Mund an sein Ohr hielt.

„Wie bist du dir eigentlich so sicher, dass du mich in ein paar Jahren immer noch liebst? Und zwar so sehr, dass wir Kinder haben. Ich meine-“

Er unterbrach mich sanft, indem er mir einen Kuss aufs Ohr drückte und danach sanft in die Ohrmuschel biss. Ich zuckte zusammen, woraufhin er mein Gesicht anhob. „Ich liebe dich jetzt schon so sehr, dass es mir nicht einmal etwas ausmachen würde, wenn du plötzlich schwanger werden würdest.“ Er setzte sich richtig auf, woraufhin ich automatisch die Beine um ihn schlang. Er legte mir die Arme fest um die Taille und küsste mich kurz. „Selbst wenn sich herausstellen würde dass du von... dem Vorfall damals ein Kind hättest, was ich jedoch weniger glaube... Ich würde dich trotzdem lieben.“

Als mir klar wurde, was er da sagte, fiel mir auf wie viel Glück ich gehabt hatte. „Mein Gott, was wäre wenn das wirklich passiert wäre!“, rief ich plötzlich aus und klammerte mich an ihn.

Er kippte überrascht mit mir nach hinten weg und hielt mich fest, während ich mein Gesicht an seinem Hals verbarg. „Ist schon gut. Schon gut, Aksominė kojenas. Es ist nicht passiert. Und das wird es auch nicht.“

„Ich habe mehr Angst davor, dass das davor nochmal passieren könnte. Er- er sagte, wir würden uns wiedersehen.“ Das hatte ich bisher noch nie jemandem gesagt. Und jetzt sagte ich es so leise, dass nur Levin es hören konnte.

Er sah zu Alex und Luca. „Könnt ihr uns bitte allein lassen?“

Ich hörte wie Luca leise etwas zu Alex sagte und dann mit ihr das Zimmer verließ. Dann fiel die Tür zu und Levin legte mir sanft eine Hand in den Nacken um mich zu beruhigen.

„Du brauchst keine Angst haben. Es wird nicht nochmal passieren.“

„Er sagte, er habe mich Tage vorher ständig beobachtet und sei mir gefolgt. Ich habe ihn nicht bemerkt Levin. Er ist mir überallhin gefolgt.“ Noch etwas, das ich nie erwähnt hatte. „Ich habe solche Angst. Als wir umgezogen sind, habe ich mir gedacht, dass es sicher helfen würde, wenn wir dort hinziehen. Aber dann ist mir klar geworden, dass er uns sicher sogar da gefolgt ist. Er weiß wo ich bin. Er weiß es immer.“

„Violeta. Er weiß es nicht. Hör auf damit. Sieh mich an.“ Er nahm meinen Kopf und zwang mich dazu ihn anzusehen. „Das ist jetzt zwei Jahre her, oder?“

„Nun... jetzt sind es drei.“

„Na also. Ist währenddessen irgendwas passiert?“

Ich entspannte mich ein wenig. „Nein.“

„Meinst du nicht, es wäre schon irgendwas passiert, wenn er dich nochmal... vergewaltigen möchte?“

Ich zuckte zusammen. „Doch. Aber... Ich weiß es nicht.“

Er küsste mich kurz. „Er wird es nicht nochmal versuchen.“ Er küsste mich erneut. „Es ist alles okay, hörst du? Er kommt dir nicht nochmal zu nahe.“

Ich lehnte mich an ihn und hielt mich an ihm fest. „Ich glaube, ich könnte doch eine Dusche vertragen.“

Er seufzte leise und stand mit mir auf den Armen auf. Als er in den Flur trat, wunderte es mich ein wenig, dass niemand zu sehen war. Levin dagegen ging direkt ins Badezimmer und setzte mich auf die Theke neben dem Waschbecken. Dann schloss er die Tür ab und begann mich sanft auszuziehen, als könnte ich das nicht selbst.

„Levin?“

Er war gerade dabei meine Bluse aufzuknöpfen, weshalb er nicht aufsah. „Ja?“

„Woher kennst du eigentlich... äh... wie heißt sie noch gleich? Vilia?“

„Sylvia?“

„Ja genau. Woher kennst du sie eigentlich?“

Er schwieg einen Augenblick, während er mir die Bluse auszog und sich dann um den BH kümmerte. „Wir gingen mal auf dieselbe Schule. Ein Jahr lang. Dann habe ich die Schule gewechselt.“

„Lief da mal was zwischen euch?“

Er sah überrascht auf. „Warum fragst du?“

Ich zögerte ein wenig. „Ihr wart so vertraut miteinander. Ihr habt ziemlich heftig geflirtet.“ Ich bemerkte den Stich Eifersucht in der Brust und sah Levin wartend an.

„Wir... hatten mal etwas. Aber das war nichts Besonderes. Wir waren drei Monate zusammen. Dann habe ich festgestellt, dass es nicht das ist, was ich gesucht habe. Also habe ich Schluss gemacht. In ihren Augen waren wir immer noch ein Paar.“ Er seufzte. „Sie ging mir manchmal ein wenig auf die Nerven, weil sie so enttäuscht von mir war, wenn ich ihren Annäherungsversuchen auswich. Wir waren vier Jahre lang befreundet. Aber dann kamst du... und ich habe gefunden was ich gesucht habe.“ Er lächelte mich an und küsste mich kurz. Mittlerweile hatte er mich ganz ausgezogen und stützte sich neben mir an der Theke ab. Er zog mich an sich und ging mit mir zur Dusche. „Und ich habe nicht vor, dich so schnell wieder zu verlieren.“

Ich lächelte über den Satz und küsste ihn auf den Kiefer. Statt sich noch die Shorts auszuziehen, ging er einfach unter die Dusche, zog die Schiebetüren zu und drehte das Wasser auf. Ich schrie auf, als mich das anfangs kalte Wasser im Rücken traf und schlug meinem Streuner auf die Schulter als er amüsiert lachte.

„Na warte...“, meinte ich und zog ihn zu mir hinab.

Er war etwas überrascht als ich ihn küsste, zuckte dann jedoch zusammen als ich ihm in den Bauch piekte. „He.“

Ich schmunzelte, küsste ihn weiter und kitzelte ihn ein wenig an der Seite. Er zuckte und versuchte mich daran zu hindern, woraufhin ich leise lachte und ihn ein wenig mehr kitzelte.

Aksominė kojenas, hör auf damit, sonst lass ich dich noch fallen.“, meinte er lachend.

Es war schwer zu verstehen was er sagte, da ich die ganze Zeit versuchte ihn mit dem Kuss stumm zu halten. Als ich ihm beinahe hinunter fiel, schlang er die Arme fester um mich und zog mich hoch, bevor er sogleich wieder etwas locker ließ, da ich ihn wieder kitzelte. Wenige Augenblicke später drückte er mich einfach an die Wand, sodass er mich loslassen konnte und fing meine Hände ein.

„Jetzt hab ich dich.“, meinte er triumphierend.

Ich biss mir auf die Unterlippe. „Bist du dir sicher?“

Er hielt überrascht inne und schwieg kurz. Dann riss er mich an sich, um mich stürmisch zu küssen.

Familienbesuche

„Sag mal, Alex... Was ist das für ein Ring?“ Levin nahm Alexandras rechte Hand und betrachtete einen Ring, der an ihrem Ringfinger steckte. „Wenn ich mich recht erinnere, trägst du doch nur sehr selten Schmuck.“

Sie warf Luca einen Blick zu und lächelte Levin an. „Drei mal darfst du raten.“

Mein Streuner zog eine Braue hoch und betrachtete sie eine Weile. Dann schürzte er die Lippen. „Ich habe so eine Ahnung, aber ich bin mir erst dann sicher, wenn du es ausgesprochen hast.“

Sie lächelte und umschlang Lucas Taille. „Ich bin verlobt.“

Obwohl Levin es offenbar bereits geahnt hatte, atmete er lange und überrascht aus. Er griff hinter sich nach einem Stuhl oder einer anderen Sitzgelegenheit, ertastete jedoch nur meine Brust, woraufhin ich überrascht hinab sah. Als er bemerkte, was er da hielt, sah er abrupt zu mir.

„Oh. Tut mir Leid.“

Ich sah mit hochgezogener Braue zu ihm auf, während er seine Hand keinen Millimeter bewegte. „Es tut dir Leid.“, bemerkte ich, „Und... wann willst du damit aufhören?“

Er zog kurz die Brauen zusammen. „Äh... Das ist eine gute Frage.“ Er starrte auf seine Hand. „Es fühlt sich so gut an, weißt du. Ich glaube, das mache ich in Zukunft öfter.“ Er zog mich mit der anderen Hand an sich und ließ die erste Hand über meinen Brustkorb gleiten. „Habe ich dir heute schon gesagt, dass ich dich liebe?“

„Mindestens acht mal.“

„Acht schon?“

„Das heißt nicht, dass es oft genug ist.“

Er lächelte ein wenig und sah zu mir auf. „Gut, ich habe nämlich nicht vor, damit aufzuhören.“ Er küsste mich kurz. „Ich liebe dich.“ Als seine Hände an Stellen waren, die nicht so intim war, sah er wieder zu Alex. „Also... Ihr seid also verlobt.“ Er schürzte die Lippen. „Wann ist denn die Hochzeit? Darf ich Trauzeuge sein? Und, was mich jetzt wirklich sehr interessiert, ist schon Nachwuchs in Planung?“

Bei der letzten Frage wurde Alexandra so rot wie die Bolognese die wir zu den Spaghetti gegessen haben und verbarg ihr Gesicht an Lucas Brust. Dieser lachte leise und schlang einen Arm um ihre Taille.

„Die Hochzeit soll stattfinden, wenn wir beide Volljährig sind und die Schule hinter uns haben.“, erklärte er, „Das mit dem Trauzeugen ist sicher kein Problem und was den Nachwuchs betrifft...“ Er sah zu Alex hinab. „Also, ich hätte schon gern Kinder. Am liebsten zwei Mädchen, die genauso aussehen wie ihre Mutter.“

Sofort sah Alexandra zu ihm auf. „Nein. Wenn wir Kinder bekommen, sollen sie so aussehen wie du.“

„Du bist aber viel hübscher.“

„Ich will aber, dass sie so aussehen wie du.“

Luca seufzte und verdrehte die Augen, woraufhin Alexandra ihm gegen die Schulter schlug. Er sah zu ihr hinab und zog eine Braue hoch. Sie sah zurück. Schließlich schnaubte er und unterbrach ihren Protest mit einem Kuss. „Ich werde nicht mir dir streiten.“, meinte er an ihrem Mund, während sie ihn finster ansah.

„Ach hier bist du.“

Levin drehte sich überrascht um als Darius sich hinter uns meldete. Die beiden begrüßten sich lächelnd. „Ich habe dich lange nicht mehr gesehen.“, meinte Levin als sie sich wieder gegenüber standen und er mir einen Arm um die Schulter legte. „Violeta hast du schon kennen gelernt, oder?“

Darius lächelte mich an. „Ich vergesse es nicht so schnell, wenn ich eine Frau sehe, die nichts weiter trägt als ein T-Shirt. Besonders wenn es eine so schöne Frau ist.“ Er grinste Levin an und zwinkerte mir zu.

Levin dagegen warf mir einen Blick aus dem Augenwinkel zu. „Darüber werde ich später noch mit dir reden müssen, Mažas.“

Etwas rot geworden lehnte ich mich nur an ihn und versuchte mein Gesicht an ihm zu verstecken, was Darius ganz offensichtlich amüsierte. „Eine süße Frau hast du da.“, meinte er, „Aber über sie wollte ich mit dir eigentlich nicht reden. Es geht mir eher um Lilly.“ Er seufzte leise und sah enttäuscht und frustriert auf den Boden. „Ein guter Freund sagte, sie würde mir fremdgehen. Mit diesem... diesem... Dieve mano, aš negaliu stovėti, kad tipo. Nepamirškite Garret?“ Meine Güte, ich kann diesen Typ nicht leiden. Erinnerst du dich an Garret?

Levin verzog das Gesicht. „Ja, ich erinnere mich an ihn.“

„Er hat sich vor meinen Augen an sie heran gemacht. Und... sie hat nicht mal was dagegen gemacht. Sie hat es einfach über sich ergehen lassen.“

Levin seufzte leise. „Ich kann mir vorstellen wie das ist.“

„Hast du vielleicht eine Idee, was man da machen kann?“

„Du solltest mit ihr darüber reden.“, meinte ich unwillkürlich.

Er sah mich überrascht an. „Mit ihr darüber reden?“

Ich nickte. „Du weißt doch, wie sie aussieht, wenn sie lügt, oder?“

Er nickte zögernd. „Sie zögert ein wenig und sieht oft auf meine Schulter oder an mir vorbei.“

„Wenn sie lügt, hast du was du brauchst. Du wirst dich nur entscheiden müssen, ob du im Zweifelsfalle bei ihr bleibst oder sie verlässt.“

Er schwieg und dachte über meine Worte nach. Dann nickte er langsam und setzte sich in den nächsten Sessel. Als Levin sich mit mir wieder an Alexandra und Luca wand, hielt er inne, bevor er überhaupt etwas gesagt hatte und sah den beiden skeptisch zu, wie Luca sie fest an sich drückte und küsste. Dann drehte er sich um und zog mich zu einer Couch, wo er sich mit mir auf dem Schoß hinsetzte, da dort nur noch ein Platz frei war. Zu unserer Rechten saß Levins Onkel Aras und zu unserer Linken saß Lilita mit ihrem Freund Janis.

„Sie sehen schön zusammen aus.“, meinte Lilita an uns beiden.

Ich merkte, wie Levin nickte und sah zu ihm, um mich zu vergewissern, dass er es wirklich tat. Er lächelte mich an, woraufhin ich zurück lächelte.

„Ihr seht aber auch süß zusammen aus.“, fügte Lilita dann hinzu und lachte als Janis an ihrem Nacken knabberte.

Lilita hatte genauso wie Levin silbrige Augen. Allerdings hatte sie keine grünen Sprenkel. Dafür hatte sie helle blaue Striemen, die ihre Augen wie flüssiger Stahl erschienen ließen.

„Ihr seht auch schön zusammen aus.“, meinte ich leise und lehnte mich an meinen Streuner.

Lilita lächelte. „Ich kann mir nicht vorstellen mit jemand anderem mein Leben zu verbringen.“ Sie sah zu ihrem Freund, der sie anlächelte und küsste. „Ich liebe ihn zu sehr.“, meinte sie kurz darauf und lehnte sich dann an Janis' Brust.

Ich konnte gut verstehen, wie Janis ihr Herz erobert hatte. Bereits seine Augen schienen wie zum Herz erobern gemacht zu sein. Dichte tiefschwarze Wimpern, wunderschöne leuchtende grüne Iris. Er hatte dunkles braunes Haar, das aussah, als würde es darum betteln, dass man die Hände darin vergrub. Lilita schien derselben Meinung zu sein, denn ich sah ständig, wie sie mit der Hand durch sein Haar fuhr. Genau so wie in diesem Augenblick.

„Liebling?“

Janis richtete seinen Blick auf Lilitas Augen, als sie ihn ansprach. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte er seit meiner Ankunft nicht ein einziges Wort gesagt.

„Du liebst mich doch auch, oder?“

Er lächelte sie nur an und küsste sie nochmal. Das schien ihr schon zu reichen, denn sie lächelte und lehnte sich so sehr an ihn, dass er gegen die Rückenlehne kippte.

„Er redet nicht gerne.“, erklärte Levin mir leise, „Seine Mutter ist taub, deshalb hat er erst sehr spät das Sprechen gelernt. Sein Vater ist verschwunden, kurz bevor sie erfahren hat, dass sie schwanger ist. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Zehn Jahre später tauchte er wieder auf. Das Erste was er tat, war zu Janis Mutter zu gehen und ihr alles zu erklären. Ich weiß nicht was passiert ist. Fakt ist, Janis hat erst vor sechs Jahren das Sprechen gelernt und hat sich immer noch nicht daran gewöhnt.“

„Verstehe.“, murmelte ich, „Es muss hart sein, es erst so spät zu lernen.“

Man sah ihm nicht an, dass er so selten sprach. Nach einer Weile bemerkte man es zwar, aber er sah eher so aus, als wäre er ziemlich gesprächig.

„Würde er es mir übel nehmen, wenn ich ihn etwas frage, worauf er nur mit einem Satz antworten kann?“, fragte ich Levin leise.

„Nein. Er ist sehr nett und hat sehr viel Verständnis. Sogar für Dinge, die andere gar nicht verstehen würden. Ihr werdet sicher gute Freunde.“

Ich biss mir ein wenig auf die Unterlippe und gab mir dann einen Ruck. „Janis?“

Er sah von Lilita zu mir und lächelte mich an. Ich konnte nicht anders als ihn einen Augenblick anzustarren, bevor mir wieder einfiel was ich fragen wollte.

„Äh... Sag mal...“ Ich zögerte ein wenig, bevor ich kurz ausatmete. „Wo bist du eigentlich geboren?“

Er sah ein wenig überrascht über die Frage aus. Ebenso wie Lilita. Aus dem Augenwinkel sah ich sogar dass Levin mich überrascht ansah.

„Ich bin in Litauen geboren.“, antwortete Janis schließlich langsam. Er hatte einen starken Akzent und es hörte sich an, als müsse er darauf aufpassen nichts Falsches zu sagen. Er zog ein wenig die Brauen zusammen. „Meine Eltern und ich zogen vor fünf Jahren her.“ Er warf Lilita einen kurzen Blick zu und lächelte schräg. „Hab Lilita vor einem Jahr kennen gelernt.“

„Personalpronomen.“, meinte diese, als würde sie ihn an etwa erinnern.

Er zögerte ein wenig. „Ich hab sie vor einem Jahr kennen gelernt.“

„Er hat noch das eine oder andere Problem mit Englisch.“, erklärte Lilita und verschränkte die Hände in seinem Nacken. „Manchmal vergisst er das eine oder andere unwichtige Wort, aber er möchte, dass ich ihm dann immer sage, was er vergessen hat, damit er sich verbessern kann.“

„Oh.“ Ich sah wieder zu Janis. „Also, ich hab dich einwandfrei verstanden. Es war vielleicht ein wenig sonderbar, weil du einen starken litauischen Akzent hast, aber... das macht es eher interessant.“

Er hatte eine dunkle Stimme, die in Verbindung mit dem Akzent ziemlich aufregend klang.

„Du siehst aus, als wärst du ebenfalls aus einem anderen Land.“, bemerkte er und sah aus dem Augenwinkel zu Lilita, die ihn nur anlächelte und ihn auf die Wange küsste.

„Meine Mutter ist Italienerin.“, antwortete ich, „Mein Vater ist Schotte. Mein Großvater ist Franzose.“

„Eine schottisch-französische-Italienerin?“, hakte er nach.

Ich nickte. „Allerdings bin ich hier in Amerika geboren. Dafür kann ich mir den Akzent aussuchen.“

Levin sah mich überrascht an. „Das wusste ich gar nicht.“

Ich lächelte. „Ich hab doch gesagt, Italiener würden mich für eine waschechte Italienerin halten. Dafür muss ich den entsprechenden Akzent können.“ Den letzten Satz sprach ich auch mit dem entsprechendem Akzent aus, woraufhin er leise lachte und mich aufs Ohr küsste.

„Das muss ich nochmal genauer erforschen.“ Er sprach das mit seinem Litauischen Akzent aus. Da er das R rollte, kitzelte es im Ohr, woraufhin ich leise lachte und die Schulter hochzog.

„Kannst du noch mehr Sprachen?“, wollte ich dann von Janis wissen, „Abgesehen von Englisch?“

Er lächelte. „Taip. Aš kalbu lietuviškai.“ Ja. Ich spreche litauisch.

Ich bekam eine Gänsehaut.

„Mi parlano anche italiano.“ Außerdem spreche ich italienisch.

Ich bekam eine noch schlimmere Gänsehaut, was Janis offenbar auffiel, denn er grinste ein wenig. „Italiano?“, hakte ich nach, „Ho dei parenti italiani. Pertanto, ho già imparato da bambino.“ Ich habe einige italienische Verwandte. Deshalb habe ich es bereits als Kind gelernt.

Er lächelte etwas mehr. „Anche io!“ Ich auch!

Prompt begannen wir uns auf italienisch zu unterhalten. Er konnte es fehlerfrei und war auch sehr wortgewandt. Lilitas Ausdruck nach hatte sie ihn vorher noch nie so viel reden hören.

„Io amo la vista quando sono con i miei parenti a visitare e stare sul balcone. Lei vive a Livorno e hanno una vista diretta sulle montagne toscane. E solo allora se il sole va giù ... Semplicemente bello. E romantico.“ Ich liebe den Ausblick, wenn ich bei meinen Verwandten zu Besuch bin und auf dem Balkon stehe. Sie wohnen in Livorno und haben einen direkten Ausblick auf die toskanischen Gebirge. Und wenn dann erst die Sonne untergeht... Einfach wunderschön. Und romantisch.

„Sì, sì. Semplicemente bello questo paese. Eri già sul lago Trasimeno? Ho usato per nuotare spesso andato se fossi in Italia.“ Ja ja. Einfach wunderschön dieses Land. Warst du auch schon am Lago Trasimeno? Ich bin früher oft dort schwimmen gegangen, wenn ich in Italien war.

„Ah, sì, sì. Il Lago Trasimeno. Dal momento che sono piaceva anche andare a nuotare.“ Ah, ja ja. Der Lago Trasimeno. Da bin ich auch gern schwimmen gegangen.

Gerade als er wieder etwas sagen wollte, schrie Lilita abrupt auf und zog die Beine an. Janis sah sofort zu ihr. Sie klammerte sich an ihn und starrte auf etwas, dass auf dem Boden war. Als ich ihrem Blick folgte, schrie ich ebenfalls auf und zog die Beine an. Ich klammerte mich an Levantin und hielt ihn bei mir. Zufälligerweise hatte ich gerade seinen Kopf in der Hand und zog diesen an meine Brust.

„Was ist denn los?“, wollte er wissen und löste seinen Kopf sanft aus meinem Klammergriff.

Daraufhin umklammerte ich seinen Brustkorb und rückte näher an ihn heran. „Da ist eine Spinne!“

Offenbar hatten das mehrere Leute gehört, denn ich hörte wie einige Frauen aufschrien und sich umsahen, wobei sie fragten, wo die besagte Spinne sei. Levantin seufzte leise, schob mich sanft ein wenig zur Seite und beugte sich vor um nachzusehen. Als ich sah, wie sie an seinem Schuh herauf kletterte, gab ich ein erstickendes Geräusch von mir und rutschte unbewusst näher zu Janis und Lilita. Gleichzeitig zog mich mich enger an Levin, weshalb ich ihm beinahe die Luft abdrückte.

Aksominė kojenas, ich kann nichts sehen, wenn du mich festhältst.“, meinte Levin und sah zu mir auf. Die Spinne war bereits an seinem Hosenbein.

„Du musst nur noch dein Bein ausstrecken.“, gab ich ächzend zurück.

Er zog die Brauen zusammen und tat was ich ihm sagte. Dann zog er sie überrascht hoch als er die Spinne sah.

„Oh.“ Als er sich etwas vorbeugte, hielt ich ihn fest.

„Du machst doch nicht etwas das, wovon ich denke, dass du es tust, oder?“

Er zog eine Braue hoch, beugte sich etwas weiter vor und nahm die Spinne auf die Hand.

 

„Ach komm schon, Letty. Es war doch nur eine Spinne.“

Ich antwortete nicht.

„Violeta. Lass mich rein. Bitte.“

Weiterhin Schweigen.

„Violeta.“

„Ich hab gesagt, ich rühre dich erst wieder an oder lasse dich erst rein, wenn du geduscht hast.“, gab ich zurück.

Er seufzte tief. „Es war nur ein kleines Spinnchen.“

Ich schauderte. „Ich hasse Spinnen. Und wenn sie noch so klein sind.“

Es blieb eine Weile still, bevor ich hörte wie er von der Tür wegtrat. Kurz darauf hörte ich wie die Badezimmertür auf ging und die Dusche angestellt wurde. Ich atmete erleichtert aus und lehnte den Kopf an die Tür. Nachdem Levantin die Spinne in die Hand genommen hatte, war ich sofort von seinem Schoß gesprungen und hatte fünf Meter zwischen uns gebracht. Lilita hatte Janis zwischen sich und Levin gebracht. Levin hatte die Spinne über seine Hände und Arme laufen lassen. Er hatte sie sich sogar auf das T-Shirt und aufs Haar gesetzt. Janis hatte zugesehen und die Spinne an den einen oder anderen Ort, wie Levins Gesicht gesetzt. Letzten Endes hatte Janis die Spinne raus gebracht, während Levin zu mir ging. Ich dagegen hatte Abstand gehalten und als er mich fragte was los sei, sagte ich ihm, dass ich ihn erst wieder anfassen würde, wenn er geduscht hatte. Schließlich hatte er es geschafft mich damit durchs ganze Haus zu jagen, bis ich mich in unserem Zimmer eingeschlossen hatte.

Ich zuckte zusammen als es an der Tür klopfte und hob den Kopf.

„Violeta?“ Es war wieder mein furchtbarer Streuner. „Du bist doch noch wach, oder?“

Ich räusperte mich kurz. „Ja.“

„Also... Ich hab jetzt geduscht. Falls es dich beruhigt, ich hab dabei ziemlich viel Seife benutzt. Darf ich jetzt wieder rein?“

Ich zögerte etwas, schloss dann aber doch auf und öffnete die Tür. Levin trug lediglich ein Handtuch, dass er sich um die Hüfte gewickelt hatte. Er war noch nass und ich konnte ihn trotz dem halben Meter Abstand riechen. Ich trat beiseite, damit er rein kommen konnte und schloss dann wieder die Tür.

„Das war jetzt die dritte Dusche heute.“, meinte er wenig begeistert, küsste mich jedoch trotzdem kurz zur Begrüßung und lächelte schräg mich an. „Tut mir Leid, dass ich dich durchs Haus gejagt habe.“

Ich nickte müde und gähnte, woraufhin er ein wenig lächelte.

„Lass uns schlafen gehen.“

„Nur schlafen?“, hakte ich misstrauisch nach.

Er schürzte die Lippen. „Okay, du hast mich durchschaut. Ein mal und dann schlafen?“

Ich sah ihn eine Weile an, bevor ich wieder gähnen musste.

„Okay, ich glaube ich lass dich besser direkt schlafen.“, meinte er leicht besorgt und ging zu seinem Koffer um eine Shorts anzuziehen, während ich mich umzog. Dabei schlief ich drei Mal fast ein.

Als ich umgezogen war, kletterte ich zu dem wartenden Levantin ins Bett und rückte an ihn heran um mich an ihn zu kuscheln. Er gab ein zufriedenes Geräusch von sich, während ich wohlig seufzte und beinahe sofort einschlief.

 

Abermals rutschte ich nervös auf meinem Platz herum, nur um kurz darauf wieder zurück zu rutschen. Levin saß entspannt neben mir und beobachtete mich aus dem Augenwinkel.

„Alles in Ordnung?“, wollte er wissen, „Seit wir abgehoben sind, rutscht du ständig hin und her.“

Ich sah zu ihm und nickte. „Alles in Ordnung.“

Er lächelte schräg zurück und beobachtete, wie ich erneut herum rutschte. „Ist der Platz ungemütlich oder so? Möchtest du ein Kissen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Alles okay.“

Mir wurde ein wenig flau im Magen. Ich hatte mich heute Morgen übergeben. Glücklicherweise hatte er noch geschlafen. Als sich mir langsam wieder den Magen umdrehte, fragte ich mich, ob ich vielleicht etwas Falsches gegessen hatte. Ich schauderte, was Levin natürlich sofort bemerkte.

„Du bist dir sicher, das alles in Ordnung ist?“, fragte er vorsichtig nach.

Ich nickte. „Es ist wirklich alles in Ordnung.“ Bis mir die Übelkeit zu sehr zu schaffen machte. „Liebling?“

Er horchte sofort auf. „Ja?“

„Darf ich kurz vorbei? Ich müsste mal... für kleine Pfötchen.“

Sein Mundwinkel zuckte, als er feststellte, das Pfötchen sich auf meinen Kosename bezog. Dann stand er auf, damit ich vorbei gehen konnte um die Toilette aufzusuchen. Dort konnte ich gerade noch rechtzeitig die Tür abschließen, bevor ich mich übergab. Erst danach versicherte ich mich, dass mich niemand hören konnte, spülte mir den Mund aus und suchte in meiner Handtasche nach der kleinen Schachtel meiner Lieblingsdrops, die ich mir extra gekauft hatte, bevor wir in das Flugzeug gestiegen waren. Gegen den Druck auf den Ohren, wie ich meinem Streuner gesagt hatte. Ich versicherte mich, dass der Kirschgeruch des Drops die letzten Beweise meiner Übelkeit beseitigt hatte und ging dann wieder an meinen Platz, wo Levin bereits nervös war und mich erleichtert ansah, als er mich erblickte. Weil ich nicht wollte, dass er sich Sorgen machte, sagte ich nicht, dass ich mit Übelkeit zu kämpfen hatte. Stattdessen fragte ich ihn, wann es wohl etwas zu Essen gab.

„Die Stewardess sagte eben, dass es gleich ausgeteilt wird. Eine Stunde nach unserer Ankunft bei Leonas, gibt es dann auch wieder etwas zu essen.“, erklärte er mir, „Du siehst etwas blass aus.“

„Ist schon okay. Es ist nur ein wenig kalt.“, gab ich als Erklärung.

Sofort klappte er die Armlehne zwischen uns hoch und zog mich an sich, sodass er mich wärmen konnte. Ich lächelte darüber und kuschelte mich an ihn, bis die Stewardess uns eine Kleinigkeit zu Essen aushändigte. Da es noch früh war, war es dementsprechend ein Frühstück, das aus jeweils zwei, nach Belieben, drei Brötchen mit verschiedenen Belägen bestand. Zur Auswahl standen Salami, Käse, Marmelade, Schokolade, Honig und Schinken. Für Vegetarier gab es sogar eine Art Vegane-Platte, wie die Stewardess erklärte. Da ich jedoch nicht sonderlich viel für Essen in Form von Pflanzen übrig hatte, bekam ich das normale. Dazu bat ich um einen heißen Kakao und lächelte als ich ihn in den Händen hielt.

„Warst du schon mal im Norden?“, wollte Levin wissen, als die Stewardess eine Reihe weiter ging.

Ich schüttelte nur den Kopf, da ich gerade von dem Kakao trank, während ich gleichzeitig eins von drei kleinen Päckchen Margarine auspackte. Levin lachte leise als er sah, wie ich den Kakao wegstellte und nach dem Messer griff, während ich mit der anderen Hand nach der Wurst griff. Erst dann kam ich auf die Idee, das Brötchen erst aufzuschneiden, bevor ich es bestrich und belegte. Levin hatte sein erstes halbes Brötchen bereits aufgegessen. Als ich anfangen wollte zu essen, zog Levin mich an der Taille zu sich, während er weiter aß. Als Levin sich eine dritte Hälfte mit Marmelade bestrich, bemerkte ich, dass er Honig am Mundwinkel hatte und schmunzelte ein wenig. Da er seit heute Morgen überraschend aufmerksam mir gegenüber war, bemerkte er es natürlich sofort.

„Was ist?“, wollte er wissen.

„Du hast da Honig?“ Ich deutete auf seinen Mundwinkel.

Er zog die Brauen zusammen. „Wo denn?“

„Na da.“

Er sah mich unsicher an, woraufhin ich mit den Augen rollte, ihn zu mir herunter zog und es ihm einfach ableckte. Er blinzelte überrascht und zog mich dann plötzlich an mich um mich zu küssen. Ich lächelte, löste mich jedoch von ihm und griff nach seinem halben Brötchen um es ihm hinzuhalten. Er lächelte zurück und biss davon ab, während er noch eins machte. Das hielt er dann mir hin. Wir fütterten uns gegenseitig und achteten gar nicht darauf, dass uns der eine oder anderen beobachtete. Nach dem Essen bat Levin um eine Decke und zog mich an sich um uns beide zuzudecken. Er hielt mich an der Taille bei sich, woraufhin ich den Kopf an seiner Schulter bettete und die Arme um ihn schlang. Nach einer weiteren Stunde Flug sollten wir uns anschnallen, da wir in wenigen Augenblicken landen sollten. Ich rutschte auf meinen Platz und schnallte mich an, wobei ich hinaus sah.

Ich blinzelte überrascht, als ich sah, dass beinahe alles weiß war. Ich zog die Brauen zusammen, rückte näher ans Fenster und sah neugierig hinaus. Sicher, ich hatte Schnee schon gesehen... allerdings nur im Fernsehen. In New Bern gab es keinen Schnee.

Zehn Minuten später standen wir mit unserem Gepäck in der großen Halle und gingen auf die Ausgänge zu. Levin hielt meine Hand, während seine Eltern vor uns gingen. Vor dem Gebäude standen wir nur eine halbe Minute da, bevor Levins Vater etwas rief und sich eine kleine Gruppe zu uns drehte. Sie war etwa dieselbe wie unsere. Zwei Erwachsene – definitiv ein Ehepaar – und ein Junge. Neben ihm stand ein Mädchen, allerdings war sie wesentlich jünger.

Als wir das Gebäude verlassen hatten, war ich damit beschäftigt gewesen leise mit Levin über unsere Familien zu sprechen. Nun, da ich von ihm nicht mehr abgelenkt war, fielen mir die weißen Flocken auf, die von Himmel fielen. Ich blinzelte und trat ein wenig von Levantin weg um sie mir genauer anzusehen. Ich streckte die nackte Hand aus, um eine Flocke aufzufangen, was jedoch nichts brachte, da sie schmolz, sobald sie meine Finger berührten.

„Liebling?“

Ich sah zu Levin, der bereits bei der kleinen Gruppe stand und mich zu sich winkte. Ich warf noch einen kurzen Blick auf die Flocken und eilte dann zu ihm. Da ich meinen Koffer stehen gelassen hatte um mir die Flocken anzusehen, hatte er ihn mitgenommen. Nun nahm ich ihn entgegen und nahm wieder Levins Hand.

„Das hier sind Leonas, Daina, Tante Nijole und Onkel Aras kennst du ja bereits.“

Ich biss mir leicht auf die Unterlippe und sah zu Levin auf.

„Das hier ist Violeta.“

Leonas lächelte und reichte mir die Hand, welche ich nur zögernd ergriff. „Freut mich dich kennen zu lernen.“

„Mich auch.“, gab ich zurück.

Er sagte auf Litauisch etwas zu Levantin, der daraufhin etwas erwiderte, was Leonas zum lachen brachte. Ich sah auf seine Hand, die meine nicht losgelassen hatte und fragte mich, wie lange er sie wohl noch halten würde. Ich zuckte zusammen, als er mich plötzlich an sich zog und umarmte. Dann küsste er mich auf die Wange und ließ mich wieder los, woraufhin ich schnell zu Levin flüchtete und die Arme um ihn schlang. Er lachte leise, legte mir einen Arm um die Taille und küsste mich auf den Schopf.

„Keine Angst, Aksominė kojenas. Er hat sich nur darüber gefreut, dass ich die Frau gefunden habe, die ich so lange gesucht habe.“, beruhigte mein Streuer mich aufbauend.

Ich sah ein wenig zu Leonas, der mich daraufhin anlächelte. Die vier Erwachsenen unterhielten sich die ganze Zeit. Irgendwann fröstelte ich, da es langsam windiger wurde.

„Wir sollten langsam gehen.“, meinte Levin und sah leicht besorgt zu mir.

Leonas Vater nickte und ging mit den anderen drei Erwachsenen voran zu einem Wagen. Ich wollte bereits fragen, wie wir alle da rein passen wollten, als Leonas Mutter Daina in den Wagen setzte und Levins Vater zu dem Wagen ging, der dahinter stand.

„Wir fahren mit zwei Wagen.“, erklärte Levin mir, „Leonas fährt bei uns mit.“

Ich nickte nur und stieg ein, als er mit die Tür aufhielt. Ich rückte bis ganz auf die andere Seite und sah aus dem Fenster, um die Flocken zu beobachten. Während der Fahrt klebte ich nahezu an der Scheibe und beobachtete die Flocken voller Faszination.

 

Nach einer Stunde Fahrt und einer halben Stunde im Haus, war ich in den Garten gegangen, da ich neugierig auf die weißen Flocken war. Mittlerweile fielen sie dicht beieinander vom Himmel. Ich achtete nicht auf die Temperatur und trat vorsichtig auf die schneebedeckte Wiese. Ich war etwas überrascht, als meine Füße in den Schnee einsanken und es kalt wurde. Ich kam mir ein wenig blöd vor, weil ich vorher tatsächlich nichts von Schnee wusste... Abgesehen davon, wie er aussah.

Ich beugte mich hinab und nahm ein wenig in die Hand. Meine Hände wurden sofort nass, weil der Schnee begann in meinen Händen zu schmelzen. Er war überraschend kalt. Als ich zudrückte, stellte ich fest, dass es sich verformen ließ. Dann ließ ich es wieder fallen und sah in den Himmel auf. Er war weiß. Fast so weiß wie der Schnee.

 

Levantin

Ich stand mit Leonas an der Tür zum Garten und beobachtete Violeta, wie sie sich den Schnee ansah.

„Sie sieht aus, als hätte sie noch nie Schnee gesehen.“, meinte mein Cousin überrascht.

„Hat sie auch nicht. Sie sagt, sie war noch nie im Norden. Und in New Bern oder San Diego gibt es keinen Schnee.“, antwortete ich und lächelte als sie sich um ihre eigene Achse drehte.

„Sie ist wunderschön.“

„Das und noch viel mehr.“

„Weiß sie überhaupt, was Schnee ist?“

„Ich denke schon. Sie hat es offenbar nur nie hautnahe gesehen.“

„Heißt das, sie kann keinen Schneemann bauen?“

Ich lächelte schräg. „Wir können es ihr ja zeigen.“

 

Violeta

Ich saß im Schnee und war gerade dabei etwas darin zu malen, als ich hörte wie jemand über den Schnee lief. Ich hatte bereits festgestellt, dass es knautschende Geräusche machte. Ich drehte mich um und sah zu Levantin und Leonas auf. Sie trugen beide Jacken und Handschuhe. Levin trug noch eine Jacke und ein Paar Handschuhe in den Händen und reichte sie mir, als die beiden bei mir waren.

„Zieh das an.“, bat mein Streuner mich fürsorglich, „Du wirst sonst noch krank.“

Ich stand auf und lächelte ihn leicht an. „Danke.“ Ich nahm Jacke und Handschuhe entgegen, zog sie an und gab Levin dann einen kurzen Kuss, bevor ich mich ein wenig zurückzog, da er versuchte einen längeren Kuss daraus zu machen. Da er ein wenig enttäuscht aussah, küsste ich ihn nochmal kurz und lächelte ihn dann an. Bevor Levin dann wieder etwas versuchen konnte, meldete sich Leonas zu Wort.

„Wir wollten dir zeigen, wie man einen Schneemann baut.“, erklärte er mir lächelnd.

Ich sah ihn überrascht an, während Levins Lippen meine Wange berührten. Offenbar wollte er mich gerade küssen, war jedoch nicht schnell genug. Das hinderte ihn nicht daran, mich an sich zu ziehen und seinen Mund zu meinem Hals hinab zu bewegen.

„Einen Schneemann?“, hakte ich nach.

Leonas nickte und schlug Levin leicht aus den Hinterkopf, als er mich wieder küssen wollte. „Das war deine Idee, also lenk sie nicht ab.“

Ich lächelte ein wenig darüber und sah zu Levin, der enttäuscht seufzte. „Okay, dann zeigt mir, wie man einen Schneemann baut.“ Ich zögerte ein wenig. „Was ist ein Schneemann?“

Leonas sah mich ungläubig an. „Das weißt du nicht?“

Ich sah ihn unsicher an. „Ein Mann aus Schnee?“, fragte ich dann zaghaft und sah zu Levin.

Sein Mundwinkel zuckte. „Ja.“

Ich blinzelte. „Wirklich?“

„Naja... Nicht direkt ein Mann. Es soll ungefähr einen Menschen darstellen. Du darfst auch die kleine Kugel machen.“

Jetzt sah ich ihn vollkommen perplex an. „Kleine Kugel?“

Er schürzte die Lippen. „Also... um einen Schneemann zu machen, muss man drei Kugeln machen. Eine Große, eine Kleine und eine Kugel die etwa... doppelt so groß ist wie die kleine. Die Große muss aber immer noch größer sein.“

Ich nickte.

„Die große Kugel ist natürlich ganz unten. Dann wird die Mittlere darauf gehoben und mit Schnee befestigt. Sie soll den Rumpf darstellen. Die große Kugel sind die Beine.“

„Die kleine Kugel ist der Kopf, oder?“

Er nickte lächelnd. „Genau.“

Leonas hatte bereits damit angefangen eine Kugel zu machen und rollte sie durch den Schnee. „So geht es am einfachsten.“, erklärte er mir, „Wenn sie groß genug ist, rollt man sie einfach.“

Ich nickte. Levin hockte sich daraufhin hin, machte aus Schnee einen kleinen Ball und rollte ihn ein wenig durch den Schnee. Ich tat es ihm nach. Fünf Minuten später rollten wir alle drei verschiedene Kugeln. Als Levin sagte, meine sei groß genug, half ich ihm beim rollen, bevor wir dann Leonas bei der großen Kugel halfen. Dann bekamen wir sie jedoch nicht von der Stelle. Allerdings war sie noch zu klein.

„Ich bin gleich wieder da.“, meinte Levin kurz darauf und eilte ins Haus. Es dauerte keine Minute, bis er mit Alexandra und Luca heraus kam. „Die beiden sind angekommen, nachdem du raus gegangen bist.“, erklärte er mir.

Wir begrüßten uns kurz, bevor wir dann zu fünft begannen die Kugel durch den Garten zu rollen. Als wir uns einmal alle dagegen stemmten, rutschte ich ab, knallte mit Leonas zusammen und landete auf ihm im Schnee. Er blinzelte überrascht in mein Gesicht, das nur wenige Zentimeter von seinem entfernt war. Gerade als ich aufstehen wollte, hatte der Baum neben uns wohl beschlossen, dass er zu viel Schnee auf den Ästen trug. Es fiel hinab und landete – wie der Zufall es so wollte – direkt zwischen meinen Schulterblättern. Es überraschte mich ein wenig, dass es so schwer war. Das wurde jedoch von einer anderen Tatsache verdrängt. Unter der Wucht des Schnees war ich an Leonas Kopf gestoßen, wobei sich unbeabsichtigt unsere Lippen berührten. Ich schüttelte den Kopf, hob ihn ein wenig und bekam Schnee in den Nacken.

„Aaah! Kalt!“, rief ich unwillkürlich aus und begann zu zappeln.

Leonas dagegen sah mich sprachlos an. Als ich meinen Arm unter dem Schnee befreit hatte, wischte ich mir den Schnee aus dem Nacken, nur um dann wieder frischen Schnee hinein zu bekommen. Levin war bereits dabei den Schnee von uns herunter zu holen. Aus dem Augenwinkel konnte ich Luca und Alexandra sehen. Luca beugte sich zu Alex und flüsterte ihr etwas zu, woraufhin diese leise lachte und den Kopf schüttelte. Luca dagegen grinste sie nur an und ging zum Baum.

„Luca? Was machst du da?“, wollte ich wissen und sah ihm misstrauisch zu.

Er grinste nur und begann den Baum zu schütteln, sodass noch mehr Schnee hinunter fiel. Rund um dem Baum herum fiel Schnee hinunter. Und natürlich auf wieder auf meinen Rücken. Diesmal jedoch auch auf meinen Kopf. Der Unterschied zum letzten Mal, bestand darin, dass meine Lippen sich diesmal an die von Leonas pressten, statt sie nur kurz zu berühren. Ich riss die Augen auf und drehte den Kopf zur Seite.

„Luca!“, rief Levin verärgert aus, „Hör auf damit und hilf mir besser.“

Ich begann bereits zu zittern und vermied es Leonas anzusehen. Als ich endlich wieder aufstehen konnte, zog Levin mich an sich und küsste mich.

„Alles okay mit dir?“, wollte er besorgt von mir wissen.

Ich nickte. „Mir ist nur ein wenig kalt.“

„Komm, wir machen den Schneemann noch schnell zu Ende und gehen dann rein, ja?“

Ich nickte.

 

Eine Viertelstunde später schüttelte Levantin neben mir den Kopf und sah aus, wie der Streuner, als den ich ihn immer bezeichnete. Mein Herz setzte einen Schlag aus, ich lächelte ein wenig und gab Levin einen Kuss, woraufhin er verwundert inne hielt, den Kuss aber dennoch erwiderte. Als ich mich von ihm löste, sah er mich einen Augenblick einfach nur an, bevor er zu Wort kam.

„Womit hab ich mir den verdient? Das werde ich dann wohl öfter machen müssen.“, wollte er wissen und zog sich Jacke und Handschuhe aus, bevor er sich wieder an mich wand.

„Das sag ich dir nicht.“, gab ich zurück und zog mich ebenfalls aus.

Kaum dass ich Jacke und Handschuhe beiseite gelegt hatte, zog Levin mich auch schon wieder an sich und küsste mich liebevoll. Ich legte ihm die Arme um den Hals und zog ihn enger an mich. Dann wurden wir jedoch davon unterbrochen, dass jemand gegen uns knallte. Ich sah überrascht dort hin und sah in ein mir völlig fremdes Gesicht. Levantin, der wegen der Unterbrechung etwas verstimmt war, sagte etwas auf Litauisch zu ihm und wand sich dann wieder an mich, um meinen Hals zu küssen. Dann bemerkte ich, dass ein Großteil von Levins Verwandten mich und meinen Streuner beobachteten.

„Levin?“, meinte ich leise.

„Ja?“, kam es daraufhin von meiner Schulter.

„Die gucken alle zu.“

Levin sah überrascht in die Gesichter seiner Verwandten und grinste dann. „Habt ihr noch nie ein küssendes Paar gesehen?“, wollte er neckend von ihnen wissen.

Alexandra, die bei einigen Verwandten stand, lachte ein wenig. „Sie sind nur neidisch.“

Damit begannen alle wieder sich zu unterhalten, woraufhin Levin sich erneut an mich wand. „Wo waren wir?“

Ich schmunzelte. „Du wolltest mir einen heißen Kakao machen.“

Er zog eine Braue hoch. „Kakao? Möchtest du nicht lieber einen Tee?“

Ich schüttelte den Kopf. „Da tue ich viel zu viel Zucker rein. Außerdem mag ich Kakao viel lieber.“

Nun schmunzelte er, küsste mich noch kurz und ging dann mit mir in die Küche. Statt Milch von der Espressomaschine zu ziehen, setzte er sie einfach am Herd auf. Als ich nur in der Küche stand und ihm zusah, zog er mich zur Theke und hob mich hoch, um mich darauf zu setzten. Dann holte er eine Tasse heraus, schüttelte Kakaopulver rein und wand sich wieder an mich. Er stellte sich zwischen meine Beine und zog mich an der Hüfte an sich heran.

„Bekomme ich dafür auch eine Gegenleistung?“, bat er mit unschuldiger Miene.

„Vielleicht.“, entgegnete ich lächelnd, „Wenn du brav bist.“

Seine Hände glitten von meiner Hüfte, über meine Oberschenkel zu meinen Kniekehlen und zu meiner Kehrseite, während er weitersprach. „Violeta, ich bin immer brav. Es ist lediglich eine Sache der Ansicht, die dir sagt, ob du es für brav hältst oder nicht.“

Ich grinste ein wenig. „Das ist ungezogen.“ Ich sah auf seine Hände, die sich bereits daran gemacht hatten, unter meinem T-Shirt an meinem Bauch hinauf zu wandern.

„Ich finde, es ist großzügig. Und schon haben wir ein Beispiel für das Thema Ansichtssache. Du findest es ungezogen, weshalb auch immer.“ – Ich grinste amüsiert vor mich hin – „Ich finde es großzügig, weil ich dir damit Freude mache und nicht einmal erwarte, dass du mir ebenfalls Freude gibst.“ Er zog die Brauen zusammen. „Was du aber bereits damit tust, weil du einfach nur in meiner Nähe bist. Also gibst du mir etwas dafür, dass ich dir Freude mache.“ Er schwieg einen Augenblick und dachte nach. „Was habe ich gerade gesagt?“

Ich begann zu lachen, schlang die Arme um seinen Hals und zog ihn zu mir, um ihn zu küssen. „Du hast mir erklärt, warum du in deiner Ansicht brav bist.“

Er grinste mich an. „Hast du deine Meinung geändert?“

Ich schwieg einen Augenblick, bevor ich antwortete. „Ja.“

Er wartete.

„Du bist doppelt so ungezogen, wie ich dachte.“

Er lachte leise. „Wie kommst du darauf?“

„Du versuchst mich nicht nur mitten in der Küche zu verführen, sondern versuchst auch noch mir einzureden es wäre in Ordnung von dir.“

„Ist es doch auch.“ Er küsste mich auf den Hals. „Wenn ich mich recht erinnere, sagtest du letzte Nacht im Bett zu mir, ich dürfe dich dann und dort verführen, wenn ich es möchte.“

Ich wurde etwas rot. Ich hatte gehofft, er hätte es überhört oder wieder vergessen.

„Nicht zu vergessen, dass du mir gesagt hast, du würdest mir gehören.“

„Aber nur, weil du mir gesagt hast, dass du mir gehörst.“

„Du hast mich dazu gezwungen.“

„Hab ich gar nicht.“

Er zog eine Braue hoch und zog sein T-Shirt ein Stück hoch, womit er Bissspuren entblößte. „Du hast mich gebissen.“

Ich schmunzelte und senkte verlegen den Kopf. „Ich habe nur geknabbert. Ich habe probiert.“

„Du hast aber ziemlich viel probiert.“ Er sah auf seine Taille und seinem Bauch hinab, die übersät mit Bissspuren waren.

Ich biss mir leicht auf die Unterlippe. „Hat es wehgetan?“

Er sah mich entsetzt an. „Weh getan? Weh getan?! Mein Gott, ich würde meine linke Niere spenden, nur damit du das nochmal machst.“

Mein Mundwinkel zuckte. Ich zog ihn zu mir heran, küsste ihn kurz und küsste ihn dann auf den Hals, bevor ich leicht hinein biss. Seine Finger gruben sich in meine Taille, während er tatsächlich leise stöhnte und mich fest an sich zog.

„Ich meinte doch nicht sofort.“, brachte er hervor.

Ich lachte lautlos und saugte ein wenig an seinem Hals. Als ich kurz darauf von ihm abließ, zierte ein Knutschfleck in der Größe eines Pingpongs seinen Hals. Als die Milch dann plötzlich überkochte, löste er sich abrupt von mir und schob den Topf von der Kochstelle. Ich schmunzelte vor mich hin, während er die Milch in meine Tasse gab und mit einem kleinen Löffel umrührte.

Als Alex herein kam, sah sie uns überrascht an. „Ach hier seid ihr.“, meinte sie.

Levin, der sie nicht bemerkt hatte, drehte sich um und lächelte sie an. „Hier sind wir. Hat man uns gesucht?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, man dachte nur, ihr wärt bereits nach oben verschwunden.“

Ich wurde ein wenig rot und grinste ein wenig, als ihr Blick auf Levantins Hals fiel. Sie sah ihn sprachlos an, woraufhin Levin die Brauen zusammen zog.

„Was ist?“, wollte er von ihr wissen. Dann fiel ihm offenbar ein, dass ich ihn gebissen hatte. „Aksominė kojenas, ist da etwa eine Bissspur?“

Ich grinste und schüttelte den Kopf. Dann hielt ich inne. „Wahrscheinlich schon, aber man sieht sie nicht.“

Alexandras Augen wurden eine Spur größer. „Bissspur?“

„Sie äh...“

Alex hob die Hand. „Schon kapiert. Aber... woher...“ Sie kam näher und drückte seinen Kopf zur Seite, um sich den Hals anzusehen. „Meine Güte, ist der groß.“

„Groß? Was denn? Der Biss?“

„Nein. Der Knutschfleck.“

Levin sah einen Augenblick verwundert aus. Dann sah er mich finster an, während ich ihn warm anlächelte. Das brachte ihn wiederum dazu weich zu werden und zurück zu lächeln. Dann kam er zu mir.

„Ach du wunderschönes kleines Monster.“, meinte er, zog mich am Nacken zu sich und küsste mich innig.

Alexandra lachte leise. „Wem gehört der heiße Kakao.“

Ich hob hinter Levantin die Hand, da er nicht aufhörte mich zu küssen.

„Ihr wisst, dass ihr es nicht hier in der Küche machen könnt, oder?“

Die Antwort bestand darin, dass Levantin seine Finger in meinen Nacken grub und mich trotz des groben Griffes sanft von sich weg schob. Er keuchte.

„Okay, wir sollten... wir sollten das Küssen etwa... zwei Stunden lang unterlassen.“, meinte er, während er sich von mir löste, was ihm ganz eindeutig schwer fiel.

„Bekomme ich noch einen kleinen?“

Er sah mich fassungslos an, woraufhin ich ein wenig lachte.

„Das war nur ein Scherz.“

Er stand noch einen Augenblick regungslos vor mir, bevor er den Kopf schüttelte, als müsse er ihn frei bekommen. Dann ging er wieder rüber zum Kakao, trank einen kleinen Schluck davon und reichte ihn mir dann.

„Alex?“

„Ja?“ Sie sah vom Kühlschrank zu ihm auf.

„Ich...“ Er hielt inne. „Also... Ich wollte fragen...“ Er legte die Hand in seinen Nacken und rieb ihn ein wenig. „Du äh...“ Er warf mir einen Blick zu. Dann ging er zu Alex, nahm sie sanft am Arm und zog sie etwas weiter von mir weg, bevor er sie leise etwas fragte. Ich sah den beiden neugierig zu.

Alexandra wirkte etwas überrascht, sah zu mir und zog ihn dann noch ein wenig von mir weg, bevor sie begann ihm etwas zu erklären. Er hörte aufmerksam zu und nickte ab und zu. Hin und wieder sagte oder fragte er etwas, aber da ich ihn nicht hören konnte, wusste ich weder was, noch worüber sie redeten. Irgendwann sagte Alexandra etwas, dass ihn dazu veranlasste zu mir zu sehen. Ich lächelte ihn an, was er offenbar nicht ganz bemerkte. Kurz darauf lächelte er zurück und sah dann wieder zu Alex. Er sagte etwas zu ihr, woraufhin sie lächelte und etwas erwiderte. Daraufhin sagte er noch etwas, nahm sie in die Arme und küsste sie auf die Wange, bevor er sich von ihr löste und wieder zu mir kam. Ich war gerade dabei einen Schluck Kakao zu trinken, was ihn jedoch nicht daran hinderte mich an sich zu ziehen. Als ich die Tasse wieder senkte, beugte er sich zu mir hinab, woraufhin ich sie beiseite halte musste, da sie sonst ein Hindernis für ihn wäre.

„Ich liebe dich.“, flüsterte er mir zu und umschlang mich, wobei er sein Kinn auf meinem Schopf bettete.

Ich stellte die Tasse beiseite, schlang die Arme um seine Taille und lehnte mich an ihn. „Ich liebe dich auch.“

Betrogen

Es war Abend und wir saßen alle zusammen am Essenstisch. Die Teller waren bereits leer und standen in der Küche. Levantin hatte mich auf seinen Schoß gezogen und schien es für wichtig zu halten meinem Hals eine sehr gründliche Untersuchung zu unterziehen, indem er ihn ständig küsste und daran knabberte. Lilita und Janis waren vor ein paar Stunden mit ihren Eltern angekommen und hatten uns lächelnd begrüßt.

„Ich glaube, der Schneesturm wird sich noch eine Weile lang halten.“, bemerkte Aras irgendwann.

Sein Bruder nickte. „Er wird stärker. Als wir mit dem Auto herkamen, hieß es in den Nachrichten, dass die Flughäfen wohl für ein paar Tage keine Flugzeuge mehr fliegen lassen.“

„Heißt das, wir bleiben länger als geplant?“, fragte ich überrascht.

Leonas sah verwundert zu mir. „Wahrscheinlich schon.“

„Macht es dir etwas aus?“, wollte Levin von mir wissen.

Ich zögerte ein wenig. „Naja. Wenn du da bist, wird es nicht so schlimm sein.“, murmelte ich dann und senkte ein wenig den Blick.

„Abgesehen von mir, bist du ja nicht ganz allein. Alex und Luca sind ja auch noch da.“

Ich sah aus dem Augenwinkel zu den genanten Personen und nickte leicht. „Ist okay.“

Lilita sprang auf. „Wer hat Lust auf Gemeinschaftsspiele?“

Tatsächlich fing Janis an zu lachen, was mir einen wohligen Schauer über den Rücken jagte. Es hörte sich an, als sei er fürs Lachen geschaffen worden.

„Ich hätte Lust.“, bemerkte ich und sah zu Levin. „Und du?“

Er nickte. „Warum nicht?“

Lilita lächelte und zog Janis von dem Stuhl. Leonas stand ebenfalls auf und fragte Daina ob sie auch Lust habe. Ich bekam nicht mit, wer noch mitspielen wollte, da ich mit Levantin rüber ins Wohnzimmer ging und mich dort mit ihm und den anderen hinsetzte.

„Was spielen wir denn?“, wollte Levin wissen und sah zu wie Lilita zu einem Schrank ging.

„Wie wäre es mit... Activity?“

„Das habe ich lange nicht mehr gespielt.“, bemerkte ich.

Lilita lächelte und zog eine Schachtel aus dem Schrank, bevor sie zu uns kam. „Gut, dann spielen wir das.“

Janis beobachtete sie aufmerksam, während sie die benötigten Dinge holten und sich dann neben ihn setzte.

„Ich nehme an, die Teams stehen fest.“, stellte sie fest und suchte sich und Janis eine Figur aus.

Wir spielten etwa zehn Minuten, bis die vierte Runde begann und ich tatsächlich etwas pantomimisch darstellen musste. Ich sah mir die Karte an und seufzte tief.

„Darf ich eine neue ziehen?“, bat ich.

„Nein.“, antwortete Lilita sofort.

Ich atmete kurz durch, stand auf und achtete darauf, dass ich genug Platz hatte. Ich sah nochmal auf die Karte. Fremd gehen. Nachdem ich kurz überlegt hatte, winkte ich Janis, Lilita und Leonas zu mir. Levin zog die Brauen zusammen und sah zu, wie ich Lilita und Janis etwas weiter abseits stellte und mich bei Leonas einhakte.

„Äh... Ausgehen?“, riet Levin verwirrt.

Ich winkte Janis und Lilita zu mir, woraufhin sie zu mir gingen und ich mit Leonas an ihnen vorbei ging.

„Was macht sie da?“, fragte Alex verwirrt von ihrem Platz. Sie und Luca waren zwei Felder hinter mir und Levin.

Ich sah zu Janis zurück und wurde dabei ein wenig langsamer. Janis und Lilita blieben an der gegenüberliegenden Wand stehen, während Leonas und ich dasselbe taten.

„Neugierde?“, riet Levin weiter, „Äh...“

Ich lehnte mich ein wenig an Leonas und legte seinen Arm um meine Taille.

„Pärchen?“, versuchte Levantin es unsicher, „Zuneigung? Geborgenheit?“

Plötzlich bat ich Leonas anhand von Gesten stehen zu bleiben wo er war, ging zu Janis und Lilita und zog Janis weiter von ihr weg. Lilita sah mich mit schief gelegtem Kopf nachdenklich an und beobachtete das Ganze. Ich zog ihn dicht vor mich und legte seine Hände an meine Taille.

„Zwanzig, neunzehn, achtzehn...“, zählte Luca langsam runter.

Levin sah mich und Janis grübelnd an, wobei ihn offenbar störte, wie nahe wir uns waren. Er taxierte Janis Hände mit sehr finsteren Blicken.

„Fünfzehn, vierzehn...“

Ich zog Janis etwas näher und sah zu Levin. Als ihm weiterhin nichts einfiel, legte ich ihm die Arme um den Hals und schluckte unmerklich, während ich mich widerwillig an ihn drängte.

„Acht, sieben, sechs...“

„Affäre? Verhältnis? Fremd gehen?“

„Richtig!“, rief ich aus und löste mich von Janis.

„Null.“, endete Luca und sah auf.

Ich setzte mich wieder, wobei mein Streuner, der den Arm um mich legte und näher an sich zog. „Das sind dann...6 Felder.“

„Wen interessieren die Felder.“, murmelte er leise vor sich hin und sah Janis finster an, der sich mit Lilita wieder auf seinen Platz setzte und ihr einen Kuss gab. „Musstest du ihm dabei so nahe kommen?“, wollte meine große Liebe wissen und hielt den Blick streng auf Janis gerichtet.

Als Janis es bemerkte, grinste er ihn mit einem Mal frech an und sah dann weiter zu mir. Er warf mir eine Kusshand zu, woraufhin ich leise lachte und Levin mich auf seinen Schoß zog. Alex lachte amüsiert und nahm sich eine Karte, woraufhin ihr das Lachen sofort verging.

„Oh nein.“, jammerte sie, „Das ist nicht ernst, oder?“ Sie sah uns hoffnungsvoll an.

„Na los, mach schon.“, meinte Lilita mit neckendem Unterton.

Luca schmunzelte und stieß seine Freundin leicht an, woraufhin sie auf die Karte sah und zu uns sah.

„Offene Runde.“, meinte sie, bevor die Stoppuhr betätigt wurde. „Es ist... groß. Sehr groß.“

„Berg?“, riet Lilita, „Gebirge?“

„Wir leben quasi drinnen.“

„Haus.“, meinte Luca, zog dann jedoch die Brauen zusammen. „So groß sind die gar nicht.“

„Es ist schwarz. Am besten sieht man es in der Nacht.“

„Der Himmel?“, riet Levin.

„Das Weltall!“, rief ich aus.

„Richtig. Weltall.“, stimmte Alex zu und sah zu Luca, „Nicht etwa ein Haus.“

Wir lachten leise und Leonas zog eine Karte. Er überlegte eine Weile, atmete kurz durch und nickte dann, woraufhin die Stoppuhr betätigt wurde.

„Offene Runde. Beinahe jeder war schon einmal drinnen. Man geht hin, wenn man sich schwer verletzt hat oder sich was gebrochen hat.“

„Arzt?“, riet ich.

„Du bist im Arzt?“, hakte Leonas abgelenkt nach.

Ich wurde etwas rot. „Nein! Ich meine... das Arztgebäude.“

„Und das heißt?“

„Ambulanz?“, riet Alex.

„Arztpraxis?“, versuchte es Luca.

„Ein anderes Gebäude.“

„Krankenhaus.“, fiel Daina dazwischen.

„Richtig!“, endete Leonas schließlich und lächelte seine kleine Schwester an.

Sie lächelte zurück und fiel ihm direkt in die Arme. Er legte ihr einen Arm um den kleinen Körper und ging mit der Figur 4 Felder weiter. Damit lag er 3 Felder hinter uns. Alex und Luca waren 2 Felder vor ihm. Als nächstes nahm Janis eine Karte. Auch er durfte ein Wort mit Worten darstellen. Er sah die Karte eine Weile an und lächelte dann. Die Stoppuhr wurde betätigt.

„Dort legen Schiffe an.“, meinte er.

„Hafen?“, riet Lilita.

„Wo ist immer so ein Hafen?“

„In einer Stadt.“

„Und wie nennt man sie dann?“

„Hafenstadt?“

„Richtig.“

Luca stoppte die Stoppuhr und stellte sie zurück, während Janis mit der Figur 3 Felder weiter ging. Diesmal zog Levantin eine Karte und atmete lange aus. Er durfte zeichnen. Aber da wir keine leeren Blätter hatten, hatte wir uns dafür entschieden der Person die Wahl zu lassen, das Wort das man zeichnen muss, entweder pantomimisch oder verbal darzustellen. Nach kurzem zögern entschied Levin sich für das verbale Darstellen und lehnte sich zurück, wobei er sich zu mir drehte. Die Stoppuhr wurde wieder betätigt.

„Wer war Raphael?“, fragte er schlicht.

Ich zog die Brauen zusammen. „Mein Bruder.“

Er nickte und ging mit der Figur 3 Felder vor.

„Das war’s schon?“, hakte ich nach.

Er nickte.

„Wie lässt sich Bruder denn malerisch darstellen?“, fragte Alex verwirrt.

„Man könnte einen Stammbaum malen. Mutter, Vater, zwei Kinder.“, erklärte Leonas.

Sie nickte. „Stimmt.“

Nach einigen weiteren Runden, gewannen schließlich Leonas uns Daina. Ihr Preis war ein Kuss von den Verlierern. Daina bekam Küsse von den Jungs und Leonas bekam Küsse von den Mädchen.

Lilita wurde tomatenrot, als sie vor ihrem Cousin stand. „Muss ich das wirklich machen?“, wollte sie wissen, „Ich meine, er ist mein Cousin und-“

„Hier wird sich nicht gedrückt, Cousinchen.“, gab Leonas schmunzelnd zurück, „Komm schon. Nur ein Kuss.“

Sie zögerte noch etwas, stammelte irgendwas vor sich hin und gab ihm dann doch noch einen Kuss. Hinterher lachten wir darüber, wie rot sie war und sich in Janis Armen versteckte. Alex gab ihm einfach einen kleinen Kuss und setzte sich wieder zu Luca, der sie nachdenklich betrachtete. Plötzlich stand Lilita hinter mir und schob mich zu Leonas. Mein Lachen verebbte und ich sah erschrocken zu ihm auf. Auch ihm verschlug es das Grinsen und er sah ernst zu mir herab. Ich stand noch einen Augenblick unsicher herum, küsste ihn dann schnell und ging wieder zu Levantin.

„Okay. Was spielen wir jetzt?“, wollte Daina wissen.

Janis lächelte sie an. „Wie wäre es mit… Memory?“

„Ja!“, rief sie begeistert aus und sprang auf um das Spiel zu holen.

Leonas kam ihr lächelnd hinterher und lege Activity wieder an seinen Platz. Dann hob er sie hoch, damit sie Memory selbst herausholen konnte.

„Der Preis bleibt gleich.“, verkündete Lilita, als Daina mit Leonas die Karten auf dem Tisch verteilte.

 

Zwei Stunden später hatte ich Levantin bereits sieben mal geküsst, Luca zwei mal, Leonas vier mal und musste nun Janis küssen. Rot von oben bis unten stand ich vor ihm und stand wie versteinert vor ihm. Seine Augen leuchteten grün und schienen mich anzulächeln. Ich schluckte ein paar Mal, während er wartete und nach einer Weile eine Braue hob. Als ich weiterhin nichts machte, rollte er mit den Augen, nahm mein Gesicht und beugte sich zu mir herab um mich zu küssen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, während er mich ein paar Sekunden lang küsste und dann von mir abließ. Als er mich ansah, zogen sich die Brauen über den wunderschönen Augen zusammen.

„Alles okay?“, wollte er besorgt wissen.

Ich bekam eine Gänsehaut. „J-ja.“ Dann wurde mir schlecht. Nicht schon wieder. „Einen Moment bitte.“

Ich eilte ohne weitere Worte ins Badezimmer und war im nächsten Augenblick über der Toilettenschüssel. Als mein Magen halbleer war, schaffte ich es eine kurze Atempause zu machen, wurde dann jedoch wieder von der Übelkeit überrollt. Er hörte nicht einmal auf, als mein Magen leer war. Dann klopfte es an der Tür.

„Liebling? Alles okay?“, ertönte die Stimme meines Streuners.

Ich schaffte es Luft zu holen, musste mich dann aber weiter übergeben. Die Tür wurde geöffnet und nach einem kurzen Fluch war er an meiner Seite. Blut tropfte aus meiner Nase.

„Violeta?“, ertönte Lilitas Stimme von der Tür, „Was hat sie?“

„Ich weiß es nicht.“, gab Levin zurück und streichelte mir über den Rücken.

„Wo ist sie denn?“, war nun auch Janis Stimme zu hören.

„Sie übergibt sich.“, meinte Lilita darauf etwas leiser.

„Warum? Wegen mir?“

„Quatsch.“, meinte darauf Levantin.

„Vielleicht sollte jemand Nojus holen.“, meinte jemand anderes, den ich als Leonas erkennen konnte.

Ich kam langsam zu Atem. „W-w-wer i-ist-“ Bevor ich zu Ende sprechen konnte, überrollte mich die nächste Welle.

Levantins Kopf lehnte an meiner Schulter. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass er blass wurde. „Mein Gott, was ist nur mit dir los?“ Seine Hand begann zu zittern.

„Nojus ist einer meiner Onkel“, erklärte Lilita, „Er ist Arzt.“

Es dauerte nicht lange, bis Levin von mir wegtrat und jemand an seine Stelle kam. Als ich wieder eine Pause machen konnte, untersuchte mir ein Mann schnell die Augen und horchte meinen Brustkorb ab. Als ich mich wieder übergeben musste, nahm er behutsam mein Handgelenk und miss offenbar meinen Puls.

„Was hat sie gegessen?“, ertönte neben mir eine Stimme. Levin antwortete ihm sofort und zählte alles auf, was ich in den letzten drei Tagen gegessen hatte. „Hat sie irgendwelche Allergien?“

„Keine Ahnung.“, gab Levantin hilflos zurück, „Ich-ich weiß es nicht. Ich habe keinerlei Ahnung!“

„Es ist schon in Ordnung.“

„Levin, ist doch okay.“, meinte Alex von der Tür, „Ist doch nicht so schlimm.“

Eine Weile waren ich und Nojus die Einzigen die zu hören waren. Plötzlich sprang jemand auf und eilte hinaus.

„Was hat er auf einmal?“, wunderte sich Luca.

„Ich weiß nicht.“, antwortete Alex.

Danach wurde es wieder still.

 

Levantin

Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich Violeta allein gelassen, was jedoch wieder verschwand, als ich die Nummer in das das Telefon eintippte, die ich in der Zeit, in der Violeta im Koma lag auswendig lernen musste.

„Graziano.“, ertönte eine Stimme am anderen Ende.

„Callum?“, meldete ich mich sofort.

„Hallo Levin. Wie geht’s dir?“

„Du solltest besser fragen, wie es Violeta geht.“

Ein paar Augenblicke war es still auf der anderen Seite. „Was ist los?“

„Sie-sie übergibt sich. Immer wieder. Sie schafft es nicht mal einen Satz zu sagen.“

Wieder schwieg er eine Weile.

„Hat sie eine Allergie oder so was in der Art?“

„Sie... Eine, ja. Aber die ist relativ unbedeutend, da sie es gar nicht isst.“

„Isst?“ Mir wurde unwohl und ich bekam ein ungutes Gefühl. „Was ist es denn?“

„Sie hat eine Allergie gegen Macadamianüsse.“

Ich überlegte eine Weile und erinnerte mich daran, dass wir während dem Spielen Nüsse gegessen hatten. „Macadamia.“

„Ja. Das haben wir in einem Allergietest herausgefunden.“

Ich schluckte. „Was... Also... Wir haben während dem Spielen ein paar Nüsse gegessen.“

„Waren Haselnüsse dabei?“

„Ja.“

„Und auch Macadamianüsse?“

„Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube schon.“

Er atmete lange aus. „Ich glaube, sie hat eine davon erwischt. Oder mehr. Übergibt sie sich immer noch?“

Ich blieb still. Kurz darauf bejahte ich seine Frage.

„Wie lange schon?“

„Fast eine Viertelstunde.“

Callum wurde still. Er schien nachzudenken. Kurz darauf meldete er sich wieder. „Ist ein Arzt in der Nähe?“

„Ja. Mein Onkel Nojus untersucht sie gerade. Aber ich wusste nicht, ob sie irgendeine Allergie hat.“

„Ist schon gut. Gib ihn mir bitte.“

Ich zögerte etwas, eilte dann aber ins Badezimmer, wo sich bereits beinahe alle versammelt hatten, und reichte Nojus das Telefon. Er nahm es direkt entgegen und unterhielt sich kurz mit Callum, bevor er mich kurz darum bat ihm seine Tasche mit den Medikamenten aus dem Auto zu holen. Ich beeilte mich damit aus Haus zu verlassen, seinen Wagen zu suchen, die Tasche aus dem Kofferraum zu zerren und sie schließlich ins Badezimmer zu schleppen. Sie war gar nicht so leicht, wie ich gedacht hatte. Nachdem ich sie neben Nojus abgestellt hatte, begann er sofort darin herum zu kramen. Wenig später machte er eine Spritze fertig, die er Violeta in die Schulter spritzte. Dann übergab sie sich wieder.

„Wann wirkt sie?“, wollte ich hilflos wissen.

„In etwa zehn Minuten.“

„Zehn Minuten?“, hakte ich erschrocken nach.

Er zog eine Braue hoch. „Bis dahin wird es ihr langsam erheblich besser gehen. Sie wird sich weniger übergeben. In den Pausen sollte sie viel trinken.“

Ich nickte und kümmerte mich direkt darum, dass eine Flasche Wasser zu ihr gebracht wurde. Tatsächlich wurde es immer besser. Nach den besagten zehn Minuten übergab sie sich nicht mehr und spülte sich mehrfach gründlich den Mund aus, bevor sie sich drei Mal die Zähne putzte. Erst dann zog ich sie an mich und hielt sie fest bei mir.

„Geht’s dir wieder besser?“, wollte ich besorgt von ihr wissen und sah ihr ins Gesicht.

Sie nickte. „Ja. Aber ich habe noch diesen ekelhaften Geschmack im Mund. Und ich bin müde.“

Ich strich ihr das Haar von der Stirn. „Komm. Iss noch etwas und dann gehen wir schlafen, okay?“

Sie nickte erneut, woraufhin ich mit ihr das Bad verließ, das bis auf uns mittlerweile leer war. Als wir in der Küche auf Janis trafen, sah er überrascht auf. Er sah Violeta besorgt an, griff aber direkt nach dem Griff des Kühlschrankes.

„Ich mach ihr was.“, meinte er halblaut und suchte ein paar Sachen heraus.

Violeta sah etwas unsicher aus, woraufhin ich ihre Hand drückte und sie zum Küchentisch führte.

„Keine Sorge. Janis ist ein sehr guter Koch.“, erklärte ich ihr, „Er hat vor, bald sein eigenes Restaurant zu eröffnen.“

„Ach ja?“ Sie sah ihm dabei zu, wie er das Essen vorbereitete. Dabei sah sie so interessiert aus, als würde sie gleich aufstehen um ihm direkt auf die Finger zu sehen. Ein kleiner Stich der Eifersucht machte sich in meiner Brust bemerkbar. Ich schüttelte den Kopf und setzte mich neben sie, womit ich unbewusst sofort ihre Aufmerksamkeit auf mich lenkte.

„Mit wem hast du eigentlich gesprochen?“, wollte sie von mir wissen und sah mich neugierig an.

Ich lächelte schräg. „Mit deinem Vater.“

Nun sah sie mich überrascht hat. „Mit Dad?“

„Ja. Da ich nicht wusste, ob du irgendeine Allergie hast, hab ich ihn angerufen.“

„Und was sagte er?“

„Macadamianüsse?“

Sie schwieg eine Weile und seufzte dann. „Ich kann diese Dinger sowieso nicht leiden. Sie schmecken nicht.“

Mein Mundwinkel zuckte, woraufhin sie etwas lächelte, sich zu mir beugte und einen liebevollen Kuss gab.

Irgendwann... Irgendwann muss ich es ihr sagen. Ich hoffe nur, sie versteht es.

 

Violeta

Ich setzte mich mit Levin ins Wohnzimmer und lehnte mich an ihn, während ich feststellte, dass Janis und Lilita wohl noch schliefen.

„Okay. Was machen wir heute?“, wollte Alex wissen und seufzte angesichts des Schweigens auf ihre Antwort.

Wir saßen nun bereits vier Tage hier fest. Der Schneesturm gab zwar langsam nach, aber die Straßen waren immer noch nicht befahrbar. Am vorigen Tag ist der Strom ausgefallen und schien immer noch nicht zu laufen. Nun saßen wir hier ohne Strom und wussten nicht, was wir tun sollten.

Ich lehnte mich an meinen Streuner und seufzte müde. Leonas hatte sich auf die Couch gelegt und spielte mit der Fernbedienung für den Flimmerkasten. Daina spielte in einer Ecke mit Legobausteinen.

Als irgendwann Aras herein kam, sahen wir alle auf.

„Levin, kommst du später mit in die Stadt?“, wollte er von ihm wissen.

Der Angesprochene sah nach draußen und atmete tief aus. „Bist du dir sicher, dass wir den Wagen überhaupt auf die Straße bekommen?“

„Wir gehen zu Fuß.“

Eine Weile war es still, bis Levin schließlich nickte. „Okay. Wann gehen wir los?“

„Um 22 Uhr.“

„So spät?“

Levins Onkel schürzte die Lippen. „Ich muss etwas besorgen und möchte nicht, das Nijole etwas davon mitbekommt. Und da sie um 21:30 Uhr ins Bett geht...“

„Ist okay.“

Sein Onkel nickte und ging wieder in die Küche, wo sich die meisten Erwachsenen herum tummelten. Der Rest lag entweder noch im Bett oder spielten im Esszimmer Scrabble.

„Liebling?“

Luca sah zu Alex herab. „Ja?“

„Mir ist so langweilig.“

Er gab ihr einen kurzen Kuss. „Mir auch.“

Leonas murmelte irgendwas auf litauisch vor sich hin und setzte sich hin. „Fällt jemandem etwas ein, was man machen kann?“

„Wir könnten verstecken spielen.“, meinte ich lustlos.

Mein Streuner sah mit hochgezogener Braue zu mir herab. „Verstecken? Wenn du mit so was kommst, geh ich mit dir hoch und spiele etwas ganz anderes.“

Ich wurde tiefrot, während Alex ihn verdutzt und Leonas ihn mit einem undefinierbaren Blick ansah. Luca schüttelte den Kopf.

„Und Alex sagt, ich wäre zu offen, was solche Dinge betrifft.“, meinte er amüsiert.

Sie stieß ihm ihr Ellenbogen in die Seite, woraufhin er nur leise lachte.

 

Ich atmete erleichtert auf, als Levin und ich uns ins Bett legten. Es war so langweilig, das ich sofort einschlafen könnte. Levin schien jedoch etwas ganz anderem im Sinn zu haben und küsste mich sehnsüchtig, woraufhin ich den Kuss erwiderte und mich an ihn kuschelte. Gerade als er sich auf mich legen wollte, klopfte es an der Tür. Levantin sah erschrocken auf, stand auf und öffnete sie, woraufhin ich Aras auf der anderen Seite sehen konnte.

Levin fasste sich an den Kopf. „Stimmt.“, meinte er, bevor Aras auch nur ein Wort sagen konnte. „Gib mir eine Minute, dann bin ich unten.“

Er nickte und wand sich ab, woraufhin Levantin die Tür schloss und mit einem tiefen Seufzer begann sich wieder anzuziehen.

„Ich weiß leider nicht, wie lange das dauern wird, also wäre es besser, wenn du schon einmal schläfst, okay? Warte nicht so lange auf mich.“

Ich nickte. „Ist okay.“ Ich kuschelte mich ins Bett, bemerkte jedoch, dass es so leer wirkte, wenn mein Streuner nicht neben mir lag.

Dieser beugte sich zu mir und gab mir einen langen innigen Kuss, bevor er sich wieder aufrichtete und zur Tür ging, wo er sich wieder zu mir drehte.

„Schlaf schön, Aksominė kojenas. Ich liebe dich.“

„Ich dich auch. Bis später.“, gab ich darauf zurück.

Er lächelte mich noch kurz an und verließ dann das Zimmer. Da der Strom noch immer nicht wieder da war, hatten wir eine Kerze aufgestellt, die ich nun ausblies und mich auf die Seite drehte.

 

Ich wurde davon wach, dass sich jemand zu mir legte. Ich murrte müde, drehte mich um und kuschelte mich an den warmen Körper.

„Wie spät ist es?“, wollte ich müde wissen.

„Mitternacht.“, ertönte Levantins Stimme neben mir.

„Habt ihr alles bekommen, was ihr braucht?“

Er zögerte ein wenig. „Ja.“ Er zog mich zaghaft enger an sich und fuhr mit der Hand über meinen Oberarm.

„Du bist gar nicht so kalt, wie ich dachte.“, murmelte ich, kuschelte mich enger an ihn und küsste ihn auf die Brust. „Wie lange bist du schon hier?“

„Eine Weile.“ Er legte die Arme um mich, fuhr mit beiden Händen über meinen Rücken und erkundete meinen Körper ganz genau.

„Ich bin müde.“, murmelte ich verschlafen, was ihn jedoch nicht davon abbrachte, meinen Körper weiter zu erkunden. Ich murrte müde. „Levantin.“

Seine Antwort bestand aus einem Kuss. Ich bemerkte den Unterschied nicht und erwiderte den Kuss. Als er sich kurz darauf auf mich rollte, seufzte ich tief und ließ ihn gewähren.

 

Irgendwann ließ er sich neben mich fallen und zog mich dicht zu sich heran. Er atmete schwer und deponierte seinen Kopf an meiner nackten Schulter. Gerade als ich mich an ihn kuscheln und schlafen wollte, hörte ich wie im Erdgeschoss die Haustür zufiel. Levantin hielt den Atem an. Es war eine Weile still im Haus, bevor Schritte auf der Treppe zu hören waren. Stimmen kamen näher. Eine davon gehörte Aras. Die andere...

Ich wurde starr.

Aras sagte etwas auf Litauisch. Es wurde auf Litauisch geantwortet. Vor der Tür zu Levins und meinem Zimmer hielten die Schritte inne.

„Du bist nicht Levin.“, hauchte ich entsetzt.

Als keine Antwort kam, setzte ich mich erschrocken auf und rückte etwas von dem Mann neben mir ab. Da es zu dunkel war, konnte ich ihn nicht erkennen. Bis die Tür geöffnet und Kerzenlicht das Bett erhellte. Ich sah zu Levantin, der an der Tür stehen blieb und zu uns herüber starrte. Trotz der Entfernung konnte ich sehen, wie er seinen Kiefer anspannte, als er neben mir im Bett seinen Cousin Leonas erkannte.

Das erklärte, warum ich nichts bemerkt hatte. Ihre Stimmen waren identisch.

Bevor ich irgendwas sagen konnte, fragte Levantin irgendwas auf litauisch und sah zu Leonas. Ich war froh, dass er mich nicht auf dieselbe Art ansah. Noch nicht.

Ich verstand nicht, was Levin gesagt hatte und verstand nun auch nicht, was Leonas sagte, aber es war etwas, das Levin wütend machte. Im nächsten Moment zuckte ich zusammen, da er Leonas anbrüllte. Ich war mir sicher, dass mindestens die Hälfte des Hauses davon aufwachte. Es wurde still und wenig später hörte ich, wie irgendwo eine Tür aufging.

„Was ist denn los?“, ertönte Lucas verschlafene Stimme.

Levantin ignorierte die Frage, stellte die Kerze auf eine Kommode in der Nähe und verließ das Zimmer, wobei er die Tür laut hinter sich zu knallte. Damit hatte er hundertprozentig noch den Rest des Hauses geweckt.

Ich sprang auf, zog mir schnell etwas über und eilte ebenfalls aus dem Zimmer. So schnell ich konnte, eilte ich die Treppe hinunter und fand Levin im Wohnzimmer. Er saß auf der Couch, den Kopf an der Stirn in die Hände gestützt, die Augen geschlossen und das Gesicht wütend verzogen, eine Kerze vor ihm auf dem Tisch. Als ich sah, wie etwas von seiner Nasenspitze tropfte, ging ich zu ihm und setzte mich neben ihn. Ich saß einen Augenblick hilflos neben ihm und berührte ihn dann zaghaft an der Schulter.

„Fass mich nicht an!“, kam es sofort von ihm, woraufhin ich erschrocken die Hand zurückzog.

Mir schossen Tränen in die Augen. „L-Levantin, i-ich-“

„Ich will nicht hören, was du mir sagen willst.“, unterbrach er mich abrupt.

„Ab-aber ich wollte doch nicht-“

„Mit ihm schlafen?“, unterbrach er mich erneut.

Ich zuckte zusammen. „Ja.“, gab ich kleinlaut zurück.

„Herzlichen Glückwunsch, das ist dir ja prima gelungen.“, erwiderte er sarkastisch und schnaubte verächtlich.

„Ich wusste doch nicht, dass er es ist.“, entgegnete ich mit Tränen in der Stimme.

„Wer sollte es sonst sein? Wie du sehen kannst, war ich es nämlich nicht.“

Ich zuckte erneut zusammen und merkte, wie mir die Tränen über die Wangen liefen. „Aber ich dachte, du seist es. Es war dunkel und ihr hört euch exakt gleich an.“

„Du wusstest doch, dass ich nicht da war.“

„Ich habe geschlafen. Er hat mich aufgeweckt. Deshalb dachte ich, er wäre du.“ Ich hob erneut die Hand um ihn zu berühren.

„Ich sagte, du sollst mich nicht anfassen!“, rief er daraufhin aus und stand auf um sich in einen Sessel zu setzen. Er würdigte mich keines Blickes. Im Schein der Kerze sah ich, dass seine Wangen glitzerten.

„Ich liebe dich.“

Er schwieg und sah stur auf den Boden vor seinen Füßen. Als keine Antwort kam, stand ich auf und verließ das Wohnzimmer. An der Tür ertönte hinter mir Levantins Stimme.

„Sag das jemand anderem. Jemand, der dich auf dieselbe Art und weise liebt.“

Ich blieb wie erstarrt stehen, gelähmt von dem Schmerz... und rannte nach draußen. Ich ließ die Tür offen stehen und rannte durch die Eiseskälte, ohne zu wissen wohin.

 

Levantin

Ich kniff vor Schmerz die Augen zusammen und hörte, wie Violeta aus dem Wohnzimmer ging. Sie ging wahrscheinlich wieder hoch ins Zimmer. In einer Stunde würde ich mich wahrscheinlich wieder so weit abgekühlt haben, dass ich ihr folgen und bei ihr schlafen konnte, was jedoch nicht hieß, das ich ihr einfach so verzeihen konnte. Gut, mochte sein, dass sie nicht wusste, dass ich es nicht war, aber es tat trotzdem so verdammt weh.

Ich fröstelte ein wenig, als kalte Luft mein Gesicht streifte und öffnete verwundert die Augen. Als ich mich umsah und kein offenes Fenster entdecken konnte, stand ich auf und ging in den Flur, wo ich die offene Haustür fand. Mein Herz verkrampfte sich.

Sie ist doch nicht etwa...

Ich eilte die Treppen hinauf und den Flur hinunter zu unserem Zimmer. Dort zögerte ich kurz, öffnete die Tür und fand das Zimmer leer vor. In den nächsten zehn Minuten klapperte ich alle Zimmer ab, weckte unbeabsichtigt meine Verwandten und entschuldigte mich für die Störung wenn ich fragte, ob jemand wusste, wo Violeta war. Als ich sie im Haus nirgendwo fand, eilte ich wieder nach unten, zog mir meine Jacke an, nahm Lilitas Jacke und eilte hinaus. Es verschlug mir den Atem, als ich Spuren im Schnee fand, die nicht an derselben Stelle waren, wie die von Aras und mir. Da sie kaum noch zu erkennen waren, beeilte ich mich damit ihnen zu folgen und suchte die Gegend ab.

Als ich sie weitere zehn Minuten später nirgendwo fand, wurde mir kalt ums Herz und ich kramte mein Handy aus der Tasche. Ich musste es dicht vor meinem Gesicht halten um etwas zu erkennen, nur um es dann mit einem Fluch wieder einzustecken, weil ich keine Verbindung hatte.

Ich lief weiter, suchte verzweifelt nach Violeta und hätte sie beinahe übersehen, als ich an einer verschneiten Bank vorbei lief. Sie zitterte am ganzen Körper und war blau angelaufen.

„Mein Gott... Violeta!“

Sie zuckte zusammen und sah auf, nur um dann erneut zusammen zu zucken, als sie mich erkannte. Sie wollte aufstehen, fiel jedoch sofort zu Boden und keuchte auf. Ich half ihr auf, setzte sie auf die Bank und zog ihr Lilitas Jacke an, nur um sie ihr kurz darauf wieder auszuziehen um ihr meine Jacke anzuziehen. Dann zog ich ihr noch Lilitas Jacke darüber, hob sie hoch und machte mich auf den Weg nach hause.

Als sie irgendwas vor sich hinmurmelte, sah ich abrupt zu ihr.

„Was sagtest du?“

Sie schwieg, wiederholte es dann aber doch. „Ich hätte ein Messer nehmen sollen.“, meinte sie monoton.

„Ein Messer?“ Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit.

Sie ging nicht auf meine Frage ein und sah einfach nur nach vorn. Irgendwann erreichte ich endlich das Haus und brachte Violeta ohne Umschweife in unser Zimmer. Dort legte ich sie aufs Bett und zog ihr die Jacken aus. Ich warf sie auf den Boden und zog dafür die Decke zu mir herüber um Violeta darin einzuwickeln.

„Was hast du dir nur dabei gedacht?“, wollte ich von ihr wissen und rieb ihr über den Arm um sie aufzuwärmen. Sie zitterte fürchterlich.

„Ich wollte weg.“, erklärte Letty mir knapp, „So weit wie möglich weg. Erst wollte ich nicht einmal weiterleben.“

Das Geräusch einer Ohrfeige hallte durchs Zimmer. Ohne Reue drehte ich ihr Gesicht zu mir. „Sag so etwas nicht noch mal. Du darfst es nicht einmal denken, hast du verstanden?“

Sie sah mich fassungslos an und hob die Hand langsam an ihre Wange. „Du-du hast mich geschlagen.“

„Ob du mich verstanden hast.“

„Du hast mich geschlagen.“, wiederholte sie.

„Ja, verdammt nochmal. Und ich werde es wieder tun, wenn du noch einmal sagst, dass du nicht mehr leben willst, hast du mich verstanden?“ Ich packte sie an den Schultern und schüttelte sie. „Verstehst du mich, Violeta? Denk nicht einmal daran, nicht mehr leben zu wollen.“

„Aber was soll ich noch tun, wenn ich dich nicht mehr habe?“

Ich fluchte auf litauisch, zog ihr Gesicht zu mir und küsste sie rau. Ihre Hände krallten sich augenblicklich in meinen Kragen und zogen mich an sie.

„Mach das bitte nicht nochmal.“, bat ich an ihrem Mund, „Das ertrage ich nicht. Tu mir Sowas nicht nochmal an, mano gražus Aksominė kojenas. Mein Gott, ich dachte schon, ich finde dich nicht mehr wieder. Ich dachte, ich hätte dich endgültig verloren.“ Die Angst saß immer noch in meinem Herzen und erschwerte mir das Atmen. Und sie war immer noch so furchtbar kalt.

„Ab-ab-aber... du sagtest doch, dass du mich n-n-nicht l-l-li-l – dass du mich nicht mehr l-l-l-“ Sie unterbrach sich selbst und kniff die Augen zusammen. Als sie sie wieder öffnete, waren sie Tränen erfüllt. „Du liebst mich nicht.“

Ich sah sie geschockt an.

„Du liebst mich nicht.“, wiederholte sie, während ihr die Tränen über die Wangen rannen.

„Nein. Nein, nein nein, das stimmt doch nicht.“, widersprach ich entsetzt.

Sie schüttelte schluchzend den Kopf, schob mich von sich weg, rückte von mir ab. „Lüg mich nicht an.“

„Ich lüge dich nicht an.“

„Ich sagte, du sollst mich nicht anlügen.“

Sie kletterte auf der anderen Seite des Bettes herunter, woraufhin ich um das Bett herum ging. Sie lief jedoch an mir vorbei aus dem Zimmer.

„Violeta.“ Ich folgte ihr durch den Flur. „Warte doch.“

„Lass mich in Ruhe.“

Die Angst, die mich immer noch nicht verlassen hatte, seit ich sie mit Leonas gesehen hatte, schnürte mir den Hals zu, sodass ich fast keine Luft mehr bekam. „Bitte. Glaub mir doch. Ich liebe dich.“

„Du willst mir doch auch nicht glauben.“ Sie lief ins Bad, schlug vor mir die Tür zu und schloss ab, als ich ihr folgen wollte.

„Violeta.“, flehte ich, „Mach die Tür auf.“ Ich horchte ihren leisen Schritten. „Lass mich rein.“ Ich hörte ihr Schluchzen. Es zerriss mir das Herz es zu hören und nichts dagegen tun zu können. Noch schlimmer, daran schuld zu sein. „Letty.“

„Verschwinde endlich!“, rief sie zurück.

Ich lehnte mich an die Tür, fuhr mir mit der Hand durchs Haar, drehte mich um, sodass ich mit dem Rücken dagegen lehnte und ließ mich daran zu Boden gleiten. Eine Stunde. Nicht mal eine Stunde. Mehr brauchte es nicht an Zeit um diese Beziehung zu zerstören. Ich wusste, ich war zum Teil selbst Schuld daran. Aber jetzt wollte ich nichts lieber als sie in den Armen halten und sicher zu gehen, dass es ihr gut geht.

„Ich sagte, du sollst verschwinden!“, rief sie erneut.

Ich zuckte zusammen, schluckte hart und erhob mich vom Boden. Ich holte Luft um etwas zu sagen, hielt dann jedoch wieder inne und atmete aus. Ich versuchte meine Beine dazu zu bringen mich von der Tür wegzubringen, aber ich konnte einfach nicht. Ich wollte bei ihr sein. Selbst wenn es noch so wehtat.

Ich zuckte erneut zusammen, als offenbar etwas Zerbrechliches an die Tür geworfen wurde. „Hau endlich ab!“

Nebenan steckte Janis den Kopf aus dem Zimmer. „Geht es vielleicht etwas leiser?“, wollte er müde auf litauisch wissen und sah mich verschlafen an.

Wieder warf Violeta etwas gegen die Tür und verlangte lautstark von mir, wegzugehen.

„Was ist denn mit ihr los?“, wunderte sich Janis, kam in den Flur und schloss die Tür hinter sich. Er trat neben mich und klopfte zaghaft an die Tür. „Violeta?“

Ich hörte sie Wimmern und versuchte nicht zu ersticken. „Wir... haben uns gestritten.“, antwortete ich ihm heiser.

Eine weitere Tür wurde geöffnet. „Habt ihr es endlich, oder muss ich bis zum Sonnenaufgang warten, bis ich schlafen kann?“, wollte diesmal Alex wissen, „Ich bin verdammt müde.“

Janis sah sie missmutig an und sah dann wieder zu mir. Sie schien sofort zu verstehen und verschwand wieder im Zimmer. Nur um kurz darauf wieder raus zu kommen und mich an der Hand weg zu ziehen. Janis blieb an der Badezimmertür zurück. Alex zog mich nach unten ins Wohnzimmer, wo sie mich auf die Couch drückte und sich neben mich setzte.

„Schieß los. Was ist passiert?“, wollte sie wissen.

 

Janis

„Er ist weg.“, meinte ich halblaut, „Darf ich reinkommen?“

Es blieb still. Kurz darauf hörte ich ihre leisen Schritte und das Geräusch von Scherben, die über den Boden geschoben wurden. Ein paar Augenblicke später schloss sie die Tür auf. Ich zögerte etwas, öffnete sie zaghaft und ging vorsichtig hinein. Sie hatte ganz blaue Lippen, ein paar frische Schnitte an den Händen und verweinte Augen. Außerdem standen ihre Haare in alle Richtungen ab und ihre linke Wange war verdächtig gerötet. Zu alle dem entfiel mir auch nicht, dass sie nur ein T-Shirt und eine Shorts von Levantin trug.

„Hat er dich geschlagen?“, wollte ich von ihr wissen und sah wieder auf ihre Wange, sie sogar eine leichte Blaufärbung annahm.

Sie zuckte etwas zusammen, hob die Hand an ihre Wange und eilte zum Spiegel. Sie atmete unregelmäßig und zitterte. Dann begann sie zu schluchzen, sank langsam zu Boden und zog die Beine an.

Ich schloss die Tür hinter mir, ging um die Scherben auf dem Boden herum und langsam zu ihr herüber. Ich setzte mich vorsichtig neben sie.

„Er liebt mich nicht mehr.“, weinte sie verzweifelt und schlug ihren Hinterkopf gegen die Wand. „Er liebt mich nicht.“

„Das stimmt doch nicht.“, gab ich zurück und strich ihr zaghaft und tröstend über den Oberarm. Ich wollte ihr nicht näher kommen, als sie möchte.

Sie schüttelte den Kopf. „Er liebt mich nicht. Ich weiß es.“

„Woher?“, wollte ich darauf wissen, „Hat er es gesagt?“

„Er-er sagte, ich solle es jemandem sagen, der mich genauso liebt wie ich ihn.“, gab sie zurück und wurde von einem Schluchzen durchgeschüttelt. „Er liebt mich nicht.“

„Violeta, er liebt dich. Das weiß ich.“

Sie schüttelte den Kopf erneut. „Nein, das tut er nicht.“

„Warum sollte er dich denn nicht lieben?“

„W-weil ich-“ Ihre Stimme brach und weitere Tränen rannen ihr über die Wangen. „Weil ich mit Leonas geschlafen habe. Ich habe ihn betrogen. Ich habe mit einem anderen geschlafen.“ Sie begann ihren Kopf in einen gleichmäßigen Rhythmus gegen die Wand zu schlagen. „Deshalb liebt er mich nicht. Weil ich ihn mit seinem Cousin betrogen habe. Ich wollte es nicht, aber ich habe es trotzdem getan. Weil – ich – es – nicht- “ Sie unterbrach sich und begann hemmungslos zu weinen, während sie ihren Kopf immer weiter gegen die Wand schlug.

Wenn sie weiter so machte, würde sie sich noch verletzen. Ich versuchte ihren Kopf festzuhalten, aber ich schaffte es nicht, ohne ihr weh zu tun. „Violeta.“, meinte ich um ihre Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. „Violeta, sieh mich an.“

Sie ignorierte mich und weinte immer weiter. Sie musste bereits wahnsinnige Kopfschmerzen haben.

„Violeta.“

„Er liebt mich nicht.“, murmelte sie, „Er liebt mich nicht.“

Sie schlug ihren Kopf immer fester gegen die Wand, sodass ich begann mir ernsthafte Sorgen um sie zu machen. „Letty, er liebt dich von ganzem Herzen.“

Es war, als wäre ich nicht da. Als würde sie mich nicht hören.

„Violeta?“

Poch poch poch poch

Ich zögerte etwas und zog sie dann vorsichtig zu mir. Sie reagierte, indem sie begann sich ihren Unterarm zu kratzen, statt ihren Kopf irgendwo gegen zu schlagen. Ich hob sie hoch und trug sie vorsichtig aus dem Zimmer in ihr Zimmer herüber. Dort legte ich sie ins Bett und zog ihre Hand von ihrem Unterarm, da sie langsam begann sich die Haut auf zu kratzen.

„Lass das.“, ermahnte ich sie.

Sie begann sich auf die Lippe zu Beißen. Beinahe sofort floss das Blut aus ihrem Mund.

„Violeta!“, rief ich aus und drehte ihr Gesicht zu mir, um ihre Unterlippe davor zu bewahren von ihr durchgebissen zu werden. Als mir das gelang und ich ihr in die Augen sah, wurde ich starr. Sie war vollkommen verzweifelt. Zaghaft legte ich mich neben sie und zog sie in die Arme. Sie drehte sich sofort zu mir, kugelte sich zusammen und klammerte sich an mich.

„Lass mich nicht allein.“

Ich streichelte ihr tröstend übers Haar und wartete darauf, dass sie einschlief, was glücklicherweise nicht lange auf sich warten ließ. Ich blieb noch eine Weile liegen, hielt sie fest und streichelte ihr beruhigend übers Haar. Irgendwann, als ich mir sicher war, dass sie tief und fest schlief, löste ich mich langsam von ihr und stieg langsam vom Bett. Sie verzog im Schlaf kurz das Gesicht, drehte sich herum und zog eines der Kissen vor sich, um sich daran zu klammern. Ich stand noch einen Augenblick da, um sicher zu gehen, dass sie ruhig weiter schlief und verließ dann leise das Zimmer. Als ich das Zimmer betrat, in dem Lilita und ich schliefen, ging ich leise zum Bett herüber und stellte beruhigt fest, dass sie wieder schlief. Müde kroch ich unter die Bettdecke, rückte an sie heran und zog sie in meine Arme. Sie wisperte im Schlaf meinen Namen und drehte sich herum. Daraufhin drückte ich ihr einen Kuss auf die Stirn und versuchte zu schlafen. Dabei ging mir mal wieder durch den Kopf, wie froh ich darüber bin sie bei mir zu haben.

 

Violeta

Mein Arm tat höllisch weh als ich aufwachte. Und mein Kopf pochte, als würde er gleich platzen. Ich stöhnte und drehte mich herum um mich an Levin zu schmiegen... nur um dann festzustellen, dass er nicht da war. Ich warf einen Blick auf den Wecker auf dem Nachttisch. 8:56 Uhr.

Ich setzte mich langsam auf, bemerkte das Kissen in meinen Armen und sah verwirrt darauf herab.

Wie kommt das denn dahin?

Verschlafen mühte ich mich aus dem Bett und ging zu meiner Tasche um mich anzuziehen. Sie stand vor dem Fenster. Und als ich mich davor kniete, wurde ich von der Sonne geblendet. Ich sah überrascht auf.

Seit wann ist der Schneesturm vorbei?

Irritiert von dem Beginn des Tages zog ich mich an und fragte mich, womit ich wohl noch überrascht werden würde. Vielleicht traf ich auf dem Weg nach unten ja einen Kobold.

Verdutzt über diesen Gedanken schüttelte ich den Kopf und verließ das Zimmer. Im Esszimmer angekommen sah ich jedoch niemanden. Ich ging in die Küche. Leer. Schulterzuckend ging ich zum Kühlschrank und suchte mir etwas zu Essen aus. Dabei fiel mein Blick auf meinen linken Arm. Er war völlig zerkratzt. Es klebte sogar Blut daran.

Zögernd stellte ich das Essen auf die Küchentheke und ging ins Bad um das Blut abzuwaschen. Dabei fielen mir einige Schnitte an meinen Händen auf.

Wie konnte ich die übersehen?

Eifrig wusch ich mir das Blut von Händen und Arm und hielt dann abrupt inne. Ich hob zaghaft die Hand an meinen Hinterkopf und zuckte zusammen als ich bei einer Berührung Schmerz spürte. Nach kurzem Zögern suchte ich aus dem Medizinschrank über dem Waschbecken eine Schmerztablette und ging wieder in die Küche nachdem ich sie geschluckt hatte. Dort bereitete ich mir ein kurzes Frühstück vor und setzte mich an den Küchentisch. Als ich es verputzt hatte ging ich ins Wohnzimmer, wo ich überrascht stehen blieb. Levantin lag auf der Couch und schlief. Trotz seines Schlafes hatte er tiefe Ringe unter den Augen und sah erschöpft aus. Leise ging ich zu ihm herüber und hockte mich neben ihm. Dann zuckte ich heftig zusammen, da mir einfiel was gestern Abend passiert war. Ich atmete leise aus, trat von ihm weg und ging zur Terrassentür, da ich Stimmen von draußen hörte. Janis und Lilita machten gerade mit Alex, Luca, Daina, Leonas und ein paar anderen eine Schneeschlacht. Als Luca einen Schneeball nach Lilita warf, warf Janis sich vor Lilita und riss sie zu Boden, woraufhin der Ball vorbei flog und Lilita lachend die Arme und Janis schlang. Luca und Alex konnten sich vor lachen kaum noch halten. Ich lächelte amüsiert, sah ihnen noch eine Weile zu und ging dann wieder in die Küche, wo ich mich an den Tisch setzte und die Zeitung zu mir zog, die bereits fünf Tage alt war. Eine der Schlagzeilen stach mir direkt ins Auge.

 

Vergewaltiger schlägt wieder zu.

17 jähriges Mädchen in Escondido sagt aus.

Vorgestern Abend wurde im Westside Park die 17 jährige Emilia T. gefunden. Sie hatte mehrere Blutergüsse und gebrochene Knochen. Gestern hat sie eine Aussage bei der Polizei gemacht.

„Er war ein Kopf größer als ich.“, sagte das 1,60 große Mädchen, „Er hat mich in den Wald gelockt. Er sagte, sein Hund sei ihm entlaufen. Er hatte braunes Haar. Und grüne Augen, glaube ich. Ja, grüne Augen. Sie sahen so kalt aus. Er hatte eine Narbe am Arm. Als hätte man ihn gebissen. Als wir tief im Wald waren, hat er mich an sich gezogen, geküsst und mir meine Sachen vom Körper gerissen. Ich habe geschrien und mich gewehrt. Aber er war stärker und größer. Ich hatte wahnsinnige Angst. Er schlug mich, wenn ich schrie. Er schlug mich, wenn ich mich wehrte. Er hat mir den Arm gebrochen, als ich ihm in den den Bauch geschlagen habe. Und das Bein, als ich ihn treten wollte. Er hat mich gewürgt, als ich nicht aufhörte zu schreien. Dann hat er mich auf den Bauch gedreht. Und mich vergewaltigt.“

„Ich hoffe der Mistkerl wird geschnappt.“, sagte der junge Freund des Mädchens.

Die Polizei hat ein Phantombild zeichnen lassen und rief den Mann zur Fahndung aus.

 

Ich sah mir das Bild an und keuchte. Ich zitterte bereits und wusste schon vorher, dass er es war. Die Narbe war eines der Beweise. Die Vorgehensweise. Das Aussehen. Er war derselbe, der mich vergewaltigt hatte. Ich nahm die Zeitung herunter und schluckte hart. Er hatte sich nicht verändert.

„Violeta.“

Ich drehte mich erschrocken um. Es war Levantins Vater. Ich atmete aus. „Ja?“

„Wir fahren heute. Sind deine Sachen gepackt?“, wollte er von mir wissen.

Ich nickte. „Ja. Alles gepackt.“

„In Ordnung. Ich gehe eben Levin fragen, ob seine Sachen auch gepackt sind.“ Er wand sich bereits ab.

„Ich hab noch eine kurze Frage.“

Er hielt inne und sah mich aufmerksam an. „Ja?“

„Äh... glaubst du, Aras hat etwas dagegen, wenn ich die Zeitung mitnehme?“ Ich deutete auf das genannte Stück und sah ihn fragend an.

„Ich denke nicht. Er hatte sowieso vor sie wegzuwerfen.“

„Okay.“ Ich begann sie zu falten und stand auf. „Soll ich meinen Koffer schon einmal nach unten bringen?“

Er nickte. „Mach das ruhig. Dann können wir wohl in einer Stunde fahren. Die meisten sind bereits losgefahren, sobald die Straßen frei geschaufelt wurden.“

Damit wand er sich wieder ab und ging ins Wohnzimmer, woraufhin ich nach oben eilte, um meinen Koffer nach unten zu bringen. Auf dem Weg nach unten kam Levantin mir entgegen. Ich hielt kurz inne um ihn anzusehen, ging dann jedoch an ihm vorbei und stellte mein Gepäck in den Flur. Ich hörte wie Levantin seufzte und dann weiter ging. Dann kam Alex in den Flur.

„Ach, da bist du ja.“, meinte sie und lächelte mich an. Ihre Wangen waren gerötet von der Kälte. „Ich wollte mich schon mal verabschieden. Wir fahren gleich.“

Ich nickte und war etwas verdutzt, als sie mich in die Arme nahm.

„Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.“

„Hoffe ich auch.“, gab ich halblaut zurück.

Als sie mich losließ, kam Luca in den Flur. Auch er nahm mich zum Abschied in die Arme.

„Schade, das du eben nicht mitgespielt hast.“, meinte er und lächelte mich an. „Aber wir sehen uns ja wieder. Spätestens wenn Alex und ich heiraten.“

Diese lächelte ihn an und gab ihm einen kurzen Kuss. Dann mussten sie bereits nach draußen, da sie fuhren. Alex winkte mir ein letztes Mal und verließ dann mit Luca das Haus. Im Wohnzimmer traf ich auf Janis und Lilita. Leonas war wohl noch mit Daina draußen.

„Guten morgen Violeta.“, meinte Lilita lächelnd.

„Geht’s dir besser?“, wollte Janis wissen und lächelte mich ebenfalls an. Wie immer raubte sein Lächeln mir den Atem.

Ich nickte. „Ja. Ein wenig.“

„Darf ich deinen Arm sehen?“

Ich zögerte etwas, hielt ihm dann jedoch meinen massakrierten Arm hin. Das Lächeln verschwand langsam und er strich vorsichtig über die Verletzung.

„Du hast bestimmt Kopfschmerzen, oder?“

„Ich... habe eine Schmerztablette genommen.“

Sein Mundwinkel zuckte. „Ich hoffe, wir sehen uns irgendwann wieder.“

„Das hoffe ich auch.“

„Ich vermisse dich jetzt schon.“, meinte Lilita lächelnd.

Ich lächelte zurück.

 

Während dem Flug kramte ich die Zeitung aus meiner Tasche. Levantin sah überrascht zu mir herüber und beobachtete, wie ich die Zeitung so faltete, dass der Text und das Bild in einem Stück zu sehen waren. Dann legte ich sie ordentlich vor mich auf den kleinen Tisch und las mir alles ganz genau nochmal durch. Dann sah ich mir das Bild an. Er war es. Kein Zweifel. Er sah noch genauso aus wie damals.

„Was ist das?“, wollte Levantin neben mir neugierig wissen und beugte sich zu mir herüber.

Ich legte schnell die Hände über den Artikel. „Nichts.“, gab ich zurück und kämpfte gegen den Drang an, ihm davon zu erzählen und mich von ihm trösten zu lassen. „Es ist nichts.“

„Du hast die ganze Zeit darauf gestarrt.“, widersprach er, „Da muss es doch etwas bedeuten.“

Ich biss die Zähne zusammen. Daraufhin seufzte er leise und lehnte sich wieder zurück.

„Verstehe.“

Ab da sagte er nichts mehr. Auch nicht als wir landeten, das Flugzeug verließen und mit dem Auto nach hause fuhren. Er sah einfach aus dem Fenster und schwieg. Ich sah bedrückt auf meine Hände hinab. Als der Wagen irgendwann anhielt und der Motor abgestellt wurde, sah ich abrupt auf und stellte fest, dass wir wieder zuhause waren. Im warmen San Diego. Wir stiegen direkt aus. Ich blieb einen Augenblick neben dem Auto stehen und sah auf unser Haus. Wenige Augenblicke später verließ Dad das Haus und wollte zum Auto gehen, als er bemerkte, dass wir wieder da waren. Ohne zu zögern lief ich herüber zu meinem Vater und lief ihm in die Arme. Er taumelte einen Moment, fing mich jedoch sicher auf und hielt mich an sich gedrückt.

„Ich hab dich so vermisst.“, murmelte ich und barg mein Gesicht an seiner Brust.

Er strich mir liebevoll über den Rücken und küsste mich auf den Schopf. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht.“ Er löste sich ein wenig von mir, um mich anzusehen und legte mir dann eine Hand auf den Schopf. „Geht's dir wieder besser?“

Ich schwieg eine Weile, schüttelte dann den Kopf und drückte mein Gesicht dann wieder an seine Brust.

Er schob mich sanft ein wenig von mir weg und sah mir ins Gesicht, woraufhin er mich besorgt ansah. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, zögerte jedoch ein wenig bevor er offenbar seine Meinung änderte. „Wo ist dein Gepäck?“

„Das hat sie im Wagen vergessen.“, ertönte hinter mir Levantins Stimme.

Mein Vater sah abrupt zu ihm auf und lächelte ihn freundlich an. „Hallo Levantin.“

„Hallo Mr. Graziano.“

„Oh! Hallo Levantin! Bleibst du heute zum Essen?“, ertönte plötzlich die Stimme meiner Mutter von der Haustür hinter meinem Vater.

„Hallo Mrs. Graziano. Ich... würde gern, aber... besser nicht.“

„Oh, ich bestehe darauf. Du und deine Eltern sind herzlich eingeladen.“

„Wirklich, ich denke nicht, dass das-“

„Ich finde, das ist eine ganz hervorragende Idee. Ich mache mich besser schon einmal daran alles vorzubereiten...“

Levantin versuchte offenbar zu widersprechen, aber meine Mutter war bereits im Haus und hörte ihn nicht. Da ich wusste wie stur meine Mutter war, wenn sie sich solche Dinge in den Kopf setzte, wusste ich, dass es nichts bringen würde, wenn man versuchte es ihr auszureden. Levin atmete hinter mir tief aus und murmelte etwas auf Litauisch vor sich hin.

„Danke, dass du das Gepäck vorbei gebracht hast.“, meinte mein Vater nach einer Weile und lächelte Levantin ein wenig an.

Levantin sagte nichts. Ich nahm an, dass er nickte. Dann ging er wieder zurück.

„Komm rein, Kleines. Wir haben übrigens Besuch.“

Ich sah ihn verwundert an, bekam die Antwort aber sobald ich das Haus betrat. Es lief gerade ein Mädchen durch den Flur. Ein Mädchen, das ich nicht kannte. Als ich herein kam, blieb sie abrupt stehen und sah mich verdutzt an. Ich drehte mich zu Dad um.

„Wer ist das?“, wollte ich von ihm wissen.

Er schob mich lediglich ins Wohnzimmer, das das Mädchen betreten hatte. Ich blieb überrascht stehen. Sie hatte sich neben Van gesetzt, der sich gerade etwas auf einem italienischen Sender ansah. Brandon saß ihm gegenüber.

„Brandon!“, rief ich begeistert aus und eilte zu ihm.

Er drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um mich aufzufangen. „Bonjour, ma chérie.“, meinte er und küsste mich auf die Wange. „Wie geht’s dir?“

Ich lächelte schwach. „Passabel.“

Er zog sofort die Brauen zusammen. „Ist was passiert?“

Ich atmete langsam aus, kuschelte mich an ihn und schloss die Augen. Bevor ich jedoch antworten konnte, hörte ich das erste Mal in meinem Leben, dass Van englisch sprach.

„Violeta. Ich... möchte dir jemanden vorstellen.“, meinte er zaghaft und mit starkem Akzent.

Ich sah ihn verdutzt an. „Seit... seit wann sprichst du englisch?“

Es dauerte kurz, bevor er antwortete. „Nun... Ich hatte etwas Hilfe.“ Er warf dem Mädchen neben ihm einen Blick zu. „Das hier- Das ist Vitalia.“

Ich musterte das Mädchen neugierig. Sie hatte dasselbe schwarze Haar, wie Van und ich. Bereits ihr Name sagte mir, dass sie Italienerin war. Aber ihre Augen waren seltsam. Sie sahen goldig aus und hatten silbrige Sprenkel.

Van stellte mich kurz auf Italienisch vor, woraufhin Vitalia mich mit seltsamen Blick betrachtete.

„Violeta?“

Ich sah zu meinem Vater auf, der sich gerade neben mich setzte. „Ja?“

„Sagst du mir jetzt, warum du so trüb bist? Ist irgendwas passiert?“, wollte er leicht besorgt von mir wissen.

„Trüb?“, hakte Brandon nach, „Ist irgendwas, chérie?“

Ich atmete kurz durch und nickte dann. „Ich habe etwas schreckliches gemacht.“, murmelte ich leise und merkte, wie mir die Tränen hochkamen. „Und Levantin hat uns erwischt und... er liebt mich nicht mehr.“

Brandon sah mich fassungslos an. „Violeta? Was hast du gemacht?“

Ich sah ihn, mit Tränen auf den Wangen, an und begann zu erzählen. Ich erzählte alles. Letztens Endes lag ich weinend in den Armen meines Vaters. Brandon streichelte mir über den Rücken und sogar Van saß vor mir am Boden und streichelte mir übers Haar.

 

Am Abend saßen wir dann alle zusammen in der Küche am Tisch. Levantin war es sichtlich unangenehm. Meine Mutter wusste von der Trennung noch nichts. Sie würde nur ständig fragen, Levantin beschimpfen oder sonstige Dinge tun. Ich saß schweigend an meinem Platz und aß langsam meinen Teller leer. Es war still im Raum.

„Wie war es eigentlich in Kanada?“, wollte meine Mutter irgendwann wissen.

Ich sah überrascht auf und warf dann Levantin einen kurzen Blick zu, der mich die ganze Zeit ansah. Dann sah ich wieder auf mein Essen und zu meiner Mutter. „Es hat... Spaß gemacht.“

„Ach ja? Und in St. George?“

„Auch. Ich habe viele Verwandte von Levin kennen gelernt und wiedergesehen.“

„Das ist doch schön.“

Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte und aß weiter. Als wir uns nach dem Essen von Levantins Familie verabschiedeten, hatte meine Mutter diesen bewusst unauffällig in meine Richtung gedrängt. Levantin schien etwas irritiert, als er sich neben mir wieder fand. Mom unterhielt sich noch ein wenig mit Levins Eltern. Dad zeigte Brandon, Van und Vitalia derweil deren Zimmer. Ihre Eltern waren auf einer Konferenz und kamen erst am nächsten Tag gegen Nachmittag wieder.

„Violeta?“

Ich sah zu Levantin auf. „Ja?“

Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, hielt dann jedoch inne, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und seufzte leise. Schließlich beugte er sich zu mir herab und küsste mich. Ich drückte ihn weg, trat einen Schritt zurück und gab ihm eine Ohrfeige, bevor ich überhaupt realisierte, dass er mich küsste. Als ich dann feststellte, was ich getan hatte, drehte ich mich um und eilte hoch in mein Zimmer. Wieder weinend.

Warum passiert das gerade mir?

Und da werden es plötzlich drei

3 Wochen später

Ich wich Levantin aus, ignorierte ihn, wenn er mich ansprach und lief ihm so gut es ging aus dem Weg. Als ich mich irgendwann abends fürs Bett fertig machte, fiel mein Blick auf den Kalender an meiner Wand. Ein Tag war dick rot eingekreist. Als ich feststellte, dass dieser Tag bereits vor fünf Tagen war, wurde mir kalt. Vor fünf Tagen hätte meine Regelblutung einsetzen müssen.

Ich eilte aus meinem Zimmer hinüber ins Schlafzimmer meiner Eltern. „Papà!“, rief ich und fand mich im nächsten Augenblick bei ihm am Bett wieder. „Papà!“

Er wachte abrupt auf und sah mich verwundert an. Mom hob müde den Kopf. „Was ist los? Warum bist du nicht im Bett?“

„Ich-ich muss mit dir sprechen.“

Angesicht meiner Panik, stand er mit einem kurzen Seufzer auf und ging mit mir auf den Flur. „Erzähl. Hat Levantin sich plötzlich gemeldet? Hast du eine Spinne gesehen?“

„Nein. Ich- Ich glaube- Also...“

Er unterbrach mich, indem er mir die Hände auf die Schultern legte. „Ganz ruhig. Atme tief durch. Entspann dich.“

Ich tat was er sagte, woraufhin er nickte, damit ich von vorn beginnen konnte. „Meine Regelblutung hat vor fünf Tagen nicht eingesetzt.“

Das verschlug ihm die Sprache. Er stand beängstigend lange schweigend vor mir und starrte mich an. Langsam wich die Farbe aus seinem Gesicht, hielt sich eine Weile fern und kehrte dann langsam wieder zurück. „Bist du dir sicher, dass sie nicht vielleicht etwas später kommt?“

Ich schüttelte den Kopf. „Sie kamen immer zuverlässig.“

„Okay.“ Er nickte. „Dann... Ich gehe morgen in die Apotheke, okay?“

Ich nickte. Morgen war Samstag.

„Jetzt geh schlafen.“

Ich nickte erneut, ließ mir von ihm einen Kuss auf die Stirn geben und ging zu Bett.

 

4 Monate später

Es gab Tage, an denen ich Levantin am liebsten hassen würde. Einer davon war vor 4 Monaten, als der Schwangerschaftstest positiv ausfiel. Heute war ein weiterer davon. Nikolai starrte seit der Pause auf meinen Bauch. Ich wusste, ich konnte ihn nicht die ganze Zeit verbergen. Aber ich wollte nicht, dass man es bemerkte, wenn ich es noch verbergen konnte.

Ich seufzte und schloss das Fahrradschloss an meinem Fahrrad auf. Dann erschrak ich, als ich mich aufrichtete und Nikolai direkt vor mir stand.

„Entschuldige.“, meinte er, „Ich wollte dich nicht erschrecken.“

Ich atmete kurz aus und nickte.

„Ich wollte dich etwas fragen.“

„Nur zu.“

Er schürzte die Lippen und sah mir zu, wie ich das Schloss an dem Teil des Fahrrads anschloss, an dem es beim fahren nicht stören würde.

„Ich möchte dich nicht beleidigen“, begann er, „Aber kann es sein, dass du zugenommen hast?“

Ich zuckte zusammen und sah erschrocken zu ihm auf.

„Es fällt nicht sofort auf.“, beeilte er sich schnell zu sagen, „Ich glaube, es ist mir auch nur aufgefallen, weil ich dich schon so gut kenne und so viel Zeit mir dir verbringe.“

Da hatte er Recht. Er war mein bester Freund geworden. Ich hatte ihm alles über die Trennung erzählt, jedoch nicht von der Schwangerschaft. Ich war bereits im 5. Monat. Die 21. Woche.

„Ich will damit nicht sagen, dass du fett bist oder sowas.“ Er wurde langsam rot. „Es ist mir nur aufgefallen und ich war mir nicht sicher, ob es nicht vielleicht nur so ausgesehen hat.“

„Nikolai?“

Er hielt abrupt inne, wurde noch ein wenig roter und sah mich fragend an. „Ja?“

„Kann ich dir etwas anvertrauen? Du darfst es niemandem sagen, okay?“

Er nickte. „Klar.“ Die Röte nahm wieder ab. „Hat es etwas... damit zu tun?“ Er deutete auf meinen Bauch.

Ich legte automatisch die Hand darauf und sah hinab. „Ja.“ Ich sah wieder zu ihm auf. „Ich bin schwanger.“

„Was?!“

Ich schloss die Augen. „Nicht so laut.“ Ich sah mich kurz um und bemerkte, dass Levantin etwa zehn Meter weiter bei den anderen Fahrradständern war und zu uns sah. Er sah zwischen Nikolai und mir hin und her. Es störte ihn nicht einmal, dass ich zu ihm sah.

„Weiß er es?“, wollte Nikolai von mir wissen, woraufhin ich wieder zu ihm sah.

„Nein. Ich wusste nicht, ob ich es ihm sagen soll.“

„Auf jeden Fall.“, gab er zurück und zog die Brauen zusammen, „Er ist doch der Vater, oder?“

„Ja. Ich bin jetzt in der 21. Woche. Leonas kann es nicht sein. Dann wären es erst 20 Wochen. Und was den Zyklus betrifft hätte es auch nicht gepasst.“

Er sah mich verwirrt und ahnungslos an. „Zyklus?“

„Hast du in Biologie nicht aufgepasst?“

„Ich war noch nie gut was die weibliche Anatomie betrifft.“

Ich seufzte. „Egal. Er ist jedenfalls der Vater.“

„Aber er weiß von seinem Glück noch nichts.“

„Nein.“

Er schwieg einen Augenblick und dachte offenbar nach. Dann nickte er. „Du musst es ihm sagen.“

Ich schluckte.

„Nicht jetzt. Aber am besten noch heute. Lade ihn ein und klär ihn auf. Je früher, desto besser. Sonst glaubt er noch, du würdest ihm das Kind unterschieben wollen. Je länger du wartest, umso schwerer wird es ihm fallen dir zu glauben. Einen Vaterschaftstest wird er höchstwahrscheinlich so oder so machen wollen, wenn das Kind da ist. Aber es geht ja auch darum, dass er dich während der Schwangerschaft unterstützt, verstehst du?“

Ich nickte. „Okay.“

„Gut. Dann... geh und lade ihn ein.“

„Jetzt?“ Ich sah ihn erschrocken an.

„Wenn du es nicht machst, tue ich es.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Dann geh.“

Ich zögerte noch etwas und sah zu Levantin, der sich mit hängenden Schultern seinem Fahrradschloss widmete. Mit einem kurzen Blick zu Nikolai ging ich zu ihm rüber. Als ich näher kam, hörte ich wie Levin auf litauisch vor sich hin murmelte und abbrach als er mich kommen hörte. Er sah abrupt auf und richtete sich auf als er mich erkannte. Er war unsicher.

„Hey.“, begann ich zaghaft.

Er sah aus dem Augenwinkel zu mir auf, als hätte er nicht damit gerechnet, dass ich mit ihm sprechen würde. „Hey.“

„Ich... muss mit dir sprechen. Dringend.“

„Äh... klar.“

„Dann... kannst du später zu mir kommen?“

Er nickte. „Kein Problem.“

„Gut. Dann... bis später.“

„Bis später.“

Ich nickte kurz und ging dann wieder zu meinem Fahrrad, von wo aus Nikolai alles genau überwacht hatte.

„War doch gar nicht so schwer.“, meinte er und öffnete nun auch sein Fahrradschloss.

Ich seufzte. „Das kommt noch.“

Sein Mundwinkel zuckte. „Viel Glück.“

„Kann ich brauchen.“ Damit setzte ich mich aufs Fahrrad und fuhr los.

 

Ich saß nervös im Wohnzimmer und überlegte wie ich es Levnatin wohl am besten sagen sollte. Ich war nicht sonderlich weit gekommen, als es an der Tür klingelte. Ich zögerte etwas, stand dann aber auf und zwang mich dazu zur Tür zu gehen. Dort stand ich noch einen Augenblick und öffnete dann die Tür. Levantin öffnete die Augen und sah mich erleichtert an.

„Also... da bin ich.“, meinte er zaghaft.

Ich nickte, woraufhin er wartete. „Ach, äh... Komm rein.“ Ich trat beiseite um ihn herein zu lassen und schloss hinter ihm die Tür. Dann gingen wir ins Wohnzimmer, wo wir uns gegenüber setzten. „Möchtest du etwas trinken?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein danke.“

„Okay.“ Wieder überlegte ich, wie ich am besten anfangen sollte.

„Also... Worüber möchtest du mit mir sprechen?“, wollte er auf mein Schweigen wissen, „Gibt es wieder irgendein Gerücht? Liegt dir etwas auf dem Herzen, bei dem Nikolai dir nicht helfen kann?“

„So ähnlich.“, gab ich zurück, „Ich...“ Wieder überlegte ich.

Er hob eine Braue und sah mich wartend an. „Ja?“

„Ich-“

Er wartete geduldig.

„Ich- Ich bin...“

Er zog langsam die Brauen zusammen. „Was?“, wollte er wissen, als ich nicht weiter sprach. „Was bist du? Verwirrt? Frisch verliebt?“ Sein Blick glitt kurz zu meinem Bauch. „Ein bisschen schwerer?“

„Nein. Ich-“ Ich zögerte etwas. „Ich bin schwanger.“ Jetzt war es raus. Ich schloss die Augen und atmete kurz durch. Als ich die Augen wieder öffnete, war Levantin deutlich blasser geworden.

„Wie lange schon?“, wollte er heiser wissen.

„Ich bin jetzt in der 21. Woche.“

„Und... der Vater...“

„Das bist du.“

Er atmete tief durch. „Du bist dir sicher, ja?“

Ich nickte. „Ja.“

Er schluckte. Dann kniff er ein paar Mal die Augen zusammen. Irgendwann atmete er drei Mal tief durch und nickte dann langsam. „Jetzt hätte ich doch gern was zu trinken.“ Er lachte leise und grinste schief.

Ich nickte und musste ebenfalls ein wenig lachen als ich aufstand um ihm ein Glas Wasser zu holen. Ich nahm mir selbst direkt eins mit. Zurück im Wohnzimmer reichte ich ihm sein Glas und setzte mich wieder auf meinen Platz. Er hatte bereits wieder Farbe im Gesicht und träumte schweigend vor sich hin. Als ich mich setzte, schien er wieder im hier und jetzt zu sein.

„Ich... würde auch gerne mit dir sprechen. Über ein anderes Thema.“, meinte er langsam und trank ein Schluck Wasser.

Ich tat es ihm gleich und sprang kurz darauf wieder auf. „Einen Augenblick.“

Er sah mir verwundert hinterher als ich aus dem Wohnzimmer eilte. Wenige Augenblicke später verließ ich das Badezimmer und setzte mich wieder auf meinen Platz.

„Entschuldigung. Äh... Manchmal tritt er mir in die Blase.“

Das schien ihn davon abzulenken, worüber er mit mir sprechen wollte. „Er? Heißt das... es ist ein Junge?“

„Ich weiß es nicht. Ich habe dem Arzt gesagt, dass ich es noch nicht wissen möchte.“

„Verstehe.“ Er schwieg kurz. „Wer weiß alles davon?“

„Wir beide, Mom, Dad, mein Frauenarzt und Nikolai.“

„Nikolai?“ Er zog eine Braue hoch. „Was läuft da eigentlich zwischen euch?“

„Nichts.“, gab ich zurück, „Er ist mein bester Freund. Ich rede mit ihm über alles Mögliche.“

„Und über die Schwangerschaft.“

Ich nickte.

„Hast du es ihm sofort erzählt?“

„Nein. Ich habe es ihm heute gesagt, weil er mich gefragt hat, ob ich zugenommen habe.“

Sein Blick fiel auf meinen Bauch. „Warum hast du es ihm nicht sofort gesagt?“

„Ich weiß nicht. Ich wollte, dass es so wenige wie möglich wissen.“

„Und warum hast du es mir erst heute erzählt?“

Ich schwieg eine Weile. Dieses Thema sprach ich nicht gern an. „Ich war noch nicht bereit wieder mit dir zu sprechen.“, antwortete ich leise.

„4 Monate lang?“, hakte er nach.

Ich senkte den Blick.

„Ich vermisse dich.“

Es schnürte mir langsam die Kehle zu.

„Ich habe nicht aufgehört dich zu lieben.“

Ich schnaubte traurig. „Du hast mir deutlich zu verstehen gegeben wie sehr du mich doch liebst.“

„Ich war wütend. Zu Recht, oder?“

„Ja, aber... Ich habe versucht es dir zu erklären.“

„Ich bin dir trotzdem in den Schneesturm gefolgt.“

„Nachdem du mir sagtest, ich solle jemandem sagen, dass ich ihn liebe, der auch das selbe für mich fühlt.“

„Violeta, ich habe dich mit meinem Cousin im Bett gesehen. Ich war verdammt nochmal wütend und enttäuscht. Anfangs hat es geklungen wie eine billige Ausrede. Trotzdem wusste ich, dass ich wieder zu dir zurückkommen würde. Ich habe dir geglaubt. Selbst wenn es nur eine Ausrede gewesen wäre. Ich habe dir geglaubt.“

„Warum hast du es dann gesagt?“

„Ich weiß es nicht. Ich war einfach so wütend. Und es hat so wehgetan.“

„Ich würde es rückgängig machen wenn ich könnte.“

„Ich weiß.“

Stille breitete sich aus. Irgendwann seufzte er leise und stand auf. „Du sagst mir Bescheid, wenn das Kind kommt, oder? Ich... würde gerne bei der Geburt dabei sein.“

Ich sah wieder zu ihm auf, stand ebenfalls auf und nickte. „Ja. Ich rufe dich an.“

Er nahm sein Glas, trank es leer und stellte es dann wieder ab. Dann ließ er sich wieder auf die Couch fallen. „Ich kann einfach nicht.“, meinte er leise.

„W-was?“

Er sah zu mir auf. „Ich kann nicht wieder zurückgehen und wissen, dass sich zwischen uns immer noch nichts geändert hat. Du fehlst mir. 4 Monate und ich wünsche mir, ich wäre nie mit dir dahin geflogen. Ich würde alles dafür tun.“

Ich setzte mich langsam und zaghaft neben ihn. Er starrte vor sich auf den Boden. „Levantin?“

Er zögerte ein wenig, sah dann aber zu mir auf. „Ja?“

„Möchtest... Möchtest du mal fühlen?“

Er zog die Brauen zusammen.

„Das Baby.“, erklärte ich, „Es ist wieder in Tretlaune.“

Er sah auf meinen Bauch herab und hob zaghaft die Hand, ließ sie jedoch ein paar Zentimeter davor in der Luft schweben. Ich nahm seine Hand und legte sie auf meinen Bauch. Es dauerte nicht lange, da trat es auch schon zu. Levantin begann zu lächeln.

„Es hat sich etwas zwischen uns geändert.“, bemerkte ich.

Er sah zu mir auf.

„Ich bin noch nicht bereit, mit dir wieder eine Beziehung zu führen. Aber ich wäre derweil gerne mit dir befreundet.“

Langsam breitete sich ein Lächeln in seinem Gesicht aus. Dann sah er wieder auf meinen Bauch. „Es ist gesund, oder?“

Ich nickte. „Kerngesund. Morgen ist der nächste Termin für die Ultraschalluntersuchung.“

Er nickte ebenfalls. „Kann ich mitkommen?“

„Ehrlich gesagt, habe ich gehofft, dass du das fragst.“

Das Klingeln des Telefons schnitt Levin das Wort ab. Ich stand auf um abzunehmen und stöhnte leise, als ich mich falsch aufrichtete.

„Alles okay?“, fragte Levantin aufmerksam.

Ich nickte. „Ja. Ich habe mich nur falsch bewegt.“ Ich merkte, dass er mir hinterher sah, als ich in den Flur ging. „Graziano.“, meldete ich mich am Telefon.

„Ich bin's.“, meldete sich Dad, „Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich noch ein bisschen länger weg bin. Es gab einen Unfall und ich hab beim Streichholzziehen den Kürzeren gezogen. Der Unfallort ist etwas weiter weg und danach muss ich mich noch um einen anderen Patienten kümmern. Sag Jole später bitte, dass ich unterwegs zu Mittag esse.“

„Ist okay.“

„Und wegen morgen.“, begann er erneut, „Ich kann leider nicht mitkommen.“

„Ist schon okay.“

„Wirklich?“

„Ja. Ich... Ich habe es Levin gerade gesagt.“

Kurzes Schweigen. „Was sagt er?“

„Also... Er hat gefragt, ob er der Vater ist, ob es ein Junge wird, ob es gesund ist und ob er morgen mitkommen kann. Ich denke, er ist einverstanden damit, der Vater zu sein. Jedenfalls macht er den Eindruck. Und damit ist er offenbar auch recht zufrieden.“

„Gut.“ Er klang erleichtert und seufzte leise. „Ich muss dann jetzt wieder auflegen.“

„Ist okay.“

„Bis später, Kleines.“

„Bis später.“

Er legte auf, woraufhin ich das Telefon zurück stellte und wieder ins Wohnzimmer ging. Levantin stand an der Staffelei, die ich vor zwei Tagen ans Fenster gestellt hatte und betrachtete das Bild das ich gerade malte.

„Das sieht sehr gut aus.“, bemerkte er anerkennend.

„Dankeschön.“

„Wer hat dir das malen beigebracht?“

„Raphael hat früher gemalt.“, erklärte ich ihm, „Ich habe ihm oft dabei zugesehen und manchmal versucht etwas nach zu malen. Irgendwann hat er mir gezeigt wie es geht.“

„Raphael.“, wiederholte er leise, „Was hat er sonst noch so gemacht?“

Ich lächelte. „Er war in der Schule einer der besten und hatte sehr gute Aussichten auf Havard. Er hatte die Bewerbung schon abgeschickt. Er erlebte nicht mehr, dass er angenommen wurde.“ Ich schluckte den Klos runter der mir im Hals saß und erzählte weiter. „Er hat auch Musik gemacht. Er spielte Gitarre, Keyboard und Schlagzeug. Er hat sogar gesungen. Wir nannten ihn unsere Ein-Mann-Band.“ Ich lächelte vor mich hin. „Er war sogar Mitglied einer Band. Sie bestanden aus ihm und drei seiner Freunde. Zusammen waren es zwei Gitarristen, ein Drummer, ein Pianist oder wie auch immer man die nannte, und zwei Sänger.“

„Ein Drummer und ein Pianist?“

„Ja. Also, Raphael nicht mitgezählt. In der Band war er nur Sänger und Gitarrist.“

„Ah. Was haben sie denn für Musik gespielt?“

„Meistens spielten sie Rock. Jaydon hat es aber auch ein paar Mal durchgesetzt Pop zu spielen.“

„Wer ist Jaydon?“

„Jaydon war Raphaels bester Freund. Er war oft zu Besuch und hat mich gerne auf die Schultern genommen. Er nannte mich immer pequeño tesoro

Er sah mich fragend an.

„Ich weiß nicht was es heißt. Es ist spanisch. Jaydons Familie ist spanischer Herkunft.“

„Verstehe.“

„Er hat auch einen kleinen Bruder, den er manchmal mitgebracht hat. Gabriel. Manchmal, wenn Raphael nicht da war, haben wir uns an seiner Farbe vergriffen und uns gegenseitig angemalt.“

Levantin lachte leise.

„Leider weiß ich nicht, wo die beiden jetzt wohnen. Kurz nach dem Unfall zog Jaydons Familie weg. Nach Kansas City oder so.“

„Du hattest wohl eine glückliche Kindheit.“

„Bis zu dem Unfall ja. Dad sagt, ich habe viel gelacht. Mom war damals noch... normal.“

„Normal? Ich finde, sie macht einen guten Eindruck.“

„Sie ist damals nicht drüber hinweg gekommen. Sie... war viel lockerer. Streng aber locker. Ich weiß, das klingt paradox. Aber es ist so. Es war ihr egal was andere von uns hielten. Sie lud nicht oft Fremde oder Nachbarn ein. Sie war vollkommen für uns da. Nach dem Unfall – oder besser gesagt Mord – veränderte sie sich. Nicht wie ich. Sie... bekam Angst. Sie wollte plötzlich alle Leute in der Umgebung kennen lernen. Sie lud alle möglichen Leute ein, versuchte mich in Freundeskreise zu drängen, in die ich nicht hinein passte. Manchmal, wenn wir zu dritt irgendwo allein sind. Irgendwo, wo uns niemand kennt und wo wir nur für eine Weile sind. Dann ist sie wie früher. Sie lacht viel, lächelt von ganzem Herzen und ist erstaunt über jedes noch so kleine Lebewesen. Sie ist intelligent und erzählt mir oft von Dingen, die ich gar nicht wusste. Vor eine Jahr waren wir in einem Nationalpark. Jedes mal wenn wir ein Tier sahen, konnte sie uns sagen, wie es hießt, was es fraß und was es den lieben langen Tag so machte.“

„Jetzt verstehe ich was du meinst.“

Ich lächelte schräg. „Ich vermisse das, weißt du. Es ist etwas, dass ich so sehr an ihr liebe.“

Levantin erwiderte das Lächeln. Dann fiel sein Blick auf etwas hinter mir. Ich drehte mich verwirrt um und entdeckte das Gesprächsthema in der Wohnzimmertür. Ihr lief eine Träne über die Wange, während sie mich zaghaft anlächelte.

„Mamá.“, meinte ich überrascht, „Ich dachte...“

„Ist schon gut.“, gab sie zurück, „Hallo Levantin.“

„Guten Tag, Mrs. Graziano.“

Ich ging auf meine Mutter zu und wischte ihr die Tränen von den Wangen. „Mamá, warum weinst du? Ich habe dir doch nicht wehgetan, oder?“

„Nein, cara. Das hast du nicht. Das hast du nicht.“ Sie strich mir liebevoll übers Haar und küsste mich auf die Stirn. Dann drehte sie sich wieder um. „Ich mache jetzt das Mittagessen. Bleibst du noch, Levin?“

Ich sah diesen fragend an.

„Ja.“, gab er zurück und begann zu lächeln, „Ich bleibe gerne.“

Ich erwiderte das Lächeln und folgte Mom in die Küche. „Mamá, Papà hat angerufen.“, begann ich, „Er kommt heute etwas später...“

 

Ich seufzte und lief zur anderen Seite des Raumes. Levin verdrehte die Augen, stand auf und führte mich am Arm zu einem freien Platz.

„Warum bist du so nervös?“, wollte er von mir wissen.

„Ich bin immer so nervös, wenn ich zum Frauenarzt gehen muss.“, gab ich zurück und begann mit dem Bein zu wippen.

Er legte seine Hand darauf um ihn still zu halten. Prompt wippte das andere Bein. Er verdrehte die Augen und seufzte. In der Schule hatte man uns seltsam angesehen. Ich konnte es den anderen nicht verübeln. Erst waren wir unzertrennlich, dann wich ich ihm ständig aus, bis wir uns gegenseitig mieden und dann ließ er mich so gut es ging keinen Augenblick allein.

„Mrs. Graziano.“, rief mich die Assistentin auf.

Ich stand sofort und ging gefolgt von Levin in den Untersuchungsraum. Ich setzte mich dort mit Levantin und wartete auf den Arzt. Dieser ließ nicht lange auf sich warten.

Er lächelte mich an und reichte mir die Hand. „Hallo Mrs. Graziano.“

Ich erwiderte das lächeln freundlich. „Hallo Dr. McCartney.“

Er wand sich an Levantin. „Und Sie sind?“

„Levantin Kemmesies.“, antwortete er und reichte dem Arzt die Hand. „Ich bin der Vater.“

Er nickte. „Wie geht es Ihnen denn heute, Violeta?“

Er setzte sich an seinen Schreibtisch und schlug die Akte auf, während ich ihm von den wenigen Beschwerden erzählte die ich hatte. Dazu gehörte die Morgendliche Übelkeit, von der ich wusste, dass sie normal war. Ab und zu war mir ein wenig schwindelig.

Nachdem er nickend zugehört hatte, stand er auf und bat mich, mich auf die Liege zu legen. „Dann wollen wir doch mal sehen, wie es dem Baby geht, ja?“

Ich nickte und tat lächelnd worum er bat.

„Sie können sich ruhig zu ihr setzen.“, meinte er zu Levin und deutete auf einen Stuhl, der zu meiner Linken an der Liege stand.

Levantin nahm das Angebot sofort an und setzte sich zu mir. Dr. McCartney machte das Ultraschallgerät bereit, während ich meinen Bauch frei machte. Wenige Augenblicke später sah sich mein Arzt das Kind auf dem Monitor an. Fast sofort drehte er ihn so, dass wir ebenfalls darauf sehen konnten.

„Dem Kind geht’s wirklich prächtig.“, meinte Dr. McCartney lächelnd, „Es entwickelt sich hervorragend.“

Ich warf Levantin einen Blick zu und lächelte ihn an. Er sah gebannt auf den Monitor und erwiderte das Lächeln, als er meinen Blick bemerkte. Er lehnte sich zu mir, nahm meine Hand und küsste mich auf die Stirn, woraufhin ich seine Hand drückte und wieder auf den Monitor sah.

„Denken Sie daran, Sie dürfen sich nicht zu überanstrengen.“, bemerkte mein Arzt ernst, „Es ist schlecht für das Kind. Keine Zigaretten, kein Alkohol. Vermeiden Sie Stress, wenn es geht.“

Ich nickte.

„Ich gehöre eigentlich zu den Menschen, die dafür sind, dass so junge Menschen keine Kinder bekommen sollten, aber ich bin mir sicher, dass es bei euch gut aufgehoben ist. Es ist kerngesund.“

Er machte noch ein paar Schnappschüsse und beendete dann die Untersuchung. Nach einer weiteren Unterhaltung und einer kurzen Beratung verabschiedeten wir uns wieder. Als ich die Praxis mit Levantin verließ, hielt ich die Ultraschallbilder in den Händen und betrachtete das Kind. Levin stand direkt neben mir und sah es sich lächelnd an.

„Du wirst sicher eine wundervolle Mutter.“, meinte er ermutigend.

Ich lächelte ihn an und machte mich dann mit ihm auf den Weg nach hause.

 

„Sieh mal. Das ist doch süß.“, meinte ich zu Levantin und hielt ihm einen blauen Body hin.

Er zog die Brauen zusammen und nahm es entgegen. „Es ist blau.“, bemerkte er, „Ich dachte, du weißt nicht, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird.“

„Ich weiß es auch nicht.“, gab ich zurück, „Aber ein Mädchen wird es doch auch tragen können, oder?“

„Andere werden aber denken es wäre ein Junge, wenn sie es darin sehen.“, gab er zu bedenken.

Ich seufzte. „So wird das nie was.“, meinte ich dann.

Es waren nun weitere 3 Wochen vergangen. Die Mitschüler hatten begonnen zu tuscheln, schienen jedoch nur zu glauben, ich würde zu viel essen.

„Kauft doch etwas geschlechtsneutrales.“, schlug Nikolai vor.

„Meinst du?“ Ich betrachtete die Kleidungsstücke.

„Gute Idee.“, stimmte Levin zu, „Etwas geschlechtsneutrales.“

Ich schürzte die Lippen. „Vielleicht sollten wir doch noch etwas warten. Oder wir fragen Dr. McCartney was es wird.“

Levantin stöhnte auf und stützte sich am Regal ab. „Das haben wir doch schon mindestens 7-mal besprochen.“

„Ich weiß.“, gab ich zurück, „Aber-“

„Kein aber. Wir einigten uns darauf, es nicht wissen zu wollen.“

Ich seufzte.

„Also doch die geschlechtsneutralen Sachen.“, meinte Nikolai und sah sich um.

„Ich hätte aber gern etwas, dass zu dem Kind passt.“, warf ich ein.

„Dafür müssen wir wissen was es wird.“, erklärte Levin mir geduldig.

„Man kann doch für beides etwas kaufen.“

„Nikolai, sag was!“, meinte Levin plötzlich.

„Was soll ich da sagen?“, wollte er wissen.

„Irgendwas.“

„Was wäre daran so schlimm?“, fragte ich ihn verwirrt.

„Woran?“, ertönte plötzlich eine Stimme neben uns.

Ich drehte mich erschrocken um und blinzelte verdutzt. Nikolai und Levantin schwiegen verwirrt.

„Ich wusste doch, dass mir die Stimme bekannt vorkommt.“, meinte der Mann vor mir, „Du bist groß geworden, pequeño tesoro.“

„Da hol mich doch- Jaydon?“

„Wie er leibt und lebt.“, gab er zurück und grinste mich an.

„Meine Güte!“, rief ich aus, „Du bist ja riesig.“

„Du bist nur etwas klein.“, gab er zurück.

Ich lachte leise. „Jaydon, das hier sind Levantin und Nikolai. Das ist Jaydon.“, stellte ich kurz vor.

Er begrüßte kurz die beiden Jungs und wand sich wieder an mich. „Also... Was macht ihr drei hier in der Babyabteilung?“ Er zog eine Braue hoch.

„Ja. Was machen wir hier in der Babyabteilung?“, fragte ich mich und tippte mir an die Lippen. „Was machst du denn in der Babyabteilung?“

Er sah mich einen Augenblick stumm an. Dann begann er zu grinsen. „Was man eben in der Babyabteilung macht. Babysachen kaufen.“ Er verstummte und sah mich verdutzt an. „Letty? Warum brauchst du Babysachen?“

Ich schürzte die Lippen und sah zu Levin herüber. Dieser sah sich mit Nikolai wieder die Bodys an. „Ich...“, versuchte ich es halblaut, „Ich bin schwanger.“

Maldito. Ist das dein Ernst?“, hakte er nach.

Ich nickte. „Levin ist der Vater.“

Madre- Levin?“ Er sah mich verdutzt an.

Ich nickte. „Levantin.“

„Du hast gar nicht erwähnt, dass ihr zusammen seid.“, bemerkte er.

„Sind wir auch nicht. Also, nicht mehr. Wir hatten... eine Art Streit, bevor ich erfahren habe, dass ich schwanger bin.“ Ich schüttelte den Kopf. „Egal. Jetzt zu dir. Wie kommt es, dass du Babysachen kaufen musst?“

Er schmunzelte. „Eine Freundin von mir bekommt ein Kind. Naja... Ich wollte ihr eine Kleinigkeit schenken.“

„Und warum kaufst du dann hier ein?“

„Ich war gerade in der Nähe. Ich bin jetzt in einer richtigen Band. Aber wir haben vor in ein paar Jahren aufzuhören.“

„Warum? Ihr seid doch sicher super.“

„Ja sicher.“ Er seufzte. „Aber es wird langsam etwas lästig. Überall Fans, schreiende Mädchen, jubelnde Leute. Nie lässt man dich in Ruhe. Und man hat kaum Privatsphäre.“

Ich hob eine Braue und sah mich um. „Also, ich sehe hier weder schreiende Mädchen, noch irgendwelche jubelnde Mengen oder andere Leute, die dir die Privatsphäre nehmen wollen.“

Er lächelte schräg. „Ich glaube nicht, dass sie mich hier suchen würden.“ Er sah auf seine Uhr. „Ich muss dann weiter. In einer Stunde muss ich ein Interview geben.“

Ich lächelte leicht. „Viel Glück.“

Er lächelte zurück. „Kann ich brauchen. Ach, bevor ich es vergessen.“ Er klopfte seine Taschen ab. Schließlich zog er eine CD aus der Innenseite seiner Jacke und sah es verwundert an. „Wo kommt das denn her?“

Ich lachte leise.

„Naja, egal. Die kannst du haben.“ Er schürzte die Lippen, fand einen Stift in seinen Taschen und zog eine Autogrammkarte aus einer anderen Tasche. „Und hier ist meine Nummer. Sag mir Bescheid, wenn das Kind da ist, ja? Ich will Patenonkel werden.“

Ich grinste ein wenig. „Da bist du der Zweite.“

Er reichte mir die Karte und die CD und küsste mich noch kurz auf die Wange. „Bis dann pequeño tesoro

„Bis dann.“

Damit wand er sich ab und ging weiter zu den Spielzeugen. Ich dagegen wand mich an Nikolai und Levantin, die sich gerade darüber stritten, ob der Body kurz oder langärmlig sein sollte. Kurzerhand steckte ich die CD und die Karte in die Tasche die ich dabei hatte, stellte mich zwischen die beiden und nahm einen cremefarbenen Body, dessen Ärmel gerade bis zu den Ellenbogen gingen.

„Der ist doch süß.“, bemerkte ich lächelnd, „Den nehmen wir.“

Nikolai und Levin seufzten frustriert.

„Dann noch einen rosafarbenen, einen blauen, einen violetten und einen grünen. Und jetzt geht’s weiter zu den Söckchen und dann sehen wir nach Decken und...“

 

Ich atmete kurz durch, legte mir eine Hand auf den Bauch und sah zu Levin. Er unterhielt sich gerade mit einem seiner Freunde, wobei regelmäßig sein Blick zu mir wanderte. Als er sah, dass ich meine Hand auf meinen Bauch gelegt hatte, hielt er kurz in der Unterhaltung inne.

„Alles okay?“, fragte er mich leise.

Ich nickte.

„Warum hat sie eigentlich einen so... großen Bauch bekommen?“, wollte Levins Freund von ihm wissen und sah mich nachdenklich an. „Du müsstest es doch wissen, oder? Ich meine, sie sieht nun nicht so aus, als hätte sie einfach nur zugenommen. Sie sieht aus, als wäre sie schwanger.“ Er zögerte etwas. „Das ist sie doch nicht, oder?“

Levantin sah ihn sprachlos an und warf mir einen hilflosen Blick zu. Ich seufzte leise und schluckte kurz.

„Doch.“, meinte ich dann halblaut an ihn.

Er sah uns geschockt an. „Ist das euer Ernst?“

Levin nickte zögernd.

„Ich glaub's nicht. Sie ist wirklich schwanger?“

„Was?“ Das Mädchen, das gerade an ihm vorbei gegangen ist, sah ihn verwundert an. „Wer ist schwanger?“

„Verzieh dich.“, meinte Nikolai.

„Mit dir hat keiner geredet.“, gab sie zurück.

„Emily, wo bleibst du?“, rief ihr jemand zu.

„Einen Moment noch.“, rief sie zurück, bevor sie sich an Levin wand. „Wer soll nun schwanger sein?“

Eine Gruppe Jungs, die sich hinter ihr an den Tisch setzen wollten, drehten sich zu ihr um.

„Schwanger?“, fragte einer von ihnen, „Wer?“

„Ich weiß nicht.“, gab sie zurück, „Fergus und Levin haben gerade was davon gesagt.“

„Levin?“, hakte ein anderer nach, „Ist es etwa Violeta?“

„Violeta?“, wiederholte sie und sah zu mir, „Meine Güte, bist du wirklich schwanger?“

Ich sah zu Levin, der Fergus finster ansah. Dieser zog den Kopf ein und wich seinem Blick aus.

„Wer ist der Vater?“, wollte Emily wissen, „Nikolai oder Levin?“

Nikolai verschluckte sich prompt. Ich fuhr bei Levins Namen zusammen.

„Mein Gott. Sasha, du glaubst nicht, was ich dir gleich sage!“, rief sie dem Jungen zu, der sie zuvor gerufen hatte.

„Wer ist es denn nun?“, fragte einer aus der Gruppe am Tisch nebenan.

„Ich glaube, Violeta.“, meinte einer der Anderen.

„Heißt das, Levin wird Vater?“

„Voll krass.“

„Das kannst du laut sagen.“

„Ich frag mich, in welchem Monat sie ist.“

„Frag doch einfach sie.“

„Bin ich bescheuert?“

Ich seufzte leise und senkte den Kopf. Genau das hatte ich vermeiden wollen. Ich wollte, nicht, dass die gesamte Schule über mich sprach. Besonders nicht unter solchen Bedingungen.

„Komm, wir gehen raus.“, meinte Levin und stand mit mir und Nikolai auf.

Fergus begleitete uns und entschuldigte sich dafür, dass er die Frage einfach hinaus posaunt hatte.

Ich hätte nie gedacht, dass damit jemand auf mich aufmerksam werden könnte, der gar nicht auf unsere Schule geht, geschweige denn nicht in unserem Alter war.

 

2 Wochen vor der geplanten Geburt

„Brauchst du noch etwas?“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich hab alles. Danke Papà.“

Er lächelte mich an. „Nicht dafür, Kleines.“

Er küsste mich noch auf die Stirn, bevor er das Wohnzimmer verließ und zur Arbeit fuhr. Levantin war in der Schule, Mamà war bereits vor zwei Stunden zur Arbeit gefahren. Und ich sollte zuhause bleiben.

Ich seufzte leise, nahm meinen Block vom Tisch und griff nach dem Bleistift, der daneben lag. Zeichnen war eine der wenigen Dinge, die Papà, Levantin oder Nikolai nicht mit wachsamen Augen verfolgten. In den letzten drei Tagen hatte ich bereits mindestens vier Dutzend Bilder gezeichnet.

Irgendwann legte ich den Block und den Stift beiseite, stand auf und ging zur Stereoanlage herüber. Dort suchte ich die neuste CD meiner italienischen Lieblingssängerin heraus und legte sie ein. Kurz darauf ertönte das Lied Primavera in Anticipo. Ich seufzte leise und dachte an Levin. Immer wenn wir allein waren, redeten wir über unsere Vergangenheit. Wir erzählten uns die peinlichsten Geschichten, die schönsten Erinnerungen und erklärten uns gegenseitig wie einige Situationen zu Stande gekommen waren. Immer wenn wir lachten, legte er mir einen Arm um die Schultern. Und sobald unser Lachen verebbt war, sagte er mir, dass er mich liebte. Er sagte es bei jeder Gelegenheit, als habe er Angst, dass ich es vergessen würde. Oder ihm erst gar nicht glauben würde.

Wieder schlich sich ein Seufzen über meine Lippen. Er fehlte mir. Ich vermisste ihn. Vielleicht sollte ich etwas auf Abstand gehen. Ich hatte Angst, ihm wieder näher zu kommen.

Ich zuckte zusammen als es an der Tür klingelte. Mit einem leisen stöhnen kämpfte ich mich auf die Beine und ging an die Tür. Ich war etwas überrascht, als Levin daraufhin vor mir stand. Er schien ein wenig nervös zu sein und lächelte mich an, als er mich ansah.

„Hey.“, begrüßte er mich.

„Hey.“ Ich trat beiseite, damit er herein kommen konnte, woraufhin er eintrat und mit mir ins Wohnzimmer ging. „Wie kommt es, dass du schon da bist?“

Er ließ sich mit einem Seufzen auf der Couch sinken und streckte sich. „Die letzte Stunde fiel aus.“

„Oh.“ Ich lächelte ein wenig.

„Was hast du heute alles gemacht?“ Er horchte. „Ist das italienisch?“

Ich nickte. „Ja. Ich habe auch noch gezeichnet.“ Ich deutete auf den fast vollen Block, bei dem die neuste Zeichnung noch aufgeschlagen war.

Er sah sich die Zeichnung an und lächelte. Es war ein Hundewelpe. Ein schmutziger Welpe. Ein kleiner Streuner.

„Das sieht wirklich super aus.“

Ich lächelte leicht und sah auf den Tisch. „Danke.“

„Wie fallen dir die ganzen Motive ein?“

„Ich weiß nicht. Ich habe sie einfach im Kopf.“

„Woran hast du denn gedacht?“ Er sah mich neugierig an.

Ich wurde ein wenig rot. „Ich hab-“ Ich unterbrach mich, als das Telefon klingelte und stand auf um abzunehmen. An der Tür durchzuckte meinen Bauch ein überraschender Schmerz, woraufhin ich kurz stehen blieb und durchatmete.

„Alles okay?“, wollte Levin wissen und kam zu mir.

„Ja. Ja, alles in Ordnung.“, gab ich zurück. Und ging weiter zum Telefon. „Graziano.“, meldete ich mich.

Es blieb still.

„Hallo? Ist da jemand?“, versuchte ich es weiter.

„Kennst du mich noch?“

Ich bemerkte wie ich blass wurde. Diese Stimme kam mir bekannt vor. „Wer-wer ist da?“

„Ich könnte schwören, ich hätte dir Erinnerungen gegeben, die mich in deinem Gedächtnis halten.“

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“ Ich bemerkte, wie ich begann zu hyperventilieren. Levin zog die Brauen zusammen und legte mir eine Hand auf den Rücken.

„Kommt dir der Name Josephine bekannt vor?“

Mir wurde eiskalt. „Ich weiß nicht, wer das sein soll.“

Er lachte leise. „Seltsam. Man müsste doch meinen, dass so eine Nacht im Wald im Gedächtnis hängen bleibt. Oder hast du es verdrängt? Wie hast du es eigentlich geschafft danach immer noch so wunderschön zu bleiben? Und sogar noch in der Schwangerschaft. Wirklich beeindruckend.“

Ich ließ das Telefon fallen und trat ein paar Schritte davon weg. „Leg auf.“, bat ich Levantin.

„Wer ist das?“, wollte er darauf wissen.

„Leg auf. Bitte. Sprich nicht mit ihm. Leg einfach auf.“

Er nahm das Telefon in die Hand, zögerte kurz, legte dann aber auf. Ich begann zu zittern, stützte mich an der Wand ab und starrte auf das Telefon.

„Violeta. Wer war das?“, wollte Levin wieder wissen.

Ich schluckte hart. „Er hat mich beobachtet. Die ganze Zeit hat er mich beobachtet. Er-er-“ Ich stöhnte auf und hielt mir den Bauch, als er zu schmerzen begann. „Oh Gott.“

„Violeta!“ Er stützte mich und half mir, mich hinzusetzen. „Lieblings, was ist los? Hast du Schmerzen? Soll ich einen Arzt rufen?“

Ich schluckte, biss die Zähne zusammen und schüttelte den Kopf. „Ruf einen Krankenwagen.“, bat ich ihn stattdessen.

Er stand kurz durcheinander da, griff dann aber nach dem Telefon und rief den besagten Krankenwagen. Danach holte er sein Handy heraus und rief jemand anderen an, den ich kurz darauf als Dad erkannte. Kurz darauf half Levin mir vorsichtig wieder auf, da der Krankenwagen angekommen war.

Eine halbe Stunde später lag ich in einem Krankenzimmer und sah an die Decke. Es war alles in Ordnung. Ich hatte mich nur ein wenig zu sehr aufgeregt. Als es klopfte, sah ich abrupt zur Tür.

„Herein.“

Die Tür wurde geöffnet und eine Hand mit einem Strauß Rosen wurde hinein gehalten. Ich lächelte darüber und lächelte ein wenig mehr, als Janis den Kopf herein streckte.

„Hey.“, begrüßte er mich und trat ein. Er war offensichtlich allein.

„Hey.“

„Wie geht’s dir?“

„Den Umständen entsprechend gut.“, gab ich zurück und setzte mich vorsichtig auf.

Er sah sich kurz um, fand irgendwo eine leere Vase, in der er kurz Wasser laufen ließ und dann die Rosen hinein stellte. „Wie geht es dem Kleinen?“

Ich legte eine Hand auf den Bauch. „Es tritt wieder.“

„Tut das weh?“

Ich schüttelte den Kopf. „Es fühlt sich etwas seltsam an.“

„Darf... Darf ich?“

Ich zog mein T-Shirt hoch und nickte. „Nur zu.“

Er zögerte etwas und legte zaghaft die Hand auf meinen Bauch. Als es wieder zu trat, lächelte er warm. „Wisst ihr schon, was es wird?“

Ich schüttelte den Kopf und gerade als Janis die Hand wieder von meinem Bauch nahm, wurde die Tür geöffnet. Ich zog gerade das T-Shirt wieder über meinen Bauch, als ich aufsah und Levin und Leonas erkannte. Ich erstarrte.

„L-Levin?“

„Er möchte mit dir sprechen.“, gab dieser sofort zurück.

Ich sah von ihm zu Leonas und wieder zurück. „Du... bleibst doch dabei, oder?“

Er lächelte matt, während Janis aufstand und mich auf die Wange küsste.

„Ich gehe ins Café.“, meinte Janis und verließ das Zimmer.

Levin machte ebenfalls ein paar Schritte auf die Tür zu. „Violeta, das-“

„Levin! Geh-geh jetzt n-nicht weg. Bitte.“, bat ich ihn.

Ich sah, wie Leonas zusammen zuckte. „Vielleicht war das doch keine so gute Idee.“

Levin sagte irgendwas auf Litauisch, woraufhin sein Cousin den Kopf senkte und die Lippen aufeinander presste. „Ich komme wieder.“, meinte er dann an mich.

„A-ab-aber L-Levin.“ Ich sah ihn flehend an.

„Das müsst ihr allein besprechen, Liebling.“

„W-warte! Ich mach was du willst. Ich küsse dich, ich schlafe mit dir, ich bin mit dir zusammen und vergebe dir alles was du willst, aber bitte. Bleib bei mir.“

Er lächelte schräg. „Sehr verlockendes Angebot.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber ihr müsst es trotzdem allein besprechen. Du kannst mir schon mal vergeben, dich mit meinem Cousin allein gelassen zu haben.“ Er öffnete die Tür. „Ich liebe dich.“

Und damit verließ er das Zimmer. Ich schluckte und sah zögernd zu Leonas, der wie erstarrt am Fuße des Bettes stand und auf die Decke sah, mit der ich zugedeckt war. Ich leckte mir über die Lippen, schluckte erneut und sah kurz durchs Zimmer, bevor ich wieder zu ihm sah.

„A-also?“

Er zögerte etwas, sah dann aber zaghaft auf... und blieb bei meinem Bauch hängen. „Bist... Also... Es... Ich... möchte mich... entschuldigen. Ich weiß, dafür gibt es keine Entschuldigung. Und... ich verstehe es auch, wenn du sie nicht annimmst. Es würde mich aber sehr beruhigen, wenn du sie annehmen würdest... was dir wahrscheinlich sogar egal ist.“ Er rieb sich den Nacken, leckte sich über die Lippen und schluckte ein paar Mal. „Ich... weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, als ich zu dir ins Zimmer gekommen bin. Aber ich wünschte, ich hätte es nie getan. Und es tut mir unendlich Leid, dass ich es getan habe.“ Er sah zu mir auf, direkt in die Augen.

Ich sah ihn eine Weile nur fassungslos an. Ich schwankte mit der Entscheidung ihn anzuschreien oder mit irgendwas nach ihm zu werfen. Letzten Endes stand ich auf und trat vor ihn.

„Du hast überhaupt keine Ahnung, was du mir damit angetan hast.“, flüsterte ich, „Du weißt nicht, wie ich mich gefühlt habe. Was ich beinahe für immer verloren hätte.“

Er atmete aus. „Es tut mir wirklich-“

Die Ohrfeige die ich ihm gab, schallte durch das Zimmer, während ich den Knopf für die Krankenschwester drückte. „Entschuldige dich nicht bei mir. Entschuldige dich bei jemandem, der es überhaupt noch in deiner Nähe aushält.“

Damit verließ ich das Zimmer und sah zu, dass ich so schnell es ging zum Café kam. Ich sah die beiden sofort und bemerkte, dass Levin offensichtlich nervös und gereizt war. Als ich zu den Beiden hinüber ging und er mich sah, sprang Levin sofort auf um mir entgegen zu kommen.

„Ist alles in Ordnung?“, wollte er wissen, „Du siehst... wütend aus.“

„Oh, das bin ich auch.“, gab ich zurück, „Du kannst dir nicht vorstellen, wie wütend ich bin.“

Er zögerte einen Augenblick. „Ich glaube dir aufs Wort.“

Ich seufzte leise, schloss die Augen und senkte ein wenig den Kopf. Ich war froh, nicht mehr mit Leonas allein zu sein.

„Alles okay mit dir?“, fragte Levin besorgt und hielt mich sanft an den Schultern fest.

Ich nickte und sah zu ihm auf. „Auf dich bin ich aber auch wütend.“

Er hob eine Braue.

„Du hast mich mit ihm allein gelassen!“

Er seufzte und ließ die Schultern hängen. „Es war eine Sache, zwischen dir und ihm. Ich hätte dir auch nicht helfen können.“

„Schon mal was von seelischem Beistand gehört?“

Er zog die Brauen zusammen und grinste schräg. „Du bist doch jetzt bei mir. Hättest du ihn vorher benötigt, wärst du sicher schon früher hier gewesen.“ Er strich mir das Haar aus dem Gesicht und lächelte mich an.

„Miss Graziano! Was tun sie hier? Sie gehören auf Ihr Zimmer, ins Bett.“

Ich drehte mich überrascht um und blickte in das Gesicht einer gereizten Krankenschwester.

„Na los. Bewegen Sie sich. Sie sind hochschwanger und laufen hier herum, als könnten sie einen Marathon laufen. Auf in Ihr Zimmer, sonst können Sie Ihren Nachtisch für die nächsten drei Tage vergessen.“, mahnte sie mich.

Ich sah zu Levin. „Willst du mich wirklich hier lassen?“, fragte ich ihn leise.

Er grinste mich nur an und ließ mich los. „Sie wird sicher so vernünftig sein, wieder auf Ihr Zimmer zu gehen.“, meinte er dann an die Krankenschwester.

„Na, das will ich doch hoffen.“

Ich sah ihn empört an. „Du- Du- Streuner!“

„Ob es dir gefällt oder nicht, aber du musst wirklich wieder ins Bett.“, gab er zu bedenken.

„Tue ich nicht. Es geht mir blendend!“

„Regen Sie sich nicht so auf.“, warf die Krankenschwester ein, „Das ist nicht gut fürs Kind.“ Während sie das sagte, nahm sie mich am Ellenbogen und zog mich hinter sich her.

„Darüber sprechen wir noch, Levantin!“, rief ich Levin noch zu.

Dieser grinste nur. „Dir wird es hier gut gehen.“, rief er zurück, „Ich komme dich morgen wieder besuchen, wenn du dich beruhigt hast.“

Ich biss die Zähne zusammen und folgte der Schwester widerwillig auf mein Zimmer. Leonas war – dem Himmel sei Dank – schon wieder weg. Über und über gereizt legte ich mich wieder ins Bett, drehte mich auf die Seite und murmelte wütend vor mich hin.

„Das lass ich so nicht auf mir sitzen.“, murmelte ich wütend, „Das bekommt er garantiert zurück, der verdammte Köter.“

Babyalarm

Ich seufzte leise und dachte daran, wie Levin und ich an Silvester auf der Couch gelegen hatten. Er war seit einer Woche nicht ins Krankenhaus gekommen. Ich vermisste ihn. Ich vermisste ihn eigentlich sogar, wenn er bei mir war, aber so lange von ihm getrennt zu sein, wo wir uns doch wieder näher gekommen waren, war schwer für mich. Ich brauchte ihn jetzt besonders.

Als das Baby den nächsten Volltreffer landete, stöhnte ich auf, schleppte mich aus dem Bett ins Bad und legte mich wenige Minuten später wieder ins Bett. Gerade als ich mich jedoch zurück lehnen wollte, traten die Wehen ein. Ich schrie abrupt auf, drückte die Hände auf meinen Bauch und hoffte, dass es schnell wieder aufhören würde, so wie es die letzten Tage war. Aber es ließ nicht nach. Ich kniff die Augen zusammen, biss die Zähne zusammen und wartete. Als es endlich vorbei war, stand ich wieder auf, atmete tief durch und ging zum Fenster hinüber. Schweigend betrachtete ich die Bäume die wenige Meter vor meinem Fenster zu sehen waren.

Wieder kroch ein Seufzen über die Lippen, als ich mich daran erinnerte, wie Levin mich immer von hinten umarmt hatte. Ich drehte mich wieder um und wollte erneut einen Versuch starten mich hinzulegen, als ich etwas hörte, was mir im Augenblick nicht willkommen war. Ich wusste sofort, was passiert war.

Die Fruchtblase war geplatzt. Ich eilte zu meinem Bett und drückte den Knopf für die Krankenschwester. Im nächsten Moment traten wieder die Wehen ein. Es ging alles plötzlich so überraschend schnell. Die Tür ging auf, eine Schwester sah hinein und wusste offenbar sofort Bescheid. Es dauerte nicht lange, bis ich im Kreißsaal lag und auf die Geburt vorbereitet wurde. Die Hebamme sagte mir ständig, dass es noch nicht soweit sei, dass es noch ein wenig dauern würde.

Dann kam mir ein beängstigender Gedanke. Was, wenn ich es nicht überlebte? Oder wenn es irgendwelche Komplikationen gab?

Ich krallte die Finger in das Laken des Bettes und merkte, wie mein Atem sich beschleunigte. Die nächste Wehe brachte mich zum schreien. Hoffentlich hatte jemand Levin Bescheid gesagt.

 

Levantin

Ich streckte mich müde, gähnte und rieb mir die Augen, bevor ich einen Blick auf die Uhr warf und mich umsah. Irgendwas hatte mich geweckt. Dabei hatte ich gerade so schön geträumt. Von Violeta. Ich hasste es, sie so lange allein zu lassen, aber ich kam einfach nicht dazu, sie zu besuchen. Die Schule war vorbei, ich musste mich um eine Leerstelle bewerben. Aber bisher hatte ich noch keine Zusage zu einem Gespräch. Vor drei Tagen hatte ich eins. Aber ich wurde abgelehnt, weil ich etwas zu jung war. 18 Jahre. Ich schnaubte. An einer anderen Stelle sagte man, sie bräuchten jemanden, der Französisch oder Spanisch sprechen kann. Es machte keinen Sinn, da man da mehr mit Metallverarbeitung als mit Sprachen zu tun hatte.

Ich seufzte und zuckte zusammen, als ich mein Handy klingeln hörte. Ich zog die Brauen zusammen und sah mich um. Ich schüttelte über mich selbst amüsiert den Kopf, als ich es auf dem Nachttisch fand. Ich hob ab.

„Hallo?“, meldete ich mich.

„Levantin Kemmesies?“, ertönte eine weibliche Stimme.

„Ja.“, antwortete ich misstrauisch.

„Hier ist das Alvarado Hospital. Es geht um Violeta Graziano.“

Mein Herz setzte einen Schlag aus. „Was ist passiert?“

„Es ist nichts Schlimmes. Aber Sie sollten sich umgehend auf den Weg hierher machen. Die Geburt steht kurz bevor.“

Ohne noch weitere Worte zu verschwenden legte ich auf, steckte das Handy ein und eilte nach unten. „Dad?“

Er saß im Wohnzimmer und sah von seiner Zeitung auf. „Ja?“

„Kannst du mich zum Krankenhaus bringen? Du musst nicht da bleiben.“

Er nickte. „Ist es soweit?“

„Ja.“

Wir beeilten uns, aus dem Haus raus zu kommen, ins Auto zu steigen und loszufahren. Auf dem Weg zum Krankenhaus schwiegen wir, während ich Dad des Öfteren bat sich zu beeilen. Er tat es mit einem seufzen und überschritt deshalb ab und zu die Geschwindigkeitsbegrenzung. Als wir endlich am Parkplatz des Krankenhauses angekommen waren, wartete ich nicht darauf, dass der Wagen vollkommen still stand, sondern sprang aus dem Auto und eilte in das Gebäude.

„Meine Freundin bekommt ein Kind!“, warf ich der Frau am Empfang direkt zu, „Können Sie mir sagen, wie ich zu ihr komme?“

Sie hob eine Braue. „Sind Sie nicht ein bisschen zu jung, um Vater zu werden?“

„Ich habe es mir nicht ausgesucht. Sagen Sie mir jetzt, wie ich zu ihr komme?“

Nun sah sie mich missbilligend an. „Nicht ausgesucht, hm? Wer sucht sich Sowas schon aus?“

Ich biss die Zähne zusammen. „Sagen Sie mir bitte wie ich zu ihr komme?“

Sie seufzte. „Na, wie heißt denn das arme Mädchen?“

„Violeta Graziano.“

Sie blätterte in ihren Unterlagen, während ich beinahe die Geduld verlor. Ich atmete kurz durch.

„Könnten Sie sich bitte beeilen? Ich würde gerne bei ihr sein, wenn das Baby auf die Welt kommt, damit sie nicht allein ist.“

Sie schnaubte. „Sie stehen also zu dem Kind?“

Ich sah sie verwirrt an. „Natürlich. Ich liebe sie und das Kind.“

Sie legte die Unterlagen beiseite und nannte mir den Weg. Ich bedankte mich kurz und eilte los. Da der Fahrstuhl sowieso zu langsam war, rannte ich die Treppen in den 2. Stock hoch und hielt außer Atem vor dem Kreißsaal an. Es waren Stimmen zu hören. Dann Violetas Schrei. Ich schluckte und ging hinein. Eine Krankenschwester sah abrupt auf.

„Sie können hier nicht rein.“, belehrte sie mich, „Verlassen Sie bitte den Raum.“

Meine Augen waren auf Violeta gerichtet, die vor Schmerz das Gesicht verzogen hatte. Ihr stand Schweiß auf der Stirn. „Ich... Ich bin der Vater des Kindes.“, beschwichtigte ich die Krankenschwester und ging auf Violeta zu.

„Warten Sie. Waschen Sie sich die Hände.“

Ich sah die Schwester kurz stumm an. Dann tat ich worum sie bat und ging zu Violeta. Sie holte tief Luft und sah an die Decke.

„Liebling?“, flüsterte ich.

Sie sah abrupt zu mir, hielt einen Moment den Atem an und begann dann zu lächeln. „Komm her.“, bat sie heiser.

Ich zog mir einen Hocker heran, setzte mich neben sie und ergriff ihre Hand. Als sie meine Hand drückte, zuckte ich zusammen. Ich wusste, dass sie Schmerzen haben würde. Aber so starke? Ich drückte ihr einen Kuss auf die verschwitzte Hand und streichelte ihr über den Handrücken.

„Das schaffst du.“

Sie lächelte mich noch einen Augenblick an. Dann verzog sie wieder das Gesicht und schrie vor Schmerz, wobei sie meine Hand noch fester drückte. Eine Krankenschwester reichte mir einen nassen Lappen, mit dem ich Violeta die Stirn abtupfte. Nur wenige Augenblicke später ertönte Babygeschrei und Violeta wurde still. Sie atmete erleichtert aus, ließ sich ins Kissen sinken und sah zu mir.

„Wo warst du?“, wollte sie leise wissen.

Ich strich ihr das nasse Haar von der Stirn. „Es tut mir Leid, dass ich dich nicht besuchen konnte. Ich erzähle dir später alles. Ruh dich erst mal aus. Ich liebe dich.“

Sie atmete schwer, begann zu lächeln und drückte schwach meine Hand. „Ich dich auch.“

Ich erwiderte ihr lächeln sofort.

„Es ist ein Mädchen.“, meinte die Hebamme lächelnd und legte Violeta das Kind in die Arme.

Letty lächelte daraufhin von ganzem Herzen und sah auf das Kind herab. Sie hatte ein paar dunkle Haare auf dem Kopf und niedliche kleine Finger. Ich bemerkte sofort, dass Violeta unser Kind nur widerwillig wieder abgab, damit es gewaschen, gemessen und gewogen werden konnte. Ich sah die Hebamme überrascht an, als sie sagte, dass ich es waschen solle. Ich schluckte hart, sah kurz zu Violeta und folgte dann der Hebamme. Ich bemerkte die Angst erst, als sie mir das Mädchen hinhielt. Ich nahm es unsicher entgegen und tat genau das, was sie mir sagte. Als sie gemessen, gewogen und in eine Decke gehüllt worden war, ging ich mit ihr auf dem Arm wieder zu Violeta, die müde im Bett lag. Als sie mich mit dem Kind sah, begann sie wieder zu lächeln. Eine der Krankenschwestern hatte sie wieder ordentlich ins Bett gelegt und schob sie nun wieder aus dem Zimmer. Ich blieb noch bei der Hebamme und ließ mich von ihr beraten, bevor sie mir das Kind abnahm, um es auf die Babystation zu bringen. Daraufhin machte ich mich auf den Weg zu Violeta, die bereits tief und fest schlief, als ich mich neben sie setzte. Ich nahm ihre Hand und merkte wieder, wie wenig ich in den letzten Tagen geschlafen hatte. Ich bemerkte schon gar nicht mehr, wie ich mit dem Oberkörper auf das Bett sank, bevor ich tief und fest einschlief.

 

Violeta

Ich seufzte leise und wachte blinzelt auf. Als erstes bemerkte ich Geräusche zu meiner Linken. Es hörte sich an wie Levantin. Als nächstes fiel mir wieder auf, dass ich im Krankenhaus war. Ich seufzte erneut und drehte meinen Kopf, um zu sehen, was Levin machte. Dann begann ich zu lächeln, als ich sah, dass er unser Kind auf dem Arm hatte und mit ihr spielte, während er leise mit ihr redete.

„Na na, nicht so laut. Wir wollen Mamytė doch nicht wecken, oder?“, flüsterte er, als sie ein bisschen zu laut wurde. „Sie muss sich noch ein wenig ausruhen. Sie musste sich ziemlich anstrengen, als du gestern auf die Welt gekommen bist.“

Ich biss mir leicht auf die Unterlippe.

„Du kannst froh sein, so eine Mamytė zu haben. Du wirst sehen, sie ist wundervoll. Sch sch ... yra visos teisės. Yra visos teisės. Mamytė muss noch ein wenig schlafen.“

„Was heißt das?“, fragte ich leise.

Er sah überrascht auf. „Du bist ja wach.“

Ich lächelte ihn an. „Erst seit eben. Was heißt das nun?“

„Was heißt was?“

„Das, was du gesagt hast.“

„Mamytė?“

„Ja.“

Er lächelte. „Mommy. Es heißt Mommy.“

„Wie... Wie möchtest du sie nennen?“

Nun sah er mich überrascht an. „Ich?“

„Ja.“

Er sah auf unsere Tochter herab. „Vilija. Vilija gefällt mir.“

„Das ist ein schöner Name. Vilija.“

Er lächelte zaghaft und sah auf unsere Tochter herab. „Ich glaube, sie hat Hunger.“, meinte er dann und reichte sie mir.

Ich nahm sie vorsichtig entgegen und hielt sie in einem Arm, während ich mit der anderen Hand versuchte, meine Brust zu entblößen. Levin wurde augenblicklich starr und starrte mich an, während ich das Baby stillte. Ich versuchte es so gut es ging zu ignorieren, was sich jedoch als sehr schwer herausstellte. Ich sah zu ihm auf, woraufhin er den Blick von meiner Brust losriss und zu mir aufsah.

„Könntest du... versuchen nicht zu starren?“, bat ich ihn zaghaft.

„Ich... kann es versuchen.“, gab er zurück, „Aber es ist wirklich schwer.“ Er sah aus dem Augenwinkel wieder herab und leckte sich über die Lippen.

Mein Mund wurde trocken und wieder bemerkte ich, wie sehr ich ihn vermisste. Mein Blick fiel auf seine Lippen, wobei ich mir ins Gedächtnis rief, wie schön die Zeit – und die Küsse – mit ihm war. Ich seufzte leise und wand den Blick wieder ab, wobei Levin wieder zu mir aufsah.

„Entschuldige.“, meinte er. Er dachte wohl, das Seufzen habe seinem Blick gegolten. „Hast du gut geschlafen?“

Ich nickte. „Ja. Ich fühle mich noch etwas schlapp, aber sonst ist alles in Ordnung.“

„Gut.“ Er lächelte mich an. Kurz darauf beugte er sich vor und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. „Ich liebe dich.“

Beinahe hätte ich dasselbe gesagt, bremste mich jedoch und lächelte ihn nur an. Er seufzte daraufhin tief und ließ sich wieder zurück sinken. Diesmal hing sein Blick an der Bettdecke. Plötzlich schien ihm etwas einzufallen, denn er sah auf die Uhr und sprang auf.

„Verdammt!“, rief er aus, „Ich hab das fast vergessen.“

Ich sah ihn verwirrt an. „Was?“

„Ich muss weg. Ich kann morgen leider nicht kommen. Ich ruf dich an, wenn ich wieder vorbeischaue. Tut mir wirklich Leid. Ich liebe dich.“ Er hauchte mir einem schnellen Kuss auf die Wange und eilte zur Tür. „Bis dann.“

Damit verschwand er aus dem Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Ich sah sie noch eine Weile enttäuscht an und sah dann auf Vilija herab. „Papà hat wohl leider keine Zeit für uns. Oder besser für mich. Um dich hat er sich ja gekümmert.“ Der Verdacht, der mir bei diesem Satz in den Sinn kam, schnürte mir die Kehle zu. Was, wenn er mich wirklich nicht mehr liebte und nur bei mir blieb, weil wir ein Kind hatten? Was, wenn er sich nur verpflichtet fühlte wegen dem Kind bei mir zu bleiben und irgendwo anders jemand anderen hatte? Das würde erklären, warum er in letzter Zeit so selten da war. Und es würde sein plötzliches Verschwinden erklären.

Ich schluckte hart bei dem Gedanken.

 

Ich keuchte leise und fasste mir an den Bauch. Mein Magen war etwas empfindlich, seit das Kind auf der Welt war. Der Arzt sagte, das würde vergehen. Ich dagegen hatte ein wenig Angst, weil ich noch nie davon gehört hatte.

„Alles okay?“, wollte Papà wissen und nahm meine Tasche.

Ich nickte. „Ja. Mir ist gerade nur ein bisschen schlecht geworden.“

Er nickte und wartete bis ich Vilija auf dem Arm hatte, bevor er mit mir das Zimmer verließ. Ich wurde heute entlassen. Und Levin war natürlich nicht da. Er war die letzten Tage nicht aufgetaucht und hatte sich auch nicht gemeldet.

Hatte er wirklich ein anderes Mädchen? War alles was er mir gesagt hat eine Lüge gewesen?

Ich seufzte tief und dachte an etwas anderes. Mamà und Papà hatten für mich Vilijas Kinderzimmer eingerichtet. Papà sagte, Levin habe auch geholfen. Wahrscheinlich, weil er sonst Schuldgefühle hatte, was die Verantwortung und alles betraf. Das Kind zu besuchen schien wiederum zu viel zu sein.

Verärgert stellte ich fest, dass ich wieder an Levin dachte und biss mir auf die Unterlippe. Dann rutschte die Frage, die mir bereits seit einer Weile im Kopf herum schwirrte, über die Lippen.

„Hast du etwas von Levin gehört?“, fragte ich Papà, als er die Tasche im Auto verstaute.

„Ja. Er war heute Mittag kurz zu Besuch um sich nochmal das Kinderzimmer anzusehen. Dabei erwähnte er, dass er übers Wochenende wegfahren musste, aber sofort vorbei schaute, wenn er wieder da war.“, erklärte er und setzte sich mit mir ins Auto. „Er hat in letzter Zeit wirklich sehr viel um die Ohren. Jetzt wo er nicht mehr zur Schule geht, meine ich.“

Zwei Monate vor der Geburt hatten wir unseren Abschluss gemacht. „Verstehe.“ Jetzt musste er auch nicht zu einer bestimmten Uhrzeit zuhause sein, da er am nächsten Morgen ja nicht früh raus musste.

Den Rest der Fahrt über schwiegen wir. Zuhause brachten wir dann die Sachen ins Haus und ich brachte Vilija ins Bettchen. Danach sah ich mich in ihrem Zimmer um und setzte mich in den Sessel der neben dem Kinderbett stand. Die Farben wurden in Türkis und Violett gehalten. Ich zog die Beine an, schlang die Arme darum und lehnte meinen Kopf an die Knie, bevor die ersten Tränen über meine Wangen liefen. Levantin fehlte mir furchtbar. Und er war ständig verhindert. Sicher, wenn er da war sagte er mir, dass er mich liebte, aber wann war das schon? Das letzte mal, dass ich ihn gesehen hatte, war bei der Geburt und am Morgen danach. Und davor hatte ich ihn eine Woche lang nicht gesehen.

Distanzierte er sich von mir? Versuchte er, mich zu meiden?

Ich nahm das Sitzkissen neben mir, klemmte es zwischen mein Gesicht und meine Knie und drückte mein Gesicht hinein, während mich ein Schluchzer durchschüttelte.

Ich saß hier weinend neben dem Bett, in dem Levin und mein Kind schlief und den Vater hatte ich so gut wie gar nicht mehr gesehen. Ich schluckte schwer, schluchzte erneut und konnte mich einfach nicht mehr zurück halten. Ständig hoffte ich, Levin würde durch die Tür kommen und mich in die Arme nehmen, mir sagen wie er mich vermisst hatte und wie sehr er mich liebte, aber er kam einfach nicht.

Als ich mich irgendwann beruhigt hatte, wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und stand auf, wobei ich das Kissen so hinlegte, dass man die Tränen nicht sehen konnte. Dann sah ich nach Vilija, deckte sie richtig zu und verließ das Zimmer, wobei ich darauf achtete, dass niemand im Flur war, damit ich ungesehen in mein Zimmer gehen konnte. Mir liefen immer noch vereinzelnd Tränen über die Wangen, die ich in meinem Zimmer wegwischte und das Zimmer durchquerte um mich auf mein Bett zu setzten. Einem Impuls folgend sah ich auf und durch das Fenster herüber zu Levins Fenster. Ich sah gerade noch, wie er sich abwandte und vom Fenster wegtrat. Ich stand auf, ging zu meinem Fenster herüber und versuchte etwas von ihm in seinem Zimmer zu sehen, aber er war weg. Ich seufzte und wand mich wieder ab um mich wieder auf mein Bett zu setzen. Kurz darauf zuckte ich zusammen, da es an der Tür klingelte. Ich rückte so weit auf mein Bett, dass ich mit dem Rücken an der Wand lehnte, zog die Beine an und lehnt meine Stirn an meine Knie, nur um wenig später wieder zusammen zu zucken, da es an meiner Tür klopfte.

Ich schwieg einen Augenblick, bevor ich die Person herein bat und mich weigerte den Kopf zu heben.

„Alles okay?“, ertönte Levins Stimme wenig später vor mir.

„Ja, es ist alles in Ordnung.“, gab ich spitz zurück.

Er schwieg kurz, wobei sich die Matratze neben mir senkte, da er sich wohl neben mich setzte... oder legte. „Was ist los? Du hast doch keine Schmerzen, oder?“

„Nein.“, gab ich zurück und drehte den Kopf in die entgegengesetzte Richtung von ihm.

„Violeta, was ist los?“

Ich schnaubte. „Das fragst du noch.“

Die Matratze bewegte sich, als er sich scheinbar aufrichtete. „Okay, was habe ich getan?“

„Es geht wohl eher darum, was du nicht getan hast.“, gab ich zurück, ohne mich zu bewegen.

„Was meinst du? Sieh mich bitte an.“

Ich schnaubte nur und blieb so sitzen wie ich war.

„Liebling, wovon redest du?“

„Ich kann es nicht fassen, dass du das fragst!“, meinte ich nun wütend.

Er atmete geduldig aus. „Sag es mir bitte.“

„Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, deine Tochter vielleicht mal zu besuchen?“, fuhr ich ihn an und sah zu ihm auf. „Ich warte seit Tagen darauf, dass du endlich mal auftauchst und du hältst es nicht mal für nötig anzurufen.“

„Ich habe doch Callum gesagt, dass ich nicht kommen kann. Ich war verhindert.“

„Verhindert.“, schnaubte ich.

„Was ist mir dir los?“

„Was mit mir los ist? Du bist in der letzten Zeit bestenfalls zwölf Stunden da gewesen. Und ich war gerade mal eine Stunde lang davon ansprechbar. Was ist da wohl mit mir los?“

„Ich konnte nicht kommen, das sagte ich doch bereits.“

„Du hättest doch wenigstens anrufen können.“

„Ich hatte keine Zeit, verdammt nochmal.“

Ich schnaubte erneut. „Wie viel Zeit braucht man um kurz anzurufen und zu sagen, dass man nicht kommen kann? Nicht mal fünf Minuten! Und du hast nicht einmal dafür Zeit?“

„Violeta, ich stehe in den letzten Tagen um 5 Uhr auf und bin erst spät wieder zuhause. Dann bin ich müde und geh schlafen.“

„Wovon sollst du denn so müde werden? Von Bettsport?“

„Was?!“ Er sah mich entsetzt an.

„Was solltest du denn sonst die ganze Zeit machen?“, wollte ich wütend von ihm wissen.

„Ich kümmere mich darum, dass ich einen vernünftigen Job finde.“, gab er aufgebracht zurück, „Ich muss mit dem Fahrrad zu den Ausbildungsstellen fahren und schiebe, wenn es geht, noch einige Stunden Fahrstunden dazwischen. Ich bin den ganzen Tag unterwegs!“

„Natürlich. Und da muss man dann auch ein ganzes Wochenende lang weg fahren.“

„Gott Violeta, was ist mit dir? Ich habe im Moment halt viel um die Ohren, was ich so schnell wie möglich hinter mir haben möchte. Ich bin ständig unter Zeitdruck und gestresst, da bin ich nicht sonderlich erpicht darauf, mir jetzt noch von dir anzuhören, dass ich zu wenig Zeit habe. Ich weiß, dass ich zu wenig Zeit habe. Und ich wünschte, ich hätte mehr, aber ich habe sie im Moment einfach nicht. Jetzt müsste ich eigentlich auf dem Weg zur Fahrschule sein, aber ich habe dich weinen sehen und habe die Stunde deshalb abgesagt.“

„Natürlich.“, gab ich sarkastisch zurück.

„Was willst du von mir? Soll ich alles hinschmeißen, wofür ich in der letzten Zeit so viel Zeit aufgebracht habe? Willst du das? Die Gespräche sausen lassen und die Fahrstunden vergessen, damit ich mehr Zeit habe?“

„Du sollst mich nur nicht anlügen.“, gab ich zurück.

Er sah mich betroffen an. „Violeta.“, meinte er plötzlich ruhiger, „Was denkst du, mache ich die ganze Zeit?“

Ich antwortete nicht. Stattdessen wand ich den Blick ab und starrte vor mich auf die Decke.

„Du- Glaubst du etwa wirklich, ich hätte eine Andere? Denkst du das von mir?“

Ich schwieg weiter. Da er das offensichtlich als ein „Ja“ interpretierte, stand er auf und drehte sich zu mir.

„Ich kann nicht fassen, dass du nach all der Zeit so etwas von mir denkst.“ Jetzt war er wirklich wütend. „Ich kann mich nicht entsinnen, je irgendwas getan zu haben, das den Verdacht auf Betrug aufwerfen würde. Ich war dir immer treu und habe dich unterstützt.“

„Das hat man in den letzten Tagen gemerkt.“, murmelte ich.

„Ich wollte kommen, verdammt nochmal, aber ich konnte nicht!“

Ich schnaubte erneut.

„Weißt du was? Vergiss es einfach. Ich gebe es auf, du hast gewonnen! Werde glücklich mit Nikolai! Ich gehe.“

Damit drehte er sich um und verließ das Zimmer, wobei er die Tür hinter sich zuzog. Er war dabei laut genug, um zu zeigen, dass er wütend war und es ernst meinte, jedoch leise genug, dass Vilija nicht aufwachte. Ich dagegen zuckte zusammen und starrte auf die Decke vor mir. Langsam drang durch mich durch, was Levin genau gesagt hatte. Ich ließ mich langsam zur Seite fallen und zog meine Beine eng an mich. Dann weinte ich wieder... und hatte das Gefühl, nie mehr aufhören zu können.

 

Das Weinen meines Kindes weckte mich aus meinem Schlaf. Ich blinzelte einige Male und kämpfte mich dann langsam auf die Beine. Ich fühlte mich schrecklich. Mein Kopf tat weh, die Stelle, an der mein Gesicht gelegen hatte, war immer noch nass und ich fühlte mich, als würde ich immer noch weinen.

Ich schluckte ein paar Mal und ging dann rüber ins Kinderzimmer, wo ich Vilija aus ihrem Bettchen holte und mich mit ihr in den Sessel setzte um sie zu stillen. Ich saß stumm da und erinnerte mich an einen Satz, den Levin hatte fallen lassen.

Werde glücklich mit Nikolai.

Ich schluckte die Tränen herunter und sah auf mein Kind herab. Sie hatte ein paar Haare auf dem Kopf. Schwarze Haare. Ob sie wohl noch blond wurden? Wie die von Levin? Ich bezweifelte es, hoffte aber gleichzeitig, dass sie dieselben Augen haben würde wie Levin.

„Ach Vilija. Ich wünschte, ich wäre nie nach Kanada geflogen.“, wisperte ich traurig.

Ich strich ihr liebevoll über den Schopf und spürte wieder eine Träne an meiner Wange. Ich schluckte hart und wischte sie weg, während ich mich daran erinnerte, wie ich damals die Gefühle für Levantin unterdrückt hatte. Ob mir das wohl nochmal gelingen würde?

Einzig der Gedanke daran bereitete mir bereits Schmerzen. Ich schloss die Augen, drückte Vilija vorsichtig an mich und hoffte, dass es irgendwann aufhören würde weh zu tun.

Vergebene Liebesmühe

Er kam am Montag zurück. Zu Mittag war er bei uns zu Besuch und würdigte mich keines Blickes. Er hatte mich nicht begrüßt, geschweige denn angesehen, seit er hier war. Er hatte sich an Mamà gewandt, als er nach unserer Tochter gefragt hatte. Und er hatte sich an Papà gewandt, als er fragte, wie es ihr in den letzten beiden Tagen ergangen ist. Zum Mittagessen fütterte er sie begeistert und spielte danach mit ihr. Mich dagegen beachtete er nicht. Ich rieb mir über den Oberarm und schob die Enttäuschung beiseite. Er hatte es wirklich ernst gemeint.

Das tat mehr weh, als ich dachte.

Als Vilija den Mund weit aufmachte und gähnte, lächelte er darüber und strich mit dem Zeigefinger über ihre kleine Wange.

„Wie müde du bist.“, meinte er amüsiert, „Möchtest du vorher nicht etwas essen?“

Ich hob überrascht den Kopf. Dann fiel mir ein, dass er sich nur darum kümmerte, dass es ihr gut ging. Er sah mich nicht an, als er sie mir herüber reichte und wand den Kopf sofort ab, als ich sie sicher in den Armen hielt. Ich saß regungslos da.

„Sie hat Hunger.“, bemerkte er.

An seinem Tonfall erkannte ich, dass er mich meinte. Ich zuckte zusammen und senkte den Blick. „Du hast sie doch gefüttert. Sie muss erst einmal alles verdauen.“, gab ich zurück, „Es ist zu früh, um sie zu stillen.“

Er antwortete nicht. Stattdessen verließ er das Wohnzimmer. Ich wusste nicht wohin er ging. Nur, dass es nicht die Haustür war, die kurz darauf zugezogen wurde.

Ich kann das einfach nicht. Es tut so weh.

Ich zitterte leicht, als ich Vilija an Papà übergab und aufstand. Ich sagte nichts als ich das Zimmer verließ und nach oben in mein Badezimmer ging. Ich stand eine Weile vor dem Spiegel, machte einen kurzen Abstecher ins Badezimmer meiner Eltern und saß dann kurz darauf auf dem Toilettendeckel in meinem Bad. Ich wusste, das war der falsche Weg, aber ich wusste nichts, was ich sonst tun sollte. Levin ignorierte mich so gut es ging und hasste mich fast. Ich wusste, wegen dem was ich vorhatte, würden viele den Kopf schütteln. Andere würden lachen und sagen, dass ich übertreiben würde. Ich dagegen wusste einfach nicht weiter.

Mit Tränen in den Augen setzte ich das Metall an der Innenseite meines Unterarmes an und zuckte zusammen, als ich das Blut sah. Ich hatte nicht fest zugedrückt. Ich zögerte etwas, fasste mir dann aber ans Herz und zog das Metall weiter.

Plötzlich wurde die Verbindungstür zu meinem Zimmer geöffnet und ich sah erschrocken dort hin. Levin sah mindestens genauso entsetzt zurück.

„Bist du jetzt vollkommen übergeschnappt?“, fuhr er mich an und kam auf mich zu. „Leg das weg, verdammt! Willst du dich umbringen?“

Ich zuckte erneut zusammen. Das hatte ich tatsächlich im Sinn gehabt.

„Leg das weg!“, schrie er mich erneut an, zwei Meter von mir entfernt.

Ich sah auf das Metall in meiner Hand herab und ließ es fallen. Kaum, dass es nicht mehr in meiner Hand war, überbrückte Levin die letzten Zwei Meter, nahm die Rasierklinge und warf sie ins Waschbecken, das außerhalb meiner Reichweite war. Dann kam er wieder zu mir, packte mich an den Schultern und sah mich wütend an.

„Was sollte das?“, fragte er aufgebracht, „Bist du noch ganz bei Trost? Ist dir klar, was du gerade beinahe getan hast?“ Er schüttelte mich leicht und beachtete die Tränen nicht, die wieder meine Wangen zierten.

„Das war eigentlich von mir geplant.“, antwortete ich ihm.

Er sah mich fassungslos an. Dann gab er mir eine Ohrfeige. Es erinnerte mich an damals, als er mich aus dem Schneesturm in unser Zimmer gebracht hatte. Nur das er diesmal fester zugeschlagen hatte.

„Tu das nie wieder. Hast du kapiert? Ich habe dir bereits einmal gesagt, du sollst nicht einmal daran denken. Verstanden?“

Ich sah nur entsetzt zu ihm herauf und befühlte meine Wange. „Du hast mich geschlagen.“, kam es mir über die Lippen, „Schon wieder.“

Er schüttelte mich erneut. „Wenn es sein muss, werde ich es jedes Mal tun, wenn du versuchst dich umzubringen, verstanden? Mach das, verdammt nochmal, nie wieder!“

Er sah mich so wütend an, dass ich ängstlich zu ihm hinauf sah und hoffte, dass er nicht noch fester zudrückte. Er sah eine Weile zu mir herab und ließ mich dann wieder los, bevor er zur Badezimmertür ging.

„Callum!“, rief er, immer noch mit Wut in der Stimme.

Es dauerte nicht lange, bis Papà in der Tür auftauchte. „Ja?“

„Du musst deine Tochter verarzten.“

Papà zog die Brauen zusammen und sah zu mir ins Badezimmer, während ich versuchte meinen Arm zu verstecken, was jedoch nutzlos war, da Papà das Blut auf dem Boden sah. Er kam sofort zu mir herüber und streckte die Hand aus. Ich sah eine Weile darauf herab, bevor ich ihm meinen Arm hinein legte. Er starrte meinen Arm an, sah zu mir auf und sah dann wieder auf meinen Arm.

„Warum hast du das getan?“, wollte er von mir wissen.

Ich schluckte, brachte es nicht über mich, ihm die Wahrheit zu sagen. Ihm zu sagen, dass ich vorgehabt hatte, mich umzubringen. Papà atmete mit zitterndem Atem durch und hob mich dann auf die Arme, um mich ins Badezimmer meiner Eltern zu bringen, wo er mich dann auf die Badezimmertheke setzte und begann sich um den Schnitt zu kümmern. Er wischte mir das Blut ab, desinfizierte meinen Arm und gab mir eine Spritze. Er sah auf die Uhr, während er wartete, dass sie wirkte und holte dann Nadel und Faden aus einer Schublade. Ich schluckte ein paar Mal und konnte einfach nicht wegsehen. Papà sah jedoch zu mir auf, bevor er überhaupt angefangen hatte.

„Violeta, sieh besser weg. Ich weiß, wie du reagierst, wenn du bei einer OP zusiehst.“, meinte er fürsorglich.

Ich merkte, wie ich bereits zitterte. „W-was ist, w-w-wenn du eine A-Art-Arterie triffst?“

„Kleines, ich bin Chefarzt. Ich werde keine Arterie treffen.“

„Ich... kann nicht wegsehen.“

Er seufzte, nahm die Hände runter und sah zur Tür. „Lenk sie bitte ab.“

„Wie soll ich das machen? Sie kneifen? Kitzeln? Anschreien?“, ertönte Levins Stimme.

Papà zog die Brauen zusammen. „Ich habe eher an einen Kuss oder ähnliches gedacht.“

Levin schnaubte und blieb wo er war. Ich schluckte hart. Papà seufzte tief und wand sich wieder meinem Arm zu. Nach langem Zögern atmete er erneut durch und begann zaghaft zu nähen. Bereits als er den zweiten Stich beginnen wollte, zog ich den Arm weg.

„Ich kann das nicht.“, meinte ich.

„Violeta, pass auf. Der Faden ist noch an deinem Arm.“, mahnte mich Papà, „Gib mir deinen Arm.“

„Aber, Papà!“

„Violeta, das muss genäht werden.“

„Ich hab Angst davor.“

Er sah verzweifelt zu Levin. „Lenk sie ab. Sonst kann ich sie nicht verarzten.“

Es blieb einen Augenblick still, während ich spürte wie das Blut von meinem Ellenbogen tropfte. Als Levin nicht weiter reagierte, sah Papà wieder zu mir und seufzte.

„Violeta, bitte. Gib mir deinen Arm.“, bat er flehend.

Ich sah eine Weile auf die Hand, die er wieder ausstreckte und reichte ihm meinen Arm zitternd. Er hielt ihn vorsichtig fest und begann mit dem zweiten Stich, bevor er das Blut wegwischen musste um mit dem Dritten weiterzumachen. Die Nadel war gerade auf der anderen Seite des Schnittes ausgetreten, als ich es nicht mehr aushielt.

„Stopp!“, rief ich aus, „Hör auf, bitte!“

Er hielt inne und sah zu mir auf. Mir schien die Panik ins Gesicht geschrieben zu sein, denn er seufzte frustriert und rieb sich über die Stirn.

„Wenn das so weiter geht, verblutest du, bevor ich fertig bin.“, meinte er ironisch.

„Oder sie lyncht sich selbst.“, murmelte Levin.

Ich zuckte zusammen.

„Levantin!“, fuhr Papà ihn an.

„Ist schon gut, Papà.“, flüsterte ich und sah auf die Nadel, die auf beiden Seiten des Schnittes zur Hälfte hinaus lugte. „Ich meine- Vielleicht hat er-“

„Violeta, was habe ich dir gerade erst gesagt?“, wollte Levin von mir wissen.

Ich biss die Zähne zusammen. „Dann gib mir doch dir Ohrfeige, die du angekündigt hast.“ Ich schluckte und weigerte mich, erneut zu weinen. „Das scheint dir ja Spaß zu machen.“

„Spinnst du?! Mein Gott, Callum, was ist mit deiner Tochter los?“

„Die Frage stelle ich mir bei euch beiden.“, gab Callum zurück, „Warum bist du so wütend auf sie?“

„Sie wirft mir vor, eine Andere zu haben, nur weil ich keine Zeit gehabt habe.“

Papà sah mich verwundert an. „Das sieht dir gar nicht ähnlich.“

Ich drehte mich ein wenig weg und hob zaghaft die Hand an die Nadel.

„Violeta, was machst du da?“, fragte er dann und hielt meine Hand fest, als ich die Nadel durch die Haut zog.

„Ich fühle mich nicht sonderlich wohl, wenn ich Metall im Arm habe.“, gab ich leise zurück.

Levin atmete gereizt aus und kam zu uns rüber. Kaum das er da war, packte er mein Gesicht, drehte es zu sich und drückte mir einen Kuss auf den Mund. Ich schnappte nach Luft und hob instinktiv meine Hand an sein Gesicht. Erst versuchte ich ihn wegzuschieben, aber er weigerte sich strickt mich loszulassen. Als ich feststellte, dass ich ihn nie dazu bewegen konnte loszulassen, seufzte ich unterdrückt und ließ die Hand wieder sinken. Daraufhin wurde der Kuss langsam weicher und inniger. Er begann mich hungrig und verzweifelt zu küssen, während ich nur langsam begann ihn zu erwidern. Kurz darauf ließ er jedoch abrupt von mir ab und sah mich einen Augenblick an, bevor er sich von mir löste und auf meinen Arm sah. Der Schnitt war perfekt genäht. Ich hatte nichts bemerkt.

Papà packte gerade die Sachen wieder zurück und verließ dann das Bad. Levin seufzte tief, fuhr sich durchs Haar und machte ebenfalls Anstalt das Bad zu verlassen.

„Levin?“, meinte ich hastig, bevor er weg war.

Er blieb stehen und drehte sich nach mir um. „Ja?“

„Hasst du mich jetzt?“

Er sah zu mir auf und hob eine Braue. „Dich hassen? Das habe ich noch nie getan.“

„Aber du-“

„Ich hasse dich nicht.“, unterbrach er mich, „Ob ich will oder nicht, aber ich liebe dich immer noch.“ Er seufzte. „Ich werde wahrscheinlich nie damit aufhören können. Du bist wundervoll und bist sogar wunderschön, wenn du gerade versuchst dich umzubringen. Noch dazu hast du mir eine wundervolle Tochter geschenkt. Zwar etwas früh, aber es ist passiert. Ich habe schon immer so etwas wie dich gesucht.“

Während er sprach, hatte ich den Blick auf den Boden gesenkt und schluckte nun hart.

„Beantwortest du mir eine Frage?“, wollte er irgendwann wissen.

„Viel hab ich ja nicht mehr zu verlieren.“, gab ich darauf nur leise zurück.

„Warum hast du dich geschnitten?“

Ich drehte den Kopf zur Seite. „Das weißt du doch.“

„Ich meine, warum? Warum wolltest du... dich umbringen?“

Ich sah auf meinen Arm herab und betrachtete die Naht. „Ich... weiß nicht, wie ich das sagen soll.“, gab ich leise zurück.

Er atmete aus und kam ein paar Schritte näher. „Lag es an mir?“

Ich zuckte zusammen und musste mich dazu zwingen zu nicken.

„Weil ich so wütend auf dich bin?“

„Unter anderem.“, murmelte ich.

Er kam noch ein bisschen näher. „Weshalb noch? Weil ich so selten da war?“

„Auch.“, hauchte ich, mal wieder den Tränen nahe. Ich wollte nicht weinen.

„Weil ich dich angeschrien habe?“

Ich schüttelte den Kopf und schlang die Arme um mich.

„Warum dann, Violeta?“ Er stand nun vor mich und beugte sich ein wenig hinab, um mir ins Gesicht sehen zu können. „Was habe ich noch getan?“

„Du hast mir weh getan.“, flüsterte ich, beinahe lautlos.

„Wann?“, wollte er darauf wissen, „Was habe ich gemacht?“

„Du-du sagtest, i-i-ich solle mit N-Nikolai glücklich werden un-und hast mich h-heute die ga-ganze Zeit ignoriert.“

„Mit Nikolai?“ Er sah einen Augenblick verwirrt aus, erinnerte sich dann aber offenbar wieder und fluchte ein paar Mal. „Violeta, das war nicht ernst gemeint. Es ist mir einfach raus gerutscht.“

„Ab-aber du hast mi-mi-mich ignoriert.“

Er atmete lange aus, richtete sich wieder auf und stützte sich mit den Armen neben mir an der Theke ab. „Du hast ja auch nicht mit mir gesprochen. Ich wusste nicht, wie du reagieren würdest.“ Er schwieg einen Augenblick. „Kann ich dir noch eine Frage stellen?“

Ich zögerte etwas, sah dann aber fragend zu ihm auf.

„Warum dachtest du, ich hätte eine Andere?“

Ich schluckte hart und sah auf die Kuhle unter seinem Hals. „Du... Du warst so lange nicht da und... ich wusste nicht, wo du warst. Du hast dich nicht gemeldet un-und...“

„Und?“, hakte er nach.

„Das war etwas... wovor ich am meisten A-A-Angst hatte. Ich hatte mich schon d-d-darauf einge-gestellt, dass es so war.“

„Deshalb hast du mir erst nicht geglaubt?“

Ich nickte und merkte, wie mir vereinzelnd Tränen über die Wangen liefen. „Ich hatte solche Angst davor, da-dass es wirklich so war.“ Ich sah zaghaft zu ihm auf. „Und i-i-i-ich hab dich so vermisst.“ Als ich vorsichtig die Hand hob, um ihn an der Wange zu berühren, zuckte er zusammen und nahm dabei abrupt die Hände von der Theke. Ich zog die Hand wieder zurück, starrte ihn einen Augenblick an und senkte wieder den Kopf. „Es tut mir Leid.“, meinte ich und versuchte den Weinkrampf zu unterdrücken. „Ich wollte das nicht.“ Ich schlang die Arme um mich und wiegte mich vor und zurück. „Es tut mir so Leid.“

„Mein Gott, Violeta.“ Er legte die Arme um mich und drückte mich fest an sich, wobei er mir beruhigend mit der Hand durchs Haar fuhr. „Ist schon gut. Ich verstehe ja. Sch sch sch. Ist schon gut.“

Ich krallte mich in sein T-Shirt und verbarg mein Gesicht an seiner Brust, während er mich tröstend festhielt. Wir waren eine ganze Weile so im Badezimmer meiner Eltern, bis Levin mich vorsichtig auf seine Arme hob und das Zimmer mit mir verließ. Ich hielt mich an ihm fest, als er den Flur durchquerte und mich in mein Zimmer brachte, wo er mich ins Bett legte und sich neben mich legte. Er zog mich an sich und wartete geduldig, bis ich mich beruhigt hatte. Als ich irgendwann ruhig neben ihm lag, küsste er mich sanft auf die Stirn und strich mir das Haar aus dem Gesicht. Ich sah mit verweintem Gesicht zu ihm auf.

„Geht’s wieder?“, fragte er mich fürsorglich.

„Mir geht’s scheiße.“, gab ich unverblümt zurück und ließ es zu, dass er mir den Oberarm unter den Kopf legte.

„Kopfschmerzen?“

Ich nickte, während er mir übers Gesicht wischte. Ich zog die Nase hoch und seufzte müde. Dann begann Vilija jedoch zu weinen, woraufhin Levin sich langsam von mir löste.

„Ich hole sie eben.“

Ich nickte nur und sah ihm noch hinterher, als er mein Zimmer verließ. Als ich aus dem Fenster sah, stelle ich fest, dass es bereits dunkel wurde. Wie lange hatte ich geweint? Ich seufzte leise und rieb mir über die Wangen, bevor ich mich auf den Rücken drehte und an die Decke sah. Kurz darauf setzte ich mich auf und sah auf das Poster von Raphael. Es war einer der Momente, in denen ich mir wünschte, dass er wieder da war.

Ich sah zu Levin, als er mit Vilija ins Zimmer kam. „Ich glaube, sie hat Hunger.“, meinte er unsicher und sah zu mir.

Ich streckte die Arme nach ihr aus und nahm sie entgegen, woraufhin er sich zu mir setzte und den Blick offenbar nicht abwenden konnte, als ich Vilija stillte.

„Kennst du ein litauisches Schlaflied?“, wollte ich wissen und sah zu ihm auf.

Er wandte den blick nicht ab, als er antwortete. „Ja. Ein paar kenne ich.“

„Fällt dir gerade eins ein?“

Er nickte. „Es heißt: čiūčia liūlia dukrytėla.“

Ich lächelte leicht. „Kannst du für sie singen?“

Er sah überrascht zu mir auf. „Singen?“, hakte er nach.

Ich nickte. „Ja. Du hast eine schöne Stimme.“

Er zögerte etwas, begann dann aber zaghaft und leise zu singen. Ich lächelte darüber und sah zu Vilija herab. Irgendwann hörte sie auf zu saugen und schlief fast sofort ein, woraufhin ich sie an meine Schulter nahm und ihr vorsichtig auf den Rücken klopfte. Nachdem sie ein Bäuerchen gemacht hatte, streckte Levin die Arme nach ihr aus, woraufhin ich sie ihm reichte. Sein Blick glitt nochmal kurz zu meiner Brust, bevor er den Blick abwandte, um Vilija wieder zurück zu bringen. Ich richtete währenddessen mein Oberteil und legte mich wieder hin. Ich war fast eingeschlafen als Levin wieder kam.

„Du bist wohl sehr müde, oder?“, wollte er wissen und setzte sich vorsichtig zu mir.

Ich murrte. „Sie wacht immer nachts auf.“, meinte ich dann nur.

„Dann gehe ich wohl besser wieder rüber.“

Ich richtete mich ein wenig auf. „Warte.“

Er blieb an der Tür stehen und sah zu mir. „Hm?“

„Schläfst du heute hier?“, bat ich ihn.

„Nun... wenn du es möchtest.“

„Das wäre schön.“

Er lächelte leicht und kam dann wieder zu mir herüber. „Wo soll ich dann schlafen?“

„Früher hast du mit mir ins Bett gepasst.“, gab ich zurück, „Ich wette, wir passen zusammen immer noch.“

Sein Mundwinkel zuckte, woraufhin er sich wieder aufrichtete und bis auf die Shorts auszog. Dann half er mir kurz beim Ausziehen und legte sich dann mit mir ins Bett, wobei ich mich wohlig seufzend an ihn kuschelte. Er zögerte etwas, legte dann aber die Arme um mich und hielt mich fest.

 

Es war mitten in der Nacht, als ich mal wieder von Vilijas Schreien wach wurde. Ich hob verschlafen den Kopf und sah zu dem Babyphone, das Papà mir gegeben hatte und blinzelte etwas verwundert, als ich Levin sah. Er murrte müde und sah sich verwirrt um. Dann sah er mich, schüttelte kurz den Kopf und sah dann ebenfalls zum Babyphone.

„Ich geh schon.“, murmelte ich und schleppte mich aus dem Bett.

Er antwortete mit einem Murren, während ich rüber ins Kinderzimmer ging, um mich um Vilija zu kümmern. Ich hob sie vorsichtig auf die Arme, redete beruhigend auf sie ein und rieb mir dann verschlafen die Augen. Ich wiegte sie in meinen Armen und sang ihr leise etwas auf Italienisch vor, wobei es mir vorkam, als würde ich mich selbst in den Schlaf singen. Als ich hinter mir nackte Füße auf dem Boden hörte, drehte ich mich um und blinzelte in ein verschlafenes Gesicht.

„Wo kommst du denn her?“, fragte ich Brandon verwirrt.

Er murrte. „Ich hatte Streit mit mère und père. Da hab ich Callum gefragt, ob ich hier übernachten darf. Ich bin vor zwei Stunden hier angekommen. Was hat sie?“ Er deutete auf meine Tochter und kam zu mir herüber.

„Sie hat wohl schlecht geschlafen oder so.“, gab ich zurück, „Sie wacht nachts öfter auf und weint, bis man sie in den Schlaf wiegt.“

Er hielt ihr einen Finger hin und redete ihr beruhigend auf Französisch zu. „Sie ist wirklich süß.“

Ich lächelte schwach. „Wenn sie nicht so viel schreien würde, würde ich dasselbe sagen.“

„Das stimmt wohl.“

Ich sah mit einem Seufzen auf sie herab und redete wieder auf italienisch auf sie ein. Es dauerte noch ein bisschen, bis sie eingeschlafen war, woraufhin ich sie wieder in ihr Bettchen legte, Brandon eine Gute Nacht wünschte und mich dann wieder zu Levin legte, der verschlafen zu mir aufsah als ich mich zu ihm legte.

„Wer war das?“, fragte er müde und zog mich an sich.

„Brandon.“, murmelte ich, „Er hat Streit mit Alistair und Arlette und schläft eine Weile hier, sagt er. Mein Gott, bin ich müde.“

„Dann schlaf.“

 

Hustend verließ ich acht Monate später mein Zimmer und ging hinunter ins Wohnzimmer, wo Levin bereits zur Tür sah. Als ich weiterhin hustete, zog er die Brauen zusammen und sah mich besorgt an.

„Alles okay?“

Ich nickte hustend. „Ja, alles-“ Ich unterbrach mich um zu husten. „Alles okay.“ Ich holte tief Luft und ließ mich, erschöpft vom Husten, neben ihn fallen.

In den letzten acht Monaten hatten wir einen festen Plan aufgestellt. Am Wochenende schlief er bei mir, damit er sich nachts um Vilija kümmern konnte. In der Woche schlief er bei sich, da er morgens früh raus zur Arbeit musste. Dafür war er aber immer nachmittags hier. Eine Beziehung führten wir jedoch immer noch nicht.

Mein Gedankengang unterbrach sich, als ich wieder begann zu husten. Ich fasste mir an den Hals und beugte mich ein wenig vor, woraufhin Levin mir eine Hand auf den Rücken legte und sich zu mir vorbeugte.

„Wo ist Callum?“, wollte er besorgt wissen.

„Er- Er ist noch-“ Ich hustete erneut. „Am schlafen.“, beendete ich den Satz.

Er wollte offenbar aufstehen um nach oben zu gehen, hielt dann aber inne, als gewisse Geräusche bis zu uns herunter drangen. Ich spürte, wie ich rot wurde. Levin dagegen atmete lange aus und ignorierte die Geräusche.

„Dann werden wir wohl noch etwas warten müssen.“, murmelte er und rieb mir den Rücken als ich wieder begann zu husten.

Offenbar schien ihm dann etwas einzufallen, denn er stand abrupt auf und verließ das Wohnzimmer. Ich wusste nicht was er tat, oder wo er war. Eine Viertelstunde später kam er mit einer Tasse zurück und stellte sie vor mich.

„Hat etwas länger gedauert als geplant.“, meinte er und hielt mir die Tasse hin. „Trink das.“

Ich sah in die Tasse. „Heiße Milch?“

Er lächelte schräg. „Trink. Das hilft.“

Ich nahm zaghaft einen Schluck und zog die Brauen zusammen. „Was ist da drinnen?“

„Das ist ein Geheimrezept meiner Großmutter. Das hat sie mir früher als Kind gegeben, wenn ich krank wurde. In Litauen ist es im Winter kälter als hier und da kommt es ab und zu gerne mal zu einer Grippe.“

Ich trank noch einen Schluck. „Du bist also richtig aus Litauen?“, hakte ich nach.

„Ja. Ich war 8 als wir herzogen.“

„Du hast gar keinen starken Akzent.“

Er lächelte schräg. „Ich habe gut gelernt.“

„Kannst du mir noch einen Satz beibringen?“, bat ich ihn nun und trank fleißig das Gebräu, das er mir gegeben hatte.

Er überlegte und sah eine Weile auf die Tasse. Plötzlich begann er schelmisch zu grinsen und sah zu mir auf. „Duok man vieną naktį su jumis ir jums nebus atsikratyti mane.“

Ich legte den Kopf schräg. „Was heißt das?“

Er grinste etwas mehr. „Erst musst du es sagen.“

„Wie war der Satz noch gleich?“

„Duok man vieną naktį su jumis ir jums nebus atsikratyti mane.“

„Duok man... viana?“

„Vieną.“, korrigierte er mich.

„Duok man viana nackti su jumis ir jums nebus atsikratiti mana.“, versuchte ich es langsam.

Er grinste nickend. „Es hapert noch mit der Aussprache... aber sonst.“

„Und was heißt das jetzt?“, fragte ich erneut.

Er grinste breit. „Es heißt so viel wie: Schenk mir eine Nacht mit dir und du wirst mich nicht mehr los.“

„Levin!“, rief ich empört aus, woraufhin er in Gelächter ausbrach. „Und Sowas willst du mir beibringen? Ich frage dich nie wieder nach einem Satz.“

Er lachte noch mehr und kugelte sich vor Lachen auf der Couch. Als Dad nach unten kam und bei uns rein sah, hob er eine Braue.

„Ich habe wohl gerade einen Witz verpasst, oder?“, meinte er und sah Levin eine Weile zu.

„Er hat mich einen Litauischen Satz sagen lassen.“, erklärte ich.

„Du wolltest einen neuen hören.“, lachte er.

„Aber doch nicht Sowas!“, gab ich zurück.

„Was hat er dich denn sagen lassen?“, wollte Dad daraufhin wissen.

„Auf Englisch? Schenk mir eine Nacht mit dir und du wirst mich nicht mehr los.“

Dad lachte leise und schüttelte den Kopf. „Wie geht’s euch zwei denn heute?“

„Mir geht’s prima.“, antwortete Levin und setzte sich wieder richtig hin. „Aber Violeta hat ziemlich schlimmen Husten.“

Dad zog die Brauen zusammen und sah zu mir. „Tut es weh?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich muss dann einfach nur husten. Ich hab mich nicht verschluckt oder so. Und mir geht es sonst auch bestens.“

„Was trinkst du denn da?“

„Hm?“ Ich sah auf die Tasse herab. „Ach so. Das hat Levin mir gemacht.“

Dieser winkte ab. „Das ist ein Rezept meiner Großmutter. Sie wissen bestimmt besser Bescheid was hilft.“

„Kommt drauf an.“, gab Papà zurück, „Was ist denn da drinnen?“

„Unter anderem... heiße Milch und Honig.“

„Dann reicht das schon.“

„In Ordnung.“ Levin nickte.

„Ich geh nach dem Frühstück direkt zur Arbeit, Kleines.“, meinte Papà dann an mich.

„Ist okay.“, gab ich zurück.

Er lächelte und ging dann rüber in die Küche, woraufhin ich mich zu Levin drehte.

„Was ist das für ein Rezept?“, wollte ich von ihm wissen.

Er grinste mich an. „Es ist ein Geheimrezept, Liebling.“

Ich lächelte leicht. „Sag schon. Ich sag es schon niemandem weiter.“

Er nahm mir die Tasse aus der Hand und stellte sie auf den Tisch. „Nur, wenn ich dafür einen Kuss bekomme.“

„Levin!“, rief ich empört aus.

Er lachte halblaut, riss mich an sich und kippte mit mir der Länge nach auf die Couch. „Violeta, es ist doch nur ein Kuss.“

Ich grinste ihn an. „Warum holst du ihn dir nicht, so wie sonst auch immer?“

„Wenn du mich küsst ist es anders, als wenn ich dich küsse.“

„Was ist so anders daran?“

Er lächelte schräg. „Wenn ich dich küsse, weiß ich unter anderem nie, ob du den Kuss erwiderst. Wenn du mich jedoch küsst, kann ich ihn genießen und hoffen, dass du nichts anderes mehr vorhast.“

Ich lachte leise und schwieg eine Weile, während ich überlegte. „Okay.“, meinte ich dann, „Einen Kuss.“

„Drei.“

„Einen.“

„Drei.“

„Einen.“

„Einen.“

„Drei.“

„Einverstanden.“

Ich zog die Brauen zusammen. „Was?“

Er grinste mich an. „Drei Küsse. Einverstanden.“, wiederholte er.

„Du.. Du hast mich ausgetrickst!“

Er lachte über mir. „Du hast dich austricksen lassen.“

„Du... Streuner!“

Er lachte noch mehr, bevor er dann zu mir herunter sah, weiterhin ein Lächeln im Gesicht. „Weißt du... Ich hätte jetzt gerne einen.“

Ich sah stumm zu ihm auf, woraufhin er eine Braue hob.

„Was ist?“

Ich öffnete den Mund, um zu antworten, hielt dann aber inne. Stattdessen atmete ich langsam aus, nahm sein Gesicht in meine Hände, zog ihn zu mir herunter und küsste ihn zaghaft. Er seufzte wohlig, und vergrub die Hände in meinem Haar, während ich unbewusst die Arme um seinen Hals legte.

„Wenn ich gewusst hätte, dass ihr wieder zusammen seid, hätte ich mir etwas für euch ausgedacht.“, ertönte plötzlich die Stimme meiner Mutter von der Wohnzimmertür.

Vor Schreck schubste ich Levin von mir herunter, woraufhin er auf den Boden fiel und mit der Schulter gegen den Couchtisch knallte, während sein Kopf unsanft auf dem Boden aufprallte. Ich zuckte zusammen und sah von ihr zu Levin und wieder zurück.

„Wir... sind nicht zusammen.“, meinte ich dann und sah zu Levin herab, „Hast du dir sehr weh getan?“

Er setzte sich langsam auf und rieb sich den Hinterkopf. „Es geht schon.“, gab er zurück.

„Seid ihr nicht?“, hakte Mamà nach, „Hat aber gerade ganz anders ausgesehen.“

„Ich... habe ihm einen Gefallen getan.“, gab ich zurück und half Levin zaghaft dabei, sich auf die Couch zu setzen. „Geht’s?“

Er nickte. „Es ist schon okay. Aua!“ Er rieb sich die Schulter, die ich vorsichtig berührt hatte. „Ich glaube, da bekomme ich einen Bluterguss.“

„Tut mir Leid.“

„Ist schon okay. Du hast dich erschreckt.“

„Bist du dir sicher? Soll Mamà sich das mal ansehen?“

„Das ist nicht nötig?“

Ich sah ihn besorgt an. „Kann ich es mir denn mal ansehen?“

„Das ist wirklich nicht nötig.“, widersprach er, während ich bereits dabei war, ihm das T-Shirt hoch zu ziehen. „Violeta!“

„Ich will es mir nur kurz ansehen.“, entgegnete ich stur.

„Lass... Hör auf mich auszuziehen!“, rief er aus und versuchte das T-Shirt wieder runter zu ziehen.

„Sei still und lass mich einfach gucken.“

„Du kannst es dir später ansehen.“, gab er zurück und versuchte sein T-Shirt aus meinen Händen zu fummeln.

„Ich will es aber jetzt sehen.“ Ich hielt es fest und zog es weiter hoch, während er meine Hände ständig wieder runter drückte.

„Violeta!“

„Levantin!“

Wir sahen uns gegenseitig finster an. Wenige Sekunden später brach meine Mutter in Gelächter aus. Wir sahen verwirrt zu ihr herüber, während sie sich lachend an den Türrahmen lehnte.

„Ihr klingt schon wie Alistair und Arlette.“, meinte sie lachend.

Wenige Augenblicke trat Papà neben sie. „Wir fahren dann-“ Er unterbrach sich selbst und sah sich die Situation mit kritischem Blick an. „Was macht ihr da?“

„Ich will ihm das T-Shirt ausziehen.“, gab ich zurück, „Aber er lässt mich nicht.“

Er sah Levin verwirrt an. „So? Nun... zu aller erst würde ich sagen, ihr macht das alles oben in Lettys Zimmer. Dann frag ich mich, Levin, warum du sie nicht lässt, wenn du doch sonst so versessen darauf bist wieder mit ihr zusammen zu kommen, weil du sie liebst.“

Ich sah ihn verwirrt an.

„Wir wollten nicht miteinander schlafen.“, meinte Levin mit rotem Gesicht, „Sie möchte sich meine Schulter ansehen, weil sie mich aus Versehen von sich runter geworfen hat und ich mit der Schulter gegen das Tischbein gefallen bin.“

„Du hast auf ihr gelegen und sagst, ihr wolltet nicht miteinander schlafen?“, hakte Papà nach.

Irgendwie hatte ich den Faden verloren. „Wir wollten nicht miteinander schlafen.“, warf ich ein, „Wir haben uns nur geküsst.“

„Ach, so nennt man das heutzutage.“, meinte Mamà, „Und wie nennt ihr dann einen Kuss? Ich meine, die kürzere Variante.“

„Mamà!“, rief ich aus, „Das war doch nur ein Kuss!“

„Also, in meiner Zeit nannte man das knutschen.“, meinte sie nachdenklich.

„So weit seit ihr also wieder, hm?“, bemerkte Papà.

Ich sah Levin finster an. „Ich küsse dich nie wieder, wenn so etwas dabei heraus kommt.“

„Warum willst du jetzt mich bestrafen? Ich habe doch nichts getan.“, warf der Streuner entsetzt ein.

„Nichts getan?“, hakte ich nach, „Du hast mich bestochen!“

„Ich habe lediglich mit dir verhandelt. Du wolltest doch das Rezept. Und ich wollte ein paar Küsse.“

„Wie viele hast du aushandeln können?“, wollte Papà wissen.

„Drei.“, gab Levin zurück.

„Nur?“, hakte Mamà nach, „Callum hat mir damals ganze 25 angehängt.“

„Sag nicht, du hättest es nicht genossen.“, warf Papà ein.

„Papà!“ Ich sah die zwei entsetzt an. „Mamà! Jetzt ermutigt ihn nicht auch noch dazu!“

„Tun wir doch gar nicht.“, warf meine Mutter ein.

„Sag du doch auch mal was.“, meinte ich an Levin.

„Was soll ich sagen?“

„Du bist doch Schuld daran.“

„Warum bin ich jetzt wieder Schuld?“

„Hättest du nicht mit diesem Deal angefangen, würden wir jetzt ganz normal hier sitzen und ich würde die Milch trinken.“

Er rollte mit den Augen. „Du hast doch nach den Rezept gefragt.“

„Aber du wolltest mich unbedingt küssen.“

„Nein.“, warf er ein, „Ich möchte, dass du mich küsst. Du hast ja gesagt, ich kann dich ruhig küssen, wenn ich es möchte.“

„So wie du es sagt, klingt es, als hätte ich es dir angeboten.“

„Hast du doch. Du sagtest: Warum holst du ihn dir nicht, so wie sonst auch immer?

„Das ist nur eine Frage gewesen.“

„Wir machen uns dann auf den Weg zur Arbeit.“, meinte Papà und schob Mamà Richtung Tür.

„Wartet! Ich bin noch nicht fertig mit euch!“ Er zog lachend die Tür hinter sich zu, woraufhin ich aufgebracht zu Levin sah. „Super!“, meinte ich und raufte mir das Haar, „Jetzt denken sie, wir hätte vorgehabt hier im Wohnzimmer miteinander zu schlafen.“

Er grinste mich an. „Wir können es ja mal ausprobieren.“

Fassungslos sah ich zu ihm auf. „Spinnst du? Wir können doch nicht einfach hier und jetzt... Sex haben.“

„Und warum nicht? Ich liebe dich, du liebst mich und wenn zwei Menschen sich lieben, dann tun sie das nun mal.“

„Wir sind kein Paar.“, warf ich ein, „Und ich werde es sicher nicht hier tun.“ Ich spürte, wie mir die Röte den Hals hinauf kroch. „Außerdem habe ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesagt, dass ich dich liebe, woher willst du also wissen, dass ich es tue?“

Er nahm mich einfach am Nacken und zog mich zu sich, um mich wieder zu küssen. Der Kuss war leidenschaftlich und hungrig, während er mich rittlings auf seinen Schoß zog und festhielt. Ich schnappte überrascht nach Luft und hielt mich an ihm fest, damit ich nicht wieder herunter rutschte.

„Ich spüre es, wenn du mich küsst.“, murmelte er die Antwort an meinem Mund und sank mit mir der Länge nach auf der Couch, bevor er mit dem Mund zu meinem Hals wanderte.

„L-L-Levin w-w-warte.“, stotterte ich und hielt seinen Kopf fest. „I-i-ich habe dir immer n-n-noch nicht ganz verziehen.“

Er hielt abrupt inne. Sekunden verstrichen, ohne dass er sich regte, bevor er sich langsam von mir löste und sich setzte, ohne mich anzusehen. Ich hatte plötzlich einen Kloß im Hals und setzte mich ebenfalls langsam auf.

„Levin?“ Ich wollte ihn vorsichtig an der Schulter berühren, aber er stand auf, bevor ich ihm nahe genug gekommen war.

„Ich verstehe schon.“, gab er zurück, „Du musst mir nichts mehr dazu sagen.“

Damit verließ er das Wohnzimmer und offenbar auch das Haus. Ich schluckte und sah auf die Stelle, wo er wenige Augenblicke zuvor gesessen hatte und nahm die Hand runter, die ich nach ihm ausgestreckt hatte. Als ich Vilija schreien hörte, saß ich noch ein paar Sekunden da, stand dann aber auf um zu ihr zu gehen. Es war sicher wieder Zeit sie zu stillen.

Versöhnung

Levantin

Ich konnte einfach nicht fassen, dass sie das gesagt hatte. Es war nun schon über ein Jahr her, dass ich aus Wut zu ihr sagte, sie solle jemanden sagen, dass sie ihn liebte, der auch dasselbe für sie fühlte. Sie interpretierte es so, dass ich sie nicht lieben würde. Dabei war es anders herum gemeint. An dem Abend hatte ich das Gefühl gehabt, dass sie mich nicht lieben würde.

Frustriert ächzte ich und drehte mich in meinem Bett herum. Ich hielt es langsam einfach nicht mehr aus. Ich wartete seit 13 Monaten darauf, dass sie mir verzeihen würde, damit ich endlich wieder mit ihr zusammen sein konnte. Und dann kam das.

Ich schluckte.

Sie hatte mir immer noch nicht verziehen. Ich fragte mich warum. In den neun Monaten, in denen sie wieder mit mir gesprochen hatte, hatte ich mich so gut es ging um sie gekümmert. Abgesehen von den Wochen, in denen ich nicht bei ihr war. Ich hatte mir mindestens hundert Mal gesagt, dass ich sie lieben würde, hatte sie unterstützt. Offenbar vergeblich.

Wie lange soll ich noch darauf warten?, fragte ich mich und setzte mich auf. Vielleicht verzeiht sie mir nie. Dann war und ist alles vergebene Liebesmühe.

Ich schluckte schwer und stand dann auf, um mein Handy von meinem Schreibtisch zu nehmen. Ich erinnerte mich wage, dass eine ehemalige Klassenkameradin mir einmal ihre Handynummer gegeben hatte. Ich musste sie nur wieder finden.

Als ich sie in meinem Handy nicht fand, durchsuchte ich mein ganzes Zimmer und durchblätterte alle Notizbücher die ich hatte. Irgendwann fand ich sie in meinem Collegeblock und speicherte sie in meinem Handy, bevor ich sie anrief.

Das Freizeichen ertönte einmal, zweimal, dreimal-

„Hallo?“, meldete sich eine weibliche Stimme.

„Luina?“, gab ich zurück.

„Ja? Wer ist da?“

„Hier ist Levin. Du hast mir letztes Jahr deine Nummer gegeben, erinnerst du dich?“

Sie schwieg einen Augenblick. „Stimmt! Das habe ich ganz vergessen. Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass du mich anrufen würdest.“ Sie klang etwas nervös, wie ich nebenbei bemerkte. „Warum rufst du an?“

„Ich...“ Ich zögerte etwas und schluckte. „Ich wollte dich fragen, ob du mal mit mir essen gehen würdest.“

„Ja!“, rief sie sofort aus, „Entschuldige. Ich meine... Gerne. Wann? Und wo?“

„In einer Stunde? Vor dem De La Crème.“

„Ich werde da sein.“

„Gut. Dann... bis in einer Stunde.“

„Bis dann.“

Sie legte auf, woraufhin ich das Handy einsteckte und mich auf mein Bett setzte. Ich atmete lange aus und zuckte zusammen, als es an der Tür klopfte.

„Herein.“

Ich sah auf, als die Tür geöffnete wurde und Mamytė herein sah. „Alles okay mit dir?“, fragte sie mich besorgt auf litauisch, „Du hast seit zwei Wochen das Haus nicht verlassen.“

Ich seufzte nur und stand auf. „Mir geht’s gut.“, gab ich zurück, ebenfalls auf litauisch. „Ich bin gleich jedenfalls weg.“

„Gehst du wieder rüber?“, fragte sie neugierig.

Ich schüttelte den Kopf und ging an ihr vorbei in den Flur. „Ich treffe mich mit jemandem.“

„Mit einem Freund?“

„Einer ehemaligen Schulkameradin.“, korrigierte ich.

„Du hast also ein Date?“

Ich sah zu ihr, da sie seltsam enttäuscht klang. „Ja. Warum?“

„Wegen Violeta.“ Sie zog die Tür zu meinem Zimmer zu. „Und Vilija.“

„Da mache ich mir keine Hoffnung mehr. Ich gebe es auf, Mamytė. Sie hat mir immer noch nicht verziehen.“

Mit diesen Worten ging ich in Badezimmer, um gründlich zu duschen und mir alles durch den Kopf gehen zu lassen. Nachdem ich dann eine halbe Stunde später mit einem Handtuch auf dem Schopf in einer Hose in meinem Zimmer stand, fragte ich mich, ob Mamytė nicht vielleicht Recht hatte. Dann erinnerte ich mich wieder daran, wie Violeta mich abgewiesen hatte und warf das Handtuch auf mein Bett, um mir ein Hemd anzuziehen. Ich fuhr mir mit der Hand nochmal kurz durchs Haar, bevor ich dann nach unten ging und das Haus verließ. Auf der anderen Seite stand Violeta gerade halb ins Auto gelehnt und richtete sich kurz darauf wieder auf, wobei sie mit dem Hinterkopf an das Autodach stieß.

„Au, verdammt!“, rief sie aus, „Papà, nimm bitte noch ein paar Aspirin mit!“ Aus dem Haus ertönte eine Antwort, aber ich konnte es nicht verstehen. Violeta drehte sich darauf wieder zum Auto. „Hier ist dein Teddy, mein Schatz. Nein, nicht in den Mund nehmen.“ Sie lehnte sich etwas weiter herein und lehnte sich dann wieder zurück. „Das kann man nicht essen. Hier hast du deinen Schnuller. Nein, nicht den Teddy in den Mund nehmen, cara. Nimm den Schnuller.“ Es war einen Augenblick still, bevor sie sich dann wieder aufrichtete und zum Haus sah. „Wo bleiben die nur?“

Als wäre das das Stichwort, verließen Callum und Jole das Haus, stellten zwei Taschen in den Kofferraum und setzte sich ins Auto, während Violeta die Autotür schloss und gerade auf die andere Seite gehen wollte, als sie mich bemerkte.

Sie lächelte mich an. „Hallo Levin! Hast du Lust mitzukommen? Wir fahren in den Park. Wo warst du eigentlich die letzten beiden Wochen?“

„Nein Danke.“, gab ich zurück und ignorierte die andere Frage. „Ich hab keine Zeit.“

„Oh. Schade.“ Ihr Lächeln wurde etwas schwächer. „Wo gehst du denn hin?“

„Ich... treffe mich mit jemandem.“

Nun war es nur noch eine Andeutung eines Lächelns. „Ein Treffen?“, hakte sie nach.

„Ein Date.“, ergänzte ich.

„Oh. Oh. Verstehe.“ Sie wand kurz den Blick ab, blinzelte ein paar Mal und lächelte mich dann wieder an. „Dann... wünsche ich dir viel Spaß und... was sagt man? Viel Erfolg?“

„Ja, so was in der Art.“ Ich senkte den Blick.

„Okay, dann...“ Sie schwieg einen Augenblick und gestikulierte sinnlos mit den Armen. „Kommst du morgen?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht.“

„Ich würde mich freuen.“

„Mal sehen.“

Sie lächelte tapfer weiter, wie ich feststellte, als ich wieder aufsah. Sie blinzelte zwar ab und zu hektisch, lächelte aber. Sie schluckte zweimal, bevor sie weiter sprach. „Wann kommst du denn ganz sicher? Ich meine... du hast Vilija jetzt seit zwei Wochen nicht gesehen.“

Ich schluckte hart. „Vielleicht am Wochenende.“

„Es... Es ist doch erst Dienstag.“

„In den nächsten drei Tagen habe ich Fahrstunden und muss arbeiten. Und ich habe einen Termin beim Zahnarzt.“

„Ach so. Verstehe.“ Sie sah kurz zum Auto und wand sich dann wieder an mich. „Also... Dann bis zum Wochenende.“

Ich nickte und sah noch zu, wie sie ins Auto stieg. Ich seufzte leise, als das Auto von der Auffahrt fuhr. Als ich Violeta im Auto sehen konnte, wischte sie sich gerade über die Wangen. Das Lächeln war einer enttäuschten, traurigen Miene gewichen. Ich wand den Blick ab und machte mich auf den Weg.

 

Ich kam etwa fünf Minuten zu spät. Aber als sie mich sah, wusste ich sofort, dass sie es bereits wieder vergessen hatte. Sie hatte wohl hauptsächlich gehofft, dass ich überhaupt auftauchte. Als ich bei ihr war, nahm sie mich lächelnd in die Arme.

„Hallo Levin.“, meinte sie und sah dabei etwas nervös zu mir auf.

„Hallo Luina.“

„Nenn mich ruhig Luna.“, bot sie an, „Wie geht es dir?“

„Ganz gut. Und dir?“

„Bestens.“ Sie strahlte mich an.

„Okay ähm... wollen wir dann?“

„Ja. Gerne.“

Ich legte ihr die Hand auf den rücken als wir das Restaurant betraten und bemerkte, dass sie ein tief ausgeschnittenes, trägerloses Kleid trug. Das Einzige, das ihr Kleid davor bewahrte runter zu rutschen, war ein transparentes Band aus Kunststoff, dass das Kleid am Rücken an der höchstens Stelle zusammenhielt. Auf der einen Seite war das Band mit einem Häkchen befestigt, damit man es leichter an- und ausziehen konnte. Die Farbe war ein dunkles Türkis, das ihre Augenfarbe ziemlich gut betonte. Sie waren ebenfalls Türkis, während ihr Haar tiefschwarz war. Im Gegensatz zu ihrem Kleid, waren ihre Augen jedoch hell.

„Ein Tisch für zwei bitte.“, meinte ich an die Frau am Empfang.

„Natürlich. Folgen Sie mir bitte.“, gab sie zurück und führte uns an einen Tisch, der etwas weiter abgelegen war und gab uns direkt die Speisekarten.

Ich rückte Luina den Stuhl zurecht und setzte mich dann ihr gegenüber, bevor ich den Blick senkte um mir die Speisekarte anzusehen.

„Ich... Ich habe einige Gerüchte gehört.“, meinte sie irgendwann.

„Was für Gerüchte?“, fragte ich nach und warf ihr einen kurzen Blick zu.

„Nun... Ich habe gehört, dass du Vater geworden bist. Von einem Mädchen, dass vorletztes Jahr her gezogen ist.“ Sie sah zaghaft zu mir auf.

Ich rieb mir über die Wange. „Violeta Graziano. Sie kommt aus New Bern. Ihre Mutter ist Italienerin, ihr Vater ist Schotte. Und irgendeiner ihrer Vorfahren ist Franzose.“

„Oh. Violeta.“ Sie schwieg kurz. „Das ist ein schöner Name. Ist sie hübsch?“, fragte sie dann nach einer Pause.

„Ich finde sie wunderschön. Und emotionaler, als ich am Anfang gedacht habe.“

Sie sah eine Weile auf ihre Karte, als ihr offenbar eine Frage einfiel und sie zaghaft wieder zu mir aufsah. „Stört es dich, wenn ich frage ob... Also... Habt ihr wirklich ein Kind?“

Ich sah lange die Kerze in der Mitte des Tisches an und seufzte. „Ja. Aber ich möchte jetzt nicht über die beiden sprechen.“

„Verstehe.“

„Was ist mit dir?“, fragte ich dann, „Hast du einen Freund? Oder bist du Single?“

Sie wurde rot. „Ich? Ein Freund?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“ Sie sah auf ihre Karte herab. „Ich interessiere mich zwar für den Einen oder Anderen... aber das war es auch schon.“

„Hast du nie mit ihnen gesprochen?“

„Doch, habe ich. Ich habe mich auch mit ihnen getroffen, aber sie schienen offensichtlich keine Interesse an mir zu haben.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Mehr kam dann nicht mehr zustande.“

„Das Liebesleben ist nicht immer einfach.“

„Das kannst du laut sagen. Meine Eltern haben sich vor einem Monat schon zum dritten Mal getrennt. Ich wette, in drei Wochen zieht er wieder ein.“

„Zum dritten Mal?“ So viel Geduld hätte ich nie.

Sie nickte. „Ja. Das erste Mal hatte mein Dad ein Treffen mit seiner Chefin. Rein geschäftlich. Sie waren essen und sie hat auf dem Weg zum Auto ihre Handtasche im Restaurant vergessen. Dad hat sie ihr geholt und sie hat ihm dafür einen Kuss auf die Wange gegeben. Mit Lippenstift. Mom dachte, er hätte sie betrogen und trennte sich von ihm. Zwei Monate später hat sie zufällig die Chefin meines Dads getroffen und die hat sie dann aufgeklärt. Mom und Dad haben sich versöhnt und er ist wieder eingezogen. Beim zweiten Mal hat er als Überraschung sie von einem Tanzkurs abgeholt. Er hat sie mit ihrem Tanzlehrer tanzen sehen. Es war Tango. Er hat sich mit Mom in die Haare gekriegt, sie haben sich getrennt und anderthalb Monate später hat er es eingesehen, sich entschuldigt und zog wieder ein. Dieses mal war er mit seinem besten Freund feiern und kam erst am nächsten morgen wieder. Sturzbetrunken mit einem Tanga in der Hosentasche.“

Ich zog eine Braue hoch.

Sie zuckte mit den Schultern. „Er sagte, den habe ihr die Freundin seines Freundes zugesteckt. Aus Spaß. Sie haben irgendein seltsames Spiel gespielt.“

„Dachte sie, sie geht ihm fremd?“, fragte ich nach.

„Nein. Sie dachte, er würde in Stripbars gehen.“

Ich fing an zu lachen, woraufhin sie mich verdutzt ansah. Es hörte sich für mich schon seltsam an, dass ein Ehepaar sich trennte, weil die Frau dachte, der Mann hätte eine Stripbar besucht.

„Also, ich verstehe meine Mutter vollkommen. Ich würde es auch nicht schön finden, wenn mein Freund in solche Bars gehen würde. Aber das Problem ist ja, dass er gar nicht dort gewesen ist.“

Ich schüttelte amüsiert den Kopf. „Magst du deine Eltern?“

„Oh! Ja, sehr. Sie kümmern sich liebevoll um mich und selbst wenn Mom Dad rausgeschmissen hat, verbringt er viel Zeit mit mir. Genauso wie Mom.“

Gerade als ich sie etwas fragen wollte, kam die Kellnerin um die Bestellung aufzunehmen.

„Wie alt bist du nochmal? 18? 19?“, fragte ich, als sie wieder weg war.

Sie lächelte etwas. „Ich bin 17.“

„17?“ Ich war nur ein Jahr älter. „Du siehst älter aus. Hast du schon einen Job, oder gehst du noch zur Schule?“

„Ich habe meinen Abschluss gemacht und mache jetzt ein Praktikum.“

„Wo?“

Sie wurde ein wenig rot. „Naja... Es ist wirklich nichts Großes. Es ist ein Praktikum im Einzelhandel. Aber ich glaube, der Job liegt mir nicht. Es macht keinen Spaß.“

„Hast du mal einen anderen ausprobiert?“

„Das ist bereits mein viertes Praktikum. Da macht mir sogar mein Wochenendjob mehr Spaß.“

„Was arbeitest du denn am Wochenende?“ Ich sah sie neugierig an.

„Da arbeite ich als Kellnerin. In einem kleinen Café am Strand.“

„Ist das nicht manchmal stressig?“

„Sicher. Aber wenn meine Schicht zu ende ist, freue ich mich über das, was ich geschafft habe. Und dass ich durchgehalten habe, obwohl es voll oder stressig war. Manchmal ist ein Kunde unzufrieden, oder da ist ein schreiendes Kind, streitende Geschwister, trinkende Jungs oder Jungs die einen belästigen. Aber das ist alles halb so schlimm.“, erklärte sie lächelnd, „Ich mache den Job gerne.“

„Warum machst du das nicht zu deinem Hauptberuf?“, schlug ich darauf vor.

Sie seufzte. „Da verdiene ich nicht genug.“

„Und in einem anderen Lokal?“

Nun zog sie die Brauen zusammen und dachte nach.

„Ich meine, wie viele Kellnerinnen gibt es ihn dem Lokal?“

„In der Woche? Mindestens zehn verschiedene.“

„Siehst du. Die müssen alle bezahlt werden. Also wird der Inhaber wohl einen niedrigen Gehalt gewählt haben, damit er auch alle gleich bezahlen kann.“

„Jetzt wo du es sagst. Eine Freundin, die mittwochs arbeitet, sie hat die Frühschicht, verdient genauso viel wie eine Kollegin, die Freitagabend arbeitet.“

„Wann arbeitest du da?“

Sie wartete mit der Antwort, da das Essen serviert wurde. „Ich habe an beiden Tagen die Mittagsschicht übernommen. Die Frühschicht arbeitet in meine Schicht herein, dann arbeite ich, wenn sie Feierabend machen und ich arbeite dann in die Nachmittagsschicht rein. Die Schichten überlappen sich immer. So sind es bereits 4 Schichten am Tag. Am Wochenende arbeitet dann immer nur eine Kellnerin. Aber in der Woche sind es immer zwei.“

Ich lächelte ein wenig.

„Was ist mit dir? Hast du einen Job?“

Ich nickte, schüttelte dann aber mit dem Kopf. „Ausbildung.“

„Als?“

Ich lächelte schräg. „Eine Ausbildung als-“

„Levin! Was machst du denn hier?“, ertönte rechts von uns eine Stimme.

Ich sah überrascht dort hin und sah direkt Brandon entgegen. Neben ihm stand ein Mädchen, dass ich irgendwo schon mal gesehen habe.

„Wer ist das?“, wollte sie von Brandon wissen.

„Das erzähle ich dir gleich. Wer ist das?“, wollte er dann von mir wissen.

Ich seufzte tief und stand auf. „Ich bin gleich wieder da.“

Luina nickte, woraufhin ich zu Brandon ging und noch einen Blick auf das Mädchen neben ihm warf. Warum wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich sie schon einmal gesehen hatte?

„Kannst du mir jetzt endlich mal sagen, wer das ist?“, wollte das Mädchen erneut von Brandon wissen.

Dieser rollte mit den Augen. „Carina, das ist Levantin. Violetas Ex. Der Vater ihres Kindes.“

Ihre Augen richteten sich auf mich und mir fiel wieder ein, wo ich sie gesehen hatte. Es war auf einem Foto, das Violeta mir mal gezeigt hatte. Sie wollte mir von jedem Familienmitglied von dem sie Bilder hatte, aktuelle Aufnahmen zeigen. Darunter auch Carina. Ihre Cousine.

„Du bist Levin?“, wollte sie von mir wissen.

„Ja.“, gab ich zaghaft zurück.

Sie sah mich einen Augenblick an. Dann gab sie mir eine Ohrfeige.

„Carina!“, zischte Brandon, während ich mir die Wange rieb.

„Das war dafür, dass du ihr so weh getan hast.“, meinte sie wütend.

„Carina, lass das. Wir sind hier in einem Restaurant.“ Er wand sich an mich. „Tut mir Leid. Sie ist etwas... temperamentvoll.“

„Das merke ich.“, gab ich trocken zurück und rieb mir über die Wange.

„Alles in Ordnung?“, kam es plötzlich von Luina, die nun neben mir stand. „Ich mache dir doch keine Probleme, oder?“

Ich sah zu ihr. „Nein. Mach dir keine Sorgen. Ähm... warte einfach am Tisch.“

„Es macht mir nichts aus zu gehen, falls ihr wegen mir Streit habt.“

„Keine Sorge, Mademoiselle.“, warf Brandon ein, „Ich war nur etwas neugierig, weil Levin mit Ihnen hier war.“ Er sah mich fragend an, woraufhin ich seufzte.

„Es ist nicht meine Schuld, okay.“, meinte ich darauf, „Ich höre nur auf, mir Hoffnung zu machen.“

„Hoffnung?“, Brandon sah mich verwirrt an.

„Ich war es nicht, der die Beziehung beendet hat.“

Er hob eine Braue. „Sie hat mir zitiert, was du damals gesagt hast.“

„Hat sie dir auch gesagt, was sie wenige Minuten davor noch gemacht hat?“

Er senkte den Blick.

„Jetzt sag mir, was hättest du in so einem Augenblick gesagt? Ich habe die beiden gesehen Brandon. Das ist als würde ich dasselbe mit ihr machen.“ Ich deutete auf Carina, woraufhin sie mich finster ansah.

„Ich kann verstehen, dass du wütend warst.“, gab Brandon zurück, „Aber versetz dich doch mal in ihre Lage.“

„Das fällt mir nicht schwer. Erst vor zwei Wochen hat sie mir gesagt, sie habe mir immer noch nicht verziehen.“

„Was?“, hakte er nach, „Wie lange ist das jetzt her?“

„Mindestens dreizehn Monate.“

„Entschuldigen Sie bitte.“ Wir sahen alle abrupt zur Kellnerin, die zu uns trat. „Einige Kunden haben sich beschwert.“

Ich seufzte und sah zu Luina. Als Brandons Handy klingelte, holte er es schnell heraus und verließ das Restaurant.

„Dann hätte ich gerne die Rechnung.“, meinte ich an die Kellnerin, bevor ich mich an Luina wand. „Tut mir Leid, dass das Ganze so endet.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ist schon okay.“

Als die Kellnerin mit der Rechnung kam, bezahlte ich kurz und verließ dann mit den beiden Frauen das Restaurant. Brandon stand zwei Meter neben dem Eingang und telefonierte.

„Er ist hier bei mir.“, meinte er gerade und warf mir einen Blick zu.

Ich dagegen wand mich an Luina. „Es ist schade, dass das jetzt schon alles war.“, bemerkte ich, „Das hat mir heute Spaß gemacht.“

Sie lächelte mich an. „Mir auch. Entschuldige, dass ich dir solche Probleme mache.“

„Ach. Das tust du nicht.“

„Bist du sicher?“

Ich nickte. „Ja. Dich trifft keine Schuld.“

Sie lächelte mich an. Dann nahm sie plötzlich mein Gesicht in ihre Hände und zog mich an sich, um mich zu küssen. Einen Moment lang war ich starr, erwiderte den Kuss dann aber zaghaft. Ich wollte sie nicht verletzen.

„Er äh... verabschiedet sich gerade von... ähm... Ja, genau. Von seinem Date.“, ertönte es hinter mir von Brandon.

Als Luna sich von mir löste, atmete sie bereits hektisch und sah mir in die Augen. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen, die sich wenige Augenblicke wieder auf meine legten. Ihre Arme lagen um meinen Hals und meine Hände lagen an ihrer Taille. Eine Weile später löste ich mich dann von ihr und trat dann behutsam einen Schritt zurück.

„Rufst du mich an?“, fragte sie halblaut.

„Wenn ich Zeit habe.“, gab ich zurück, „Bis dann.“

Sie lächelte nochmal. „Bis dann.“

Damit wand sie sich ab und ging, woraufhin ich mich zu Brandon drehte, der mir direkt sein Handy hinhielt. Ich nahm es entgegen und hielt es ans Ohr.

„Ja?“, meldete ich mich.

„Es tut mir furchtbar Leid, dass ich störe.“, ertönte Violetas Stimme.

Ich schluckte. „Was gibt’s?“

„Es ist Vilija. Sie weint und ruft immer nach dir. Sie hört einfach nicht auf. Ich habe sie schon gestillt, ich habe ihr etwas vorgesungen und versucht sie zu beruhigen, aber sie wird einfach nicht ruhiger.“, erklärte sie und holte Luft. „Kannst du vielleicht herkommen, wenn es dir keine Umstände bereitet?“

Ich sah auf die Uhr. 17:23 Uhr. „Ich mach mich auf den Weg.“

Sie sagte mir in welchem Park sie waren, und legte auf, woraufhin ich Brandon das Handy wiedergab. Dann verabschiedete ich mich von ihm und machte mich auf den Weg, wobei ich gar nicht merkte, dass er mir offenbar etwas hatte sagen wollen.

 

Anderthalb Stunden später erreichte ich den Park und sah mich nach den Vier um. Kurz darauf fand ich sie anhand der Schreie. Violeta, Jole und Callum knieten um Vilija und versuchten sie irgendwie aufzumuntern, aber sie schrie immerzu dasselbe Wort.

„Pa-pa-pa!“, schrie sie weinend und griff mit den Händen ins Leere.

Ich trat zu ihnen und kniete mich neben Violeta. „Warum schreit sie denn so?“, wollte ich wissen und hob die Kleine hoch. „Ei, kas vyksta, mano mažylis?“, flüsterte ich ihr zu.

„Ich weiß es nicht.“, gab Violeta zurück.

Ich sah auf, woraufhin sie zu mir aufsah und erstarrte. „Ist... ist das...“, flüsterte sie und hob langsam die Hand an meinen Mund. „Lippenstift?“

Das ist jetzt nicht wahr.

Ihre gefärbte Zeigefingerspitze sagte mir das Gegenteil. Sie sah darauf herab und sah dann wieder zu mir auf. Ich reichte die nun ruhige Vilija an Callum weiter und sah zu Violeta, die ein paar Meter weiter weg gegangen war und die Arme um sich geschlungen mit dem Rücken zu uns stand. Ich trat zu ihr und wischte mir dabei mit meinem Ärmel den Mund ab. Ich blieb hinter ihr stehen und hob zaghaft die Hand.

„Violeta?“

Sie antwortete nicht.

„Lass es mich bitte erklären.“

„Geh weg.“, gab sie zurück und ging ein paar Schritte von mir weg.

Ich folgte ihr. „Hör mir bitte zu.“

„Ich will es nicht hören.“

„Violeta, bitte.“ Ich berührte sie vorsichtig an der Schulter.

„Fass mich nicht an.“ Sie trat noch einen Schritt von mir weg und drehte sich abrupt zu mir um. „Geh zu Vilija, geh zu deiner Neuen, mach irgendwas, aber lass mich in ruhe.“ Sie strengte sich ganz offensichtlich an, nicht zu weinen.

„Das verstehst du nicht.“, meinte er darauf, „Sie hat mich geküsst. Ich wollte sie nicht verletzen, indem ich sie weg stoße.“

„Natürlich nicht.“, zischte sie darauf und drehte sich wieder um.

„Meine Güte, Violeta! Was willst du? Du verzeihst mir nicht, bist aber wütend, wenn ich mich mit jemand anderem Treffe. Du lässt es zu, dass ich dich küsse, willst aber keine Beziehung. Ich soll zu Besuch kommen, wenn ich weder arbeite noch eine Fahrstunde habe, aber wenn ich einen Tag nicht da bin, bist du wütend auf mich. Ich warte seit neun Monaten darauf, dass ich dich in den Armen halten und mir sicher sein kann, dass du zu mir gehörst. Du sagst, dass du mir nicht verziehen hast, streitest ab, dass du mich liebst und bist wütend, weil mich jemand geküsst hat. Manchmal glaube ich wirklich, dass du damals Recht hattest, als du sagtest, dass wir nicht zusammen sein können. Sag mir, was willst du?“

Sie antwortete nicht. Als ich sie zu mir umdrehte, zog sie an ihrem Arm. „Ich sagte, du sollst mich nicht anfassen.“, meinte sie, immer noch wütend.

Ich griff erneut nach ihrem Arm, als er mir aus der Hand rutschte, woraufhin sie nach mir schlug. Meine linke Wange tat noch weh von Carinas Ohrfeige, aber die Ohrfeige von Violeta tat wirklich weh. Ich fasste mir an die Wange und sah zu ihr.

„Wofür war die?“, wollte ich von ihr wissen.

„Ich sagte doch, dass du mich nicht anfassen sollst. Ich will nicht wissen, wo du die Hände heute gehabt hast.“

„Du machst mich wahnsinnig. Egal was es ist, du gibst immer mir die Schuld. Du bist sauer auf mich und möchtest, dass ich mich entschuldige. Dann entschuldige ich mich, aber du hast mir immer noch nicht verziehen, verdammt nochmal. Es ist egal was ich tue, du bist immer damit unzufrieden. Du willst nicht mit mir zusammen sein, aber eine Freundin haben darf ich auch nicht.“

„Wenn ich dich so störe, warum bist du dann überhaupt hier?“

„Gib jetzt nicht wieder mir die Schuld. Du hast mich doch gebeten her zu kommen.“

„Ich habe dir die freie Wahl gelassen.“

„Glaubst du, ich lasse Vilija wie am Spieß schreien? Sie ist auch meine Tochter.“ Mir fiel wieder etwas ein. „Zumindest gehe ich davon aus, dass es meine Tochter ist.“

Sie sah mich entsetzt an. „Was redest du da?“

Ich schnaubte. „Das würde doch wunderbar passen. Ich meine, hey. Wenn Vilija nicht von mir sein würde, müsste ich mir die ganzen Streitereien und Diskussionen mit dir sparen.“

„Warum.. Warum sagst du immer Sowas? Warum tust du mir immer weh?“

„Du tust doch auch nichts anderes. Du bist grundlos wütend auf mich, weil ich deshalb wütend auf dich war, versuchst du dich umzubringen, dann sagst du mir, du hättest mir immer noch nicht verziehen und jetzt schreist du mich an, weil ich von Luina geküsst wurde.“

„Luina?“, hakte sie nach und sah mich verletzt an. „So heißt sie? Ist sie wenigstens hübsch?“

„Stell dir vor, sie sieht dir sogar ein wenig ähnlich. Sie ist nur etwas gebräunter, kleiner, zierlicher und hat türkise statt blaue Augen. Oh, nicht zu vergessen, dass sie mich nicht angeschrien hat, als ich sogar vor ihr geäußert habe, dass ich nur deshalb nicht bei dir war, weil ich mir einfach keine Hoffnung mehr darauf mache, dass du mir irgendwann verzeihst. Sie hat sich eher sorgen gemacht, als Carina mich im Restaurant geohrfeigt hat. Nicht zu vergessen, dass sie das Date sogar schön fand, obwohl wir von Brandon unterbrochen wurden. Wer weiß, was du wieder gemacht hättest.“

„Dann geh doch zu ihr! Werde mit ihr glücklich, gründe mit ihr eine Familie, bei der du dir sicher bist, dass es dein Kind ist und in der deine Frau einfach nur still in der Ecke sitzt und alles tut was du willst.“

„Zum ersten Mal seit ich dich kenne, wünsche ich mir wirklich, ich würde dich nicht lieben.“

Sie sah mich sprachlos an. „Warum küsst du sie, wenn du sie nicht liebst?“

Ich seufzte frustriert. „Ich habe sie nicht geküsst. Sie hat mich geküsst.“, gab ich zurück, „Ich habe den Kuss erwidert, weil ich sie nicht verletzen wollte. Sie hatte bereits zahlreiche Dates mit Jungs und Männern, für die sie sich interessiert hat, aber nie haben sie sich auch für sie interessiert. Ich wollte nicht, dass sie frustriert ist, weil ich mich nicht für sie interessiere.“

Sie wand den Blick ab.

„Weißt du, ich bin es langsam Leid mich immer vor dir rechtfertigen zu müssen und ständig zu ertragen, dass du wütend auf mich bist. Von mir aus, schnapp dir Nikolai. Mit dem scheinst du dich ja besser zu verstehen, als mit mir. Gibt es noch irgendwas, was du mir sagen willst, bevor ich nach hause gehe?“

Sie sah zu mir auf. Offenbar war sie nun ganz kurz davor, wieder zu weinen. „Was ist jetzt mit Vilija?“

Ich atmete aus und antwortete dann mit dem, was mir als erstes einfiel. „Ich möchte einen Vaterschaftstest. Wenn ich wirklich der Vater bin, kümmere ich mich mit um sie. Wenn ich es nicht bin, kannst du dich ja an Leonas wenden.“

„Aber-“

„Kein Aber.“

Sie zuckte zusammen und eine Träne rann über ihre Wange.

„Ich kann irgendwann nicht mehr Violeta. Ich habe dir ständig gesagt, dass ich dich liebe und trotzdem hast du mich auf Distanz gehalten. Ich will Sowas nicht. Ich möchte mit einer Frau zusammen sein, die mich genauso sehr liebt wie ich sie und die auch mit mir zusammen sein will und mich nicht ständig von sich schiebt. Brandon hat von mir verlangt, dass ich mich in deine Lage versetze. Jetzt verlange ich von dir, dass du dich in meine Lage versetzt. Du hast mich betrogen, du hast versucht dich umzubringen, hast mich ganze vier Monate ignoriert, hast mir Affären unterstellt und denkst nun, dass ich scharf auf Luina bin, nicht zu vergessen, dass du mir nach dreizehn Monaten nicht verziehen hast, dass ich wütend auf dich war, weil du mich betrogen hast. Wie viel soll ich noch ertragen?“

Die Tränen tropften bereits in gleichmäßigen Abständen von ihrem Kinn, während sie mich weinend ansah. Es tat weh sie so zu sehen. Aber irgendwann musste sie begreifen, was sie überhaupt mit mir tat.

„Lass mich bitte nicht allein.“, flüsterte sie, „Bitte. Ich... Ich.. Ich will dich nicht verlieren.“ Sie schluchzte. „Ich möchte nicht ohne dich leben.“

Ich packte sie an den Oberarmen. „Was habe ich dir dazu gesagt?“, wollte ich von ihr wissen, „Du sollst aufhören daran zu denken, dich umzubringen.“

„Es ist aber nun mal so.“, gab sie zurück, „Ich will das alles nicht ohne dich. Ich kann dann einfach nicht glücklich sein. Von mir aus, triff dich mit Luina, triff dich mit Anderen, aber lass mich bitte nicht allein. Du darfst mich so viel küssen wie du willst, such dir irgendwas aus, aber bitte Levin, lass mich nicht allein.“

Diesmal war ich es, der sprachlos war. Ich sah sie eine Weile stumm an, bevor mir etwas einfiel, das ihre Bedingung erfüllen würde und mich etwas näher dorthin beförderte, wo ich bei ihr stehen wollte. „Heirate mich.“

Sie sah überrascht zu mir auf und wurde etwas ruhiger. „Was? Was hast du gesagt?“

„Heirate mich.“, wiederholte ich, „Werde meine Frau. Trete mit mir vor den Altar.“ Gab es noch mehr Bezeichnungen dafür? „Trete mit mir in den Bund der Ehe ein.“

Wieder liefen ihr Tränen über die Wangen und sie nickte hektisch. „Ja. Ja, alles was du willst.“

Ich sah sie lange an. „Willst du das denn?“ Ich zögerte etwas. „Liebst du mich überhaupt?“

Sie nickte erneut. „Ich will. Und ich liebe dich. Aber ich hatte Angst vor dem neuen Versuch mit dir zusammen zu sein. Ich hatte Angst, dass wieder irgendwas passiert.“ Sie schlang die Arme um meine Taille und hielt sich an mir fest, während sie ihr Gesicht an meine Brust drückte.

Ich sah zu ihr herab und legte die Arme um sie, während ich mein Gesicht in ihrem Haar vergrub. Solche Momente hatte ich vermisst. Momente, in denen ich sie sorgenlos in den Armen hielt und einfach wusste, dass sie mir gehörte. Irgendwann hob sie den Kopf, reckte den Hals und küsste mich. Ich seufzte, legte ihr eine Hand in den Nacken und erwiderte den Kuss.

 

Zehn Minuten später lag ich neben ihr im Gras und döste. Sie lag mit dem Kopf auf meiner Brust und folgte mit ihrem Finger einem unsichtbaren Muster auf meinem Bauch. Ich hatte ihr einen Arm über die Taille gelegt und seufzte, als sie die Hand flach auf meinen Bauch legte, darüber fuhr und mir dann den Arm um die Taille legte. Als Vilija drei Meter neben uns jammerte, hob sie den Kopf und stand kurz darauf auf. Ich öffnete ein Auge und sah zu ihr rüber. Sie nahm unsere Tochter gerade auf den Arm und kam dann wieder zu mir, woraufhin ich mich aufsetzte und ihr die Kleine abnahm.

„Sveiki, mažai vieną.“, meinte ich an sie und zog die Beine ein wenig an, um sie darauf zu legen. „Kaip jums jausmas, saldainiukas?“

Sie wurde wieder ruhiger und griff nach meinem Finger, den ich ihr hinhielt.

„Pa-pa-pa.“, meinte sie.

Ich lächelte. „Sag Ma-ma.“

„Ma-ma-ma.“

Violeta lachte. „Das habe ich auch schon versucht. Sie sagt die Silbe drei Mal, egal ob du es ein oder zwei Mal sagst.“

„Pa-pa-pa. Ma-ma-ma. Pa-pa-pa. Ma-ma-ma.“, meinte sie mit auf und ab gehender Stimme.

„Ma-ma.“, wiederholte ich.

„Ma-ma-ma.“, meinte Vilija darauf.

Ich grinste. „Ma-ma.“

„Ma-ma-ma.“

„Was kann sie noch sagen?“

„Ihre Kosenamen.“, gab Violeta zurück, „Sie hat einen für ihren Schnuller, aber wenn ich es jetzt sage, will sie ihn haben. Oppure, cara?“

„Ca-ra.“

„Warum kann sie Cara sagen, Mama und Papa aber nicht?“, fragte ich verwirrt.

Violeta zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“

„Vilija, sag: Mamytė.“

„Ma-ma-ma.“

„Nicht Mama. Ma-my-tė.“

„Ma-mi.“

„Ma-my-tė.“

„Ma-mi-t.“

Ich grinste ein wenig. „Ma-my-tė.“

„Ma- Mam.. Ma-mam... Pa-pa-pa!“

Violeta brach in Gelächter aus.

Ich dagegen lachte leise. „Ma-my-tė.“

„Ma-mi-te.“

„Hast du gehört?“, meinte ich an Violeta und grinste. „Die Kleine spricht Litauisch.“

Letty lächelte mich an, setzte sich neben mich und küsste mich kurz, bevor sie wieder zu Vilija sah. „Lass sie das nochmal sagen.“, bat ich ihn.

„Vilija. Ma-my-tė.“

Der kleine Wonneproppen auf meinem Schoß schien es gar nicht gehört zu haben. Ich bewegte ein wenig den Finger, den sie festhielt, worauf sie ihn ansah.

„Vilija.“ Sie sah zu mir. „Sag: Ma-my-tė.“

„Ma-mi-te!“, rief sie daraufhin aus.

„Levin?“

Ich sah zu Violeta. „Ja?“

„Ich liebe dich.“

Ich lächelte und küsste sie kurz. „Ich dich auch.“

Bekanntschaft mit Luina

Violeta

Obwohl Levin und ich uns nun schon so lange kannten, so lange befreundet waren und auch schon zusammen waren, war ich erst ein einziges Mal in seinem Zimmer. Nun war es das zweite Mal und ich stellte fest, dass er es etwas verändert hatte. Auf dem Nachttisch standen zwei Bilder. Auf dem vorderen waren wir beide. Schräg rechts dahinter war ein Bild von seiner Familie. Schräg links hinter dem Bild von uns stand eine Lampe, die so ausgerichtet war, dass er problemlos in seinem Bett lesen konnte.

Ich sah zur Tür. Wie lange er wohl noch brauchte? Er hatte mich hierher gebracht, mit der Erklärung, er habe noch eine Überraschung für mich, die er sich vor ein paar Monaten ausgedacht und vor einem Monat besorgt hatte. Ich fragte mich, woran er wohl gedacht hatte.

Mit einem Seufzen betrachtete ich weiter sein Zimmer. Es war überraschend sauber. Er hatte mir gesagt, dass er nicht gern aufräumte. Dennoch war alles blitzblank. Mit geschürzten Lippen ging ich zu seinem Schrank, sah nochmal kurz zur Zimmertür und öffnete dann den Schrank. Ich unterdrückte das Lachen, dass meine Kehle hinauf kroch und schloss die Tür wieder. Er hatte alles in den Schrank gesteckt.

Fünf Minuten später fand Levin mich lachend auf seinem Bett.

„Habe ich etwas verpasst?“, wollte er verwundert wissen.

Kopfschüttelnd winkte ich ab. „Ist schon gut.“ Ich verkniff es mir weiter zu lachen und sah zu ihm auf. „Also. Was hast du dir ausgedacht?“

Er lächelte. „Was hast du lieber? Katze oder Hund?“

Ich spitzte die Lippen. „Katze. Warum?“

„Katze, ja?“ Er spähte in den Korb in seiner Hand. Ich konnte nicht erkennen was darin war, da er eine Decke darüber drapiert hatte. „Dann hab ich wohl das falsche gekauft.“

Er zögerte etwas, zuckte dann aber mit den Schultern und reichte mir das Körbchen. Ich nahm es zaghaft entgegen und legte es auf meinem Schoß ab, woraufhin ich darauf herab sah.

„Nun sieh schon hinein.“, meinte Levin leicht ungeduldig.

Ich warf ihm einen kurzen Blick zu, hob dann aber die Decke an und ließ sie sofort wieder fallen. „Bist du wahnsinnig?“, wollte ich ungläubig von ihm wissen und sah erneut in das Körbchen.

„Ein bisschen vielleicht.“, entgegnete er amüsiert und hockte sich vor mich. „Gefällt sie dir?“

Ich nahm die Decke herunter und betrachtete das in dem Körbchen eingerollte Kätzchen. Sie schlief tief und fest. „Sie ist süß.“ Zaghaft streckte ich die Hand nach ihr aus und berührte sie am Rücken. Sie regte sich ein wenig und drehte den Kopf in meine Richtung. „Oh, Levin! Du bist doch verrückt. Du kannst mir doch nicht einfach ein Kätzchen schenken.“

„Habe ich gerade.“ Er lächelte mich an.

Ich blickte mit Tränen in den Augen zu ihnen auf. „Das meine ich ernst.“, gab ich zurück und schniefte leicht. „Papá möchte keine Haustiere haben.“

„Nun, wenn das so ist, dann werden wir uns eben eine Wohnung suchen. Nur du und ich. Und Vilija natürlich.“

Ich sah ihn entsetzt an. „Aber wer soll das bezahlen? Eine Wohnung, Essen, Vilija, eine Katze. Das können wir uns doch gar nicht leisten. Ich gehe ja nicht einmal arbeiten und du bist noch in der Ausbildung und machst nebenbei deinen Führerschein. Ganz abgesehen davon, dass ich ihn noch machen muss.“

„Meine Eltern bieten uns ein bisschen Unterstützung, bis wir ein sicheres Einkommen haben. Und die Katze war die Idee meines Vaters.“

„Ihr seit doch wahnsinnig.“ Ich sah auf das Kätzchen herab und lächelte. Dann stellte ich das Körbchen vorsichtig auf den Boden, zog Levin zu mir und küsste ihn. „Du und deine ganze Familie. Der Wahnsinn muss bei euch in den Genen liegen.“

Er lachte an meinem Mund und drückte mich aufs Bett. „Das sagt die Frau, die sich den Arm aufgeschnitten hat.“

Leise lachend legte ich die Arme um seinen Hals und küsste ihn erneut.

„Schlaf heute bei mir.“, bat er mich leise und zog eine Spur von Küssen zu meinem Hals herab.

„Was ist mit Vilija?“

„Nun... Mom hat ein Kinderzimmer eingerichtet.“

„Für Vilija?“

„Eigentlich nicht.“ Er sah wieder zu mir auf und küsste mich kurz. „Ich werde Bruder. Sie ist im 4. Monat.“

„Ehrlich?“ Ich versuchte mich daran zu erinnern, wann ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Das war vor drei Wochen, als ich bei ihnen zu Mittag gegessen hatte. „Sie sieht gar nicht so aus.“

„Hmmm...“ Er war bereits wieder an meinem Hals und glitt herüber zu meiner Schulter. „Es wird ein Junge, sagt Dad.“

„Dann wird Vilija jemanden zum Spielen haben.“

Er murmelte zustimmend etwas an meiner Schulter und wanderte ein bisschen tiefer, wobei seine Hände unter mein T-Shirt schlüpften. „Wie ich das vermisst habe.“, nuschelte er und glitt noch tiefer, um mich auf den Bauch zu küssen.

Ich kicherte, als seine Zunge mich am Bauchnabel kitzelte und zog ihn wieder hoch um ihn zu küssen. „Da gibt es nichts interessantes.“, argumentierte ich auf seinen enttäuschten Blick.

„Ich bin da anderer Meinung.“ Seine Hände wanderten höher, bis er mir das T-Shirt auszog. „Soll ich dich überzeugen? Ich habe da eine ganz interessante Idee, allerdings bräuchte ich dafür Schlagsahne und Kirschen und du müsstest dich ausziehen, damit ich-“

„Levin!“, fuhr ich rot geworden dazwischen.

„Man wird doch wohl Fantasien haben dürfen.“

„Nicht, wenn sie so unanständig sind.“

„Unanständig?“, hakte er nach, „Ich zeig dir mal, was unanständig ist.“

Mit diesen Worten küsste er mich auf eine Art und weise, die ich wirklich unanständig fand. Dennoch seufzte ich an seinem Mund und schlang die Arme um ihn. Als er seine Lippen von meinen löste, glitt sein Atem heiß über mein Gesicht, bevor sein Mund zu meinem Ohr wanderte.

„Ich liebe dich.“, flüsterte er, „Eine Welt ohne dich könnte ich nicht mehr ertragen.“

„Du sprichst mir aus der Seele.“ Etwas ungeschickt glitten meine Hände unter sein Shirt auf seinen Bauch. „Ich liebe dich auch.“

Fünf Minuten später konnte ich nicht mehr klar denken.

 

Irgendwann, nach gefühlten zwei Wochen seufzte Levin an meinem Ohr und küsste mich auf die Wange. Er war verschwitzt und heiß, während ich noch immer Probleme damit hatte zusammenhängend zu denken.

„Ich hoffe meine Katze wird nicht genauso unanständig wie du.“, nuschelte ich an seiner Schulter.

Er lachte und rollte sich neben mich, bevor er mich an sich zog. „Sie wird vielleicht nicht so prüde wie du-“

„Ich bin nicht prüde!“, warf ich ein.

„Aber sie wird sicher nicht unanständig.“, beendete er seinen Satz.

„Das hoffe ich. Ich weiß nicht, wie wir überleben sollen, wenn wir plötzlich ein Haufen kleiner Kätzchen haben.“

Er küsste mich auf die Schulter. „Mach dir darüber keine Sorgen, Aksominė kojenas.“

Ich seufzte wohlig, erstarrte dann aber, als es an der Tür klopfte. Levin hob den Kopf von meiner Schulter.

„Ja?“

Seine Mutter steckte den Kopf herein. „Da ist jemand, der dich sprechen möchte.“ Sie blinzelte. „Hallo Violeta.“ Sie zögerte etwas. „Warum liegt ihr falsch herum im Bett?“

Levantin lachte leise. Unsere Füße lagen auf seinen Kopfkissen. „Wir hatten ein paar... Orientierungsprobleme.“

Ich lief rot an. „Levin!“

„Ist ja schon gut. Ich bin gleich unten, Mom.“

Sie nickte und machte große Augen, als sie feststellte, das Levin kein Oberteil trug. Dann schloss sie schnell die Tür, woraufhin Levin seufzte und den Kopf wieder auf meiner Schulter sinken ließ.

„Ich will nicht aufstehen.“, murmelte er.

„Du musst. Außer du möchtest, dass dieser Jemand hier hoch kommt und uns so sieht.“

Er hob den Kopf und sah mich eine Weile an, während ich zurück blickte. Irgendwann nickte er. „Du hast Recht. Er oder sie könnte dich so sehen. Die Decke könnte verrutschen. Oder schlimmer, sie fällt runter.“ Er stand auf und zog sich seine Shorts an, bevor er zur Tür ging.

„Möchtest du dir keine Hose anziehen?“

Er winkte ab. „Das ist sicher nur Fergus oder so.“

Gerade als Levin nach der Tür greifen wollte, wurde sie geöffnet. Die Tür selbst stieß an seinen Zeh, woraufhin er aufschrie, seinen Fuß zurück zog und der Tür auswich, bevor sie noch mehr von ihm traf. Der Junge der sie geöffnet hatte, es war wirklich Fergus, sah ihn verwundert an und hob eine Braue, als er Levins Outfit bemerkte.

„Hast wohl schon im Bett gelegen, was?“, neckte er ihn.

„Ja, habe ich.“, gab Levin zurück, „Schon mal etwas von klopfen gehört? Ich habe Besuch.“

„Ach ja?“ Er sah sich um und hob eine Braue als er mich sah. „Oh. Hallo Violeta.“ Er hob die Hand, hielt dann aber inne und wurde rot. „Oh. Verstehe. Ich... äh... Entschuldigung.“

„Wir gehen in den Flur.“, meinte Levin und schob Fergus aus seinem Zimmer.

„Gute Idee.“, meinte dieser darauf.

Ich seufzte tief und drehte mich auf den Rücken. Dann drehte ich mich auf der anderen Seite auf den Bauch und atmete Levins Geruch ein, der an der Matratze hing. Ich wäre wenige Minuten später beinahe eingeschlafen, wenn Levin nicht wieder herein gekommen wäre.

„Wir sehen uns dann übermorgen.“, rief er Fergus noch hinterher, bevor er die Tür hinter sich zu zog.

Er ging eiligen Schrittes zu mir rüber und blieb neben dem Bett stehen. Ich merkte wie er sich über mich beugte und seufzte unwillkürlich, als er mich an der Wange berührte.

„Komm wieder ins Bett.“, murmelte ich.

„Gleich.“, gab er zurück und küsste mich auf die Schläfe. „Ich hole nur schnell noch etwas.“

„Und was?“

„Etwas, das du sicher gern isst.“

Noch bevor ich etwas erwidern konnte, eilte er bereits aus dem Zimmer. Ich schlug die Augen auf und ahnte bereits was er vorhatte. Als er wieder herein kam, drehte ich mich in seine Richtung und schluckte.

Schlagsahne und Kirschen.

„Jetzt zeige ich dir, was ich mir vorgestellt habe.“

„Ich wusste doch, dass Gott mich hasst.“, murmelte ich auf italienisch.

 

Levantin

Zwei Monate später war ich mit Vilija in der Stadt und versuchte Luina zu erreichen. Als beim Dritten Versuch immer noch besetzt war, steckte ich mein Handy wieder ein und sah mich noch ein wenig um. Ein paar Minuten später versuchte ich es erneut.

„Ja?“, meldete sie sich.

„Ich bin’s.“, gab ich zurück.

„Oh! Hey Levin.“

„Du, ich muss mit dir sprechen. Hast du gerade Zeit?“

„Äh, ja klar.“

„Kannst du in die Stadt kommen?“, bat ich sie, „Und erschreck dich nicht, ich habe meine Tochter dabei.“

„Kein Problem. Wo genau?“

„Ich bin vor dem Juwelier, neben dem Optiker.“

„Gut, bis gleich.“

„Bis gleich.“

Ich steckte mein Handy wieder ein und sah zu Vilija herab, die schlafend in ihrem Kinderwagen lag. Es dauerte gerade mal eine Viertelstunde, bis Luina mich erspähte und mich umarmend begrüßte.

„Okay, worüber wolltest du mit mir sprechen.“, wollte sie wissen und lächelte mich an.

Ich seufzte. „Über uns beide.“

Sie atmete kurz durch und nickte dann. „Lass mich raten. Es wird nichts zwischen uns.“

„Versteh mich nicht falsch.“, warf ich ein, „Du bist ein wunderbares Mädchen- Ich meine, eine wunderbare Frau. Ich mag dich wirklich, aber... Ich liebe Violeta.“

Sie nickte und senkte den Kopf. „Ich verstehe.“

„Ich sag das nicht aus Mitleid oder so. Ich würde gerne den Kontakt mit dir halten. Und das Date mit dir hat mir auch wirklich Spaß gemacht. Aber ich kann dich einfach nicht lieben.“

Sie nickte erneut und lächelte leicht. „Wenigstens bist du ehrlich.“

„Ich hoffe, wir können trotzdem Freunde sein. Um ehrlich zu sein, bräuchte ich nämlich mal deine Hilfe.“

Sie hob eine Braue. „Hilfe? Wobei?“

„Nun... Ich habe Violeta einen Heiratsantrag gemacht und sie hat ja gesagt... aber ich habe keinen Ring.“

Sie zog die Brauen zusammen. „Das war sicher ein lausiger Antrag.“

Ich lachte ein wenig. „Oh ja. Es war grauenhaft. Aber sie hat ja gesagt. Und jetzt brauche ich einen Ring.“

Sie nickte. „Dann wollen wir mal einen passenden Ring finden.“

Ich lächelte leicht und ging mit ihr in den Juwelierladen. Wir sahen uns ein wenig um und fanden kurz darauf die Ringe, wo wir uns eine Weile beraten ließen und somit die Auswahl an Ringen drastisch reduzierten.

„Silber oder Gold?“, wollte Luina wissen.

„Ich bin der Meinung, Verlobungsringe sollten aus Silber sein.“, erklärte ich, „Das Gold ist den Eheringen vorbehalten.“

„Wie sieht’s mit Edelsteinen aus?“

„Ich weiß nicht. Ohne sehen sie so kahl aus, aber mit... Ich bin mir nicht sicher.“

Sie nickte und sah sich ein paar an. „Der hier sieht nicht schlecht aus.“

Sie deutete auf einen Silberring, der mit einem Ornament verziert war, in deren Mitte ein kleiner Smaragd schimmerte. Ich lächelte sie an und nickte.

„Der sieht wirklich perfekt aus.“, meinte ich interessiert, „Wie viel kostet der?“

Die Frau hinter dem Tresen holte ihn aus der Fassung und reichte ihn mir, damit ich ihn mir ansehen konnte. „452 Dollar.“

„Und welche Größe?“

„6.“

Ich nickte. „Gut. Den nehme ich.“

Sie nahm ihn entgegen. „Zahlen Sie Bar oder mit Karte?“

„Mit Karte.“

Ich wand mich an Luina, während die Verkäuferin den Ring von dem kleinen Informationszettelchen befreite und eintütete. „Danke für deine Hilfe. Ich hätte wahrscheinlich Stunden gebraucht.“

„Gern geschehen.“, gab sie zurück und lächelte mich an.

Ich bezahlte kurz, nahm den Ring entgegen und verließ dann das Juweliergeschäft. „Wie wäre es, wenn wir noch in ein Café gehen?“

„Das wäre wirklich schön.“

„Aber ich werde keinen Kaffee trinken.“

Sie lächelte schräg. „Den werde ich auch nicht anrühren.“

Ich nickte und ging mit ihr zu dem Café, das drei Gebäude weiter stand. Als mein Handy klingelte, holte ich es kurz hervor und hob ab, als ich Violetas Namen sah.

„Hallo Liebling.“, meldete ich mich.

„Hallo, mein Süßer.“, ertönte Violetas Stimme, „Hast du Vilija mitgenommen?“

Ich sah in den Kinderwagen. „Ja, ich hab sie bei mir.“

„Gut. Ich dachte schon, sie wäre sonst wo.“

Ich schmunzelte. „Demnächst schreibe ich dir einen Zettel.“

Sie kicherte. „Wo bist du?“

„In der Stadt. In einem Café. Mit Luina. Sie hat mir bei etwas geholfen und wir wollten jetzt eine Kleinigkeit trinken. Einen Milchshake oder so.“

„Geholfen?“, hakte sie nach, „Darf ich fragen wobei?“

„Das ist ein Geheimnis, Mėgstamas.“

Sie seufzte.

„Aber du kannst liebend gerne her kommen. Wenn du möchtest.“

„Gerne. In welchem Café seid ihr denn?“

Ich sah mich nach dem Namen um. „De La Luna.“, antwortete ich.

„Okay. Bis gleich.“

„Bis gleich. Ich liebe dich.“

„Ich dich auch.“

Ich legte lächelnd auf und steckte das Handy wieder ein. „Ich hoffe es stört dich nicht, dass Violeta herkommt.“

Luina schüttelte den Kopf. „Ich würde sie gerne kennen lernen.“

Ich lächelte schräg und bestellte mir und Luina jeweils einen Milchshake. Luina sah zu Vilija, die zwischen uns im Kinderwagen lag und beugte sich ein wenig vor.

„Und das ist deine Tochter?“, hakte sie nach.

Ich sah zu Vilija herab. „Ja.“

„Wie heißt sie?“

„Vilija.“ Ich lächelte und beugte mich ebenfalls etwas zu ihr.

Vilijas Blick fiel sofort auf mich, woraufhin sie ihre Arme nach mir ausstreckte. „Pa-pa-pa.“, jammerte sie.

Luina machte ein begeistertes Geräusch. „Mein Gott, ist sie süß!“

Ich lachte ein wenig und nahm sie aus dem Kinderwagen, da Vilija erneut und etwas lauter nach mir rief.

„Hat sie die Silbe gerade drei mal gesagt?“, fragte Luna überrascht.

„Ja. Wir wissen nicht warum sie sie drei Mal sagt. Aber sie ist wirklich süß. Ne tiesa, mano saldus? Ne tiesa?“

Vilija gluckste, als ich mit meiner Nase an ihre stupste und legte ihre Hände an meine Wangen. Ich lächelte sie an und küsste sie auf die Nasenspitze, woraufhin sie erneut gluckste. Als ich erneut an ihre Nase stupste, schrie sie begeistert auf und lachte vergnügt.

„Da möchte man sie am liebsten mitnehmen.“, meinte Luina lächelnd und berührte zaghaft die Wange des Kindes.

Vilija griff nach ihrem Finger und sah es sich mit einem verwirrten Geräusch an.

„Na, hast du etwas neues entdeckt?“, fragte ich sie amüsiert, „Du hast doch schon viele Finger gesehen. Da müsste man doch meinen, dass du weißt was das ist, taip?“

„Taip?“, wiederholte sie, „Taip taip taip.“

Ich lachte, unterhielt mich noch eine Weile mit Luina und spielte mit Vilija, als diese plötzlich jemanden hinter mir sah.

„Ma-ma-ma!“, rief sie abrupt aus, „Ma-ma-ma! Ma-ma-ma!“

Ich sah mich nach ihr um und stand auf, als sie gerade bei uns ankam. Noch bevor sie irgendwas sagen konnte, beugte ich mich zu ihr herab um sie zu küssen. Sie seufzte, legte mir die Hand an die Wange und löste sich wieder von mir.

„Ich habe etwas länger gebraucht.“, meinte sie, „Jaydon hat angerufen. Er hat von jemandem gesprochen, von dem ich nicht dachte, dass ich ihn je wieder sehe.“

„Seinem Bruder?“, riet ich.

Sie grinste ein wenig. „Auch. Ich rede von Nicko. Er war auch ein Freund von Raphael. Ich erzähle dir später von ihm.“ Sie wand sich an Luina, die sie mit offenem Mund anstarrte, und reichte ihr die Hand. „Hallo. Ich bin Violeta.“

Luna blinzelte kurz, nahm dann die Hand und nickte. „Ich bin Luina. Aber du kannst auch Luna sagen.“

„Schön dich kennen zu lernen. Levin hat ein paar Mal von dir gesprochen und es hat mich ziemlich neugierig gemacht.“

Wir setzten uns wieder, bevor ich ihr Vilija reichte, die aussah, als würde sie weinen, wenn sie nicht bald in den Armen ihrer Mutter landete. Diese redete auf Italienisch auf sie ein bis sie sich beruhigt hatte und sah dann wieder auf.

„Woher kennt ihr euch eigentlich?“, fragte sie dann neugierig.

„Wir gingen eine Zeit lang in die selbe Klasse.“, antwortete Luina, „Er war der Mädchenschwarm und jeder wollte mit ihm zusammen sein.“ Sie grinste Levin an. „Es war ein Schock für alle, dass er ausgerechnet mit Cornelia zusammen kam.“

Ich schnaubte. „Dieser Drachen hat mich mindestens zehn Jahre meines Lebens gekostet.“

Luna brach in Gelächter aus, während Violeta den Kopf schräg legte.

„Wer war Cornelia?“, fragte sie neugierig.

Ich verzog das Gesicht. „Ein arrogantes, hochnäsiges Mädchen. Ich weiß nicht, was ich an ihr fand.“

Luna hob die Hand. „Ich weiß es. Es war die Tatsache, dass sie sich mit ihrem Wahnsinns Ausschnitt immer vor dir vor gebeugt hat. Sowohl von vorn als auch von hinten. Sie trägt doch immer diese... aufreizenden Tangas.“

Violeta sah mich skeptisch an. „Und mit ihr warst du zusammen?“

„Ach... nun...“ Ich atmete aus. „Es war die Hölle.“

Luna lachte leise und stieß mich leicht an der Schulter an. „Man hat es dir angesehen. Ständig dieser leidende Gesichtsausdruck.“

„Du warst ja nicht besser! Jeder hat gesehen, dass du mich John unglücklich warst. Du wolltest es nur nicht wahrhaben.“

„Ich war nicht unglücklich.“, widersprach sie.

Ich sah sie zweifelnd an.

„Okay, ein bisschen vielleicht.“

„Ein bisschen.“

„Ein bisschen sehr.“

Ich rollte mit den Augen.

„Aber ich habe Schluss gemacht.“, fuhr sie fort.

„Und danach hast du dir an Zitas Schulter die Seele aus dem Leib geheult.“

„Ist doch gar nicht wahr.“ Sie wurde rot.

Ich wollte gerade etwas erwidern, als mein Handy plötzlich klingelte. Ich nahm es heraus und nahm mit einem gereizten Geräusch ab, als ich Sylvias Name sah. „Ich dachte, du hättest die Nummer gelöscht.“

„Hallo Levin, von dir habe ich auch lange nichts mehr gehört.“, meinte sie sarkastisch, „Schon mal was von einer Begrüßung gehört?“

„Bei dir habe ich mich schon öfter ein wenig vergessen, erinnerst du dich?“

Sie schwieg.

„Warum rufst du an?“

„Ich ertrage es nicht länger nichts von dir zu hören.“, antwortete sie kleinlaut, „Ich vermisse dich.“

„Das hättest du dir vorher überlegen sollen.“

„Es tut mir Leid.“

„Tut es das?“

„Levin, du weißt, dass es so ist.“

„Ich erinnere mich noch gut an das, was du gesagt hast. Lösch bitte meine Nummer.“

Ohne sie erneut zu Wort kommen zu lassen legte ich auf und legte mein Handy auf den Tisch.

„Wer war das?“, fragte Violeta neugierig und zog nach einem fragendem Blick und einem nicken meinerseits mein Getränk zu sich heran um an dem Strohhalm zu saugen.

„Sylvia.“

Prompt verschluckte sie sich. Ich nahm ihr Vilija aus den Armen, da sie sie beinahe fallen ließ und legte ihr eine Hand auf den Rücken. Nachdem sie sich beruhigt hatte, atmete sie tief durch und bestellte sich ein Mineralwasser, bevor sie sich an mich wand.

„Was wollte sie?“, fragte sie abgeneigt.

„Sie wollte sich mit mir versöhnen.“

Violeta schnaubte abfällig.

„Ist es die Sylvia, von der ich denke, dass sie es ist?“, wollte Luna wissen und sah mich fragend an.

Ich nickte, woraufhin sie tief seufzte.

„Wie kommt es, dass du immer mit Mädchen zusammen warst, die keiner leiden kann?“

Violeta starrte sie an.

Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber Violeta scheint nicht so unbeliebt zu sein.“

„Oh, da habe ich andere Gerüchte gehört.“

„Gerüchte?“ Prompt tat ich es Violeta gleich und starrte Luina an.

„Ja. Hast du nichts davon gehört?“

„Wovon redest du?“

„Nun... als raus kam, dass sie schwanger war...“ Sie rieb sich den Nacken und man sah ihr an, dass es ihr unangenehm war. „Man ging davon aus, das Kind sei von Nikolai und sie hätte dir gesagt, es sei von dir, damit du sie wieder zurück nimmst.“

Entsetzt sah ich sie an. „Das ist nicht dein Ernst.“

„Doch. Erst ward ihr unzertrennlich, dann könnt ihr euch plötzlich nicht mehr sehen. Wir alle dachten, du hättest dich von ihr getrennt. Sie war bereits etwas unbeliebt, weil sie so unfreundlich war. Und dann seid ihr plötzlich wieder zusammen und wenige Monate später kommt raus, dass sie schwanger ist. Aber ihr Bauch war dafür schon zu groß, also gingen alle davon aus, das Kind sei von Nikolai. Aber da es kein Sinn machte, dass du dann mit ihr zusammen sein würdest, meinte jemand, Violeta hätte dir gesagt, das Kind wäre von dir, damit sie dich zurück bekommt.“

Ich konnte es kaum fassen, dass sie Sowas dachten.

„Und das Gerücht von ihr und ihrem Bruder hat ihr auch geschadet. Seit der Geschichte mit dem Kind ist es wieder im Umlauf. Aber die Schulzeit ist ja schon lange vorbei. Die haben es sicher wieder vergessen.“

Ich atmete langsam aus. „Das hoffe ich.“

 

Tief durchatmend schob ich am Abend die Haustür auf und hielt sie Violeta auf. Ich hatte sie in ein Restaurant ausgeführt, was uns beiden eine Menge Spaß gemacht hatte. Vilija lag oben in ihrem Bett und schlief. Violetas Eltern hatten sich freiwillig gemeldet sich um sie zu kümmern, damit wir Zeit für uns hatten. Es hatte gut getan.

Mit einem leichten Lächeln legte ich ihr einen Arm um die Taille und stieg mit ihr die Stufen hoch. Sie war so müde, dass sie sich im Gehen an mich lehnte. Es war ein langer Tag.

„Was machen wir morgen?“, wollte sie leise von mir wissen.

„Ich weiß nicht.“, gab ich zurück und ging mit ihr den Flur herab. „Ich hab zwei Termine zur Wohnungsbesichtigung.“

„War bisher nichts Schönes dabei?“

„Doch. Aber es war zu teuer.“

„Soll ich mitkommen?“

„Schlaf du dich nur aus.“ Ich küsste sie auf den Scheitel. „Ich werde schon etwas finden, dass dir gefällt. Mach dir keine Sorgen.“

Lächelnd lehnte sie ihren Kopf an meine Schulter, als ich die Tür zu ihrem Zimmer öffnete und mit ihr eintrat. „Du riechst gut.“, murmelte sie.

Schräg lächelnd dirigierte ich sie zu ihrem Bett und begann sie auszuziehen.

„Das kann ich selbst.“, protestierte sie und schob meine Hände beiseite um ihre Bluse zu öffnen. „Ich bin ja kein Kind mehr.“

„Das hat auch keiner behauptet.“, gab ich zurück und zog sie an der Hüfte zu mir, um sie zu küssen.

Da sie jedoch herab sah, um die Knöpfe zu sehen, küsste ich sie stattdessen nur auf die Wange und seufzte leise, woraufhin sie wieder zu mir aufsah.

„Seltsam.“, meinte sie amüsiert, „Ich hätte schwören können, du wärst genauso müde wie ich.“ Dann lachte sie, da ich an ihrem Ohrläppchen knabberte und drehte ihren Kopf zur Seite.

„Bin ich auch.“, murmelte ich darauf und sah ihr sehnsüchtig nach, als sie sich von mir löste und zum Fenster ging, um es zum lüften zu öffnen.

„Wenn du es wärst, würdest du schon auf dem Bett liegen.“, gab sie zu Bedenken.

„Wollte ich ja.“ Ich grinste sie an. „Aber du wolltest ja nicht.“

Sie sah mich über ihre Schulter hinweg tadelnd an. „Du weißt, was ich meine.“

Ich zog mir das T-Shirt über den Kopf und drehte mich zum Bett. „Wie du meinst.“ Ich zog mir Socken und Schuhe aus. „Dann geh ich eben ohne dich ins Bett.“

Während ich sprach, zog ich mir die Hose aus und schlug die Decke zurück. Ich sah aus dem Augenwinkel kurz zu Violeta und lächelte, als ich feststellte, dass sie mich anstarrte, während ich unter die Decke kroch und es mir im Bett gemütlich machte.

Sie stand einen Augenblick sprachlos am Fenster, schloss es dann jedoch und eilte zu mir, während sie sich so schnell sie konnte auszog. Kaum, dass sie nichts außer ihre Unterwäsche trug, kroch sie auch schon zu mir unter die Decke und legte sich halb auf meine Brust, wobei sie ihre Beine mit meinen verflocht und die Arme um mich schlang. Sie seufzte wohlig, als sie ihren Kopf auf meiner Schulter bettete und schmiegte sich an mich wie ein Kätzchen.

„Du bist so warm.“, flüsterte sie.

Ich drehte mich auf die Seite und legte die Arme um sie, um sie näher an mich zu ziehen und küsste sie kurz, bevor ich mein Kinn an ihrem Schopf bettete und mit ihr in den Schlaf sank.

Kinderfreundlich

4 Jahre später

Violeta

Ich seufzte tief, als ich langsam wach wurde und tastete neben mir im Bett nach Levin. Das tat ich immer, wenn ich in der Nacht wach wurde. Doch wie in den letzten vier Wochen, war das Bett neben mir leer. Verschlafen öffnete ich die Augen und sah auf das unbenutzte Kissen. Ich vermisste ihn. Aber bald war er wieder da. Nur noch wenige Stunden.

„Mamá.“

Ich drehte mich auf die Seite, Richtung Tür und erblickte meine Tochter. „Was ist, cara?“

„Ich hab schlecht geschlafen.“, nuschelte sie und drückte Nicki an ihren Körper. Ich hatte ihn ihr geschenkt, als sie zwei Jahre alt wurde.

Ich lächelte sie leicht an, rückte beiseite und hob die Decke an, woraufhin sie sofort auf mich zu eilte und zu mir ins Bett krabbelte. Müde legte ich mich wieder mit ihr hin und legte die Arme um sie, woraufhin sie sich an mich kuschelte.

„Mamytė?“, flüsterte sie kurz darauf.

„Ja?“

„Kommt Tėtis bald wieder?“

Mit einem Seufzen zog ich sie enger an mich und rieb meine Wange an ihrem Schopf. „Morgen kommt er wieder. Wir holen ihn zusammen vom Flughafen ab, ja?“

„Taip!“

Ich lächelte. „Dafür musst du jetzt aber schlafen, hörst du? Sonst schläfst du noch im Wagen ein.“

„Ist gut.“ Sie schwieg kurz und begann dann zu gähnen. „Gute Nacht Mommy.“

„Gute Nacht, cara.“

Es dauerte nicht lange, bis sie wieder schlief. Wenige Minuten später tat ich es ihr gleich.

 

„Dauert es noch lange?“, ertönte es neben mir.

„Nein, nur noch ein paar Minuten.“, antwortete ich liebevoll.

Vilija legte die Arme um mein Bein und lehnte ihren Kopf an meine Hüfte. Es konnte nicht mehr lange dauern. Das Flugzeug war schon gelandet. Er müsste also jeden Augenblick durch diese Tür kommen.

„Warum dauert das so lange, Mommy?“

Abwesend legte ich ihr eine Hand auf den Schopf. „Er muss noch sein Gepäck holen, mein Schatz.“

Wir warteten noch einige Minuten, bis ich mich langsam wirklich ernsthaft fragte, warum es so lange dauerte. Gerade, als ich begann mir Sorgen zu machen, erschien ein Junge vor uns. Er war ein, vielleicht zwei Jahre älter als Vilija und sah sie neugierig an.

„Wer bist du?“, wollte er von ihr wissen.

Meine Tochter versteckte sich halb hinter meinen Beinen und hielt sich an mir fest. „Mein Name ist Vilija Kemmesies. Und wer bist du?“

Der Junge rümpfte die Nase. „Das ist aber ein komischer Name.“

Vilija drückte sich mehr an mich heran.

„Ich bin Tevin McCourtney.“, stellte er sich vor, „Magst du spielen?“

Sie schwieg einen Augenblick, bevor sie den Kopf schüttelte. „Ich warte auf meinen Papá.“

„Gut. Dann warte ich mit dir.“ Mit diesen Worten stellte er sich neben sie. „Wie alt bist du?“

„Ich bin fünf. Und du?“

„Sechs.“

„Schon?“

„Ja. Ich warte auf meinen Onkel. Er kommt aus Rumänien.“

„Mein Papá war in Litauen.“

Er lächelte. „Mein Onkel war viel weiter weg.“

„Stimmt ja gar nicht!“, rief Vilija dazwischen, „Mein Papá war viel weiter weg.“

„Sie waren beide gleich weit weg.“, beschwichtigte ich die zwei leise lachend.

Die beiden schwiegen daraufhin eine Weile, während ich wieder zu der Tür sah, durch die Levin kommen würde. Irgendwann begannen die Beiden wieder zu reden, was jedoch von einem Jubelschrei von Vilija unterbrochen wurde, als Levantin endlich heraus kam. Sie ließ mich sofort los und lief auf Levin zu, der lächelnd auf die Knie ging, um sie aufzufangen. Der Junge sah sich um und hielt sich dann zögernd an mich, als ich zu Levin ging. Als er mich sah, strahlte er übers ganze Gesicht, zog mich an sich als ich nahe genug war und küsste mich voller Liebe. Er flüsterte etwas auf Litauisch und küsste mich dann erneut, diesmal so intensiv, dass ich unwillkürlich seufzen musste. Langsam löste Levin sich wieder von mir, sah kurz in meine Augen und blickte dann zu dem Jungen, der an mich heran gerückt war. Ich folgte seinem Blick und zog die Brauen zusammen.

„Musst du nicht zu deiner Mutter?“, wollte ich von ihm wissen.

Abrupt sah er zu mir auf. „Zu Mutter? Nein. Sie ist weggeflogen. Sie sagte, ich soll hier warten, bis man mich abholt.“

Ich sah ihn entsetzt an. „Bis man dich abholt?“

Er nickte. „Sie sagt, Onkel Aidan kommt her und holt mich ab.“ Nun begann er zu lächeln. „Er kommt extra aus Rumänien her.“

Kurz sah ich zu Levin, bevor ich mich zu dem Jungen, Tevin, hockte. „Hat deine Mutter das schon öfter gemacht?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, das ist das erste Mal.“

„Hast du denn keine Angst?“

Erneutes Kopfschütteln. „Onkel Aidan kommt doch her.“

Levin sah auf die Ankunftstafel und schluckte. Da war kein Flug aus Rumänien, wie ich feststellte, als ich seinem Blick folgte. Was taten wir nun mit dem Jungen? Wir konnten ihn nicht dort lassen.

„Was hältst du davon, wenn du mit uns mitkommst?“, schlug Levin vor, „Nur, bis dein Onkel da ist.“

Seine Stimme verursachte bei mir eine Gänsehaut. Er war in den letzten Jahren bereits ein paar Mal in Litauen gewesen. Jedes Mal, wenn er zurückkam, war sein Akzent so stark ausgeprägt, dass ich ihm bei jedem Wort am liebsten um den Hals fallen würde.

Tevin sah einen Moment unsicher aus, nickte dann aber zaghaft. „Bekomme ich dann etwas zu essen?“

Ich nickte. „Ja, bekommst du.“

„Wie lange wartest du denn schon?“, fragte Levin weiter.

Der Junge zuckte mit den Schultern. „Es war ganz früh, als Mommy weggegangen ist. Es wurde gerade hell.“

Mir wurde kalt. Es war bereits Abend und es wurde dunkel. Es schien, als habe man ihn mit Absicht hier allein gelassen. Ich sah mich kurz um, in der Hoffnung, dieser Aidan würde plötzlich auftauchen, sah jedoch niemanden. Also richtete ich mich wieder auf und nahm Tevin bei der Hand.

„Dann komm.“

Er ergriff meine Hand und ging dann mit uns hinaus. Da Levin kaputt und müde von dem Flug war, setzte er sich zu den Kindern auf den Rücksitz und schlief beinahe ein. Vilija war an ihn gelehnt und selbst Tevin schien fast einzuschlafen. Die Fahrt nach Hause dauerte etwa eine halbe Stunde. Levin seufzte müde, nahm den Jungen auf die Arme und stieg aus, während ich Vilija auf die Arme hob. Sie wurde wach und sah mich müde an. Dann sah sie sich um.

„Papá.“, nuschelte sie und streckte die Arme nach ihm aus.

Ich begann zu lächeln und tauschte mit ihm die Kinder. Sie schmiegte sich sofort an ihn und schlief ein, bevor wir überhaupt im Haus waren. Dort ging ich mit Levin in die Küche, wo er sich mit Vilija auf dem Arm auf einen Stuhl setzte und ich Tevin vorsichtig weckte. Er blinzelte verschlafen und gähnte, bevor er mich ansah.

„Hmmm?“, machte er müde.

„Möchtest du jetzt etwas essen?“

Er rieb sich verschlafen das rechte Auge und nickte langsam. Ich machte ihm daraufhin schnell etwas zu essen und stellte ihm den Teller vor die Nase. Er sah es einen Augenblick müde an, griff dann aber nach dem Löffel und begann zu essen. Während er aß, setzte ich mich zu Levin und sah Tevin eine Weile zu.

„Was machen wir mit ihm?“, fragte ich Levin irgendwann.

Dieser sah von Vilija zu dem Jungen und schwieg einen Augenblick. „Ich weiß nicht. Wir sollten ihn erst einmal einen Platz zum schlafen geben und dann morgen weiter sehen. Heute ist es zu spät.“

„Aber, was ist, wenn er vermisst wird?“

Er wollte gerade antworten, als das Telefon klingelte. Ich stand schnell auf und hob ab, damit Vilija nicht aufwachte.

„Bei Kemmesies.“, meldete ich mich.

„Hallo Violeta. Alexandra hier. Ist Levin da?“, meldete sich eine Frauenstimme.

Ich sah zu meinem Mann. „Ja, er kam gerade aus Litauen.“

„Oh. Dann ist er wohl müde, oder?“

„Wer ist dran?“, fragte Levantin neugierig.

„Es ist Alexandra.“, antwortete ich, „Sie hat nach dir gefragt.“

Er erhob sich vorsichtig mit Vilija und kam zu mir herüber, um den Hörer entgegen zu nehmen. „Ja?“

Ich strich unserer Tochter das Haar aus dem Gesicht und sah dann wieder zu Tevin, der gerade seinen Löffel beiseite legte. Den Teller stellte ich in die Spüle und hob Tevin dann sanft auf meine Arme.

„Komm, ich bring dich ins Bett.“, murmelte ich ihm zu, bevor ich mit einem kurzen Blick zu Levin dann die Küche verließ und die Treppe hoch ging.

Ich brachte ihn in eines unserer Gästezimmer und legte ihn vorsichtig ins Bett. Nachdem ich ihn noch sorgfältig zugedeckt hatte, verließ ich das Zimmer leise wieder und ging hinüber ins Bad um mich bettfertig zu machen. Ich hörte, wie Levin hinauf kam und Vilija ins Bett brachte. Danach ging er direkt ins Schlafzimmer. Als ich wenige Minuten später ebenfalls ins Schlafzimmer kam, stand er am Fenster und sah hinaus. Er hatte sich bereits bis auf die Shorts ausgezogen und seufzte nun müde. Ich trat hinter ihn und legte die Arme um seine Taille, bevor ich ihn auf die Schulter küsste.

„Du bist müde.“, murmelte ich, „Komm ins Bett.“

„Ich komme gleich.“, gab er zurück, „Leg du dich schon einmal hin.“

„Ist alles in Ordnung?“ Ich lehnte meinen Kopf an sein Schulterblatt und streichelte ihm sanft über den Bauch.

Er antwortete nicht.

„Levin?“

Mit einem leisen Seufzer drehte er sich zu mir herum und zog mich in seine Arme. Er hielt mich einfach nur in den Armen und streichelte mir den Rücken. Irgendwann hielt seine Hand inne und er zog mich etwas fester an sich.

„Verzeihst du mir?“, fragte er plötzlich leise.

Ich zog die Brauen zusammen und sah zu ihm auf. „Was verzeihen?“

Er wich meinem Blick aus. „Du weißt, dass ich dich über alles liebe? Egal was passiert?“

Ich nickte langsam. Dann kniff ich leicht die Augen zusammen. „Was ist passiert?“

Er richtete seinen Blick auf meine Schulter. „Ich... Ich war betrunken. Und ein Arbeitskollege ist mit mir in eine Bar gegangen. Er hat mich eingeladen. Und mir fiel kein Grund ein um abzulehnen.“

Ich wusste, dass das, was folgte, mir nicht gefallen würde.

„Da... Da war diese Frau. Sie kam zu uns herüber und wir haben uns unterhalten. Sie kam immer näher, aber ich- ich war betrunken. Und sie hat immer wieder Whiskey für uns bestellt.“ Er schluckte kurz. „Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern. Ich- ich kann mich an gar nichts mehr erinnern. Ich bin in einer fremden Wohnung aufgewacht, mit wahnsinnigen Kopfschmerzen und-“ Er unterbrach sich selbst.

Ich starrte nur zu ihm auf und wusste nicht, was ich sagen sollte. War diese Frau bei ihm als er aufwachte?

„Sie kam aus dem Bad.“, fuhr Levin fort, als hätte er meine Gedanken gelesen, „Und sie trug meine Shorts und mein T-Shirt.“ Er schloss die Augen und zog gequält die Brauen zusammen. „Im ersten Moment wusste ich nicht, was ich denken sollte. Dann habe ich nur gehofft, dass nichts passiert ist. Und als sie dann sagte, dass etwas passiert ist-“ Wieder unterbrach er sich selbst. „Ich wollte nicht, dass sowas passiert, Violeta. Wenn ich könnte, würde ich es sofort rückgängig machen.“

Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Levin öffnete wieder die Augen und sah wartend zu mir herab. Als ich mich langsam von ihm löste, schloss er sie wieder und ließ mich gewähren. Ich trat langsam von ihm weg, woraufhin er sich wieder zum Fenster umdrehte und den Kopf an die Scheibe lehnte. Ich setzte mich aufs Bett und verarbeitete, was er gesagt hatte. Irgendwann kam er zu mir herüber, zögerte kurz und nahm sich mit einem leisen Seufzen eines der Kissen. Dann verließ er das Zimmer. Ich lieb allein zurück.

 

Levantin

„Papá.“

Ich drehte meinen Kopf weg. Kurz darauf spürte ich etwas an meiner Schulter. Etwas Kleines, das leichten Druck ausübte.

„Papá.“

Leise murrend zog ich mir die Decke über den Kopf. Neben mir ertönte ein Seufzen.

„Papááá.“

Ich drehte mich wieder auf die andere Seite, zog die Decke herab und sah in Vilijas Gesicht. „Ja?“

„Warum hast du hier auf der Couch geschlafen?“

Auf der Couch?

Ich sah mich müde um, setzte mich langsam auf und rieb mir über die Wange. Dann stellte ich fest, dass ich tatsächlich im Wohnzimmer auf der Couch war.

Wie komm ich denn...

Dann fiel es mir wieder ein. Ich stöhnte leise und ließ mich wieder auf die Couch fallen. „Ich war böse.“, meinte ich dann, „Ich war ganz ganz böse. Und ich wollte deine Mutter nicht wütend machen. Also habe ich hier geschlafen.“

Sie schwieg einen Moment und sah auf ihre Hände herab. Dann sah sie mich wieder an. „Mamá sagte, ich darf es dir nicht sagen, aber sie weint ganz fürchterlich. Weint sie, weil du so böse warst?“

Ich nickte langsam. „Ja. Ich habe etwas Schreckliches getan und sie damit sehr verletzt.“

„Kannst du nicht zu Mamá gehen und sie wieder glücklich machen? Vielleicht tut es ihr nicht mehr so sehr weh, wenn du dich entschuldigst.“

Ich sah meine Tochter lange an, bevor ich mich hinsetzte und sie auf meinen Schoß zog. „Weißt du, manchmal tut man Menschen so sehr weh, dass man es nicht mehr gut machen kann. Eine Entschuldigung reicht dann nicht mehr. Und ich habe deiner Mutter wirklich sehr wehgetan. Ich befürchte, dass sie jetzt immer böse auf mich sein wird.“

„Warst du so böse?“, wollte Vilija wissen und sah zu mir auf.

Ich nickte. „Ja.“

„Was hast du denn gemacht?“

Schweigend überlegte ich, wie ich es ihr wohl erklären sollte. Sie sah zu mir auf und wartete geduldig auf eine Antwort. Letzten Endes nahm ich sie fest in die Arme und wickelte sie mit in die Decke ein. „Es hat damit angefangen, dass ich mit einem Freund weg war. Wir haben etwas getrunken, das nicht gut für uns war. Eine Frau hat sich zu uns gesetzt und uns noch mehr davon gekauft. Wir konnten nicht mehr richtig denken und haben sogar vergessen was an dem Abend noch passiert ist.“ Vilija zog die Brauen zusammen und hörte aufmerksam zu. „Als ich wieder aufgewacht bin, wusste ich nicht wo ich bin. Dann kam die Frau ins Zimmer und hat meine Sachen angehabt.“

„Deine Sachen?“, fragte sie nach.

Ich nickte. „Ja. Wie Mamá es manchmal tut.“ Vilija schlug die Hand vor den Mund, woraufhin ich nickte. „Die Frau und ich haben etwas sehr schlimmes getan. Und deshalb ist deine Mutter wütend und traurig.“

„Aber du konntest doch nicht richtig denken.“

Ich lächelte matt und streichelte ihr über den Schopf. „Das mag zwar sein, meine Kleine, aber es tut Mamytė trotzdem sehr weh.“

„Oh.“

Ich küsste sie auf den Schopf und stand mit ihr auf. „Hast du schon gefrühstückt?“

Sie schüttelte den Kopf. „Mamma ist noch nicht aufgestanden.“

Mit ihr auf dem Arm ging ich in die Küche und machte ihr etwas zu essen, bevor ich nach oben ging. Natürlich nicht, ohne mich vorher zu vergewissern, dass Vilija sich nicht aus Versehen wehtun würde.

Ich hörte Violeta bereits ein paar Meter vor der Schlafzimmertür. Es schmerzte sie weinen zu hören. Zaghaft betrat ich das Schlafzimmer und sah sie quer auf dem Bett liegen, das Gesicht im Kissen vergraben. Die Decke lag auf dem Boden, die Jalousien waren herunter gezogen. Ich ging langsam zu ihr herüber und setzte mich auf die Matratze.

„Violeta.“, hob ich vorsichtig an.

Sie reagierte nicht.

„Es tut mir Leid. Wenn ich könnte, würde ich es sofort rückgängig machen.“, fuhr ich fort, woraufhin sie weiter weinte. „Violeta, ich ertrage es nicht, dich so zu sehen. Es tut mir in der Seele weh.“

Zaghaft berührte ich sie am Rücken. Als sie weiterhin nicht reagierte rückte ich vorsichtig näher an sie heran und zog sie langsam in meine Arme. Sie legte fest die Arme um mich und verbarg ihr Gesicht an meiner Brust, während ich sie auf den Schopf küsste und ihr über den Rücken streichelte.

„Warum?“, fragte sie weinend, „Warum musste das passieren?“

 

Violeta

Ich brauchte nur eine halbe Stunde in seinen Armen, um mich wieder zu beruhigen. Nun lehnte ich mich schweigend an ihn und hoffte, dass meine Kopfschmerzen bald verschwanden.

„Verzeihst du mir?“, fragte Levin zaghaft.

„Wie könnte ich dir nicht verzeihen?“, gab ich zurück.

Als Antwort küsste er mich aufs Ohr und lehnte seine Wange an meinem Schopf. Irgendwann seufzte er leise, küsste mich auf die Stirn und ließ mich langsam los.

„Vilija hat sicher schon zu Ende gefrühstückt.“, murmelte er dabei und stand auf, um zum Kleiderschrank zu gehen, da er sich anziehen wollte. „Was ist mit Tevin?“

Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen was er gefragt hatte. Die lange Zeit ohne ihn und sein beinahe nackter Körper war keine gute Kombination, wenn ich richtig denken sollte.

„Violeta?“ Er sah zu mir herüber, als ich nicht antwortete und hob eine Braue.

Ich merkte, wie ich den Mund öffnete, sagte jedoch nichts. Stattdessen ließ ich meinen Blick über seinen Rücken, hinab über seine Shorts und zu seinen Beinen wandern. Als er sich zu mir umdrehte, um zu mir herüber zu gehen, sah ich weiter hinauf, auf seinen Bauch. Wie hatte ich diesen Bauch vermisst! Mein Blick rutschte etwas höher.

Würde ich es nicht schon tun, hätte ich mich jetzt in ihn verliebt. Oder spätestens jetzt, als ich in sein Gesicht sah.

„Liebling, alles okay?“ Er sah etwas besorgt aus, als er sich zu mir herab beugte.

Blinzelnd sah ich ihm entgegen. „Ich hab dich nur so vermisst.“, nuschelte ich leise und spürte wie ich rot wurde, als sein Hals meinen Blick anzog.

„Sonst warst du doch nie so.“, bemerkte er verwirrt.

Ich konnte nicht anders. Von meinen Bedürfnissen getrieben hob ich die Hand und zog ihn an mich, um ihn zu küssen. Er begann zu lächeln und erwiderte den Kuss, jedoch nicht so, wie ich es am liebsten gehabt hätte.

„Du hast sicher noch nicht gefrühstückt. Und Vilija ist jetzt seit mindestens einer halben Stunde allein.“, murmelte er, als er sich langsam von mir löste.

Ich seufzte leise und ließ es zu, woraufhin er mich nochmal anlächelte und dann erneut zum Schrank ging, um sich anzuziehen. Leise vor mich hin seufzend sah ich ihm dabei zu und rieb mir über das Schlüsselbein, als er sich fertig angezogen zu mir umdrehte. Er folgte mit seinem Blick kurz meiner Hand, sah mir dann aber ins Gesicht.

„Soll ich dir dein Frühstück ans Bett bringen? Oder möchtest du es lieber im Wohnzimmer bei einem kleinen Film essen?“, wollte er wissen.

Ich sah ihn überrascht an. Dann dachte ich kurz darüber nach. „Im Wohnzimmer klingt angenehm.“, antwortete ich dann.

Er schmunzelte, kam zu mir herüber, um mich zu küssen und flüsterte mir dann zu, ich solle mich dann besser anziehen, bevor er mich erneut küsste und das Zimmer verließ. Lange atmete ich aus und stand auf, um mich anzuziehen.

Als ich in die Küche ging, stand Levin am Herd und briet etwas in der Pfanne, während Vilija mit Tevin am Tisch saß und etwas spielte. Ich wollte gerade zu ihm herüber gehen, als es an der Tür klingelte. Ich warf Levin noch einen kurzen Blick zu, während er sich bereits umgedreht hatte, um zu öffnen, als er mich sah. Ich lächelte ihn matt an und ging dann an die Tür. Dort blinzelte ich ein paar Mal, bis ich die Frau vor mir erkannte.

„Victoria.“, kam es überrascht über meine Lippen.

Sie lächelte mich an, kam einen Schritt auf mich zu und nahm mich in die Arme. „Hallo Letty.“ Ich stand wie erstarrt da und rührte mich nicht. „Es tut mir so leid, was damals passiert ist. Ich weiß, ich habe es schon so oft gesagt, aber ich kann es einfach nicht oft genug sagen.“ Sie drückte mich etwas fester, woraufhin ich langsam die Arme hob, um sie ebenfalls um sie zu legen. „Ich hätte dich damals begleiten sollen. Dann wäre das nicht passiert.“

„Wie... Woher...“ Mir fehlten die Worte. Sie war die Freundin, bei der ich war, bevor ich vergewaltigt wurde. Man hätte sie als meine beste Freundin bezeichnen können.

„Du hast dich nie gemeldet. Also dachte ich, ich frage einfach mal das Internet. Und siehe da.“ Sie löste sich von mir und betrachtete mich. „Da steht sie nun. Wunderschön, wie immer.“

Ich schluckte. Dann schüttelte ich kurz den Kopf. „Komm rein. Ich möchte dir jemanden vorstellen. Ich muss dir vieles erzählen. Ich wünschte, ich hätte dich damals besser behandelt.“

Sie lächelte schräg und rieb sich über den Kiefer. „Es hat zwar ganz schön wehgetan, aber wenigstens habe ich aufgehört mir die Schuld dafür zu geben, nicht wahr?“

Ich lachte leise und winkte sie herein, woraufhin sie das Haus betrat. Sofort blieb sie wieder überrascht stehen, da Vilija mit Tevin durch den Flur ins Wohnzimmer rannte.

„Vilija, im Haus wird nicht gerannt!“, rief Levin aus der Küche und kam an die Küchentür, „Das müsste die Kleine doch schon gelernt haben.“, murmelte er dann auf litauisch vor sich hin.

Dann fiel sein Blick auf mich und Victoria. Ich lächelte ihn an, woraufhin er fragend eine Braue hob.

„Victoria, das ist Levantin. Mein Verlobter.“, stellte ich ihn vor.

Er seufzte. „Ich hasse es, wenn du das sagst. Wenn es nach mir ginge, wären wir schon verheiratet.“

Ich rollte mit den Augen. „Das Thema hatten wir schon.“

„Ja. Etwa fünfundzwanzig Mal.“

„Und wir sind jedes Mal zu dem Entschluss gekommen, dass wir es uns noch nicht leisten können.“

Nun rollte er mit den Augen und reichte Victoria die Hand. „Freut mich Sie kennen zu lernen.“

„Mich umso mehr.“, gab sie zurück.

„Victoria ging mit mir in eine Klasse.“, erklärte ich und führte sie in die Küche, wo Levin sich daran machte weiter zu kochen.

„Wir waren Freunde, Letty.“, ergänzte Victoria.

Ich nickte leicht lächelnd. Levin sah neugierig zu ihr herüber.

„Ich dachte, du hattest keine Freund.“, erinnerte er sich verwirrt, „Das waren deine Worte.“

„Wenn es nach ihr ginge, hätte sie auch nie welche gehabt.“, bemerkte meine Freundin und setzte sich mit mir an den Esstisch. „Für mich war sie immer meine allerbeste Freundin. Dann habe ich mich selbst degradiert.“

„Du hast keine Schuld, Tori.“, erinnerte ich sie.

„Ich weiß, ich weiß. Aber ich hätte dir wenigstens Andrew mitschicken sollen.“

Ich seufzte. „Ich bitte dich. Der wäre damit beschäftigt gewesen irgendein Mädchen anzuflirten.“

Ihr Mundwinkel zuckte.

„Wie geht es ihm?“

Ihre Antwort war ein tiefes Seufzen. „Ich weiß es nicht. Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen.“

Ich zog die Brauen zusammen. „Was ist passiert?“

Levin konzentrierte sich bereits wieder auf das Frühstück.

„Das ist eine lange Geschichte.“, meinte Victoria trübselig.

„Ich habe Zeit.“

„Er hat mich verlassen.“

Ich wartete, aber mehr sagte sie nicht. „Das war's? Ich dachte, es wäre eine lange Geschichte.“

Sie winkte ab. „Zurück zu dir. Wer waren diese süßen Kinder? Das Mädchen sieht wirklich goldig aus.“

Ich lächelte. „Sie heiß Vilija. Meine Tochter.“

„Deine Tochter?“ Sie sah mich überrascht an. „Du bist doch erst 22. Wie alt ist die Kleine?“

„Fünf Jahre.“

Sie starrte mich an. „Und der Junge?“

„Er heißt Tevin. Das ist kompliziert. Er ist jetzt... ich glaube sechs Jahre alt.“

„Glaubst du? Ist er nicht dein Kind?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Er... also, Levin ist Litauer und deshalb ist er geschäftlich mal für ein paar Wochen in Litauen. Gestern kam er von einer vierwöchigen Geschäftsreise zurück und ich holte ihn mit Vilija von Flughafen ab.“ Ich zögerte etwas. „Wir haben Tevin dort gefunden. Naja, er hat mich und Vilija gefunden. Er sagt, seine Mutter habe ihn morgens dort gelassen und er solle auf seinen Onkel warten, der extra aus Rumänien kommen sollte. Sie brachte ihn dort hin noch bevor die Sonne aufgegangen war und ließ ihn allein. Als ich am Flughafen war, war es bereits so spät, dass die Sonne wieder untergegangen ist. Und da war kein Onkel aus Rumänien, geschweige denn ein Flugzeug.“

„Und da habt ihr ihn solange aufgenommen?“

Ich nickte. „Ja.“

„Ich habe eben übrigens bei der Polizei angerufen und gesagt, dass wir ihn gefunden haben. Wenn ihn jemand als vermisst meldet, melden sie sich bei uns.“, erklärte Levin vom Herd und holte Teller aus dem Oberschrank.

„Haben die noch etwas gesagt?“, wollte ich wissen.

„Nein. Wenn sich keiner meldet, werde ich in drei Tagen noch einmal anrufen.“

Victoria beobachtete ihn lächelnd und lehnte sich zu mir herüber. „Ein wirklich sehr hübscher Mann.“, meinte sie halblaut, „Litauer sagst du?“

Ich nickte. „Ja.“, antwortete ich und biss mir leicht auf die Unterlippe, während ich ihm dabei zusah, wie er den Inhalt der Bratpfanne auf die Teller verteilte.

Da Tori und ich plötzlich so still geworden waren, sah Levin zu uns herüber und ertappte uns dabei, wie wir ihn beobachteten.

„Was ist?“, wollte er unsicher wissen und sah zwischen uns hin und her.

Ich lächelte ihn an. „Nichts. Ich liebe es nur, dich anzusehen.“

Er erwiderte das Lächeln, nahm die Teller und kam zu uns herüber. Nachdem er sie auf den einzelnen Plätzen verteilt hatte – es waren drei – küsste er mich liebevoll auf den Mund und setzte sich auf den freien Platz neben mir. Ich sah auf das wunderbar duftende Frühstück und hätte beinahe vor Wonne gestöhnt. Ich wusste nicht, was es war und mir würde nicht einmal im Traum einfallen nachzufragen, aber es roch einfach fantastisch. Und es schmeckte noch besser.

„Er sieht gut aus und kochen kann er auch.“, bemerkte Victoria wenig später. Unwillkürlich lächelte ich. „Gibt es noch etwas, dass ich über ihn wissen muss?“, fragte sie dann neugierig.

„Er ist liebevoll, charmant, wahnsinnig süß-“

„Mėgstamas, wenn du mich süß nennst, fühle ich mich wie ein Muffin.“, unterbrach Levin mich amüsiert.

Tori fing an zu lachen. „Humor hat er auch.“

Ich lächelte belustigt. „Ja, den hat er. Außerdem kann er gut küssen. Sehr gut. Ich weiß nicht, das hört sich nicht richtig an. Mir fällt kein passendes Wort ein. Er ist aufmerksam und ein wundervoller Vater.“

Levin brummte neben mir. „Du fängst an zu übertreiben.“

„Außerdem ist er ein bisschen arrogant, selbstsüchtig und überaus... setreunerhaft.“

Ich spürte, wie er mich ansah, erwiderte jedoch Victorias belustigten Blick.

„Streunerhaft?“, hakte sie nach.

„Fängt das schon wieder an.“, murmelte er leise auf litauisch.

„Ja.“, gab ich zurück, „Du weißt schon. Diese Hunde, die kein Zuhause haben.“

Sie brach in Gelächter aus.

„Darüber werde ich später noch mit dir reden müssen.“, ermahnte mich mein furchtbar süßer Streuner.

„Ich liebe diese Tiere.“, meinte Victoria, „Sie tun mir so furchtbar leid. Und sie sind überaus niedlich.“ Sie kratzte den letzten Rest ihres Frühstücks zusammen.

„Levin ist mehr als das. Er ist... unbeschreiblich. Und ich liebe ihn so wie er ist. Mit allen Ecken und Kanten.“

Unmittelbar nachdem ich das gesagt hatte, zog mich Levin auch schon zu sich heran, vergrub sein Gesicht an meinem Hals und saugte an meiner Haut.

„Levantin!“, rief ich aus und konnte mir das Lächeln nicht verkneifen. Dieses hielt jedoch nicht mehr lange, da er mich, nachdem er mit dem Knutschfleck fertig war, noch enger an sich zog und küsste. Sofort konnte ich an nichts mehr anderes denken, als an ihn. Als er sich von mir löste, konnte ich nicht ganz klar denken und sah nur sprachlos zu ihm herauf.

„Das war für das streunerhaft.“, meinte er und stand auf, um abzuräumen.

„Er ist heiß.“, bemerkte Victoria leise, „Du hast da wirklich einen Wahnsinns Mann am Haken. Heirate ihn, bevor eine andere ihn dir wegschnappt und dich mit deiner Tochter allein lässt.“

Ich brauchte einen Moment um zu antworten. „Das würde er nie tun.“

Als ein Handy klingelte, sah ich überrascht zu Tori, die bereits ihres aus der Hosentasche holte. Sie sah kurz auf das Display, stand auf und verließ die Küche. Ich ging daraufhin zu Levin, der gerade die Spülmaschine schloss und lehnte mich an ihn, als er mich an sich zog. Er küsste mich erst auf die Stirn, bevor er mir in die Augen sah und auf den Mund küsste. Er murmelte etwas auf litauisch vor sich hin und küsste mich erneut. Und nochmal und nochmal. Er küsste mich immer weiter und legte irgendwann seine Hände auf meine Kehrseite. Ich musste mir ein Lächeln verkneifen, als er mich enger an sich zog, sodass unsere Hüften sich berührten. Da er damit offenbar erreicht hatte, was er mit den Händen dort tun wollte, legte er mir eine Hand in den Nacken und zog mich dort an sich. Meine eigenen Hände waren damit beschäftigt, seine Brust und seinen Hals zu streicheln. Ich wusste ganz genau, was passiert wäre, wenn wir weiter gemacht hätten, doch ein Räuspern hinter mir ließ mich zusammen zucken, bevor ich mich von Levin löste, der davon alles andere als begeistert war. Er knurrte leise, als ich mich zu Tori umdrehte, zog mich wieder an sich, legte von hinten die Arme um mich und küsste meinen Hals.

„Ich störe nur ungern, aber auch nicht lange.“, bemerkte Victoria leicht lächelnd, „Das war gerade ein Arbeitskollege. Es gibt ein Problem und ich muss dahin. Ich wäre gern noch länger geblieben, aber ich muss leider los.“

„Du kannst jeder Zeit wieder kommen.“, versicherte ich ihr und versuchte Levins Arme von meiner Taille zu nehmen. „Levin, darf ich bitte Victoria zur Tür bringen?“

„Ich bin mir sicher, sie findet auch allein dahin.“, murmelte er, „Warst du es nicht, die heute Morgen sagte, sie hätte mich vermisst?“

Ich spürte, wie ich rot wurde, als Victoria in sich hinein grinste.

„Lass nur. Ich finde die Tür auch allein.“, meinte sie amüsiert, „Ich komme einfach nochmal her, wenn ich Zeit finde.“

Sie winkte noch kurz, bevor sie die Küche verließ. Gerade als Levin mich wieder umdrehen wollte, erschien Vilija in der Küchentür.

„Mamytė, dürfen wir in den Garten?“, fragte sie lieb und sah mich bittend an.

Ich lächelte sie an. „Natürlich. Ich komme auch gleich.“

„Danke!“, rief sie daraufhin aus und eilte davon.

Levin murrte missgelaunt und küsste mich aufs Ohr.

„Heute Abend haben wir genug Zeit.“, beschwichtigte ich ihn und küsste ihn auf die Wange, bevor ich mich von ihm löste und Vilija in den Garten folgte.

 

Seit zweieinhalb Stunden sah ich Vilija und Tevin nun beim spielen zu. Sie wurden einfach nicht müde. Ich sah auf die Uhr.

Irgendwann müssen sie ja ihr Mittagsschlaf halten, dachte ich mir und merkte, wie meine Gedanken prompt weiter zu Levin wanderten.

Eine halbe Stunde später gähnten Vilija und Tevin und kamen zu mir herüber.

„Ich bin müde, Mamá.“, meinte Vilija und lehnte sich an mich, als ich sie in die Arme nahm.

„Ich bin auch müde.“, fügte Tevin hinzu.

Ich zog ihn ebenfalls zu mir und streichelte beiden den Rücken. „Zeit für das Mittagsschläfen?“

„Ja!“, rief Vilija begeistert aus.

„Ich will auch!“, stimmte Tevin mit ein.

Leicht lächelnd stand ich auf, nahm die beiden an die Hand und ging mit ihnen herein. „Dann bringe ich euch zwei jetzt ins Bett.“

Die Beiden folgten mir brav die Treppe hinauf und gingen sogar voraus ins Bett. Ich musste nur fünf Minuten warten, bis sie schliefen. Nachdem ich mir ganz sicher war, dass sie tief und fest schliefen, verließ ich leise das Zimmer und ging ins Schlafzimmer. Zehn Sekunden später hörte ich Levin auf der Treppe. Ich lächelte leicht und begann mich auszuziehen. Als Levantin herein kam, zog er sich bereits das T-Shirt aus. Auf den letzten Metern riss er sich Schuhe, Socken und Hose von den Beinen und zog mich in seine Arme.

„Gott, ich habe dich so vermisst.“, meinte er an meinem Mund und schob mich zum Bett.

Alte Bekanntschaft

Drei Tage später saß ich in der Küche und schrieb eine Einkaufsliste. Vilija und Tevin waren mit Levantin auf einem Spielplatz, der eine Viertelstunde entfernt war, damit ich Zeit hatte, das Haus zu putzen und die Einkäufe zu erledigen.

Als ich die Klingel hörte, zog ich verwundert die Brauen zusammen. Entweder war Levin früher wieder da, oder es kam unerwarteter Besuch. Ich hoffte, es war einfach nur ein Paket oder ähnliches. Der Kühlschrank war fast leer. Und Tevin brauchte unbedingt etwas zum Anziehen.

Levin hatte heute Morgen bei der Polizei angerufen, um sich danach zu erkundigen, ob man Tevin vermisst. Außerdem hat man nach seiner Mutter gesucht. Ohne Erfolg. Es gab weder eine Vermisstenanzeige, noch eine Spur, wo sich die Mutter aufhalten könnte.

Ich stand auf und ging an die Tür, die ich mit einem Seufzen öffnete. Als ich sah, wer dahinter stand, blieb ich wie erstarrt stehen. Mein Herz begann sofort zu rasen. Angst schnürte mir den Hals zu. Er verlor keine Zeit und kam rein. Ich wich sofort zurück und stieß dabei an eine Vase, die auf der Kommode neben der Wohnzimmertür stand. Sie fiel mit einem Klirren zu Boden.

„Es freut mich dich wiederzusehen.“, meinte er mit einem dreckigen Grinsen, während er auf mich zuging. „Wie geht’s deiner Tochter?“

„Verschwinde.“, brachte ich mit einem Keuchen hervor.

Er lachte leise und blieb direkt vor mir stehen. „Ich habe noch viel vor mit dir.“

Ich schluckte hart. Im nächsten Moment rannte ich bereits ins Wohnzimmer. Er war direkt hinter mir und warf sich auf mich. Wir landeten auf der Couch, die bei der Wucht des Aufpralls umkippte. Ein Beistelltisch wurde mitgerissen. Ich drehte mich auf den Bauch und versuchte unter ihm wegzurobben, doch er zog mich grob zurück und drehte mich wieder auf den Rücken.

„Jetzt sei ein braves Mädchen und sei leise.“

Ich begann zu flehen.

 

Levantin

Es war recht spät, als ich mit Vilija und Tevin nachhause ging. Ich hatte versucht so viel Zeit wie möglich mit den Kindern auf dem Spielplatz zu verbringen, damit Violeta genug Zeit hatte. Doch irgendwas lag mir schwer im Magen. Ich wusste nur nicht, was es war.

„Papá?“

Ich sah zu Vilija herab. „Ja, meine Kleine?“

„Kauft Mamá auch diese tollen Schokoladenkekse?“, fragte sie mich großen Augen.

Ich lächelte schräg. „Ich weiß es nicht.“

Als ich wieder nach vorn sah, zog ich verwirrt die Brauen zusammen. Die Haustür stand auf. Und zwar weit. Ich zögerte etwas, bevor ich zu Vilija und Tevin herab sah.

„Vilija, wie wäre es, wenn du noch ein bisschen nach neben an gehst und Tevin deine Freundin vorstellst?“, schlug ich vor.

Sie lächelte zu mir hinauf. „Ich darf allein hingehen?“

Ich nickte, woraufhin sie begann zu strahlen und versuchte mich in die Arme zu nehmen, was ihr jedoch ein bisschen schwer fiel, das sie zu klein war. Deshalb schlang sie die Arme um meine Hüfte und rief: „Danke Papá!“ Dann wand sie sich an Tevin. „Komm Tev!“

„Ich hol euch später ab.“, rief ich ihr hinterher, als sie mit ihm nach nebenan lief.

Sie winkte noch und eilte dann die Auffahrt zu Miss Duncans Haustür hinauf. Ich blieb an unserem Gartenzaun stehen und wartete, bis Miss Duncan öffnete. Sie lächelte, als sie Vilija sah und sah sich kurz um. Als ich ihr zuwinkte, nickte sie, winkte kurz zurück und ließ die Beiden dann hinein. Erst als sie die Tür geschlossen hatte, betrat ich unser Grundstück und ging eilig hinein. Ich schloss die Tür hinter mir und sah als erstes die zerbrochene Vase. Es war ein Geschenk von Jole.

„Violeta?“, rief ich zaghaft.

Als keine Antwort kam, schluckte ich und ging in die Küche. Der Einkaufszettel lag auf dem Tisch. Als ich näher kam, sah ich, dass er ganz offensichtlich noch nicht zu Ende geschrieben wurde. Ein Wort wurde zwar angefangen, doch Violeta hatte mitten drinnen aufgehört zu schreiben. Kein gutes Zeichen.

Mit einem mulmigen Gefühl ging ich durch den Flur hinüber ins Wohnzimmer. Sowohl Couch, als auch Beistelltisch waren umgestürzt. Als ich näher heran ging, sah ich auf dem Boden einige Tropfen Blut. Mein Herz setzte ein Schlag aus.

„Violeta!“, rief ich erneut und begann sie zu suchen.

Einige Tropfen führten weg. Als ich ihnen folgte, landete ich wieder im Flur. Ich rief erneut nach Violeta. Es blieb still. Als ich dem Blut weiter folgte, führte sie mich die Treppe hinauf und zum Schlafzimmer. Ich blieb neben der Tür einen Augenblick lang stehen. Dann ging ich hinein und wäre beinahe zusammen gebrochen, als ich sie regungslos und mit geschlossenen Augen im Bett liegen sah.

Ich eilte zu ihr herüber und suchte ihren Puls. „Bitte Gott, lass es ihr gut gehen.“, bat ich leise auf litauisch und fand den Puls an ihrem Hals. Ohne Zeit zu verlieren hielt ich mein Ohr an ihrem Mund. Sie atmete. Dann zog ich langsam die Decke beiseite. Es zerriss mir beinahe das Herz. Ihr Oberteil war zerrissen, ihr Bauch blau. Ihr Arm war blutverschmiert, wies jedoch keine Verletzung auf. Ihre andere Hand umklammerte sie einen Kugelschreiber. Getränkt mit Blut. Ich zog vorsichtig die Decke weiter hinunter und sank in die Knie. Sie hatte einen Rock getragen und er hatte einen Riss. Unterwäsche konnte ich nicht sehen. Ich kniete noch etwa fünf Sekunden an ihrem Bett. Dann sank ich darauf hinab und brach in Tränen aus.

 

Violeta

Ein seltsames Geräusch riss mich aus meiner Ohnmacht. Das erste, das ich bemerkte, war eine Hand, die mein Handgelenk festhielt. Ich versteifte mich sofort. Dann hörte ich ein ersticktes, gedämpftes Schluchzen. Ich hatte es noch nie gehört. Als ich meine Augen öffnete, erblickte ich Levins blonden Schopf und entspannte mich wieder. Schwach hob ich meine freie Hand und berührte seine Haare. Er ließ es einen Moment geschehen, hob dann aber den Kopf und sah zu mir auf. Ich legte ihm die Hand an die von Tränen feuchte Wange, woraufhin er seine Augen schloss, seine Hand auf meine legte und einen Kuss in die Handfläche drückte.

„Ich hatte solche Angst um dich.“, meinte er leise und sah mich gequält an. „Als ich das Blut sah...“ Er schloss leidend die Augen und verzog sein Gesicht. „Ich dachte dir wäre etwas... ich dachte du wärst... Ich dachte-“ Er unterbrach sich selbst und stützte seine Stirn in seine Hand.

Ich schluckte leicht.

„Was ist passiert? Violeta, sag mir bitte was passiert ist.“, flehte er und vergrub sein Gesicht in seinen Händen.

Ich brauchte einen Moment, bis ich verstand, was er meinte. „Levin.“, meinte ich heiser.

Er sah mit verweintem Gesicht zu mir auf.

„Halte mich bitte. Halte mich fest.“

Er stand sofort auf, warf sich beinahe zu mir ins Bett und drückte mich an sich, wobei er mich wieder und wieder auf den Schopf küsste. Kurz darauf brach er wieder in Tränen aus und vergrub sein Gesicht in meinem Haar. Als ich seine Hände nehmen wollte, viel mir auf, dass ich etwas in der Hand hielt, woraufhin ich hinab sah und einen blutverschmierten Kugelschreiber in meiner Hand vorfand.

Ich erinnerte mich daran. Er hatte auf dem Beistelltisch gelegen, der umgestürzt war. Als ich vor Angst beinahe nicht mehr weiter wusste, hatte ich ihn genommen und damit auf den Hals des Vergewaltigers eingestochen. Er hatte geschrien und hatte meine Hand von seinem Hals gerissen. Ich hatte den Kugelschreiber nicht losgelassen. Nicht einmal, als er aufstand und aus dem Haus stürmte. Auch nicht, als ich mich durch Wohnzimmer und Flur schleppte. Oder als ich die Treppe hinauf kroch. Und ins Schlafzimmer. Der Schmerz hatte mich gepeinigt. Und die Angst gab mir Kraft. Im Bett kam dann die heiß ersehnte Ohnmacht.

Ich erzählte es Levantin. Alles. Vom Anfang in der Küche, bis zum Ende im Schlafzimmer und ließ dabei kein Detail aus. Bei der Beschreibung wie er mich missbrauchte, verzog Levin gequält das Gesicht, sah mir jedoch die ganze Zeit in die Augen. Als ich endete, wischte er mir dann die Tränen aus dem Gesicht und drückte mich wieder an sich. Irgendwann stand er dann plötzlich auf, hob mich aus dem Bett und trug mich ins Badezimmer. Dort setzte er mich auf der Theke ab und ließ Wasser in die Badewanne laufen. Dann wand er sich an mich, verzog das Gesicht und zog mich vorsichtig unter Tränen aus. Als er meinen Bauch und meine Brust sah, ließ er abrupt von mir ab, kniff die Augen zu und wand sich ab. Er hatte mich geschlagen. Immer wieder. Ich konnte mir vorstellen, dass es ziemlich schlimm aussah.

Nach etwa zehn Minuten hatte Levin sich wieder unter Kontrolle und zog mich weiter aus. Diesmal noch vorsichtiger als zuvor. Er löste sich schließlich kurz von mir, um das Wasser abzustellen und hob mich dann hoch. Als wäre ich aus hauchdünnem Glas, legte er mich sanft ins Wasser und holte einen Schwamm aus dem Schrank. Er wusch mich gründlich und war dabei so zärtlich, dass es nicht ein einziges Mal auch nur annähernd wehtat. Anschließend wusch er mir das Haar und saß danach einfach neben der Badewanne. Wann immer es ging, hatte ich ihm ins Gesicht gesehen.

Keiner von uns sagte ein Wort. Nach einer weiteren halben Stunde hob er mich aus dem Wasser und trocknete mich gründlich ab. Dann wickelte er mich ins Handtuch und trug mich ins Schlafzimmer, wo er mir etwas anzog. Unterwäsche und ein Nachthemd. Schließlich kämmte, föhnte und bürstete er mir sogar das Haar. Zu guter Letzt legte er mich ins Bett und deckte mich zu. Er küsste mich auf die Stirn und erhob sich.

„Ich werde jetzt unten aufräumen. Dann holte ich Vilija und Tevin. Sie sind nebenan bei Miss Duncan.“, erklärte er leise. Er hörte sich schrecklich an. „Sobald sie im Bett sind komme ich wieder. Bleib hier liegen und ruh dich aus.“

Ich nickte müde, woraufhin er aufstand und das Zimmer verließ.

 

Es dauerte eine Stunde, bis Levin wieder kam. Die ganze Zeit lang konnte ich kein Auge zumachen. Erst als er zu mir ins Bett kam schaffte ich es, mich überhaupt zu entspannen. Er legte sich hinter mich, zog mich in seine Arme und küsste mich sanft auf den Nacken, bevor er sein Gesicht in meinem Schopf vergrub.

 

Mit einem Ruck und einem leisen Schrei erwachte ich am Morgen aus meinem Albtraum und sah keuchend an die gegenüberliegende Wand.

„Alles in Ordnung, Liebling?“, wollte Levin neben mir wissen und setzte sich müde auf.

Ich zuckte zusammen, als er mich berührte, doch er ließ sich davon nicht beirren und zog mich an sich. „Ich habe nur schlecht geträumt.“, antwortete ich leise.

„Schon okay.“, entgegnete er liebevoll und küsste mich auf die Wange. „Es war nur ein Traum. Leg dich wieder hin. Wir haben erst 5 Uhr, du kannst noch ein paar Stunden schlafen.“

Zaghaft sank ich mit ihm wieder ins Bett und kuschelte mich an ihn, als er mich an sich zog. Doch an Schlaf war nicht zu denken. Ich war hellwach und bekam kein Auge zu. Mit einem Blick in Levins Gesicht stand ich vom Bett auf und ging ins Bad. Dort sprang ich schnell unter die Dusche und ging wieder ins Schlafzimmer, um mich anzuziehen. Levin regte sich leise und drehte sich im Schlaf.

„Es tut mir so leid, Violeta. Ich liebe dich doch.“, murmelte er dabei.

Ich sah lange zu ihm, bevor ich dem Verlangen nachgab mich zu ihm an den Bettrand zu setzen. Vorsichtig strich ich ihm das Haar aus dem Gesicht, um es zu betrachten und lächelte, als sein Gesicht meiner Hand folgte.

„Geh nicht weg.“, murmelte er dann und drehte sich in meine Richtung, wobei er die Arme um meine Hüfte schlang.

Eine Weile blieb ich noch bei ihm sitzen, bevor ich mich langsam von ihm löste und ihm einen Kuss auf den Mund drückte. Dann zog ich mich fertig an und ging hinunter. Levantin hatte alles aufgeräumt und sauber gemacht. Abgesehen von der fehlenden Vase sah alles aus wie vorher.

Mit einem leisen Seufzen ging ich weiter in die Küche. Dort setzte ich mich an den Tisch und schrieb den Einkaufszettel zu ende, bevor ich mich daran machte Frühstück zu machen.

 

Gegen 8 Uhr hörte ich jemanden die Treppe hinunter kommen. Es stand alles Mögliche auf dem Tisch. Teller, Tassen, Besteck, Gläser, Getränke, Brot und Brötchen, Wurst und Käse, Schüsseln, falls jemand Müsli oder Cornflakes essen wollte und ich war sogar dabei Pfannkuchen und Waffeln zu machen.

„Guten Morgen, Liebling.“, flüsterte Levin, als er mich von hinten in die Arme nahm und auf den Hals küsste. „Der Frühstückstisch sieht ein bisschen voll aus, oder?“

Ich sah zum Tisch. „Ich dachte mir, dass jemand sicher Müsli oder Cornflakes essen möchte. Oder Brot... oder Brötchen.“

„Und trotzdem machst du noch... Pfannkuchen?“

„Und Waffeln.“, ergänzte ich, „Falls jemand möchte.“

„Du machst dir so viel Arbeit. Komm, stell alles wieder zurück. Die Pfannkuchen essen wir zum Frühstück und die Waffeln gibt’s dann später.“

„Aber-“

„Ist schon okay, Mėgstamas.“

Leise seufzend drehte ich mich zu ihm um und lehnte mich an ihn. „Ich muss mich irgendwie beschäftigen. Sonst muss ich immerzu daran denken.“

„Denk einfach an etwas anderes. Etwas schönes.“, erklärte er liebevoll und küsste mich kurz, „Denk an Vilija. Denk daran, wie es war, als du sie das erste Mal im Arm hattest. Als du sie das erste mal gefüttert hast. Ihre ersten Schritte, ihr erstes Wort.“

„Woran denkst du in schlechten Zeiten?“

Seine Lippen glitten über meine Ohrmuschel. „An dich. In erster Linie denke ich an dich. Nachts in Litauen... wenn ich nicht schlafen kann, dann sehe ich dich vor mir. Du lächelst mich an und sagst immerzu, Hunde würden nicht duschen. Habe das Bild vor mir, wie ich dich das erste Mal gesehen habe. Eiskalt, einen Wassertropfen am Kiefer, die Augen so hart wie Stein. Du warst so wunderschön. Ich sehe, wie du mich das erste Mal anlächelst. Damals dachte ich, mein Herz würde stehen bleiben. Ich sehe Bilder von dir, wie du unter mir liegst. Wie du neben mir schläfst. Ich sehe dein verweintes Gesicht, weil du mich so vermisst hast. Und ich sehe dich mit liebevollem Blick, wenn du mich oder Vilija ansiehst und denkst, niemand würde dich ansehen. Ich sehe dich mit Vilija auf der Schaukel spielen, auf dem Spielplatz, im Wohnzimmer, am Esstisch.“ Er lachte leise. „Am allerliebsten erinnere ich mich daran, wie ihr seelenruhig im Bett geschlafen habt. An dem Tag, an dem ich mit einem Taxi nach hause fahren musste, weil du vergessen hast mich abzuholen.“

Ich verbarg mein Gesicht an seinem Hals und atmete tief durch.

„Ich hatte Angst, dich oder Vilija zu wecken, als ich mich neben euch gelegt habe.“

„Ich erinnere mich.“, murmelte ich, „Als ich aufgewacht bin, habe ich mich gewundert wer neben mir lag.“

„Dann hast du angefangen zu weinen, als du festgestellt hast, dass ich es war.“

Auch jetzt kamen mir wieder die Tränen. „Ich liebe dich so sehr.“

„Ich liebe dich auch, Violeta. Ich liebe dich so sehr, dass es schon weh tut.“

Ich drückte einen Kuss auf seinen Hals. Dann löste ich mich langsam von ihm, da ich hörte, wie wieder jemand die Treppe hinunter kam. Es war entweder Vilija oder Tevin.

Levin küsste mich noch kurz und innig, bevor er sich langsam von mir löste und begann die Pfannkuchen zu braten. Ich begann daraufhin die überflüssigen Dinge vom Frühstückstisch zu nehmen und zurück zustellen. Unterdessen kam Vilija in die Küche und kletterte auf ihren Stuhl.

„Guten morgen Mamytė.“, begrüßte sie mich heiter.

Ich küsste sie auf die Stirn. „Guten morgen, mein Schatz.“

„Tevin kommt gleich auch. Er zieht sich gerade seine Socken an.“

„Ist in Ordnung.“

Als wenige Minuten später Tevin in die Küche kam, konnte Levin bereits die Pfannkuchen servieren und setzte sich zu uns an den Tisch.

 

Es war nun ein Monat her, dass ich vergewaltigt wurde. Ich verließ das Haus nicht und zuckte jedes Mal zusammen, wenn Levin mich berührte. Es schien ihm nichts auszumachen, bis ich sogar vor Angst und Schrecken schrie und von ihm weg sprang. Es war zwei Wochen danach und ich war abends damit beschäftigt Vilijas Spielsachen im Wohnzimmer aufzuräumen. Levin hatte sich leise an mich heran geschlichen und mich dann von hinten an sich gezogen. Einfach zum Spaß. Doch er hatte mir damit so viel Angst und Schrecken eingejagt, dass ich aufgeschrien habe und sogar zwei Meter zwischen uns brachte. Das war das erste Mal, dass er mich so verletzt angesehen hatte.

Ich war sofort wieder zu ihm gegangen, um mich zu entschuldigen, doch er schien etwas abwesend zu sein und hatte sich mit blassem Gesicht auf die Couch gesetzt. Seitdem berührte er mich deutlich seltener.

Nun stand ich in meinem Arbeitszimmer und malte an einem Bild. Es war ein Bild einer Serie, die jedoch nicht ganz so fröhlich war, wie all die anderen Bilder, die ich gemalt hatte. Diese Serie beinhaltete sehr viel Blut und Finsternis. Ich malte sogar eine Frau in vollkommener Finsternis, die blutüberströmt nach etwas griff, dass sie nie erreichen würde. Mein aktuelles Bild stellte einen Mann dar, der gerade ein blutiges Messer aus dem Bauch eines gesichtslosen Menschen zog.

„Liebling, ich gehe jetzt-“ Levin, stand in der Tür und starrte auf das Bild.

Überrascht drehte ich mich zu ihm um und lächelte ihn an. Er starrte daraufhin in mein Gesicht.

„Wohin gehst du?“, fragte ich ihn.

Sein Blick glitt wieder zu dem Bild. Kurz darauf kam er zu mir herüber und riss mich in seine Arme. Meine Farbpalette schmierte sein Hemd voll und mein Pinsel verunstaltete seine Ärmel, doch das schien ihn nicht zu interessieren. Er drückte mich einfach nur so fest an sich, wie er konnte, ohne mir weh zu tun, und drückte sein Gesicht an meinen Hals.

„Hat das bald ein Ende?“, fragte er leise, „Diese Bilder. Deine Angst. Ich vermisse dich so sehr.“

Ohne auf die Farbe zu achten, ließ ich die Palette und den Pinsel los und schlang die Arme um ihn. „Es hört auf. Das hier sollte mein letztes Bild sein. Ich habe bereits einige Interessenten, die die Serie gerne kaufen würden. Dann siehst du sie auch nicht mehr. Und wenn sie dir so sehr zusetzen, dann kann ich sie auch abdecken. Ich möchte nicht, dass du darunter leidest. Aber... es hilft mir das alles aufzumalen.“

„Ich weiß.“, nuschelte er, „Und ich verstehe das auch. Deshalb habe ich nie etwas gesagt. Es ist nur so... es macht mir Angst, dich diese Bilder malen zu sehen. Und manchmal... hast du rote Farbe im Gesicht und... ich kann es manchmal nicht von Blut unterscheiden. Ich bekomme dann so furchtbare Angst um dich.“

„Gib mir noch ein bisschen Zeit, mein Liebster.“

Er atmet noch einmal tief durch und sah dann auf. Dann wischte er mir liebevoll über die Wange, an der wohl rote Farbe klebte, küsste mich vorsichtig und sah mir lange in die Augen.

„Ich liebe dich.“, kam es ihm leise über die Lippen.

„Ich liebe dich auch.“

Er küsste mich noch einmal auf die Stirn und löste sich dann langsam von mir. „Also... ich gehe jetzt einkaufen. Brauchst du noch etwas Wichtiges?“

Ich dachte kurz nach, bevor ich ihn leicht anlächelte. „Nur einen Mann, der mich nach dem Einkauf in die Arme nimmt und mich ins Bett begleitet.“

Er lächelte leicht. „Und dort?“

Wie ein Kätzchen ging ich zu ihm und schmiegte mich an seine Brust. „Wie wäre es mit einem Glas Wein?“

„Bei Kerzenschein und mit roten Weintrauben. Alles was du willst.“

Ich grinste zu ihm hinauf. „Und Schlagsahne?“

Er grinste zurück. „Und Kirschen.“

Amüsiert lachte ich leise und kam ihm entgegen, als er mich erneut küsste.

„Beeil dich.“, murmelte ich an seinem Mund.

„Ich bin wieder da, bevor du überhaupt bemerkt hast, dass ich weg bin.“

„Dann musst du aber sehr schnell sein.“

Seine Hand legte sich auf meine Wange und er zog mich sanft an sich, um mich erneut zu küssen. „Schneller, als du mit dem Bild. Ich werde da sein, bevor du den letzten Pinselstrich getan hast.“

„Was, wenn du es nicht schaffst?“

„Nun, dann muss ich wohl bestraft werden, weil ich dich belogen habe. Und wenn ich es doch schaffe?“

„Dann werde ich meinen Mann ausreichend belohnen müssen.“

„Dafür musst du aber erst einmal einen haben. Wir sind ja nun noch verlobt.“

Ich seufzte leise. „Ja, sind wir.“

„Lass es uns ändern.“

Langsam löste ich mich von ihm. „Wir hatten das Gespräch schon. Und der Grund für unsere Entscheidung wird nicht weniger aussagekräftig, wenn du in den nächsten zehn Minuten einkaufen gehen willst.“

Er begann zu lachen, küsste mich nochmal heiß und innig und löste sich dann endgültig von mir.

„Das nächste Bild, dass du malen wirst, wird mich darstellen.“, prophezeite er lächelnd, „Dafür werde ich sorgen.“

„Geh einkaufen, Streuner.“, lachte ich und wand mich wieder an mein Bild.

„Du hast mich lange nicht mehr so genannt. Oder gelacht. Das habe ich wohl am meisten vermisst.“

„Ehrlich?“ Überrascht drehte ich mich zu ihm um, doch er war schon weg.

„Denk dir schon einmal eine Belohnung aus!“, hörte ich ihn von unten.

„Mist.“, kam es mir über die Lippen, „Er hat mich abgelenkt.“

Als ich mich umdrehte, wusste ich warum. Er hatte dem Mann einen unschönen Schnauzer verpasst.

„Levantin!“

Das letzte, was ich von ihm hörte war, wie er lachend die Autotür zuzog. Dann war ich voll und ganz damit beschäftigt den Schnurrbart zu übermalen, bevor ich mich dem Rest des Bildes widmen konnte.

 

Es war schon spät gewesen, als er losgefahren ist. Sein Einkauf dauerte wohl etwa eine Stunde und er brauchte sicher noch jeweils eine halbe Stunde hin und zurück. Das hieß, er war zwei Stunden später wieder da. Und ich war gerade dabei, dem Menschen ein Gesicht zu verpassen. Ich beeilte mich mit Malen, da Levin noch dabei war, das Auto auszuräumen. Eine Viertelstunde später hörte ich ihn auf der Treppe. Nur noch wenige Striche. Er kam langsam näher. Der Mensch, es war eine junge Frau, bekam noch braune Augen und Pupillen. Dann legte ich den Pinsel hin. Zwei Sekunden später klopfte Levin an der Tür.

„Bin wieder da.“, meldete er sich hörbar gut gelaunt.

Ich lächelte zu ihm herüber. „Das war nicht zu überhören.“

Mit einem leichten Lächeln kam er zu mir herüber und begutachtete das Bild. „Wirklich gut.“, bemerkte er.

Tatsächlich wurde ich unsicher, während er das Bild betrachtete. Dabei glitt mein Blick selbst über das Bild, damit ich auch ganz sicher war, dass es fertig war.

„Fantastisch.“, fuhr er fort und ich wägte mich bereits in Sicherheit. „Bis auf eine Kleinigkeit.“

Ich blinzelte. „Was denn?“ Verwirrt suchte ich auf dem Bild nach einem Fehler.

„Jeder soll wissen, dass du es gemalt hast, richtig?“

Nickend suchte ich weiter, fand jedoch nichts. Es war alles so, wie es sein sollte.

„Deine Signatur fehlt.“

Ich merkte, wie meine Augen eine Spur größer wurden und sah in die Ecke rechts unten. Keine Signatur. Das Bild war nicht vollständig. Frustriert stöhnte ich auf und schloss die Augen. Er lachte und zog mich in seine Arme, wobei er meinem Zusammenzucken keinerlei Beachtung schenkte.

„Nun... Ich erinnere mich daran, wie eine umwerfend schöne Frau zu mir sagte, sie bräuchte einen Mann, der sie in die Arme nimmt und ins Bett begleitet.“

Mit diesem Satz zauberte er wieder ein Lächeln in mein Gesicht, woraufhin ich mich an ihn schmiegte. „Hast du Kirschen bekommen?“

Er seufzte. „Leider nicht. Aber die hatten sehr schöne Erdbeeren.“

„Erdbeeren nasche ich noch lieber.“

Seine Augen wurden tatsächlich eine Spur dunkler. „Ich vernasche dich lieber.“

Ich kicherte und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. Dann ertönte Vilijas Stimme von der Tür.

„Mamá, bringst du Tevin und mich ins Bett?“

Ich löste mich von Levin und ging zu Vilija. „Natürlich mein Schatz.“

„Ich geh schon mal ins Schlafzimmer.“, meinte Levin und ging an mir vorbei.

Während ich Vilija in ihr Zimmer brachte, wo Tevin bereits wartete, hörte ich wie Levin noch einmal nach unten eilte. Er veranstaltete ein wenig Lärm, war jedoch schnell wieder leise. Ich dagegen legte Vilija und Tevin in ihre Betten und las ihnen noch eine kleine Geschichte vor, bevor ich leise das Zimmer verließ und hinüber ins Schlafzimmer ging. Vor der Tür hielt ich nervös inne und zögerte ein wenig. Kurz darauf öffnete ich zaghaft die Tür und hielt den Atem an.

Es war einfach wunderschön. Überall waren Kerzen und auf dem Boden und auf dem Bett waren Rosenblütenblätter. Auf dem Nachttisch standen eine Schüssel mit Sahne, eine Schüssel mit Erdbeeren, eine Flasche roter Wein und zwei Weingläser. Levin selbst zündete gerade noch eine Kerze mit einem Streichholz an und drehte sich dann zu mir um. Er lächelte mich warm an und kam zu mir herüber, um mich langsam zum Bett zu ziehen. Dort setzte er sich mit mir an die Bettkante und gab mir eines der Weingläser, in die er bereits Wein gegossen hatte.

„Auf die schönste Frau, die ich in meinem Leben je gesehen habe.“, meinte er lächelnd.

Ich dachte kurz nach. „Auf den wundervollsten Mann, der mir je begegnet ist.“

Er stieß mit mir an und trank einen Schluck. Jeder andere hätte mich jetzt wahrscheinlich geküsst, doch Levin hatte offenbar andere Pläne. Statt mich zu küssen, legte er mich sanft ins Bett und begann mich auszuziehen. Ich ließ ihn neugierig gewähren und fragte mich, was er wohl vorhatte. Als ich vollkommen nackt vor ihm lag, spürte ich, wie ich trotz der Jahre, die wir zusammen verbracht haben, rot wurde, während er mich einfach nur betrachtete.

„Im Kerzenschein bist du wunderschön.“, flüsterte er.

Ich senkte den Blick und wollte mich bereits mit meinen Händen bedecken, doch er hielt sie fest und griff nach den Schüsseln. Als ich begriff, was er vorhatte, schluckte ich kurz und stellte mich bereits auf die süßen Qualen ein, die er mir antun würde.

Gleichzeitig wurde mir das Herz ganz warm und quoll an vor Liebe zu diesem Mann.

 

Als ich langsam erwachte, drehte ich mich um, um nach Levin zu tasten. Ich seufzte daraufhin wohlig, als ich mich an ihn kuscheln konnte und seufzte erneut, als er die Arme um mich legte. Sanft küsste er mich aufs Ohr und spielte mit meinem Haar.

„Guten Morgen, mein Liebling.“, flüsterte er.

Ich murrte nur müde und verbarg mein Gesicht an seiner Brust. Erst da fiel mir auf, dass er wohl angezogen war. Stoff bedeckte seine Brust.

„Heute war Alexandra zu Besuch.“, murmelte er und knabberte an meiner Ohrmuschel. „Sie ist im zweiten Monat schwanger und möchte Luca heiraten, bevor das Kind da ist. Die Hochzeit soll in drei Wochen stattfinden. Sie hat uns eingeladen und würde sich freuen, wenn du ihre Trauzeugin werden würdest.“

Ich zog die Brauen zusammen und sah zu ihm auf. „Ich?“, hakte ich nach. Gut, wir hatten uns bereits sehr gut kennen gelernt und wir verstanden einander sehr gut, aber... „Trauzeugin? Ich weiß nicht, ob ich dafür geeignet bin. Ich meine, es gibt bestimmt jemand, der besser dafür geeignet ist.“

Er lächelte auf mich herab. „Sie findet, du seist perfekt dafür geeignet.“

Ich murrte. „Meinst du das auch?“

„Du bist eine wundervolle Frau.“, gab er zurück, „Wunderschön, intelligent, umwerfend, sexy, attraktiv, liebevoll-“

„Levin, das sind alles Gründe, mich nicht als Trauzeugin zu nehmen.“, widersprach ich.

„Und außerdem bist du die Frau die ich über alles liebe. Alexandra war schon von klein auf an davon überzeugt, dass meine Frau ihre Trauzeugin wird.“

„Aber ich bin noch gar nicht deine Frau.“

Er murrte und gab mir einen Kuss. „Darüber wollte ich auch noch mit dir sprechen. Es stört mich, jedem sagen zu müssen, wir seien noch nicht verheiratet, wenn man mich mit unserem Kind sieht. Es ist mir egal, wie viel Geld wird haben.“ Er küsste mich etwas inniger. „Vergiss unsere Finanzen.“ Seine Hand glitt von meiner Hüfte über meinen Rücken. „Ich möchte dich heiraten, weil ich dich liebe, nicht weil wir es uns leisten können.“ Er drehte mich langsam auf den Rücken, wobei er sich über mich schob. „Außerdem hat es auch so seine Vorteile, wie du weißt.“

„Vorteile, ja?“, hakte ich nach.

„Ja.“, entgegnete er und küsste mich leidenschaftlich. „Dann sieht dein Vater mich sicher nicht mehr so böse an, wenn ich sage, dass wir noch keine Hochzeit planen.“

Ich kicherte leise, woraufhin er mich anlächelte. „Du bist verrückt. Er sieht dich gar nicht böse an.“

„Doch. Er guckt immer mit diesem furchteinflößenden Blick. Als wolle er mir sagen, ich solle dich endlich heiraten, damit ich dich richtig glücklich machen kann.“

„Du machst mich glücklich.“, widersprach ich, „Und dafür brauche ich keine Hochzeit.“

„Aber ich weiß, dass du dir eine wünschst. Jeden Tag höre ich dich seufzen. Du siehst ständig auf deine rechte Hand und du siehst den Verlobungsring mit einem traurigen Blick an. Violeta, ich liebe dich von ganzem Herzen. Heirate mich. Werde meine Frau. Ich ertrage es nicht länger, dich als meine Verlobte zu bezeichnen. Ich möchte dich meine Frau nennen können. Ich möchte, dass du endlich ein richtiger Teil meiner Familie wirst.“

Ich legte ihm die Hand in den Nacken, als er mich erneut küsste und streichelte ihm mit der anderen über die Wange. „Ich habe manchmal das Gefühl, dass deine Mutter mich nicht mag.“, murmelte ich.

„Sie kann es kaum abwarten, dass ich ihr sage, dass wir endlich heiraten.“, widersprach er an meinem Mund, „Sie möchte uns endlich vor dem Altar sehen. Und ich möchte dich endlich in weiß sehen.“

„Aber das kostet so viel und wir haben nicht so viel Zeit-“

Er unterbrach mich mit einem Kuss. „Vergiss das ganze. Ich mache Überstunden und engagiere einen Hochzeitsplaner.“

„Aber Levantin.“

Er küsste mich erneut. „Kein aber. Das wird alles kein Problem sein. Die Flitterwochen können wir in Italien machen. Oder in Frankreich, wo du willst. Die Kinder können wir bei meinen Eltern lassen. Falls etwas passiert, haben sie unsere Nummern. Sie würden sich freuen die beiden für eine Weile bei sich zu haben. Und mein kleiner Bruder würde sich auch freuen. Es gibt nichts worum du dich kümmern musst. Es läuft alles ganz von allein. Du kannst dich weiterhin deinem Alltag widmen, du kannst arbeiten gehen, du kannst malen und dich mit Freunden treffen.“ Sein Mund wanderte über meinen Hals, während er mir all diese Dinge erzählte.

„Levin das... Ich bin mir nicht sicher.“

Er seufzte lange und sah dann zu mir auf. „Was hast du denn für Sorgen?“

Ich schluckte und sah ihn lange nur an. „Wir können uns sowas einfach nicht leisten. Und du machst so schon Überstunden. Ich möchte nicht, dass du den ganzen Tag irgendwo anders bist. Ich möchte, dass du bei mir bist, wenn ich einschlafe. Ich möchte, dass du dabei bist, wenn Vilija demnächst das erste Mal in die Schule geht. Du sollst die Chance haben sie abzuholen.“

Er nahm meine Hand und drückte einen Kuss in meine Handfläche. „Liebling, mach dir um das Geld keine Sorgen.“

„Aber-“

„Liebling, wir warten jetzt schon seit zwei Jahren. Wir haben eigentlich geplant dann zu heiraten, erinnerst du dich? Du warst ganz aus dem Häuschen und hast es jedem erzählt. Sogar Leonas hast du eine Einladung geschrieben.“

„Ich dachte mir, dass es dich glücklich machen würde, wenn er wenigstens zu unserer Hochzeit da ist.“

„Ich bin glücklich, wenn du es bist.“, widersprach er liebevoll, „Ich weiß, dass du dir eine Hochzeit wünschst.“

„Das sagtest du bereits.“

„Warum willst du dann noch warten? Wenn du möchtest, können wir das auch in kleinen Kreisen machen. Nur die Familie, keine Freunde, keine anderen Familien, keine Bekannten. Nur du, ich, meine Familie und deine Familie.“

„Das kleine Kreise zu nennen ist die Untertreibung des Jahres.“, murmelte ich. Dennoch hätte ich ihn jetzt am liebsten geküsst, bis er keine Luft mehr bekam. „Was ist, wenn du es irgendwann bereust?“

Er legte meine Hand auf seine Brust. „Spürst du mein Herz, Liebling?“

Ich nickte zaghaft.

„Jedes Mal wenn ich dich sehe, schlägt es schneller. Immer, wenn ich an dich denke, möchte ich dich in die Arme nehmen. Wenn ich aufwache, soll das erste was ich sehe, dein Gesicht sein. Und jedes Mal, wenn du aufwachst, die Augen aufschlägst und mich anlächelst, nimmt es mir den Atem. Bei jedem Kuss macht mein Herz einen Aussetzer. Jedes Mal, wenn ich dich berühre, wenn ich deinen Duft einatme, jedes Mal, wenn ich in deiner Nähe bin, quillt mein Herz über vor Liebe zu dir und vor Glück, dass ich dich habe. Und jedes Mal, wenn du den Raum verlässt, habe ich Angst, es könnte das letzte Mal sein, dass ich dich gesehen habe. Ich könnte nicht einmal mit der Vorstellung leben, dich nie wieder zu sehen oder dich an einen Anderen zu verlieren. Und ich könnte es nie bereuen dich zu heiraten.“

Ich schlug die Hand vor den Mund und begann zu weinen. „Gott Levin. Ich... Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

Sanft lehnte er seine Stirn an meine. „Du musst nichts sagen.“

„Ich liebe dich Levantin. Ich liebe dich so sehr.“ Mit diesen Worten zog ich ihn zu mir herab und küsste ihn. Er löste sich kurz darauf sanft von mir und küsste die Tränen weg.

„Ich liebe dich auch, aksomine koju.“

„In fünf Wochen.“, schlug ich vor.

Er sah mich verdutzt an. „Was?“

„Eine Hochzeit. In fünf Wochen würde ich sicher alles organisieren können. Um die Flitterwochen kannst du dich ruhig kümmern. Und es wäre schön, wenn Lilita meine Trauzeugin sein könnte.“

Er begann zu lächeln und küsste mich stürmisch. „Alles was du willst, mein Liebling.“, meinte er an meinem Mund, „Alles und noch mehr.“

Hochzeitsglocken

„Wie sehe ich darin aus?“, wollte ich von Levin wissen und drehte mich einmal im Kreis.

„Wunderschön.“, antwortete er.

Mit einem tiefen Seufzer sah ich Levin unmotiviert an. „Das hast du bei den letzten zehn auch schon gesagt.“

„Es war ja auch so.“, entgegnete er lächeln, „Du bist in jedem Kleid wunderschön.“

Ich murrte lange. Alexandra hatte leider keine Zeit dafür die Kleider für die Trauzeuginnen auszusuchen, also hat sie mich darum gebeten für mich und Lilita eins auszusuchen. Diese war noch in der Umkleidekabine, während Janis geduldig neben Levin auf einer Couch saß und wartete.“

Kurz nach mir kam Lilita aus ihrer Kabine und posierte vor Janis. „Gefällt dir das, Liebling?“, wollte sie von ihm wissen.

Er sah es sich ganz genau an, bevor er antwortete. „Ich finde es ein bisschen... zu aufreizend. Muss der Schlitz an der Seite sein? Und der tiefe Ausschnitt? Ich habe nichts dagegen, aber ich mag es nicht, wenn andere Männer dich so anstarren, als wärst du Frischfleisch.“ Seit ich damals mit ihm gesprochen hatte, redete er deutlich mehr, wie Lilita mir begeistert mitgeteilt hatte.

Mit leicht vorwurfsvollem Gesicht sah ich zu Levin. „Sowas meine ich.“

Er zog eine Braue hoch. „Ich soll dir also sagen, wie freizügig ich das finde und was mich daran stört?“

Ich nickte. „Ja!“

Schweigen breitete sich aus, während ich ihn wartend ansah. Dann seufzte er leise. „Die Kleider sehen alle schrecklich aus.“

Lilita brach in Gelächter aus und ich atmete leise aus. Dann zog ich mich um und hängte die Kleider zurück, bevor ich andere aussuchte. Ich nahm jedes Kleid doppelt und reichte eine Hälfte dann Lilita, die damit sofort in der Kabine verschwand. Mittlerweile waren wir bereits mindestens zwei Stunden hier. Die Füße taten mir weh und meine Arme wurden langsam schlapp. Dennoch ging ich in die Umkleidekabine und zog eines der Kleider an, bevor ich heraus trat. Levin seufzte leise als er mich sah und lächelte leicht.

„Wie sieht das aus?“, fragte ich ihn zaghaft.

Eine Weile betrachtete er mich, nahm das Kleid genau unter die Lupe und verzog dann leicht den Mund. „Ich kann deine Unterwäsche sehen.“, meinte er halblaut, „Es ist etwas eng, oder? Ich bin mir nicht sicher, ob rosa die richtige Farbe ist. Und … falls es dir gefällt einen freien Rücken zu haben, dann stört es mich nicht. Zu freizügig mag ich nicht, aber etwas ist nicht schlimm.“

Ich nickte und ging wieder in die Kabine. Es dauerte geschlagene weitere zwei Stunden, bis ich mit Lilita endlich ein Kleid fand, dass sowohl Janis, als auch Levin gefielen. Es war blassviolett, trägerlos und der Rock ging mir etwa bis an die Waden. Und es war wahnsinnig teuer.

„Mach dir darum keine Sorgen, Liebling.“, meinte Levin, als wir an der Kasse standen und er bezahlte. „Luca möchte mir das Geld für das Kleid zurückgeben.“

„Das ist ein weiterer Grund, es nicht zu nehmen.“, entgegnete ich, „Dann kostet es ihm so viel.“

„Denk nicht weiter darüber nach. Alex würde mir an die Gurgel springen, wenn ich es zulassen würde, dass du nicht mit einem wunderschönem Kleid zur Hochzeit erscheinst.“

Ich verzog das Gesicht und folgte ihm mit Lilita an meiner Seite aus dem Laden. „Aber es ist so teuer.“

„Denk nicht dran. Jetzt lass und weiter gehen. Du brauchst noch passende Schuhe.“

Mit einem tiefen Seufzer gab ich mich geschlagen und betrat mit ihnen wenige Augenblicke später einen Schuhladen. Lilita schien nicht sonderlich begeistert, versuchte jedoch mit mir ein passendes Paar zu finden.

„Violett müssen sie sein.“, meinte Lilita nebenbei an Levin und Janis, woraufhin die beiden sich ein wenig umsahen.

„Was ist mit denen hier?“, ertönte wenige Meter neben mir Levins Stimme.

Ich sah zu ihm herüber und sah mir die Schuhe an. Lilita kam kurz darauf ebenfalls herüber und betrachtete sie eine Weile.

„Die sehen gut aus.“, bemerkte ich und nahm ihm einen Schuh ab, um ihn genauer unter die Luppe zu nehmen.

„Sie müssen perfekt sein.“, erklärte Lilita Janis, der sich mit skeptischer Mine neben sie stellte und offenbar nicht so genau verstand, warum wir uns den Schuh so genau ansahen.

„Perfekt.“, wiederholte er, „Warum lassen wir nicht gleich welche anfertigen?“

Als sei das ein Stichwort, sahen wir ihn alle an.

„Das mir das nicht früher eingefallen ist.“, meinte Levin, „Luca möchte, dass sie ein perfektes Outfit haben. Gibt es etwas Besseres als Spezialanfertigungen?“

„Vergiss es.“, warf ich ein, „Das kostet zu viel.“

Lilita schüttelte langsam den Kopf. „Der Preis ist hinfällig. Luca würde ein ganzes Vermögen ausgeben, nur damit Alex glücklich mit der Hochzeit ist. Schwerer wird es sein, das Geld für das Kleid zurück zu bekommen und einen Schneider und einen Schuster zu finden, die alles schnell genug anfertigen können. Außerdem brauchst du ja auch noch ein Kleid und Levin braucht einen Anzug.“

Ich winkte ab. „Ich habe schon ein Kleid. Ich nehme das meiner Mutter. Und der Anzug ist schon in Arbeit. Morgen muss Levin zur Anprobe.“

„Was ist mit den Kindern?“, wollte Janis wissen und nahm seine Frau und mich an den Armen, um uns aus dem Geschäft zu ziehen, während Levin die Schuhe zurück stellte und uns folgte.

„Vilija hat ein wunderschönes Kleid. Levin und ich haben es gestern ausgesucht. Um Tevin kümmern wir uns morgen nach Levins Anprobe.“

„Was ist mit der Kirche und dem Essen?“

„Um die Kirche kümmert sich Levins Mutter. Meine Mutter besteht darauf das Essen zu machen. Gott weiß warum.“

„Und die Torte?“, fragte nun Lilita.

„Schon in Arbeit.“, gab Levin zurück, „Ich hab da einen Freund. Er macht sie für uns.“

„Was habt ihr für Kontakte?“, wollte Lilita wissen und schüttelte den Kopf. „Die Flitterwochen?“

„Gebucht.“, antwortete Levin, „Eine Überraschung für Violeta.“

„Ebenso wie die Torte nehme ich an.“, murmelte Janis, „Habt ihr die Einladungen schon verschickt? Und was ist mit der Dekoration?“

„Die Entwürfe für die Dekoration habe ich bereits.“, erklärte ich, „Ich habe sie bereits an einen Experten verschickt. Mit den Daten der Kirche. Er kümmert sich dann um alles. Was die Einladungen betrifft, so sind wir noch am überlegen, wen wir noch einladen.“

„Unsere Familien natürlich.“, fuhr Levin fort, „Und Freunde. Aber es gibt einige Bekannte, bei denen wir uns nicht sicher sind. Auch bei einigen Freunden wissen wir nicht, ob wir sie einladen sollten.“

„Jaydon hat wenig Zeit. Aber ich bin mir sicher, dass er sich dafür Zeit nehmen wird.“, bemerkte ich.

„Ihn haben wir schon auf der Liste, Liebling. Ich habe eher an diesen Andrew gedacht.“

„Da könnte es Probleme mit Victoria geben.“

Levin seufzte leise und sah nach vorn. „Ich bin froh, wenn wir es hinter uns haben.“

Ich lächelte über seine Miene und küsste ihn auf die Wange, woraufhin er schmunzelte und mir einen Kuss auf die Stirn gab.

 

„Liebling, hast du Nicki gesehen?“, rief ich aus dem Wohnzimmer und schlug mit einer Gabel gegen eine Katzenfutterdose. „Ich finde sie nirgendwo.“

Levin, der gerade von der Arbeit zur Tür herein gekommen war, kam zu mir ins Wohnzimmer, nahm mich in die Arme und gab mir einen Kuss, der mir den Atem verschlug.

„Hallo.“, meinte er dann halblaut und lächelte mich an.

Ich konnte nicht anders als zurück zu lächeln und seufzte leise. „Wie war die Arbeit?“

„Anstrengend.“, gab er zurück und ging mit mir in die Küche, wo ich ihm einen Kaffee eingoss. „Mein Chef hat uns zum Essen eingeladen. Er sagt, die Kinder können wir mitbringen, er hat ja selbst welche.“

„Das ist sehr nett von ihm.“, antwortete ich und sah zu der gefüllten Futterschüssel meiner nicht vorhandenen Katze.

„Hast du schon im Garten nachgesehen?“, wollte Levin schließlich wissen, als er merkte, dass ich mir wohl wirklich Sorgen machte.

„Ja. Ich bin durchs ganze Haus gelaufen.“ Mit einem tiefen Seufzer ließ ich mich neben ihm auf den Stuhl sinken und rieb mir über den Nacken.

„Sie taucht schon wieder auf.“, beruhigte er mich liebevoll, „Wo sind eigentlich die Kinder?“

„Nebenan bei Mrs. Duncan. Lilian hat doch heute Geburtstag.“

„Stimmt. Daran habe ich nicht mehr gedacht.“

Eine Weile sagte keiner etwas, während Levin mich einfach nur beobachtete. Irgendwann rückte er mit dem Stuhl ein Stück vom Tisch ab und hielt mir seine Hand hin.

„Komm her.“, meinte er sanft und zog mich auf seinen Schoß, als ich nach der Hand griff. „Denk nicht mehr an Nicki. Sie taucht ganz bestimmt wieder auf. Mach dir darum keine Sorgen.“ Während er sprach begann er zärtlich meinen Rücken zu massieren, weshalb ich unwillkürlich aufstöhnte, als er einen schmerzhaften Punkt erwischte. Kurz darauf spürte ich seinen heißen Mund an meinem Nacken. Wenig später seine Zähne. „Wenn du weiter so stöhnst, muss ich dich ins Bett tragen.“, bemerkte er und biss mir sanft in die Ohrmuschel.

Mit einem leisen Kichern drehte ich mich zu ihm um, um ihn lange zu küssen. Ohne weiter zu warten, hob er mich daraufhin hoch, stand auf und trug mich hinauf ins Schlafzimmer. Dann blieb er jedoch abrupt stehen, und fluchte leise.

„Ich habe gerade Nicki gefunden.“

Hohes Miauen drang an mein Ohr. Zu hoch für eine erwachsene Katze wie Nicki.

„Sie ist nicht allein.“, bemerkte Levin trocken, „Ich glaube, wir sollten ihr erklären, wie das mit der Verhütung funktioniert.“

Ich brach in Gelächter aus, als ich seinem Blick folgte und drückte mein Gesicht dann an seine Schulter.

„Hast du gewusst, dass sie schwanger ist?“, wollte er wissen und sah amüsiert zu mir herab.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein.“, meinte ich immer noch lachend, „Aber jetzt weiß ich, warum sie einen so ungewöhnlich großen Bauch hatte. Ich glaube...“ Langsam verebbte das Lachen und ich sah rührselig zu ihm auf. „Ich glaub, sie hat sich angesteckt.“

Er hob eine Braue. „Man kann sich damit nicht anstecken.“

„Nun ja... sie ist aber zumindest nicht die einzige im Haus.“

Nun bekam er den Mund nicht mehr zu. „Ich... Habe ich gerade richtig verstanden?“

„Ich bin schwanger Levin.“

„Du- Ich-“ Er sah mich eine Weile überwältigt an. „Schwanger.“, meinte er dann, „Du bist... schwanger.“

Ich hob eine Braue. „Alles in Ordnung?“

„Ich.. ja, ich... muss mich setzen.“

Mit diesen Worten stellte er mich vorsichtig ab und kippte dann einfach um. Ich zuckte zusammen, als ich den Knall von seinem aufschlagenden Körper hörte und kniete mich dann neben ihn.

„Levin?“, kam es mir besorgt über die Lippen, „Bist du okay?“ Vorsichtig drehte ich ihn auf den Rücken und legte ihm den Kopf in meinem Schoß, während ich ihm über die Wangen streichelte. „Levin.“

Es dauert ein paar Minuten bis er wieder zu sich kam. Er blinzelte ein paar Mal und sah dann zu mir herauf. Es vergingen geschlagene zwei Minuten, bis er etwas sagte.

„Sag mir, dass ich gerade nicht geträumt habe.“, bat er heiser.

„Kommt drauf an, was du gehört haben möchtest.“

Ohne Umschweife setzte er sich auf. „Du bist wirklich schwanger, ja?“

Zaghaft rückte ich neben ihn. „Ja. Ich bin in der fünften Woche. Ich dachte erst, meine Blutung würde sich verspäten, aber als sie einfach nicht kam-“

Er unterbrach mich, indem er sich zu mir herum drehte, auf mich warf und hingebungsvoll küsste. „Mėgstamiausia dievas.“, brachte er hervor und ich spürte eine Träne auf meine Wange fallen. „Ich verspreche dir, diesmal werde ich alles richtig machen. Ich werde mir Zeit für dich nehmen. So viel Zeit wie du brauchst. Ich werde dir jeden Wunsch von den Augen ablesen und immer bei dir sein, wenn du mich brauchst. Ich möchte, dass du dich ab heute- Nein, nicht ab heute. Ab jetzt. Du sollst dich ab jetzt ausruhen, zurück lehnen und entspannen. Ich regle alles mit der Hochzeit. Vergiss die Finanzen. Sag jetzt nichts! Mach dir keine Sorgen. Du wirst dich entspannen, dich zurück lehnen und mich einfach machen lassen.“ Ich hatte noch meine Bedenken wegen den Kosten, doch er küsste alle Sorgen einfach weg. „Ich geh die Liste für die Einladungen einfach mit deinen Eltern durch, auch wenn ich weiß, dass dein Vater mich hasst.“

Leise kicherte ich an seinem Mund.

„Das ist nicht witzig.“, meinte er leise und biss mir leicht in die Unterlippe. „Außerdem werde ich uns ein neues Bett kaufen.“, meinte er dann plötzlich, „Die Matratze muss weg, jetzt wo Nicki darauf geworfen hat. Die Decke bringe ich in die Reinigung und- Du meine Güte!“, rief er plötzlich aus, bevor er hochsprang und mich hochhob. „Du solltest nicht auf dem Boden liegen.“

„Levin, ich bin erst in der fünften Woche. Da passiert mir nichts.“

Er schüttelte den Kopf. „Das ist sowieso nicht so gut für dich.“, meinte er dann, „Der Boden ist hart und unbequem ist er auch noch.“ Einen Moment sah er noch zum Bett, bevor er den Kopf schüttelte und das Zimmer verließ. „Ich gehe gleich los und besorge das Bett. Wir werden einfach solange im Gästezimmer schlafen.“

„Mir passiert wirklich nichts.“

„Dir soll es trotzdem an nichts fehlen.“, entgegnete er stur und legte mich im Gästezimmer ins Bett.

Mit einem leisen Seufzen ließ ich es über mich ergehen und ließ mir von ihm einen kurzen Kuss geben, bevor er mit einer kurzen Erklärung wieder hinausging, um sich um das verdammte Bett zu kümmern.

Hauptsache er ist glücklich.

 

Er machte mich wahnsinnig. Aus Angst, mir könne irgendwas passieren, hätte er sogar beinahe Alex gebeten, sich eine andere Trauzeugin zu suchen. Ich hatte ihn gerade noch davon abbringen können. Stattdessen hatte er mich so früh es ging nach hause gebracht. Das Essen bei seinem Chef hatte eine Woche nach Levins Ankündigung stattgefunden. Vilija und Tevin hatten viel Spaß mit den beiden anderen Kindern und Levin blühte in seiner neuen Rolle als mein Aufpasser regelrecht auf. Nun war es wenige Stunden vor der Trauung und ich hatte noch zu deutlich vor Augen, welche Sorgen er sich am Abend zuvor noch gemacht hatte. Die Nacht hatten wir getrennt verbracht. Nun stand ich hier in der Kirche und wartete darauf, dass man mich in den Saal bat. Das Kleid hatte man verwerfen müssen und kurz vor der Hochzeit wurde ein neues angefertigt. Levin scheute weder Mühe noch Kosten. Und nun stand ich in diesem wunderschönen Kleid vor dem Spiegel und konnte nicht anders als mich ständig um meine eigene Achse zu drehen.

„Du siehst wundervoll aus.“, lobte meine Mutter und lächelte mich mit Tränen in den Augen durch den Spiegel an.

„Sind schon alle Gäste da?“, wollte ich nervös wissen und betrachtete nochmals meine Frisur.

„Levantins Mutter- wie heißt sie noch gleich?“

„Sie heißt Ona.“

„Ach genau. Sie ist der Liste nach die Gäste durch gegangen und nachgesehen ob alle da sind. Sie sagt, einer fehlt noch.“

„Ach ja? Wer?“

„Jaydon ist noch nicht da.“

„Jaydon? Wir... wir müssen warten. Er hat's versprochen. Er kommt, da bin ich mir sicher.“

Es klopfte an der Tür. „Wir sind soweit.“, ertönte die Stimme von Romas, Levins Vater.

„Ist Jaydon schon da?“, wollte Mom wissen.

„Wer ist Jaydon?“, fragte er zurück.

„Einer der Gäste. Violeta möchte nicht anfangen, wenn er nicht da ist. Alle anderen sind ja schon da.“

„Ich werde nachsehen.“, entgegnete er mürrisch.

 

Levantin

„Was ist denn noch?“, fragte ich und sah meinen Vater nervös an. „Ist etwas passiert?“

„Jole sagt, Violeta möchte nicht anfangen, wenn dieser Jaydon nicht da ist.“

Mutter, die ganz in der Nähe war, seufzte leise. „Auch das noch. Kennt irgendjemand seine Handynummer?“

„Violeta hat sie.“

Wieder drehte Vater sich um, um zu dem kleinen Zimmer zu gehen, in dem Violeta wartete. Janis, der neben mir an seiner Krawatte herum fummelte und sich damit beinahe erwürgte, seufzte tief und sah zu mir.

„Warum möchte sie auf ihn warten?“, wollte er wissen.

„Weiß Gott. Er ist ihr wohl sehr wichtig. Komm her, ich mach das, sonst liegst du in zehn Minuten tot auf dem Boden.“

Mit einem Murren nahm er die Hände herunter, woraufhin ich ihm die Krawatte in wenigen Sekunden band. „Meine Hochzeit war nicht so schlimm.“

„Hochzeit?“, hakte ich nach, „Du bist verheiratet?“

Er nickte. „Ja. Lilita wollte keine große Feier. Sie wollte etwas Schlichtes im engsten Kreis der Familie. Also haben wir uns hübsch angezogen und haben es im Standesamt gemacht. Sie wollte keine große Sache daraus machen und es nicht an die große Glocke hängen.“

„Wo ist sie eigentlich?“, fragte ich, als mir auffiel, dass sie nicht bei den Brautjungfern stand.

„Sie hat etwas im Auto vergessen und holt es schnell.“

Als jemand herein kam, sahen wir beide dort hin, woraufhin ich leise aufseufzte, als ich Jaydon erkannte, der Lilita freundlich begleitete.

„Warum hat das denn so lange gedauert?“, wollte Callum von ihm wissen.

„Tut mir leid, die Paparazzi sind mir gefolgt und ich musste sie erst einmal loswerden. Sie sind anhänglicher als Panzertape.“, erklärte dieser gereizt, „Aber jetzt bin ich da. Warum habt ihr noch nicht angefangen?“

„Weil Violeta nicht ohne dich anfangen wollte.“

Er seufzte leise. „Na, wie gesagt. Jetzt bin ich ja da.“

Callum nickte und machte sich daran Violeta Bescheid zu geben. Janis, der Krawatten nicht leiden konnte, lockerte seine ein kleinen wenig und stellte sich auf seinen Platz, ebenso wie die anderen Trauzeugen. Ich atmete leise durch, ging im Kopf nochmal das Eheversprechen durch und wartete geduldig. Gerade als ich mir sicher war, dass ich das Versprechen ohne Probleme vortragen konnte, betrat Violeta den Saal und mein Kopf war wie leer gefegt. Ich hatte noch nie eine schönere Frau gesehen.

 

Violeta

Während der gesamten Trauung hatte Levin nicht ein einziges Mal den Blick von mir genommen. Als er sein Eheversprechen sprach, hielt er ab und zu inne, schien abgelenkt, sprach dann aber schnell weiter. Dann schien er vollkommen gebannt zu sein, als ich mein Eheversprechen hielt. Als der Pastor verkündete, dass er mich nun küssen dürfe, schien er es die ersten paar Sekunden nicht gehört zu haben, hob dann aber vorsichtig den Schleier an und beugte sich zu mir herunter, um mich liebevoll zu küssen. Einen Moment löste er sich von mir, lächelte mich an und zog mich dann an sich, um mich erneut zu küssen.

„Ich liebe dich.“, flüsterte er.

„Ich liebe dich auch.“, antwortete ich an seinen Lippen.

Nach der Trauung begrüßte ich alle Gäste, redete kurz mit ihnen und fuhr mit Levin, vier Stunden später, nach einer langen Verabschiedung dann direkt zum Flughafen. Levin hatte mir nicht gesagt wohin es ging, doch ich war trotzdem nervös. Ob er es wohl merkte? Am Flughafen lief alles wie am Schnürchen, bis ich feststellte, dass Levin Plätze in der ersten Klasse gebucht hatte. Mir wären beinahe Zweifel gekommen, hätte Levin mir nicht gesagt, dass alles in Ordnung sei. Während dem Flug selbst war alles wie immer, nur das Levin meine Hand hielt und ständig den Ring berührte, als müsse er immer wieder sicher gehen, dass er wirklich da war.

„Ich komme mir ein bisschen vor wie in einem Traum.“, meinte er plötzlich und sah lächelnd zu mir.

„Wenn das einer sein sollte, möchte ich nie wieder aufwachen.“, entgegnete ich und erwiderte sein Lächeln.

Er beugte sich zu mir herüber und küsste mich liebevoll, woraufhin ich leise aufseufzte und ihm eine Hand in den Nacken legte.

Epilog

Jahre später

Auf Zehenspitzen schlich ich mich leise an Levin heran, der gerade Frühstück kochte und mich offenbar trotzdem bemerkte, wie jeden Morgen, wenn ich das versuchte.

„Guten morgen, mein Liebling.“, begrüßte er mich und sah mich mit einem warmen Lächeln an, bevor er mich kurz küsste. „Sind die Kinder schon wach?“

„Ich hab Vilija und Tevin gehört.“

„In welchem Zimmer diesmal?“

„In Tevins. Ich bin froh, dass sie sich wieder versöhnt haben, auch wenn ich noch ein bisschen misstrauisch bin, was ihre Beziehung betrifft.“

„Und Cyntia?“

„Bei ihr war es noch still.“ Ich legte ihm die Arme um den Hals. „Wir sollten nochmal ein ernstes Wort mit Tevin und Vilija führen. Ich bin mir sicher, dass ich sie stöhnen hörte, als ich eben an Tevins Zimmertür vorbei gegangen bin.“

„Reg dich nicht auf, Liebling.“

„Aber sie sind Geschwister.“

„Tevin ist adoptiert. Mach dir keine Sorgen, es ist vollkommen legal.“

Wehmütig seufzte ich leise. „Was ist, wenn sie plötzlich schwanger wird?“

Er lachte leise und vergrub sein Gesicht in meinem Haar. „Dann sag ich Tevin, er solle gut auf sie aufpassen und wenn er sie sitzen lässt, dann werfe ich ihn raus. Er ist zwar mein Adoptivsohn, aber ich würde ihn auch dann aus dem Haus werfen, wenn er mein eigen Fleisch und Blut wäre. Niemand tut meiner Vilija weh.“

„Und wenn sie ihn sitzen lässt?“

„Dann... werde ich mir etwas einfallen lassen. Jetzt gib mir nochmal deine wundervollen Lippen. Du wolltest doch noch ein Kind, richtig? Wie wäre es, wenn wir es mal hier in der Küche ausprobieren?“

„Levin!“

Er lachte an meinem Mund und hielt mich eng an sich. „Ich mein es ernst. In einer halben Stunde sind alle aus dem Haus. Dann sind wir allein. Nur du... und ich...“

„Und Lily und Judas.“

„Mir ist immer noch schleierhaft, warum du deinen Kater Judas genannt hast.“ Er knabberte sachte an meinem Hals.

„Weil der Kater ein kleiner Verräter ist. Bereits als kleines Kätzchen hat er bei Mrs. Duncan geschnorrt, als würde er hier nichts zu Fressen bekommen.“

Leise lachte er an meinem Hals, gab mir einen Klaps auf den Hintern und löste sich sanft von mir, als wir Geräusche von oben hörten, die wahrscheinlich nicht für unsere Ohren bestimmt waren.

„Okay, wenn sie es auf Abends verschieben würden, hätte ich nichts dagegen, doch früh am morgen?“

Ich hob eine Braue. „Eben wolltest du es auch noch mit mir tun. Und es ist trotzdem früh am morgen.“

„Ja, aber die beiden sind ja noch nicht einmal aus dem Bett gekommen. Ich hab’s immerhin bis in die Küche geschafft.“

„Ach, mein süßer Streuner, du.“

Er seufzte leise. „Streuner. Ich verstehe irgendwie nicht, wie du auf diesen Spitznamen gekommen bist.“

„Erinnerst du dich? Bei unserem ersten Aufeinandertreffen hab ich gesagt, ich würde keinem dahergelaufenem Streuner meine Nummer geben.“

„Stimmt.“ Er zog mich wieder an sich. „Sieh mal, jetzt bist du aber sogar mit einem verheiratet und hast zwei Kinder mit ihm gezeugt.“

Ich grinste ihn an. „Nicht ganz.“

Er zog die Brauen zusammen. „Wie meinst du das?“

„Es sind wieder drei.“ Ich gab ihm einen kurzen Kuss und tippte ihm verspielt auf die Nasenspitze, während er sich vor mir nicht mehr regte.

„Drei... du... du...“

Dann passierte dasselbe, wie beim letzten Mal. Er wurde ohnmächtig.

„Levin!“, rief ich aus und kniete mich zu ihm. „Levin, wach auf.“ Liebevoll streichelte ich ihm über die Wange. „Liebling. Aufwachen.“

Er kam nur langsam wieder zu sich und blinzelte ein paar Mal. „Lieber Gott... Ich halluziniere.“

Ich lächelte schräg. „Was siehst du denn?“

„Meine Augen sind in Ordnung, aber ich hab eben gehört, dass du sagtest, es seien wieder drei.“

Liebevoll lächelte ich ihn an und strich ihm übers Haar. „Du halluzinierst nicht.“

Langsam setzte er sich auf und zog mich in seine Arme. „Himmel... Ich liebe dich so sehr, Violeta. Ich habe nur eine Bitte.“

„Die wäre?“

„Wenn du nochmal schwanger wirst... sag es mir bitte, wenn ich bereits liege.“

Leise kichernd küsste ich ihn zärtlich. „Keine Sorgen, ich werde darauf achten.“

Er kam gerade mal dazu den Kuss eine Minute lang zu erwidern, bevor wir unterbrochen wurden.

„Guten Morgen!“

Als wir aufsahen, sahen wir Vilija, die mit Tevin an der Hand in die Küche kam. Unser Adoptivsohn konnte den Blick nicht von ihr lassen und küsste sie auf den Hals, als sie sich setzte.

„Jetzt kommt wohl der nicht so angenehme Teil des Vaterseins.“, meinte Levantin und stand auf. „Vilija, Tevin... ich muss mit euch reden.“

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Bildmaterialien: © Lisa Irmer
Tag der Veröffentlichung: 20.02.2010

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