Cover

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© Christine Eder 2023

2020 Erstausgabe:

Die Farben des Lebens – Ein Hauch von Sommer

Alle Rechte liegen bei der Autorin.


Coverdesign: © Licht Design – Kristina Licht

Korrektorat/Lektorat: Kristina Licht


Handlung und alle handelnden Personen dieses Buches sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen wäre rein zufällig.

Kein Teil dieses Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.


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Für meine Familie,

meinen Mann und meine Kinder.






»Die Zeit verändert alles.

Die Gedanken, Gefühle,

den Charakter … sogar einen selbst.«


Christine Eder




Es gab nur ein Leben


– mein Leben. Niemand kannte es so gut wie ich: meine Emotionen und Sehnsüchte, meine Träume und Wünsche, meine Ziele und Eroberungen, meine Trauer und Liebe. Niemand wusste, was ich auf der Seele hatte, was ich in meinem Herzen trug, was und wer mich erwärmte, und wer oder was mich zum Sturz bringen konnte. Niemand wusste, was mich schwächer und stärker machen konnte, was mich brechen oder wieder aufbauen konnte. Niemand konnte sich in meine Rolle hineinversetzen, nur ich selbst, denn es war mein Leben. Ich hatte selbst zu entscheiden, zu hoffen, sehen, lernen, klären, schreien, lachen, weinen, warten, fürchten, umarmen, hassen und lieben. Nur wenn man das alles selbst durchlebte, konnte man auch verstehen, was es hieß, zu leben – was das Leben selbst war.

Das Leben war kein Märchen und hatte viel mehr Farben, als ich es mir je erträumt hätte. Sie besaß nun mal auch graue Töne, hässliche Schattierungen und scharfe Kanten. Es war voller Ereignisse und Schicksalsschläge, die uns lebenslang lehrten und stärker machten. Aber um das alles überstehen zu können, musste man einen Menschen an der Seite haben, der all das in einem verstehen konnte und der trotz allem mit dir Hand in Hand zusammen durchs Leben ging. Diesen Menschen hatte ich getroffen und dachte, ich würde ihn nie mehr verlieren. Doch das Leben hatte seine eigenen Regeln.



April 2009

Das Schloss in der Tür ließ mich zusammenzucken und mein Herz beschleunigte sich, weil ich nie wusste, ob ein erneuter Streit entflammte.

Levin überschlug sich beinahe, als er zur Tür lief.

»Na, komm her, mein Großer!« Stephen streckte ihm die Hände entgegen und schloss ihn in eine Umarmung, bevor er ihn hochhob. Ein Gekreische zog durch die Wohnung und ging in ein Lachen über, als Stephen ihn ein paar Mal hochwarf.

»Hi, alles gut?«, wandte Stephen sich an mich, während ich nach wie vor am Boden saß.

Ich nickte und stand auf. »Das Essen ist fertig und erwärmt.«

»Was gibt es denn?« Er ging hinter mir her in die Küche.

»Gekochte Kartoffeln mit Fleisch.« Ich begann ihm das Essen in den Teller zu löffeln.

»Mit Zwiebeln mariniert?«, wollte er wissen und ich nickte. »Mhh, das macht Mami immer so lecker.« Er ließ Levin los und dieser lief in sein Zimmer.

»Willst du nicht essen oder hast du schon?«, wollte Steph wissen, als ich nur ihm den Teller hinstellte.

»Ich habe schon«, log ich leise. Mir kam das Essen seit Tagen nicht mehr runter.

Stephen begann schnell zu essen, denn ihm blieb nur eine halbe Stunde, bis er wieder losmusste. Also schwieg ich, während ich das Geschirr wusch und er mir noch kurz von seinem Arbeitstag erzählte. Wie immer hörte ich es mir an, doch diesmal erwiderte ich nichts.

»Was ist los mit dir?«

So wie auch in letzter Zeit antwortete ich mit einem typischen weiblichen Gezicke. »Nichts.«

»Ist das noch immer wegen dem ganzen Scheiß?!« Ich antwortete nicht, denn es stimmte. »Elli, hör auf damit! Ich hasse diese Stimmung bei uns zuhause.«

»Und ich mag sie! Scheint sehr angenehm zu sein«, äußerte ich mich schnippisch, woraufhin er stöhnte.

Levin kam wieder an und erzählte Stephen etwas in seiner Sprache, vermutlich wollte er ihm zeigen, was er alles in seinem Zimmer aufgebaut hatte.

»Zick nicht rum! Das nervt.«

»Mich nervt auch vieles, aber es juckt ja keinen!« Verärgert begann ich, das Geschirr abzutrocknen.

»Ganz ehrlich, ich mag es nicht mehr, nach Hause zu kommen, weil es nur noch Stress bedeutet.«

»Schön zu wissen. Dann komm vielleicht gar nicht mehr nach Hause!«, antwortete ich bissig.

Nein, ich werde gleich gehen, wenn er geht. Wenn er das schon nicht will, dann erleichtere ich es ihm. Innerlich stockte ich. Diese Worte brachte ich schon einmal in meinem Leben hervor. Mir wurde heiß.

»Wie typisch für dich!«, brummte er, während Levin etwas in seiner Sprache dazwischen brabbelte. »Na komm, was willst du mir zeigen?« Er ging mit Levin aus der Küche, wobei er ihn an seinem Händchen festhielt.

Mein Inneres brodelte und ich war bereit, ihm alles an den Kopf zu werfen und abzuhauen. Aber ich wusste auch nicht, was genau ich ihm vorwerfen sollte, denn keiner von uns wusste, worum es überhaupt ging und was unser tatsächliches Problem war.

Stephen tauchte nach einer kurzen Weile wieder in der Küche auf. »Was ist das für eine Tasche im Schlafzimmer?«, fragte er leicht konfus und setzte sich an den Tisch. »Will irgendeine Oma Levin mit Übernachtung nehmen?« An seinen Augen erkannte ich, dass er die Frage stellte, um die Alternative zu verdrängen. Die Tasche war zu groß für Levins Sachen, ich benutzte dafür eine andere und Stephen wusste das eigentlich.

»Das sind meine Sachen. Besser gesagt Levins und meine.«

Die Farbe begann aus seinem Gesicht zu weichen.

»Das kann so nicht weitergehen, Steph!«, krächzte ich.

»Was genau?« Nun war seine Stimme kalt geworden.

»Du weißt ganz genau, was! Du willst nicht mehr nach Hause kommen, in mir kippt sofort die Stimmung, wenn du heimkommst, weil wir uns wirklich nur noch streiten. Wir haben uns auseinander gelebt, merkst du das nicht?«

»Merkst du nicht, dass es nicht nur an uns liegt? Ich werde nicht der Sündenbock für unsere Eltern sein, die uns das Leben zur Hölle machen!«, erhob er die Stimme.

»Es sind nicht nur unsere Eltern, die uns das Leben zur Hölle machen. Wir sind auch das Problem, zwischen uns läuft nichts mehr normal.«

»Und was schaust du mich so an? Bin ich allein schuld daran?«

»Das habe ich nicht gesagt! Ich will seit einer Woche mit dir reden, dass wir das beseitigen, aber du blockst ab.«

»Na, entschuldige, dass sich meine Gedanken nicht ständig um dich drehen!«

»Das verlange ich nicht, Steph! Ich will nur, dass wir das aus der Welt schaffen und wissen, ob wir noch eine Zukunft haben.«

»Mit der Tasche im Flur?! Du hast doch alles bereits entschieden!«, rief er aufgebracht und ging ins Kinderzimmer, weil er aufgrund unserer Lautstärke die Tür schließen wollte, um Levin nicht zu erschrecken.

»Ich sehe, es hat wieder kein Sinn«, warf ich ein und schlug die Richtung ins Schlafzimmer ein.

»Du spinnst doch wohl. Du willst einfach so gehen?«, empörte er sich und schnaubte. »Nicht zu fassen.«

»Hier bleiben, will ich auch nicht mehr«, offenbarte ich an ihm vorbeigehend.

»Ich dachte, du willst reden?« Er stellte sich einen Meter vor mich, damit ich nicht ins Schlafzimmer konnte.

»Wenn du mich so anstarrst, wie ein Stier das rote Tuch, dann schweige ich besser! Schließlich willst du nicht mehr nach Hause kommen, also gehe ich lieber!«

»Und du willst nicht, dass ich heimkomme!«

Einige Sekunden sahen wir uns beide bestürzt an, bis er dann rot anlief und mit einem Satz zu mir sprang. Das war zu schnell, sodass ich mich sofort anspannte, obwohl er mir nie etwas tat.

Prompt beugte er sich zu mir und fasste mein Gesicht fest mit seiner Hand, sodass ich vor Schreck meine Finger in sein Handgelenk krallte. »Sag, dass du gehen willst, weil du mich nicht mehr liebst, und ich lasse dich los!«, knurrte er mir ins Gesicht. »Aber geh nicht, weil dir jemand einredet, dass wir nicht perfekt für einander seien. Denn du bist perfekt für mich und alle anderen können mich mal, sie können reden, so viel sie wollen, bis deren Zungen ihnen abfallen. Ich werde dich nicht loslassen, bevor du mir ins Gesicht sagst, dass ich wirklich ein Versager bin, wie es deine Mutter glaubt, und du mich deswegen nicht mehr willst. Ich lasse mich nämlich nicht von meiner Mutter beeinflussen, wie du dich von deiner. Also wenn du mich wirklich nicht mehr liebst, dann sag es. Sag es mir ins Gesicht, dass du mich nicht mehr liebst!« Er hielt mich nach wie vor so fest, dass mein Kiefer langsam taub wurde.

»Steph, du tust mir weh«, wimmerte ich leise und er lockerte seinen Griff, ließ aber nicht los. »Ich habe mich entschieden.«

»Weil?«, forderte er scharf.

»Weil das keinen Sinn macht.«

»Das werde ich als Grund nicht akzeptieren!«

»Und was ist, wenn ich dich wirklich nicht mehr liebe?«, keuchte ich.

Sekundenlang sah er mir in die Augen. »Dann würde ich dir das nicht glauben!«

»Ich liebe dich nicht!«

Er sah mir direkt in die Augen und seine wurden klarer, nicht so dunkel. »Nicht überzeugend, Kleines«, meinte er etwas weicher. »Du gehst nirgendswohin. Hast du mich verstanden?« Und da bemerkte ich in seinem Blick nicht nur den Zorn, sondern auch Liebe. »Hörst du?« Er ließ mich los, zerrte mich aber an meinem Oberarm ins Schlafzimmer.

»Lass los! Was soll das?«, empörte ich mich und stemmte die Beine in den Boden.

»Du denkst jetzt gründlich darüber nach, ob du mich tatsächlich verlassen willst! Aber eins musst du wissen; ich liebe dich, so wie du bist, und so leicht lasse ich dich nicht gehen! Und dass du mich nicht liebst, musst du mir schon beweisen … Du sollst dich beruhigen und kein Drama daraus machen, und schon gar nicht sollst du an dich ranlassen, was unsere Eltern uns einreden. Denn wir leben miteinander, nicht meine Mutter mit dir, nicht ich mit deiner Mutter.« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und ich plumpste auf das Bett.

Meine Gedanken explodierten und in meiner Brust brannte es, als wäre dort ein Feuer ausgebrochen. Mehrere Minuten saß ich tatsächlich im Zimmer und versuchte nachzudenken, doch ich konnte mich gar nicht mehr konzentrieren.

Ich liebte Stephen viel zu sehr, um ihn zu verlassen, doch war emotional wegen dem ganzen Stress mit unseren Eltern und dem Umzug viel zu sehr angeschlagen und wegen den Vorwürfen restlos verzweifelt. Womöglich hatte er auch hier Recht, man müsste sich endlich beruhigen und aufhören, daraus so ein Drama zu machen, und das Geschwafel der Eltern überhören.

Stephen sah noch einmal ins Zimmer. »Ich bin weg … Und die hier nehme ich mit!« Er zeigte mir meine Wohnungsschlüssel.

»Das kannst du nicht machen!«, rief ich aufgebracht und sprang auf, als er aus meiner Sicht verschwand. Levin lief mir beinahe direkt vor die Füße, aber die Wohnungstür knallte und ich hörte das Schloss zwei Mal knacken, als ich die Tür zu spät erreichte. Ich lief zu der Terrassentür, doch darin steckte kein Schlüssel wie sonst. Erfolglos rüttelte ich an dem Griff. Er hatte mich eingesperrt, damit ich nicht von ihm weglief.

»Verdammter Bock!«, wütete ich schnaufend und schob die Gardinen zur Seite. Auch an den Doppelfenstern hatte er die Schlüssel abgenommen.

Nachdenklich rieb ich mir die Stirn und ließ mich auf das Sofa gleiten. Wie komme ich hier jetzt raus? Obwohl … Wollte ich es wirklich? War ich mir sicher, dass ich ihn verlassen wollte? Ich realisierte, dass mein rebellischer Charakter wieder zum Vorschein kam, wenn man Druck auf mich ausübte. Natürlich wusste Stephen, wie er mich bändigen konnte.

Levin kam mit einer verzogenen Schnute zu mir und ich nahm ihn auf den Schoß. Während ich ihn kuschelte, dachte ich an die letzten Minuten, daran, was hier passiert war, und musste komischerweise eingestehen, dass das alles irgendwie verrückt war, mit welcher Methode und Worten er mich nicht gehen ließ … Ein Glucksen entglitt mir und ich schüttelte den Kopf, wobei ich Levin ansah, der Stephen wie aus dem Gesicht geschnitten war. Noch waren seine Haare hell, hatten aber in der Sonne bereits diesen roten Stich wie Stephens Haar. Levin hatte sein Lächeln und seine bernsteinfarbenen Augen … an denen er sich müde rieb.

Während ich Levin wickelte und ihm ein Schlafanzug überzog, um ihn ins Bett zu bringen, klingelte das Haustelefon.

»Leg dich schon mal hin, Mama schaut nur, wer da anruft«, sagte ich zu Levin, der sich ins Bettchen legte.

Das war Krisi, deren Anruf ich entgegennahm.

»Hey, ist alles gut bei euch?«, fragte sie irgendwie leidend.

»Ja, abgesehen davon, dass Stephen mich eingesperrt hat.«

»Ich weiß«, hauchte sie.

»Was? Wie?«, war ich verwundert.

»Er hat mir den Schlüssel gegeben und meinte, ich soll euch nur dann aufmachen, wenn du mich anrufst.«

Ich lachte leise auf. »Hey, der Kerl macht mich irre!«, stöhnte ich und legte mich zu Levin in sein Bettchen. Sofort kuschelte er sich an mich und ich umarmte ihn.

»Soll ich kommen? Willst du reden?«, bot Krisi an.

»Nein, alles gut.« Ich atmete tief aus. Vermutlich dachte Stephen, dass ich mich bei ihr ausweinen würde und sie mir dann dir Tür öffnen oder mich besuchen könnte, um mir diesen Unsinn auszureden, oder einfach damit ich runterkam.

Krisi war sehr lieb und nett und wir hatten uns sehr schnell angefreundet – zumal hatte sie keine Freunde, beziehungsweise, wie sie sagte: Mit ihrem direkten Charakter hielt keiner sie aus. Sie besuchte mich ziemlich häufig, weil sie als gelernte Kosmetikerin selbstständig war und ihre Zeit frei einteilen konnte, wie sie es wollte. Es tat mir in den letzten Wochen wirklich gut, ihre endlosen und banalen Gespräche zu hören, so lenkte sie mich von den angespannten Situationen ab, die momentan bei uns zuhause in der Luft hingen, und verwöhnte mich obendrein mit einer Gesichts- oder Kopfmassage, die meine Migräne wenigstens etwas in Schach hielt.

»So wie es aussieht, habt ihr euch wieder gestritten?«

»Ja, er wollte wieder nicht mit mir reden … Ich weiß, dass er Streit überhaupt nicht ausstehen kann … auch nicht streiten kann. Er versucht es, mit seinen Scherzen glatt zu streichen und wenn es nicht klappt, greift er eben zu solchen Mitteln.«

»Vielleicht müsst ihr wirklich nicht darüber reden, sondern einfach alles begraben und neu anfangen?«

Nach einer kurzen Überlegung atmete ich durch und gab ihr recht. »Vermutlich.«

Daran dachte ich nämlich auch, doch vieles blieb noch ungesagt und man war der Meinung, man müsste es klären. Aber was nützte es, es zu klären, wenn deine Schwiegermutter dich nicht mochte oder meine Mutter in Stephen nicht den perfekten Mann für mich sah? Man selbst konnte nichts daran ändern, außer zu lernen, mit solchen Unterstellungen zu leben.

Für uns beide waren wir optimal, wir passten zusammen. Wir waren wie Feuer und Asche, liebten uns feurig und innig. Unter uns waren wir so, wie wir waren, und das mussten wir für uns selbst beibehalten und uns nicht nach den Eltern und deren Vorstellungen richten.

»Er liebt dich Elli, er würde dich nie verlassen oder dich gehen lassen, nicht aus diesen Gründen.« Auf ihre Worte atmete ich noch einmal tief durch. Ich wusste es doch selbst.

»Und es lehrt mich die, die alleine lebt und keinen Mann hat!«

Sie lachte auf. »Deshalb habe ich keinen. Es ist leichter ohne einen Mann zu leben!«

»Siehst du!«

»Hey, du bist anders als ich. Mit mir würde es kein einziger Mann mehr als zwei Monate aushalten.«

»Hast du es schon mal versucht?«

»Natürlich! Mehrere Male sogar. Einer ist sogar für einen Monat bei mir eingezogen.«

»Oha, das war wohl schon das Highlight, was? Und dann?«, wollte ich leise wissen, denn Levin begann regelmäßig zu atmen.

»Dann wollte er, dass ich ihm Essen koche. Und ich habe ihn völlig entsetzt angeguckt. Ich soll kochen?! – habe ich ihn gefragt. – Wer will hier essen, du oder ich? Du kannst doch für dich selbst kochen! Ich habe keinen Hunger, ich habe meinen Käse und Tomaten im Kühlschrank!«

Kopfschüttelnd lachte ich leise mit ihr. »Danach ist er gegangen, nicht wahr?«

»Entschuldige, aber so ist meine Ansicht. Ich bin keine Pussi, die für einen Mann die Bedienstete spielt. Und wenn ich mal einen Fick brauche, dann kann ich schnell einen Mann finden, der mich befriedigen kann … oder der etwas Handwerkliches erledigt. Tja, so ganz ohne die geht es manchmal irgendwie doch nicht, stelle ich fest«, redete sie wie ein Wasserfall, an den ich schon gewöhnt war. »Übrigens das ist vermutlich auch euer Problem.«

»Handwerklich macht er ja was zuhause, damit habe ich kein Problem.«

Sie stöhnte theatralisch. »Ich meine nicht das! Sex!«

Ich seufzte. »Ach Krisi, bei uns läuft es schon seit zwei Monaten nicht so richtig im Bett.«

»Na ja, ähm … Wenn ich so darüber nachdenke, dass bei manchen Ehepaaren ein halbes Jahr oder mehr nichts läuft, dann ist bei euch noch keine Trockenzeit.«

Ich verdrehte schmunzelnd die Augen.

»Weißt du eigentlich, dass Sex sehr gut zum Abreagieren sei?!«

»Jetzt fängst du wieder damit an, dass Sex gesund ist und besser als Sport und so ein blabla … Weiß ich!« Ich musste kichern.

»Ja! Wenn man zu lange nicht gevögelt hat, wird man kratzbürstig und die Paare streiten sich häufiger. Lässt man den Druck ab, werden beide Partner gleich samtigweich und schnurren wie Kätzchen. Ihr müsst euch wieder versöhnen, Elli! Mit so einem richtig geilen und feuchten Fick!«

»Du bist unmöglich, Krisi!«

Krisi wusste einfach, wie man eine miese Laune aufhellte. Sie selbst war mit ihren feuerroten Haaren, dieser Stimme und ihrer Art so amüsant, dass man nicht anders konnte, als sich besser zu fühlen. Und wenn sie grinste, erinnerte sie mich an die Schauspielerin Alyson Hannigan, besonders als sie in ›American Pie‹ spielte – genauso kann Krisi gucken und ihre Augen verdrehen. Mit Krisi konnte man beim Teetrinken so lachen, als wären wir davon besoffen oder auf Droge. Mit ihr konnte man über alles reden und ich öffnete mich ihr nach und nach, denn sie war nicht nur eine gute Zuhörerin, sondern gab auch gute Ratschläge und akzeptierte meine Meinung – kurz um, sie stand zu mir. Ich glaubte, auch wenn man sie in der Nacht anrufen würde und ihr sagte, dass es einem dreckig ging, würde sie sofort hereilen.

»Wenn was ist, Süße, ruf mich an, egal wie spät es ist, okay?«, hörte ich Krisi am Ohr, als könnte sie Gedanken lesen. »Oder soll ich jetzt kommen?«

»Nein, brauchst du nicht. Danke dir. Ich gehe jetzt in die Dusche und dann ins Bett. Mal sehen, wo uns diese schiefe Bahn hinführt.«

»Ich sage es dir noch einmal, poppt ordentlich, dann ist alles gut!« Sie lachte, und ich schnalzte mit der Zunge.

Wir verabschiedeten uns und ich drehte mein Gesicht zu Levins. Sein kleines Händchen lag auf meiner Brust – er konnte es nicht lassen, mich beim Einschlafen zu berühren, genau wie Stephen. Das zauberte ein Schmunzeln auf meine Lippen. Ich nahm seine kleinen noch pummeligen Finger und fuhr sie mit meinen entlang.

Wie schnell er groß wird … Irgendwann werden diese Händchen größer werden und er würde mich nicht mehr umarmen wollen. Aber noch lag er so friedlich in seinem hellblauen Pyjama mit kleinen Flugzeugen in meinen Armen. Wie konnte ich nur daran denken, ihn ohne Vater aufwachsen zu lassen? Wie konnte ich überhaupt glauben, dass ich es auch ohne seinen Vater je eine Nacht aushalten würde?

Mein Stolz und meine Sturheit schmolzen, je länger ich an Stephen und das Leben mit ihm dachte. Je länger und tiefer ich mich in meine Erinnerungen vergrub, desto deutlicher wurde mir, wie blödsinnig mein Entschluss gewesen war. Nur Stephen musste ich es noch eingestehen.

Leise schlich ich aus dem Zimmer und ging in die Dusche. Vielleicht wollte ich mich und meine Gedanken endgültig abkühlen lassen, frisch bei Verstand sein, wenn Stephen zurückkämme. Vielleicht könnten wir dann vernünftig reden.

Eine Weile prasselte das Wasser auf meinen Rücken und floss mir über das Gesicht, das ich gesenkt hielt. Doch plötzlich spürte ich jemanden hinter mir.

Ich strich mir langsam meine Haare und das Wasser aus dem Gesicht und drehte meinen Kopf, um über die Schulter zu schauen. Stephen stand an der Tür und sah zu mir rüber, nachdenklich, musternd … und irgendwie entschlossen.

Wegen seinem matten Blick schluckte ich und konnte mich nicht rühren, denn um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, was gleich kommen würde. Seine Augen wanderten von meinem Gesicht über meinen Körper und wieder zurück nach oben, während der Wasserstrahl meinen Nacken und die Schultern massierte. Mit langsamen Schritten kam Steph näher und schob den durchsichtigen Duschvorhang zur Seite, was mich noch mehr verkrampfen ließ.

Bis jetzt hatte er meinen Körper nach der Geburt nur in der Dunkelheit gesehen, deswegen stand ich noch immer so eingeschüchtert mit dem Rücken zu ihm und bedeckte meine Brust noch zusätzlich mit den Armen, als wolle ich mich selbst umarmen. Stephen sah mir in die Augen und drehte mich am Ellbogen zu sich um.

»Komm zu mir.« Seine Hände griffen nach meiner Taille und er zog mich aus der Badewanne, während ich versuchte, mich bedeckt zu halten. Behutsam presste er meinen steifen Körper an seinen und ignorierte, dass ich noch nass war. »Entschuldige«, sagte er und berührte dabei meine Lippen. Davon wurde mir auf Anhieb heiß und kalt zugleich. »Das zwischen uns läuft nicht so, ja … Aber ich gebe dich nicht auf, weder wegen meiner noch wegen deiner Mutter, die können mich beide mal!«, sprach er an meinem Gesicht und sah mir tief in die Augen. »Die haben uns nicht zu sagen, wie wir leben, wie oder was wir machen und wen oder wie wir uns lieben sollen. Ich liebe dich. Ist das klar? Ich lebe mit dir zusammen, nicht sie! Ich. Liebe. Dich! So wie du bist, mit all deinen Fehlern, mit all deinen Macken, mit allem, was zu dir gehört und nun auch mir gehört. Du gehörst zu mir! Du bist meine Liebe!«

Jedes seiner Worte brach in mir Stück für Stück von meiner errichteten Blockade.

Seine Hände umschlangen meine Schulter, als er die ersten Tränen über meine Wangen kullern sah. »Kleines, ich würde durchdrehen, wenn du gehst, ich würde ohne dich sterben … Sag bitte etwas! Sag, dass es nicht wahr ist.«

»Ich will so nicht mehr weiterleben. Wir reden doch kaum mit einander … und du beschwerst dich, dass bei uns nichts läuft … auch im Bett nicht.«

»Meine süße Kissa …« Er küsste mein Gesicht ab. »Ich respektiere deine Müdigkeit oder Lustlosigkeit –, obwohl ich durchdrehe, weil ich dich nicht so haben kann wie früher – aber auch das wird vergehen. Auch wenn ich mich beschwere – nein, ich jammere, aber nur, weil meine Eier voll sind!« Ich gluckste und er lächelte. »Aber es ist dadurch nicht so, dass ich dich nicht mehr liebe oder haben will.« Weitere Küsse hagelten auf mein Gesicht herab, wobei er meine Tränen mit seinen Lippen auffing. »Bitte, geh nicht. Wir werden es schaffen, wir zusammen … Wie in guten so in schlechten Zeiten, weiß du doch.«

Mein Inneres taute endgültig auf und ich umarmte ihn sachte um den Rücken. Wie dumm ich doch war zu glauben, dass Stephen und ich nie mehr zu einander finden würden, das war bis jetzt doch noch nie der Fall gewesen.

»Und wir haben doch abgemacht, dass wir erst dann gehen und loslassen, wenn einer von uns den anderen nicht mehr liebt!«, murrte er an meiner Schulter, die er mit seinem sanften Kuss streichelte. »Aber ich sehe, dass du mich genauso liebst.«

Ich schmunzelte mit den Tränen in den Augen. »Es war anders abgemacht. Wir sollen sofort Bescheid geben, wenn wir uns entliebt haben.«

»Hm … dann ist es eine Ergänzung zu der Regel«, amüsierte er sich und ich lachte leise, während er flüsterte, dass er mich liebte, und sich meinen Lippen näherte.

Noch zurückhaltend erwiderte ich den Kuss, einen zärtlichen Kuss, der diese Schmetterlinge im Bauch aufweckte, als wäre es der erste Kuss. Unsere Zungen umschlangen sich, sanft wie ein spielendes Feuer, das dann nach und nach seinen Lauf nahm und dann lichterloh brannte.

Stephen zog sein Shirt aus und presste meinen Körper an seinen. Die Luft zwischen uns knisterte und loderte auf. Viel zu lange waren wir nicht intim, viel zu lange spürten wir diese Funken zwischen uns nicht, die unsere Lust aus uns herausforderte. Seine Hände waren überall und seine Lippen verschlangen meine Lippen, heiß und innig. Er begann, seine Jeans auszuziehen, wobei ich ihm half und seinen Gürtel öffnete.

Rasch hob er mich hoch und hielt mich unter dem Po fest. Meine Beine umschlangen sein Becken und meine Finger krallten sich in seine Haare, indem ich ihn an dem Kopf zu mir drückte, um mich in seinem Kuss völlig aufzulösen. Aber ich begann, mich innerlich zu verkrampfen, weil meine Kakerlaken mir einredeten, dass mein Körper nach der Schwangerschaft nicht gut genug für ihn war.

»Entspann dich, Kleines!«, bemerkte es auch Stephen und glitt mit seinem Finger zwischen meine Beine, an meine zarte Haut, an der es pulsierte. Sein Finger glitt in mich und nach einigen sachten Bewegungen folgte der zweite. Ich versuchte, mich von den Gedanken zu befreien, mich zu entspannen.

Stephen drang vorsichtig und langsam in mich ein. Meine Luft entwich zittrig an seinem Mund und er bedeckte meine Lippen mit seinen, um mich weiter anzuheizen.

»Halt dich fest«, hauchte er in mein Gesicht, und ich umarmte ihn um seinen Hals. Ein leichter Stoß und er war tiefer, als er sonst nach der Geburt in mir war. Sein Atem verbrannte meine Wange. »Das machst du gut, lass dich gehen«, schnurrte er und bewegte mich auf sich. Es war kopfverdrehend … Ein weiterer Stoß und ich biss mir auf die Lippe.

»Hör auf«, bat ich und bereute es in dem Moment, als er aufhörte, weil ich dennoch weiter machen wollte.

»Komm ins Bett, es würde besser für dich sein.«

Zusammen mit mir auf dem Arm ging er ins Schlafzimmer und küsste mich gelegentlich. Behutsam legte er mich auf das Bett ab und ich verdeckte mit den Händen meine Blöße.

»Elli«, mahnte er leise, als er vor dem Bett stand und auf mich herabsah. »Mach deine Hände weg! Du sollst dich nicht für deinen Körper schämen.«

»Tu ich aber!«, erwiderte ich schmunzelnd.

»Die Schwangerschaft hat dir überhaupt nicht geschadet. Hör auf damit!« Er beugte sich zu seiner Kommode und holte eine Tube heraus.

»Was ist das?«, wurde ich stutzig und hob meinen Kopf an.

»Das ist, damit du dich entspannst.« Seine Hand drückte mein Knie beiseite, wobei ich aber dagegen steuerte. »Sag mal«, empörte er sich lächelnd, als ich das nicht zuließ.

»Sag, was das ist!«, forderte ich schmunzelnd.

»Ein wärmendes Gleitgel.« Er kniete sich zwischen meine Füße und drückte auf die Tube. Ich kam mir etwas prüde vor, doch ließ mich im nächsten Moment darauf ein. Schließlich wollte ich endlich, dass unser Sexleben wieder normal wäre. Das Gleitgel wirkte tatsächlich Wunder und das wärmende Gefühl zwischen meinen Beinen entspannte mich endgültig. Nach einer kurzen Weile konnte Stephen ganz in mich eindringen … und leider auch kommen.

»Sorry, das war wohl die lange Vorenthaltung deines Kätzchens von mir«, brummte er, als er sich zum Ausruhen neben mich legte.

»Von meinem magischen Kätzchen!«, korrigierte ich ihn, als ich mich an seinen Scherz erinnerte.

Stephen lachte lautlos. »Ja, ist sie … Glaube aber ja nicht, dass damit Schluss ist. Wir machen gleich weiter.«

»Was?«

»Hey, wir konnten früher drei Mal hintereinander und die ganze Nacht durchvögeln, ich will das nochmal erleben, so wie früher.«

»Du bist aber nicht im früher! Wir sind älter und haben uns auch körperlich verändert.«

»Stimmt … Mein Sixpack wandelt sich so langsam in ein Fass um.«

Ich musste mir ein lautes Lachen verkneifen, um Levin nicht aufzuwecken.

»Du hast dich aber zum Guten verändert«, meinte er und rollte wieder zu mir.

»Inwiefern?«

»Dein Becken ist breiter geworden, das ist für mich noch anziehender geworden, viel weiblicher und in dir drin …«

»Äh, ne, sprich nicht weiter!« Ich stoppte ihn mit einem Kuss.

Stephen murrte verführerisch. »Mh, da will jemand eine Wiederholung.« Ich kicherte an seinen Lippen. »Sag es.«

»Ja.«

»Nein, sag, dass du mich willst.«

»Ich will dich«, hauchte ich, wobei ich sein Becken an mich drückte, und war tatsächlich wieder – oder immer noch – Feuer und Flamme.

Stephen streichelte meine Brust abwechselnd mit seinen Händen und seinem Mund. Mein Körper duldete es und ich biss auf meine Unterlippe, um mein Stöhnen zu unterdrücken, als seine Finger sich wieder zwischen meine Beine schoben. Wie von selbst reckte sich mein Becken ihm entgegen, mein Körper zu seinen Händen und Lippen. Seine Zunge glitt sanft über meine Klitoris, weshalb ich das Gefühl hatte, dass mein Blut gleich zu kochen begann … seine Finger brachten mich beinahe dazu, dass ich zum Schluss käme. Von seinen Liebkosungen und Berührungen war ich sogar bereit, mit dem Teufel einen Vertrag abzuschließen, Hauptsache es endete nie.

Stephen lächelte mich an, wegen meiner Reaktion auf ihn, rollte mich auf sich und drang in mich ein, ohne Vorwarnung, dreist und knallhart. Tausende von Farben blendeten mein Unterbewusstsein und ich hauchte die angehaltene Luft aus, bevor er meine Lippen in einem Kuss versenkte. Seine Hände drückten mich an den Schultern runter, während unsere Bewegungen schneller wurden. Mein Atem war außer Kontrolle, ich wusste nicht mehr, wo oben und unten war, so als ob ich mich in einem anderen Universum verlor. Meine ganze Aufmerksamkeit fixierte sich auf die unbeschreiblichen Gefühle in meinem Unterleib, die mir dann den explosivsten Orgasmus bescherten, den ich je hatte. Ich zitterte am ganzen Körper und wartete darauf, dass die Empfindungen in mir nachließen. Aber Stephen hörte nicht auf und diese Gefühle wirkten plötzlich wie ein Trampolin. Der zweite Orgasmus jagte mit der Geschwindigkeit einer Supernova durch meinen Körper und brachte mir dann eine himmlische Freude, in der ich schmolz wie Eis in der Sonne.

Als ich kraftlos auf Stephens Brust fiel – nicht wirklich sexy, eher wie ein nasser Kartoffelsack –, musste er über mich lachen und strich mir über den Rücken.

»Es ist immer wieder geil anzusehen, wie ich dich bis an das Äußerte bringen kann.«

»Du bist ein Monster! Ein Sexmonster!«, krächzte ich müde und er begann unter mir vor lautlosem Lachen noch mehr zu zittern. Vermutlich erinnerte er sich daran, als ich damals bei ihm zuhause aufkreuzte und ihn beinahe zum Sex gezwungen hatte, und er das zu mir sagte, ich aber aus seinem Mund Sexhamster verstand.

Jedes Mal war ich Stephen dankbar dafür, dass er mich aus den Fängen meiner Zweifel und meiner Widerspruchsgeister befreite. Die Liebe war unglaublich. Sie konnte um alles kämpfen und siegte meistens. Sie war das, wofür man leben wollte.

»Ich liebe dich, mein Sexhamster«, sagte er und küsste mich auf die Stirn.

»Ich dich auch.« Das war das Letzte, an was ich mich erinnerte. Ich war so müde, dass ich nicht einmal merkte, wie ich in den Schlaf fiel.


Eine warme Hand streichelte meinen Rücken und ich murrte zufrieden im Schlaf, während ich auf seiner Brust lag … die kuschelig war. Sofort öffnete ich meine Augen auf und hob meinen Kopf.

»Hey, mein Liebes«, schnurrte Edwin und wollte mich küssen.

Ich wollte aufschreien, doch bekam nur ein krächzendes Geräusch heraus. Prompt krabbelte ich von ihm runter, doch seine Hand legte sich schwer um mich.

»Edwin«, hauchte ich bereits atemlos und wollte wieder schreien, damit Stephen mich weckte. Ich hörte ihn, wie er mich im Schlaf beruhigte. Fuck, wach auf!

Inzwischen konnte ich in meine Träume mit Edwin etwas eingreifen, wenn ich realisierte, dass es ein Traum war. Ich konnte mich gegen ihn wehren und versuchte, selbst aufzuwachen. Gute sechs Mal klappte es. Diesmal aber nicht. Der Traum sah so real aus, als wären wir wirklich in meinem Schlafzimmer. Das irritierte mich noch zusätzlich.

Während ich vor Edwin auf dem Bett wegkrabbelte und die Decke mit mir zog, um meine Blöße zu verbergen, schnappte er danach.

»Wir gehören zusammen!«, meinte er verbissen.

Ich riss mich von ihm los, wobei ich zusammenzuckte und aufwachte. Stephen strich mir über die Wange.

»Schh, ich bin da … Du hast schlecht geträumt, Kleines«, beruhigte er mich halbschlafend.

Schwer atmend legte ich mich wieder mit dem Gesicht zu Stephen und sah ihn eindringlich an, als ob ich noch zweifelte, dass er wirklich Stephen war und sich nicht gleich noch als Edwin entpuppte. Alles im Traum hatte wie in unserem Schlafzimmer ausgesehen, selbst der hellblaue Schatten von dem Mond, den der Fensterrahmen auf die Wand warf, war in meinem Traum gewesen.

Stephen schlief Sekunden später wieder ein, im Gegensatz zu mir. Zuerst machte ich mir Gedanken, warum ich nach wie vor, Monat um Monat, Jahr für Jahr Edwin sah und ob es eine Bedeutung hatte. Doch je länger ich Stephen beim Schlafen beobachtete und an das Leben mit ihm dachte, desto wacher wurde ich.

Ich war glücklich mit ihm und nur das zählte im Augenblick. Die Vergangenheit war Vergangenheit und dort gab es mich nicht mehr. Stephen und mein Sohn waren jetzt meine Gegenwart, mit denen ich noch vieles in meiner Zukunft erleben wollte. Auch wenn wir Fehler machten und uns stritten, das war menschlich und gehörte zur Liebe dazu, um zu reifen. Unsere Liebe war der pure Sonnenschein, die mir einen warmen und herrlichen Sommer in meinem Innerem bescherte, in dem ein betörender Duft herrschte und viele bunte Blumen blühten, um die sich Schmetterlinge tummelten und meine Seele kitzelten. So fühlte sich wohl die echte und wahre Liebe an.

Als sich der Horizont zu erhellen begann, konnte ich erst recht nicht mehr einschlafen und stand leise auf. Ich zog mir meinen Hausmantel an und schlich mich aus dem Schlafzimmer heraus. Levin schlief auch noch fest und ich küsste ihn auf seine pummelige Wange. So leise, wie es nur ging, erledigte ich meine morgendliche Routine.

Das Wohnzimmer fluteten die ersten, müden und zarten Sonnenstrahlen. Mein Blick blieb auf meinem Keilrahmen hängen, der sauber auf der Staffelei in der Ecke stand. Wie lange habe ich nicht gemalt? Ein halbes Jahr oder doch schon länger? Meine Bildverkäufe liefen nicht überragend, aber ich war dennoch zufrieden, dass ich ein bis fünf Bilder im Monat loswerden konnte. Von meinen liebsten Bildern konnte ich mich nicht trennen und zeichnete sie auf dem Keilrahmen auch nicht nach. Stephen meinte, dass gerade diese Bilder sehr schnell weggehen würden, wenn ich sie nachmalen und in den Verkauf stellen würde. Als wenn ich nach der Bestellung gehen würde oder das malte, was die Menschen momentan haben wollten, weil es im Trend lag. Vermutlich wollte ich es auch deshalb nicht, weil meine früheren Bilder aus meinem Leben und Träumen stammten und so viel Leben ausstrahlten, dass ich das Gefühl hatte, damit auch ein Stück meiner Seele zu verkaufen.

Noch nie in meinem Leben hatte ich so einen Drang, die Farben auf der Palette auszudrücken und diese nach und nach auf die Leinwand zu streichen. Mit bloßen Fingern. Gelbe, orange und pastellig rosarote Farben vermischten sich darauf. Mit verschmierten Fingern nahm ich dann doch einen runden Pinsel und verwischte die Farbe auf dem Stoff in kreisenden Bewegungen. Mit weißer und hellblauer Farbe setzte ich zarte Tupfer mit einem Schwamm und verwischte diese ebenfalls mit dem Pinsel, sodass feine Wolken wie Federn entstanden. In die Mitte des Bildes malte ich ein verwischtes Gesicht einer Frau, die im Sonnenlicht stand. Es schien, als ob die Sonne durch sie hindurch schimmerte … oder sie selbst strahlte wie die Sonne, wie der Sommer. So fühlte ich mich momentan auch, warm und geborgen, wie diese Frau mit dem pastelligen Himmel im Sonnenaufgang im Hintergrund.

Das Werk betrachtend saß ich auf dem Stuhl und ließ es auf mich wirken, sowie die Sonne, die durch das Fenster auf meine Haut fiel. Mit einem feinen Pinsel schrieb ich in die Ecke des Bildes ›Vanilla Sky‹ und unterzeichnete es mit meinem Mädchennamen – das war nun mein Pseudonym für Bilder.

»Hm«, hörte ich Stephen hinter mir, und ich schaute ihn über die Schulter hinweg an. »Warum nicht nackig?« Er hob im Lächeln eine Augenbraue.

Kopfschüttelnd schmunzelte ich, als er bei mir ankam und seine Hände auf meine Schultern legte, die er dann mit Streichbewegungen runterschob. Ich schloss die Augen und genoss die zärtlichen Küsse auf meiner Haut.

»Zieh dich aus«, schnurrte er. »Wir wiederholen es gleich!«

»Levin wacht gleich auf«, sagte ich schmelzend in seinen Berührungen.

»Nur einen Quickie.« Seine Küsse wanderten über meinen Hals zu meinen Lippen.

»Steph«, hauchte ich.

»Du hast übrigens heute Nacht wieder gestöhnt. Was hast du geträumt?«

Ich wandte meinen Blick zum Fenster ab, während er weiter meine Haut an den Schultern liebkoste. Inzwischen hatte ich eine Vermutung, warum ich immer noch von Edwin träumte – es war wohl noch kein Ende, wir würden uns wiedersehen. Die Vergangenheit würde mich weiter verfolgen. Ich fragte mich nur: was müsste ich tun, was müsste geschehen, damit es endlich aufhörte? Waren Edwin und ich von dem blöden Schicksal doch für einander bestimmt und meine Träume deuteten darauf, dass es uns dennoch zusammenführen würde?

Ich hatte Angst.

»Maaa-paaa!«, rief Levin. So nannte er uns beide, wenn er uns hörte. Stephen murrte unzufrieden und ließ mit seinen Händen von meiner Brust ab. Ich richtete meinen Mantel, als Stephen schon vom Wohnzimmer aus ins Kinderzimmer schaute. »Wo ist mein Großer?!«

Da Levin ihn durch seine Weiterbildung selten sah, begann er mit ihm zu spielen und zu kuscheln. Diesen Anblick beobachtete ich, während ich mich an der Tür des Kinderzimmers anlehnte.

»Komm her, Kissa.« Stephen streckte eine Hand aus und zog mich zu sich. »Mi alle love you!«, sagte er lächelnd die Worte in drei Sprachen. »Ihr seid mein Leben, das ich mir ohne euch gar nicht mehr vorstellen kann.«

Geschmeichelt lehnte ich meinen Kopf auf seine Schulter und umarmte meine Männer. »Ich mir auch nicht mehr.« Mir fiel aber Stephens grinsender Blick auf, als ob er mir sagen wollte: »Erzähl keinen Scheiß!«

»Grins nicht so. Wäre das nicht der Fall, wäre ich gestern gegangen!«, gab ich lächelnd zu.

Stephen drückte mich an sich. »Nirgendswohin wärst du gegangen!« Ich nickte zustimmend. »Wer würde von so einem Mann wie mir auch weggehen?«

Augenrollend schnaubte ich, was ihn amüsierte.



Juli 2009


»Schön ruhig war es diesmal, oder?«, machte Stephen die Andeutung auf das Abendessen mit unseren Eltern wegen unserem dreijährigen Hochzeitstag. Er umarmte mich von hinten, während ich am Waschbecken stand und mein Gesicht mit kaltem Wasser wusch. »Auch wenn deine Mutter nicht an sich halten konnte und an mir rumstichelte … Natürlich als Scherz

»Deine Mutter war auch nicht besser mit ihren Belehrungen, wie man das Kind richtig füttert oder erzieht.«

»Ja, das kann sie gut … Ignoriere es, sonst werden sich deine Kakerlaken im Kopf wieder vermehren«, gluckste er und ich rang mir ein Schmunzeln ab, als er meinen Hals küsste. »Kleines, du siehst so geschafft aus«, bemerkte er und ich ließ meinen Blick sinken, weswegen er mich zu sich umdrehte. »Wovon träumst du nachts immerzu, kannst du es mir bitte endlich sagen?«

»Keine Ahnung … es ist alles durcheinander, womöglich ist es wegen dem Stress«, tat ich es ab. Ich konnte ihm doch nicht sagen, dass mich nachts nach wie vor Edwin heimsuchte. Verdächtig sah er mich an und ich konnte ihn mit einem anderen Thema davon ablenken. »Wir bekommen ein Baby«, informierte ich ihn auf Russisch. Er verstand nicht sofort, wie ich das meinte.

Stephen blinzelte. »Welches Baby?«

»Na … so ein schrumpeliges, immerzu quengelndes Baby halt«, verdeutlichte ich es ihm unnötigerweise.

»Du meinst, wir bekommen ein Baby?«, hinterfragte er.

»Ähm, jaaa … Wen würde ich sonst mit wir ansprechen?!«

»Ich dachte, du meinst, Besuch von Levins Freunden, oder so … Keine Ahnung, hab es nicht gleich gecheckt.« Er wirkte nun leicht verloren, doch erhellte sich dann. »Warte mal … das müsste dann nach unserem Kinobesuch gewesen sein … Oh mein Gott, wir haben unser Baby auf einer Kommode gezeugt?!«

»Steph, du bist unmöglich.« Ich konnte nicht mehr und aus mir brach ein leises Kichern heraus. »Besser gesagt im Stehen.«

»Oh ja und es war der Hammer, Kissa. Es wird ein wunderschönes Kind sein, mit so einer Explosion, die wir hatten.« Seine Hände drückten mich an ihn.

»Es wird ein Mädchen.«

»Ein Mädchen? … Du weißt es schon länger? Warte, nein … Ach ja, klar, du weißt es einfach schon.« Ich nickte lächelnd. Selbst das Geburtsdatum hatte ich in meinem Traum sehen können, der achtundzwanzigste … nur den Monat konnte ich nicht erkennen, weil es verschwommen war.

Stephen legte seine Stirn an meine. »Ich freue mich.«

»Wirklich?«, hakte ich nach.

»Wirklich. Fühlst du dich diesmal gut?« Sein Gesicht wurde ernster.

»Um ehrlich zu sein, habe ich diesmal keine Übelkeit. Aber ich war schon zwei Mal zur Vorsorge, weil ich wieder kein Gefühl vom Schwangersein empfinden kann, so wie beim letzten Mal … und habe Sorgen gehabt. Aber es ist alles in Ordnung.«

»Mach dir bloß keine Sorgen, alles wird gut.«

»Hast du beim letzten Mal auch gesagt.« Ich zwang mich, meine Mundwinkel anzuheben. Aber diesmal war ich positiv eingestimmt, denn ich sah keine Träume, die mir das Gegenteil zeigten … Noch nicht.

Diese Schwangerschaft war anders. Die ersten drei Monate spürte ich nichts, konnte normal und nicht für zwei essen, empfand nicht diesen typischen Heißhunger und keine Übelkeit. Doch im dritten Monat brach der Horror aus – eine verspätete Übelkeit, die die ganze Schwangerschaft andauern könnte, wie mir die Frauenärztin erklärte. Ich konnte kaum etwas essen; kein Fleisch, keine Gewürze, keine süßen Joghurts, kein Quark, keine Milch oder Sahne, keine Tomaten, schon gar nicht frische Gurken, die roch ich kilometerweit und könnte mich sofort übergeben, keine süßen oder sauren Früchte, kein Obst. All das bescherte mir so eine Welle an Übelkeit, dass ich mich dann tagelang übergeben musste. Auf meinem Speiseplan blieb nicht vieles übrig; nur Kartoffeln und Nudeln ohne alles. Trinken konnte ich nur Wasser, aber auch nur schluckweise und nicht mehr als drei Schlucke hintereinander. Dadurch verlor ich in den ersten drei Monaten fünf Kilo, was bei meinem Fliegengewicht extrem bemerkbar war. Ständig war ich richtig garstig … Eben wie Frauen mal so waren, wenn sie Hunger hatten. Stephen nahm es meistens mit Humor …

»Ich fass dich lieber nicht an, sonst beißt du mir noch die Hand ab!«

Oder …

»Guten Morgen, Kleines!«, begrüßte er mich freudestrahlend.

»Das ist er noch nicht!«, ging ich murrend an ihm vorbei und machte den Kühlschrank auf.

»Okay, dann werde ich dir das nach dem Frühstück noch mal wünschen«, gluckste Stephen und begann mir beim Frühstück zu helfen.

Kaffee! Ich vermisste Kaffee so sehr, der mich wach und munter hielt. Und ich hatte Hunger! Ständig Hunger, den ich mit nichts stillen konnte. Und wenn ich es doch schaffte … freute sich das Klo circa drei Tage lang, Futter zu bekommen.



Dezember 2009


Eigentlich hatte ich keine Lust auf Feierlichkeiten, weil unsere Eltern in unsere Beziehung noch immer ständig Öl gossen. Wir beide wollten es nicht an uns heranlassen, doch irgendwann war das Fass einfach wieder zu voll. Ich wollte schon keinen sehen, keinen empfangen. Doch meinem Sohn konnte ich seinen Geburtstag nicht vorenthalten und schon gar nicht seine Großeltern.

Essen zubereiten, konnte ich nicht wirklich, weil mich die ganzen Gerüche beinahe umbrachten. Also machte ich nur eine Kleinigkeit aus Fingerfood für unsere Eltern, die natürlich ihren Enkel sehen wollten und ihn dabei mit Geschenken überschütteten. Es sah danach aus, dass was Stephen und ich in unserer Kindheit nicht sehen und spielen konnten, nun unser Kind abbekommen musste.

Als mein Sohn mit seinen neuen Spielzeugen abgelenkt war, gingen die Gespräche immer mehr auf uns über. Ein Wort jagte das nächste, ein Satz folgte dem anderen, und schon wurden aus scherzenden Sticheleien Schläge unter die Gürtellinie.

»Das Einzige, was du, Stephen, gut gemacht hast, war dein Sohn«, brachte meine Mutter hervor und breitete ihr fieses Lächeln aus. Es sollte natürlich ein Scherz sein!

»Schön! Wenigstens damit konnte ich es meiner Schwiegermutter recht machen«, konterte Stephen mit einem Lächeln.

»Das verstehe ich nicht«, stutzte Swetlana. »Willst du damit sagen, dass mein Sohn zu nichts anderem fähig ist?«

»Na ja, aber was hat er denn sonst noch gemacht?«, erwiderte meine Mutter.

Ich erschoss sie mit einem Blick, doch sie lächelte es weg. Auf Stephens Gesicht merkte ich, wie sehr er seinen Ärger in sich zurückhielt und sich zusammenriss.

»Er bildet sich gerade weiter und das neben seiner Arbeit und Familie, wenn du das nicht gemerkt hast!« Swetlanas Ton wurde auch schärfer.

»Familie?! Elli nimmt ihm doch alles ab, den Kleinen und den Haushalt, damit er lernen kann, und das in ihrem schweren Zustand. Er ist doch nie da und macht sonst nichts mehr.«

Stephen und ich saßen nebeneinander und hörten uns das an, wie sie sich über den Tisch die Worte gegenseitig zuwarfen. Mein Vater zischte etwas dazwischen, vermutlich, dass meine Mutter endlich damit aufhören sollte, während Sebastian die beiden abwechselnd nur ansah und kaum etwas verstand, weil sie die Worte aus Deutsch und Russisch vermischten.

»Er macht es doch nicht nur für sich, sondern auch dafür, dass er später besser für seine Familie sorgen kann. Deine Tochter muss darauf Rücksicht nehmen und ihn unterstützen und nicht zuhause noch mehr Stress machen!«

»Wo mache ich bitteschön Stress?«, wandte ich mich nun an Swetlana und sah dann Stephen an, der schwer ausatmete. »Wo mache ich dir denn Stress?«, hinterfragte ich bei ihm.

»Elli, schau dich mal an, du bist ständig gereizt und nörgelst rum«, meinte seine Mutter.

»Mum!«, warnte Stephen. »Wir hatten doch das Thema  schon.«

»Vielleicht stellt ihr euch die Frage: Warum haben Stephen und ich Stress?«, machte ich die Andeutung, dass wir uns eigentlich meistens nur wegen ihnen stritten. Doch sie ignorierten mich.

»Ganz ehrlich, Swetlana, wir waren doch auch mal in so einem Zustand. Wir müssen es doch besser wissen, wie es in der Schwangerschaft ist«, verteidigte mich meine Mutter.

»Ja, aber ich war nicht zickig. Ich hatte Verständnis für meinen Mann, wenn er spät nach Hause kam und war für ihn da, anstatt ihm noch das Kind vorzuschieben.«

Stephen erdolchte sie mit Blicken.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 18.07.2023
ISBN: 978-3-7554-4724-5

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