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Gestohlene Herzen


Hier ist schon lange keine Liebe mehr, dachte sich Thoralf, als er in das Schlafzimmer von Linda und Erik kam. Das Paar lag voneinander abwesend im Bett, Linda las einen kitschigen Liebesroman, Erik spielte am Telefon herum. Die beiden hatten sich schon lange nichts mehr zu sagen. Dies würde eine leichte Mission werden. Wie immer würde er einen fadenscheinigen Grund zum Streiten zwischen die beiden streuen. Wenn der Streit erst richtig eskalieren würde, würden die Herzen dieses Paare vereisen und er könnte sie ohne große Mühe stehlen. Keine große Kunst, immerhin war es schon das siebte Paar diese Woche. Und es war erst Mittwoch.

Er schwebte zwischen Linda und Erik und spürte Lindas Empörung, wie Erik Lindas Mutter gestern behandelt hat. Na wunderbar, der Grund zum Streiten wurde Thoralf auch schon vorgelegt. Als er ansetzte, um mit seinem toxischen Atem die Stimmung zu vergiften sah er Linda in die Augen. Ihn durchfuhr es schlagartig. Er brach sein Vorhaben ab und flüchtete schnell.

Vor dem Haus suchte Thoralf den Weg zu sich. Was was geschehen? Warum konnte er diesem Paar nicht die Herzen stehlen? Oder viel mehr: warum konnte er Lindas Herz nicht erkalten lassen? Er kreiste unruhig durch die Gegend, wissend, dass er eigentlich zurück müsse, die Mission vollenden. So war es nun mal. Sein Boss, der mächtigste aller Dämonen hatte allen seinen untergebenen Dämonen den Auftrag gegeben, alle Herzen zu stehlen und die Erde in einen völlig lieblosen Planeten zu verwandeln. Und so wurde aus Thoralf ein Jäger. Ein bisher sogar recht erfolgreicher Jäger.

In der Dämmerung der späten Abendstunde konnte Thoralf nicht mehr klar denken. Was war denn nur in ihn gefahren, dass er nicht einfach umkehren konnte und seine Mission beenden konnte? Thoralf besann sich, wohlwissend dass er gegen sein eigenes Gefühl handelt und kehrte zum Haus von Linda und Erik zurück.

Doch kaum im Schlafzimmer der beiden angekommen, übermächtigte ihn wieder dieses unheimliche Gefühl, dass er auch beim ersten mal hatte. Er blickte Linda erneut in die Augen und bemerkte ein komisches Gefühl im Brustkorb. Was schon sehr ungewöhnlich war für einen Dämon ohne Materie. Er betrachtete Linda ruhig, beobachtete wie sie ihr Buch las, sich die brünetten Strähnen aus dem Gesicht strich. Ihm wurde sehr angenehm, ein bisher unbekanntes Gefühl.

Und dann begriff er. Er hatte sich zum ersten mal in eines seiner Opfer verliebt. War es deswegen Dämonen verboten, Menschen in die Augen zu blicken? War es diese Liebe auf den ersten Blick, von denen diese Menschen immer sprachen? War es nicht dieses sinnlose Hirngespinst, welches Menschen willenlos machte und ihnen jeglichen klaren Verstand raubte? War es nicht das, was sein Boss genau vernichten wollte? Warum um alles in der Welt passierte ihm das? Er war doch Dämon im Auftrag, alle Liebe auf der Erde zu töten.

Doch keine Grübelei half, es war wie es war, er konnte dieser Frau unmöglich ihr Herz stehlen. Wenn das Gefühl, dass Thoralf beim Anblick von Linda empfand, jenes war, was er vernichten sollte, so konnte er es nicht. Etwas an dieser Frau hat ihn verändert.

Thoralf wand sich ab. Von seinen Gefühlen völlig überfordert konnte er diesen Auftrag nicht zu Ende bringen. Er wusste, dass die Konsequenzen für seine Verweigerung drastisch sein würden und doch verlies er ohne sich nocheinmal umzublicken den Raum.

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Tag der Veröffentlichung: 14.02.2013

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