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DOKTOR  WHO

 

 Der Beginn des Doktors

 

  

Eine FanFiktion- Geschichte von

 

Anne Grasse

 

  

Selbstverständlich gehören die Rechte an den Serienfiguren der BBC und allen anderen Beteiligten. Ebenfalls wurden viele Hinweise, Namen, Personen und Geschehnisse aus der Serie für diese Geschichte genutzt, auch dafür bleiben die Rechte natürlich bei BBC (oder wem auch immer).

 

Mir gehört nur der Rest und ich verdiene auch kein Geld damit

 

2019

 

korrigierte Fassung ab 2023

Blick in die Ewigkeit

„Tarwen? Was ist los mit dir?“ Dalorni stupste ihren Freund leicht an.

Langsam hob der achtjährige Junge den Kopf. In seinen Augen stand tiefe Traurigkeit. „Es ist soweit. Morgen holen sie mich ab. Dalorni, ich werde nie mehr hierherkommen. Es tut mir leid.“

Eine Träne rann über die Wange des kleinen Mädchens. „Du gehst zur Akademie? Ich sehe dich wirklich niemals wieder? Kann ich dich nicht besuchen?“

„Das wird nicht geduldet. Begreifst du nicht? Ich bin ein Timelord. Oder werde es sein, wenn ich ausgebildet bin. Du bist eine normale Gallifreyerin. Sie lassen dich nicht zu mir. Du weißt doch, dass wir unsere Freundschaft immer verheimlichen mussten. Vater hätte mich niemals mit dir spielen lassen.“

„Weil du etwas Besonderes bist. Und ich nicht.“ Dalorni schluchzte leise.

„Das will ich aber nicht sein. Ich wäre viel lieber wie du. Nur habe ich keine Wahl.“

Jetzt weinte auch er. Tarwen wischte sich mit den Händen über das Gesicht. Er umarmte seine Freundin, die einzige, die er hatte. Denn die anderen Kinder aus dem Ostviertel, in dem er wohnte, mieden ihn. Hier lebten die Angehörigen der besonderen Familien, der Timelords. Sie lebten wesentlich länger als die gewöhnlichen Gallifreyer und besaßen Fähigkeiten, von denen andere nur träumen konnten.

Doch Tarwen ging gerne in die nur zwei Straßenzüge entfernten Stadtteile der normalen Bewohner. Obwohl auch diese Kinder nichts mit ihm zu tun haben wollten. Denn er gehörte nicht zu ihnen. Er war dazu bestimmt, in der Akademie zu leben, wie alle Timelords. Nur Dalorni dachte anders, seine Freundin, die immer zu ihm gehalten hatte. Und jetzt musste er sie verlassen.

Eine Weile hielten sie sich an den Händen, dann löste Tarwen sich von ihr. „Leb wohl“, flüsterte er, drehte sich um und rannte weg.

So leise wie möglich schlich er sich in sein Zimmer. Ein Blick auf den Monitor zeigte ihm, dass niemand hier gewesen war. Also hatten die Eltern seine Abwesenheit nicht bemerkt. Er atmete auf. Gerade heute wäre es schwierig gewesen, zu erklären, warum er fortgegangen war.

Mit einem tiefen Seufzen setzte er sich auf das Ruhelager und umklammerte seine Knie. Minutenlang starrte er auf die Tasche, die ihm gegenüber auf dem Boden stand. Sie enthielt sämtliche Dinge, die er mitnehmen durfte. Ein paar persönliche Spielsachen und seine Lieblingsbücher. Alles andere, auch Kleidung, stellte die Akademie. Ab morgen wohnte er in den Erziehungshäusern, in denen die Kinder der Timelords auf ihre eigentliche Ausbildung vorbereitet wurden.

Wie würde es sein, mit anderen seines Alters zusammen zu leben? Tarwen verzog schmerzlich den Mund, vermutlich lehnten auch sie ihn ab. Weil er zu neugierig war und ständig alles über Mögliche nachdachte. Das war das Zweite, das die Kinder in der Nachbarschaft an ihm störte. Sie hatten es ihm oft genug vorgeworfen.

Vielleicht durfte er im dortigen Unterricht Fragen stellen. Auf jeden Fall konnte er wesentlich mehr lernen, als an jeder anderen Bildungseinrichtung dieser Welt. Und Tarwen kannte nichts Vergnüglicheres und Interessanteres, als sich Wissen anzueignen und so die unzähligen Rätsel und Problemstellungen, die sich ständig in seinem Kopf bildeten, zu beantworten.

Obwohl er Angst vor dem Unbekannten hatte, das ab morgen auf ihn zukam, erregte ihn die Aussicht auf neue, andere Lehrer auch. Bisher hatte der Vater ihn unterrichtet. Dieser duldete keine Zwischenfragen und verlangte absoluten Ernst von ihm. Vor allem, wenn Tarwen vom Thema abschweifte und Dinge wissen wollte, die nicht zum aktuellen Lehrstoff gehörten, wurde er wütend und maßregelte ihn sofort. Tarwen zuckte bei diesem Gedanken schuldbewusst zusammen. Er durfte die Eltern nicht kritisieren.

Im selben Moment ertönte ein heller Gongschlag. Er erschreckte Tarwen so sehr, dass er vom Lager rutschte. Hastig rappelte er sich auf. Wenn der Vater ihn auf diese Art rief, durfte er ihn nicht warten lassen. Eilig lief Tarwen den Gang entlang, vergaß jedoch nicht, seinen Schritt rechtzeitig zu mäßigen, damit er ordentlich vor der Tür ankam und sich korrekt anmelden konnte.

„Komm herein!“

Die Tür öffnete sich, Tarwen trat ein, aufrecht und mit ruhigem Gesichtsausdruck. Nur die schweißnassen Hände könnten verraten, dass er längst nicht so gleichmütig war, wie er sich gab. Er verschränkte sie sicherheitshalber auf dem Rücken.

„Es ist alles vorbereitet?“           

„Ja, Vater.“         

Der breitschultrige Mann in der dunklen, rötlichen Robe sah ihm in die Augen. „Du bist von mir gut geschult worden und besitzt eine außerordentliche Intelligenz. Du wirst meine Erwartungen erfüllen, Tarwen!“

Bei dem fordernden Tonfall zog dieser leicht die schmalen Schultern hoch. „Ich werde die Prüfung bestehen und die Ausbildung in der Akademie abschließen.“

Das zufriedene Lächeln des Vaters zeigte Tarwen, dass er die richtige Antwort gegeben hatte. Er atmete auf.

„Du bist sehr begabt, das bedeutet, dass du zu den besten Schülern gehören wirst. Wenn du dich anstrengst, schaffst du später den Aufstieg in den Hohen Rat. Du wirst Zugang in die höchsten Räume der Zitadelle erhalten.“

In die Augen des Mannes trat ein Leuchten. Er hob den Kopf und blickte über Tarwen hinweg. Vor seinen inneren Augen konnte er das ersehnte Bild deutlich sehen. Der Junge in der langen, weinroten Robe des Rates, geschmückt mit dem edlen, überbreiten Kragen, der den Kopf umrahmte. Das bedeutete auch für ihn einen bedeutenden gesellschaftlichen Aufstieg. Er, Domen, würde zu den angesehensten Familien auf Gallifrey gehören!

Dass Tarwen nicht wirklich sein Sohn war, wussten nur ausgesuchte Mitglieder des Hohen Rates. Und die schwiegen in ihrem eigenen Interesse. Denn das Kind, dessen Erziehung ihm vor sechs Jahren übergeben worden war, durfte die Wahrheit über sich niemals erfahren.

Eine gutaussehende Frau betrat das Zimmer. „Hier bist du, Tarwen.“ Sie nickte ihrem Mann zu, ehe sie den Jungen intensiv musterte. Dessen dunkelblonde Haare waren ordentlich gekämmt und auch seine Kleidung war sauber und glatt. Tarwen hielt den Blick respektvoll gesenkt. In den Augen seiner Mutter stand Stolz, doch nicht das kleinste Lächeln belebte ihr Gesicht.

„Du bist klug und du wirst nicht vergessen, welche Pflichten du hast“, meinte sie. „Wir haben dir die beste Vorbereitung gegeben und möchten stolz auf dich sein. Du wirst uns nicht enttäuschen.“

Tarwen nickte stumm. Dann endlich durfte er gehen. Wieder in seinem Zimmer presste er die Hände vor das Gesicht. Nicht weinen, er durfte nicht weinen. Es gab bald Abendessen. Seine Eltern würden es bemerken. Dann sahen sie ihn wieder mit diesem entsetzlichen Blick an, der ihre Enttäuschung so deutlich zeigte. Als wäre er nur Staub unter ihren Füßen. Tarwen blinzelte bis er die Tränen zurückdrängen konnte.

Er kannte seine Pflicht nur zu gut. Seit er denken konnte, hatte man ihm diese immer wieder erklärt: Er besaß nicht nur das genetische Gut der Timelords, er war hochintelligent und musste sich dementsprechend auszeichnen. Er sollte einer der Führer seines Volkes werden und damit seiner Familie die höchste Anerkennung bringen.

Aber zuerst musste er die Prüfung bestehen. Tarwens Hände begannen zu zittern, er ballte sie zu Fäusten. Doch die Zweifel und die Furcht ließen sich damit nicht vertreiben. Würde er in das Schisma blicken können? Würde er es aushalten, die ungebändigte Energie des Zeitvortex in sich aufzunehmen? Dieses Risses in der Dimension Zeit, den es nur auf Gallifrey gab. Es hieß, man würde dort in die Unendlichkeit sehen, vom Beginn des Universums an bis zur Gegenwart, einfach alles, was jemals entstanden war. Nur Timelords konnten dies ertragen. Aber nicht alle, manche wurden bei der Prüfung wahnsinnig.

An diesem Abend dauerte es lange, bis er einschlafen konnte. Im Schutz der Dunkelheit, als er sicher sein konnte, dass ihn niemand hören würde, weinte er heiße Tränen der Angst.

 

Am nächsten Morgen hörte Tarwen die Eingangstür des Hauses. Er warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Gut, er sah ordentlich aus. Sicherheitshalber zog er noch einmal die Kleidung glatt. Warum rief man ihn nicht? Leise öffnete er die Tür und spähte durch den Spalt. Es war niemand zu sehen, aber er hörte Schritte.

Eine Stimme klang bis zu ihm: „Ihr habt Euch an die Vorgaben gehalten, Domen? Er weiß nichts?“

„Selbstverständlich“, erwiderte sein Vater. „Wir haben ihn sorgfältig erzogen und vorbereitet. Wie es verlangt und von uns zugesagt wurde.“

„Sehr gut. Das Wissen um ihn ist geheim und darf nicht offenbart werden. Ihr werdet, wie alle Eltern, regelmäßig über seine Fortschritte informiert. Es ist jedoch wünschenswert, dass er sich von Euch löst. Besuche sollten deshalb unterbleiben.“

„Tarwen ist vor der Welt unser Sohn! Wir verlangen, dass er dies bleibt.“

Einen Moment blieb es still, auch die Schritte verstummten. Tarwen presste die Fäuste auf den Mund, um nicht durch sein Atmen zu verraten, dass er alles hörte. Dann sprach der Fremde wieder. Jetzt klang er nicht mehr freundlich, sondern sehr kalt: „Domen, Ihr wusstet von Anfang an, dass dieser Junge alleine durchs Leben gehen muss. Seine – Eigenheiten – gehören ausschließlich dem Hohen Rat. Es war wichtig, dass er in einer geeigneten Familie aufwuchs und sich für ein Kind mit den üblichen Timelordgenen hält. Jetzt kann seine Entwicklung von uns übernommen werden. Natürlich wird er zumindest anfangs weiterhin von Euch hören. Später gibt es genügend Gelegenheiten, ihn fest an die Akademie zu binden. Dafür ist es vorteilhaft, wenn er ohne Bindungen lebt. Er muss ständig beobachtet werden. Ihr werdet dies akzeptieren.“

„Wir haben sehr viel Zeit und Mühe in ihn investiert. Das haben wir nicht umsonst getan. Er muss seine Pflichten uns gegenüber erfüllen.“ Sein Vater klang wütend.

„Natürlich wird Euer Einsatz für den Jungen honoriert werden“, wurde er beschwichtigt. „Und jetzt sollten wir ihn endlich holen.“

Die Schritte näherten sich schneller. Tarwen schloss die Tür und setzte sich aufrecht an das Informationsterminal. Seine zwei Herzen schlugen in rasendem Takt. Was bedeutete das alles?

Nach einem kurzen Klopfen zog sein Vater die Tür auf. Hinter ihm stand ein großgewachsener Mann, dessen dunkle Augen sich auf den hageren Jungen hefteten. Noch ehe Domen etwas sagen konnte, erklärte er: „Du bist Tarwen. Komm heraus und verabschiede dich. Die anderen warten schon.“

Tarwen neigte vor Vater und Mutter den Kopf und folgte dem Fremden. Vor dem Haus standen noch zwei weitere Männer. Sie bedeuteten ihm, in das Gefährt zu steigen, welches ihn in das verborgene Tal bringen würde. Schüchtern musterte er die neun Jungen, die schon dort saßen. Ein auffordernder Wink mit der Hand scheuchte ihn zu einem freien Platz. Sobald die Erzieher in der Pilotkanzel waren, begannen die Kinder miteinander zu reden. Einige schienen sich schon zu kennen.

„Ich bin Linormen. Und wer bist du?“

Tarwen hob den Blick. Neben ihm stand einer seiner neuen Kameraden. Die langen, braunen Haare fielen ihm bis auf die Schultern. Er trug eine mit kostbaren Stickereien verzierte dunkelrote Jacke mit der dazu passenden Hose.

„Ich heiße Tarwen“, antwortete er leise.

Der Blick des Jungen glitt über ihn, wobei seine Augen sich abschätzend verengten. Tarwen biss die Zähne zusammen. Seine eigene Kleidung war wesentlich einfacher gehalten, ähnelte eher der von normalen Gallifreyern. Obwohl der Vater selbst nur die besten Stoffe trug, duldete er dies bei Tarwen nicht. Wenigstens würden sie ab morgen alle ähnliche Sachen tragen. In den Heimen gab es keine äußerlichen Unterschiede der Herkunft oder des Wohlstandes.

„Aus welcher Familie kommst du? Ich gehöre zu den Lintengaten“, erklärte Linormen mit hörbarem Stolz in der Stimme.

Tarwen schluckte. Das war eine der berühmtesten Familien. Viele ihrer Mitglieder gehörten dem Hohen Rat an. Vermutlich würde es doch etwas ausmachen, woher man kam. Dieser Junge würde sicher immer vorgezogen werden.

„Domrakut“, stotterte er.

Linormen zog die Stirn zusammen. „Warum fängt dein Name dann nicht mit Do an?“

Das war ihm noch nie aufgefallen. Die meisten Familien vergaben Namen, deren Anfang gleich war. „Ich weiß es nicht.“

Erneut taxierte ihn der Blick dieses selbstsicheren Jungen. „Und weshalb ist der Erzieher bei euch ins Haus gegangen?“

„Na, um mich abzuholen.“

„Er spricht nur bei ganz besonderen neuen Schülern mit den Eltern. Alle anderen werden gerufen, und er wartet draußen auf sie.“

„Oh!“ Tarwen dachte an das belauschte Gespräch, konnte sich aber immer noch nicht vorstellen, was damit gemeint war. Er besaß ganz gewiss keine außergewöhnlichen Eigenschaften. Oder war seine Intelligenz damit gemeint? „Vielleicht …“, er zögerte noch einmal, wusste nicht, ob er das zugeben sollte. Forderte er damit nicht sofort Spott heraus? Aber eine andere Antwort fiel ihm nicht ein. „… weil ich recht klug bin.“

Zu seinem Erstaunen lächelte Linormen. „Möglich. Wir werden sehen. Auf jeden Fall ist der Erzieher nur bei uns beiden ins Haus gegangen. Bestimmt werden wir gute Freunde.“

Das bezweifelte Tarwen. Dieser Junge war ihm nicht sehr sympathisch. Der hatte sein Schweigen gar nicht bemerkt, eifrig redete er weiter: „Warst du schon einmal im verborgenen Tal? Ich habe es schon gesehen.“

Tarwen riss die Augen auf. Ein herablassendes Lachen erklang. Ruckartig wandte er sich zu dem Jungen um, der neben ihm saß.

Dieser blickte mit verächtlich hochgezogenen Mundwinkeln zu Linormen. „Du schwindelst doch“, behauptete er nun. „Niemand darf das verborgene Tal betreten, außer dem Hohen Rat und die ausgewählten Erzieher mit den Prüflingen.“

Einen Moment wirkte der Angesprochene verlegen, dann straffte sich seine Gestalt. „Ich meinte, ich sah Bilder davon. Außerdem spreche ich nicht mit dir.“ Er wandte sich wieder Tarwen zu. „Den brauchst du nicht zu beachten. Seine Mutter ist eine gewöhnliche Gallifreyerin. Ich weiß nicht, warum solche Kinder überhaupt für die Akademie zugelassen werden.“

Zu Tarwens Verwunderung schien die Beleidigung den Jungen nicht zu stören. „Weil ich den genetischen Code in mir habe“, erklärte er und lachte spöttisch. „Außerdem sind nach wissenschaftlichen Erkenntnissen diejenigen, bei denen nur ein Elternteil den Code hat, klüger und erfolgreicher als die meisten anderen.“

„Werde nicht unverschämt“, brauste Linormen auf.

„Wir werden ja sehen, wer heute besser abschneidet. Vielleicht bestehst du gar nicht. Denn dabei hilft dir deine Herkunft nicht. Es kommt nur auf dich selbst an.“

„Ich werde die Prüfung natürlich hervorragend schaffen. Das ist bei meiner Familie selbstverständlich.“ Doch Linormens Stimme klang längst nicht so fest, wie er es gerne wollte. Abrupt wandte er sich ab und stolzierte zu seinem Platz zurück.

Herablassend sah der Junge ihm nach und wandte sich dann Tarwen zu. Bei dessen bewundernder Miene begann er zu lächeln, diesmal allerdings freundlich. „Ich heiße übrigens Keschwar. Und …“ sein Feixen verstärkte sich noch „…ich bin mir sicher, du magst den Typ genauso gern wie ich.“

Ein wenig zögerte Tarwen, dann nickte er. Ganz leise gab er zu: „Er ist arrogant.“

„Und vermutlich längst nicht so klug und überlegen, wie er sich gibt“, behauptete Keschwar. „Das kommt bei den alten Familien oft vor. Du dagegen sagtest, du seist sehr intelligent. Ich nehme an, deine Eltern ließen das feststellen und passten deinen Unterreicht dementsprechend an. Bestimmt hast du mehr als den durchschnittlichen Lehrstoff durchgenommen.“

„Ja“, gab Tarwen kleinlaut zu. Bisher wurde er dafür meist von anderen Kindern zurückgewiesen.

„Das finde ich toll. Gibt es unter deinen Verwandten ebenfalls normale Gallifreyer?“

„Nein, zumindest weiß ich nichts davon. Vater ist sehr stolz, das würde er nie erwähnen, selbst wenn es so wäre.“

„Egal. Ich mag gescheite Leute. – Du hast ziemliche Angst vor der Prüfung, wie?“, fragte Keschwar dann leise nach.

Tarwen senkte den Blick und zog die Schultern hoch. Das genügte dem anderen als Antwort.

„Unnötig!“, behauptete er. „Es kommt nicht darauf an, wie alt oder angesehen deine Familie ist. Sondern nur auf dich selbst, dein Inneres.“

„Und … wenn ich zu schwach bin?“ Tarwen konnte die Frage nicht zurückhalten.

„Bist du nicht. Du bist zu klug dafür. Wer intelligent ist, ist auch stark.“ Keschwar klang völlig überzeugt.

Tarwen seufzte. Wenn er nur auch so selbstsicher sein könnte.

Der Transporter senkte sich zu Boden. Sofort verstummten sämtliche Jungen. Wenige Augenblicke später öffnete sich der Ausgang. Die Erzieher wiesen die Kinder an, ihnen zu folgen. Sie führten die Gruppe über die steinige Ebene bis in die Nähe einiger verkrüppelter Büsche, den einzigen Pflanzen weit und breit. Hier stand ein leichtes Zelt. Im Grunde genommen nur ein Sichtschutz mit einem dünnen Stoffdach, welches das grelle Licht der Mittagssonne fast ungehindert durchdringen konnte.

Tarwen sah sich um. Das Tal war nicht groß, die hohen Berge begrenzten es völlig. Einzig der schmale Einschnitt, durch den sie hergekommen waren, wurde von etwas niedrigeren Hügeln flankiert.

„Wenn ihr gerufen werdet, kommt heraus.“

Keines der Kinder wagte es, zu antworten oder eine Frage zu stellen. Sie setzten sich auf den Boden und warteten. Tarwen jedoch war viel zu unruhig, um lange auf einem Platz bleiben zu können. Seine Füße begannen zu zucken. Um sich abzulenken, starrte er die dünnen Stoffwände an. Die leichten Bewegungen ließen immer wieder Schatten darauf entstehen. Tarwen versuchte, sie zu deuten. Eine Weile funktionierte es, doch die Stille um ihn her wurde immer unterträglicher. Seine Blicke irrten über die anderen Jungen. Die meisten wirkten inzwischen ebenso durcheinander und unbehaglich, wie er sich fühlte – eine kleine Erleichterung. Als seine Augen Keschwar fanden, lachte der allerdings.

„Fürchtest du dich wirklich nicht?“ Tarwen konnte sich das kaum vorstellen.

„Nein!“ Dann zuckte der Junge mit den Schultern. „Naja, schau mich nicht so an. Ich will einfach keine Angst haben.“

Einer nach dem anderen wurde herausgerufen. Jedes Mal dauerte es nicht lange, bis derjenige zu schluchzen begann. Schließlich kam Linormen an die Reihe. Noch immer versuchte er, selbstsicher zu wirken. Doch er stolperte mehr aus dem Zelt, als er ging. Tarwen lauschte und zuckte zusammen, als ein entsetzter Schrei erklang.

Gleich darauf hörte er seinen eigenen Namen. Er sah sich um, wollte nur noch weglaufen. Keschwar griff nach seiner Hand und drückte sie. „Geh! Du schaffst das. Ich weiß es.“

Voller Angst trat Tarwen aus dem Zelt. Ein Erzieher stand vor ihm und bedeutete ihm mitzukommen. Mit gesenktem Kopf trabte er hinterher und wagte nicht aufzusehen. Er bemerkte nur den staubigen, trockenen Boden und die vielen Steine vor den Schuhen. Seine Beine schienen aus Gelee zu sein, die Füße dagegen waren so schwer, dass er sie kaum heben konnte. Eine Hand legte sich auf seine Schulter und drehte ihn ein wenig nach links.

„Atme einige Male ruhig und tief. Dann schau hinein“, wurde ihm befohlen.

Rasselnd sog er die Luft ein. Widerstrebend hob er den Blick – und sah das Schisma. Tarwens Gehirn schien zu verbrennen. Es war, als würde sein Körper, sein ganzes Ich, von innen nach außen gestülpt. Sein Magen verkrampfte sich, beide Herzen schlugen schmerzhaft gegen den Brustkorb, als wollten sie ihn sprengen und herausspringen.

Sofort presste Tarwen die Lider wieder zu, warf sich herum und rannte davon. Harte Hände umschlossen seine Arme. Gleichzeitig erklang eine tiefe Stimme: „Schon gut. Geh langsam weiter.“ Kurz danach ein kleines Seufzen. „Du kannst die Augen aufmachen.“

Er blinzelte. Vor ihm stand der Transporter. Tarwen taumelte hinein und ließ sich auf den erstbesten Sitz sinken. Das Gesicht in den Händen verborgen, versuchte er, sich zu beruhigen. Nach einer Weile konnte er wieder normal atmen.

 

Keschwar schob ungeduldig die dünnen Stoffe beiseite und lugte heraus. Er sah Tarwen, der von einem der Erzieher vorwärts geschoben wurde. Warum war er so ängstlich? Vom ersten Augenblick an hatte Keschwar gespürt, dass sie sich ähnlich waren. Ob sie Freunde werden könnten? Ein Seufzen entrang sich ihm. Das war ein völlig neuer Gedanke.  Doch irgendwie gefiel ihm die Vorstellung. Bisher hatte er noch nie das Bedürfnis nach Kameraden, geschweige den Freunden, gehabt. Aber Tarwen mochte er, ohne sagen zu können, weshalb.

Nachdem dieser in dem Transporter verschwunden war, warfen sich die Erzieher seltsame Blicke zu. Einer meinte: „Warum habt Ihr das zugelassen? Er sah kaum hinein. Es war zu kurz.“

Der Leiter widersprach leise: „Es reichte aus. Er hat das Schisma in sich aufgenommen. Seid still. Es gibt Gründe, weshalb dieses Kind auf jeden Fall ausgebildet wird.“

„Jeder Timelord muss mindestens vier Herzschläge lang den Zeitstrom ertragen. Warum soll das bei ihm anders sein?“

Sichtlich unwillig erklärte der oberste Erzieher: „Es gibt eine Prophezeiung. Sie betrifft den Untergang von Gallifrey.“ Er nickte, als er das Erschrecken der beiden Männer sah. „Sie haben richtig gehört. Es heißt, zwei Kinder werden geboren! Und nach den Berechnungen geschah dies vor genau acht Jahren. Ein Feigling und ein Kämpfer. Das ist der Letzte im Zelt. Deshalb habe ich beide nicht vorher geholt.“

„Das kann tatsächlich auf die Jungen passen. Dieser Keschwar ist nach den Unterlagen ein ziemlicher Hitzkopf, aufsässig, aber stark. Er lässt nichts auf sich sitzen. Tarwen hingegen wird als still und zurückhaltend beschrieben.“

„Die Aufzeichnungen sind eindeutig. Die Prophezeiung meint diese beiden. Sie müssen ausgebildet werden. Der eine führt den Untergang von Gallifrey herbei. Der andere wird die Rettung Gallifreys sein.“

„Aber – weshalb holen wir dann beide? Wäre es nicht einfacher, den einen abzulehnen?“

„Weil nicht hundertprozentig sicher ist, wer von ihnen der Wichtigere ist. Obwohl alles auf Keschwar hindeutet. Außerdem ist ihr Schicksal zu eng miteinander verknüpft. Gallifrey kann nicht geschützt werden, wenn nur einer der beiden zum Timelord wird.“

„Das heißt, dieser Tarwen muss trotzdem ausgebildet werden? Er kann niemals der Retter Gallifreys sein. Das ist mit Sicherheit dieser Keschwar. Denn so ängstlich wie er hat keiner der Jungen reagiert.“

„So wird es interpretiert, ja. Außredem berief mich der Hohe Rat gestern ein. Sie erklärten mir eindringlich, dass Tarwen unter allen Umständen in der Akademie leben muss. Seine Ausbildung soll dem angepasst werden. Das kann sich schließlich nur auf diese Prophezeiung beziehen.“

„Oh! Und was hat der Hohe Rat über den Anderen bestimmt?“

Die Antwort kam etwas nachdenklich: „Über ihn wurde nicht gesprochen. Das ist etwas eigenartig. Vielleicht nimmt man an, dass er instinktiv das Richtige wählt. – Und jetzt holt ihn, damit wir zurückkommen, bevor es dunkel wird.“

Keiner von ihnen hatte bemerkt, dass sie viel zu nah am Zelt standen und Keschwar ihr Gespräch mitanhören konnte. Dieser wich nun wieder ins Innere zurück, doch seine Augen leuchteten. Das war hochinteressant. Kein Wunder, dass er sich zu Tarwen hingezogen fühlte. Sie waren beide Auserwählte! Aber er war der Wichtigere!

Geradezu fieberhaft wartete er auf den Ruf der Erzieher und eilte beim ersten Laut hinaus. Ohne zu zögern ging er die wenigen Schritte und blickte mit großen Augen in den Zeitvortex. Trommeln dröhnten plötzlich in seinem Kopf. Die Welt, sein Leben, seine ganze Existenz schien sich aufzulösen. Das Universum bestand nur noch aus diesem Rhythmus: Du-dumm, dumm, du-dumm, dumm.

Keschwar konnte sich nicht mehr bewegen, fühlte kaum, wie die Erzieher ihn schließlich wegzogen. Blicklos ließ er sich zum Transporter führen. Er bemerkte keinen der anderen Jungen. Seltsam, niemals hatte jemand davon gesprochen, dass das Schisma trommelte. Er schloss die Augen und überließ sich dem rhythmischen Klopfen.

Etwas berührte seine Schulter. „Keschwar? Was ist mit dir?“ Er blinzelte und erkannte Tarwen, der sich wieder neben ihn gesetzt hatte. Die hellgrauen Augen tasteten sein Gesicht ab.

Keschwar zwang sich zu einem Lächeln. „Nichts, nichts.“ Er warf einen Blick auf die anderen Jungen. Die meisten starrten stumm vor sich hin, manche hatten die Hände vor das Gesicht gelegt. Nur Linormen beobachtete sie beide, aber auch er wirkte verstört.

„Hörst du es ebenfalls?“, flüsterte Keschwar.

„Was?“ Tarwen zog die Stirn zusammen.

„Die Trommelschläge. Mein Kopf ist voll davon. Seit ich – da reingesehen habe.“

Auf Tarwens Gesicht zeigte sich Erstaunen. Er sah sich vorsichtig um, bemerkte Linormen und zog die Schultern hoch. Dann raunte er: „Ich höre nichts, aber ich habe sofort die Augen zugemacht.“

Der oberste Erzieher trat ein und unterzog sie einer eingehenden Musterung. „Ihr seid durcheinander. Das ist normal. Es wird bald besser werden. Wir fahren jetzt zurück, dann könnt ihr etwas essen und schlafen. Ab Morgen beginnt ein neuer Lebensabschnitt für euch. Ihr werdet viel lernen, aber im Heim habt ihr natürlich auch Freizeit.“ Er lächelte. „Es wird euch gefallen, da bin ich sicher.“

 

Alpträume und Trommeln

„Kommst du mit, Tarwen? Wir wollen zu den Sanddünen.“

Der angesprochene Junge wandte sich um, die Hand noch immer auf dem Türöffner. Eigentlich wollte er sich mit den Informationen über den Energiehaushalt im Universum beschäftigen. Er hatte viel Zeit damit verbracht, sich alles zusammenzustellen. Jetzt könnte er sich bis zum Abendessen darin vertiefen.

„Na los, sei kein Spielverderber“, drängte Sendor noch einmal.

Mit einem raschen Blick stellte Tarwen fest, dass Linormen nicht zu der Gruppe gehörte. Er mochte den Sohn aus einer der mächtigsten Familien nicht, auch wenn dieser schon nach wenigen Tagen hier viel von seiner Arroganz und Hochmütigkeit eingebüßt hatte. Den Erziehern war es völlig egal, aus welcher Familie jemand kam, sie verlangten Einsatz und Lernfreudigkeit. Und beides fiel Linormen nicht leicht.

Tarwen nickte schließlich und schloss sich den fünf Kindern an, die lachend über die Ebene zu den Hügeln liefen. Er rannte mit und genoss das Gefühl, einer von ihnen zu sein. Sie kletterten die Sanddünen empor. Oben wandte er sich um und sah zu den Häusern, in denen er nun lebte. Hatte er wirklich vor wenigen Wochen entsetzliche Angst verspürt? Er lächelte. Die war rasch vergangen. Hier durfte er eigene Interessen zeigen und Fragen stellen, selbst wenn diese nicht direkt zum Thema gehörten. Niemand sah ihn streng an und erklärte, dass Lernen eine Pflicht sei, und er bei der Sache bleiben sollte.

Selbst mit den Jungen kam er zurecht, mit den meisten zumindest. Sie akzeptierten ihn und spotteten nicht, wenn er sich stundenlang in den Studierzimmern vergrub. Das unterschied ihn auch hier von den anderen, die viel lieber nach dem Unterricht herumtobten.

Ein Kichern riss ihn aus seinen Gedanken. „Willst du noch länger die Gegend bewundern? Los, hilf uns lieber!“

Bereitwillig griff er nach einer der breiten Schaufeln, zog eine Furche und brach ein dickes Sandbrett los. Als es kippte, legte sich Sendor rasch darauf und rutschte schreiend vor Aufregung den Hügel hinunter. Immer wieder kletterten die Jungen hinauf und wiederholten das Spiel.

Tarwen jedoch wurde dies rasch langweilig. Er blickte sich um. Wie seltsam die verschiedenen Erdschichten in dem harten Gestein abgebildet waren, wie interessant sich das alles aufgefaltet hatte und nun bunte Muster bildete. Er musste sich unbedingt darüber informieren, wie so etwas entstand.

Sein behagliches Zimmer mit den vielen dort auf ihn wartenden Informationen lockte ihn immer mehr. Tarwen warf den anderen Kindern einen Blick zu. „Ich gehe wieder zurück.“ Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern trabte los.

Sendor sah ihm nach und zuckte etwas enttäuscht mit den Schultern.

„Ach, lass ihn. Er ist ja in Ordnung, aber irgendwie auch langweilig“, meinte Bargin. Der für sein Alter großgewachsene Junge mit den schulterlangen Locken zog Sendor mit sich und sie fielen mehr den Hügel hinab als sie rutschten. Beide prusteten vor Lachen und spuckten den Sand aus, der ihnen in den Mund geraten war. Das machte viel mehr Spaß als ständig zu lernen.

Zurück im Heim kauerte sich Tarwen gemütlich auf sein Lager und schaltete den Monitor ein. Das unweigerlich aufkommende Schuldgefühl schob er rasch beiseite. Schwieriger war es, die lautlose Stimme des Vaters in seinem Kopf zu ignorieren.

‚Tarwen, wie oft habe ich schon erklärt, dass Lernen etwas Ernstes ist. Setz dich sofort aufrecht hin!‘

Fast hätte er nachgegeben, doch dann kuschelte er sich trotzig in die Kissen. Er studierte die Daten, die über den Bildschirm flimmerten. Schon nach wenigen Sekunden vergaß er alles um sich her. Ein lauter Summton ließ ihn irgendwann hochschrecken. Er rutschte soweit vom Lager, dass es zumindest so aussah, als ob er sitzen würde, und rief zum Eintritt. Als Keschwar hereinkam, entspannte er sich und lehnte sich wieder bequem zurück.

„Na, wieder da? Wieso gibst du dich eigentlich mit denen ab? Die sind doch völlig unnütz.“ Der kräftige, breitschultrige Junge ließ sich neben Tarwen auf das Lager fallen und sah neugierig zum Monitor. „Sind das Energiedaten? Die sehen aber interessant aus. Woher hast du das?“

Tarwen lachte. „Was willst du jetzt zuerst wissen?“

Auch Keschwar grinste. „Alles und noch mehr, natürlich.“

„Das habe ich mir in den vergangenen Tagen zusammengesucht.“ Tarwen deutete auf den Monitor. „Hartonin half mir dabei. Du weißt, er fing im Unterricht an, von den allgemeinen Energiegesetzen zu berichten.“

Seine Augen leuchteten. Der Lehrer hatte ihm bereitwillig gezeigt, in welchen Datenspeichern er die gewünschten Informationen finden würde. Obwohl dieses Thema erst später ausführlich besprochen wurde.

„Und die Jungen?“ Tarwen wand sich ein wenig und warf dem neuen Freund einen unsicheren Blick zu. Dieser beschäftigte sich kaum mit den anderen Kindern. Die wenigen Versuche, ihn bei ihren Späßen mit einzubeziehen, hatte er mit bissigen Bemerkungen zurückgewiesen.

„Ich finde es schön, dass sie mit mir spielen wollen. Ich hatte nie Freunde. Ich mag es und die meisten sind nett“, gab er leise zu. Würde Keschwar ihn jetzt auch verhöhnen, wie er es bei den anderen tat?

„Aber du hast doch gar nichts mit ihnen gemein“, widersprach der. „Du bist anders, wie ich auch. Wir sind außergewöhnlich.“

Tarwen prustete los. „Wie kommst du denn darauf?“ Er wurde wieder ernst. „Dass ich anders bin, weiß ich. Aber ich will es nicht sein. Ich durfte nie spielen, wie andere Kinder. Aber hier kann ich es. Hier verbietet es mir niemand. Egal, wie klug ich bin. Außerdem kann ich sowieso nie etwas Besonderes sein. Dazu muss man Mut haben.“

Die sandfarbenen Augen schienen ihn zu durchbohren, doch Keschwar fragte nicht weiter. Tarwen senkte den Kopf. Hatte er zuviel gesagt? Gerade dem Freund gegenüber wollte er nicht ständig wie ein verängstigter Feigling wirken.

„Doch, sind wir. Ich habe es gehört.“ Keschwar beugte sich zu dem Freund hinüber. Seine Stimme wurde beschwörend. „Bei der Prüfung belauschte ich die Erzieher. Wir sind Auserwählte!“

Tarwen starrte ihn erst wortlos an, dann begann er zu lachen. „Das ist doch völliger Unsinn.“

„Nein! Es gibt eine Prophezeiung. Gallifrey braucht uns. Irgendwann werden wir die berühmtesten Timelords sein. Darum haben wir uns vom ersten Tag an so gut verstanden. Weißt du noch? Wir waren sofort Freunde.“

Tarwen riss die Augen auf. Eine Prophezeiung, die sie beide betraf? Er konnte es kaum glauben, doch Keschwar nickte immer wieder. Ein wenig ängstigte Tarwen diese Neuigkeit. Er erinnerte sich wieder an das eigenartige Gespräch des Heimleiters mit seinem Vater. Über all dem Neuen hatte er dies bisher verdrängt.

Keschwar strahlte vor Stolz. „Heute sprach Torrason mit der Betreuerin. Sie soll gut auf uns aufpassen und ihm ständig Bericht erstatten. Es sei wichtig, dass er alles über uns erfahren würde.“

„Malinen soll dem Leiter über uns berichten? Das macht sie aber sicher bei allen Kindern.“

„Nicht so ausführlich. Sie fragte nach, warum das so wichtig wäre. Und Torrason sagte ihr…“ hier machte Keschwar eine Kunstpause, ehe er atemlos weitersprach: „… der Hohe Rat verlangt es! Stell dir das vor, die obersten Führer! Deshalb sind wir besser als die anderen Jungen. Ganz bestimmt werden wir eines Tages ebenfalls im Hohen Rat sein. Sie wissen das und kümmern sich jetzt schon um uns.“

Das passte zwar zu den geheimnisvollen Worten von Torasson im Haus der Eltern, dennoch war Tarwen nicht überzeugt. Vielmehr wollte er es nicht glauben. Er würde lieber den Kameraden ähneln, so sein wie sie und damit die Chance auf ihre Freundschaft haben. Natürlich gefiel es ihm, klug zu sein und er lernte gerne, viel mehr als die meisten Kinder, das stimmte. Daran wollte er auch nichts ändern. Aber das war doch nichts soo Besonderes.

Gleichzeitig freute er sich darüber, etwas mit Keschwar gemeinsam zu haben. Dieser war selbstbewusst, schlagfertig und schien nie auf andere angewiesen zu sein. Tarwen bewunderte ihn dafür, denn das alles wäre er auch gerne und schaffte es doch nie.

„Naja“, meinte er. „Vielleicht gibt es wirklich etwas, das uns miteinander verbindet. Das wäre schön.“

Keschwar grinste und drückte seine Hände. „Wir gehören zusammen. Unsere Schicksale sind zu ähnlich. Du warst immer alleine und ich auch. Aber jetzt haben wir uns gefunden.“

 

Wenige Tage später wurde Tarwen in eines der Kommunikationszimmer gerufen. Seine Knie zitterten, als er vor die Konsole trat. Bis in den Hals hinauf spürte er das Klopfen der beiden Herzen. Warum wollten die Eltern ihn sprechen? Sie hatten ihn, seit er hier war, nur ein einziges Mal kontaktiert. Er war froh darüber.

Seine Furcht verdoppelte sich, als er das strenge Gesicht des Vaters sah. Dessen kalter Blick schien ihn zu durchbohren. „Ich erhielt den Bericht deiner Erzieher“, erklärte er ohne jede Begrüßung. „Wie kannst du es wagen, deine Pflichten derart zu vernachlässigen?“

„Ich … ich strenge mich doch an, Vater. Ich lerne sehr viel“, stotterte Tarwen.

„Tust du das? Deine Leistungen sind gut, das stimmt. Aber sie könnten besser sein. Das weißt du hoffentlich selbst. Man berichtete mir, dass du deine Zeit mit albernen Spielen verschwendest. Ein zukünftiger Timelord und Mitglied des Hohen Rates rutscht nicht auf Sanddünen. Du hast deiner Familie gegenüber Pflichten. Du wirst diese erfüllen, hast du mich verstanden?“

Damit war das Gespräch beendet. Verstört schleppte Tarwen sich in sein Zimmer. Durfte er auch hier niemals mit den anderen Jungen lachen und spielen? Schluchzend rollte er sich auf dem Bett zusammen. Das Abendessen ließ er ausfallen. Er konnte nichts essen. Sein Magen fühlte sich steinhart an.

Als es dunkel wurde, zog er sich die Decke über den Kopf und weinte ich in den Schlaf. Aber er wachte immer wieder auf, meist schweißgebadet. Einmal hörte er sich selbst schreien. Irgendwann ertrug er es nicht mehr, rannte aus dem Haus und in die Nacht hinein. Er stolperte über Steine und kleine Sandhügel. Ein Schatten wuchs vor ihm empor. Tarwen keuchte erschrocken, dann erkannte er den Umriss einer der Scheunen. Er schlich hinein. Am hinteren Ende fand er eine Leiter, die auf den oberen Boden führte. Dort lag Stroh und Heu in dicken Lagen herum. Tarwen grub sich eine Kuhle und schmiegte sich hinein. Hier konnte ihn niemand hören. Er weinte bis zur Erschöpfung. Erst als der Morgen schon graute, schlief er fest ein.

Die Sonne schien schon heiß vom Himmel herab, als er wach wurde. Verwirrt sah Tarwen sich um, bevor er sich an die Nacht erinnerte. Er biss sich auf die Lippen. Hatte ihn jemand weinen hören? Wie sollte er erklären, dass er nicht in seinem Zimmer geschlafen hatte?

Eilig kletterte er die Leiter hinunter und lief zum Haus zurück. Das Frühstück war längst vorbei. So schnell er konnte, zog er sich um und stürmte zum Unterricht. Er kam gerade noch rechtzeitig. Tarwen versuchte, in den Gesichtern der anderen zu lesen, doch niemanden schien etwas an ihm aufzufallen. Nur Linormen sah ihn verächtlich an, sagte jedoch nichts. Tarwen biss sich auf die Lippen. Der Junge hatte das Zimmer neben ihm.

Beim Mittagessen hörte er das boshafte Lachen von Linormen. Hämisch erzählte dieser, Tarwen habe wieder die ganze Nacht geheult. Er starrte auf seinen Teller, trotzdem konnte er die spöttischen Blicke der anderen Jungen spüren.

Keschwar stieß ihn leicht an und blinzelte ihm zu. Dann wandte er sich an Linormen: „Du bist ein Lügner. Du kannst Tarwen gar nicht gehört haben. Er hat nämlich überhaupt nicht in seinem Zimmer geschlafen.“

Linormen blieb der Mund offen stehen. „Schwachsinn! Er wimmerte wie ein Baby. Außerdem, wo soll er denn sonst gewesen sein?“, widersprach er.

Wieder bekam Tarwen einen leichten Stoß. Er riss sich zusammen und erklärte leise: „Ich war in der Scheune.“ Hoffentlich wurde jetzt nicht alles noch schlimmer.

Sendor sah von ihm zu Linormen. „Aber wieso bist du dorthin gegangen?“

Tarwen zuckte die Schultern. „Einfach so“, murmelte er.

Das beschäftigte die Jungen dermaßen, dass keiner mehr darüber nachdachte, ob Linormen recht hatte oder nicht. In der Scheune zu schlafen, das klang abenteuerlich. Sie diskutierten immer wieder darüber, doch Tarwen sagte nichts mehr dazu. Er wollte über diese Nacht nicht sprechen. Er schämte sich bitterlich.

Nach dem Unterricht versuchte er, unbemerkt in seinem Zimmer zu verschwinden. Keschwar folgte ihm jedoch. „Komm! Rasch!“, forderte er und zog ihn mit sich.

„Was ist denn?“

Der Freund legte den Finger auf den Mund. „Höre!“, raunte er, „Torrason spricht wieder mit Malinen.“ Er zeigte auf die handbreit offenstehende Tür eines der Lehrerzimmer.

„Bist du verrückt? Da dürften wir nicht lauschen“, flüsterte Tarwen erschrocken und fasziniert zugleich.

„Du willst doch nicht glauben, dass wir einzigartig sind. Er rief sie zu sich. Ich bin sicher, er nannte dabei unsere Namen.“

Tarwen hielt die Luft an. Aber die Neugier war stärker. Auf Zehenspitzen schlich er noch etwas näher und horchte.

„Torrason, wie viele Berichte will der Hohe Rat denn? Die Jungen lernen und haben sich eingelebt.“

„Linormen lästerte beim Essen über Tarwen. Der hätte nachts geheult. Wissen Sie etwas darüber?“

Ein Seufzen erklang, dann die wieder warme Stimme der Betreuerin Malinen: „Er hat Alpträume, das ist aber öfters der Fall. Es wird sich sicher bald legen. Ich kümmere mich um Tarwen. Er ist ein lieber Junge, der vieles ein wenig schwerer nimmt als andere.“

„Bevorzugen Sie ihn? Das ist nicht gut, Malinen.“

„Nein, tue ich nicht“, verteidigte sie sich. „Aber er braucht etwas mehr Hilfe. Er ist derart furchtsam und ängstlich darauf bedacht, nicht aufzufallen. Egal, was diese seltsame Prophezeiung behauptet, er wird es nicht leicht haben, sich zu behaupten. Ein bisschen mehr Unterstützung kann da sicher nicht schaden.“

Ein leises Lachen war die Antwort. „Sie haben ein weiches Herz. Ich kann mir denken, dass Tarwen es Ihnen angetan hat. Gerade, weil er zurückhaltend ist. Aber täuschen Sie sich nicht in ihm. In ihm steckt ein starker Kern. Er ist sich dessen nur nicht bewusst – und das ist gut so. Auf diese Weise wird er sich später besser vom Hohen Rat leiten lassen.“

„Soll das heißen, ich darf ihm nicht helfen?“ fragte Malinen empört.

„Natürlich können Sie das. Alpträume muss er gewiss nicht haben. Was ist mit dem anderen?“

„Keschwar?“ Tarwen konnte die Frau nicht sehen, aber aus ihrem Tonfall fast heraushören, wie sie mit den Schultern zuckte. „Ein ziemliches Großmaul. Natürlich ist er klug, aber meines Erachtens verhält er sich problematisch. Er sondert sich ganz bewusst von allen ab und lässt sich selbst von den Lehrern, geschweige denn von uns Betreuern, kaum lenken. Manchmal habe ich das Gefühl, er genießt es, unangenehm aufzufallen. Die anderen Kinder meiden ihn deshalb. Außer Tarwen. Obwohl sie derart unterschiedlich sind, verstehen sie sich gut, was ich nicht nachvollziehen kann.“

„Diese Freundschaft mag eigenartig sein, aber sie ist verständlich. Ihre Schicksale sind eng miteinander verknüpft. Seltsam ist nur …“

„Was?“

Torrason schwieg einen Moment, ehe er zugab: „Der Hohe Rat teilte mir etwas über Tarwen mit. Ich darf nicht darüber sprechen. Aber seitdem wundert es mich, dass Keschwar als der Eine angesehen wird, den die Prophezeiung meint. Tarwen hingegen soll nur der mit ihm Verbundene sein. Andersherum wäre es für mich begreiflicher. – Wie auch immer, versuchen Sie, auf Keschwar einzuwirken. Er ist besonders und spürt dies vermutlich unbewusst. Das ist in Ordnung. Er sollte jedoch lernen, seine Stärke auch für andere zu nutzen. Das dürfte bei ihm das Wichtigste sein. Bei Tarwen reicht es, wenn er zurechtkommt. Dass er noch viel außergewöhnlicher ist, braucht er nie zu erfahren.“

„Tarwen? Was ist an ihm? Wie meint Ihr das?“

„Still! Das hätte ich nicht ausplaudern dürfen.“ Torrason klang verärgert. „Vergessen Sie es!“

„Na gut.“ Malinen seufzte resigniert. „Ich suche den Jungen und spreche mit ihm. Vielleicht kann ich etwas gegen seine Alpträume unternehmen.“

Keschwar zerrte den erstarrten Tarwen von der Tür weg. Der war völlig durcheinander. Sie schlichen in einen leeren Unterrichtsraum. Erst hier kam Tarwen wieder völlig zu sich. „Keschwar, was meinte er damit? An mir ist nichts Besonderes! Ich kann das nicht glauben.“

„Ich sagte es dir doch. Wir sind beide anders. Jetzt hast du es selbst gehört.“

Bei dem seltsamen Tonfall blickte Tarwen den Freund genauer an. Dessen Augen wirkten hart. Herausfordernd starrten sie ihn an. Was hatte er?

„Ich will nichts ‚Außergewöhnliches‘ sein. Ich fühle mich nicht so. Das passt viel besser zu dir. Du bist immer selbstbewusst. Es scheint, als ob du vor nichts Angst hast. – Im Gegensatz zu mir.“

Sofort entspannte sich Keschwars Gesicht. Er legte seine Hand auf Tarwens Arm und lächelte. „Das überwindest du. Mit mir zusammen kannst du alles erreichen, was du willst.“

Der kleine Kommunikator am Gürtel von Tarwen summte. Er blickte darauf. „Malinen sucht mich“, meinte er und zog die Schultern hoch. „Ob sie uns gesehen hat?“

„Dann würde sie nach mir rufen“, erklärte Keschwar abschätzig. „Ihre Meinung über mich hast du gehört. Geh nur, mit dir meint sie es gut.“

Tarwen rannte zu ihrem Zimmer. Trotz Keschwars Worte blickte er recht zaghaft zu Malinen hoch. Erleichterung durchströmte ihn, als er ihr Lächeln bemerkte.

„Ich hörte, dass du heute in der Scheune geschlafen hast. Es ist nicht gut, wenn du nachts fortläufst. Warum wollest du denn dorthin?“

Sofort senkte er den Kopf, seine Hände verkrampften sich ineinander.

„Werden die Alpträume nicht weniger?“, fragte sie behutsam nach.

Er zuckte verlegen mit den Schultern.

„Natürlich weiß ich davon. Tarwen, ich bin hier, um mich um dich und die anderen Jungen zu kümmern. Willst du mir nicht sagen, was dich ängstigt?“

Heftig schüttelte er den Kopf. Nein, darüber würde er schweigen. Er wusste doch genau, wie Erwachsene darauf reagierten. Niemand würde verstehen, dass er sich derart vor dem Vater fürchtete.

Nachdenklich sah die mollige Frau ihn an. „Ist es so schwer, darüber zu reden? Überlege es dir. Ich möchte dir gerne helfen.“

Er blieb stumm und sie ließ ihn gehen, nicht ohne zu betonen, dass er jederzeit zu ihr kommen könnte.

Sofort zog er sich in sein Zimmer zurück. Was meinte Torrason bloß? Was war mit ihm und Keschwar? Je länger Tarwen darüber grübelte, desto ruhiger wurde er. Ein klein wenig verspürte er sogar Stolz. Vielleicht stimmte es tatsächlich, und er war nicht nur ein jämmerlicher Feigling.

Beim Abendessen spottete Linormen erneut: „Na, flennst du heute Nacht wieder?“

Tarwen zuckte zusammen. Es war ja nicht das erste Mal gewesen, dass er sich in den Schlaf geweint hatte. Die Nächte hier fürchtete er. Sehr oft wurde er dann von Ängsten und Alpträumen geplagt. Hatte Linormen das immer mitbekommen?

„Du erzählst schon wieder Unsinn“, kam ihm Keschwar zu Hilfe. Seine Augen schienen Blitze zu schleudern. „Ich schlafe direkt neben Tarwen und in seinem Zimmer ist es immer still. Wahrscheinlich bildest du dir etwas ein.“

Linormen lachte boshaft. „So wie du etwa? Ich bin doch nicht derjenige, der ständig Trommeln hört.“

Einen Moment schien Keschwar blass zu werden, dann rollte er die kräftigen Schultern und richtete sich kerzengerade auf. „Das heißt nur, dass ich etwas Besonderes bin. Denn niemand außer mir kann sie wahrnehmen.“

Kriegerisch sahen sich die beiden Jungen an, dann zuckte Linormen die Achseln. „Mit dir diskutiere ich nicht.“ Mit hocherhobenem Kopf verließ er den Raum.

Tarwen sah ihm düster hinterher, schob seinen Teller fort und stand ebenfalls auf. Vor der Tür seines Zimmers holte Keschwar ihn ein. „Kann ich mit reinkommen?“ Er sah sich kurz um. „Was hältst du davon, wenn wir dein Bett umstellen? Da drüben passt es besser hin.“

Erst nach einem Moment begriff Tarwen. Wenn es nicht mehr direkt an der Wand stand, würde ihn wahrscheinlich niemand mehr hören können. Er wurde rot.

Keschwar meinte verächtlich: „Linormen ist ein Idiot. Lass dich von ihm nicht fertig machen. Er ist doch nur neidisch, weil du klüger bist als er.“

„Aber er hat doch recht. Ich bin ein Schwächling“, flüsterte Tarwen.

„Wovor hast du denn so viel Angst?“, fragte Keschwar fast ebenso leise.

„Manchmal verstehe ich im Unterricht eine Frage nicht. Gestern habe ich einen Fehler gemacht, als Ondorom mich nach den Energiegesetzen fragte.“

Verständnislos sah ihn Keschwar an. Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare, die ihm nun wirr vom Kopf abstanden, als wollten sie sich sträuben. „Was soll daran schlimm sein?“

„Vater wird es erfahren.“ Tarwen sah dem Freund so verzweifelt in die Augen, dass der die Stirn runzelte.

„Und? Du bist doch erst kurze Zeit hier. Wie sollst du denn gleich alles wissen? Wir haben noch viele Jahre zum Lernen vor uns.“

„Ich darf nicht versagen. Dann enttäusche ich ihn. Dann sieht er mich an, als wäre ich Staub. Das ist furchtbar.“

„Versagen? Du? Tarwen, du bist einer der Klügsten hier.“

„Das reicht nicht. Ich soll der Beste sein. Er hat erfahren, dass ich mit den anderen gespielt habe. Ich will nicht, dass er mir das verbietet. Zum ersten Mal darf ich selbst entscheiden, was ich in meiner Freizeit mache. Ich möchte mir das nicht nehmen lassen. Aber er sagt, ich vergesse damit meine Pflicht ihm gegenüber. Schließlich habe er mich jahrelang unterrichtet.“

„Das war doch seine Aufgabe. Mein Vater tat gar nichts. Ich musste mir alles selbst beibringen. Wenn ein Onkel sich nicht ein wenig eingemischt hätte, müsste ich jetzt erst einmal nachholen, was alle anderen längst wissen.“

„Echt? Dabei weißt du viel mehr als die meisten“, staunte Tarwen.

„Ich wollte lernen. Irgendwann beweise ich meiner Familie, dass ich ihnen überlegen bin“, erklärte Keschwar. „Ich werde einer der ganz Mächtigen!“ Er überlegte kurz. „Und was willst du? Ich meine, du selbst.“

„Lernen! Die Wunder des Universums sehen und verstehen“, schwärmte Tarwen. „Es gibt unzählige interessante Dinge. Ich will durchaus gut im Unterricht sein, wie Vater es verlangt. Aber ich möchte auch mit den anderen spielen.“ Er zögerte und gab dann noch zu: „Außerdem habe ich überhaupt keine Lust, dem Hohen Rat anzugehören. Das klingt für mich langweilig.“

„Aber er will es?“

„Ja, ich soll zu einem der Führer werden. Doch viel lieber möchte ich reisen.“

„Dann machst du das auch.“ Keschwar klang so sicher, dass Tarwen sich ein wenig besser fühlte. „Es liegt nur an dir, was du wirst. Was dein Vater will, ist jetzt nicht mehr wichtig. Du bist hier! Damit kannst du selbst entscheiden, was du tust. Tarwen, meine Eltern wollten mich überhaupt nicht zur Prüfung gehen lassen. Sie versuchten zu erreichen, dass ich nicht zugelassen werde. Aber ich wollte es! Und jetzt bin ich nicht mehr von ihnen abhängig. Ebensowenig wie du von deinen Eltern.“

Beschwörend sah Keschwar ihn an. Tarwen sollte wieder lächeln! Dieser Junge war vom ersten Tag an zu einem Freund für ihn geworden. Er mochte das Gefühl. Es gefiel ihm, wenn Tarwen mit ihm lachte. Es war schön, zusammen mit ihm zu lernen. Das gab er nicht wieder auf. Sie beide waren etwas Besonderes. Sie würden immer zusammen sein, immer Freunde bleiben. Er war sich ganz sicher.

Obwohl er einen schmerzhaften Stich verspürt hatte, als Torrason behauptete, Tarwen sei noch außergewöhnlicher als er. Aber vermutlich irrte der Lehrer sich. Er war der Stärkere von ihnen beiden, das war eindeutig. Er würde der Führer sein und Tarwen sein Freund. Sie beide zusammen würden Gallifrey retten, wovor auch immer – unter seiner Leitung selbstverständlich.

Bei diesem Gedanken begann plötzlich wieder der Trommelschlag in seinem Kopf: Du-dumm, dumm, du-dumm, dumm. Es verdrängte alles andere. Keschwar schloss die Augen und versuchte, das Geräusch zu verdrängen.

Tarwen schüttelte ihn. „Was ist los? Hörst du die Trommeln immer noch?“

Das rhythmische Klopfen wurde leiser. Er atmete auf und blickte hoch. Tarwen musterte ihn. Prüfend sah Keschwar ihn an. Lachte er ebenso über ihn, wie die anderen Jungen? Aber er sah nur Mitgefühl in dessen Augen. Trotzdem fiel ihm das zustimmende Nicken schwer.

„Warst du endlich bei dem Heiler?“

„Ja sicher. Aber da gehe ich nicht mehr hin.“ Keschwar zog voller Verachtung die Lippen hoch. „Er behauptete, ich bilde mir das alles nur ein. Niemand vernahm jemals Trommelschläge, nach dem Blick in den Zeitstrom. So etwas gäbe es nicht. Manche werden dabei wahnsinnig, aber das bin ich nicht. Selbst der Heiler erklärte das sofort.“

„Aber du hörst sie? Seit der Prüfung?“

Keschwar nickte. „Glaubst du mir wirklich?“

„Natürlich! Ich verstehe es nur nicht. Ich habe alles Lehrmaterial durchgesehen, das ich finden konnte. Nie wurde von irgendwelchen Geräuschen berichtet.“

„Deshalb glaubt mir auch keiner.“ Keschwar stutzte. „Du hast versucht, etwas darüber zu finden? Warum?“

„Es geht mich nichts an. Aber ich sehe schließlich, wie skeptisch die Erzieher darauf reagieren. Ich wollte wissen, ob es nicht doch schon einmal geschehen ist, dass jemand so etwas gehört hat.“

„Danke.“ Sein Schmunzeln wurde breiter, als er die Erleichterung des Freundes bemerkte. „Du bist wirklich manchmal ein Michwurz“, neckte er ihn.

„Ja, ja, jetzt spottest du auch.“

„Ich meine es nicht böse“, verteidigte Keschwar sich sofort und griff nach Tarwens Hand. „Entschuldige, ich wollte dich nicht verletzen. Außerdem“, er hatte hastig überlegt, „hast du schon mal einen Michwurz gesehen? Sie sind zwar unglaublich scheu und fliehen vor jedem Schatten, aber es sind schöne Geschöpfe. Ich mag sie.“

„Ich bin nicht schön.“

„Du weißt, wie ich es meine.“

Tarwen nickte und lächelte leicht, wurde aber gleich wieder ernst. „Kann ich dich etwas fragen?“

„Sicher.“

„Wieso wollte deine Familie nicht, dass du die Prüfung machst? Ich dachte immer, das wäre bei Timelords selbstverständlich.“

„Wir sondern uns von den anderen ab. Meine Eltern verachten die Lebensweise in der Akademie. Ihrer Meinung nach haben wir uns rückwärts entwickelt, seit Rassilon tot ist.“

„Rassilon!“ Tarwen riss die Augen auf. „Er war einer der größten Herrscher, aber auch brutal und rücksichtslos.“

„Ja, so wird es gelehrt. Aber in meiner Familie wird er verehrt. Die meisten meiner Verwandten behaupten, er müsse wiederbelebt werden. Dann würden wir unsere einstige Größe zurückbekommen.“

„Die Timelords sind im Universum die am höchsten entwickelten Wesen. Wir beherrschen die Zeit! Wir sind doch die Mächtigsten.“ Tarwen verstand nicht, was der Freund meinte.

„Es gab auch furchtbare Kriege mit anderen Völkern. Ich las eine Menge darüber. Im Unterricht kommt das erst später, leider. Meine Familie sagt, wir müssten viel mehr auf andere Welten achten und sie führen. Wenn sie unsere Werte nicht annehmen wollen, sollten wir sie auch beherrschen.“

„Das ist gegen die Gesetze. Wir lernen und forschen, aber wir mischen uns niemals ein.“

„Rassilon tat es. Ich behaupte ja nicht, dass es richtig war. Meine Eltern tun es. Deshalb wollten sie nicht, dass ich hierher komme. Sie befürchten, dass ich mich anpasse und so werde wie alle Timelords jetzt.“ Keschwar schürzte die Lippen. „Es ist ihnen lieber, wenn ich die Ausbildung nicht mache. Aber das lasse ich nicht zu. Wenn ich endlich ein vollwertiger Timelord bin, will ich selbst entscheiden, was richtig ist.“

Obwohl sie alleine waren, blickte er sich vorsichtig um, ehe er flüsterte: „Vor allem will ich wissen, ob die Waffen im Omega-Arsenal wirklich so unglaublich sind. Stell dir nur vor, was wir damit alles erreichen könnten.“

Tarwen sog hörbar die Luft ein. Diese Waffen waren aus gutem Grund weggesperrt worden. Niemand außer den höchsten Führern durfte überhaupt in das Omega-Arsenal. Was dort gelagert wurde, sollte und durfte nie eingesetzt werden. Näheres über diese geheimnisvollen Waffen und Gerätschaften wusste keiner. Es gab nur Gerüchte.

„Die müssen furchtbar sein“, raunte er. „Da will ich niemals hinein.“

„Ich schon. Ich will mitbestimmen können, ob und wofür sie eingesetzt werden.“ Keschwars Augen leuchten. „Denn du hast recht. Wir sind die klügsten und mächtigsten Wesen des Universums. Und ich will dazugehören.“

 

Eine Stimme im Dunkeln

Tarwen zerrte am Ärmel des Freundes und schleifte ihn förmlich hinter sich her. Keschwar stolperte ständig, da er kaum sah, wo er hintrat. Vielmehr bestaunte er die Bauten, Kuppeln, Zitadellen und Türme der gigantischen Akademie. Zusammen mit den anderen Jungen ihres Jahrganges liefen sie zwischen den mannsbreiten Säulen des Haupttores hindurch.

In einem der großen Eingangssäle bekamen sie noch eine Unterweisung des Erziehers, doch keiner von beiden hörte Ondorom zu. Tarwen trat von einem Fuß auf den anderen, während er auf die Erlaubnis wartete, auf Entdeckungstour gehen zu dürfen. Endlich, nach zwei Jahren in den Erziehungshäusern, durften sie hierher. Natürlich nicht täglich, das war den eigentlichen Studenten vorbehalten.

„Bleibt zusammen und seht euch gemeinsam um. Keine Einzelgänge, ihr seid noch zu unerfahren und werdet euch verlaufen. Die Akademie ist riesig, ihr müsst erst lernen, euch hier zurechtzufinden.“ Ondorom lächelte. „Meinetwegen könnt ihr jetzt los.“

Tarwen rannte die Flure entlang. Er wusste genau, wo er hinwollte. Schon seit Wochen hatte er sich gründlich informiert. Es interessierte ihn nicht, dass sie eigentlich in der Gruppe bleiben sollten. Er musste es sehen! Keuchend blieb er vor einem der vielen Eingänge stehen.

„Du bist sicher? Es ist hier?“ Keschwar blickte sich um. Der Gang sah ebenso aus, wie alle anderen, durch die ihn der Freund geschleppt hatte.

Tarwen nickte.

„Und wir dürfen rein?“

„Es hieß, wir dürfen in jeden Unterrichtsraum.“

Dennoch versicherte er sich, ob auch wirklich niemand da war, der ihn daran hindern konnte. Dann schob er die Tür auf. Die beiden Jungen traten ein und blieben sofort stehen. Selbst Keschwar, der nie um eine Antwort oder freche Bemerkung verlegen war, verschlug es die Sprache.

Vor und über ihnen befand sich ein riesiges Hologramm des gesamten bekannten Universums. Unvorstellbar viele Galaxien mit ihren unzähligen Sonnen drehten sich langsam in dem Raum.  Farbige Schleier markierten die Staub- und Materiewolken, in denen ständig neue Sonnen entstanden.

Stumm starrte Tarwen in die Höhe. Direkt über ihm schimmerte die heimatliche Galaxis, groß und wunderschön. Viele ihrer Sonnen und Planeten kannte er – theoretisch. Überall dort gab es Wunder und Schönheiten. Die suchte Tarwen, wollte sie bestaunen und erleben.

„Es ist fantastisch“, wisperte Keschwar. Seine Augen glitzerten vor Aufregung. „Lass uns hier einen Schwur ablegen. Wir werden alle Sonnen besuchen. Jede einzelne mit ihren Planeten und Monden. Wir beide werden die ersten sein, die das gesamte Universum bereisen.“

Tarwen blieb der Mund offen stehen. Er blickte wieder nach oben. Oh ja! Das wollte er! Er ergriff Keschwars Hand. „Wir beide! Bis in alle Ewigkeit werden wir zusammen sämtliche Wunder des Alls bestaunen.  Alle Sonnen, alle Planeten, alles was es gibt.“ Seine Kehle wurde eng vor Ergriffenheit.

„Wir! Für alle Zeit! Wie Brüder!“, bestätigte der Freund.

„Nanu, was macht ihr denn hier?“ Die klangvolle Stimme riss die Jungen aus ihrer feierlichen Stimmung.

Instinktiv zog Tarwen die Schultern hoch und starrte den großen Mann in der imposanten Robe an. Der hohe, breite Kragen zeigte deutlich, dass er dem Hohen Rat angehörte. Er brachte kein Wort hervor.

Keschwar straffte sich und schob das Kinn vor. „Wir dürfen hier sein.“        

Der Mann musterte die beiden. Er begann zu schmunzeln, was ihn sofort freundlicher wirken ließ. „Ihr gehört zu den neuen Studenten, nicht wahr? Ihr seid heute zum ersten Mal hier.“

Gleichzeitig nickten die Jungen. Tarwens Furcht vor einer Zurechtweisung verschwand schlagartig. Stattdessen begannen seine Augen zu leuchten. Studenten hatte er sie genannt. Obwohl sie nur alle zehn Tage hier in der Akademie lernen durften.

„Solltet ihr euch nicht wieder eurer Gruppe anschließen?“

Tarwen blickte auf den Chronometer und schnappte nach Luft. „Schon so spät! Komm, Keschwar!“

Der Fremde machte ihnen Platz und die beiden Jungen rannten zu der großen Halle zurück. Ihr Erzieher schien allerdings noch nicht ungeduldig auf sie zu warten. Er unterhielt sich mit einem der Ausbilder und nickte ihnen nur zu. Erst da fiel Tarwen auf, dass sie nicht die Letzten waren, auch Linormen fehlte noch.

Ondorom registrierte ihr Erscheinen. Es beruhigte ihn, dass diese beiden wieder da waren. Dass die Kinder sich bei den ersten Besuchen in der Akademie verspäteten war normal. Trotz der Ermahnungen blieben die wenigsten in der Gruppe. Dafür waren die Jungen zu neugierig. Viele verliefen sich beim Herumstreifen in den Gängen oder vergaßen die Zeit.

Doch Keschwar war durchaus zuzutrauen, dass er bewusst provozierte. Wie Tarwen war er überdurchschnittlich klug. Aber er verhielt sich noch immer starrköpfig und aufsässig. In den vergangenen zwei Jahren hatte es niemand geschafft, ihn dazu zu bringen, Regeln einzuhalten und sich einzufügen. Tarwen hingegen war mit Sicherheit einfach zu fasziniert von seiner Umgebung gewesen. Der Junge war ungemein lernbegierig. Und gleichzeitig viel zu ängstlich, um Dummheiten zu begehen.

Wieder öffnete sich die Tür. Eine ältere Frau schob einen Jungen vor sich her. „Hier ist einer Eurer Schützlinge, Ondorom. Er hat sich verlaufen. Fehlt noch jemand?“

„Nein, Larena. Danke. Es sind alle da.“ Er wandte sich an Linormen, der mit geröteten Wangen dastand und auf den Boden starrte. „Komm! Du bist nicht der erste, der sich hier verläuft und wirst auch nicht der letzte sein. Die Akademie ist groß.“

Trotz der freundlichen Worte hob der Junge nicht den Kopf. Es war einfach zu beschämend, auf diese Art und Weise zurück gebracht zu werden. Er brauchte die Kameraden nicht anzusehen, um zu wissen, dass die meisten heimlich grinsten.

Schon auf dem Weg nach Hause musste Linormen sich so manchen Spott anhören. Natürlich war die Akademie weitläufig. Doch sie alle hatten in den letzten Wochen den Aufbau des Gebäudes, eigentlich eine Stadt für sich, gelernt. Besonders Keschwar nutzte die Gelegenheit, den oftmals arroganten Mitschüler zu demütigen. Tarwen gönnte ihm zwar die Schmach, aber er sagte nichts. Er wusste nur zu gut, wie schmerzhaft Spott sein konnte.

Im Heim wartete eine Nachricht auf Tarwen. Er warf nur einen Blick auf die Kapsel und Linormen war vergessen. Er wagte nicht, sie zu ignorieren, aber seine Hände zitterten, als er den Speicher aktivierte. Die ständigen Vorwürfe und Forderungen der Eltern brachten ihn immer wieder zur Verzweiflung. Seine Befürchtungen bestätigten sich. Erneut verlangte der Vater mehr Einsatz von ihm. Jetzt, da er die Chance bekam, in der Akademie zu lernen, sollte er das auch nutzen. So oft er nur konnte. Bei den letzten Sätzen riss Tarwen die Augen auf und starrte fassunglos auf den Monitor.

„Ich erwarte, dass du dich endlich zusammenreißt. Du könntest längst der Beste deines Jahrganges sein, wenn du nicht so faul und vergnügungssüchtig wärst. Lerne gefälligst in deiner Freizeit, anstatt dich mit albernen Spielen zu beschäftigen. Ich habe dich nicht erzogen, damit du mich beschämst. Ich verlange, dass du meine Erwartungen erfüllst. Vor allem wirst du dich nicht mehr mit diesem Keschwar beschäftigten. Suche dir Freunde, welche dir in deinem Vorwärtskommen helfen können, nicht so einen Nichtsnutz. Wenn du es auch dieses Mal nicht schaffst, als Bester den Jahrgang zu beenden, werden wir uns von dir lossagen. Wenn du mein Sohn bleiben willst, erfülle deine Pflichten mir gegenüber!“

Tarwen bekam keine Luft mehr. Aus der Familie ausgestoßen zu werden, war eine entsetzliche Schande. Sein Brustkorb schmerzte, als er endlich nach Luft rang. Seine Augen füllten sich mit Tränen und liefen über. Bewegungslos blieb er sitzen, jeder Muskel in ihm verspannte sich. Erst der Summer riss ihn aus seiner Starre. Wie in Zeitlupe drückte er auf den Öffner. Außer Keschwar kam niemand zu ihm und vor ihm schämte er sich nicht.

„Hallo! Wir wollten doch …“, begrüßte der Freund ihn, verstummte und starrte ihn an. „Was ist passiert?“

Tarwen zeigte zum Bildschirm. Er hielt sich die Ohren zu, während Keschwar die Nachricht abhörte. Dessen Fäuste ballten sich. Dann wirbelte er herum und schüttelte Tarwen, bis dieser die Hände sinken ließ.

„Lass ihn doch. Dann hast du keine Familie mehr. Ja, ich weiß. Linormen wird nicht als Einziger darüber lästern. Aber du wärst endlich frei und kannst genau das lernen, was du willst. Niemand wird dir verbieten, mein Freund zu sein. Wir zwei bilden eine neue Familie. Was die anderen sagen, ist doch uninteressant.“

Tarwen und er würden dann immer zusammen sein. Denn auch er selbst besaß keine Familie mehr, zu der er zurück konnte. Nur wenige Tage nachdem er ins Erziehungsheim gekommen war, hatten seine Eltern ihn ausgeschlossen.

Aber auf diese Weise wären Tarwen und er Brüder. Zusammen würden sie alles schaffen, sich gegen alle anderen stellen können, gegen sie bestehen – und Erfolg haben. Sie waren klug und stark. Eindringlich sprach er auf den Freund ein.

Doch er drang nicht zu ihm durch. Tarwen war starr vor Angst, schüttelte den Kopf und lief hinaus. Keschwar sah ihm nach. Er wünschte sich so sehr, dass dieser Junge, dieser eine, einzige Freund, zu ihm gehörte. Sein Mut und Tarwens Klugheit – damit würden sie die mächtigsten Führer werden. Die höchsten und angesehensten im Rat. Das Universum würde ihnen gehören. Sie brauchten nichts und niemanden sonst. Wann würde der Freund dies auch erkennen?

Als alle anderen zum Abendessen gingen, trat Tarwen aus dem kleinen Studierzimmer, in dem er sich verkrochen hatte. Er blickte sich um, aber Keschwar war nicht in der Nähe, stattdessen traf er Sendor.

„Warte, bitte!“

Der grünäugige Junge zögerte, blieb dann aber stehen. „Was ist?“

„Kannst du Malinen sagen, dass ich heute nicht zum Essen komme?“

„Wieso macht das nicht Keschwar? Ihr seid doch sonst immer zusammen.“

Tarwen zuckte mit den Schultern. „Was ist daran so schlimm, dass ich dich darum bitte?“

Sendor runzelte die Stirn, machte den Mund auf und wieder zu. Dann gab er sich einen Ruck. „Weil du nur mit uns sprichst, wenn es dir gerade passt. Sonst ignorierst du uns. Ich finde das nicht gerade nett.“

Verblüfft hörte Tarwen diesen Ausbruch an. „Das stimmt doch gar nicht“, widersprach er. „Ich würde gerne öfter mit euch zusammen sein und spielen. Aber ihr wollt mich nicht dabei haben.“

„Daran bist du selbst schuld.“

„Warum denn?“

Tarwens ehrliche Ahnungslosigkeit schien Sendor zu beeindrucken. Der Ärger in seinen Augen verschwand.

„Du weißt das wirklich nicht? Ja, früher bist du hin und wieder mit uns gekommen. Aber jedes Mal bist du nach kurzer Zeit verschwunden. Und du hast sehr deutlich gezeigt, dass wir dich langweilen. Glaubst du wirklich, das hat uns gefallen?“

Erst wollte Tarwen diese Behauptung erneut zurückweisen, zog dann aber die Stirn zusammen. Eigentlich hatte Sendor recht, wie er sich eingestehen musste.

„Ich wollte euch damit nicht ärgern. Bestimmt nicht. Ich …“ Er zögerte, überwand sich schließlich. Sendor war ehrlich gewesen, das sollte er ebenfalls sein. „Ich wäre gerne wie ihr, schaffe es aber nicht. Ich habe es immer wieder versucht. Ich möchte oft mit euch spielen, aber nach einer Weile gefällt es mir nicht mehr. Das heißt jedoch nicht, dass ich euch nicht mag.“

„Wieso versucht du, wie wir zu sein? Jeder soll sich selbst finden und seine Interessen und seine Art leben. Das ist alles, was wichtig ist. Ondorom lehrt uns dies doch.“

Tarwen konnte nur stumm nicken. Ja, das stimmte alles. Nur konnte er das nicht. Denn wie sollte er das machen, wenn er die Erwartungen anderer erfüllen musste. Er hob die Schultern. Dann sah er dem Kameraden direkt in die Augen. „Ich muss wohl noch viel lernen und werde darüber nachdenken.“

„Lernen müssen wir alle noch eine Menge“, gab Sendor zurück. Er klang jetzt freundlicher. „Vielleicht kommst du einfach mal wieder mit uns. Überleg es dir. Und natürlich gebe ich Malinen Bescheid.“

„Danke! Für beides.“ Tarwen lief den Gang entlang. Er spürte, dass der Junge ihm nachsah. Er blickte sich nicht um, war froh darüber, dass dieser nicht nachfragte, was er vorhatte. Wobei die anderen längst wussten, dass er sich immer wieder in die Scheune zurückzog.

In dem abgelegenen Gebäude kletterte Tarwen die Leiter hoch. Längst hatte Malinen dort ein Bett aufgestellt und den Raum etwas wohnlicher gemacht. Bedrückt kauerte er auf dem schmalen Lager und starrte über den Sand zu den weit entfernten Bergen hinüber. Doch er sah die Landschaft nicht, sondern dachte angestrengt nach. Wie konnte er lernen, er selbst zu sein? Eigentlich wusste Tarwen genau, was er wollte. Aber so zu handeln, war fast unmöglich für ihn. Denn das bedeutete, sich gegen den Vater zu stellen. Dazu hatte er einfach nicht den Mut.

Als es dunkel wurde, rollte er sich unter den Decken zusammen. Irgendwann in der Nacht wachte er von seinem eigenen Schluchzen auf. Panisch strampelte er, etwas schien ihn festzuhalten. Dann merkte er, dass er sich im Schlaf eng in die Decken gewickelt hatte. Tarwen befreite sich und schmiegte sich wieder in die warme Kuhle. Er presste das Gesicht in das Kissen. Obwohl er sich schämte, schaffte er es nicht, mit dem Weinen aufzuhören.

Er hörte die leisen Schritte nicht, die die Leiter heraufkamen. Malinen sah mitleidig auf die kleine Gestalt herab und strich dem Jungen behutsam über die Schulter. Ihr Gehilfe Narob dagegen schüttelte verständnislos den Kopf.

„Warum muss er denn hier schlafen? Er kann doch ins Haus wie alle anderen!?“

„Er möchte nicht, dass die anderen Jungen ihn hören. Er hat immer noch Alpträume.“

„Er gehört nicht hierher“, brummte der Mann. „Warum schickt man ihn nicht nach Hause? Er muss die Ausbildung doch nicht machen.“

„Aber er will doch zur Akademie.“ Malinen zupfte noch einmal an der Decke, ehe sie sich wieder abwandte.

„Der? Der wird nie ein Timelord. Aus dem wird nichts.“ Narob zuckte die Schultern. Er begriff nicht, wieso ein derart ängstliches Kind hier ausgebildet wurde.

„Wer weiß“, murmelte Malinen. Dann gingen beide wieder zum Haus zurück.

Tarwen schluchzte noch eine Weile, bis er es endlich schaffte, die Tränen zurückzudrängen. War er wirklich so ein furchtbarer Versager? Sein Vater sagte es – und Narob glaubte es auch. Er legte sich etwas bequemer hin. Langsam beruhigte sich sein Atem. Aber er fürchtete sich vor dem Einschlafen. Dann würden bestimmt wieder die Alpträume kommen.

Er erstarrte. Was war das? Woher kamen diese leisen Atemzüge? Er kniff die Augen zusammen. Malinen war fort, da war er sich ganz sicher. Tarwen wagte keine Bewegung, horchte angespannt. Alles war ruhig – und doch war er sich sicher, nicht alleine zu sein. Seine eigenen Atemzüge schienen in der Stille überlaut hörbar zu sein. Er kroch noch tiefer unter die Decken. Dann musste er eingeschlafen sein. Tarwen war sich ganz sicher. Denn was nun geschah, konnte nicht Wirklichkeit sein.

Er hörte jemanden reden, verstand die Worte allerdings nicht. Langsam setzte er sich auf – oder träumte, dass er sich aufsetzen würde. Er war sich völlig sicher: irgendetwas war hier. Unter dem Bett. Etwas Schreckliches. Ganz vorsichtig stellte er die Füße auf den Boden, wagte jedoch nicht, nach unten zu schauen.

Was würde geschehen? Packte das Ding unter seinem Bett ihn? Gelang es ihm dieses Mal, zu erkennen was dort war? Denn das konnte man eigentlich nie. Man bemerkte nur einen Schatten aus den Augenwinkeln und wusste, man war nicht alleine. Doch niemals sah man etwas. Die Erwachsenen sagten, dass da nichts war. Es gab keine Monster unter dem Bett, so etwas bildete man sich nur ein. Aber wenn es nun keine Einbildung war?

Etwas umschloss seinen Knöchel. Er spürte es ganz genau. Entsetzt hielt Tarwen die Luft an, wagte nicht die geringste Bewegung. Konzentriert sah er geradeaus in die Dunkelheit außerhalb der Scheune. Nur nicht nach unten schauen! Er wollte nicht mehr wissen, was dort war. Es sollte nur wieder verschwinden.

Eine leise Stimme erklang. Flüsternd, kaum verständlich. Doch sie wirkte nicht unheimlich. Eher freundlich und irgendwie eindringlich.

„Du träumst nur. Hab keine Angst. Es ist nichts unter dem Bett. Niemals. Es gibt dort keine Schatten. Leg dich einfach wieder hin. Es wird alles gut, wenn du jetzt weiterschläfst.“

Sein Knöchel war frei. Zitternd holte er Luft und zog die Beine an. Dann ließ Tarwen sich auf das Bett sinken. Seine Gedanken überschlugen sich, drängten ihn, wollten Gewissheit haben. Aber er konnte sich nicht aufraffen. Steif lag er unter der Decke.

Doch der seltsame Traum war nicht vorbei. Etwas schien seine Haare zu berühren, als ob eine Hand leicht darüberstrich. Es fühlte sich schön an, beruhigend, aber gleichzeitig auch erschreckend. Denn er hatte keine Ahnung was dort war – und er konnte die Augen einfach nicht öffnen.

Die weiche, im Grunde sogar liebevolle Stimme sprach weiter: „Das hier ist nur ein Traum. Wer wirklich klug ist, hört auf Träume. Du hast Angst, aber das ist in Ordnung. Du brauchst dich deshalb nicht zu schämen. Furcht ist eine Superkraft, sie macht dich schneller und klüger. Eines Tages wirst du hierher zurückkommen und dich deiner Angst stellen. Sie muss dich nicht feige und grausam machen, sondern kann dich auch stark und menschlich werden lassen. Es ist erlaubt, Angst zu haben. Sie gehört zum Leben, wie ein Gefährte, auch wenn man lernt sie zu verstecken. Und du wirst das auch lernen. Ich lasse dir etwas da, das dich daran erinnern wird.“

Stille. Er öffnete die Augen, nur einen kleinen Spalt. Dann riss er sie auf. Vor ihm, auf dem Tischchen neben dem Bett stand eine kleine Spielfigur. Tarwen starrte sie an und kniff die Lider wieder zusammen. ‚Das ist nur ein Traum.‘ Er wiederholte die Worte in Gedanken immer wieder. Sein Atmen wurde ruhig und gleichmäßig. Die Sätze der Traumstimme erklangen in seinen Gedanken, beruhigend und ungemein tröstend. Von seinem Kopf schienen sie sich langsam auszubreiten, als würden sie durch ihn hindurchfließen. Die Starre in seinem Körper verschwand. Tarwen kuschelte sich behaglicher in die Decken.

Niemand sah die junge Frau, die leise die Leiter hinunterstieg. Sie schlich durch die Scheune zu einem Gebilde, das aussah wie ein rechteckiger, blauer Kasten mit einer Tür – eine TARDIS. Doch bevor sie hineinging, wandte Clara sich noch einmal um und sah zu dem stillen Jungen, der unter den Decken verborgen lag. Sie lächelte und flüsterte: „Schlaf, kleiner Doktor. Ich kümmere mich um dich – irgendwann sehr viel später.“

Die Sonne schien hell in die Scheune, als Tarwen erwachte. Langsam setzte er sich auf und blickte sich um. Er tastete über sein Gesicht. Seine Augen waren trocken. Dann erinnerte er sich an den seltsamen Traum, der sich so wirklich angefühlt hatte. Noch immer konnte er die Sätze in seinem Kopf hören.

Sein Blick fiel auf das Tischchen. Dort stand die kleine Spielfigur. Tarwens Augen wurden groß. Er hatte doch geschlafen! Konnte ein Traum etwas Wirkliches hinterlassen? Langsam nahm er die kleine Figur in die Hand und musste lächeln. Sie sah albern aus. Es war ein Mann, anscheinend sollte er einen Kämpfer darstellen. Das Material wirkte ebenso fremdartig wie das Aussehen der Figur. Aber irgendwie gefiel sie ihm. Tarwen schaute durch das Fenster und atmete tief ein. Er würde sie behalten, als Erinnerung, damit er niemals vergaß, was die Traumstimme ihm gesagt hatte. Und ja, er würde lernen, mit seiner Angst zu leben. Tarwen stand auf und machte sich fertig. Er versuchte nicht, unter das Bett zu sehen. Dort war nichts, er musste es nicht überprüfen.

Beim Frühstück blickte ihn Keschwar mehrmals verwundert an. „Was ist los? Du bist so zerstreut?“

„Ich muss mir über etwas klar werden.“

Auch im Unterricht fiel er den Ausbildern auf. Der immer konzentrierte, wissbegierige Junge wirkte, als wäre er geistig völlig woanders.

„Tarwen, was ist mit dir?“, erkundigte sich Ondorom. „Fühlst du dich nicht gut?“

„Doch. Entschuldigung. Mich beschäftigt nur etwas.“

„Es ist wichtig?“

Tarwen zögerte, ehe er leise antwortete: „Für mich, ja.“

Der Erzieher sah ihn nachdenklich an. Es kam immer wieder vor, dass die Kinder sich mit einem bestimmten Thema intensiver auseinandersetzen wollten und deshalb bei anderen Themen unaufmerksam waren. Das wurde gefördert und unterstützt. Ein starres Unterrichtsschema gab es auf Gallifrey sowieso nicht. Die Schüler wurden angehalten, sich über ihre Interessen klar zu werden und dementsprechend ihre Lernziele zu suchen.

Allerdings war sich Ondorom sicher, dass Tarwens Unaufmerksamkeit nichts mit dem Unterricht zu tun hatte. Schließlich meinte er: „Dann ziehst du dich besser in eines der Studierzimmer zurück. Dort stört dich niemand.“

Das ließ Tarwen sich nicht zweimal sagen. Bis weit in den Nachmittag saß er in dem kleinen Raum, grübelte und wägte alle Möglichkeiten, die er sich nur einfallen lassen konnte, gegeneinander ab. Er spürte weder Hunger noch Durst. Irgendwann hob er endlich den Kopf. Jetzt wusste er, was er machen wollte. Was er machen musste. Er ging zum Leiter des Hauses.

„Torrason? Kann ich mit Euch sprechen?“

„Tarwen! Komm herein. Du siehst sehr ernst aus.“

Der Junge setzte sich. „Ich weiß, dass ich noch zu jung bin, um eine solche Entscheidung treffen zu können. Aber mit Eurer Hilfe würde ich es durchsetzen können.“

„Worum geht es denn?“

„Ich möchte mich von meiner Familie lösen.“ Jetzt hatte er es ausgesprochen.

Erstaunt sah der Torrason den schmächtigen, dunkelblonden Jungen an. Dessen graue Augen blickten voll und klar in die seinen. „Das ist eine sehr weitreichende Entscheidung. Bist du dir wirklich sicher, dass du das möchtest? Eine Familie gibt uns Halt und Sicherheit. Du willst das wirklich aufgeben?“

„Ja! Denn mir gibt sie das nicht. Ich werde nie ich selbst sein können, wenn ich weiter an meine Familie gebunden bin. Ondorom hat uns beigebracht, dass wir genau dies lernen müssen. Es ist eine der Voraussetzungen, um ein Timelord zu werden. Und ich will zur Akademie!“

Der Leiter des Erziehungshauses sagte erst einmal gar nichts, sondern überlegte. Sollten die ganzen Probleme des Jungen mit seiner Familie zusammenhängen? Der Vater war sehr ehrgeizig. Er wollte, dass Tarwen zur Akademie ging. Warum also empfand der Junge dies als Hindernis? Seine Eltern würden ihn doch dabei unterstützen.

Ein anderer Gedanke durchfuhr den Mann: Verlangte die Prophezeiung dies vielleicht? Keschwar war längst verstoßen worden. Dessen Familie war zornig darüber, dass er sich für die Ausbildung entschlossen hatte. Musste auch Tarwen ohne Familie sein, um die Prophezeiung zu erfüllen? Der Hohe Rat glaubte dies, wie er wusste. Die Führer wollten, dass der Junge alleine lebte. Sie hatten seinen Eltern nahegelegt, den Jungen möglichst selten zu kontaktieren.

Er entschied sich. „Ich denke darüber nach. Und wenn ich glaube, dass es gut für dich ist, helfe ich dir dabei.“

In der nächsten Zeit musste Tarwen viele Gespräche mit seinen Erziehern führen. Selbst die Ausbilder in der Akademie wurden hinzugezogen. Er gab nie genaue Gründe für seine Entscheidung an, wiederholte nur ständig, dass er diese Ablösung bräuchte, um sich selbst finden zu können. Zum ersten Mal wirkte er entschlossen und sicher.

Schließlich setzten sich seine Lehrer und einige Mitglieder des Hohen Rates zusammen. Torrason blickte in die Runde. „Dies ist eine schwere Entscheidung. Wir wissen, dass Tarwens Eltern sehr große Ziele für Tarwen haben. Sie sind bereit, ihn auf seinem Werdegang zu unterstützen. Allerdings kann dies natürlich auch eine Belastung für ihn sein. Wir müssen jedoch nicht nur über das Wohl seiner Entwicklung entscheiden. Wie bekannt ist, gibt es eine Prophzeiung, die den Jungen betrifft.“

„Ihr glaubt, dass sein Wunsch damit zusammenhängt?“

„Bisher war Tarwen ein unentschlossenes, furchtsames Kind. Nun wünscht er plötzlich die komplette Trennung von seiner Familie. Eine unglaublich wichtige und folgenschwere Entscheidung. Und er wirkt dabei sehr entschieden und zeigt keinerlei Zweifel.“

Eine Weile hörte Torrason der darauf folgenden Diskussion zu. Dann ergriff er wieder das Wort. „Bisher vermuteten wir, Keschwar wäre der Retter von Gallifrey. Ich mir dessen jedoch nicht mehr sicher. Dieser Junge ist unglaublich rebellisch. Er hält sich nicht an Regeln und ist extrem widerspenstig. Sein Charakter entspricht nicht dem eines hochstehenden Timelords. Wenn wir die Prophezeihung falsch interpretieren, müssen wir Tarwen viel stärker fördern.“

Nomuren, ein Mitglied des Hohen Rates, presste die Lippen aufeinander. „Das bedeutet, wir sind gezwungen, beiden Jungen alle Möglichkeiten offen zu halten. Gibt es keine Möglichkeit einer genaueren Deutung?“

„Diese Frage könnt Ihr besser beantworten als wir“, erwiderte Torrason. Die verkniffene Miene des anderen war Antwort genug. Der Erzieher fuhr fort: „Keschwar ist mit Sicherheit mutiger. Er weiß genau, was er will und lernt exakt dafür. Er ist klug und wird sein Ziel erreichen. Ich persönlich bin nicht dafür, ihm die volle Ausbildung zu einem Timelord zu geben. Zumindest noch nicht. Ihm fehlt die innere Ausgeglichenheit.“

„Er muss ein Timelord werden. Die Prophezeiung verlangt es.“

„Doch genau aus diesem Grund habe ich Bedenken. Es kann sein, dass wir damit unseren eigenen Untergang herbeiführen.“

„Ihr meint, dass Tarwen uns eventuell vor diesem Rebellen retten muss. Dazu müsste dieser Junge jedoch wesentlich sicherer sein, als er es jetzt ist. Er bräuchte die beste und umfangsreichste Ausbildung eines Timelords. Fähig, auch eine TARDIS zu steuern und die geheimeren Abteilungen zu betreten und zu verstehen. Bisher hatten wir vor, ihn eher allgemein zu unterrichten, damit er ständig in der Akademie lebt. Er könnte Forschungen betreiben und wäre immer unter unserer Aufsicht.“ Nomuren blickte den Erzieher skeptisch an. „Was ist, wenn Tarwen doch den Untergang bringt? Dann bringen wir ihm alles bei, was er dafür braucht.“

„Das müssen wir bei Keschwar auch.“

Nomuren seufzte schwer, ehe er nickte. Der Hohe Rat überlegte schon lange, wie man die Ausbildung dieser Jungen steuern konnte, um die Gefahr für Gallifrey zu minimieren.

Einer der Erzieher hob die Hand. „Was sagt diese Prophezeiung denn genau aus? Können die weisen Frauen keine exaktere Auskunft geben?“

Er erntete nur Kopfschütteln. „Das wurde schon versucht. Man weiß nur, dass die beiden Jungen das Zentrum sind. Ihre Schicksale sind eng miteinander verbunden. Einer bringt den Untergang, der andere die Rettung.“

„Wenn beide dauerhaft in der Akademie bleiben, können wir ihre Entwicklung genauestens verfolgen“, überlegte Nomuren weiter. „Keschwar ist schon ohne Familie. Wenn wir Tarwens Wunsch entsprechen, wird es kein Problem sein, auch ihn ständig zu beobachten.“

Damit war die Entscheidung gefällt. Torrason rief den Jungen zu sich. „Es wurde beschlossen, dein Ansinnen zu erfüllen. Wir benachrichtigen deine bisherige Familie.“

In Tarwens Kehle bildete sich ein Kloß. Angst wollte in ihm emporkriechen. Er holte einmal tief Luft und straffte sich. Dieser Weg war der richtige für ihn!

„Danke“, brachte er heiser hervor. Draußen vor dem Raum blieb er einen Moment stehen. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er fühlte sich wunderbar. Leichter. Unbeschwerter. Einfach gut! Jetzt würde er sich selbst finden können.

Er rannte zu Keschwar. „Ich bin frei. Die Erzieher haben alles in die Wege geleitet. Ab heute habe ich keine Familie mehr.“

Der Freund umarmte ihn. „Und? Fürchtest du dich? Die Jungen werden lästern.“

„Sollen sie.“ Nicht einmal diese Aussicht störte die herrlichen Gefühle, die ihn durchströmten. „Außerdem wurde ich nicht ausgestoßen. Ich habe meine Familie verlassen. Das ist ein Unterschied.“

 

Labyrinth der Gespenster

Die Tür des Studierzimmers öffnete sich lautlos. Linormen huschte herein und sah sich sorgfältig um. Tarwen saß an einem der Monitore. Er starrte derart konzentriert darauf, dass er sein Kommen vermutlich nicht gehört hatte. Linormen Junge grinste hämisch. Das war typisch für diesen Jungen. Ansonsten war der Raum leer, so wie er es erhofft hatte.

Seit Monaten wartete Linormen. Er hatte zig Tage für seine Vorbereitungen benötigt. Es war schwer gewesen, sich heimlich alle notwendigen Informationen zu beschaffen. Doch jetzt war alles bereit. Nur die passende Situation hatte ihm bisher gefehlt. Voller Wut blickte er auf Tarwen, der immer noch nicht bemerkt hatte, dass er nicht mehr alleine war.

Vom ersten Tag an hatte Linormen sich diesem schmächtigen, ängstlichen Jungen überlegen gefühlt. Selbst dann noch, als er zugeben musste, dass dieser weitaus klüger war als er es je sein würde. Dessen Furchtsamkeit hatte ihm genügend Möglichkeiten gegeben, Tarwen zu verspotten.

Doch seit einem halben Jahr änderte sich dies. Seit dem Zeitpunkt, an dem Tarwen keine Familie mehr besaß. Jeder andere würde darunter leiden. Man brauchte sie, schließlich bekam man nur dadurch schon als Kind einen entsprechenden sozialen Status. Diesen zu verlieren war eine Schmach.

Tarwen wurde stattdessen von Tag zu Tag selbstsicherer. Immer seltener flüchtete er nachts in die Scheune. Und sogar dann kam er morgens nicht übernächtigt und blass zum Unterricht, sondern ruhig, fast zufrieden. Er verkroch sich nicht mehr, sondern sprach und spielte oft mit den anderen Jungen. Vor allem Sendor, der von allen gemocht und anerkannt wurde, traf sich seit Neuestem gerne mit Tarwen und bezeichnete ihn sogar als Freund. Ebenso begannen auch die meisten anderen, den eigenartigen Jungen zu akzeptieren.

Linormen war entschlossen, das zu ändern. Heute würde Tarwen wieder zu einem wimmernden Feigling werden. Alle konnten dann sehen, dass er immer noch der gleiche Schwächling war wie bisher.

„Heh, Tarwen!“

Dessen Kopf ruckte nach oben. „Linormen! Was ist denn?“

Der schaffte es, ein missmutiges Gesicht zu machen. „Nekrol schickt mich. Er hat doch Zeit. Du musst dich aber beeilen. Er ist in einer Privatbibliothek und will, dass ich dich hinbringe.“

Tarwen richtete sich überrascht auf. „Aber er sagte mir erst vorhin, dass er fort muss.“

Natürlich stimmte das. Linormen hatte genau zugehört und gewusst, dass dies die lang ersehnte Gelegenheit war. So unauffällig wie möglich verschwand er aus dem Vorlesungssaal, als der Ausbilder eine Versuchsreihe begann und alle sich einen guten Platz zum Zuschauen suchten. Er war sicher, dass niemand davon Notiz genommen hatte.

„Weiß ich doch nicht“, erklärte er und zuckte mit den Schultern. „Nun komm schon. Ich habe keine Lust, noch länger hier herumzuhängen. Bald ist der Unterricht vorbei und im Heim warten die Freunde auf mich.“

Sofort schaltete Tarwen den Monitor aus und folgte Linormen. Der führte ihn durch Gänge und über Treppen immer weiter hinunter.

„Hierher sollen wir?“ Tarwen runzelte die Stinr. „Wir sind schon in den unteren Stockwerken. Hier gibt es doch keine Bibliotheken mehr.“

„Nekrol sagte es aber“, beharrte Linormen und beschleunigte seinen Schritt. Der verhasste Mitschüler durfte nicht merken, wohin er ihn führte. Leider kannte der Junge sich sehr gut in der Akademie aus. Er musste sich beeilen, bevor dieser misstrauisch wurde. Endlich hatten sie den letzten Gang erreicht und niemand hatte sie gesehen.

Linormen trat auf die unscheinbare Tür zu. Mit seinem Körper verbarg er geschickt, wie er den komplizierten Verschluss betätigte.

„Bist du dir ganz sicher? Wir sind viel zu tief. Hier sind doch schon die verbotenen Bereiche.“

„Unsinn. Nekrol beschrieb mir den Weg ganz genau.“ Endlich öffnete sich die Tür. „Nun geh schon. Ich will zu den anderen zurück.“

Kopfschüttelnd trat Tarwen näher und versuchte, in den Raum hinter der Tür zu sehen. So kräftig wie er nur konnte, stieß Linormen ihm die Fäuste in den Rücken, so dass der Junge durch die Tür stürzte. Sofort verriegelte er sie wieder. Dann rannte er zu den Studierräumen. Die Kameraden kamen gerade aus dem Lehrsaal. Er mischte sich unter sie. Kurz darauf trat er auf einen der Ausbilder zu und beschäftigte ihn mit ausgesuchten Fragen.

Natürlich würde jemand bemerken, dass die vielfach gesicherte Tür geöffnet worden war. Die Wachen würden Tarwen befreien. Doch bis dahin würde der garantiert vor Angst heulen und schreien. Linormen hoffte, dass man nicht genauer nachfragte, wie er dort hingekommen war. Tarwen ging oft in Bereiche der Akademie, in denen er nichts zu suchen hatte. Aber im Grunde spielte es keine Rolle. Wenn Tarwen berichtete, dass Linormen ihn eingesperrt habe, würde er noch dazu als Lügner dastehen. Denn die Ausbilder würden bestätigen, dass Linormen sich ausführlich mit dem Unterrichtsstoff beschäftigt hatte. Niemand hatte bemerkt, dass er eine Zeitlang fort gewesen war.

 

Tarwen fühlte einen kräftigen Stoß in seinem Rücken, der ihn durch die Tür stolpern ließ. Nur mit Mühe hielt er sich auf den Beinen. Verwirrt blickte er sich um. Dies war keine Bibliothek. Er stand in einem breiten Gang, dessen Wände aus glattem Stein bestanden. An der hohen Decke befanden sich Lichtbänder, die allerdings nur matt leuchteten. Der Boden war grau und staubig. Hier hatte sich schon sehr lange niemand mehr aufgehalten. Tarwen betätigte den Öffner der Tür, doch nichts rührte sich.

„Linormen, was soll das? Mach auf!“

Er bekam keine Antwort. In Gedanken ging Tarwen die Gänge und Stockwerke durch, er kannte den verschachtelten Aufbau der Akademie inzwischen sehr gut. Er rang nach Luft. Jetzt wusste er, wo er war. Im Kloster! Dieser Bereich lag tief unter der Akademie und war absolut verboten. Der Junge schluckte, Furcht kroch in ihm hoch. Es war lebensgefährlich hier.

Das Kloster war der Bereich der Matrix. Jenes riesigen Computerareals, das von den früheren Timelords vor vielen zehntausend Jahren erbaut worden war. Die Matrix duldete keine Lebenden in ihrem Bereich. Die Sliders – geisterhafte Gestalten, gebildet aus den Bewusstseinsinhalten der hier gespeicherten, längst verstorbenen Timelords – bekämpften jedes Lebewesen, das sich hierher wagte.

Tarwen schüttelte sich. Er fühlte wie sein Rücken sich mit kaltem Schweiß bedeckte. „Linormen!“, rief er. „Lass mich raus!“  Mit den Fäusten hämmerte er gegen die Tür. Doch nichts rührte sich. Voller Angst sah er den Gang hinab. Ein hoher, gellender Schrei entrang sich ihm, als er eine Bewegung bemerkte. Etwas kam auf ihn zu.

Ein Flüstern durchdrang den Gang: „Wer bist du und warum bist du gekommen?“

„Ich … es war ein Versehen. Ich wollte das nicht“, stammelte Tarwen.

Wieder erklang das Raunen: „Wer bist du?“

„Tarwen.“                                   

Trotz seiner Todesangst studierte er Erscheinung. Sie war nur undeutlich zu erkennen, schien aber humanoid zu sein. Die Augen leuchteten schwarz aus dem blassen, kaum erkennbaren Gesicht heraus. Das Ganze war durchsichtig, er konnte die Wände dahinter erkennen. Es war gruselig. Kamen diese Worte tatsächlich von ihr? Es klang eher, als würden die Wände selbst sprechen. Einen Moment blieb es still. Die Gestalt bewegte sich nicht mehr und Tarwen konnte sie dadurch deutlicher sehen. Es war ein Mann.

„Bist du … warst du ein Timelord?“ Die Frage rutschte ihm einfach heraus.

„Wie interessant.“ Das Flüstern klang nun eher erheitert.

„Was meinst du damit?“

„Folge mir! Wir möchten, dass du einige Fragen beantwortest.“

„Kann ich das nicht hier machen?“

Tarwen blickte zur Tür. Würde sie sich nicht endlich wieder öffnen? Was würde mit ihm geschehen, wenn dieser Slider ihn zwang, mit ihm zu gehen?

„Nein! Komm!“

Er wagte nicht mehr zu widersprechen und stolperte hinter der Gestalt her. War das nun ein Mann oder ein Geist? Tarwen rieb sich verstohlen den Bauch, um die Schmerzen in seinem verkrampften Magen zu lindern. Um sich abzulenken, sah er sich um. Das Kloster schien ein Labyrinth zu sein. Überall erblickte er weitere Gänge. Alle waren in dasselbe matte Licht getaucht.

„Wieso ist es hier überhaupt hell? Braucht ihr das denn?“

Das Flüstern schien zu lachen. „Ja, es scheint zu stimmen. Dein Körper ist vor Angst fast erstarrt, doch dein Verstand bleibt rege. Du bist es wohl tatsächlich.“

„Ich bin wer? Ich verstehe nicht, was du meinst.“

„Die Verkörperung der Prophezeiung.“

„Die Prophezeiung? Es gibt tatsächlich so etwas über Keschwar und mich? Ich wusste nie, ob ich das glauben soll.“

Die Stimme, er wusste immer noch nicht, ob sie nun von der Gestalt oder aus den Wänden kam, wurde lauter. „Woher weißt du davon? Wer hat dir von ihr berichtet? Erzähle!“

Auch jetzt wagte Tarwen nicht, sich zu weigern und offenbarte, was Keschwar ihm zu Beginn ihrer Ausbildung anvertraut hatte.

„Hmmm. Ihr hättet nie davon erfahren sollen. Wir werden neu berechnen müssen, was dies bedeutet.“

„Woher kennst du sie eigentlich?“

„Was glaubst du denn, woher die Prophezeiungen stammen?“

„Von der Schwesternschaft von Karn. Sie leben auf dem Zwillingsplaneten von Gallifrey, da sie sich von unserer Gemeinschaft trennten. Aber sie teilen dennoch dem Hohen Rat ihre Visionen mit“, leierte Tarwen automatisch das längst Gelernte herunter.

„Das stimmt. Früher konnten auch manche Timelords sie empfangen. Doch inzwischen haben nur noch die weisen Frauen diese Fähigkeit. Aber woher erhalten diese die Prophezeiungen? Hast du dir darüber schon einmal Gedanken gemacht, Tarwen?“

Fast vergaß er seine Furcht, so interessant erschien ihm dieses seltsame Gespräch. Er überlegte, doch die Stimme gab ihm die Antwort, ohne dass er nachfragte musste.

„Die Schwesternschaft von Karn kann uns hören. Sie erhalten von uns die Ergebnisse unserer Berechnungen.“

„Was für Berechnungen? Ich dachte, die Matrix wird für Forschungen gebraucht“, wunderte Tarwen sich.

„Hier werden sämtliche Fakten gesammelt. Alle Erfahrungen, alles Wissen, das von den Timelords zusammengetragen wird. Die Matrix bringt diese unzähligen Einzelheiten in Beziehung zueinander. Daraus ergeben sich zukünftige Daten, die auf bestimmte Geschehnisse hinweisen. Wenn die Deutungen genau genug sind, geben wir sie an die weisen Frauen weiter.“

Das musste er erst einmal verdauen. Es klang … faszinierend. „Aber … dann weißt du auch, was die Prophezeiung genau aussagt. Kannst du es mir sagen?“

Einen Moment schien die Stimme zu überlegen, er konnte es fast fühlen.

„Nein, das wäre nicht gut für dich“, kam schließlich die Antwort. Tarwen wusste nicht, ob er enttäuscht oder erleichtert war. Das Flüstern fuhr fort: „Komm noch ein Stück weiter ins Zentrum der Matrix. Dort werden wir dir unsere Fragen stellen.“

Gehorsam folgte Tarwen der durchscheinenden Gestalt. Doch nach einer Weile kehrte die Angst zurück. Seine Kehle wurde trocken. Noch nie war jemand aus dem Bereich des Klosters entkommen. Er blickte sich um, inzwischen musste er schon tief unter der Akademie sein. Wo wurde er hingeführt?

Abrupt blieb er stehen und starrte das Wesen an, das in dem matten Licht auftauchte. Es war fremdartig und stand völlig bewegungslos da.

„Geh weiter!“ Die Stimme drängte.

„Was ist das für ein Geschöpf?“, hauchte Tarwen. „Ist es gefährlich?“

Der Slider wandte sich ihm zu, durch die geisterhafte Gestalt lief ein Beben, als lachte es. „Er ist tot. Niemand lebt hier unten. Wir lassen die Körper derer, die es wagten in unser Gebiet einzudringen, als Mahnung stehen.“

Mit kleinen Schritten, ständig bereit zurückzuweichen, näherte Tarwen sich der Gestalt. Jetzt erkannte er den Staub auf der grauen Haut. Es war kein Gallifreyer, aber irgendwie humanoid. Das Aussehen erinnerte ihn an etwas. Er musste schon ein Bild dieser Rasse gesehen haben, konnte es jedoch nicht einordnen.

„Wie kam er hierher?“

„Das ist sehr lange her. Sein Volk nannte sich Ogrons. Sie existieren nicht mehr. Ihre Mitglieder wurden oftmals von kriegerischen Rassen als Söldner rekrutiert. Dieser versuchte im ersten Zeitkrieg die Matrix anzugreifen.“

„Oh! Von denen habe ich im Unterricht schon gehört.“

Noch einmal betrachtete Tarwen das Wesen, ehe er dem Slider folgte. Der führte ihn weiter durch das Labyrinth dieser vielen unterirdischen Gänge. Längst hatte Tarwen keine Ahnung mehr, wo er sich befand. Nur dass es immer tiefer unter die Akademie ging, war eindeutig.

Seine Umgebung veränderte sich. Die Wände waren nicht mehr glatt, sondern bestanden aus rohen, kaum geglätteten Steinen. Der Boden wurde uneben. Tarwen musste aufpassen, um in dem schwachen Licht nicht zu stolpern. Manche der Abzweigungen, an denen er vorbeikam, waren nicht mehr beleuchtet, sondern nur noch stockfinstere Öffnungen. Mitten in einer der Kreuzungen stand erneut ein fremdartiges Wesen.

Tarwen runzelte die Stirn und versuchte zu erkennen, was da vor ihm stand. „Und wer ist dieses Wesen? Ich kann mich nicht erinnern, dass wir das schon besprochen haben.“

„Ein Cyberman.“

Die Gestalt war humanoid, doch das Gesicht schien eine Maske zu sein. Es wirkte wie ein Gallifreyer in einer metallenen Rüstung.

„Was ist ein Cyberman?“

„Sie nutzen organische Wesen, um sich selbst zu reproduzieren. Sie nehmen das Gehirn, verpflanzen es in ihre Körper und programmieren es nach ihrer Mentalität um.“

Der Junge schauderte, das klang schrecklich.

„Wo leben sie? Und wie kam er hierher?“

„Niemand weiß, wo ihre Heimatwelt ist, falls sie überhaupt eine haben. Dies ist eine von uns geschaffene Erscheinung.“

„Es ist nicht echt?“ Tarwen ging näher. Die fremde Gestalt wirkte völlig klar und stabil, im Gegensatz zu dem durchscheinenden Slider. Doch seine Hand glitt hindurch wie durch Rauch.

„Komm jetzt weiter“, verlangte die Stimme.

Noch immer ging es abwärts. Tarwen wurde immer unheimlicher zumute.

„M … Matrix? Ich weiß nicht, wie ich dich nennen soll. Wirst du mir sagen, was ihr mit mir vorhabt? Es heißt immer, im Kloster werden keine Lebenden geduldet. Wirst du … mich …“ Er konnte es nicht aussprechen.

„Dir wird nichts geschehen, junger Timelord“, kam die Antwort. „Du bist viel zu wichtig, als dass wir es riskieren könnten, deine Rückkehr in die Akademie zu verhindern. Es gibt nicht nur eine Prophezeiung, die dich betrifft.“

Wieder schluckte der Junge einen dicken Kloß hinunter. Langsam bekam er vor diesen Prophezeiungen mehr Angst, als vor den Geistern des Klosters.

„Wir sind da. Du siehst den Kreis im Boden. Stell dich dorthin. Du wirst Fragen hören. Es ist nicht notwendig, sie laut zu beantworten. Wenn es dir leichter fällt, dann denke nur. Wir können es erfassen.“

Tarwen wusste später nie, wie lange er dort im Zentrum der Matrix gewesen war. Er besaß keine wirkliche Erinnerung an die Fragen, die ihm gestellt wurden. Alles war diffus und verschwommen. Die nächste klare Wahrnehmung war einer der Sliders, der ihn zu einem uralten Brunnen führte, damit er trinken konnte. Dann wurde er erneut durch unzählige Gänge geführt. Die flüsternde Stimme begleitete ihn dabei ständig.

„Diese Gänge wurden in der Blütezeit der Timelords, dem Höhepunkt ihrer Macht, errichtet. Jeden Tag erreichten uns damals neue Erkenntnisse und Berichte über Welten und Zivilisationen.“ Ein leises Seufzen erklang. „Natürlich sammelt ihr auch heute noch Wissen, doch längst nicht mehr so viel.“

„Das sagen auch die Ausbilder“, stimmte Tarwen zu. „Es heißt, unser Volk hätte den Zenit der Entwicklung schon überschritten. Aber viele behaupten auch, wir würden nur einen passenden Führer benötigen, um wieder so agil und erfolgreich zu werden wie einst.“

„Das ist möglich. Dann sollte dies bald geschehen. Denn nach unseren Berechnungen wird Gallifrey schon bald bedroht werden.“

„Was?“ Unwillkürlich griff Tarwen nach dem Slider, stockte jedoch, bevor seine Hand ihn berühren konnte. „Wie meinst du das? Wer sollte uns angreifen? Man achtet uns im ganzen Universum. Wir sind die erfolgreichste Rasse, die sich je entwickelt hat. Niemand kann uns etwas anhaben.“

„Das wird gelehrt, aber es stimmt nicht“, gab der Slider völlig ungerührt zurück. „Es gab schon mehrere furchtbare Kriege, die zeigten, dass es sehr wohl Völker gibt, die den Timelords gleichwertig sind. Wir befürchten, dass Gallifrey von einem solchen entdeckt wird. Dann beginnt eine Entwicklung, die wir gerne verhindern würden.“

Tarwen starrte den Slider an, obwohl er inzwischen sicher war, dass das Flüstern nicht von ihm ausging.

„Nach unseren Berechnungen“, führte die Matrix weiter aus, „wird es zu einer Vermischung zweier Kriegerrassen kommen. Daraus entsteht ein Hybrid. Dieses Geschöpf wird das gesamte Raum-Zeit-Gefüge bedrohen. Nicht nur Gallifrey ist dann in Gefahr, sondern die gesamte Schöpfung. Unter Umständen wird der Zusammenhalt des Universums in Frage gestellt.“

„Was für ein furchtbares Geschöpf soll das sein? Welche Völker sind daran beteiligt?“

„Wir wissen es nicht genau, aber ein Teil wird ein Timelord sein.“ Einen Moment verstummte das Flüstern, ehe es unbarmherzig fortfuhr: „Das andere Wesen muss völlig anders geartet sein, kalt und dem Leben gegenüber absolut feindlich gesinnt. Ohne jedes Gefühl, dabei stark und hoch entwickelt. Es gibt Hinweise darauf, dass dieses Volk die Ursache des nächsten großen Krieges sein wird. Ein Wesen, das aus solch einer Verschmelzung hervorgeht, wird unbesiegbar sein. – Und alles deutet daraufhin, dass du der beteiligte Timelord bist.“

„Nein!“ Tarwen schrie das Wort heraus. „Nein! Das ist unmöglich. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob ich überhaupt ein vollwertiger Timelord werde. Ich bin doch kein Krieger. Das werde ich niemals sein. Ich – ich fürchte mich doch viel zu sehr.“

„Ja, wir haben deine Angst gespürt. Und doch bist du besonders. Denn deine Furcht lebt nur in deinem Inneren, deinem Körper. Dein Verstand wird davon nicht betroffen. Du hast uns Fragen gestellt, hast alles bemerkt, was um dich geschah. Wer so handelt, wird nicht von seiner Angst beherrscht. Das ist ein wichtiges Merkmal eines Kriegers.“

Tarwens Knie wurden weich. Er lehnte sich an die Wand. Die Kühle der Steine in seinem Rücken half, das Grauen, das ihn erfasst hatte, zurück zu drängen.

„Das glaube ich nicht“, flüsterte er. „Das kann nicht wahr sein. Ich möchte doch nur lernen und studieren, die Wunder im Universum sehen und erleben.“

Er starrte den Slider vor sich an. Dieser Geist, oder die Matrix die ihn belebte, besaß alles Wissen seines Volkes. Er musste eine Lösung kennen! Tarwen trat auf ihn zu, griff nach dessen Arm – und hindurch. Er zuckte zurück. Seine Hand fühlte sich eiskalt an.

„Sag mir, was ich dagegen machen kann! Wenn du so viel weißt, dann musst du auch einen Weg kennen, dieses grässliche Geschöpf zu verhindern.“

„Aus diesem Grund berichte ich dir von dem Hybrid. Es gibt keine auch nur annähernd wahrscheinliche Berechnung, wie die Entstehung dieses Wesens verhindert werden kann. Doch wenn du einer der Beteiligten bist und diese Gefahr kennst, kannst du vielleicht erkennen, wann der Zeitpunkt für seine Entstehung gekommen ist. Dann findest du eventuell eine Möglichkeit, dies zu vereiteln.“

Der Slider ging weiter und bedeutete ihm mit einer Geste, zu folgen. Tarwen lief hinter ihm her, doch er nahm den Weg kaum noch wahr. Jede jemals ausgesprochene Prophezeiung war bisher immer eingetreten. Manchmal musste die Interpretation mehrmals überprüft und den Gegebenheiten angepasst werden, aber das betraf nur Einzelheiten. Niemals die Kernaussage selbst. Er rieb sich mit den Händen über das Gesicht, die Tränen liefen wie von selbst seine Wangen hinunter. Diese Zukunft war einfach zu schrecklich.

„Ich will das nicht“, stieß er hervor.

„Es wird noch lange nicht geschehen“, erklärte die Matrix. „Lerne und studiere. Je mehr Wissen du erlangst, desto besser bist du gewappnet.“

Plötzlich blieb der Slider stehen und zeigte auf eine Stelle an der Decke. Tarwen blickte nach oben und erkannte die Umrisse einer Öffnung.

„Hier kannst du wieder zur Oberfläche. Schweige über dein Erlebnis! Niemand sollte davon erfahren. Bewahre, was du gesehen und erfahren hast, tief in deinem Inneren.“

Tarwen nickte. Er fühlte sich schrecklich. Obwohl das Kloster dunkel und unheimlich war, überlegte er einen Moment, ob er nicht einfach hier bleiben sollte. Dann konnte das Gräßliche nicht eintreten. Er seufzte und schüttelte den Kopf. Nicht nur, dass die Matrix dies wohl kaum zulassen würde, er selbst wollte es ebenfalls nicht. Er wollte leben!

Er streckte er sich, so hoch er konnte. Nur mit Mühe konnte er den Griff erreichen. Sein Gewicht half ihm, die Luke herunter zu ziehen. Helles Tageslicht fiel herein.

„Wie komme ich da hoch?“

„Hm. Das ist ein Problem. Geh ein Stück weiter, dort liegen Steine, die vor langer Zeit herabgestürzt sind.“

Er musste nicht weit laufen, bis er zu der Einsturzstelle kam. Kopfgroße Steine lagen in dem Gang verstreut. Tarwen schleppte einige unter die Luke und schichtete sie auf. Dann endlich konnte er den Rand der Öffnung erreichen und sich hochziehen.

Er sah sich um. Sanddünen umgaben ihn, zwischen denen einer der vielen Bäche floss. Dahinter sah er die ersten Felder und Gewächshäuser. Er musste am Stadtrand sein. Als er sich umdrehte, entdeckte er weit vor sich die erhabenen Türme der Akademie. Tarwen schüttelte verwundert den Kopf. Er war offensichtlich viele Kilometer unter der Erde gewandert.

Er kniete sich am Ufer des Flüsschens nieder und trank von dem klaren Wasser. Anschließend wanderte er auf die Stadt zu. Inzwischen fühlte er sich müde, hungrig und erschöpft. Unter einem der großen, breitblättrigen Sandbäume setzte Tarwen sich in den Schatten und überlegte. Er brauchte eine Erklärung, wie er hierhergekommen war. Wenn er zugab, dass die Slider im Kloster ihn geführt hatten, fragte man ihn natürlich aus. Dann musste er berichten, was er dort erfahren hatte. Zudem war er sich sicher, dass die Forderung zu schweigen, seinen gesamten Aufenthalt in der Matrix beinhaltete.

Die Sonne war schon ein gutes Stück weitergewandert, ehe er sich eine Strategie zurechtgelegt hatte. Er lehnte sich an den Stamm des Baumes, um noch eine Weile auszuruhen. Im nächsten Moment war er eingeschlafen.

Stimmen weckten ihn: „Hallo, Junge. Wo kommst du denn her? Du siehst ja schrecklich aus.“

Tarwen richtete sich auf. Drei Männer standen vor ihm, ihrer Kleidung nach Städter. „Wer sind Sie?“, fragte er und sah sich um. „Wo bin ich hier?“

„Am Stadtrand von Dorlinen natürlich. Siehst du nicht vorne die Zitadelle?“

„Ja, aber – warum bin ich hier? Ich war in der Akademie.“ Tarwen wirkte so unsicher und verwirrt, dass die Männer stutzten.

„Du gehörst zur Akademie? Dann bist du – seid Ihr ein Timelord.“

Der Junge nickte, verbesserte ihn jedoch. „Noch nicht. Ich lebe in den Erziehungshäusern.“

Die Männer fuhren ihn in die Stadt. Tarwen beantwortete alle Fragen gleich: Er habe keine Ahnung, wie er zum Stadtrand gekommen war. Niemand fand eine Erklärung und so brachte man ihn zurück in das Heim.

„Setz dich erst mal und iss etwas.“ Malinen drückte ihn auf einen Stuhl und sah auf seine verdreckte Kleidung. „Was ist denn nur geschehen? Wir haben überall nach dir gesucht. Wo warst du in diesen Tagen?“

Torrason und Ondorom betraten den Raum, ehe Tarwen antworten konnte. Er blickte in ihre ernsten Gesichter.

„Was meint Malinen? Ich kann doch höchstens ein paar Stunden weg gewesen sein.“ Jetzt brauchte er sich nicht zu verstellen.

„Du warst vier Tage verschwunden“, erklärte Torrason. „Du kannst dich an absolut nichts erinnern? Was ist das letzte, das du weißt? Dass du nicht im Unterricht bei deiner Gruppe warst, wissen wir.“

„Den Stoff hatte ich mir schon vor einigen Tagen geholt. Der Ausbilder war einverstanden, dass ich die Zeit anders nutze. In einem der Studierzimmer schaute ich mir Daten über die drei Planeten von Oxamin angesehen. Es ist so interessant, wie unterschiedlich sie aufgebaut sind.“

„Wo bist du danach hingegangen?“

Tarwen konzentrierte sich. Jetzt musste er überzeugend wirken. „Nirgends. Ich habe den Raum nicht verlassen. Dann wachte ich auf und befand mich am Stadtrand. Ich habe keine Ahnung, wie ich dorthin kam.“

Was in den vier Tagen geschehen war, blieb für immer ein Geheimnis, das Tarwen tief in sich verbarg. Niemand ahnte, dass er seine Ausbilder und Betreuer täuschte.

Keschwar schloss ihn in die Arme. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Du weißt wirklich nicht, was mit dir passiert ist?“ Der Freund musterte ihn eindringlich. „Kann es mit Linormen zusammenhängen? Er wirkte in diesen Tagen, als hätte er ständig Schmerzen und schlich herum wie das personifizierte schlechte Gewissen. Die Ausbilder befragten jeden von uns, aber niemand hatte dich gesehen. Linormen wirkte dabei ziemlich schuldbewusst.“

Das konnte Tarwen sich gut vorstellen. Dieser musste geglaubt haben, er habe ihn getötet. Ein wenig bedauerte er, dass der arrogante Junge nie für seine feige Tat geradestehen müsste.

Einen Moment überlegte er, zumindest Keschwar die Wahrheit zu sagen. Doch der reagierte manchmal recht unüberlegt. Wenn man ihn wütend machte – und das geschah ziemlich leicht – konnte es gut sein, dass er ohne nachzudenken das Geheimnis ausplauderte.

„Nein! Ich habe keine Ahnung.“

Die Kameraden zeigten ihm ihre Erleichterung deutlich. Jeder hatte sich Sorgen um Tarwen gemacht. Er freute sich darüber und verbrachte wesentlich mehr Zeit mit ihnen als gewöhnlich.

Ein paar Tage später fing Linormen ihn nach dem Unterricht ab. Ohne ihm in die Augen zu sehen, fragte er: „Du bist wirklich in Ordnung? Ist dir tatsächlich nichts passiert?“

In Tarwen brodelte es. Es kostete ihn viel Mühe, seinen Zorn nicht zu zeigen. „Ja, habe ich doch allen schon erklärt.“

„Ich …“, stotterte Linormen. „Es tut mir schrecklich leid, wirklich.“

„Warum?“ Tarwen konnte sich eine Spitze nicht verkneifen. „Du kannst doch nichts dafür, oder?“

„Nein, natürlich nicht.“ Der Junge schüttelte derart heftig den Kopf, dass seine Haare hin und her flogen. „Ich weiß, dass wir … naja, uns nicht gut verstehen. Aber ich wollte nie, dass dir etwas zustößt.“ Er atmete hektisch, es war, als könne er die Worte nicht zurückhalten. „Es war furchtbar, als du verschwunden warst. Glaubst du mir das?“

Das klang ehrlich. Tarwen zog die Augenbrauen zusammen und musterte sein Gegenüber. Ganz langsam nickte er. Das schien Linormen zu genügen. Mit einem verunglückten, schiefen Lächeln wandte er sich ab. Nachdenklich ging Tarwen zu seinem Zimmer und dachte lange über dieses seltsame Gespräch nach. Vielleicht war es gar nicht wichtig, ob die Betreuer dieses frevelhafte Verhalten maßregelten oder nicht. Es schien fast, als ob sein Verschwinden den Jungen viel mehr bestraft hatte, als jede Erziehungsmaßnahme.

Und tatsächlich vermied Linormen von nun an jeden Spott und Streit mit Tarwen. Er wirkte wesentlich weniger arrogant und versuchte immer wieder, freundlicher zu sein. Nicht nur zu Tarwen, sondern ganz allgemein. Schon nach kurzer Zeit verging dadurch auch die Wut, die dieser immer wieder spürte, wenn er Linormen sah. Zum ersten Mal verstand er Malinen, die oft erklärte, dass manchmal eine Tat die Vergeltung dafür in sich selbst trug. Und dass jeder durch seine eigenen Fehler viel mehr lernen konnte, als durch Ermahnungen oder Strafen.

 

Unterschiedliche Wege

Tarwen öffnete die Scheunentür, das vertraute Knarren ließ ihn lächeln. Er kletterte die Leiter hinauf. An der Wand fand er eine kleine Kiste, auf die er sich setzte. Schon längst stand kein Bett mehr hier oben. Doch noch immer war diese alte Scheune ein Ort der Zuflucht für ihn. Hier fühlte er sich geborgen und konnte seinen Gedanken nachhängen. Wie oft hatte er sich hierher geflüchtet, wenn in seinem Kopf nur noch Chaos herrschte? Immer hatte er Ruhe und Frieden gefunden – und oftmals auch Lösungen für die kleinen und großen Probleme in seiner Kindheit.

Er sah in den hellen Sonnenschein hinaus und erinnerte sich daran, dass er schon einmal so wie heute wartete. Vor zweiundzwanzig Jahren musste er sich der Prüfung stellen. Wie sehr hatte er sich damals vor der unbekannten Zukunft in den Erziehungshäusern gefürchtet. Dabei war diese Zeit wunderbar gewesen. Im Unterricht lernte er, was ihn wirklich interessierte. Und Malinen mit ihrer Fürsorge und ihrem Verständnis gab ihm mehr Liebe und Geborgenheit, als er jemals von seinen Eltern erhalten hatte. Hier fühlte er sich viel mehr zu Hause, als bei Domen und seiner Frau. Ein wenig stutzte Tarwen über seine eigenen Gedanken. Zum ersten Mal fiel ihm auf, dass er sie längst nicht mehr als Vater und Mutter bezeichnete. Sie waren Fremde für ihn geworden. Er dachte eigentlich so gut wie nie an seine ehemalige Familie.

Die Entscheidung, sich von ihnen zu trennen und ohne Familie zu leben, hatte sich als richtig erwiesen. Er hatte sich im Heim sehr wohl gefühlt und sogar Freundschaften geschlossen. Allerdings ging diese wundervolle Zeit nun zu Ende. Heute entschied sich, welche Lebenswege für ihn möglich waren, das hieß, welche Ausbildungen und Studien ihm in den nächsten Jahrhunderten zugänglich gemacht wurden. Er wünschte sich sehnlichst, ein Forscher zu werden, einer derjenigen, die durch das All reisten und dessen unzählige Wunder erlebten.

Doch seine Ängstlichkeit stand ihm wieder einmal im Weg. Für diese Ausbildung brauchte man nicht nur eine hohe Intelligenz – die besaß er zweifellos –, sondern auch Mut. Denn das Universum war vor allem eines: gefährlich! Auf einigen Welten waren die Timelords von Gallifrey zwar hoch angesehen, wurden teilweise sogar verehrt, aber es existierten ebenso viele Völker, die ihnen feindlich gesinnt waren. Es hatte verheerende Kriege gegeben, die so manches Mal auch die Heimatwelt selbst in große Gefahr brachten.

Deshalb zogen sich die Timelords seit einigen Jahrhunderten zurück. Sie kümmerten sich nicht mehr um die Streitigkeiten und Entwicklungen anderer Völker. Im Gegenteil, es gab längst die Maxime der absoluten Nichteinmischung. Ihre Forschungen betrieben sie überwiegend unerkannt, beobachteten andere Völker nur noch, anstatt einzugreifen oder Hilfe anzubieten. Auf den Welten, die vom Volk der Timelords überhaupt nichts wussten, mussten sie sich gut anpassen, um die Lebewesen nicht gegen sich aufzubringen.

Tarwen blickte aus dem kleinen, verdreckten Fenster. Wenn er kein Reisender werden durfte, musste er in der Akademie bleiben. Natürlich gab es auch hier ausreichend Material, das er studieren konnte und es war alles hochinteressant. Aber es war nicht das, was er wollte. Und schon seit einiger Zeit hatte er den Verdacht, dass die Ausbilder ihn genau auf diesen Weg führen wollten. Wie sollte er dann erreichen, für Forschungen im Universum zugelassen zu werden?

Ein leises Knarzen zeigte ihm, dass jemand in die Scheune kam. Doch er sah erst auf, als derjenige mit lauten Schritten die Leiter emporstieg. Der wirre, dunkle Haarschopf seines Freundes tauchte auf.

„Dachte ich mir doch, dass du hier bist.“ Keschwar grinste, dann seufzte er. „Du machst dir schon wieder Gedanken.“

Tarwen nickte.

„Wir werden es beide schaffen. Warum auch nicht? Wir gehören zu den Besten. Natürlich bildet man uns zu Forschern aus.“

„Das Wissen macht mir auch keine Sorgen“, konterte Tarwen. „Aber um zu einem aktiven Reisenden zu werden, braucht man auch die charakterliche Eignung. Und da habe ich Bedenken. Ich bin nicht gerade mutig. Und wie du gerade selbst wieder festgestellt hast – ich zweifle ständig. Das ist nicht die Handlungsweise eines Timelords.“

Doch Keschwar wedelte nur unwirsch mit der Hand. „Unsinn! Außerdem haben die Ausbilder gar keine Wahl. Du vergisst die Prophezeiung.“

Oh nein, Tarwen würde keine der beiden vergessen, auch wenn er die zweite vor jedem verheimlichte und tief in sich verschlossen hielt. An diese erinnerte er sich möglichst nie. Sie war zu erschreckend.

Er verzog das Gesicht. „Genau das macht mir Sorgen. Was ist, wenn die Ausbilder deshalb wollen, dass wir in der Akademie bleiben?“

„Torrason hat dich schon wieder bearbeitet, nicht wahr?“ Keschwar kniff die Augen zusammen, in ihnen funkelten Blitze. Aber Tarwen wusste, dass dessen Zorn dem Heimleiter galt und nicht ihm.

„Das macht er schon seit Jahren, wie du weißt. Und ebenso, dass ich nie aufgehörte, auf mein Ziel hinzuarbeiten. Ich möchte reisen.“

„Gut! Du weißt, was wir uns versprochen haben. Wir erreichen dieses Ziel! Uns beide zusammen kann niemand aufhalten. Ich helfe dir, wenn du zweifelst. Das habe ich schließlich schon immer getan.“

„Das hast du.“ Tarwen lächelte dankbar.

Zufrieden klopfte Keschwar ihm auf die Schulter, jedoch nicht nur, weil der Freund wieder zuversichtlicher wirkte. Auch, weil dieser ihm nicht widersprach. Wozu auch? Tarwen hatte immer akzeptiert, dass er, Keschwar, der Führende in ihrer Beziehung war. Das würde natürlich weiterhin so sein.

Ein leiser Summton erklang. Tarwen sah auf den Zeitmesser. „Ich möchte mich noch von Malinen verabschieden, ehe wir gehen. Kommst du mit?“

Keschwar schüttelte den Kopf. Er hatte nie eine Bindung zu ihrer Betreuerin aufgebaut, ebenso wenig wie zu den Erziehern oder Ausbildern. Tarwen schmunzelte nur über seine Abwehr. Der Freund legte keinen Wert darauf, mit anderen auszukommen. Für ihn gab es nur zwei Kategorien von Mitgeschöpfen: nützlich oder unnütz. Bei den nützlichen war er freundlich, fast charmant, witzig und hilfsbereit. Alle anderen ignorierte er. Tarwen verstand ihn darin nicht, war aber froh, dass ihre Freundschaft hierbei eine Ausnahme bildete. Sie beide würden sich immer verstehen und gegenseitig helfen, da war er sich völlig sicher.

„Dann wartest du beim Transporter auf mich?“

Keschwar nickte und Tarwen kehrte rasch zum Haus zurück.

„Malinen, ich wollte mich noch von Ihnen verabschieden und vor allem für Ihre wunderbare Fürsorge bedanken. Sie wissen, wie sehr Sie mir immer geholfen haben.“

Die mollige Frau schloss den jungen Mann in die Arme und drückte ihn kurz. Dann sah sie im warm in die Augen. „Du wirst deinen Weg gehen, Tarwen, da bin ich mir ganz sicher. Ich wünsche dir Glück und Erfolg. Und nun beeile dich, gerade heute solltest du auf keinen Fall zu spät kommen.“

Tarwen umarmte sie noch einmal und lief wieder hinaus. Der Transporter wartete schon. In der Akademie ging er mit den anderen jungen Männern die vertrauten Gänge entlang. Kaum einer redete. Den meisten war ziemlich unbehaglich zumute. Der endgültige Umzug in die Akademie war doch ein enormer Schritt, eine große Änderung in ihrem Leben.

Immer wieder sah sich Tarwen ein wenig wehmütig um. In diesen Teil der gigantischen Anlage würde er vermutlich nur noch selten kommen. Es sei denn, er wurde nicht einmal für Forschungen an der Akademie zugelassen. Dann blieb einzig der Weg als Lehrer für die Kinder. Er biss die Zähne aufeinander. Nein, er wollte nicht schon wieder an sich selbst zweifeln. Er musste einfach an sich glauben.

Einer nach dem anderen wurde in den großen Saal gerufen. Hier saßen mehrere der bisherigen Ausbilder, verschiedene Erzieher und vor allem drei Mitglieder des Hohen Rates. Sie entschieden, welche weiteren Studiengänge für die jungen Gallifreyer möglich waren.

Sendor kam strahlend wieder heraus. Das war ein guter Anfang, auch wenn Tarwen nie bezweifelt hatte, dass der kluge und beliebte Junge ein voll ausgebildeter Timelord werden würde. Die meisten der Kameraden würden natürlich ihr Leben in der Akademie zubringen, was diese auch wollten. Nur Linormen, Keschwar und er selbst hatten wie Sendor darauf hingearbeitet, die umfangreichste Ausbildung zu erhalten, bei der man nicht nur in den normalen Raumschiffen, sondern auch in den Zeitkapseln, den TARDISsen, reisen durfte.

Als Linormen wiederkam, hielt Tarwen erschrocken die Luft an. Er war bleich und sah so enttäuscht aus, dass sich jede Frage erübrigte. Sendor trat auf ihn zu und versuchte, ihn zu trösten, doch der junge Mann wehrte barsch ab. Keschwar zog verächtlich die Mundwinkel hoch, Tarwen stieß ihn rasch an.

„Sei still, es ist schlimm genug für ihn“, flüsterte er. Der Freund zuckte die Schultern, schwieg aber.

Tarwen ging zu Linormen. „Es tut mir leid für dich. Was wirst du jetzt machen?“

Der zuckte mit den Schultern und sah ihn dabei prüfend an. Anscheinend war er sich nicht sicher, ob die Worte ehrlich gemeint waren, oder versteckter Spott sein sollten. Aber in Tarwens Gesicht las er dann wohl, dass dieser mit ihm fühlte. Obwohl sie nie Freunde geworden waren, hatten sie es irgendwann geschafft, sich wenigstens gegenseitig zu akzeptieren.

„Ich bleibe halt in der Akademie und studiere hier“, erklärte Linormen schließlich.

„Das wolltest du doch nie.“

„Ich habe keine andere Wahl. Ich weiß nur nicht, wie ich das meiner Familie erklären soll. Sie werden enttäuscht sein.“

„Können sie dir nicht helfen?“

„Vielleicht.“ Ein wenig hellte sich Linormens Miene auf. „So schlimm ist es eigentlich nicht. Vortagton war sein Leben lang ausschließlich in der Akademie und wurde dennoch in den Hohen Rat gewählt.“

„Aber ich denke, du wolltest Forscher werden?“, wunderte Tarwen sich.

„Nur Forscher? Bist du verrückt? Meine Familie ist einflussreich. Jeder ist in einer außergewöhnlichen Position. Ich muss Erfolg haben! Und ich will es auch. Ich werde aufsteigen und eine mir gebührende Stellung erreichen, egal, was diese Ausbilder jetzt sagen. Irgendwann gehöre ich zum Hohen Rat. Als Reisender ginge das sicher schneller, aber ich schaffe es auch so.“ Er wandte sich ab und verweigerte jede weitere Ansprache.

Dann wurde Tarwen gerufen. Als er den Saal betrat, fühlte er seine Knie weich werden. Er versuchte, es zu ignorieren. Vor dem Gremium stand ein einzelner Sessel. Er war froh darüber, dass er sich setzen konnte. Betont zuversichtlich sah er in die ernsten Gesichter.

„Ihre Leistungen sind immer sehr gut gewesen, Tarwen. Auch die Berichte der Betreuer fallen alle positiv aus.“

Es war neu, als Erwachsener angesprochen zu werden. Tarwen begriff, dass er ab heute umdenken musste. Nun war er kein Kind mehr. Diese Phase seines Lebens war endgültig vorbei. Er nickte, wartete aber stumm ab. Das konnte nicht alles gewesen sein.

„Sie wollen ein Forscher werden und ein Reisender dazu. Glauben Sie, dieser Verantwortung gerecht werden zu können? Es ist ein oftmals mühevolles und aufreibendes Leben, wenn auch ein sehr erfüllendes.“

Tarwen musste erst einmal den dicken Kloß in seiner Kehler herunter schlucken, ehe er antworten konnte: „Ja, das bin ich.“

Sestolen, ein Mitglied des Hohen Rates, wandte ein: „Wir sind davon nicht völlig überzeugt, Tarwen. Es wäre unserer Meinung nach sinnvoller, Sie würden sich für ein Leben in der Akademie entscheiden. Auch hier können Sie ein hervorragender Forscher werden. Wir würden Ihnen dabei jede Hilfestellung geben und Sie dementsprechend fördern.“

Jegliche Hoffnung verließ Tarwen. Er senkte den Kopf. Das war es dann wohl. Gegen den Hohen Rat kam er nicht an. Zu seiner Überraschung widersprach jedoch einer der Ausbilder dem Ratsmitglied.

„Ich bin anderer Meinung, Sestolen, wie ich Euch schon mitgeteilte. Tarwen ist einer der intelligentesten Studenten, die ich hatte. Auch seine charakterliche Eignung ist meiner Meinung nach geradezu prädestiniert für einen reisenden Forscher. Es wäre schade, eine solche Begabung nicht zu nutzen.“ Zu Tarwen direkt meinte er: „Seien Sie jetzt bitte ehrlich. Fühlen Sie sich nicht doch ein wenig unsicher?“

Erstaunt blickte dieser von ihm zu Sestolen. Seine Gedanken überschlugen sich, wie sollte er darauf reagieren? Lügen konnte er hier auf keinen Fall! Er wollte es auch nicht, dazu war dieser Tag, diese Entscheidung, zu wichtig.

„Ein wenig“, gab er zu.

Verdutzt bemerkte er das Lächeln auf den Gesichtern der Männer und Frauen.

„Das ist gut. Niemand sollte dieses Leben wählen und nicht zumindest ein paar Zweifel haben, was damit auf ihn zukommt.“

Die Männer und Frauen berieten sich leise. Tarwen beobachtete sie. Es war eindeutig, dass die Erzieher und Ausbilder anderer Meinung waren als die Ratsmitglieder. Selbst Torrason sprach offensichtlich für ihn. Tarwen vernahm seine leisen Worte: „Ich habe es versucht, doch er ist äußerst entschieden. Auf Dauer wird es nicht möglich sein, ihn zu halten. Es wäre doch unsinnig, ihn gegen den Rat aufzubringen. Seine Leistungen können nicht ignoriert werden.“

Als Sestolen ihn forschend anblickte, sah Tarwen rasch beiseite. Dies sollte er ganz sicher nicht hören.

„Trotz Ihrer Zweifel wollen Sie wirklich ein Zeitreisender werden? Haben Sie sich das wirklich gut überlegt?“

Er wandte sich dem Mann zu. Jetzt galt es, er musste ihn überzeugen! Tarwen stählte sich. „Es ist mein absolutes Ziel und ich bin sicher, die notwendigen Eigenschaften und das Wissen dafür zu besitzen.“

Mit einem tiefen Seufzer gab Sestolen nach. „Nun gut. Aber ich möchte, dass Ihre Ausbildung vorerst allgemein bleibt. Wenn sich herausstellt, dass sie tatsächlich die Herausforderungen einer aktiven Forschung meistern, können Ihre speziellen Interessen später ebenfalls geschult werden.“

Sein Gesichtsausdruck wurde regelrecht lauernd. „Natürlich gehört auch eine entsprechende Unterrichtung in verschiedenen Kampftechniken dazu. Sie müssten also auch eine Ausbildung als Krieger machen. Sind Sie damit einverstanden?“

Jetzt fühlte Tarwen sich plötzlich völlig ruhig, jede Nervosität war verschwunden. Das war ein Fehler gewesen! Diese Worte zeigten ihm, dass der Hohe Rat tatsächlich nicht an seinen Fähigkeiten zweifelte, sondern ihn einfach behindern wollte. Denn diese Aussage stimmte nicht!

„Ich möchte nicht respektlos erscheinen“, begann er, „aber ich muss widersprechen. Eine Ausbildung für den Selbstschutz ist bei einem Zeitreisenden völlig ausreichend. Sowohl die gewöhnlichen Schiffe, wie auch die Zeitmaschinen, sind dementsprechend gut ausgerüstet.“

Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass Torrason ein Schmunzeln hinter seiner Hand verbarg. Einen Moment lang wirkte Sestolen verärgert, doch das allgemeine zustimmende Murmeln ließ ihm keine Wahl.

„Natürlich haben Sie recht, auch wenn so mancher aktive Forscher auch die kriegerische Ausbildung macht. Aber absolut notwendig ist es nicht. Nun gut, wir werden sehen, wie Sie sich während der ersten Jahre entwickeln.“ Kurz überlegte er und sprach dann weitaus freundlicher, fast schmeichelnd, weiter: „Je nachdem, wie Sie sich bewähren, werden Ihnen später weitere Möglichkeiten geboten: Die eines Beraters – oder sogar als Mitglied des Hohen Rates.“

„Mir genügt es, Forscher zu werden“, sprudelte Tarwen hervor. „Ich möchte die Wunder des Universums sehen.“

„Das werden Sie sicher.“  Einer seiner Ausbilder lächelte freundlich. „Sie waren schon immer sehr wissbegierig. Ich denke, es wird möglich sein, Ihnen schon recht bald die spezielleren Gebiete der Forschung zugänglich zu machen. Ich weiß, dass Sie sich schon einige Kenntnisse über die Reisen in einer TARDIS angeeignet haben.“

Das ranghöchste Ratsmitglied mit dem imponierenden, dunkelrot und golden schimmernden Kragen nickte zustimmend und beendete damit die Diskussion. „Dann soll es so geschehen. Ich wünsche Ihnen Erfolg.“

Tarwen begriff, dass er verabschiedet war und stand auf. Doch bevor er den Raum verließ, wandte er sich noch einmal um.

„Danke! Ich danke Euch, dass Ihr mir diese Ausbildung bietet.“ Da er auch zu den Mitgliedern des Hohen Rates sprach, die allesamt vollausgebildete Timelords waren, wählte er die ihnen gebührende, wesentlich respektvollere Anrede.

„Das verdanken Sie ausschließlich sich selbst, Tarwen. Niemand anderem. Dies müssen Sie als erstes lernen und verinnerlichen. Jede Entscheidung in Ihrem Leben wird von Ihnen getroffen. Welche Möglichkeiten Ihnen später offen stehen werden, liegt ebenfalls nur an Ihnen selbst“, erwiderte Torrason und blickte ihn dabei bedeutungsvoll an.

Als er den Raum verließ, fühlten sich seine Knie immer noch weich an, doch diesmal war es Erleichterung. Keschwar zerdrückte ihm fast die Hände vor Freude. „Du hast es geschafft.“ Tarwen nickte, ihm war schwindlig vor Freude.

Auch Sendor drückte ihm die Schulter. „Ich freue mich, dass wir weiterhin zusammen studieren.“

Tarwen sah sich um, außer ihnen war niemand mehr da. „Wo sind die anderen hin?“

„Sie wollten sich schon bei ihren Ausbildern melden. Bargin meinte, sie wären ja vollständig. Wir drei müssen in einen anderen Bereich“, erklärte Sendor.

Keschwar grinste. In diesem Moment wurde er aufgerufen. „Bis gleich.“ Er verschwand durch die Tür.

Sendor lachte. „Ich glaube nicht, dass es schon jemanden gab, der so überzeugt von sich war.“

„Du hast doch sicher keine Bedenken gehabt. Du bist prädestiniert für einen vollausgebildeten Timelord.“

Die grünen Augen blickten ihn ernst an. „Natürlich hatte ich die. Niemand ist absolut für dieses Leben geeignet. Ein zeitreisender Timelord ist etwas Außergewöhnliches. Dessen muss man sich bewusst sein. Jeder muss daran arbeiten, dieser Verantwortung gerecht zu werden.“

„Du bist dafür geeignet, Sendor. Du hast nämlich schon längst begriffen, was für einen derartigen Timelord wichtig ist. Wir anderen müssen das noch lernen.“

„Du weißt es ebenfalls, Tarwen. Oder vielleicht sollte ich besser sagen, es ist in deinem Inneren. Du glaubst bloß nicht daran.“ Sendor grinste ein wenig. „Du musst selbstsicherer werden. Es ist ein Wunder, dass du das nicht bist, bei einem Freund wie Keschwar.“

Tarwen musste kichern. „Ja, er hat irgendwie nicht auf mich abgefärbt. Aber …“, fuhr er ernst werdend fort, „so leicht ist das nicht.“

Sendor musterte ihn. „Manchmal meine ich, du stehst dir selbst im Weg. Glaube an dich, Tarwen! Denke nicht immer darüber nach, ob du scheiterst. Lass es einfach nicht zu. Wenn du überzeugt bist, etwas zu schaffen, findet sich auch eine Möglichkeit dafür.“

Der dachte über diese Worte nach. Das klang gut! Er würde es versuchen. „Danke! Ich bin froh, dass wir zusammen bleiben. Von dir kann ich viel lernen.“

„Keschwar wird das nicht gefallen.“ Sendor grinste bei den Worten. „Er hätte dich gerne für sich alleine als Freund.“

Das stimmte. Aber Tarwen hatte sich schon immer gerne mit Sendor unterhalten und früher manchmal mit ihm herumgetobt.

„Ich weiß. Er braucht seltsamerweise keine anderen Freunde. Aber ich bin nicht er.“

„Zum Glück. Nichts für ungut, aber Keschwar ist ziemlich schwierig. Es war für alle immer verwunderlich, dass ausgerechnet ihr beide so gut befreundet seid. Aber warten wir einfach ab. Es wird sich jetzt vieles für uns ändern.“

„Oh ja! Ich bin so gespannt. Wie lange es wohl dauern wird, bis wir unsere ersten Zeitreisen machen dürfen?“ Er dachte an die Einschränkungen, die Sestolen verlangt hatte. Nein! Das würde er nicht akzeptieren. Er musste seine Ausbilder überzeugen, dass er befähigt war, eine TARDIS zu steuern. Seine innerlichen Zweifel würde er für sich behalten.

„Kannst es kaum erwarten, wie? Aber mir geht es ähnlich.“ Sendor sah sich um. „Keschwar braucht aber lange“, wunderte er sich.

In diesem Moment öffnete sich die Tür. Doch der Kamerad kam nicht als strahlender Sieger heraus. Sein Gesicht drückte vielmehr unbändige Wut aus. Seine Augen flackerten. Dann brach es aus ihm heraus: „Diese verdammten, hochnäsigen Hohlköpfe!“

„Das kann doch nicht sein.“ Tarwen konnte es nicht glauben. „Was sagten sie?“

„Ich bräuchte Disziplin!“, fauchte der Freund. „Was bilden die sich ein? Ich bin klüger als ihr alle zusammen.“

Sendor verkniff sich rasch eine Antwort, aber Keschwar hatte das kleine Zucken in dessen Miene bemerkt. „Verschwinde! Du bist kein Stück besser als die dort.“ Wütend zeigte er auf die Tür. „Und deine zynischen Bemerkungen kannst du für dich behalten.“

Einen Moment sah es aus, als ob Sendor nun ebenfalls explodieren wollte. Dann jedoch wurde er wieder ganz ruhig. Gelassen blickte er Keschwar in das zornrote Gesicht. „Du bist enttäuscht. Es ist verständlich, dass du nicht vernünftig sprechen kannst. Dennoch lasse ich mich nicht von dir beleidigen.“ Er wandte sich ab und verließ den Raum.

„Idiot!“, zischte Keschwar ihm hinterher.

„Aber …“, Tarwen schüttelte den Kopf über den Wutausbruch seines Freundes. Allerdings hatte er dergleichen schon öfters erlebt und ignorierte es einfach. „Jetzt rede! Welche Ausbildung geben sie dir? Vielleicht kannst du später weitermachen und zum Reisenden werden. Ich weiß, dass das möglich ist. Sestolen hat bei mir auch vorerst Einschränkungen verlangt. Aber ich sorge dafür, dass diese so schnell wie möglich aufgehoben werden. Das kannst du sicher auch.“

Doch anstatt Keschwar zu beruhigen, wirkte er daraufhin noch aufgebrachter. „Du bist ja gar nicht erstaunt. Haben sie dir etwa gesagt, dass ich nicht zugelassen werde?“ Misstrauisch musterte er Tarwen, der jedoch nur verwirrt abwehrte. „Oder bist du sogar einverstanden? Vermutlich gefällt es dir, dass du jetzt ein höherstehender Timelord wirst als ich. Dann kannst du endlich, wie die anderen auch, auf mich herabsehen und dir einbilden, du wärst besser und intelligenter. Lass dir sagen, dass du das niemals sein wirst. Ohne mich wärst du überhaupt nicht hier. Du hättest längst aufgegeben, du Feigling!“

Tarwen wurde blass. „Das ist nicht wahr.“

„Ein Nichts bist du gegen mich. Ich bin viel klüger und ich werde ein Zeitreisender werden – und ein Krieger dazu. Der beste, den es jemals gegeben hat. Der Master aller Timelords, das werde ich sein“, tobte Keschwar. Er schien an seiner Wut fast zu ersticken, seine Stimme kletterte immer höher. Dann wandte er sich abrupt ab und stürmte davon.

Regungslos sah Tarwen ihm hinterher. Noch niemals in all den Jahren hatte Keschwar ihn derart angegriffen. Andere, ja, das hatte er immer wieder miterlebt. Doch sie beide waren Freunde. Niemand beleidigte und beschimpfte einen Freund!

Keschwar rannte durch die Gänge, bis er keuchte. Er riss die Tür zu einem der vielen leeren Studierzimmer auf und warf sich auf den nächstbesten Stuhl. Bei dem Gedanken an das schmachvolle Geschehen im Saal brannte purer Hass in ihm.

Seelenruhig hatten die Mitglieder des Hohen Rates ihm erklärt, er könne die Ausbildung zum vollausgebildeten Timelord nicht machen. Er sei zu undiszipliniert und auch seine nachtragenden Charaktereigenschaften weckten in ihnen große Zweifel an seiner Eignung. Vorerst solle er erst einige Zeit in der Akademie studieren. Später, wenn er in einigen Jahrhunderten reifer geworden war, könne man über eine höherwertige Ausbildung nachdenken.

Er hatte geglaubt, sich zu verhören, hatte widersprochen, immer wieder. Doch die ernsten Gesichter waren noch strenger und würdevoller geworden. Schließlich übermannte Keschwar die Wut. Er sprang auf und brüllte unbeherrscht los.

„Ihr dürft mir die Ausbldung nicht verweigern! Ihr kennt die Prophezeiung. Sie verlangt, dass ich ein Zeitreisender werde!“

Die Miene des Höchsten im Gremium wurde steinern. „Woher haben Sie diese Kenntnisse? Das ist ein wohlgehütetes Geheimnis.“

Voller Hohn, den er deutlich zeigte, berichtete Keschwar ihm, dass er dies schon vor Jahrzehnten erfahren hatte. Jetzt musste der Mann nachgeben, davon war er absolut überzeugt. Doch er täuschte sich.

„Das ist der Grund, weshalb wir Ihnen eine Chance geben, Keschwar. Wenn Sie sich in der Akademie bewähren, wenn Sie Disziplin lernen – dann werden Sie die von Ihnen gewünschte Ausbildung erhalten. Gerade weil es diese Prophezeiung gibt, müssen wir sicher gehen, dass Sie sich die nötigen Charaktereigenschaften aneignen.“

Die Mitglieder des Hohen Rates lehnten jede weitere Diskussion ab. Als er erneut widersprechen wollte, pochte der ranghöchste von ihnen nur mit der Hand auf den Tisch. „Sie sind entlassen! Gehen Sie!“

Gegen diese Autorität kam auch Keschwar nicht an. Jetzt hämmerte er in dem Studierzimmer mit den Fäusten gegen die Wand, bis ihm die Hände schmerzten. Nur langsam beruhigte er sich wieder. Seine Gedanken wurden klarer. Welche Möglichkeiten hatte er nun? Denn die Entscheidung des Gremiums war endgültig.

Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und dachte intensiv nach. Er musste also hier studieren. Das taten die beiden anderen auch. Anfangs bekamen sie dieselbe Ausbildung. Nur die Seminare für Reisen, besonders Zeitreisen, erhielt er nicht. Er musste sich das betreffende Wissen irgendwie aneignen. Denn er dachte gar nicht daran, Jahrhunderte zu warten. Er würde ein vollwertiger Timelord werden. Der Beste – Größte – Fähigste! Der Master!

Tarwen fiel ihm ein. Keschwar biss sich auf die Lippen. Er hätte ihn nicht derart vor den Kopf stoßen dürfen. Diese Freundschaft konnte ihm jetzt nützlich sein. Mit Tarwens Hilfe wäre es möglich, sich ohne Wissen der Ausbilder viele Kenntnisse der reisenden Timelords anzueignen. Er würde dessen Unterricht einfach mitmachen, zumindest theoretisch. Tarwen war viel zu gutmütig, um ihm das zu verwehren und erkannte vermutlich nicht einmal, dass er dadurch die Entscheidung des Gremiums unterwanderte. Keschwar ignorierte die kleine, fast unhörbare Stimme, die ihm zuflüsterte, dass er den Freund nicht nur deshalb behalten wollte.

Wesentlich ruhiger und zuversichtlicher verließ er das Zimmer, um sich in seinem Ausbildungszentrum zu melden. Man würde dort vermutlich schon auf ihn warten. Nein, etwas Anderes war wichtiger. Tarwen neigte zum Grübeln und Nachdenken. Wenn er ihm zu viel Zeit ließ, würde er vielleicht erkennen, dass Keschwar ihn jetzt viel mehr benötigte als andersherum. Diese Erkenntnis ließ die Wut in ihm wieder auflodern. Er brauchte überhaupt niemanden! Tarwen war nur nützlich, mehr nicht!

Er musste ihn sofort versöhnen. Tarwen sollte sein Freund bleiben. Zusammen schafften sie – vielmehr er – einfach alles. Das Universum würde ihnen gehören. Egal, was der Hohe Rat sagte und entschied.

 

Die erste Reise

Tarwen blickte auf den Chronometer. Es dauerte noch eine Weile, bis zu ihrem heutigen Treffen mit dem Ausbilder. Zudem hielt Malron sicher erst noch einen kleinen Vortrag. Er verließ das Zimmer und eilte durch die Gänge. Mehreren Studenten nickte er freundlich zu und einem älteren Timelord, der ihn, völlig in seinen Gedanken versunken, überhaupt nicht bemerkte, wich er amüsiert aus. Endlich erreichte er die Unterkunft. Hoffentlich war Keschwar wirklich wieder zurück, wie Bargin ihm versichert hatte. Die Tür öffnete sich jedoch prompt, und Tarwen trat ein.

Keschwar lachte ihm entgegen. „Du hast Glück. Ich bin erst seit wenigen Stunden wieder da.“

Fast hätte er von Bargins Auskunft berichtet, nickte dann aber nur. Es war besser so. Keschwar konnte unglaublich schnell wütend werden – und aus den nichtigsten Anlässen. Tarwen wollte Bargin lieber keinen Ärger verursachen. Er öffnete den Mund, wurde aber sofort unterbrochen.

„Sieh her! Hier war ich. Es war einfach fantastisch. Hast du schon mal einen Torminkreuzer gesteuert? Aber nein, ihr fliegt ja mit den langsamen Koltschiffen.“ Keschwar lächelte süffisant.

„Sei bloß still. Du darfst noch kein Schiff nehmen. Wenn herauskommt, dass ich davon weiß, bekommen wir beide riesigen Ärger. Ich möchte gar nicht wissen, warum keiner merkt, dass du immer wieder wegfliegst.“

Keschwar wehrte nachlässig ab. „Ich habe mir längst geeignete Kontakte aufgebaut. Nur so kommt man vorwärts. Schau dich doch an. Du brauchst viel länger, um die Erlaubnis für Alleinreisen zu erhalten. Mit den richtigen Leuten kannst du das schneller schaffen.“

„Es ist sinnvoll, erst zu lernen, auf welche Dinge man achten sollte. Denk daran, was auf Laraffrin passiert ist. Du hast beinahe einen Krieg ausgelöst.“

„Unsinn“, protestierte Keschwar. Auf seiner Stirn entstanden Zornesfalten. „Das ist heillos übertrieben. Hast du jemandem davon erzählt?“, fragte er lauernd.

„Natürlich nicht“, beteuerte Tarwen. „Aber es wäre mir viel lieber, wenn du diese heimlichen Ausflüge lassen würdest.“

Doch der Freund lachte nur. Dann ließ er eine Aufzeichnung ablaufen. „Schau! Diesmal habe ich mir Karmonin ausgesucht. Und damit du nicht jammerst – diese Welt ist unbewohnt. Ich probierte die Waffen des Kreuzers aus. Schließlich muss ich mich wehren können, wenn wir irgendwo angegriffen werden. Auch das lernt ihr erst ewig später.“

Im Raum erschien das Bild einer Gebirgslandschaft. Plötzlich wurden Explosionen sichtbar, eine dichte Feuerwand entstand. Durch den geringen Sauerstoffanteil in der Atmosphäre erstickte sie allerdings schon nach wenigen Minuten wieder. Doch das Gebirge war danach verschwunden.

Tarwen schauderte, überspielte dies aber. „Du warst auf Karmonin vier? Dort sind die schimmernden Kristallberge. Hast du sie dir angesehen? Sie müssen herrlich sein. Es heißt, sie gleichen Regenbögen.“

Der Freund sah ihn einen Moment verdutzt an. Dann verzog er geringschätzig die Lippen. „Das ist typisch für dich. Hast du nicht zugehört? Ich habe die Waffen getestet. Glaubst du, da würde ich mich um irgendwelche Kristallberge kümmern? Das dort …“, er zeigte auf die Aufzeichnung, die sich ständig wiederholte, „ist wirklich faszinierend. Schon bald werde ich die Ausbilder überzeugen, dass ich offiziell reisen kann. Ich zeige ihnen einfach, wie gut ich bin. Dann besuche ich sämtliche Welten. Allen dort beweise ich, wie mächtig wir Timelords sind. Sie werden uns verehren, wie früher auch. Der Hohe Rat muss dann einsehen, dass ich der beste aller Timelords bin.“

Bei seinem spöttischen Lächeln senkte Tarwen den Blick. Erinnerte der Freund sich denn überhaupt noch an das Versprechen, das sie sich als Kinder gaben? Sie wollten alle Planeten besuchen und ihre Schönheiten entdecken. Doch jetzt schien Keschwar nur noch ein Ziel zu haben: mächtiger zu sein, höher aufzusteigen, als alle anderen. Tarwen fühlte Bedauern in sich aufsteigen – und Enttäuschung.

„Und? Was sagst du dazu?“

„Du weißt, dass ich kein Kämpfer bin.“ Tarwen hob die Schultern. „Ich möchte friedlich reisen. Zudem kennst du die Maxime der Nichteinmischung und Zurückhaltung. Wir sollen auf anderen Welten nicht ausposaunen, wer wir sind. Es ist wichtig, dass Gallifrey unbekannt bleibt.“

„Aber wir sind die mächtigsten Wesen und ich habe nicht vor, als Bittsteller bei anderen Völkern aufzutreten. Sie sollen mich achten und respektieren.“

Innerlich seufzend wechselte Tarwen das Thema. Er konnte nur hoffen, dass Keschwar irgendwann umdachte. „Ich habe nicht viel Zeit. Brauchst du die Unterlagen über den Aufbau einer TARDIS noch? Ich sollte sie endlich zurückgeben. Malron fragt mich sonst, was ich so lange damit mache. Natürlich kann ich ihm auch erklären, dass ich sie dir überlassen habe“, fügte er rasch hinzu, um keinen Wutausbruch des Freundes zu provozieren. „Sicher hat Malron dafür Verständnis.“

Er konnte nachvollziehen, dass Keschwar sich das Wissen darüber aneignen wollte. Zudem schien es angemessen zu sein, da dieser ohnehin schon heimlich reiste. Außerdem würde der Freund bestimmt bald einsehen, dass die Weisungen des Hohen Rates sinnvoll waren, und sie einhalten. Jedenfalls redete Tarwen sich das immer wieder ein.

Dennoch würde er gerne vermeiden, dem Ausbilder zu erzählen, dass er die Unterlagen weitergegeben hatte – und an wen. Er wollte alles unterlassen, das Malron eventuell verärgern oder enttäuchen könnte. Der Timelord hatte durchgesetzt, dass Tarwen ebenso wie Sendor und die anderen in seiner Gruppe die Seminare für Reisen bekam. Nur zwei Jahre hatte er darauf warten müssen. Der Hohe Rat hatte ihm die weiterführende Ausbildung nach Malrons Intervention nicht mehr verweigern können. Inzwischen war Tarwen – wie meist – einer der besten in seiner Gruppe.

„Nein, nein, lass nur.“ Keschwar hatte Mühe, seinen Ärger nicht zu zeigen. Tarwen würde tatsächlich seinen Ausbildern berichten, dass er ihm Daten und Kenntnisse verschaffte, zu denen Keschwar nicht berechtigt war. Manchmal war er wirklich zu dämlich. Er drückte dem Freund die Datenspeicher in die Hand. „Ich habe sie studiert. Es ist sehr interessant, wie diese Geräte aufgebaut sind. Ich würde zu gerne eine genau untersuchen“, gab er dann widerwillig zu.

Tarwens Augen leuchteten. „Ich bin auch schon gespannt. Wir unternehmen heute unsere erste Reise mit einer TARDIS. Sicher können wir sie dabei inspizieren.“ Er warf einen Blick auf den Zeitmesser. „Ich sollte los. Sonst muss Malron auf mich warten. Das möchte ich auf keinen Fall. Tut mir leid.“

Er eilte hinaus und konnte zum Glück nicht mehr sehen, wie der Freund die Fäuste ballte und ihm wütend hinterherblickte. Keschwar war überzeugt, dass Tarwen diese Bemerkung absichtlich gemacht hatte. Garantiert wollte er damit darauf hinweisen, schon bald offiziell ein fertig ausgebildeter Timelord zu sein, während Keschwar noch immer die dafür notwendigen Studiengänge verweigert wurden. Ausgerechnet Tarwen, der Feigling! Keschwar hatte sehr wohl bemerkt, wie sehr ihn die Bilder erschreckt hatten. Der Freund war und blieb ein Schwächling, im Gegensatz zu ihm selbst. Er, Keschwar, wäre ein viel stärkerer und besserer Timelord – ein Master, unbesiegbar und klüger, als die meisten anderen.

Das bewies ja schon, dass er früher als diejenigen, die die eigentliche Ausbildung bekamen, erfolgreiche Reisen durchführte. Keschwar grinste in sich hinein. Es gab genügend Timelords, die mit dem jetzigen Vorgehen der Heimlichtuerei, wie er es nannte, nicht einverstanden waren. Eine erkleckliche Anzahl von ihnen wollte das ändern. Er hatte geschickt einige passende Bemerkungen fallen lassen, damit sie auf ihn aufmerksam wurden. Diese Gruppe sorgte dafür, dass er ohne Wissen des Hohen Rates und der offiziellen Ausbilder lernte, die verschiedenen Schiffe zu steuern, und Erfahrungen auf fremden Welten machen konnte.

Nur TARDISse konnten sie ihm nicht verschaffen. Die Zeitschiffe wurden zu gut bewacht. Der Neid, dass Tarwen heute damit fliegen durfte und eine Reise durch die Zeit machen würde, fraß an Keschwar. Er wollte diese Erlaubnis haben und er würde sie bekommen, egal wie.

 

Malron wollte seinen Vortrag gerade beginnen, als Tarwen den Raum betrat. Dieser warf ihm einen entschuldigenden Blick zu.

„Haben Sie sich tatsächlich verspätet? Es kommt ja öfter vor, dass Sie über Ihre Studien die Zeit vergessen. Aber heute war ich mir sicher, Sie als ersten hier vorzufinden“, neckte der beliebte Ausbilder den jungen Mann.

„Ich holte noch Eure Unterlagen. Ich wollte sie endlich zurückgeben.“ Einen Moment empfand Tarwen entsetzliche Scham darüber, einen Timelord derart zu täuschen. Aber nein, verteidigte er sich in Gedanken rasch. Er hatte keine direkte Lüge ausgesprochen.

„Danke.“ Malron wog den Datenspeicher kurz in der Hand. „Dann gebe ich Ihnen noch einmal eine kurze Zusammenfassung über eine TARDIS, ehe wir unsere heutige Reise beginnen.“

Er sah den Gesichtern seiner drei Schüler die Aufregung an. Eine erneute theoretische Abhandlung würde sie vermutlich etwas beruhigen.

„Eine TARDIS ist nicht nur ein Transportmittel. Im Herz jeder TARDIS befindet sich ein Energiekern. Er ist in gewisser Weise organisch und existiert in einer Art Symbiose mit der Steuerung des Schiffes. Die alten Gallifreyer haben diese Geräte gezüchtet, nicht hergestellt. Somit ist eine TARDIS sowohl Maschine wie Lebewesen. Das Wissen darüber ist leider längst wieder verloren gegangen, wie bei den meisten Artefakten und Relikten.

Sämtliche Neuerungen wurden immer auf dem ursprünglichen Zentrum einer TARDIS aufgebaut. Die Steuerungen und maschinellen Teile werden beständig weiterentwickelt. Doch die Herzen der Schiffe existieren seit diesen lang vergangenen Zeiten.

Jeder Timelord kann diese Schiffe mittels der mechanischen Steuerung bedienen. Allerdings besitzt eine TARDIS durch die Energie in ihrem Inneren eine Art Bewusstsein, mit dem wir jedoch nicht direkt kommunzieren können. Erst wenn es gelingt, eine echte telepathische Verbindung zum Herz der TARDIS einzugehen, wird ein Flug wirklich interessant. Denn dann können nicht nur Koordinaten eingegeben werden, sondern die TARDIS findet aufgrund unserer Gefühle und Wünsche das Ziel. In diesem Fall wird der Timelord praktisch zu einem Teil der Steuerung. Die TARDIS leistet dann weitaus mehr, als bei einer rein manuellen Bedienung. Deshalb versucht ein Timelord immer, eine TARDIS zu finden, mit der er diese Verbindung eingehen kann.

Es ist unwahrscheinlich, dass Sie dies schon heute erreichen. Ich empfehle Ihnen, später, wenn sie selbstständige Reisen durchführen, so lange verschiedene Schiffe auszuprobieren, bis Sie eine finden, deren Inneres sie spüren.“

Auf allen drei Gesichtern seiner Studenden erkannte Malron die Enttäuschung über seine Worte. Malron schmunzelte innerlich. Zumindest dabei reagierten sie gleich. Ansonsten unterschieden sie sich jedoch extrem. Während er mit ihnen zu dem unterirdisch gelegenen Sektor ging, in welchem die Zeitreiseschiffe gewartet und für die Einsätze vorbereitet wurden, beobachtete er sie.

Der stämmige Zertan bewegte lautlos die Lippen. Er wiederholte sich jedes Wort, das er über die Funktionsweise einer TARDIS erfahren hatte. Ständig griff er nach dem kleinen Monitor und las die verschiedenen Abhandlungen und Informationen nach. Es störte ihn nicht, dass er deshalb hin und wieder gegen die Wände lief. Diese Zerstreutheit zeigte sich auch an seinem Äußeren. Seine Obergewand hing schräg über den Hosen, da die Taschen mit allen möglichen Utensilien, Datenspeichern und ähnlichem vollgestopft waren. Auch die silbrig schimmernden Haare standen in allen Richtungen ab. Zertan durchwühlte sie ständig mit den Fingern, wenn er über etwas nachdachte. Er liebte es, sich Wissen anzueignen, aber auch weiterzugeben. Schon jetzt hielt er den Kindern, die aus den Erziehungshäusern hierher kamen, oftmals Vorträge. Vermutlich würde er schon bald das Reisen aufgeben und stattdessen die Laufbahn eines speziellen Ausbilders wählen. Auch wenn dies meist nur die älteren Timelords machten, die der Zeitreisen müde geworden waren.

Tarwens hellgraue Augen leuchteten. Seine schmale, fast hagere Gestalt war nach vorne gebeugt. Er konnte es kaum erwarten, den Flug anzutreten. Im Gegensatz zu Zertan waren seine dunkelblonden Haare perfekt frisiert. Nur seine Kleidung zeigte, dass Ordentlichkeit nicht zu seinen Tugenden gehörte. Er besaß eine schier unendliche Wissbegier und Neugier. Alles Unbekannte war interessant. Selbst in scheinbar alltäglichen Dingen konnte er Besonderheiten finden, die niemandem sonst auffielen. Wobei es ihm nicht darauf ankam, jedes Rätsel zu erkunden und die Antworten darauf zu finden. Das Geheimnis selbst faszinierte ihn. Tarwen würde ein hervorragender Forscher werden. Einer derjenigen, die das Universum bereisten, Daten und Informationen sammelten und nach Gallifrey brachten.

Der hochgewachsene Sendor mit den braunroten Haaren schien Malrons kleine Rede geistig noch einmal zu zerpflücken, um wirklich alle Informationen gründlich in sich aufzunehmen. Seine grünen Augen waren halb geschlossen, um sich besser konzentrieren zu können. Er versuchte immer, jedes Problem bis ins Kleinste zu bedenken und sämtliche damit verbundenen Fragen zu beantworten. Malron war sich sicher, dass er nur wenige Jahrhunderte als Reisender leben würde – wenn überhaupt. Irgendwann blieb er in der Akademie, um hier zu leben. Er würde sich mit dem gesammelten Wissen beschäftigen, es studieren und nach Zusammenhängen und versteckten oder vergessenen Erkenntnissen suchen.

Timelords wie ihm war es zu verdanken, dass inzwischen so manches Rätsel und verlorene Wissen von früher gelöst bzw. wiederentdeckt worden war. Nur deshalb konnten viele der mächtigen Waffen und Gerätschaften aus dem Omega-Arsenal erneut eingesetzt werden. Diese Waffen, die von den früheren Timelords weggeschlossen und vielfach gesichert worden waren. Nie mehr sollten sie eingesetzt werden, da ihre Zerstörungskraft ungeheuer war. So gerieten ihre Eigenschaften langsam in Vergessenheit. Aber die vergangenen Kriege zeigten, dass Gallifrey sie benötigte.

Bei diesem Gedanken angekommen, seufzte Malron innerlich. Der Hohe Rat würde enttäuscht sein, wenn er seinen Bericht über die jungen Studenten abgab. Denn sie hofften auf neue Krieger. Timelords, die binnen Sekundenbruchteilen Zeitströme erkannten, ihre Verflechtungen und Zusammenhänge spürten, und sofort wussten, wie man sie verändern konnte, ohne die Zeitgesetze zu brechen. Und die diese Fähigkeit im Kampf einsetzen konnten und wollten. Nur sie konnten die gefährlichen Waffen des Omega-Arsenals bedienen und anwenden. Es gab viel zu wenige davon. Die geheimen, nur wenigen Auserwählten bekannten Prophezeiungen sagten eindeutig voraus, dass es einen weiteren Krieg geben würde, der Gallifrey an den Rand des Untergangs brachte. Sie brauchten fähige Timelords, die gleichzeitig auch Krieger waren!

Von seinen drei Studenten würde dafür keiner in Frage kommen. Am ehesten wäre Tarwens Mentalität geeignet. Doch der junge Mann war viel zu vorsichtig, fast furchtsam. Er ging jeder Auseinandersetzung aus dem Weg und war mit Sicherheit kein Kämpfer. Aber er war noch jung. In den nächsten Jahrzehnten, vielleicht einem oder zwei Jahrhunderten würde er sich weiter entwickeln und selbstsicherer werden. Mehr fehlte ihm nicht. Falls er tatsächlich zu einem Krieger wurde, wäre er für ihre Gegner ein entsetzlicher Feind, da war sich Malron sicher. Schon jetzt besaß Tarwen eine Beharrlichkeit, die erstaunlich war. Hatte er sich ein Ziel gesetzt, so verfolgte er es unbeirrt, egal, was sich ihm in den Weg stellte. Seltsamerweise behinderte ihn seine Furcht dabei absolut nicht. Er schien immer einen Weg zu finden, das gewünschte Ergebnis dennoch zu erreichen.

Malron öffnete die schwere Eingangstür des Sektors. „Diese Tür ist für die Allgemeinheit gesperrt. Nur die Wartungsleute haben ungehinderten Zugang. Wenn Sie später die Erlaubnis für Forschungsreisen erhalten, werden Sie ebenfalls eingelassen werden. Ansonsten dürfen nur die älteren, erfahrenen Forscher, die längst eine Verbindung mit einer TARDIS eingegangen sind, ohne besondere Genehmigung hier herein.“

Er führte sie durch einen breiten, hellerleuchteten Gang. „Rechts sind die Wartungskammern für die Geräte, die defekt sind oder für einen speziellen Einsatz vorbereitet werden müssen. Sie gehen immer nach links.“

Mit diesen Worten bog Malron in einen weiteren Gang ein. In regelmäßigen Abständen waren Eingänge zu erkennen. Er zeigte auf die Öffnungsmechanismen.

„Sie sehen, dass einige Eingänge rot gekennzeichnet sind. Hier stehen diejenigen Schiffe, die nur von bestimmten Forschern benutzt werden. Sie sind mit dem Herz der jeweiligen TARDIS eine Verbindung eingegangen. Wenn Sie eine Reise machen, wählen Sie also immer eine Kammer, die grün markiert ist.“

Sie traten in einen dieser Räume. Vor ihnen stand ein steinernes, achteckiges Objekt, das den Vergnügungspavillons in der Stadt ähnelte. Malron führte einen schmalen, länglichen Stab in das Schloss und die Tür schwang auf. Gespannt traten die jungen Männer ein. Es erstaunte sie nicht, dass der Innenraum wesentlich größer erschien, als das gesamte Objekt von außen. Eine TARDIS war dimensional transzendent. Was ganz einfach bedeutete, dass sie innen einer anderen Dimension angehörte, als außen.

Viel mehr interessierte sie die runde Steuerungskonsole, die sich genau in der Mitte des Raumes befand. Bewundernd strich Tarwen über die vielen Instrumente und sah an der großen Säule empor, die aus der Mitte ragte und sich fast bis zur Decke erhob.

„Dies ist die Energiekammer, die bis ins Herz der TARDIS führt. Es bezieht seine gesamte Kraft aus einem künstlichen, schwarzen Loch, dem Auge der Harmonie. Allerdings ist es hin und wieder notwendig, der TARDIS auch andere Energieformen oder Elemente zuzuführen. Das haben Sie alles schon in den vergangenen Jahren erfahren.“

Alle drei nickten und sahen ihren Ausbilder mit erwartungsvollen Gesichtern an. Sie wollten endlich starten. Malron lächelte. „Sie sollten sich Orte aussuchen, die Sie gerne sehen wollen. Wir werden diese heute anfliegen. So wird jeder die TARDIS einmal steuern. Ich hoffe, Sie haben sich für interessante Ziele entschieden. Sendor, Sie beginnen!“

Der ernste, junge Mann trat er vor. Bedächtig legte er seine Hände auf die Instrumente, riss sie im nächsten Moment jedoch wieder zurück.

„Was ist das?“

„Sie haben die TARDIS gespürt“, erklärte Malron.

Sendor bekam große Augen. „Heißt das, ich konnte sofort einen Kontakt aufbauen?“

„Nein, wenn es so wäre, müssten Sie nicht fragen. Eine direkte Verbindung ist etwas, das sich von selbst erklärt. Sie wüssten es. Aber selbstverständlich spüren Sie die TARDIS, sonst könnten Sie diese nicht steuern.“

Tief einatmend legte Sendor seine Hände wieder auf die Steuerung. Seine Handflächen schienen zu vibrieren. Es war ein eigenartiges Gefühl, das durch seinen ganzen Körper sickerte. Ein kaum wahrnehmbares Summen erklang in seinem Kopf. Zeitströme wurden für ihn sichtbar, sie wanden sich in seltsamen Formen um die Säule, drangen in sie ein und bildeten ein deutlich erkennbares Muster. Sendor lächelte. Ja, die TARDIS war eindeutig ein Wesen der Zeit.

Langsam und konzentriert gab er die Koordinaten ein und führte alle weiteren notwendigen Startvorbereitungen durch. Malron beobachtete ihn genau, doch er musste nicht eingreifen. Der junge Mann wusste, was er tat. Eine Weile überlegte Sendor, ob er nichts vergessen hatte. Nach einem fragenden Blick auf den Ausbilder, der wortlos nickte, zog er den Starthebel.

Die Säule erhellte sich. Die Energie hob und senkte sich darin. Gleichzeitig hörten sie ein schleifendes, leicht hohl klingendes Geräusch, ähnlich einem lauten, aber etwas metallischem Keuchen. Im gleichen Rhythmus, wie das Licht in der runden Kammer, wurde es lauter und leiser.

„Wie lange wird es dauern?“, wandte Zertan sich an den Ausbilder.

„Da ich das Ziel nicht kenne, kann ich es nicht sagen“, erwiderte Malron. „Vermutlich nur wenige Minuten. Die TARDIS kann sich wie ein gewöhnliches Schiff durch den Raum bewegen, aber meist dematerialisiert sie und taucht gleich darauf wieder aus dem Zeitkontinuum auf.“

„Können wir sehen, wo wir gerade sind?“

„Nicht während des Fluges. Da wir uns außerhalb der Zeit befinden, zeigen die Monitore nichts. Sobald wir gelandet sind, schalten sie sich automatisch ein.“

Er hatte den Satz noch nicht ganz beendet, als das keuchende Geräusch leiser wurde und mit einem kurzen Ächzen verstummte. Gleichzeitig sank das blendend helle Licht der Säule in sich zusammen und verschwand unterhalb der Steuerkonsole. Die Bildschirme erhellten sich und zeigten eine Felsenlandschaft.

Gewissenhaft kontrollierte Sendor die Anzeigen, dann nickte er zufrieden. Malron meinte: „Karn? Hierher wollten Sie?“

Sendor nickte. „Ich bin unglaublich neugierig auf die Schwesternschaft. Es heißt, sie bewahren vieles aus der alten Zeit.“

„Das stimmt. Allerdings sind sie nicht besonders auskunftsfreudig. Nun, sie werden uns zumindest Gastfreundschaft anbieten. Also, gehen wir.“

Sie traten in die karge Landschaft hinaus. So weit sie sehen konnten, schien es nur Felsen zu geben, die manchmal mit einer Art Moos oder Flechten überzogen waren.

„Schaut!“ Zertan zeigte auf die TARDIS, die nun wie eine rötliche Felsnadel wirkte.

„Das ist der Tarneffekt“, erläuterte Malron. „Die TARDIS passt ihr Aussehen immer ihrer Umgebung an. Manchmal wirkt sie wie ein Teil der Landschaft, so wie jetzt. Oftmals nimmt sie aber auch die Form eines völlig alltäglichen Gebäudes an, das von den Einheimischen kaum beachtet wird.“

Der Ausbilder führte sie auf eine Reihe eigenartig regelmäßiger Felsen zu. Erst als sie näher kamen, erkannten die jungen Männer, dass es sich hierbei um Gebäude handelte.

Zwei Frauen kamen ihnen entgegen. Ihre Kleidung ähnelte den weinroten Roben des Hohen Rates auf Gallifrey, war jedoch weniger pompös. Malron trat vor und hob die Hände zu einer friedfertigen Geste.

„Ich grüße Euch. Mein Name ist Malron von Gallifrey. Ich bin mit diesen Studenten unterwegs auf ihrer ersten Reise. Eure Welt wurde von ihnen als Ziel erwählt.“

Mit ernsten Mienen sahen die Frauen blickten von einem zum anderen. Tarwen hatte den Eindruck, dass sie bei ihm zögerten, ehe ihre Blicke weiterwanderten. Wussten sie etwa, wer er war? Von der Schwesternschaft waren die Prophezeiungen ausgesprochen worden. Kannten sie deren genaue Bedeutung und wen sie betrafen? Er musste es herausfinden, doch nicht jetzt, dies war Sendors Reise. Tarwen beschloss, irgendwann allein hierher zu kommen. Dann würde er mit den Frauen sprechen und versuchen, alles zu erfahren, was sie über die Prophezeiungen wussten.

„Wir grüßen euch. Seid uns willkommen. Mein Name ist Maren.“ Die ältere der beiden Frauen ergriff das Wort und zeigte gleichzeitig auf das nächstgelegene Gebäude. „Dort wohne ich. Ihr werdet sicher eine Erfrischung annehmen.“

Im Inneren war es deutlich kühler, als in der stickigen Hitze zwischen den Felsen. Maren führte sie in einen großen Raum, der in warmen Farben eingerichtet war. Überall hingen Wandbehänge, die bildhafte Szenen darstellten. Tarwen hätte sie gerne genauer betrachtet, wagte es aber nicht. Maren deutete einladend auf die Sitzgelegenheiten, meist niedrige Hocker. Auf einem kleinen Tisch standen schon Getränke bereit. Dankbar nahmen die Besucher die kühlen Gläser entgegen. 

Sendor musterte die Frau aufmerksam. Durfte er sie einfach ansprechen? Malrons Begrüßung hatte ihm gezeigt, dass die Schwesternschaft Anspruch auf dieselbe respektvolle Anrede hatte, wie die Timelords.

Maren lächelte ihm freundlich zu, sprach jedoch Malron an: „Ich nehme an, dieser junge Mann hat unsere Welt gewählt.“ Der nickte und sie richtete erneut ihre Aufmerksamkeit auf Sendor: „Darf ich deine Gründe dafür erfahren?“

„Oh ja, sehr gerne … äh, wie soll ich Euch anreden?“

„Ganz einfach mit Maren. Wir legen keinen Wert auf Titel.“

„Ich danke Euch, Maren.“ Ein wenig war Sendor verwirrt, sie schien eine Führerin zu sein. Kein Timelord, der einen hohen Rang innehatte, würde darauf verzichten, mit dem entsprechenden Titel angesprochen zu werden.

Er riss sich zusammen. „Mein Name ist Sendor. Ich versuche seit längerem, alle Informationen über den Planeten Sigram fünf zu sammeln. Doch es gibt keine. Es heißt nur, dass dieser Planet nicht besucht werden darf. Er ist absolut verboten. Es gibt keine Begründungen, keine Erklärungen. Nur den Hinweis, dass dieses Verbot durch die Schwesternschaft von Karn erwirkt wurde. Ich würde gerne mehr darüber erfahren. Vor allem, warum diese Welt nicht betreten werden darf.“

Malron sah ihn verdutzt an. Deshalb wollte der junge Student hierher? Er hatte damit gerechnet, dass er Karn erkunden wollte.

Maren legte die Hände zusammen und wurde ernst. „Ja, du hast völlig Recht. Aber den Grund kann ich dir nicht nennen. Denn genau dies ist die Ursache für das Verbot. Würde der Anlass bekannt, wäre das Verbot hinfällig.“

Das musste Sendor erst einmal verdauen. Konzentriert dachte er über die Worte nach. Schließlich fasste er seine Gedanken zusammen: „Das heißt, auf dieser Welt gibt es etwas, das niemand erfahren darf. Und wer immer nach Sigram fünf gehen würde, würde es erkennen. Warum wäre das so schlimm?“

„Weil es sehr gefährlich wäre. Für …“, einen Moment überlegte Maren, bevor sie weitersprach, „… alles, was es auf dieser Welt gibt. Und ebenso für diejenigen, die Sigram fünf betreten.“

Wieder blieb es eine Weile still. Dann hob Sendor den Kopf. „Ich danke Euch sehr, Maren. Es ist unbefriedigend, keine klare Auskunft zu erhalten, obwohl ich eure Argumente verstehe. Doch in einem solchen Fall ist es nicht möglich, den Grund zu nennen. Ich werde meine persönlichen Forschungen diesbezüglich ergänzen.“

Malron sah fragend zu der älteren Frau, die ihm zunickte. „Ich denke, dass auch Karn selbst interessant für Sie ist. Mit der Einwilligung der Schwesternschaft würde ich Ihnen gerne den großen Tempel des Ewigen Lichts zeigen.“

„Selbstverständlich.“ Maren stand auf und brachte sie wieder hinaus.  Sie wanderten über die kahle Einöde, die nur aus den bizarren, meist rötlichen Felsen bestand. Schließlich erkannten sie auf einer größeren Ebene ein rundes, kegelförmiges Gebäude. Es schien aus dem gleichen dunkelroten Material errichtet worden zu sein, wie alles hier.

Das Innere des Tempels erstaunte die jungen Männer. Hier herrschte völlige Einfachheit, im Gegensatz zu der fast luxuriösen Ausstattung des Wohnhauses. Boden und Wände bestanden aus grob geglätteten Felsen. Vor dem ebenfalls steinernen Altar lag ein dicker, einfarbiger Teppich. Sechs Frauen saßen dort im Kreis, offensichtlich in Meditation versunken.

Auf dem Altar befand sich der einzige, eindeutig wertvolle Gegenstand in diesem Tempel: Ein hohes, kunstvoll verziertes Gefäß. Teils bestand es aus in allen Farben schimmernden Juwelen, teils aus durchsichtigem Glas, das ebenfalls in sämtlichen Schattierungen glänzte. Darin flackerte ein Licht. Es warf bizarre Schatten an die Wände des Tempels.

„Dies ist die heilige Flamme, deren Hüterinnen wir sind“, erklärte Maren.

Tief beeindruckt betrachteten alle vier das fast mannshohe Behältnis mit dem zuckenden Licht darin. Erst nach einer Weile bemerkte Tarwen das feine Rohr, das aus dem breiten Metallband in der Mitte des runden Gefäßes ragte. Seine Augen folgten seinem Verlauf bis in den hinteren Bereich des Altars. Hier verschwand das Rohr hinter einem Vorhang.

Unauffällig stieß Tarwen Zertan an und zeigte ihm das Rohr. „Ohh“, hauchte der und blickte sofort wieder weg. Weder Malron noch Maren hatten dies bemerkt. Sie unterhielten sich leise mit Sendor, der anscheinend tausend Fragen hatte und wohl am liebsten Tage hier geblieben wäre. Aber Malron drängte zum Aufbruch.

„Es wird für Sie sicher eine Möglichkeit geben, später erneut hierher zu kommen, Sendor. Zumindest, wenn die Schwesternschaft es Ihnen erlaubt.“

Maren neigte den Kopf. „Du wirst uns willkommen sein.“

Dieser dankte ihr aufrichtig und war nun endlich bereit, wieder zur TARDIS zurück zu gehen. Erst dort erkundigte sich Tarwen bei Zertan: „Warum warst du so erschrocken? Was hat es mit diesem Rohr auf sich?“

Der junge Student zuckte zusammen. „Das weißt du nicht? Aus der ewigen Flamme extrahieren diese Frauen das Elixier des Lebens. Sicher hatte diese Leitung damit zu tun.“

Malron sah die beiden an. Sie berichteten ihm, was sie gesehen hatten. Auch der Ausbilder war davon überzeugt, dass Zertan richtig vermutete. Er sah den jungen Mann schmunzelnd an. „So, das erste Ziel war ja schon sehr aufregend. Welches haben Sie sich ausgesucht?“

 

Zukunft und Vergangenheit

Zertan trat an die Steuerkonsole und legte seine Hände darauf. Eine Weile blickte er stumm die Säule an und ließ die Zeitströme auf sich einwirken. Er sah die unzähligen Verästelungen und Verbindungen, die gegenseitigen Verflechtungen und Überschneidungen. Die Zeit war derart faszinierend, fast hätte er sich in ihrer Betrachtung verloren.

Er riss sich aus seiner Versunkenheit, gab die Koordinaten ein und führte den Startvorgang durch. Wieder erklang das metallische Keuchen und die Säule erwachte zum Leben. Das Licht pulsierte darin und die TARDIS dematerialisierte. Von einem Augenblick zum anderen war sie von Karn verschwunden.

Die Monitore erhellten sich, als die Energie in sich zusammensank. Malron blickte zusammen mit Zertan auf die Instrumente mit den Außenanzeigen.

„Wirklich interessant“, bemerkte er dann. „Bevor wir hinausgehen, benötigen Sie einige Anweisungen. Auf dieser Welt leben Wesen, die uns äußerlich sehr gleichen. Dennoch unterscheiden sie sich natürlich in vielen Dingen, besonders was ihre Kultur betrifft. Verhalten Sie sich deshalb höflich und versuchen Sie, Missverständnisse zu vermeiden. Besonders wichtig ist hier jedoch, dass wir uns in einer zukünftigen Zeitebene befinden.“

„Was bedeutet das genau?“ Tarwen konnte die Augen kaum vom Monitor wenden. Da draußen schien es unzählige Geschöpfe zu geben, die hin und her liefen.

„Dies ist eine künstliche Welt. Die größten Bibliothek, die jemals erbaut wurde. Sie ist praktisch der Planet. Erbaut wurde sie von Menschen der Erde. Nach deren Zeitrechnung sind wir im 50. Jahrhundert. Eine Zeitebene, die in unserer Zukunft liegt. Erstaunlich ist hierbei …“ Malron studierte die Anzeigen genauer und runzelte etwas die Stirn. „dass sie anscheinend keine Kenntnisse über Gallifrey besitzen. Das bedeutet, dass wir unsere Politik der Nichteinmischung äußerst konsequent weiterführen werden. Für uns heißt dies, wir dürfen keine Informationen über uns verraten. Wenn Sie gefragt werden, woher Sie kommen, benötigen Sie deshalb ausweichende Antworten. In solchen Fällen suchen wir uns Bezeichnungen aus, die für die Einheimischen bekannt klingen, jedoch keine echten, nachprüfbaren Informationen zulassen.“

Er gab einige Befehle und Anfragen in die Steuerkonsole ein und las dann die Antworten vor: „Aha, als Heimatplanet werden wir Torpon drei angeben. Das wird nach den gespeicherten Informationen der TARDIS ausreichen, um die Menschen zufriedenzustellen.“

Malron blickte die jungen Männer ernst an. „Dies ist Ihre erste Erfahrung mit anderen Existenzen. Seien Sie also vorsichtig, und versuchen Sie, sich deren Mentalität anzupassen.“

Nacheinander verließen sie die TARDIS und sahen sich neugierig, aber auch ein wenig unsicher, um. Sie befanden sich in einem Gebäude. Tarwen drehte sich um und musste grinsen. Die TARDIS sah nun aus wie eine dunkle Holzwand, in der eine Tür war. Auf einem Hinweisschild stand: Betreten nur für Befugte!

„Können die Leute das denn überhaupt lesen?“

„Selbstverständlich. Es wirkt für jeden so, als sei es in seiner Sprache geschrieben“, erläuterte Malron.

„Dürfen wir uns frei bewegen? Ich möchte mich umsehen. Hier müssen Unmengen von Informationen zur Verfügung stehen.“ Zertan konnte es kaum erwarten. Eine planetengroße Bibliothek!

Malron nickte. „Ich habe die TARDIS so eingestellt, dass sie als Übersetzer für uns arbeitet. Da Sie noch keine direkte Verbindung zu dem Herz eingehen können, ist dies notwendig. Dann geschieht das automatisch. Auf diese Weise können sie sich mit jedem Wesen verständigen. Also ist es Ihnen möglich, sich in einem recht großen Gebiet aufzuhalten. Ich würde vorschlagen, Sie sehen sich um, und wir treffen uns in vier Stunden wieder hier.“

Zertans Augen leuchteten vor Freude. Er wandte sich sofort den großen Wänden im Hintergrund zu, an denen unzählige Regale voller Bücher standen.

Sendor blickte ihm nach und grinste: „Er wird es kaum schaffen, alles in vier Stunden zu lesen. Aber garantiert versucht er es.“

Tarwen lachte. „Er muss sich hier fühlen wie in einem Paradies. Komm, lass uns da rüber gehen. Dort sind Fenster. Ich möchte gerne wissen, wie es draußen aussieht.“

Sie blickten in einen hellen Himmel ohne Wolken. Vor und unter ihnen befanden sich dicht an dicht unterschiedlich hohe Gebäude. Sie schienen tatsächlich die gesamte Oberfläche dieses Planeten zu bedecken. Dazwischen waren breite Schienenbänder zu erkennen.

„Dort! Schau! Es sind Transportbänder.“ Sendor zeigte nach links. Eine Art Zug mit mehreren Waggons raste auf den Schienen entlang. Durch die Fenster konnten sie die Personen darin sehen.

„Diese Bibliothek ist gut besucht. Und nicht nur von Menschen.“ Tarwen deutete hinter sich. Durch die große Halle wanderte gerade eine Gruppe Wesen, die eindeutig von Reptilien abstammten. Sendor blickte sich nach Zertan um, sah jedoch nur noch, wie dieser fast im Laufschritt in einen der vielen Gänge einbog.

Der junge Gallifreyer schritt zielstrebig durch mehrere Räume, bis er einen weniger frequentierten Bereich erreichte. Hier trat er vor eine der Stelen, die an allen Eingängen standen. Die halbrunde Schale am oberen Ende drehte sich ihm zu, das Gesicht eines kleinen Mädchens erschien darin.

„Ist hier der Komplex, in dem die Daten über den Beginn und die Entstehung des Universums gespeichert sind?“, fragte er.

Mit einem freundlichen Lächeln kam die Antwort: „Ja! Kann ich dir weiterhelfen? Was suchst du genau?“

Zertan wunderte sich zwar ein wenig, dass die Auskunftssäulen Gesichter von Kindern hatten, aber es interessierte ihn nicht besonders. Er vermutete, dass dies einfach zur Mentalität dieses Volkes, der Menschen, gehörte.

„Wo sind die Bücher, welche die frühesten Ursprünge des Universums beschreiben?“

„Auf der Ostseite des Raumes. Du findest die Markierung in der Mitte der Wände.“

Zertan wandte sich um und fand nach kurzem Suchen die richtige Stelle. Er suchte sich mehrere Bücher aus und setzte sich in einen der Sessel, die direkt davor standen. Dann vertiefte er sich in die Texte. Doch schon nach kurzer Zeit schob er sie wieder enttäuscht von sich.

In der Halle, in der sie angekommen waren, hatten Bücher über den Entwicklungsstand der Menschen gestanden. In ihnen wurde behauptet, dass dieses Volk sich über das gesamte Universum ausgebreitet hatte. Ihre Wissenschaften seien so weit entwickelt, dass sie jedes Geheimnis ergründet hätten, einschließlich der Entstehung des Universums.

Das hatte Zertan elektrisiert. Selbst auf Gallifrey gab es dazu nur Theorien und keine endgültigen Daten. Zumindest nicht in seiner Zeit. Er hatte geglaubt, hier auf Wissen zu stoßen, mit dem er die Forschungen seines eigenen Volkes ergänzen könnte. Doch in den Büchern fanden sich ebenfalls nur Thesen und Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Oh, sie waren interessant und gut durchdacht.  Aber diese Dinge waren auf Gallifrey längst bekannt.

Zertan seufzte und begann trotzdem, die vielen anderen Bücher in den Regalen durchzusuchen. Vielleicht fand er doch noch Einzelheiten, die ihm neue Erkenntnisse verschafften. Er konnte schon ebenso rasch Informationen in sich aufnehmen, wie fertig ausgebildete Timelords. So nahm er ein Buch nach dem anderen heraus und überflog in rasender Geschwindigkeit die Seiten.

Ein Lachen störte seine Konzentration. „Glauben Sie wirklich, mit reinem Durchblättern diese komplizierten Zusammenhänge begreifen zu können?“

Zertan blickte auf. Vor ihm stand ein älterer Mann, der ihn nachsichtig betrachtete. Um seine Augen hatten sich Lachfältchen gebildet.

„Selbstverständlich.“ Im nächsten Moment erschrak er. Er sollte doch nicht auffallen und sich dieser Kultur und Mentalität so weit wie möglich anpassen!

„Erstaunlich.“ Der Fremde musterte ihn. Seine Miene wurde ernst, die kleinen Falten jedoch blieben. Doch jetzt waren sie nicht mehr Ausdruck von Amüsiertheit, sondern von konzentrierter Aufmerksamkeit. Er setzte sich ungefragt in einen weiteren Sessel. Sein Blick schien Zertan durchbohren zu wollen. „Kommen Sie von Quolterban? Gehören Sie zu den genformierten Studenten dort?“

„Nein.“ Diesmal dachte Zertan rechtzeitig an die Anweisungen seines Ausbilders. „Ich stamme von Torpon drei.“ Er runzelte die Stirn. „Weshalb interessiert Sie das so sehr? Ist rasches Aufnehmen von Wissen denn so ungewöhnlich?“

„Nun“, ein wenig zögerte der Mann, „es ist zumindest nicht üblich.“ Seine Hände spielten mit einem Gegenstand, den Zertan nicht genau erkennen konnte. Noch immer schaute ihm der Fremde fast ohne zu blinzeln in die Augen. Seine Stimme veränderte sich, sie bekam einen hypnotischen Klang. „Vielleicht sollten wir uns an einem anderen Ort unterhalten.“

Zertan fühlte ein Tasten in seinem Geist und blockte sich sofort ab. Dieses Wesen, Zertan war sicher, dass er ein Mensch war, versuchte, in sein Gehirn einzudringen. Das durfte er auf keinen Fall zulassen. Er stand auf.

„Nein, danke.“ Damit wandte er sich ab. Es war besser, zu verschwinden, bevor diese seltsame Situation noch schwieriger wurde.

„Bleiben Sie! Ich möchte, dass Sie mit mir kommen!“ Das klang wie ein Befehl.

Zertan fühlte, dass gleichzeitig versucht wurde, seine geistige Abwehr zu durchbrechen. Er beschleunigte seinen Schritt und verließ den Raum. Der Mann folgte ihm allerdings, also bog er in den Gang links ab, um aus dessen Sichtfeld zu kommen. So schnell es ging, ohne aufzufallen, durchquerte er mehrere Säle, bis er einen Raum erreichte, in dem sich besonders viele Menschen aufhielten. Zertan atmete auf. Hier würde dieser eigenartige Mensch ihn sicher nicht mehr aufspüren. Zu dumm aber auch, dass er eine solche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.

Kurz überlegte er, dann ging er zu einer der Säulen. „Gib mir bitte Informationen über Quolterban.“

„Quolterban ist eine verbotene Welt. Informationen findest du im Komplex 1897.“

„Kannst du mir eine kurze Zusammenfassung geben, weshalb sie verboten ist?“

Das Kindergesicht verschwand, stattdessen tauchte ein männliches auf. „Selbstverständlich.“ Monoton begann die Stele zu referieren: „Auf Quolterban wurden verbrecherische Genversuche an verschiedenen Wesen durchgeführt. Man veränderte deren Gehirne, um ihnen eine geistige Überlegenheit zu garantieren. Die meisten starben oder wurden wahnsinnig. Die Überlebenden, sie nannten sich Studenten des Wissens, zeigten einen verheerenden Hang zu Gewalt und versuchten, andere Welten mit ihren Fähigkeiten zu übernehmen und zu beherrschen. Deshalb wurde Quolterban unter Quarantäne gestellt. Niemand darf den Planeten betreten oder verlassen.“

„Danke.“ Zertan blickte sich um. Das klang nicht gut. Wenn der Fremde ihn weiterhin verfolgte, musste er so rasch wie möglich zur TARDIS zurück. Auf keinen Fall durfte er noch mehr auffallen, oder sich in diese Vorkommnisse verwickeln lassen.

Eine Weile wartete er, doch der Mann tauchte nicht auf. Schließlich wagte es Zertan, sich genauer umzusehen, in welcher Abeilung der Planetenbibliothek er sich jetzt befand. Er entdeckte Bücher über die Sternenkonstellation Akorambium. Sofort war der junge Gallifreyer wieder fasziniert. In diesen Systemen existierten mehrere sehr außergewöhnliche Planeten. Wieder griff er nach den Büchern und vertiefte sich in sie. Vorsichtshalber achtete er darauf, nicht übermäßig schnell zu lesen. Was allerdings ärgerlich war, da er nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung hatte.

 

In der Halle blickten Sendor und Tarwen ihrem Kameraden nach. „Lass uns auch ein wenig umschauen“, schlug Sendor vor.

Sie schlenderten durch den Saal und bogen in einen der Gänge ein. Selbst hier waren Bücherregale angebracht, und in regelmäßigen Abständen gab es große, gutbeleuchtete Nischen mit Sitzgruppen.

Am Eingang des nächsten Raumes befand sich eine der schlanken Auskunftssäulen. Ihre halbrunde Schale drehte sich den beiden zu, als sie näher kamen. Das Kindergesicht darin lächelte die beiden jungen Männer an.

„Hallo“, begrüßte es sie. „Kann ich euch helfen? Sucht ihr etwas Bestimmtes?“

„Oh, hallo! Bist du eine maschinelle Intelligenz oder ein wirkliches Lebewesen?“, fragte Tarwen neugierig.

„Ich bin Charlotte, oder auch CAL. Dies ist meine Welt. Ich lebe hier und kenne jedes Gebäude und jedes Buch. Alles Wissen in den Büchern ist in der Festplatte des Planeten gespeichert. Ich habe Zugriff darauf.“

Also waren diese Stelen wohl die Verbindungen zum eigentlichen Computer, der das Innere des Planeten darstellte, überlegte Tarwen. Er fand es interessant, dass sie sich wie ein echtes Lebewesen verhielten. Aber warum hatte man ihnen das Gesicht eines kleinen Mädchens gegeben?

„Warum siehst du wie ein Kind aus?“

CAL lachte. „Weil ich eines bin. Ich bin Charlotte.“

„Hm“, Tarwen wollte nicht zu genau nachfragen. Vielleicht war dies für die Menschen etwas Selbstverständliches. „Kannst du uns einen Überblick geben, was wir wo finden? Es gibt doch sicherlich ein System, nach welchem die Bücher hier aufbewahrt werden.“

„Oh ja, natürlich.“ Charlotte sah kurz zur Seite und die Wand gegenüber begann zu flimmern. „Hier seht ihr die gesamte Bibliothek. Die verschiedenen Themenbereiche sind farbig dargestellt.“

Eine Schrift erschien unterhalb des großen Bildes und erläuterte, welche Farben zu welchen Themen gehörten.

Tarwen konnte sich nicht zurückhalten. „Hast du Informationen zu dem Begriff Gallifrey?“

Sendor schnappte nach Luft und stieß ihn an, doch die Säule begann schon zu flackern. Einen Moment lang wirkte das Gesicht des Kindes nachdenklich. Dann lächelte es wieder.

„Da müsst ihr zu den Legenden und Mythen gehen. Gallifrey ist eine Art Synonym für ein längst vergangenes Volk, das angeblich unsterblich war. Nehmt den Zug zum Gebäudekomplex 2758. Dort werden euch die Stelen weiterführen. Die Haltestelle ist direkt vor dem Ausgang auf Ebene Null. Der Aufzug befindet sich rechts hinter euch.“

Die beiden jungen Männer warfen sich einen Blick zu. „Äh, Charlotte, wie lange ist denn die Fahrt dorthin?“

„Zehn Minuten. Der nächste Zug wird in vier Minuten kommen.“

„Danke!“

„Tarwen, das war gefährlich. Wir dürfen doch nichts über Gallifrey sagen“, raunte Sendor ihm zu, während sie sich zwischen die Menschen drängten, die schon in dem Aufzug standen.

„Interessiert es dich denn nicht, ob und was sie über uns wissen?“

„Du bist verrückt. Wir sind in einer späteren Epoche. Niemand darf etwas über seine eigene Zukunft erfahren.“

„Das werden wir auch nicht“, widersprach Tarwen. „Du hast doch gehört: Wir existieren ihrer Meinung nach nur als Legende. Sie haben keine tatsächlichen Informationen.“

Der Zug war recht voll. Sie liefen durch den breiten Gang, bis sie zwei freie Plätze fanden. Die Sitze waren angenehm weich. Eine volltönende Stimme sagte die verschiedenen Haltestellen an, so fanden sie ohne Probleme den gesuchten Komplex.

Doch dann wurden sie enttäuscht. Es gab nur ein einziges Buch, in dem Gallifrey erwähnt wurde. Darin stand, dass es in mehreren Völkern Legenden gäbe, in denen eine mythische Welt namens Gallifrey eine Rolle spielte. Dort sollten unsterbliche Wesen leben. Tarwen deutete auf einen Absatz:

Mehrere historisch belegte Berichte deuten darauf hin, dass die sogenannten Timelords mit dieser Welt in Verbindung stehen. Vor allem auf der Erde existieren verschiedene Schilderungen über diese Wesen, die sich anscheinend äußerlich nicht von Menschen unterscheiden. Obwohl diese Berichte aus den unterschiedlichsten Zeitaltern stammen, taucht in ihnen immer ein und dieselbe Gestalt auf, die nur als ‚Der Doktor‘ bezeichnet wird. Ob dies ein Synonym für das geheimnisvolle Volk der Timelords ist, oder tatsächlich eine unsterbliche Person bezeichnet, ist umstritten. Genauere Informationen sind in einem besonderen Band zusammengefasst worden: die ‚Chronologische Aufzeichnung über die Besuche des Doktors auf der Erde‘.

„Klingt interessant“, meinte Tarwen aufgeregt. „Hast du schon einmal etwas über einen Timelord gehört, der sich Doktor nennt?“

Sendor verneinte. Tarwen suchte nach dem angegebenen Buch, doch in diesem Regal schien es nicht zu stehen. Er wandte sich an eine Infosäule und fragte danach.

„Das findest du in der Abteilung über außerirdische Besucher auf der Erde vor dem Raumfahrtzeitalter“, erklärte Charlotte ihm freundlich. „Alle späteren Besuche des Doktors werden in einem weiteren Buch geschildert, das in der Sektion ‚unbestätigte außerirdirsche Kontakte‘ steht.“ Sie beschrieb auch die Wege dorthin.

Sendor hielt Tarwen jedoch zurück. „Das geht nicht. Wenn wir jetzt dorthin fahren, kommen wir zu spät zur Halle zurück.“

Dieser blickte auf den Zeitmesser. „Wie schade. Es wäre doch interessant herauszufinden, ob es sich dabei wirklich um einen Timelord handelt oder nicht.“

„Hoffentlich nicht“, meinte Sendor, „denn dann hätte er ziemlich verantwortungslos gehandelt. Wir dürfen uns nicht in die Entwicklung anderer Völker einmischen. Außerdem sollen andere Welten so wenig wie möglich über uns erfahren. Stell dir nur vor, die Position von Gallifrey würde bekannt werden. Es gibt genügend Völker, die uns schaden oder sogar angreifen würden.“

„Da hast du natürlich recht“, besänftigte Tarwen den aufgebrachten Kameraden. „Dann lass uns hier noch ein bisschen stöbern, bevor wir zurückkehren.“

Als sie pünktlich wieder in der Halle waren, trafen sie nur Malron. Auf Zertan mussten sie noch eine ganze Weile warten, ehe er angerannt kam.

„Es tut mir leid. Ich habe die Zeit vergessen. Es ist so faszinierend hier. Ich könnte ewig bleiben.“ Sein Gesicht war vor Eifer gerötet und seine Augen leuchteten.

Der Ausbilder lachte. „Das kann ich mir vorstellen. Aber Sie werden gewiss später Gelegenheiten finden, um Reisen hierher zu unternehmen. Nun lassen Sie uns aber wieder gehen. Wir haben ja noch ein Ziel, bevor wir wieder heimkehren.“

Unauffällig betraten sie die TARDIS wieder. Tarwen ging zur Steuerung, doch er gab keine Koordinaten ein. Stattdessen öffnete er die Konsole. Darunter lagen weißlich leuchtende, weiche und leicht vibrierende Gebilde. Sie glichen faustgroßen Kugeln. Er legte seine Hände darauf. Gespannt hielt er den Atem an. Würde es funktionieren? Nach wenigen Sekunden breitete sich das blasse Licht aus und umschloss seine Hände.

„Das ist erstaunlich“, brach es aus Malron heraus. Er hatte seinen Schüler bisher wortlos, aber sehr aufmerksam beobachtet. „Nur sehr wenigen gelingt es, schon beim ersten Mal eine telepathische Verbindung aufzubauen. Was wollen Sie erreichen?“

„Ich kenne die Koordinaten nicht“, gab Tarwen zu. „Ich weiß, wo ich hin möchte, habe aber keine Ahnung in welcher Zeit dies geschah. Vielleicht kann die TARDIS uns auch so hinbringen.“

„Also wollen Sie zu einem bestimmten Ereignis, von dem Sie nicht wissen, wann es stattgefand?“

Tarwen nickte. Seine Hände fühlten sich eisig an, obwohl sie gleichzeitig fast zu brennen schienen. Es war seltsam und unangenehm, aber nicht wirklich schmerzhaft. Gleichzeitig schien etwas in seinem Gehirn zu tasten. Er öffnete sich und dachte intensiv an seinen Wunschort. Die TARDIS erwachte erneut zum Leben, das Licht in der Säule stieg empor. Alle sahen gespannt auf die Bildschirme. Wohin würde Tarwen sie bringen?

Die Monitore erhellten sich und zeigten eine Landschaft, die einen bedrohlichen Eindruck machte. Eine steinerne Ebene, nur unterbrochen von unregelmäßigen Erhebungen, die jedoch höchstens als Hügel bezeichnet werden konnten. Doch alles wirkte leblos, es gab keine Anzeichen von Pflanzen, geschweige denn von Tieren. Aber das wirklich Erschreckende war der Himmel. Eine Mischung aus grauen und rötlichen Farbtönen, die ständig von Blitzen erhellt wurde.

Malron schaltete an einigen Geräten und zuckte dann zusammen. „Wir sind auf Gallifrey!“ Er starrte hinaus. Aus dem seltsamen Himmel schienen Schlieren herabzufallen. Der Ausbilder begriff plötzlich. „Das ist Zeitenergie. Ungebändigt und völlig ungeformt. Dort oben sind keine Wolken. Wir sehen die Dimension Zeit!“

„Tarwen, wo hast du uns hingebracht?“ Sendor schwankte zwischen Entsetzen und Begeisterung.

„Zur Entstehung des Schismas. Da draußen wird sich der Zeitvortex bilden.“ Auch Tarwen konnte seinen Blick nicht von den Monitoren wenden.

„Aber … wann sind wir?“

Malron las verschiedene Instrumente ab. „In der Frühzeit unseres Planeten. Auf dem Land gibt es noch kein Leben. Wahrscheinlich existieren in den Meeren schon molekulare Formen, jedoch mit Sicherheit noch nichts Komplexeres.“

„Können wir hinaus?“ Zertan hatte endlich seine Sprache wiedergefunden.

Wieder betätigte der Ausbilder mehrere Geräte, dann nickte er. „Aber bleiben Sie dicht an der TARDIS. Ich habe den größtmöglichen Schutz darum gelegt, doch er wirkt nur in der unmittelbaren Nähe.“

Die jungen Männer schoben sich aus dem Schiff und pressten sich dicht an die Wand. Schlagartig brach der Lärm über sie herein, der in der TARDIS nicht zu hören gewesen war. Donnerschläge hallten über das Land. Ein Prasseln und Krachen erfüllte die Luft, als ob das Gestein gemartert werden würde. Keiner von ihnen hatte auch nur einen Blick dafür, wie ihr Gefährt sich diesmal getarnt hatte. Mit weit aufgerissenen Augen starrten sie auf das Spektakel, das sich ihnen darbot.

Nun konnten sie die Energie über sich erkennen. Hatten sie diese bisher immer in gebändigter, gebündelter Form erlebt, eingebunden in Geschehnisse und geordneten Zeitlinien, so war jene völlig frei. Immer wieder stießen wie Blitze oder Lanzen wirkende Strahlungsströme aus dem lebendig wirkenden Himmel herab.

„Das Zeitkontinuum“, erklärte Malron ihnen erregt, ohne zu bemerken, dass er sich wiederholte. „Was Sie dort sehen, ist nicht die Lufthülle der Welt, sondern die Dimension Zeit. Fragen Sie mich aber nicht, wie das möglich ist.“

Fasziniert beobachteten sie das Geschehen. Der Himmel wurde immer düsterer. Dann öffneten sich die farbigen Schlieren und leuchtende, blendend helle Energie strömte, nein, stürzte wie ein Wasserfall auf das Land hinunter. Die felsige Ebene wurde aufgerissen, und in dem lärmenden, taubmachenden Getöse brach Lava aus dem Inneren hervor.

„Ein Vulkanausbruch!“, schrie Sendor. „Wie erleben einen Vulkanausbruch.“

„Da bin ich mir nicht sicher. Schaut!“ rief Malron zurück.

Die Strahlung prallte auf den sich öffnenden Krater. Die Lava wurde beiseite gedrückt und floss zäh nach allen Seiten. Dabei verklumpte sie rasend schnell und bildete einen wellenartigen, schwarzroten Teppich, der sich als kreisförmiger Wall auftürmte. Im Zentrum der immer tiefer werdenden Kluft schien die ungebändigte Zeitenergie mit der Lava zu verschmelzen, oder jedenfalls irgendwie zu reagieren.

Eine gewaltige Explosion riss alle vier von den Füßen. Ihre erschrockenen Schreie hörten sie nicht einmal selbst in dem schlagartig noch lauter werdenden Chaos. Sie pressten sich die Hände auf die Ohren und kämpften sich wieder auf die Beine.

Vom Grund des Kraters stieg eine grelle Säule aus Flammen, Lava und Energie empor und verband sich mit dem Riss im Zeitkontinuum am Himmel. Eine scheinbare Ewigkeit, in Wirklichkeit nur wenige Minuten, blieb sie erhalten. Dann schloss sich der Riss und die Säule sank in sich zusammen. Die Donnerschläge hörten auf und der Lärm des gepeinigten Landes wurde erträglicher.

Die Männer nahmen die Hände von den Ohren. Ihre schmerzverzerrten Gesichter glätteten sich. Sie keuchten wie nach einem anstrengenden Lauf. Noch immer blickten sie wie gebannt nach oben. Die Schlieren der Zeitenergie wurden diffuser, bis sie verschwanden. Der normale, orangefarbene Himmel wurde sichtbar.

Doch vor ihnen befand sich der Schlund, dessen glühender Lavarand fast einen Meter hoch gewachsen war. Darin war deutlich das silbern schimmernde Leuchten zu erkennen, das sie alle schon gesehen hatten.

„Das Schisma“, staunte Zertan. „Seht! Das ist der Zeitvortex, in den wir bei der Prüfung geblickt haben.“

Malron hielt sich mit einer Hand an der Wand der TARDIS fest. Nur langsam fand er wieder zu sich. Er hatte in seinem über dreitausend Jahre währenden Leben schon vieles gesehen und erlebt, doch dies übertraf alles. Langsam begann er, die Prellungen und Schrammen zu spüren, die er sich bei dem harten Sturz zugezogen hatte.

„Ist einer von Ihnen verletzt?“, fragte er.

Die jungen Männer tasteten sich ab und schüttelten die Köpfe. Auch sie waren glimpflich und mit nur wenigen, oberflächlichen Schürfwunden davongekommen.

„Dann lassen Sie uns zurückkehren. Ich glaube, wir benötigen alle eine lange Ruhepause. Morgen erholen Sie sich bitte und unternehmen nichts. Für die erste Reise in einer TARDIS haben Sie sich wirklich erstaunliche Ziele ausgesucht.“

„Tarwens ist am spektakulärsten. Ich glaube, unsere beiden waren dagegen harmlos“, meinte Sendor gutmütig. Er klopfte ihm auf die Schulter. „Das war fantastisch.“

„Hätte ich gewusst, wie bizarr das wird, hätte ich es nie gewagt“, gab Tarwen zu. Es war ihm ernst damit, doch in seinen Augen stand etwas Anderes. Tief in seinem Inneren war er begeistert von dem Erlebnis.

 

Der Tod muss warten

Tarwen rieb sich leicht über die Augen und lehnte sich zurück. Mit einem leichten Fingerdruck ließ er den Text auf dem Monitor verschwinden. Der Bericht über den Sonnenquarz des Asteroiden Rallindir war hochinteressant gewesen. Er strich über den Quarzbrocken, der auf dem Tisch lag, bevor er ihn behutsam in dessen schützende Hülle zurücklegte.

Danach sah er seine persönlichen Nachrichten durch. Bei einer verzog er das Gesicht. Wieder ein Forschungsauftrag, der bestimmte, in der Matrix gespeicherte Daten betraf. Nein, dazu hatte er jetzt keine Lust mehr. Seit Monaten erledigte er ausschließlich derartige Untersuchungen. Er wusste genau, dass der Hohe Rat dahinter steckte. Man versuchte auf diese Weise, ihn in der Akademie festzuhalten. Ständig wurden ihm Aufgaben angeboten, die oftmals wirklich faszinierend waren. Doch sein Drang zu reisen war wesentlich stärker und Tarwen ließ sich längst nicht mehr davon abhalten, ihm nachzugeben. Seine innere Unruhe war in den letzten Tagen immer stärker geworden. Kurzerhand schickte er eine Ablehnung und nahm Verbindung mit dem Timelord auf, der für die Verteilung der TARDIS-Schiffe zuständig war.

„Kochestem, ich möchte fortfliegen. Habt Ihr eine TARDIS zur Verfügung?“

„Ihr seid doch erst seit einem halben Jahr wieder hier auf Gallifrey. Ich kenne wirklich niemanden, der derart begierig auf Zeitreisen ist, wie Ihr.“ Der schon ältere Mann lachte gutmütig.

Wie immer fühlte Tarwen warmen Stolz in sich aufsteigen, wenn er die respektvolle Anrede hörte, die den vollausgebildeten Timelords vorbehalten war. Seit fast zwei Jahrzehnten durfte er sich so nennen.

Er erinnerte sich gut an den Tag, an dem er offiziell diesen Rang erhielt – und damit auch die Fähigkeit der Regeneration. Obwohl es wesentlich weniger erhaben gewesen war, als er sich vorgestellt hatte. Sie waren wieder in das abgeschiedene Gebiet geflogen, in dem sich das Schisma befand. Aber diesmal war es nicht darum gegangen, nur in den Zeitvortex zu sehen.

Als Tarwen aus dem Transporter ausstieg, sah er sich neugierig um. Doch das Tal hatte sich in den sechs Jahrzehnten nicht verändert. Wie ausgestorben und scheinbar ohne jedes Leben lag es zwischen den hohen, teils schneebedeckten Berggipfeln verborgen. Der Boden war trocken und mit Geröll übersät. Nur an den Hängen wuchsen verschiedene kleine Sträucher, dazwischen das auf Gallifrey weitverbreitete rote Gras.

Er erinnerte sich an die Panik, die er damals, bei der Prüfung, verspürt hatte und musste lächeln. Nein, Angst hatte er dieses Mal nicht, doch eine gewisse Unruhe und Anspannung konnte er nicht leugnen. Tarwen ging auf die Bodensenke zu. Trotz der langjährigen Vorbereitung und des Studiums der Zeit lief ihm ein leichter Schauder den Rücken hinunter, als er in das Schisma hineinsah.

Es war ein Blick in eine unendliche Tiefe, voller Energie und Bewegung. Er sah, wie sich Zeitlinien bildeten und wieder zerrissen. Wie die Ströme von Fixpunkten gebändigt wurden und sich verschiedenste Strukturen bildeten. Dazwischen kam es immer wieder zu Ausbrüchen völlig ungebändigter Zeitenergie, die um schon vorhandene Gebilde floss. Es war erschreckend und faszinierend zugleich.

Tarwen ging in die Knie und hielt seine Hände an den Rand des Dimensionsrisses. Er konnte die unglaubliche Kraft dort drinnen spüren. Ein schwaches Leuchten bildete sich, trieb wie eine Welle auf seine Hände zu und umgab sie. Es war wie ein Streicheln. Dann drang es in die Haut ein. In seinen Fingern prickelte es, als würden feine Nadeln sie berühren. Tarwen konnte ein Zusammenzucken nicht vermeiden. Dennoch zog er sie nicht zurück. Die Energie floss durch ihn hindurch und schien jede Zelle seines Körpers auszufüllen. Schließlich erlosch das Schimmern. Das Kribbeln, das sich über seinen gesamten Leib verbreitet hatte, ließ nach und verschwand.

Der junge Timelord stand auf und sah den Ausbilder an, der ihn hierher begleitet hatte.

„Wie fühlt Ihr Euch? Manchmal nimmt man zu viel in sich auf. Das kann sehr unangenehm sein.“

„Ich spüre überhaupt nichts mehr. Als sei die Energie völlig verschwunden“, erklärte Tarwen.

Dann registrierte er die Anrede. Stolz erfüllte ihn. Er war nicht nur ein Timelord, sondern besaß nun den Status der besten von ihnen. Tief atmete er ein und sah sich um. Nichts hatte sich in dem Tal verändert und doch erkannte Tarwen nun deutliche Zeitstrukturen. Er begriff, dass er bisher nur die kräftigsten, stärksten dieser Ströme gesehen hatte. Jetzt erfasste er auch feinste Zeitlinien und schwächste Formen. Und die gespeicherte Energie würde ihm auch die Regeneration in einen neuen Körper ermöglichen. Seine Lebensspanne hatte sich somit vervielfacht.

Seit jenem Tag durfte er selbstständige Reisen in einer TARDIS unternehmen. Der Hohe Rat hatte versucht, ihn noch einmal zu einem Leben in der Akademie zu überreden. Doch Tarwen hatte höflich, aber sehr bestimmt erklärt, er habe die Ausbildung zum aktiven Forscher erhalten und wolle das auch umsetzen.

Natürlich studierte er weiter. Timelords lernten jahrhundertelang in der Akademie. Selbst mit ihren hochentwickelten Gehirnen und der Fähigkeit, nahezu unendlich viele Daten aufzunehmen, benötigten sie diese Zeit, um zumindest einen Teil des hier bereitgestellten Wissens zu erlernen. Tarwen übernahm auch gerne die für diesen Zweck angebotenen Forschungsarbeiten, aber nur, solange sie ihn nicht am Reisen hinderten. Das Universum zu erkunden, andere Welten, Monde oder Asteroiden zu sehen und ihre Schönheiten und Wunder in sich aufzunehmen – das war sein Lebenselixier.

 

Deshalb schmunzelte er über Kochestems  Bemerkung. „Ihr wisst doch, wie gerne ich unterwegs bin. Also gibt es eine TARDIS, die ich mir nehmen kann?“

„Sicher gäbe es die. Doch ich weiß, dass der Hohe Rat Euch sprechen möchte. Habt Ihr noch keine Benachrichtigung der Kanzlerin erhalten?“

„Nein. Ich wüsste auch nicht, weswegen.“ Tarwen sah Kochestem fragend an.

„Das weiß ich nicht. Aber es scheint wichtig zu sein. Es tut mir leid, Tarwen, aber ich darf Euch vorher keine TARDIS zur Verfügung stellen.“

Missmutig nickte der. Was wollte man jetzt schon wieder von ihm? So sehr er den Hohen Rat respektierte, es störte ihn massiv, dass sie sich immer wieder in sein Leben mischten. Nachdenklich ging Tarwen zu seiner Unterkunft zurück. Vielleicht lag dort schon eine Nachricht vor.

Verdutzt blickte er auf das Signal. Jemand wartete in seinen Räumen auf ihn. Kein Ratsmitglied, und ganz gewiss nicht die Kanzlerin Flavia, würde sich herablassen, zu ihm zu kommen. Neugieirg trat Tarwen ein.

„Keschwar!“, rief er erstaunt aus. „Mit dir habe ich nicht gerechnet.“ Er blickte auf den jungen Mann, der in dem tiefen Sessel saß und nun ärgerlich die Augen zusammenkniff.

„Ich habe dir schon mehrmals gesagt, dass ich mich inzwischen Master nenne. Kannst du dir das nicht merken?“

Tarwen seufzte ein wenig. Schon lange gab es zwischen ihnen nicht mehr den herzlichen, freundschaftlichen Ton von früher. Er vermisste den vertrauensvollen Umgang miteinander noch immer. Obwohl er längst wusste, dass Keschwar ihn eher als nützlich, denn als tatsächlichen Freund ansah, bezeichnete er ihn weiterhin so. Vielleicht würden sie irgendwann wieder die enge Beziehung zurückbekommen, die sie als Kinder besaßen.

„Du siehst irgendwie – krank aus“, stutzte Tarwen plötzlich. „Ist etwas nicht in Ordnung?“

„Das spielt jetzt keine Rolle. Was hast du dem Hohen Rat gesagt?“, forschte der Master und blickte Tarwen eindringlich an. Etwas, das diesen immer sofort verunsicherte.

„Was meinst du … du weißt, weshalb man mit mir sprechen möchte?“

„Du warst noch nicht bei ihnen?“

Tarwen schüttelte den Kopf.

„Sie warten noch ab“, murmelte der Master. Dann blickte er wieder nachdrücklich in Tarwens Augen. „Du wirst dich wie ein Freund verhalten. Das bist du doch – oder?“

„Das weißt du.“ Ein klein wenig lächelte Tarwen dabei. Ja, das war er und würde es auch bleiben.

Das Gesicht des Masters verzog sich schmerzhaft.

„Was hast du?“

„Nichts!“ Damit stemmte sein Besucher sich aus dem Sessel.

Tarwen bemerkte, dass dieser sich nur mit Mühe auf den Beinen hielt. Er unterdrückte eine Bemerkung. Keschwar wurde sofort wütend, wenn jemand an ihm eine Schwäche entdeckte. Es war besser, so zu tun, als habe er nicht gesehen, dass der Freund sich kurz an der Lehne festgehalten hatte.

„Ich erwarte, dass du zu mir hältst. Schwöre es mir!“

„Da gibt es nichts zu schwören, Keschwar – Master“, verbesserte sich Tarwen rasch. „Aber, wenn es dir so wichtig ist, ich verspreche es dir.“

Sofort glättete sich die Miene seines Besuchers, er rang sich sogar ein Lächeln ab, verließ dann aber in seltsamer Eile den Raum. Tarwen sah ihm hinterher. Warum hatte er nicht energischer nachgefragt, worum es überhaupt ging? Er hatte ein Versprechen gegeben, ohne zu ahnen, ob er es würde halten können. Er kannte die Antwort jedoch. Er hatte versucht, Streit zu vermeiden. Wann immer er auf jemanden traf, der sich selbstsicher und stark verhielt, zog er sich sofort zurück. Wagte keinen Widerspruch und fügte sich lieber, als seine eigene Meinung zu vertreten. Nur bei den für ihn wichtigsten Angelegenheiten schaffte er es, sich zu behaupten und es kostete ihn jedes Mal viel Kraft.

‚Du bist und bleibst ein Feigling‘, dachte Tarwen voller Scham. Doch dann fiel sein Blick auf seine Unterlagen und er fühlte sich etwas zufriedener. Er war auch so erfolgreich, hatte schon viel geforscht und neue Erkenntnisse nach Gallifrey gebracht. Die meisten Reisen mit einer TARDIS waren völlig ungefährlich und gaben ihm die Möglichkeit, unendlich viel zu erleben und zu erfahren. Mehr wünschte Tarwen sich gar nicht. Er brauchte sich nicht zu schämen, weil er kein Kämpfer wie Keschwar sein konnte – und auch nicht sein wollte.

Am nächsten Tag wurde er in die Zitadelle beordert. Im höchsten Turm befanden sich die Räume des Inneren Zirkels. Tarwen war vor Aufregung fast atemlos, als er in den großen, erhaben eingerichteten Raum trat. Mehrere Ratsmitglieder waren anwesend, dazu die Kanzlerin.

„Tarwen, ich danke Euch, dass Ihr sofort gekommen seid. Die Angelegenheit ist ziemlich wichtig, wie Ihr wisst.“

„Lord Kanzlerin.“ Tarwen neigte kurz den Kopf, blickte jedoch fragend von einem zum anderen. „Aber worum handelt es sich denn?“

Die stolze Frau hob überrascht den Kopf. In dem langen, weinroten Umhang wirkte sie noch größer, als sie ohnehin war. Der riesige, mit goldenen Borten verzierte Kragen umgab ihren Hinterkopf wie ein Kranz, die seitlichen Ausläufer reichten bis zu ihren Schultern. Es war eine der kostbarsten Roben, die Tarwen bisher gesehen hatte.

„Hat man Euch nicht informiert?“

Er schüttelte den Kopf.

„Oh!“ Ratsmitglied Dorik wandte sich ihm zu. „Dann wisst Ihr nicht über Keschwar Bescheid? Oder dem Master, wie er sich inzwischen meist nennt.“

„Nein, was ist mit ihm? Ich sprach erst gestern mit ihm.“ Und dieser hatte wissen wollen, was er dem Hohen Rat gesagt hatte, fiel ihm ein.

„Gestern? Das ist unmöglich.“

„Er war bei mir“, beteuerte Tarwen.

Die Kanzlerin beugte sich über den Kommunikator. „Zustandsbericht und Anwesenheit des Krieger-Timelords Master.“

Sie las die Antwort und hob die Augenbrauen empor. „Er war mehrere Stunden fort. Anscheinend hat er sich starke Stimulanzien zugeführt. Interessant.“

Tarwen begriff überhaupt nichts. Dorik führte ihn zu einer erhöhten Plattform im Hintergrund des Raumes. Dort stand eine Liege, mit einem Tuch abgedeckt.

„Das ist die Erklärung.“ Mit diesen Worten hob er den hellen, dünnen Stoff hoch. Darunter lag Keschwar, bleich und leblos.

„Der Master wurde schwer verwundet. Er ist praktisch tot, auch wenn sein Gehirn noch am Leben gehalten wird. Mit Hilfe starker Stimulanzien konnte er wohl eine Weile bei Bewusstsein sein. Doch das ist jetzt unwichtig. Der Hohe Rat steht nun vor einer Entscheidung. Soll ihm die Regeneration gestattet werden oder nicht?“

Flavia sah Tarwen eindringlich an. „Deshalb wurdet Ihr gerufen. Ihr kennt den Master seit langer Zeit und könnt seinen Charakter beurteilen. Viele Ratsmitglieder befürworten eine Lagerung in einer lebenserhaltenden Umgebung, ohne ihn jedoch regenerieren zu lassen.“

„Das ist grausam“, entfuhr es Tarwen.

„Genau das ist unser Problem.“ Die Kanzlerin seufzte und blickte Tarwen forschend an. „Wir haben noch nie darüber gesprochen, aber uns ist bekannt, dass Ihr schon lange über gewisse, eigentlich geheime Informationen verfügt. Ich meine die Prophezeiung, die euch und den Master betrifft.“

Zögernd nickte Tarwen. Er fragte sich, ob sie auch von der zweiten wusste. Oder ob dies ein Geheimnis war, das nur ihm bekannt war. Er verdrängte den Gedanken sofort. An die unheilvollen Worte der Matrix erinnerte er sich nur höchst ungern.

„Wir erfuhren zufällig davon“, gab er zu.

„Deshalb haben wir dieses Problem. Der Master hat sich in den vergangenen Jahrzehnten gegen unseren Willen die Ausbildung zum reisenden Timelord erschlichen. Anders kann man es nicht nennen. Seine Gönner verschaffen ihm immer wieder Vorteile. Bisher konnten wir zumindest verhindern, dass er Zugang zu den Zeitkapseln erhält – und die Regenerierung haben wir ihm ebenfalls versagt. Sein Charakter spricht dagegen. Doch nun stehen wir vor einer schweren Entscheidung. Aufgrund der Prophezeiung können und dürfen wir ihn nicht sterben lassen. Wir haben nur die Möglichkeit, ihm jetzt doch die Regenerationsfähigkeit zu geben und ihn damit offiziell als Krieger-Timelord anzuerkennen – oder ihn in diesem Zustand zu lassen. Weder lebendig noch tot.“

Blass bis in die Lippen sah Tarwen auf den leblosen Körper. Er dachte an die häufigen Wutausbrüche des Freundes. An seine Art, andere zu demütigen und in ihnen höchstens praktische Werkzeuge zu sehen. Und dass er davon überzeugt war, jedem überlegen zu sein. Das alles sprach dagegen.

Dennoch … Keschwar war sein Freund. Er würde ihn verlieren, wenn er jetzt nicht für ihn sprach. Noch schlimmer – er wäre schuldig an dem grauenhaften Schicksal, das auf ihn wartete.

„Er hat es verdient. Keschwar, ich meine, der Master hat alles versucht, um eines Timelords würdig zu sein.“ Tarwens Stimme war fest. Er sah jedoch niemanden im Raum an, als er weitersprach. Seine Augen waren auf den Freund geheftet. „Ich hoffe, dass ihm die Regeneration gestattet wird.“

Die Männer und Frauen sahen sich an. Schließlich ergriff die Kanzlerin das Wort. „So soll es geschehen. Wir einigten uns darauf, diesen jungen Timelord zu befragen und sein Urteil als langjährigen Begleiter und Freund des Masters zu akzeptieren. Lasst den Körper in das Tal bringen.“

Wieder in seiner Unterkunft kam Tarwen das Erlebte fast unwirklich vor. Hatte er aus Überzeugung gesprochen? Oder wollte er sein Verspechen halten und den Freund nicht endgültig verlieren? Er wusste es nicht. Er setzte sich, stand aber sofort wieder auf. Seine Gedanken ließen sich nicht ordnen. Er wusste genau über Keschwar Bescheid. Nur wer ihm half, war ihm nicht bekannt. Doch der Freund bekam immer wieder die Möglichkeit, den Stoff der ihm vom Hohen Rat verweigerten Seminare zu lernen. Er konnte die meisten Schiffe steuern und war längst ein Krieger. Im Grunde besaß er sämtliche Kenntnisse und Fähigkeiten eines vollausgebildeten Timelords. Theoretisch konnte er sogar eine TARDIS bedienen. Tarwen selbst hatte ihm die Unterlagen dazu gegeben.

Damit war Keschwar einer der Timelords, die das Recht auf Regeneration besaßen. Sicher würde er schon bald von selbst erkennen, wie wichtig die Regeln für aktive Reisende waren. Vielleicht handelte er nur aus Trotz so rebellisch, weil ihm der Hohe Rat nicht vertraute. Oder war es tatsächlich sein Charakter, der ihm im Weg stand? Konnte er ein verantwortungsvoller Timelord werden?

Unfähig, sich auf irgendetwas zu konzentrieren, verließ Tarwen die Räume und wanderte ziellos durch die Gänge. Irgendwann fand er sich in den Randbezirken wieder. Hier gab es lange Korridore, deren transparente Außenseiten auf die Stadt zeigten. Überall waren Durchgänge zu den großen Aussichtsplattformen unter freiem Himmel. Tarwen ging hinaus und setzte sich auf eine Bank.

Er hatte noch nie eine Regeneration gesehen. Es sollte unangenehm sein. Den Keschwar, den er kannte, würde es danach nicht mehr geben, denn nicht nur der Körper veränderte sich dabei. Jeder Charakter bestand aus vielen verschiedenen Komponenten. Eine Regeneration bedeutete, dass diese neu geordnet wurden. Manche Interessen traten in den Hintergrund, Eigenschaften, die bisher eher untergeordnet waren, konnten dann das Verhalten dominieren. Wie der neue Keschwar denken würde, war dadurch kaum vorherzusehen.

Tarwen schüttelte den Kopf, als wolle er den Gedanken wie ein Insekt verscheuchen. Um sich abzulenken sah er auf die Gebäude und das lebhafte Treiben tief unter sich. Wann war er eigentlich das letzte Mal in der Stadt gewesen? Während seiner Ausbildung war er oft dorthin gegangen, um sich zu amüsieren. Aber später? Seine Reisen und Forschungen hatten ihn derart in Anspruch genommen – sie hatten jeden Gedanken an die Welt außerhalb der Akademie vertrieben. Wurde er tatsächlich zu einem der üblichen Timelords, die sich von dem gewöhnlichen Leben der Gallifreyer völlig zurückzogen? War dies unvermeidlich?

Das wollte er nicht. Er war Gallifreyer – und das würde er bleiben. Tarwen stand entschlossen auf. Ein Blick auf seine Kleidung brachte seinen Entschluss kurz zum Schwanken. Ginge er in der Robe der Timelords in die Stadt, käme ihm jeder mit dem selbstverständlichen Respekt entgegen, der ihm gebührte. Er wäre keiner von ihnen. Timelords waren etwas Besonderes.

Tarwen lief zurück. Da er noch keine eigene, nur für ihn reservierte TARDIS hatte, lagerte er die Kleidung für seine Reisen bei sich. Er griff nach der normalen Kleidung eines Gallifreyers und zog sie an. Dann endlich verließ er die Akademie und ging durch die Straßen. Es gefiel ihm, dass niemand ihn beachtete.

In einem der vielen Parks ließ er sich nieder. Er schloss die Augen, sofort kehrten seine Gedanken zu Keschwar zurück. Hätte er anders handeln müssen in der Zitadelle? Hätte er von seinen Bedenken sprechen müssen? Langsam wurde er ruhiger. Nein, Keschwar hatte diese Chance verdient. Er hatte sein ganzes Leben darauf hingearbeitet. Tarwen wusste schließlich, wie wichtig es ihm war, ein anerkannter Krieger-Timelord zu werden. Vielleicht verlor er mit der Regeneration auch diese Wut auf alles und jeden. Er hoffte es jedenfalls. Schließlich hieß es immer, man würde dann jemand völlig anderes werden, obwohl man seine Erinnerungen behielt.

„Es wäre vielleicht besser, Sie würden aus Ihren Träumen aufwachen.“

Die helle Stimme ließ Tarwen aufschrecken. Er öffnete die Augen. Vor ihm stand eine junge Frau, die ihn amüsiert betrachtete. Sie zeigte zum Himmel. Erst jetzt bemerkte er, dass dieser sich mit bedrohlichen Wolken bezogen hatte. Eines der seltenen, dann aber sehr starken Gewitter kam auf.

„Ich habe Sie hier noch nie gesehen. Haben Sie es weit? Sie können auch mit mir kommen. Ich wohne gleich dort vorne.“

Einen Moment war Tarwen unschlüssig. Er sollte in die Akademie zurückkehren. Ein heftiger Windstoß zeigte ihm jedoch, dass er das nicht mehr schaffen würde. Die junge Frau entschied für ihn. Sie ergriff seine Hand und zerrte ihn mit sich.

„Nun machen Sie schon. Oder wollen Sie durchnässt werden?“

Er ließ sich mitziehen und rannte mit ihr durch die schlagartig leeren Straßen. Seine Begleiterin stieß die Tür zu einem der großen, alten Häuser auf und zog ihn hinein. Gerade noch rechtzeitig, denn einen Augenblick später hörte Tarwen das laute Prasseln des Regens.

„Das war knapp.“ Sie lachte. „Kommen Sie, drinnen ist es gemütlicher.“

Sie führte ihn in einen großen Raum. Tarwen sah sich um. Bequeme Sitzgelegenheiten wechselten sich mit kleinen und größeren Tischen ab. An der Wand standen Regale und Schränke, deren Inhalt durch die großen Scheiben sichtbar war. Doch im Gegensatz zur Akademie waren sie nicht mit Speichermodulen gefüllt. Hier standen unzählige Figürchen, abstrakte Formen und kunstvoll geschliffene Mineralien in den vielen Fächern. Fasziniert trat er näher.

„Gefällt es Ihnen?“

Er fuhr herum. „Entschuldigung. Ich bin unhöflich. Vor allem sollte ich mich wohl erst einmal bedanken.“

„Das ist schon in Ordnung. Ich freue mich, wenn Ihnen diese Sachen gefallen. Ich stelle sie her. Ich heiße übrigens Aluanin.“

„Ich bin Tarwen.“ Ein wenig zögerte er. Nein, er würde nicht sagen, dass er ein Timelord war. Es war schön, von ihr so selbstverständlich behandelt und angesprochen zu werden. Obwohl er eigentlich stolz auf seinen Rang war. Aber ihm war heute klar geworden, wie sehr er sich dadurch von allen anderen Gallifreyern unterschied.

Er sah sich wieder um. „Das alles haben Sie selbst gemacht? Es ist wunderschön.“

Ihre Augen strahlten auf. Erst jetzt bemerkte er deren silbrige Farbe, das gleiche Silber, wie die Blätter der Bäume in den Parks. Was für schöne, bemerkenswerte Augen. Er musste sich zwingen, nicht ständig hineinzusehen.

„Das Haus ist groß. Wohnen Sie alleine hier?“, wunderte Tarwen sich. Sie sah noch sehr jung aus.

Aluanin schüttelte den Kopf. „Nein, zusammen mit meinen Eltern, allerdings sind sie nur selten da. Sie sind für die Gewächshäuser in den Außenbezirken verantwortlich und deshalb meistens unterwegs. Aber Sie können mich ruhig noch duzen. Ich bin erst achtundsechzig.“

„Nur, wenn du mich auch duzt. Viel älter bin ich auch nicht. Gerade neunzig.“ Innerlich verspottete er sich. Was war nun mit dem Respekt, auf den er so stolz war? Es gefiel ihm jedoch. Vor allem, wenn das Mädchen ihn so anlachte wie jetzt gerade.

„Gerne. Woher kommst du denn? Ich gehe oft durch die Stadt, habe dich aber noch nie gesehen. Das wüsste ich. Ich kann mir Gesichter gut merken.“

Tarwens Lächeln erlosch. Er mochte sie nicht anlügen. Doch wenn er die Wahrheit sagte würde ihre herzliche Offenheit sofort vorbei sein. Und ganz gewiss würde sie ihn nicht mehr duzen. Das war einem Timelord gegenüber völlig unmöglich.

„Ich … das möchte ich eigentlich nicht sagen“, brachte er leise heraus.

„Ist es denn ein Geheimnis?“

„Das nicht gerade. Aber ich möchte nicht über mich sprechen. Es gibt Gründe dafür, aber die kann ich dir nicht nennen. Kann ich nicht einfach Tarwen sein und sonst nichts?“

Eine ganze Weile sah sie ihn stumm an. Studierte ihn förmlich. Ihr Blick wanderte über sein Gesicht, die Kleidung und Hände. Dann nickte sie plötzlich. „Ich verstehe zwar nicht, warum. Aber es ist dir anscheinend sehr wichtig. Gut, dann frage ich dich nichts mehr.“

„Danke!“ Sein erleichterter Tonfall fiel ihm selbst auf.

„Wenn ich dich nicht ausforschen kann … Was machen wir, bis das Gewitter vorbei ist?“

Er musste schon wieder grinsen, ihre Geradlinigkeit war herzerfrischend. „Vielleicht erzählst du mir etwas von dir? Falls du dazu bereit bist“, schränkte Tarwen hastig ein.

„Warum nicht?“ Aluanin schmunzelte. „Mein Leben ist kein Geheimnis.“

Sie setzte sich ihm gegenüber. „Früher wohnten wir in den Außenbezirken. Aber vor siebzehn Jahren wurde meine Schwester von den Ausbildern der Akademie abgeholt. Sie war für die Prüfung geeignet.“ Das Letzte kam fast atemlos aus ihrem Mund.

Tarwen staunte. „Wenn sie ein Timelord ist, müsstest du das doch auch sein.“

„Nein, ich habe den genetischen Code nicht“, gab Aluanin freimütig zu. „Mutter ist ein Timelord, aber Vater nicht. Natürlich sind die Eltern sehr stolz auf sie. Ich ebenfalls. Und damit wir in ihrer Nähe sein und sie zumindest hin und wieder sehen können, sind wir hierher gezogen. Ihr Erziehungshaus ist ganz in der Nähe.“

Der junge Timelord nickte wieder. Jungen und Mädchen wurden während der Kindheit getrennt. Erst in der Akademie, beim Studium gab es gemeinsame Seminare. Er hatte während der Ausbildung einige flüchtig gekannt, aber nie eine Freundschaft mit einem der Mädchen geschlossen.

„Gefällt es ihr dort?“

„Sie ist begeistert. Sie hofft, bald in die Akademie zu dürfen“, erzählte Aluanin weiter.

Tarwen rechnete kurz nach. „Nun, sie kann doch bestimmt schon hin und wieder dort lernen, wenn sie schon siebzehn Jahre im Erziehungshaus ist.“

„Ja, aber sie möchte so gerne endlich mit dem eigentlichen Studium beginnen. Natürlich hofft sie auf eine möglichst umfangreiche Ausbildung. Sie möchte später reisen und draußen im Universum Forschungen betreiben. Manchmal bin ich ein wenig neidisch, das gebe ich zu. Aber ich gönne es ihr und sie erzählt mir immer viel und meint, später, wenn sie fertig ist, könnte sie mich sicher manchmal mitnehmen.“

Tarwen schmunzelte über ihre Begeisterung. „Ganz so einfach wird das vermutlich leider nicht. Es ist nicht ganz ungefährlich. Aber mit den normalen Schiffen wird es ihr bestimmt hin und wieder erlaubt werden.“

Sie stutzte. „Du kennst dich aber gut aus. Woher denn?“ Sie biss sich auf die Lippen, als sie seine Reaktion sah. „Entschuldige. Ich soll ja nicht fragen.“

Zerknirscht sah Tarwen das hübsche Mädchen an. „Ich … ich will dich nicht anlügen. Aber die Wahrheit möchte ich auch nicht sagen.“

„Ist sie denn so schlimm?“ Sie fragte ganz leise. „Ist es …. Wahrscheinlich sollte ich nicht fragen, aber ich weiß, dass manche Kinder nicht für eine Ausbildung zum Timelord geeignet sind, auch wenn sie die Gene besitzen. Ist das bei dir so? Schämst du dich deswegen? Das brauchst du nicht, ganz bestimmt nicht.“ Sie beugte sie vor. Es war deutlich sichtbar, wie wichtig es ihr war, ihm dies klarzumachen.

„Nein“, wehrte er ab. „Nichts dergleichen. Aber – es würde alles verändern“, gab er dann zu.

„Was denn verändern?“

„Das kann ich nicht erklären.“

„Vielleicht später. Wenn wir uns besser kennen.“ Sie wurde verlegen. „Ich meine, wenn du willst, und wir uns noch einmal treffen.“

„Ja?“ Tarwen strahlte sie an. „Ich würde dich gerne wiedersehen.“

Beide blickten überrascht auf, als der Raum heller wurde. Das Gewitter war vorbei, und die Sonne leuchtete wie gewohnt aus einem fast wolkenlosen Himmel.

„Gehen wir ein wenig spazieren? Ich war so lange nicht mehr in der Stadt, dass ich mich kaum noch auskenne. Und ich würde mich gerne weiter mit dir unterhalten.“ Tarwen wollte vor allem mit diesem Mädchen zusammen sein und freute sich unbändig, als sie sofort nickte. Während sie durch die Straßen und Plätze schlenderten, erzählte Aluanin ihm vieles von ihrer Familie. Ihr Vater hatte ihr bereitwillig eine Ausbildung an der künstlerischen Universität ermöglicht, da sie schon in ihrer Kindheit gerne modelliert hatte. Seitdem schuf sie immer neue Kunstwerke, die in vielen Galerien gezeigt wurden.

„Die möchte ich gerne sehen. Gehen wir demnächst einmal in eine dieser Ausstellungen?“, schlug er vor.

„Gerne. Interessiert dich das wirklich?“

„Natürlich“, versicherte Tarwen. Selbst wenn ihm die kleinen Kunstwerke bei ihr zu Hause nicht sofort ins Auge gefallen wären, würde er ihre Werke anschauen wollen. Denn dann würde er auch sie wiedersehen. Sie verabredeten sich gleich für den nächsten Tag. Schließlich verabschiedete er sich. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, als Aluanin sofort akzeptierte, dass sie ihn nicht begleiten konnte. Damit erfuhr sie nicht, dass er zur Akademie ging.

Erst in seiner Unterkunft fiel ihm auf, dass er seine Absicht, eine weitere Reise zu unternehmen, völlig vergessen hatte. Nun, die TARDIS lief ihm nicht weg. Er konnte jederzeit losfliegen und trotzdem morgen wieder hier sein und seine Verabredung einhalten. Egal, wie lange er unterwegs war. Zumindest für Aluanin würde sich nichts verändern. Er jedoch müsste länger auf das Wiedersehen warten. Der Gedanke gefiel ihm gar nicht.

Viel zu früh verließ er am nächsten Tag die Akademie und wartete im Park auf Aluanin. Strahlend blickte er ihr entgegen und nicht einmal ihr schelmisches Lächeln brachte ihn in Verlegenheit.

„Ist es schlimm, dass ich zu früh gekommen bin?“, fragte er.

Sie schüttelte nur den Kopf und nahm seine Hand in die ihre. Während des gesamten Weges zur nächsten Galerie ließ er sie nicht mehr los. Tarwen bewunderte ehrlich ihre Werke. Ein kleines, silbrig schimmerndes Bäumchen hatte es ihm besonders angetan.

„Es sieht absolut echt aus. Das möchte ich besitzen.“ Er ließ sich nicht davon abhalten und wehrte auch entschieden ab, als Aluanin es ihm schenken wollte. Als Timelord war er automatisch wohlhabend. „Nein, das ist eine Kostbarkeit und soll auch so behandelt werden.“

In den darauffolgenden Tagen trafen sie sich ständig. Tarwen bekam jedoch ein immer schlechteres Gewissen. Er musste ihr die Wahrheit sagen, hatte allerdings Angst davor. Timelords gingen nur selten Beziehungen mit normalen Gallifreyern ein. Dazu lebten sie zu anders. Würde Aluanin ihm weiterhin so offen und herzlich entgegenkommen, wenn sie erfuhr, dass er zu den fast ewig Lebenden gehörte? Immer wieder nahm er sich vor, mit ihr zu sprechen – und immer wieder zögerte er es hinaus.

 

Ausflug ins Glück

Aluanin lachte über Tarwens Miene. „Ist es denn so schlimm, dass meine Eltern dich kennenlernen möchten?“

Rasch schüttelte er den Kopf. Sie saßen im Park, auf ‚ihrer‘ Bank. Er legte den Arm um ihre Schultern. „Nein, sicher nicht. Aber … sie werden mir bestimmt Fragen stellen.“ Noch immer hatte er nicht den Mut gefunden, Aluanin zu sagen, wer bzw. was er war. Mit Sicherheit würde ihre Familie nicht akzeptieren, wenn er ein Geheimnis aus sich machte. Abgesehen davon, kam er sich langsam selbst albern vor.

„Nein! Ich sagte ihnen, dass du nicht über dich sprechen möchtest. Sie finden es natürlich seltsam, akzeptieren es aber. Mutter meint, wenn es mich nicht stört, ist das in Ordnung.“

„Deine Eltern sind außergewöhnlich.“ Tarwen zögerte. „Und dir macht das wirklich überhaupt nichts aus?“

Ein feines, fast ein wenig überlegenes Lächeln spielte um Aluanins Mund. „Absolut nicht. Ich weiß, dass du irgendwann sprechen wirst. Das fühle ich. Mir wird oft nachgesagt, dass ich andere leicht durchschaue und verstehe. Wenn ich spüre, dass ich jemandem vertrauen kann, dann stimmt das immer. Meine Eltern wissen das.“

„Du bist empathisch!“, vermutete Tarwen. Er staunte, überlegte dann aber, dass dies icht ganz so überraschend war. Immerhin war ihre Mutter ein Timelord. Es war mehr als wahrscheinlich, dass Aluanin, obwohl sie nicht die entsprechenden Gene besaß, zumindest einige Fähigkeiten geerbt hatte.

„Na endlich! Hier steckst du. Weißt du, wie schwer es war, dich ausfindig zu machen? Ich habe einen Scanner benutzen müssen.“ Die wütende Stimme ließ beide verblüfft aufschauen.

Der Mann vor ihnen war groß und breitschultrig – und er trug den roten Umhang eines Timelords. In seinen dunklen Augen funkelte es zornig, als er Tarwen ansah. Dann wanderte sein Blick zu Aluanin. Ein kurzes, etwas süffisantes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Und was ist das?“, fragte er mokant. Sein Blick wanderte an dem Mädchen hinunter und wieder hinauf. „Wirklich hübsch, das muss man dir lassen.“

Aluanin zuckte zusammen. Warum beleidigte ein Timelord sie? Im selben Moment wurde sie von Tarwen sanft beiseite geschoben. Er stellte sich vor sie. Einen Wimpernschlag lang hatte er den Mann verständnislos gemustert. Die schlanke, fast drahtige Gestalt, das kantige Gesicht, die kurzen, dunklen Haare. Doch Timelords erkannten sich immer, egal, wie sehr sie sich durch eine Regeneration veränderten.

„Keschwar!“, stieß er hervor.

„Ich. Heiße. Master! Begreife das endlich!“

Jetzt blitzte auch Tarwens Augen voller Wut. „Ich dulde nicht, dass du Aluanin beleidigst. Es ist eines Timelords unwürdig, sich derartig unverschämt zu benehmen. Du wirst dich bei ihr entschuldigen. Sofort! – Master!“ Er betonte den Namen derart auffällig, dass der Angesprochene die Augenbrauen hochzog.

„Du kannst ja richtig energisch werden“, spottete dieser. Dann wurde sein Blick nachdenklich. „Obwohl … wenn dir früher etwas wirklich wichtig war, warst du das eigentlich schon immer“, überlegte er. „Nur fiel das nie auf. Vielleicht habe ich dich unterschätzt.“

Er wandte sich dem Mädchen zu. Das Lächeln, mit dem der Master sie bedachte, ließ sein hartes Gesicht erstaunlich attraktiv wirken. „Ich bitte also um Entschuldigung, meine Liebe. Es war etwas überraschend für mich, dass ein Timelord mit Ihnen hier ist.“ Sein arroganter Tonfall strafte seine Worte jedoch sofort als Lügen.

Tarwen hielt vor Schreck die Luft an. Einen kurzen Moment blieb Aluanin still, dann erklärte sie völlig ungerührt: „Ich verzichte auf Eure Entschuldigung.“

„Wie großmütig.“

„Was willst du?“ Tarwen hätte ihn am liebsten auf den nächsten Asteroiden verfrachtet. Was musste Aluanin jetzt nur denken?

„Ich habe mit dir zu reden.“ Der Master sah Tarwen stirnrunzelnd an. „Warum hast du eigentlich diese Kleidung an? Ich musste zweimal schauen, bis ich dich erkannte.“

„Jetzt nicht.“ Erst musste er sich mit Aluanin aussprechen, ihr alles erklären. Warum war aber auch ausgerechnet Keschwar – der Master – hier aufgetaucht? „Ich bin heute Abend wieder in der Akademie.“

Jetzt konnte er es ja zugeben. Es hatte keinen Sinn mehr, geheimnisvoll über sich zu schweigen.

„Die Kleine scheint dir tatsächlich wichtig zu sein“, meinte der Master verächtlich und ignorierte den wütenden Blick, den Tarwen ihm zuwarf. „In Ordnung, dann gegen acht Uhr. Ich komme zu dir.“

Erleichtert sah der junge Timelord ihm nach, als der Master sich, nach einem kurzen Nicken in Aluanins Richtung, abwandte. Sein Zorn verrauchte schlagartig und machte herber Enttäuschung Platz. Der ehemalige Freund hatte sich nur äußerlich verändert, das allerdings sehr stark. Aus dem Jüngling war ein Mann geworden, der auch vom Körperbau her ein Kämpfer war. Doch seine Wesensart war offensichtlich gleich geblieben. Noch immer war er von Wut und Arroganz erfüllt. Tiefes Bedauern erfüllte Tarwen. Er hatte gehofft, den Freund aus Kindertagen wiederzufinden.

Diese Gedanken schob er jedoch rasch beiseite. Aluanin war wichtiger. Er wagte es kaum, zu ihr zu schauen. Wie würde sie jetzt reagieren?

„Tarwen, sieh mich an.“

Ihre weiche Stimme ließ ihn hoffen. Voller Schuldbewusstsein blickte er ihr in die so außergewöhnlichen, silbrigen Augen. Doch sie wirkte überhaupt nicht ablehnend. Ihre Hände legten sich um sein Gesicht. Leise fragte sie: „Das ist die ach so schreckliche Wahrheit? Du bist ein Timelord?“

Er nickte und sah überrascht, wie sie zu lächeln begann. Noch immer lagen ihre Hände an seinen Wangen. Leicht zog sie seinen Kopf herunter. Und dann küsste sie ihn – zum ersten Mal. Ganz kurz nur berührten ihre Lippen die seinen.

„Du Dummkopf“, flüsterte sie. „Du lieber, lieber Dummkopf.“ Nach jedem Satz küsste sie ihn wieder – kurz und unglaublich weich. „Warum hast du daraus so ein Geheimnis gemacht?“

Fast vergaß er das Antworten, so süß waren diese Küsse. Allerdings viel zu kurz. Warum zog sie sich immer wieder zurück?

„Aluanin, kannst du nicht endlich …“ Im selben Moment sah er das schelmische Leuchten in ihren Augen und begriff. Seine Hände lagen längst um ihre Schultern. Rasch zog er sie an sich und verschloss ihren Mund. Es dauerte lange, bis er ihre Lippen wieder freigab. Sie rangen beide nach Atem.

Doch Tarwen hatte ihre Frage nicht vergessen. Er legte seine Stirn an ihre und fragte zurück: „Wärst du mir dann so offen entgegengekommen? Hättest du dich wieder mit mir getroffen?“

Sie bog sich zurück, damit sie ihn ansehen konnte. „Nat…“ Sie unterbrach sich selbst und seufzte. „Nein, vermutlich nicht. Aber Tarwen“, sie drückte seine Hände, „das wäre nur anfangs so gewesen. Wir treffen uns seit fünf Tagen. Vom ersten Augenblick an warst du mir vertraut, als würden wir uns schon ewig kennen. Das musst du doch gespürt haben.“

„Ich war mir deiner leider gar nicht so sicher. Ich hatte Angst, dich wieder zu verlieren. Ob … ach Aluanin, wir leben doch so anders. Es gibt eine Menge, das mich von dir unterscheidet. Ich habe einfach nicht gewagt, dir all dies zu erklären. Ich bin ein ziemlicher Feigling“, gab er zerknirscht zu.

„Oh nein“, widersprach das Mädchen ihm. „Du denkst nur viel zu viel nach. Und dabei übersiehst du das Offensichtliche. Hast du vergessen, dass meine Schwester in einem der Erziehungshäuser ist? Ich erzählte dir doch, dass sie die vollständige Ausbildung zum Timelord machen möchte. Ich weiß also, wie sie sich verändern wird.“

Er zog sie wieder an sich und küsste sie, bis ihnen schwindlig wurde. „Ich liebe dich, Aluanin.“ Ein glückliches Lächeln überzog sein Gesicht. „Ich liebe dich“, wiederholte er. „Du bist einzigartig. Niemals wieder wird jemand anderes dieses Wort von mir hören.“

Sie drückte ihm rasch die Hand auf den Mund. „Oh nein! Sag das nicht. Du vergisst gerade selbst, inwiefern du dich von mir unterscheidest. Du wirst viel länger leben als ich. Es wäre furchtbar, wenn es dann niemanden mehr für dich gäbe.“ Sie lachte, um ihren Worten den Ernst zu nehmen, der dahinter steckte. „Aber das wird noch sehr lange dauern. Wir sind beide jung. Und ich bestehe allerdings darauf, dass du in den nächsten Jahrhunderten nur mir diese herrlichen Worte sagst.“

Er schloss sie wieder in die Arme. Seine Augen bohrten sich förmlich in die ihren. „Heißt das“, fast wagte er nicht weiterzusprechen, doch das Strahlen in ihren Augen war schon die Antwort. Atemlos fuhr er fort: „Du wirst bei mir bleiben? Als meine Gefährtin, meine Frau?“

Er wartete kaum ihr Nicken ab, wirbelte sie herum und küsste sie wieder und wieder.Es war unwichtig, dass sie sich erst so kurze Zeit kannten. Er fühlte, dass sie die Eine war.

„Du bist verrückt. Lass mich los“, schalt sie scherzhaft.

„Nein. Niemals wieder.“

„Du wirst es müssen.“ Aluanin schmunzelte. „Du hast schließlich dein Leben in der Akademie. Dorthin kann ich nicht mitkommen.

„Doch“, widersprach er und zog sie übermütig mit sich. „Ich zeige dir mein Leben. Jetzt sofort. Komm mit, du wirst staunen.“

„Tarwen, das geht nicht. Wir sind mit meinen Eltern verabredet. Wenn wir jetzt zur Akademie gehen, wird es bestimmt spät werden.“

Der junge Timelord lachte glücklich auf. „Du irrst dich, mein Schatz. Wir werden absolut pünktlich sein. Komm“, bat er noch einmal. „Ich zeige dir die Wunder des Universums.“

Aluanin konnte kaum Schritt halten, so rasch lief er voraus. „Was meinst du damit?“

„Warte es ab.“

Ohne anzuhalten führte er sie bis zu einer gutgesicherten Tür. Tarwen aktivierte den Kommunikator. „Kochestem. Habt Ihr eine TARDIS zur Verfügung? Es ist wichtig. Sehr wichtig.“ Er zog Aluanin dicht neben sich, so dass sie auf dessen Monitor sichtbar war.

Im Gesicht des älteren Timelords stand pure Neugier. „Ihr seid nicht allein.“

„Nein. Und? Ich habe es wirklich eilig heute.“

Tarwens strahlendes Gesicht ließ den Mann schmunzeln. „Eine TARDIS sollte nur für Forschungsreisen benutzt werden. Und ich bin mir gar nicht sicher, ob Ihr eine solche im Sinn habt. Aber von mir aus. Bucht neunzehn. Das Schiff ist frisch gewartet und einsatzbereit.“

„Danke!“

Die Worte machten Tarwen bewusst, wie sehr er von den Regeln, die der Hohe Rat aufgestellt hatte, gerade abwich. Doch heute war ihm das gleichgültig.

Atemlos folgte Aluanin ihm. Er konnte doch nicht wirklich vorhaben, mit ihr fortzufliegen? Ihre Eltern warteten doch auf sie. Trotzdem trat sie neugierig in den kleinen Raum, zu dem er sie führte. Bis auf einen tiefschwarzen Schrank war er leer. Tarwen öffnete ihn und bedeutete ihr, voranzugehen.

„Was willst du in einem Schrank? – Ohhhh“, hauchte sie dann und sah sich staunend um.

Tarwen trat an die Steuerungskonsole und beobachtete dabei, wie Aluanin sich mehrmals um sich selbst drehte. Schließlich wandte sie sich wieder ihm zu und bemerkte, wie seine Mundwinkel vor verhaltenem Lachen zuckten.

„Und? Was sagst du dazu?“

Sie blickte sich noch einmal um und meinte trocken: „Du bist wohl nie auf die Idee gekommen, dass ein paar Sitzgelegenheiten ganz sinnvoll wären.“

Er prustete los. „Du bist herrlich! Kein Staunen, keine Verwunderung. Ich liebe dich!“

Mit geübten Handgriffen gab er einige Koordinaten ein. Alles andere spürte das Schiff in seinem Geist. Die vielen mechanischen Schaltelemente bediente er nur selten. Bei vielen wusste er nur ansatzweise, wofür sie da waren. Es interessierte ihn nicht. Das umfangreiche Handbuch einer TARDIS hatte er irgendwann einmal grob durchgeblättert und dann schaudernd in irgendeine Schublade geworfen. Er steuerte lieber intuitiv.

Die Säule erwachte zum Leben und wurde hell. Aluanin sah erst diese, dann ihn an. „Tarwen! Kannst du mir versprechen, dass wir meine Eltern nicht warten lassen? Sonst lass mich sie anrufen und ihnen Bescheid geben, dass wir später kommen.“

„Dies ist eine Zeitmaschine, Schatz. Wir werden genau dann wieder hier sein, wann wir es wollen.“

„Wohin bringst du mich?“

„Lass dich überraschen.“

Tarwen schaltete wieder und die Energie in der Säule sank in sich zusammen. Er nickte ihr zu. Langsam breitete sich Aufregung in der Miene des Mädchens aus.

„Was ist da draußen?“

„Sieh nach.“

Er nahm ihre Hand und gemeinsam traten sie hinaus. Etwas verdutzt sah Aluanin sich um. Sie standen auf eintönigem, grauem Felsenboden, der sich, mit Geröll übersät, vor ihnen erstreckte. Tarwen deutete nach oben. Sie hob den Blick – und hielt den Atem an.

Der Himmel über ihr war fast schwarz. Doch darin schwammen unzählige bunte Schleier. In allen Farben zogen sie über das Firmament. Manche erschienen nur ganz kurz, ehe sie wieder spurlos vergingen. Andere glitten wie gewaltige, geschwungene Bänder über ihnen dahin. Ruhig und langsam, fast majestätisch, woben sie sich durch die Dunkelheit.

„Die farbigen Ringe von Manturin“, erklärte Tarwen. „Wir sind auf einem der unzähligen Asteroiden um den riesigen Planeten. Was du siehst, sind die kleinen und kleinsten Staubpartikel, die von der Strahlungsenergie der Welt angeregt werden.“

„Welcher Welt? Ich sehe nichts außer diesen Schleiern.“

„Warte noch ein wenig.“ Er führte sie ein paar Schritte weiter. „Aber nicht umdrehen.“

Eine ganze Weile bestaunte sie den wie lebendig wirkenden Himmel. Dann spürte sie in ihrem Rücken eine kräftiger werdende Wärme. Fragend sah sie Tarwen an, der den Kopf schüttelte. So übte sie sich in Geduld. Es wurde langsam immer heller, doch die farbigen Schleier blieben weiterhin deutlich sichtbar.

Dann, von einem Moment zum anderen, schien der Himmel zu explodieren. Die Bänder zogen nicht mehr ruhig dahin. Sie wirbelten wild durcheinander, bildeten Kreisel oder sprühten wie bunte Springbrunnen. Leuchtende Kugeln in allen Farben und Größen glitten in den jetzt hellgelben Himmel hinauf und zerplatzten dort in einem bunten Feuerreigen.

Aluanin konnte sich nicht sattsehen. Doch immer noch hinderte Tarwen sie daran, sich umzudrehen.

„Was ist hinter uns? Woher kommt diese Wärme?“

„Mach die Augen fast zu und erschrick nicht.“

Langsam wandte sie sich um, legte die Hände vor die Augen und linste nur durch die Finger hindurch. Eine grell leuchtende Kugel hatte sich über den Horizont geschoben. Obwohl erst ein Drittel des riesigen Planeten sichtbar war,  bedeckte er fast die Hälfte des Himmelgewölbes.

„Manturin. Lange können wir nicht mehr bleiben. Wenn er noch höher steigt, wird die Hitze unerträglich. Doch die Weltenaufgänge sind spektakulär.“

Das Mädchen konnte nur stumm nicken. Sie drehte der fast schmerzenden Helligkeit den Rücken zu und starrte nach oben zu diesem unglaublichen Feuerwerk. Irgendwann wurde die Temperatur jedoch wirklich unangenehm. Tarwen zog sie wieder in die TARDIS zurück.

„Das war … dafür gibt es keine Worte“, brachte sie heraus. „Wie viele solcher Wunder gibt es?“

„Unzählige.“ Er blickte versonnen zur Tür, dann lächelte er. „Es gibt für mich nichts Schöneres, als durch das Universum zu reisen, und nach solchen Dingen zu suchen. Du kannst dir nicht vorstellen, was für herrliche Welten es gibt.“

„Doch, ein wenig kann ich mir das vorstellen.“ Aluanin kicherte, als sie seinen erstaunten Blick sah. „Es gibt in den Bildungshallen immer wieder Vorträge und Aufzeichnungen von anderen Planeten. Timelords wie du bringen diese Kenntnisse und Daten nach Gallifrey. Du bist einer von denen, die uns die Wunder des Universums vermitteln.“ Liebevoll umarmte sie ihn.

„Du verstehst mich?“

Sie lächelte. „Ja! Ich weiß auch, dass dieser fantastische Ausflug nicht nur eine Überraschung für mich sein sollte. Du wolltest mir auch zeigen, was du machst. Tarwen, ich werde dich niemals daran hindern, diese Reisen zu unternehmen. Ich werde immer auf dich warten, wenn du unterwegs bist.“

„Ich werde dich nicht warten lassen. Du vergisst, dass du in einer Zeitmaschine bist. Ja, ich werde viel weg sein. Doch ich bin immer pünktlich wieder da. Das verspreche ich dir.“

Tarwen ging zur Steuerung. „Und nun zeige ich dir, dass deine Eltern nicht auf uns warten müssen. Wir sind vor dem Tee wieder auf Gallifrey.“

„Wie lange waren wir eigentlich auf diesem Asteroiden? Ich kann es nicht einmal sagen. Es war einfach zu schön.“

„Mehrere Stunden“, gab Tarwen zu. „Aber das spielt keine Rolle. Sieh!“ Er zeigte auf den Zeitmesser. „Wir sind zu Hause und werden pünktlich bei deinen Eltern sein.“

Lachend zog er sie nach draußen. Dies würde nicht die letzte Reise sein, auf der er sie mitnahm. Auch wenn das nicht gerne gesehen wurde. Er würde es durchsetzen.

Als er am frühen Abend seine Räume wieder betrat, wartete eine Nachricht auf ihn. Sendor bat ihn zu sich, es sei wichtig. Tarwen sandte dem Master eine kurze Mitteilung, dass er erst später wieder da sei. Er könne jederzeit kommen und auf ihn warten. Dann lief er den Gang entlang, bis er Sendors Unterkunft erreichte. Tarwen blickte ihn verwundert an, dieser schien ziemlich verlegen zu sein.

„Ich wollte … nein, ich wurde gebeten, mit dir zu reden.“ Sendor sprach hastig weiter: „Der Master war hier. Er sprach mit mehreren der älteren Timelords und erreichte sogar, dass er von einigen Ratsmitglieder empfangen wurde.“

Tarwen zuckte mit den Schultern. Ja und? Was hatte er damit zu tun? Er brauchte die Frage nicht zu stellen, Sendor sah ihm die Ahnungslosigkeit an und seufzte. „Es geht um das Mädchen. Der Master berichtete, dass du eine Beziehung zu einer gewöhnlichen Gallifreyerin hast. Du weißt, wie problematisch das ist.“

„Das ist meine Angelegenheit.“

„Nicht ganz. Der Rat sieht solche Bindungen nicht gerne. Es gibt zu viele Probleme, wenn Timelords mit gewöhnlichen Frauen zusammenleben.“

„Das ist mir egal.“ Tarwen sprach so fest, dass Sendor ihn verblüfft ansah. Der junge Timelord wusste warum. Jedem war bekannt, dass er meist sofort einlenkte, wenn etwas von ihm verlangt wurde. Aber keinen Atemzug später breitete sich ein Grinsen auf Sendors Gesicht aus, denn der Freund gehörte zu den wenigen, die erkannt hatten, dass er nicht so leicht zu beeinflussen war, wie es schien.

„Irgendwie freut mich dein Tonfall, auch wenn er sehr frostig ist. Aber glaube nicht, dass man es dir einfach machen wird. Der Rat wird mit dir darüber sprechen wollen“, gab Sendor zu bedenken.

„Das können sie gerne. Doch es geht sie nichts an. Aluanin wird meine Frau werden. Ich habe heute alles mit ihr und ihren Eltern besprochen.“

„Du bist fest entschlossen? Tarwen, wir sind noch so jung. Ich gebe zu, ich hätte nicht den Mut für eine derartige Entscheidung. Wie wirst du in einigen Jahrhunderten darüber denken? Sie altert wesentlich schneller als du.“

Tarwen zuckte mit den Schultern. Das war ihm gleichgültig.

„Wenn du mit dem Rat ebenso entschlossen sprichst wie mit mir, kann er dich vermutlich nicht umstimmen. Sie werden es akzeptieren müssen. Ich schätze, das wird den Master ziemlich verärgern“, meinte Sendor.

„Was meinst du damit?“

„Du bezeichnest ihn immer noch als Freund, nicht wahr? Vielleicht musst du akzeptieren, dass er das nicht ist. Es tut mir leid, aber ich hörte, was er zu Dorik sagte. Der Master ist überzeugt, dass dieser dich dazu bringen wird, deine Beziehung zu dem Mädchen aufzugeben. Genau das will er erreichen.“

„Er kennt Aluanin überhaupt nicht. Warum soll er das wollen?“

„Es geht nicht um sie, sondern um dich! Hast du noch immer nicht verstanden, dass der Master dir keinen Erfolg gönnt? Er will besser sein als du. Jetzt endlich hat er dieses Ziel erreicht. Er ist ein Krieger-Timelord.“

„Von mir aus.“ Tarwen wedelte mit der Hand, als wolle er etwas völlig Uninteressantes beiseite schieben. „Das hat doch mit Aluanin nichts zu tun.“

„Und ob“, widersprach Sendor. „Die meisten Beziehungen zwischen Timelords und gewöhnlichen Gallifreyern scheitern. Das hat der Master schließlich selbst miterlebt. Seine Mutter heiratete seinen Vater, um gesellschaftlich aufzusteigen. Doch als dieser sich von unserer Gemeinschaft trennte, verließ sie ihn. Als Keschwar dann damals die Prüfung machte, kam sie zurück und hoffte, durch ihren Sohn erneut ein höheres Ansehen zu erhalten. Du hast vermutlich erfahren, wie es endete. Keschwar wurde von seiner Familie verstoßen und seine Mutter meldete sich nie mehr bei ihm. Obwohl sie sich an die Anweisungen des Vaters nicht hätte halten müssen. Es gibt viele solche Beispiele. Deshalb wird Dorik dich ja warnen. Aber wenn du mit diesem Mädchen glücklich wirst, erreichst du etwas, das dem Master verweigert wurde. Eine Familie! Außerdem steigst du dann automatisch in der Achtung des Rates, weil dies etwas Ungewöhnliches ist. Der Master wird nicht einfach zusehen, wie du ihm den Rang abläufst, den er gerade erst mühsam erreicht hat.“

Jetzt war Tarwen völlig durcheinander. „Aber das ist doch unwichtig. Und Keschwar“, es fiel ihm immer noch schwer, den neuen Namen zu verwenden, „interessierte es noch nie, besser zu sein als ich. Im Gegenteil. Im Erziehungshaus half er mir immer.“

„Und machte gleichzeitig darauf aufmerksam, dass er der Stärkere, der Führende von euch beiden ist. So konnte er sich überlegen fühlen.“ Sendor lächelte bitter. „Du warst der Einzige, um den er sich kümmerte. Denn du warst derjenige, der ihm hätte gefährlich werden können. Alle anderen spielten für ihn keine Rolle. Er war entweder klüger oder stärker als jeder von uns. Nur du nicht.“

„So ein Unsinn.“ Tarwen schüttelte den Kopf. „Ich hatte Alpträume und war ein Schwächling. Er war immer stärker als ich.“

Mit einem nachsichtigen Kopfschütteln erklärte Sendor: „Das glaubtest du! Wir alle glaubten es damals. Doch es stimmt nicht. Du bist viel entschlossener, als du selbst meinst. Das habe ich in den letzten Jahren oft genug erkannt.“

 „Ich werde mit ihm reden. Er kommt nachher zu mir“, stieß Tarwen hervor. „Ich kann einfach nicht glauben, dass er so denkt.“

 

Der Master wartete schon auf ihn. „Du hast dir Zeit gelassen“, murrte er.

„Ich hatte noch etwas zu erledigen“, erwiderte Tarwen. Er musterte ihn gründlich. „Du hast dich stark verändert, das muss ich sagen.“

Stolz bewegte der Master die Schultern. „Ich bin ein Mann, kein Jüngling.“ Seine Augen wurden schmal. „Und vermutlich erwartest du jetzt von mir, dass ich mich bedanke.“ Seine Stimme wurde mit jedem Wort wütender.

„Wofür?“

„Tu nicht so unschuldig. Ich war kaum wieder bei Bewusstsein, als der Rat mir höhnisch erklärte, wem ich es zu verdanken hätte, dass mir die Regeneration genehmigt wurde. Doch das kannst du vergessen“, fauchte der Master. „Ich habe es verdient. Und du“, sein Blick wanderte verächtlich über das Gesicht des ehemaligen Freundes, „hast es versprochen! Ich habe dich zu dem gemacht, was du heute bist. Vergiss das nicht. Ich schulde dir absolut nichts!“

„Du redest Unsinn. Ich habe nichts von dir verlangt. Und ob du mir oder dem Rat dankbar sein solltest oder nicht, das musst du selbst entscheiden.“

Lauernd sah der Master ihn an. „Warum hast du es überhaupt getan? Warum hast du für mich gesprochen? Du musst doch etwas erwarten dafür.“

„So denke ich nicht.“ Tarwen seufzte. „Das solltest du wissen. Warum? Ist das so schwer zu erkennen? Master, wir sind Freunde. Vielleicht ist diese Freundschaft nur noch eine schöne Vergangenheit, das musst du ebenfalls selbst entscheiden. Für mich hat sich jedoch nichts geändert. Ich wusste, wie wichtig es für dich war, ein Timelord zu werden. Ich hoffte allerdings, dass du diese Wut in dir verlierst, wenn du dein Ziel erreicht hast“, gab er resigniert zu.

„Und das soll ich dir glauben? Nein! Du spekulierst garantiert auf irgendeinen Vorteil. Aber du wirst endlich akzeptieren müssen, dass ich besser bin als du. Ich bin derjenige, den die Prophezeiung meinte. Dass der Rat glaubt, du gehörst ebenfalls dazu, ist ein Irrtum. Ich werde es beweisen. Ich allein bin Gallifreys Retter. Du bist nur ein Feigling. Du könntest nie etwas erreichen.“

„Was meinst du damit – Gallifreys Retter? Weißt du etwa, was die Prophezeiung aussagt?“

„Nicht genau“, musste der Master zugeben. „Aber es geht um den Fortbestand unserer Welt.“

„Woher weißt du das?“

„Der Kastellan hat sich vor Jahren einmal mit der Kanzlerin darüber unterhalten.“ Der Master lächelte kalt.

„Du hast sie belauscht.“ Tarwen wusste nicht, ob er ihn dafür bewundern sollte oder entsetzt war. Die höchsten Führer seiner Welt hinterging man nicht.

„Na und?“, höhnte der Master. „Sie diskutierten darüber, wie sie garantieren könnten, dass ich ebenso gut geeignet sei wie du, um Gallifrey zu retten. Denn die Prophezeiung würde ohne Zweifel uns beide meinen. Und das, obwohl sie mich immer in meiner Ausbildung behinderten“, schimpfte er. „Aber das ist lächerlich. Es kann nur ich gemeint sein. Wie soll jemand wie du eine Welt schützen? Du staunst lächerliche Wunder an, anstatt Dinge zu verändern. Ich habe Derendon von den Torbeiden befreit. Ich war derjenige, der die Flotten der Schwarzen Piraten aus dem System der dreizehn Sonnen vertrieben hat. Was hast du dagegen vorzuweisen? Nichts!“

„Das weiß ich alles. Und der Rat weiß es auch.“ Tarwen verriet lieber nicht, dass die führenden Timelords diese Aktionen sehr unwillig zur Kenntnis genommen hatten. Die betroffenen Völker wurden oft und gerne von den Timelords besucht. Doch der Hohe Rat hatte nur ungern eine solche starke Einmischung in deren Angelegenheiten akzeptiert. Tarwen hingegen bewunderte den Master dafür. Dieser hatte den beiden Völkern geholfen, als sie in Not waren. „Ich kann dir nicht sagen, weshalb sie mich wegen deiner Regeneration fragten. Aber ich bin sicher, dass sie genau wissen, was für ein guter Kämpfer du bist, Master.“

„Das bin ich! Und achten Sie mich dafür? Oh nein. Aber sie werden es. Denn ich werde der Eine sein, dem sie alles zu verdanken haben. Ich werde der Retter von Gallifrey sein.“ Immer verbissener kamen diese Worte hervor, als würde er sich selbst daran berauschen.

Innerlich schüttelte Tarwen den Kopf. Wie besessen musste der Master von dieser Vorstellung sein, um so heftig zu reagieren? Er hob die Schultern. „Ich werde dir dabei ganz gewiss nicht im Weg stehen.“

„Nein“, höhnte der Master. „Denn du bist bedeutungslos. Und du bleibst es!“

Tarwens Geduld war inzwischen erschöpft. „Hast du deshalb mit Dorik gesprochen? Das war umsonst. Aluanin wird meine Frau werden. Das wird auch der Hohe Rat hinnehmen müssen.“

„Du hast schon mit ihm gesprochen?“

„Noch nicht. Aber er wird mich morgen vermutlich zu sich rufen. Dafür hast du ja schließlich gesorgt. Doch es wird nichts ändern. Aluanin gehört zu mir.“

Plötzlich lachte der Master, laut und hemmungslos. „Das wollte ich nur wissen“, stieß er hervor. „Sie unterschätzen dich alle, Tarwen. Doch ich nicht mehr. Ich werde dich im Auge behalten.“ Er stand auf. „Vergiss nie: Ich bin der Master! Du wirst niemals über mir stehen.“

„Das habe ich doch überhaupt nicht vor.“ Allerdings sprach Tarwen nur noch mit der Wand. Der Master war schon aus der Tür hinaus, ehe er den Satz beendet hatte.

Wie erwartet rief Dorik am nächsten Tag Tarwen an und bat ihn zu sich. Als dieser mit ernster Miene bei ihm eintrat, begann dieser zu schmunzeln.

„Ihr macht ein Gesicht, als ob Ihr ein Gerichtsverfahren fürchten würdet. Dem ist nicht so. Ich möchte als erfahrener Timelord mit Euch sprechen, mehr nicht.“

„Ich hatte eher den Eindruck, als wolle man auf jeden Fall versuchen, mich von Aluanin zu trennen.“

Dorik schüttelte sofort den Kopf. „Das ist allein Eure Entscheidung. Mir ist wichtig, dass Ihr Euch über die Tragweite eines derartigen Entschlusses Gedanken macht. Wir unterscheiden uns aufgrund unserer Fähigkeiten sehr von allen anderen Gallifreyern. Das Mädchen wird deutlich rascher als Ihr altern. Auch ihr Wissen kann niemals an das Eure heranreichen. Das bedeutet, dass sie Euch geistig immer unterlegen ist. Ist Euch dies wirklich bewusst? Und vor allem der jungen Frau?“

„Wir wissen beide, welche Probleme auf uns zukommen. Aluanins Mutter ist ein Timelord, obwohl sie sich von der Akademie trennte. Und ihre jüngere Schwester lebt in einem Erziehungsheim und wird später die Ausbildung erhalten.“

„Das ist wirklich interessant.“ Überrascht wanderten Doriks Augenbrauen nach oben. „Und beruhigend. Ihr seid ein sehr vielversprechender junger Mann, Tarwen. Es wäre fatal, wenn diese Beziehung Euch belasten würde. Deshalb sorgen wir uns. Ihr seid also wirklich fest entschlossen? Ich sage Euch ehrlich, dem Rat wäre es lieber, ihr würdet Euch dies noch einmal überlegen. Der Master sprach mehrere Ratsmitglieder an und übermittelte ihnen seine Sorgen über Euren Werdegang. Er befürchtet, Ihr würdet mit einer derartigen Gefährtin nicht die Erfüllung finden, und dies könnte auch Eure Forschungen und Euren ganzen Lebensweg beeinflussen. Er meinte, Ihr könntet bei einem Scheitern Gallifrey verlassen. Das will der Hohe Rat auf jeden Fall verhindern.“

Tarwen hob den Kopf. Seine Augen leuchteten. „Das ist doch Unsinn. Und außerdem meine eigene Angelegenheit. Niemand wird mich davon abbringen können. Aluanin wird meine Frau!“

Noch einen Moment sah Dorik ihm fest in die Augen, dann begann er zu lächeln. „Dann wünsche ich Euch alles Gute. Ich rede mit den anderen, wie wir Eure Gefährtin in der Akademie unterbringen können. Schließlich werdet Ihr mit ihr gemeinsam leben wollen.“

„Das ist nicht nötig. Ich suche ein Haus in der Stadt für uns. Ich glaube, ich habe auch etwas Passendes gefunden. Wenn es Aluanin gefällt, werden wir schon sehr bald dort wohnen. Meine Räume hier möchte ich jedoch für meine Forschungen behalten, wenn das möglich ist.“

Der ältere Timelord hob abwehrend die Hände. „Das wird dem Hohen Rat nicht gefallen. Ihr solltet hier bleiben. Schon Eure vielen Reisen sind nicht allzu gern gesehen, obwohl Ihr ein hervorragender Forscher seid.“ Er nagte an seiner Unterlippe. „Nun, es ist zwecklos, darum herum zu reden. Ihr kennt den Grund, warum es wichtig ist, dass Ihr in der Akademie lebt.“

„Nein! Was der Rat wünscht, ist mir durchaus bekannt. Doch mein Leben gehört mir und ich entscheide darüber. Aluanin könnte sich hier niemals wohlfühlen. Wir schaffen uns ein eigenes Domizil. Natürlich werde ich weiter viel Zeit hier verbringen. Das muss dem Rat genügen.“

Mit einem schweren Seufzer gab Dorik nach. Sie hatten keine Macht, Tarwen zu etwas zu zwingen. Dass es schwierig war, Keschwar nach dem Willen des Rates zu führen, war von Anfang an offensichtlich gewesen. Aber alle hatten angenommen, dass Tarwen sich leicht beeinflussen ließ. Sie hatten sich anscheinend geirrt. Der junge Timelord widersprach seit einigen Jahrzehnten immer öfter und verlangte ebenfalls, sein Leben nach den eigenen Vorstellungen zu führen.

Tarwen verließ Doriks Unterkunft ziemlich aufgewühlt. Der Master hatte den Rat geschickt beeinflusst. Das beschäftigte ihn viel mehr, als er sich selbst gegenüber zugab. Es bedeutete, dass dieser bereit war, seine Ziele auch mit Lügen und Täuschungen zu erreichen. Tarwen begriff noch immer nicht, weshalb Keschwar in ihm einen Gegner sah, sogar eine Gefahr. Aber er würde sich darauf einstellen müssen.

Die Forderungen des Hohen Rates störten ihn ebenfalls. Ständig mischten sich dessen Mitglieder in sein Leben. Aber das ging sie nichts an, Prophezeiung hin oder her. Er war keine Marionette. Es wurde Zeit, dass sie das endlich akzeptierten.

Mit Aluanin zusammen ging er später durch den Park. Doch seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Schon bald sah sie ihn fragend an: „Was ist los mit dir? Du bist unruhig. Ich spüre es. Kann ich dir helfen?“

„Ich werde dir nie etwas vormachen können“, scherzte er.

„Du lenkst ab. Willst du nicht sagen, was dich so beschäftigt?“

„Ich bin etwas durcheinander“, gab er zu. „Aber es ist eine lange Geschichte. Der Mann, der uns im Park ansprach, hat versucht, den Rat gegen mich einzunehmen.“

„Kann er dir schaden?“

Tarwen schüttelte den Kopf. „Nein, es beschäftigt mich nur. Ich bekomme die Sache nicht aus dem Kopf.“

Das Mädchen überlegte. „Was machst du denn sonst, wenn du ein Problem hast?“

Er wurde verlegen. „Ach, es gab bisher ein ganz einfaches Mittel dagegen. Aber …“

Sie legte die Hand auf seinen Arm und unterbrach ihn damit. „Das bedeutet, ich hindere dich an etwas. Tarwen, das möchte ich nicht. Was also machst du sonst? Sag es mir doch.“

„Ich nehme mir eine TARDIS und verschwinde. Aber …“

Erneut fiel sie ihm ins Wort. „Aber jetzt meinst du, du könntest dieses erprobte Mittel nicht anwenden, weil ich da bin. Ach, Tarwen!“ Sie küsste ihn innig. „Geh zur Akademie und reise irgendwohin. Und wenn du wieder ruhig geworden bist, kommst du zu mir zurück. Du sagtest doch, dass du jederzeit wieder hier sein kannst. Also wirst du mich nicht sehr lange warten lassen.“

Er umarmte sie. „Du bist wundervoll. Ich wollte dich nicht alleine lassen. Aber ich verspreche, ich bin morgen wieder da. Egal, wie lange es dauert.“

 

Riss in der Zeit

Jetzt hatte Tarwen es selbst eilig, zurück zur Akademie zu kommen. Er wusste, dass ihn eine Reise ablenken und ihm seine Ruhe wiedergeben würde. Dann würde er auch eine Lösung für das Problem ‚Master‘ finden. Er ging nicht einmal mehr in seine Unterkunft, um Kleidung zu holen, sondern sofort nach unten zu den Zeitmaschinen.

Kochestem zog die Stirn kraus. „Wird das nun zur Regel, dass Ihr ohne jede Vorankündigung eine TARDIS benötigt?“

„Nein, bestimmt nicht“, beteuerte er rasch.

„Bucht sieben“, brummte der Mann.

In der TARDIS öffnete Tarwen die Steuerkonsole. Er legte seine Hände auf die Verbindung zum Herz des Schiffes. „Hilf mir, meine Gute. Zeige mir etwas Besonderes! Etwas ganz Außergewöhnliches“, bat er.

Er öffnete seinen Geist, damit das Herz der TARDIS seine Gedanken und Gefühle aufnehmen konnte. Die Energie stieg in der Säule empor, das Schiff verschwand aus dem Zeitkontinuum. Wie meist dauerte es nicht lange, bis das keuchende Geräusch wieder erstarb. Neugierig öffnete Tarwen die Tür des Schiffes.

„Hoppla“, entfuhr es ihm.          

Vor ihm war Nichts. Die TARDIS schwebte im Raum. Er trat bis zur Türschwelle vor und betrachtete das All.

„Fantastisch“, murmelte er.

Riesige, schier unendlich große, verschiedenfarbige ‚Wolken‘ umgaben ihn. Sie schienen sich zu bewegen. Teilweise überlappten sie sich und bildeten Schlieren und Streifen. Immer wieder wirkten sie für kurze Zeit wie bunte Regenbögen. Nur direkt vor ihm war eine linsenförmige, völlig dunkle Stelle. Und dennoch war dies das Erstaunlichste für Tarwen. Denn hier erkannte er verschiedenste Zeitströme. Sie überschnitten sich, durchdrangen einander und bewegten sich in unterschiedlichen Richtungen. Manche schienen in die Linse hineinzustürzen, andere strömten aus ihr heraus.

Erst nach einer Weile sah er die Unterschiede. Einige der Energieflüsse waren eigenartig verzerrt, fast unscharf. Tarwen studierte sie genauer und erkannte, dass es diejenigen waren, die aus der dunklen Linse herauskamen.

„Wo bin ich hier?“, fragte er sich selbst.

Er ging wieder ins Innere des Schiffes und forderte alle Daten über dieses Gebiet an.

„Die Medusa-Kaskade“, staunte er.

Ein Gebiet voller verschieden dichter Staub- und Materiewolken. Die voneinander abweichenden Temperaturverhältnisse verursachten die unterschiedlichen Bewegungsabläufe in ihnen. Einfallendes Licht aus mehreren, weit entfernten Sonnen ließ die Partikel in den vielfältigen Farben schimmern.

Plötzlich hob er den Kopf. Die Energie in der Säule war nicht völlig zur Ruhe gekommen. Tarwen hörte auch leise Geräusche, als ob die TARDIS noch Steuerbefehle ausführte.

„Was hast du?“, fragte er besorgt.

Wieder studierte er mehrere Anzeigen, drückte einige Knöpfe und Schalter, schob einen Regler mehrmals hin und her, dann sah er wieder auf die Monitore.

„Wir bewegen uns. Die TARDIS wird irgendwo hingezogen.“

Er lief wieder zur Tür und sah hinaus. Nirgends war ein Planet zu erkennen, nur die weit entfernten Sonnen. Doch deren Gravitationskraft reichte nicht aus, die TARDIS so stark zu beeinflussen, dass sie in ihrem jetzigen Ruhezustand nicht dagegen ankam.

Tarwen runzelte die Stirn. Er aktivierte die Steuerung und ließ die TARDIS mit immer stärkeren Werten dem Sog entgegenwirken. Verblüfft beobachtete er die Bildschirme. Selbst auf der stärksten Einstellung schafften es die Maschinen nicht, diesen zu neutralisieren. Aber das Schiff konnte selbst dem Schwerefeld einer Sonne entkommen!

„Das ist keine gewöhnliche Anziehungskraft“, entschied er.

Der Sog kam aus der lichtarmen Linse, stellte Tarwen fest. Jetzt, mit vollem Gegenschub, bewegte sich die TARDIS nur noch sehr langsam darauf zu. Er trat wieder zur Tür und musterte die sich durcheinander bewegenden Staubwolken. Trotz der Unruhe, die sich langsam in ihm ausbreitete, konnte er sich kaum der Faszination des Anblicks entziehen. Er erkannte aber nichts, das auf ein Gravitationszentrum hindeutete. Schließlich fixierte er die dunkle Stelle, an der sich die Zeitströme konzentrierten. Wieder fiel ihm die seltsame Andersartigkeit einiger dieser Energien auf.

„Als würden sie nicht in dieses Universum gehören“, überlegte er. „Das haben wir gleich.“

Er holte zwei Sonden, programmierte sie und ließ sie in Richtung der Linse fliegen. Dann setzte er sich, mit dem flachen Monitor in der Hand, in den Eingang der TARDIS. Vor ihm waren die wirbelnden Staubwolken ein beeindruckender Anblick. Doch unter seinen Füßen gab es nur die tiefschwarze Unendlichkeit, von wenigen, winzig kleinen, hellen Pünktchen unterbrochen.

Tarwen beobachtete den Flug der kleinen Automaten auf dem handlichen Bildschirm. Nach wenigen Minuten erreichten sie die Linse. Ihm entfuhr ein langgezogenes „Oooh“. Es war in Wirklichkeit ein Durchgang. Die Ränder bestanden aus wabernder, multidimensionaler Energie.

„Ein Dimensionsriss.“ Er hob den Kopf und starrte zu der dunklen Öffnung. „Aber derart groß. Was kann da alles durchkommen?“

Solche Öffnungen traten hin und wieder auf. Räumlich waren sie meist nur sehr klein. Wichtiger waren ihre Tiefe und Durchlässigkeit. Denn durch derartige Risse konnten Dinge oder Wesen aus Paralleluniversen kommen. Das führte zwangsläufig zu starken Störungen im Zeitkontinuum.

„Dieses riesige Loch kann das ganze Universum auf den Kopf stellen.“

Fassungslos starrte Tarwen auf die Daten, die der Monitor noch immer anzeigte. Dann hatten die Sonden den Durchgang passiert. Sofort wurde der Bildschirm schwarz. Sie sendeten nicht mehr. Tarwen blickte abwechselnd zu der dunklen Linse und auf das Gerät in seiner Hand. Eines der Geräte hatte er so programmiert, dass es nach einer gewissen Zeit umkehrte und wieder zu ihm zurückkommen sollte. Aber nichts geschah.

Er begann zu frösteln, doch nicht vor Kälte. Angst kroch in ihm hoch. Wenn die TARDIS dort hineingezogen wurde – konnte er dann überhaupt zurückkehren? Die Sonde jedenfalls hatte es nicht geschafft. Tarwen blickte hinter sich zur Steuerkonsole. Wenn er die TARDIS nicht nur räumlich bewegte, sondern sich auch in der Zeit versetzen ließ, würde sie die normale Dimension verlassen, um irgendwo anders wieder zu materialisieren. Er war sicher, dadurch diesem Riss zu entkommen. Wenn er anschließend den Hohen Rat auf Gallifrey über das Geschehen hier informierte, konnten rasch Gegenmaßnahmen getroffen werden.

Aber jedes Raumschiff, das inzwischen zufälligerweise hierher kam, wäre verloren. Und niemand konnte sagen, was alles in der Zwischenzeit aus dem Durchgang in dieses Universum gelangte. Hatte er – hatte das Universum – genug Zeit, um erst nach Gallifrey zu fliegen? Wie lange würde der Hohe Rat benötigen, um zu entscheiden, was gegen den Riss unternommen werden sollte?

Ein schrilles Piepen riss ihn aus seinen Überlegungen. Etwas kam durch die Öffnung, doch nicht seine Sonde. Die würde keinen Alarm auslösen. Auf dem Monitor erschien ein Umriss. Ein Raumschiff! Es schien knapp außerhalb der Öffnung zu verharren. Tarwen starrte in die Richtung. Vor den hell schimmernden Staubwolken konnte er einen dunklen Schatten erkennen.

Er raste ins Innere. Vielleicht konnte er Kontakt mit ihnen aufnehmen, ihnen klarmachen, welche Gefahr sie für dieses Universum darstellten. Sie mussten wieder umkehren! Fieberhaft suchte er sämtliche möglichen – und unmöglichen – Frequenzen ab. Funkwellen, optische Wellen, Hyperwellen…endlich! Quäkende Töne kamen aus dem Lautsprecher.

„Übersetze! Komm schon, du kannst doch sonst alles verstehen“, beschwor Tarwen die TARDIS.

Es dauerte noch einige Augenblicke, dann erklangen endlich verständliche Worte: „… alles vorbereitet. Sind im Zeitplan. Die Invasion wird in …. beginnen können. Erbitten weitere Anweisungen.“

Tarwen schnappte nach Luft. Die Wesen in dem Schiff kamen nicht aus Neugier oder versehentlich durch den Riss. Das war geplant. Er hatte keine Zeit mehr, nach Hause zu fliegen. Dieser Überfall musste gestoppt werden, bevor dauerhafte Schäden im Zeitkontinuum entstanden. Aber wie? Ratlos sah er sich im Schiff um. Er war der denkbar schlechteste Kandidat für eine derartige Aufgabe. Er war Forscher!

Ein weiterer Blick auf die Anzeigen sagte ihm, dass er dem Riss schon sehr nahe gekommen war. Vermutlich hatte er es nur der geringen Außengröße der TARDIS zu verdanken, dass er bisher nicht entdeckt worden war. Zuallererst musste er verhindern, dass das Schiff durch die Öffnung gezogen wurde. Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht.

„Bleib ruhig, Tarwen! Denk nach! Es muss eine Möglichkeit geben.“

Sein Blick fiel auf die Daten der Sonden. Dimensionsenergie! Die Wände des Durchganges bestanden daraus. Er konnte Zeitanker verwenden! Blasen aus Zeit, die sich dort festsetzen würden. Damit ließ sich die TARDIS anketten. Er riss Schränke und Schubläden auf, arbeitete fieberhaft, um die kleinen Geräte richtig einzustellen und die Energie genau zu dosieren. Gerade rechtzeitig wurde er fertig, rannte zur Tür und blickte in den Riss.

Er stöhnte vor Schmerz und schloss gepeinigt die Augen. Die Zeitströme, die jetzt dicht um die TARDIS flossen, entfachten Feuer in seinem Gehirn. Fast blind schleuderte Tarwen die Anker auf die Energiewände zu und stolperte wieder ins Innere des Schiffes zurück.

„Mach die Tür zu“, flehte er.

Die Schmerzen wurden erträglich und verwundert bemerkte Tarwen, dass die TARDIS seine Bitte erfüllt hatte. Sie reagierte auf seine Stimme! Ohne jeglichen Körperkontakt! Er rappelte sich auf und legte die Hände auf die Steuerung. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er fühlte! Viel stärker als die bisherige Verbindung zu dem Schiff. Es durchdrang ihn, wie ein ruhiger Fluss aus seidenweichem Wasser. Für einen Moment vergaß er die Gefahren draußen.

„Du Schöne“, flüsterte er. „Du bist wundervoll. Wenn wir das hier überstehen, dann wirst du meine TARDIS.“

Zufriedenheit und Wärme durchfluteten ihn. Er wusste, dass er jetzt die eine, enge Bindung zu dem Herz besaß, von der die Ausbilder berichtet hatten. Er hatte geglaubt, schon immer eine echte Verbindung zu den jeweiligen Schiffen herstellen zu können. Jetzt erkannte er, dass er zwar gedanklichen Kontakt gehabt hatte, jedoch längst noch keinen gefühlsmäßigen. Es war ein Unterschied, wie das schwache Licht einer Taschenlampe zur Helligkeit einer Sonne.

Tarwen riss sich zusammen und studierte die Anzeigen. Die TARDIS bewegte sich nicht mehr. Sie befand sich zwar im Durchgang, war jedoch mit den Ankern fixiert. Diese Gefahr war schon einmal gebannt! Aber wie konnte er verhindern, dass wer weiß wie viele Schiffe aus einem Paralleluniversum in das seine eindrangen?

Die Schiffe selbst konnte er auf keinen Fall aufhalten. Er musste den Riss verschließen! Das Prinzip war einfach. Man nehme die gleiche Menge Dimensionsenergie dieses Universums und des anderen Universums und verband sie miteinander. Wie Materie und Antimaterie reagierten sie aufeinander und neutralisierten sich. Dadurch zog sich eine Öffnung wieder zusammen und verschwand schließlich. Allerdings wurde dies im Allgemeinen mit mehreren Schiffen durchgeführt. Man konnte dann die nötigen Energien viel sicherer und genauer bemessen und steuern.

Und dieser Riss war noch dazu riesig! Es war nicht nur die Linse selbst. Tarwen erkannte aufgrund der Daten, dass er sich wellenartig Lichtjahre weit ausbreitete. Über lange Strecken war er so gut wie geschlossen und keine Gefahr, doch an anderen Orten des Universums gab es weitere Öffnungen, die zu der Welle und damit zu diesem Durchgang gehörten. Die Menge an Energie, die er bräuchte, war schier unendlich. Wie sollte man eine unendliche Menge definieren?

„Du Dummkopf!“, fluchte Tarwen nach einer ganzen Weile, während der er immer verzweifelter auf die Bildschirme gestarrt hatte. „Ich muss nicht die ganze Welle verschließen. Dieser Riss reicht doch, um die Schiffe aufzuhalten. Die Linse hat eine endliche Größe. – Ich brauche genauere Daten“, murmelte er, während er schon die entsprechenden Schaltungen vornahm.

Er rechnete und überprüfte die Ergebnisse vorsichtshalber gleich mehrmals. Mit nur einer TARDIS war es unglaublich schwer, die nötigen Energien zu sammeln und aufeinanderprallen zu lassen. Endlich war er zufrieden. Nun ja, fast zufrieden. Tarwen rieb sich den Nacken.

„Das wird verdammt knapp, meine Gute“, erklärte er dann mit einem Blick zur Säule. „Wenn die Ströme zusammentreffen, verschließt sich der Durchgang. Und wir stecken darin fest.“ Wieder betätigte er verschiedene Hebel und Tasten. „Du musst mit voller Kraft starten. Hoffentlich kannst du rechtzeitig dematerialisieren.“

Bei dem Gedanken brach ihm der Schweiß aus. Aber eine andere Chance hatte er nicht. Er musste es riskieren! Seine beiden Herzen pochten schmerzhaft in seiner Brust. Tarwens Hand zitterte, als er sie auf den entscheidenden Schalter legte. Er konnte sich nicht durchringen, ihn zu betätigen.

„Na los! Sei endlich einmal kein Feigling!“

Er schloss die Augen. ‚Aluanin‘, dachte er verzweifelt. ‚Hoffentlich sehen wir uns wieder.‘ Dann drückte er den Schalter herunter. Die TARDIS schüttelte sich, als die Anker sich lösten. Die Säule leuchtete grell, die Energie in ihr schien zu kochen. Tarwen stürzte zu Boden. Das Schiff bockte, die Wände schienen sich verformen zu wollen. Krachen und Knirschen erfüllte den Raum. Dann wurde es still. So still, dass Tarwens eigenes, angstvolles Keuchen laut in seinen Ohren dröhnte.

„TARDIS? Was ist mit dir? Wo sind wir?“

Noch immer glich die Säule eher einer Sonne als dem sonstigen geordneten Energiestrom. Nur langsam nahm die schmerzhafte Helligkeit ab. Endlich setzte auch das gewohnte, leicht metallische Ächzen und Keuchen wieder ein. Tarwen schöpfte neue Hoffnung und setzte sich auf.

Mit einem krachenden Schlag materialisierte das Schiff wieder. Tarwen wurde quer durch den Raum geschleudert und landete schmerzhaft hart an der Wand. Das war eindeutig: die TARDIS war gegen etwas geprallt!

Tarwen rieb sich den Arm, humpelte zur Steuerung zurück und starrte auf die Anzeigen. Dann begann er zu lachen. „Wir sind zu Hause. Du hast es geschafft, meine Gute.“ Er strich voller Zärtlichkeit über die Steuerungskonsole. „WIR haben es geschafft“, wiederholte er leise.

Ein Summton verlangte nach seiner Aufmerksamkeit. Kochestem rief ihn an: „Tarwen, was ist denn geschehen?“

Er konnte nicht anders, er grinste: „Eine etwas harte Landung. Tut mir leid.“

„Das kann man wohl sagen. Seid Ihr verletzt?“

Tarwen schüttelte den Kopf. „Nur ein paar Prellungen. Aber die TARDIS braucht eine gründliche Überholung. Sie ist beschädigt.“ Er konnte es deutlich fühlen.

Noch immer hinkend verließ er das Schiff und lief fast in Kochestem hinein. Der starrte kopfschüttelnd hinter ihn. Als Tarwen sich umwandte, erkannte er den Grund. Die TARDIS hatte sich in die Wand gepresst und diese regelrecht ausgebeult.

„Ich habe ja schon viel gesehen …“, stieß Kochestem hervor.

„Könnt Ihr dafür sorgen, dass sie so rasch wie möglich gewartet wird? Es geht ihr nicht gut“, bat Tarwen inständig.

„Natürlich“, bestätigte der ältere Timelord, dann starrte er Tarwen an. „Es geht ihr nicht gut? – Ihr habt Euch mit ihr verbunden!“

Tarwen nickte.

„Wie alt seid Ihr?“

„Neunzig“, gab der verblüfft Auskunft.

„Noch fast ein Jugendlicher! Die meisten Timelords sind wesentlich älter, bis sie eine völlige Verbundenheit mit dem Herz eingehen können. Aber Ihr wart schon immer sehr empfänglich für die TARDIS-Energie. Meinen Glückwunsch, Tarwen!“ Kochestem lächelte herzlich. „Von nun an ist Bucht sieben für Euch reserviert. Ihr habt jetzt eine eigene TARDIS.“

Tarwen vergaß den schmerzenden Knöchel und auch das dumpfe Pochen in seinem Ellbogen. Stolz durchflutete ihn. Seine Augen leuchteten.

„Sagt Ihr mir jetzt auch noch, was denn eigentlich passiert ist?“

„Ich musste fliehen. Es war – knapp. Ich muss morgen mit dem Hohen Rat sprechen.“ Er sah die immer größere Neugier in Kochestems Blick. „Ich habe einen Riss im Raum-Zeit-Gefüge entdeckt und geschlossen.“ Das war zwar eine extreme Untertreibung für sein Erlebnis, aber er wollte nicht alles mehrmals berichten müssen.

„Allein?“ Erneut schüttelte der ältere Timelord mit dem Kopf. „Warum habt Ihr nicht erst Hilfe herbeigeholt? Mit mehreren Schiffen geht es wesentlich einfacher. Der Riss kann ja nur sehr klein gewesen sein.“

„Er war riesig und es ging nicht anders. Eine Flotte wollte hindurchkommen.“

Kochestem war sprachlos. Doch Tarwen spürte inzwischen seine Erschöpfung. „Bitte kümmert Euch um die TARDIS. Ich brauche Ruhe.“

„Soll ich den Hohen Rat informieren?“

Tarwen lehnte jedoch ab. „Das mache ich gleich noch.“

Bis er in seine Räumen erreichte, waren auch das letzte bisschen Angst und Entsetzen in ihm verschwunden. Bis auf die Prellungen fühlte er sich gut, nein, viel besser als gut, wundervoll – fast wie berauscht. Was für ein Erlebnis! Er setzte sich in einen Sessel, klappte ihn in eine bequeme Ruhestellung und schloss die Augen. ‚Du hast es geschafft. Du bist kein Feigling‘, dachte er noch. Dann war er auch schon eingeschlafen.

Am nächsten Tag erstattete er dem Hohen Rat Bericht. Nicht nur die höchsten Führer und fast alle Ratsmitglieder waren anwesend. Auch eine große Anzahl der erfahrenen, alten Timelords hatte sich eingefunden. Alle lauschten Tarwens Ausführungen.

„Unglaublich!“ Der Kastellan sah ihn entgeistert an. „Ich bin mir nicht sicher, ob etwas Derartiges schon einmal durchgeführt wurde.“

Auch Kanzlerin Flavia war beeindruckt. „Ihr seid sicher, dass diese Öffnung nicht isoliert war, sondern das gesamte Universum durchzieht?“

„Ja! Es war deutlich zu erkennen. Meist ist die Welle geschlossen und ungefährlich. Doch an verschiedenen Stellen müssen sich Risse geöffnet haben. Wahrscheinlich jedoch kleinere als dieser. Die Medusa-Kaskade war das Zentrum.“

„Das muss ständig beobachtet werden. Wenn es zu Störungen im Zeitkontinuum kommt, benötigen wir eine Gruppe erfahrener Timelords, die dann eingreifen. Wir werden darüber diskutieren, wie wir im Einzelnen vorgehen sollen.“ Sie musterte Tarwen. „Ihre braucht vermutlich noch etwas Erholung. Wir rufen Euch in einigen Tagen wieder hierher. Dann sprechen wir weiter.“

Tarwen verbrachte die Zeit zusammen mit Aluanin. Sie war schockiert, als er ihr sein Abenteuer berichtete. Nun verwöhnte sie ihn mit allem, was ihr nur einfiel. Zärtlich versorgte sie seine Prellungen, von denen es weitaus mehr gab, als er anfangs gespürt hatte. Tarwen ließ sich gerne umsorgen. Es war so schön, sie um sich zu haben.

Er nahm ihre Hand und drückte sie sanft. „Es war ein besonderer Tag, an dem ich dich fand. Endlich gehöre ich zu jemandem.“

Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit spürte er zum ersten Mal und genoss es. Er wusste, dies wollte er nie wieder verlieren. Es gab nun eine Person, der er vertrauen konnte und die auch ihm vertraute, absolut und bedingungslos. Er liebte dieses herrliche Gefühl. Und er liebte Aluanin mit jedem Tag mehr. Tarwen hatte es noch nie als Belastung angesehen, alleine zu sein, keine Familie zu haben. Doch jetzt erkannte er, wie einsam er gewesen war. Er wollte es nie wieder sein!

Drei Tage lang verbrachten sie jeden Moment miteinander, dann bat man ihn wieder in die Zitadelle. Er wurde nicht gerufen – sondern man fragte voller Rücksicht, ob es ihm möglich wäre, zu kommen.

Aluanin umfasste und küsste ihn: „Du bist eine wichtige Person, Tarwen. Selbst der Hohe Rat bringt dir gebührenden Respekt entgegen.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob mir das gefällt“, gab er zurück.

Natürlich erfüllte es ihn mit Stolz, doch gleichzeitig auch mit Unbehagen. Er ahnte, dass man ihm nun immer mehr Verantwortung übergeben würde. Er suchte jedoch nicht danach. Im Gegenteil, er wollte sie gar nicht haben. Denn dies bedeutete, dass man auch wieder verstärkt versuchen würde, ihn in der Akademie zu halten. Dabei wollte er einfach nur das Universum kennenlernen, mehr nicht.

Er wurde in den großen Raum unter den Glaskuppeln geführt. Zu seiner Überraschung war auch der Master anwesend, der ihm mit finsterer Miene entgegensah.

„Tarwen, ich danke Euch, dass Ihr gekommen seid“, begrüßte die Kanzlerin ihn freundlich.

Ein Knurren drang aus der Kehle des Masters. Die Wut verzerrte sein Gesicht. Er  zischte: „Was soll das? Tut nicht so, als sei es eine Ehre, dass er herkam. Bei mir habt Ihr auch nur erklärt, ich solle mich hier einfinden!“

Ungerührt sprach Flavia weiter: „Wir haben entschieden, dass diese kleineren Risse und Öffnungen gesucht und verschlossen werden müssen. Ihr habt großes Verantwortungsgefühl und zudem eine erstaunliche Findigkeit bewiesen. Wir möchten Euch bitten, dies – zusammen mit einem erfahrenen Kämpfer – durchzuführen. Der Master gehört zu den besten Kriegern. Wir haben eines der modernsten und schnellsten Schiffe mit mehreren der wirkungsvollsten Waffen aus dem Omega-Arsenal ausgerüstet. Der Master ist fähig, es zu steuern. Mit ihm zusammen werdet Ihr die Risse gefahrlos verschließen können. Seid Ihr bereit, die Führung dieser Aktion zu übernehmen?“

Noch bevor Tarwen den Mund öffnen konnte, explodierte der Master. „Ihr glaubt, ich unterstelle mich diesem Angsthasen? Der sich vor seinem eigenen Schatten fürchtet und lieber wegläuft, als zu kämpfen? Niemals! Ich brauche ihn nicht, um die Risse zu finden und zu verschließen. Habt Ihr vergessen, was ich alles getan habe? ICH war es, der die Station der Gestaltwandler im Asteroidengürtel von Zetaran gefunden und zerstört hat. ICH war es, der Alhemdor vor den Seeteufeln gerettet hat. ICH habe die Schiffe geführt, die die Flotten der Kristallkrieger besiegten. Ich unterstelle mich niemandem und ganz gewiss nicht diesem – diesem Feigling!“

„Allerdings!“ Bei dem kalten Tonfall der Kanzlerin kniff der Master trotz aller Wut die Augen zusammen. Kurz zeigte sich Unsicherheit in seinem Gesichtsausdruck als Flavia weitersprach. „Und sicher habt Ihr auch nicht vergessen, wie wir auf Eure Aktivitäten reagierten. Ihr hattet keine Erlaubnis die Gestaltwandler zu vernichten. Wir wollten mit ihnen reden und verhandeln. – Schweigt!“, donnerte sie, als der Master den Mund öffnete. „Ihr brüstet Euch damit, fast hundert Leben ausgelöscht zu haben. Das ist keine Handlungsweise eines Timelords! Wir sind mächtig, aber weder Eroberer noch Herrscher. Ihr wurdet nicht bestraft, weil Ihr noch jung sein. Und junge Timelords machen Fehler. Aber wenn sich jetzt herausstellt, dass ihr rein aus der Gier heraus, Eure Macht zu zeigen, gehandelt habt, wird sich das ändern!“

Einen Moment war es still im Raum. Mit etwas ruhigerer Stimme fuhr die Kanzlerin fort:  „Ihr werdet Euch unseren Wünschen fügen, Master.“ Sie war sich völlig sicher, ihn genug eingeschüchtert zu haben. Er musste sich dem Rat endlich fügen! Doch sie irrte sich.

„Nein! Das werde ich nicht!“ Gehässig blickte er ihr in die Augen. „Denn Ihr werdet nichts gegen mich unternehmen. Ihr braucht mich! Ich bin der beste und erfolgreichste Krieger-Timelord, den Ihr jemals hattet. Darauf verzichtet Ihr nicht, Lord Kanzlerin.“ Die letzten Worte troffen nur so vor Hohn.

Als die Wangenmuskeln der Frau zuckten, spiegelte sich zynische Zufriedenheit in seinen Augen. Unbarmherzig sprach er weiter: „Nicht umsonst wollt Ihr mir das Kommando dieses einzigartigen Schlachtschiffes geben. Denn ich bin der Einzige, der damit umgehen kann. Und ich sage Euch: Ich werde niemals mit diesem da“, er zeigte verächtlich auf Tarwen, „zusammen kämpfen. Er ist ein Nichts gegen mich!“

Jeder im Raum rang nach Luft, doch den Master kümmerte das nicht. Mit einem hasserfüllten Blick auf Tarwen stürmte er hinaus.

„Ich weiß im Moment nicht, was ich sagen soll.“ Kanzlerin Flavia war blass. „Der Master war schon immer sehr – schwierig. Wir duldeten vieles, da er sich tatsächlich zu einem erstaunlich guter Kämpfer entwickelt hat. Doch ein solches Verhalten … wir werden …“

„Er hat recht“, unterbrach Tarwen sie.

„Was??“                                  

„Ich bin weder ein Kämpfer, noch ein Führer“, erklärte Tarwen unnatürlich ruhig. So sehr ihn die Worte des Masters getroffen hatten, er konnte nicht anders, als ihm zuzustimmen. „Und ich fürchte mich vor der Verantwortung, auch das muss ich zugeben. Es ist äußerst schmeichelhaft, dass Ihr mir ein solches Unternehmen anbietet, Lord Kanzlerin. Aber ich traue es mir nicht zu.“

Dorik trat vor. „Ihr irrt Euch. Ihr besitzt große Fähigkeiten und auch die nötige Intelligenz. Das einzige, was Euch fehlt, ist Selbstvertrauen. Doch in Krisensituationen handelt Ihr überlegen und zielbewusst, das habt Ihr bei der Medusa-Kaskade bewiesen. Ihr wäret sogar sehr geeignet.“

Erneut wehrte Tarwen ab.

Die Kanzlerin seufzte. „Es ist zwecklos, weiter darüber zu diskutieren. Wir alle kennen den Master. Er lässt sich nicht umstimmen. Wir haben nur die Wahl, ihn seinen Weg gehen zu lassen, oder ihn zu bestrafen. Leider hat er in einem recht. Wir brauchen ihn.“ Sie überlegte. „Vielleicht könnt Ihr diese Aktionen von der Akademie aus steuern und überprüfen. Das muss auf jeden Fall gemacht werden. So kann auch der Master ein wenig kontrolliert werden. Das wäre eine äußerst wichtige Aufgabe. Sie würde Euch hohe Ehre einbringen – und zugleich eine gewisse Genugtuung gegenüber den Unverschämtheiten des Masters.“

Beinahe hätte Tarwen gelacht. Sie schaffte es tatsächlich immer, ein vordergründig schmeichelhaftes Projekt zu finden, um ihn in der Akademie festzusezten.

„Nein danke, Lord Kanzlerin! Das ist absolut nichts für mich. Und ich bezweifle, dass der Master sich ausgerechnet von mir überwachen lässt. Die Probleme und Schwierigkeiten würden nicht lange auf sich warten lassen. Das wollt weder Ihr noch ich. Lasst ihn selbst die Risse suchen. Er benötigt mich wirklich nicht dafür.“ Mit hoch erhobenen Kopf und einem eindeutigen Mienenspiel blickte Tarwen die Kanzlerin an. Sie sollte begreifen, dass er sie durchschaute. „Ich möchte viel lieber meine eigenen Forschungen betreiben. Vor allem etwas ungefährlichere, das gebe ich offen zu. Aber auf jeden Fall aktiv und nicht ausschließlich hier.“

Für einen Moment pressten sich ihre Lippen zu einem Strich zusammen, dann nickte sie resigniert. Tarwen war inzwischen zu erfolgreich und damit zu angesehen, um Druck auf ihn ausüben zu können. „Dennoch müssen wir etwas unternehmen. Der Master scheint Euch regelrecht zu hassen.“

„Sein Hass auf mich wird schon bald wieder vergehen. Ich kenne seine Gründe. Mit jedem Erfolg, den er selbst hat, wird er weniger an mich denken.“ Tarwen zögerte kurz. „Nur eines möchte ich. Meine Familie soll und muss vor ihm geschützt sein. Mich wird er nicht angreifen, doch ich fürchte, er wird versuchen, gegen Aluanin und ihre Verwandten zu agieren.“

„Das wird er nicht wagen. Ein Timelord, der gegen einen Gallifreyer vorgeht, ist absolut inakzeptabel.“ Der Kastellan blickte in die Runde. „Sollte der Master sich diesen Personen auch nur nähern, wird ihm die Fähigkeit der Regeneration genommen. Das sollten wir ihm sehr deutlich erklären.“

Alle Ratsmitglieder stimmten dem zu. Flavia wandte sich wieder an Tarwen. „Damit dürfte die Familie Eurer Gefährtin geschützt sein.“

„Danke!“ Tarwen war beruhigt. Der Master würde garantiert nicht seine Regeneration aufs Spiel setzen, dazu kannte er ihn zu gut.

 

Familienausflug

Der Blick zum Chronometer sagte ihm, dass er sich wieder einmal verspätet hatte. Aluanin wartete sicher schon. Er lächelte bei dem Gedanken. Sie würde die Stirn runzeln, wenn er ins Haus trat, ihn dann aber umarmen und kichern. Sie war nie verärgert, wenn Tarwen sich viel länger in der Akademie aufhielt, als eigentlich geplant. Ihn selbst störte es jedoch. Er liebte die Zeit, die er mit seiner Familie verbrachte.

Noch immer konnte er sich an diesem Wort berauschen: seine Familie! Aluanin, die wunderbarste Frau, die es gab. Ihre jüngere Schwester Nisara, die ihm inzwischen oft bei seinen Forschungen half. Die Eltern der beiden, die ihn wie einen Sohn behandelten. Und – das Beste von allem – seine Tochter Atara. Er hatte sich nicht vorstellen können, jemanden ebenso innig lieben wie Aluanin. Doch das zwölfjährige Mädchen konnte ihn mit einem Blick aus ihren silbrig-blauen Augen immer wieder dazu bringen, ihr jeden Wunsch zu erfüllen.

Eilig packte er seine Sachen zusammen, stürmte aus der Tür – und stieß heftig mit jemandem zusammen.

„Holla, habt Ihr es immer so eilig?“ Der diese Frage stellte, schwankte ein wenig und hielt sich an Tarwens Schulter fest, ehe er sein Gleichgewicht wiederfand.

Der junge Timelord blinzelte überrascht, dann erschrak er: „Ristrattor! Verzeiht, ich habe Euch nicht gesehen.“

Ristrattor war ein Name aus früheren Zeiten, inzwischen kaum mehr gebräuchlich. Allerdings war der Mann, der jetzt nachsichtig schmunzelte, alt, sehr alt sogar. Er musste mindestens zehntausend Jahre zählen, überlegte Tarwen bei sich. Natürlich hatte er, wie fast alle Timelords, schon viele Namen getragen. Viele wählten bei der Aufnahme der Zeitenergie einen neuen Namen – was Tarwen abgelehnt hatte. Danach meist bei einer Regeneration. Ristrattor hatte, zumindest wurde dies erzählt, nach der allerletzten wieder seinen ursprünglichen Namen angenommen.

„Habt Ihr etwas Zeit, obwohl Ihr gerade so eilig herausgestürmt seid?“

„Natürlich. Bitte, tretet ein!“ Seine Familie musste warten. Einen so ehrwürdigen Timelord schickte man nicht einfach weg. Außerdem verspürte Tarwen sofort große Wissbegirde, was dieser von ihm wollte.

Ristrattor hatte die Akademie seit Jahrhunderten nicht mehr verlassen. Er vergrub sich in seinen Räumen und vergaß über den verschiedensten Forschungen regelmäßig die Zeit. Alle paar Jahrzehnte, mit Sicherheit nicht öfter, dachte er daran, seine Ergebnisse dem Hohen Rat mitzuteilen. Ansonsten sprach er mit fast niemandem.

Ein wenig ächzend ließ der hagere Mann sich in dem breiten Sessel nieder. Er legte einen Datenspeicher auf den Tisch. In den dunklen Augen des vom Alter gezeichneten Gesichtes blitzte Zufriedenheit auf, als Tarwens Blick daran haften blieb.

„Ich habe eine Bitte an Euch. Ihr seid jung und, wie ich hörte, sehr neugierig. Eine hervorragende Eigenschaft für einen Timelord, wie ich immer sage. Diese Daten stellte ich vor einiger Zeit zusammen. Lasst mich überlegen – wann war das?“

Er lehnte sich zurück und lenkte die Augen zur Decke. „Hm, kurz bevor das Kosling-System zerstört wurde, wenn ich mich richtig erinnere. Eine Schande, die Sonne hatte so außergewöhnliche Eigenschaften. Glücklicherweise waren die Planeten unbewohnt…Aber ich schweife schon wieder ab“, unterbrach Ristrrattor sich. „Eine dumme Angewohnheit, kommt mit dem Alter. Jedenfalls besitze ich die Informationen seit mehreren Jahrhunderten. Ich besuchte damals eine sehr interessante Welt. Das heißt, sie selbst war eigentlich recht durchschnittlich, aber das Volk faszinierte mich.“

Der alte Timelord beugte sich vor. „Ich ließ die TARDIS das Ziel auswählen. Ich kann Euch versichern, damit findet man die schönsten Orte.“ Verschwörerisch sah er Tarwen an. Der verbiss sich rasch das Lachen. Als ob er dies nicht längst wusste.

„Nach meiner Rückkehr vergaß ich die Daten jedoch irgendwie. Ich weiß nicht mehr, was mich ablenkte. Das erste Brennen der Sambuin-Sonne? Oder waren es die Ausbrüche der Spaltenvulkane auf Torsan?“

Er geriet ins Nachdenken und schien völlig zu vergessen, dass er eigentlich gerade eine Unterhaltung führte. Tarwen versuchte, nicht allzu ungeduldig zu wirken. Plötzlich tauchte Ristrattor wieder aus seiner Versunkenheit auf. „Das ist egal. Jedenfalls kam ich nicht mehr dazu, diese Welt noch einmal aufzusuchen. Aber dort gibt es ein Rätsel, etwas, das ich gerne herausfinden möchte. Ich bin inzwischen zu alt für solche Reisen. Lange werde ich nicht mehr leben. Eine weitere Regeneration gibt es für mich nicht. Der Tod wird diesmal endgültig sein. Das sollte gewiss nicht auf einem fremden Planeten geschehen. Es ist schließlich absolut unerwünscht, dass andere Völker die Möglichkeit bekommen, Timelordgene zu untersuchen. Nun, ich bin bereit.“

Ristrattor lächelte, als er Tarwens Entsetzen bemerkte. „In Eurem Alter denkt man nicht an den endgültigen Tod. Aber ich versichere Euch, irgendwann erschreckt einen der Gedanke nicht mehr. Im Gegenteil! Es ist angenehm, zu wissen, dass man bald Ruhe findet. Aber ich schweife schon wieder ab.“

Er lehnte sich bequem zurück.

„Ich möchte Euch bitten, zu diesem Planeten zu fliegen. Die Wesen dort nennen sich Menschen und ihre Welt Gondwana. Sie sind recht primitiv, wenn ich mich richtig erinnere, aber sehr seltsam. Sie nahmen mich hilfsbereit und offen bei sich auf. Ihre Gastfreundschaft beeindruckte mich. Gleichzeitig stecken sie voller Aggressionen. Ihr Anführer mobilisierte gerade die Dorfbewohner, weil eine andere Gruppe durch ihr Gebiet ziehen wollte. Er fragte mich, ob ich ihnen bei dem Kampf helfen könne. Natürlich lehnte ich das ab, was er mir etwas übelnahm. Ich erklärte ihm, dass diese anderen doch auch Menschen waren, wie er. Seine Reaktion zeigte deutlich, dass er diese Argumentation überhaupt nicht verstand. Aber das Erstaunlichste für mich – sie sehen uns verblüffend ähnlich. Das finde ich sehr merkwürdig. Ich möchte gerne wissen, von welchem Planeten sie stammen. Denn sie entwickelten sich eindeutig nicht auf dieser Welt. Es ist eines der Rätsel, die ich vor meinem Tod gerne noch lösen würde.“

Tarwen schmunzelte darüber, dass Ristrattor teilweise sprach, als sei diese Begebenheit gerade erst geschehen und dann wieder in die Vergangenheit zurückkehrte. Eine Eigenschaft, die viele der alten Timelords annahmen, wenn sie von ihren Erlebnissen berichteten.

Er zog nachdenklich die Stirn zusammen, nahm den Datenspeicher und wog ihn in der Hand. Der Begriff Menschen weckte eine Erinnerung in ihm. Tarwen brauchte nur einen Moment, bis er sie abrufen konnte. Die Bibliothek, die er auf seiner ersten Reise besucht hatte! Deren Erbauer nannten sich so, hatte ihr Ausbilder ihnen damals erklärt.

„Menschen“, wiederholte er. „Ich begegnete diesem Volk schon einmal. Allerdings war dies eine Reise in die Zukunft.“

„Das ist interessant. Wenn ich mich recht entsinne, gehörte auch mein Besuch dort zu einer späteren Zeitlinie. Obwohl ich mich nur sehr selten mit zukünftigen Ereignissen beschäftigt habe. Jedenfalls traf ich niemals wieder auf Wesen dieses Volkes.“

Auch Tarwen war seit dem Besuch auf der Bibliothekswelt nicht mehr auf Menschen gestoßen. Seine Herzen begannen kräftiger zu schlagen, Begeisterung machte sich in ihm breit. Das war ein vielversprechendes Ziel!

„Ich sehe mir gleich morgen die Informationen an und fliege dann dorthin“, versicherte er. „Am besten wähle ich einen Zeitraum nach Eurem Besuch. Vielleicht besitzen diese Wesen Unterlagen oder zumindest Erzählungen über ihre Herkunft und Ursprungswelt. Zumindest werden sie wissen, wann Gondwana besiedelt wurde. Dann kann ich, wenn nötig, in diese Zeit gehen und herausfinden, woher sie einst kamen.“

„Hervorragend! Und wenn Ihr zurückkehrt, berichtet Ihr mir über dieses Volk. Ich möchte zu gerne erfahren, ob sie in irgendeiner Weise mit uns verwandt sind. In fernster Vergangenheit kam es schließlich zu Besiedlungen anderer Planeten durch uns. Diese Siedler passten sich, zumindest nach den wenigen uralten Berichten, genetisch ihren neuen Welten an.“ Er stemmte sich aus dem Sessel hoch. „Jetzt habe ich Euch genug aufgehalten. Ihr wolltet ja vorhin irgendwohin gehen.“

„Nach Hause“, bestätigte Tarwen. „Aber meine Familie kennt mich und weiß, dass ich oft später komme, als ich wollte.“

„Familie!“ Der alte Timelord seufzte. „Ja, so etwas hatte ich auch einmal. Drei Brüder. Das ist lange her. Sie sind längst tot. Manchmal glaube ich, wir leben einfach zu lange.“

Tarwen berichtigte die Annahme, er würde sich auf seine ursprüngliche Herkunftsfamilie beziehen, nicht. Dass er mit einer normalen Gallifreyerin zusammenlebte, wurde von älteren Timelords meist skeptisch betrachtet. Es gab einfach zu wenige derartige Beziehungen, die dauerhaft funktionierten.

Auf dem Weg zur Tür wandte sich Ristrattor noch einmal um. „Ihr werdet Eure Nachforschungen möglichst rasch abschließen?“, fragte er. „Ich habe nicht mehr viel Zeit.“

„Ja“, versicherte Tarwen und hatte Mühe, seine Stimme normal klingen zu lassen. Die dahinterliegende Bedeutung dieser Worte ließ ihm die Kehle eng werden. „Ich komme – rechtzeitig – zurück. Ich verspreche es.“

Er ging durch den Park nach Hause. Schon von weitem sah er das große Haus mit den offenen Fenstern. Aluanin liebte es, die Geräusche des Parks – das Rauschen der Blätter im Wind und das Tschilpen der vielen Vögel – zu hören.

Als Tarwen eintrat, stürzte sich seine Tochter auf ihn. „Endlich! Vater, sieh nur. Ich habe es geschafft.“ Dabei wedelte sie mit einer großen Folie vor seinem Gesicht herum.

Er lachte. „So kann ich doch gar nichts erkennen. Was hast du geschafft?“ Natürlich wusste er es. Seit Tagen wartete Atara auf die Nachricht, ob sie an der Kunstuniversität aufgenommen wurde. Sie hatte das Talent ihrer Mutter geerbt und wollte wie diese eine Bildhauerin werden. Er warf nur einen kurzen Blick auf den Bescheid und drückte das Mädchen voller Stolz an sich.

„Ich habe mir eine Belohnung verdient, nicht wahr?“ Ataras Mundwinkel zuckten voller Schelm. Gleichzeitig umklammerten ihre Finger seinen Arm und zeigten ihm dadurch, wie wichtig ihr diese Sache war.

„Hast du? Ist es denn nicht Anerkennung genug, dass du dort lernen darfst?“, scherzte er.

Sie heftete ihre hübschen Augen, die denen der Mutter so sehr ähnelten, auf ihn. „Bitte!“

„Das klingt, als hättest du dir längst etwas ausgedacht.“

Mit vor Eifer quieksender Stimme erklärte sie: „Nimm mich endlich einmal mit, Vater. Ich möchte mit dir in der TARDIS reisen.“

Schon halb überredet strich er ihr über die langen, glatten Haare. „Und du meinst, deine Mutter wäre damit einverstanden?“

„Ja!“ Jetzt grinste Atara siegessicher. „Wenn sie ebenfalls dabei ist. Dann musst du auch nicht die ganze Zeit auf mich aufpassen.“

Tarwen lachte, doch die Vorstellung gefiel ihm. Der Flug nach Gondwana erschien ihm völlig ungefährlich. Warum sollte seine Familie ihn nicht begleiten? Er ging, mit Atara im Schlepptau, in den großen Wohnraum. Aluanin sah ihm entgegen. „Nun? Hat sie dich überredet?“

„War nicht besonders schwer“, gab er zu.

„Hast du denn eine Reise vor?“

„Deshalb komme ich so spät. Einer der ältesten Timelords bat mich darum, eine bestimmte Welt zu besuchen. Die Wesen dort sehen uns sehr ähnlich. Es wird also kein Problem sein, sich ein wenig umzusehen.“

Aluanin packte Kleidung ein. Alles andere war, wie sie inzwischen wusste, ausreichend in der TARDIS vorhanden. Atara schob das Zu-Bett-gehen an diesem Abend so lange wie möglich hinaus und erklärte, sie könne bestimmt nicht schlafen vor Aufregung. Immer wieder löcherte sie Tarwen mit Fragen. Er beantwortete sie geduldig. Schließlich war es das erste Mal, dass sie eine Zeitreise unternehmen durfte. Er wusste, wie sehr sie ihre Tante Nisara beneidete, dass diese eine Ausbildung zum Timelord machen durfte. Atara besaß, wie auch ihre Mutter, nicht die notwendigen, besonderen Gene dafür.

Am nächsten Morgen hörte Tarwen seine Tochter schon bei Sonnenaufgang, wie sie durchs Haus wanderte. Später fragte sie ihre Mutter immer wieder, wann es endlich losging. Dennoch studierte er erst gründlich die Daten, die er von Ristrattor erhalten hatte. Es war schon Mittag vorbei, als sie zur Akademie gingen.

Kochestem schüttelte bei dem Anblick der kleinen Gruppe resigniert den Kopf. „Irgendwann bekommt Ihr Ärger mit dem Hohen Rat. Die TARDIS ist nicht dazu da, Eurer Familie das Universum zu zeigen.“

„Aber es spricht auch nichts dagegen, mich zu begleiten, wenn ich einen Forschungsauftrag durchführe“, hielt Tarwen dagegen.

Im Schiff setzten Mutter und Tochter sich auf eines der breiten Sofas – inzwischen gab es längst ausreichend Sitzmöbel hier. Die TARDIS hatte ihr Inneres bereitwillig den Wünschen des Timelords angepasst. Tarwen gab die Informationen und Koordinaten aus dem Datenspeicher in die Steuerungskonsole ein und sah zu, wie die Energie in der Säule aufstieg.

„Es wird nicht lange dauern, vermute ich“, wandte er sich an seine Familie. „Also nur kurz ein paar Erläuterungen, vor allem für dich, Atara. Ich muss mich darauf verlassen können, dass du dich an alles hältst.“

„Du hast mir doch gestern schon alles erklärt und Mutter heute Morgen auch.“

„Höre trotzdem nochmal zu: Wir dürfen auf dieser Welt, ihre Bewohner nennen sie Gondwana, auf keinen Fall erwähnen, woher wir kommen. Deshalb verändern wir auch unsere Namen. Aluanin wird dort Alana heißen und du Tara. Ich nenne mich Tandor. Alles andere entscheiden wir vor Ort. Aber was immer geschieht – Gallifrey darf nicht genannt werden!“

Aluanin nickte, obwohl sie nicht gemeint war. Aber Atara war schon wieder abgelenkt. Die Geräusche waren verstummt und sie blickte neugierig zu den Monitoren. Ihr Vater kontrollierte alle Messwerte, ehe er zufrieden nickte. „Eine angenehme Welt. Wir können hinaus.“

Das Schiff stand am Rand eines lichten Wäldchens und hatte sein Aussehen dem angepasst: Ein halb zerfallener Schuppen, der von Pflanzen überwuchert war. Die drei schlenderten über die Wiese. Tarwen sah sich aufmerksam um. In der Ferne entdeckte er Rauch. Vermutlich gab es dort eine Siedlung.

„Sieh! Da kommen Wesen.“

„Menschen, Tara. Versprich dich nicht.“

Als die Gruppe näher kam, schob Tarwen seine Familie hinter sich. Die fünf Männer trugen altertümliche Schusswaffen in den Händen. Trotz ihres schleppenden Ganges wirkten sie aggressiv.

„Wie kommen in Frieden“, rief er ihnen entgegen.

Einer von ihnen, ein großer Mann mit langen, fast schwarzen Haaren, trat auf ihn zu. In seinen Augen, wie auch auf seinem Gesicht, stand deutliches Misstrauen. „Kommt ihr von Horsten?“

„Ich kenne keinen Horsten. Wir sind von weither.“ Tarwen zeigte mit einer bewusst vagen Geste hinter sich.

„Horstens Dorf und das unsere sind die einzigen Siedlungen bis zu den Seen. Kommt ihr denn von jenseits der Seenplatte?“

Stumm bestätigte Tarwen dies und wartete ab.

Einer seiner Begleiter meinte: „Sie sagen vermutlich die Wahrheit. Sieh doch, sie haben ein Kind dabei.“

Der Angesprochene nickte und wandte sich wieder an Tarwen: „Es tut mir leid. Wir sind normalerweise gastfreundlicher. Im Moment befürchten wir allerdings einen Überfall. Mein Name ist Sorran. Seid willkommen, auch wenn dies leider sehr zynisch ist. Denn für euch ist es zu spät, um wieder zu gehen.“

„Ich bin Tandor, meine Frau Alana und meine Tochter Tara. Für was soll es zu spät sein?“

Sorran wirkte nun regelrecht unglücklich. „Wir sind alle krank. Horsten will uns damit schwächen, um gefahrlos angreifen zu können. Ihr habt euch schon angesteckt.“ Er zuckte entschuldigend die Schultern. „Jeder, der in dieses Gebiet kommt, bekommt das Fieber.“

Aluanin keuchte und griff nach Ataras Hand, um sie wegzuziehen. Aber Tarwen sah sie beruhigend an. Er machte sich keine Sorgen. Gegen die meisten Krankheiten im Universum waren sie ohnehin immun. Und sollten sie sich tatsächlich anstecken können, würde er in der TARDIS ein Gegenmittel finden.

„Also eine Seuche?“, erkundigte er sich. „Welcher Art? Und warum greift dieser Horsten zu solch einem Mittel? Weshalb feindet ihr euch an?“

„Viele Fragen auf einmal. Am besten kommt ihr mit ins Dorf. Dort können wir in Ruhe reden“, schlug Sorran vor.

Sie folgten ihm und erreichten nach einer Weile die Siedlung. Kleine Holzhütten mit schmalen Wegen dazwischen bildeten ein unregelmäßiges Rund. In der Mitte befand sich eine freie Fläche. Tarwen vermutete, dass hier höchstens fünfhundert Menschen lebten. Sie schienen keine nennenswerte Technik zu besitzen.

Sorran führte sie zu einem der größten Häuser dicht an dem Platz. Noch bevor sie es erreichten, rannte ein Junge herbei. Er mochte circa fünfzehn Jahre zählen. „Raid!“ rief er, dann breitete sich Enttäuschung auf seinem Gesicht aus.

„Nein, Roman, es sind Fremde“, sprach Sorran ihn an. Auf Tarwens fragenden Blick erklärte er: „Raid ist seine Schwester. Sie wurde von Horstens Leuten entführt.“

Der Junge ging mit ihnen in das Haus. Es bestand eigentlich nur aus einem großen Saal, offensichtlich ein Versammlungsraum. Sie setzten sich auf die Stühle, und Sorran ergriff das Wort.

„Du willst Erklärungen, Tandor, das ist verständlich. Unsere Dörfer existieren schon seit vielen Generationen. Bisher war es zwar schwierig, mit Horsten auszukommen, aber wir fanden immer Lösungen für ein friedliches Nebeneinander. Doch das ist leider vorbei. Vor sechs Tagen kam eine Botschaft von ihm. Er beschuldigte uns, zwei seiner Leute getötet zu haben. Was Unsinn ist, und wir haben ihm dies auch mitgeteilt. Zwei Tage danach verschwand Raid. Die Spuren bewiesen, dass er sie entführen ließ. Gleichzeitig erkrankten die ersten von uns. Inzwischen gibt es keinen einzigen Gesunden mehr. Von Tag zu Tag werden wir schwächer. Vermutlich wartet er, bis wir uns nicht mehr wehren können.“

So sachlich der Mann sprach, seine Betroffenheit war deutlich sichtbar.

„Weshalb glaubst du, dass wir uns sofort angesteckt haben?“

„Zwei unserer Jäger waren unterwegs. Sie kehrten erst gestern zurück. Es dauerte nur wenige Stunden, bis sie ebenfalls Fieber bekamen“, erwiderte Sorran.

„Warum verschleppt dieser Horsten ein Mädchen?“ Tarwen blickte fragend in die Runde.

„Ich weiß es nicht“, stieß Roman hervor. „Vielleicht hat er sie getötet. Aus Rache, wenn tatsächlich in seinem Dorf jemand starb und er uns dafür die Schuld gibt.“

Er kämpfte sichtlich mit den Tränen. Voller Mitleid griff Atara nach seiner Hand. „Gib die Hoffnung nicht auf“, bat sie ihn.

Roman sah sie dankbar an, in seine Augen trat Bewunderung. „Du bist genauso schön wie Raid“, entfuhr es ihm. Sofort senkte er den Kopf und wurde blutrot.

Atara lächelte geschmeichelt und Aluanin musste trotz der ernsten Lage schmunzeln. Tarwen überlegte. Timelords mischten sich niemals ein. Aber wenn er einfach wieder heimflog, konnte er seinen Auftrag nicht erfüllen. Andererseits war es in dieser Situation nicht möglich, nach den gewünschten geschichtlichen Hinweisen zu suchen. Seine Familie durfte auf keinen Fall gefährdet werden.

„Sorran, wo liegt dieses Dorf von Horsten? Ich gehe hin und rede mit ihm.“

„Das willst du wirklich machen? Es ist gefährlich und du bist fremd hier. Unsere Schwierigkeiten gehen dich eigentlich nichts an.“

„Jetzt tun sie das“, widersprach Tarwen. „Wie du sagst, teilen wir euer Schicksal. Also kann ich mich durchaus um eine Lösung kümmern.“

„Du wirst krank werden. Lange Märsche kannst du bald nicht mehr unternehmen“, warf einer der anderen Männer ein.

„Noch geht es mir gut.“               

„Ich danke dir“, versicherte Sorran. „WIR danken dir! Wenn du uns helfen könntest, stünden wir in deiner Schuld. Doch du musst gleich gehen, bevor du zu schwach wirst.“ Er beschrieb ihm den Weg.

Tarwen nahm Aluanin beiseite. „Es wäre besser, ihr beide geht in die TARDIS zurück“, meinte er leise. Zu seiner Überraschung wehrte sie ab.

„Es würde auffallen, wenn wir jetzt verschwinden“, gab sie zu bedenken. „Du sagtest mir vorhin, wir stecken uns mit ziemlicher Gewissheit nicht an. Ich mache mir mehr Sorgen um dich. Es ist riskant, zu diesem Horsten zu gehen.“

Er hob die Schultern. „Ich möchte in dieser Sache gerne vermitteln. Und ich hätte euch bei mir, denn ich nehme natürlich die TARDIS, um dieses Dorf zu suchen. Nun gut, wenn du unbedingt willst, dann bleibt. Aber passt bitte gut auf euch auf.“

Aluanin versprach dies bereitwillig. Tarwen drückte beide fest an sich, dann machte er sich auf den Weg. Sorran suchte derweil nach einer Unterkunft für die überraschend aufgetauchten Fremden. Roman meldete sich sofort: „Sie können bei mir schlafen. Ich habe zwei Räume frei. Im Moment bin ich ja alleine – leider.“

Aluanin lächelte ihn freundlich an. „Das ist sehr nett von dir. Wenn nichts dagegen spricht, nehmen wir das gerne an. Aber was meinst du mit alleine? Hast du keine Eltern mehr?“

„Sie sind vor zwei Jahren ums Leben gekommen.“

Am liebsten hätte die Frau ihn tröstend in die Arme genommen. Er tat ihr leid. Atara meinte mitfühlend: „Das ist schrecklich.“

„Ich komme damit zurecht. Immerhin bin ich fast ein Mann und muss für Raid sorgen.“

Er zeigte ihnen sein Zuhause und sie richteten sich in einem der beiden Räume ein. Aluanin tat sich mit den einfachen Gegebenheiten schwer. Atara dagegen amüsierte sich über die Waschschüsseln und fiel vor Lachen auf das breite Bett, als sie den tiefen Nachttopf entdeckte. Die Primitivität des Dorfes empfand sie als herrlich abenteuerlich. Viel schwieriger war es für sie, sich nicht zu verplappern und so zu tun, als kämen sie ebenfalls von dieser Welt.

Am späten Nachmittag setzte sich das Mädchen zu Roman. „Du siehst blass aus. Und du bist ganz verschwitzt.“

Der Junge hob nur die Schultern. „Ich werde, wie alle anderen hier, mit jedem Tag schwächer. Selbst die einfachsten Arbeiten strengen mich an.“

„Vater findet eine Lösung“, versicherte Atara ihm. „Er ist unglaublich klug.“

„Du bist sehr stolz auf ihn.“ Roman lächelte sie an. Sie erwiderte es, prompt errötete er.

„Oh ja“ gab sie ohne zu zögern zu. „Ich bin so froh, dass er mir endlich erlaubt hat, mit ihm zu kommen. Das habe ich mir schon lange gewünscht.“

„Dann reist dein Vater viel? Sorran sagte, ihr kommt von jenseits der Seen. Ihr müsst lange unterwegs gewesen sein.“

Atara öffnete den Mund, schloss ihn sofort wieder und hustete, um ihre Verlegenheit zu verbergen. Beinahe hätte etwas Falsches gesagt. Sie erinnerte sich an die Ermahnungen ihrer Eltern. „Ja, aber mir kam es nicht lange vor. Es ist alles so interessant.“

„Warum seid ihr denn hierher gekommen? Sucht dein Vater neue Handelswege?“

Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Er braucht Informationen. Über eu...ich meine, die Geschichte der Menschen. Woher … wir einst kamen und warum.“

„Oh!“, Roman wurde schlagartig ernst. „Darüber wird Sorran nicht erfreut sein.“

„Wieso? Ist das ein Geheimnis?“

„Nein, das nicht gerade.“ Der Junge beugte sich zu dem Mädchen. „Gibt es bei euch zuhause keine Legenden darüber?“

Atara verneinte mit großen Augen. Konnte sie vielleicht durch Roman dem Vater helfen, seinen Auftrag zu erfüllen? Dieser sah sich prüfend um, aber hier, hinter dem Haus, war alles still.

Dennoch senkte er die Stimme und flüsterte: „Es heißt, dass jeder, der danach forscht, in große Gefahr gerät. Hinter der Schlucht liegt das verbotene Gebiet. Dort soll es uralte Unterkünfte geben. Keiner wagt sich dorthin! Sie sind verflucht.“

Er sprach so geheimnisvoll, dass das Mädchen eine Gänsehaut bekam. Trotzdem fragte sie: „Wo ist diese Schlucht?“

Einen Moment zögerte Roman, dann stand er auf. „Komm!“ Er führte sie bis zum Rand des Dorfes. Hier standen fünf ineinander verwachsene Bäume. Ihre Äste zeigten eigenartigerweise alle in die gleiche Richtung.

„Man muss den Ästen folgen“, raunte Roman. „Allerdings wäre es wirklich besser, dein Vater würde niemanden darauf ansprechen. Sorran spricht nicht gern über die Vergangenheit und die Legenden. Und er mag es noch weniger, wenn jemand zur Schlucht will.“

„Ich sage es ihm“, versprach Atara.

„Versuche, ihm das auszureden. Wer weiß, welche Gefahren dort lauern.“ Roman sah sie besorgt an.

Das Mädchen, inzwischen selbst verängstigt, nickte sofort.

„Tara! Du sollst doch nicht alleine fortgehen.“ Aluanin rannte zu ihr. „Ich habe dich gesucht.“

„Entschuldige, Mutter. Roman ist doch bei mir. Er zeigt mir die Gegend.“

„Kommt bitte!“ Aluanin musterte den Jungen. „Du siehst ziemlich blass aus.“

„Ich bin müde“, gab er zu. „Wir wollten gerade zurück gehen. Es wird schon dunkel.“

Im Haus zog Aluanin ihre Tochter in das kleine Zimmer. Doch bevor sie schimpfen konnte, berichtete das Mädchen ihr, was sie von Roman erfahren hatte. Ihre Mutter seufzte. „Du ähnelst deinem Vater wirklich sehr. Aber du hast nicht seine Fähigkeiten, Atara. Nicht umsonst führen nur Timelords derartige Forschungen durch. Er wird stolz auf dich sein und ich bin es auch. Trotzdem, versuche nicht noch einmal, auf eigene Faust etwas zu unternehmen. Versprich es mir! Ich habe mir Sorgen gemacht.“

Atara nickte reumütig. Ganz bestimmt hatte sie die Mutter nicht ängstigen wollen.

Der Timelord hilft

Tarwen flog die TARDIS knapp über die Wipfel des schmalen Waldstreifens. Ein leichtes Ruckeln ließ ihn grinsen. „Nun hab dich nicht so.“ Er tätschelte die Steuerung. „Du kannst den Bäumen mit Leichtigkeit ausweichen. Noch höher ist unsinnig. Jetzt verdeckt uns der Wald und es wäre ein großer Zufall, wenn uns jemand sieht. Es ist ja nicht weit.“

Schon bald konnte er die Hütten und Häuser erkennen. Da es kein anderes Dorf in dieser Gegend gab, musste es das gesuchte sein. Tarwen verbarg die TARDIS bei einem mannshohen Gebüsch. Sofort nahm das Schiff ein ähnliches Aussehen an. Er steckte sich mehrere kleine Laborgeräte ein und marschierte dann zur Siedlung. Es dauerte nicht lange, bis man ihn entdeckte. Eine Handvoll Männer kamen ihm mit finsteren Mienen entgegen.

„Wer bist du und was willst du hier?“, wurde er barsch gefragt.

„Mein Name ist Tandor. Ich möchte mit eurem Anführer Horsten sprechen“, gab er zurück.

Sie nahmen ihn in die Mitte und führten ihn in das Dorf, das fast gleich gebaut war wie Sorrans. Tarwen fiel auf, dass ihr Gang ebenfalls sehr schleppend und angestrengt wirkte. Waren diese Männer etwa auch krank? Das Gesicht des Anführers bestätigte seinen Verdacht. Horsten war blass und hatte eindeutig Fieber.

Sehr ernst erklärte Tarwen: „Ich kam heute in das andere Dorf. Dort sind alle krank. Sorran erklärte, dass dies von euch verursacht wurde. Zudem hättet ihr eines ihrer Mädchen entführt. Inzwischen vermute ich, dass das alles ein großes Missverständnis ist, denn ihr seht ebenso krank aus.“

„Sorran lügt“, fuhr Horsten auf. „Er ist schuld daran. Ich weiß nicht wie, aber er hat uns diesen schleichenden Tod gebracht. Erst waren es nur wenige. Sie bekamen hohes Fieber und starben nach drei Tagen. Danach erkrankten immer mehr. Jetzt dauert es länger, doch wir werden von Tag zu Tag schwächer. Wenn wir kein Gegenmittel finden, wird das Dorf vernichtet.“

„Ich versichere dir, dass es Sorrans Leuten genauso geht. Er hat das nicht verursacht.“ Wieder musterte er den Anführer. Dieser wirkte weder gewalttätig noch heimtückisch. „Wieso habt ihr das Mädchen verschleppt? Was wollt ihr damit erreichen?“, fragte Tarwen nun direkt.

„Wir wollten Sorran zwingen, uns zu helfen. Ich war sicher, dass er ein Heilmittel hat. Aber um ehrlich zu sein – ich habe längst überlegt, die Kleine wieder zurückzubringen. Ihr geht es sehr schlecht. Und nun sagst du, dass auch in Sorrans Dorf alle krank sind! Woher kommt diese Seuche dann?“

„Lass mich zu dem Mädchen. Vielleicht kann ich etwas herausfinden und helfen.“ Sofort meldete sich sein Gewissen: Timelords besuchten andere Welten, doch sie mischten sich niemals ein. Egal, was dort geschah! Tarwen schob den Gedanken beiseite.

Horsten sah ihn skeptisch an. „Kennst du dieses Fieber denn?“

„Nein! Aber ich kann wahrscheinlich herausfinden, um was es sich handelt und ein Gegenmittel herstellen.“

Er musste hier eingreifen, verteidigte er sich im Stillen selbst. Er hatte Ristrattor versprochen, so viel wie möglich über die Geschichte dieser Menschen zu erfahren. Dabei brauchte er deren Mithilfe. Außerdem war es nichts Großmächtiges. Es handelte sich nur um zwei unwichtige Dörfer. Es ergaben sich keine Auswirkungen auf die Entwicklung dieser Welt. Das erkannte er in den Zeitlinien.

Raid lag in einer kleinen Hütte. Eine Frau saß an ihrem Lager und tupfte immer wieder die heiße, schweißnasse Stirn ab. Die Augen des Mädchens wurden ängstlich, als sie Horsten sah.

„Ich habe dir schon gesagt, dass wir dir nichts Böses wollen“, brummte der Mann. „Wenn noch jemand kräftig genug wäre, würden wir dich zurück bringen.“

Tarwen setzte sich neben das Bett. „Hallo, Raid. Mein Name ist Tandor. Ich war in deinem Dorf. Es machen sich alle sehr große Sorgen um dich, und sie hoffen, dass du gesund zurück kommst. Dabei möchte ich helfen.“

Neugierig blickte sie zu ihm hoch. „Ich habe Fieber, wie jeder andere hier. Ich kenne dich nicht. Kannst du uns wirklich heilen?“

„Ich bin ein Reisender. In deinem Dorf geht es den Menschen ebenso. Wenn du es mir gestattest, versuche ich, ein Gegenmittel zu finden.“

„Natürlich erlaube ich es“, versicherte sie.

„Ich brauche etwas Blut von dir. Nicht viel“, beruhigte Tarwen sie. „Nur ein kleiner Stich in den Finger, das genügt.“

Sanft nahm er die schmale Hand und säuberte sie sorgfältig. Mit einer Nadel stupfte er dann kurz in die Fingerkuppe und saugte die wenigen Tropfen Blut mit einer Pipette auf.

„Das war es schon. Ich komme bald wieder“, versprach er. Dann wandte er sich an Horsten, der ihn gespannt beobachtete. „Ich brauche einen Raum, in dem mich niemand stört. Es kann sein, dass ich eine Weile fort muss, um geeignete Zutaten für das Heilmittel zu suchen.“ Er würde wahrscheinlich die Möglichkeiten der TARDIS benötigen.

„Es gibt einige Frauen, die sich gut mit Pflanzen und Kräutern auskennen. Sollen sie dir helfen?“

„Nein, das ist nicht nötig. Es wird ohnehin kaum jemand gesund genug dazu sein.“

Horsten führte ihn zum Dorfrand. „Dieses Haus wurde erst kürzlich gebaut. Das junge Paar ist leider zu schwach, um dort einzuziehen. Ist es für dich ausreichend?“

„Völlig. Ich danke dir.“

„Wenn du uns heilen kannst, bin ich dir sehr viel schuldig. Ich weiß nicht, wie wir das vergelten könnten.“

„Das braucht ihr nicht.“ Tarwen sah ihn ernst an. „Aber es wäre sinnvoll, die Feindschaft mit dem Nachbardorf zu beenden. Wenn ihr euch nicht gegenseitig verdächtigt hättet, wäre es vielleicht möglich gewesen, gemeinsam etwas zu unternehmen.“

Der Mann senkte den Blick. Er wirkte betroffen. „Vielleicht hast du recht. Ich denke darüber nach.“

In der Hütte untersuchte Tarwen mithilfe der mitgebrachten Geräte die Blutprobe. Verdutzt schaute er auf die Anzeige des kleinen Analysators. Die Erreger passten von ihrem genetischen Aufbau überhaupt nicht zum Körper des Mädchens. Als stammten sie nicht von dieser Welt.

Er verließ die Hütte und suchte die TARDIS auf. In deren Labor hatte er weitaus bessere Möglichkeiten. Ungeduldig wartete er auf das Ergebnis der Untersuchung. Dann starrte er auf den Monitor. Die Viren stammten von Isden acht! Einer Welt, die weit von hier entfernt war. Auf Gondwana mussten Fremde sein!

Mit dieser Information war es leicht, ein Gegenmittel herzustellen. Er füllte es in mehrere Flaschen, nahm einen ganzen Beutel mit altertümlichen Spritzen und zusätzlich noch einen Scanner mit als er wieder zurückging. Damit konnte er die Dörfler unauffällig untersuchen und nichtmenschliche Wesen aufspüren.

Horsten saß auf einer Bank vor dem Versammlungsraum und sah ihm entgegen. Mühsam richtete er sich auf.

„Hole alle Menschen her“, forderte Tarwen ihn auf. „Diejenigen, die zu krank sind, kann ich natürlich extra aufsuchen. Aber so ginge es am Schnellsten.“

„Du besitzt ein Gegenmittel? So schnell?“

„Ja! In ein paar Stunden sollte das Fieber vorbei sein und ihr könnt euch erholen. – Noch etwas! Kamen in letzter Zeit Fremde her?“

„Weshalb fragst du? Kirren und Drobin tauchten vor mehreren Monaten auf. Sie sind Händler aus den Dörfern weit jenseits der Seen. Vielleicht kennst du sie.“

„Bestimmt nicht. Vor mehreren Monaten? Aber krank geworden seid ihr erst vor kurzem?“

Horsten nickte. Tarwen hatte Mühe, seine Wut nicht deutlich zu zeigen. Diese beiden mussten die Erreger absichtlich verbreitet haben. Eine versehentliche Ansteckung war bei dem langen Zeitraum nicht möglich.

Er blickte über den Dorfplatz, der sich rasch füllte. Die Menschen strömten aus den Häusern herbei. Die schwächsten wurden mitgeschleppt. Niemand wollte warten, bis der Fremde sie aufsuchen konnte.

Mit der Menge kamen zwei hochgewachsene Männer. Sie fielen Tarwen sofort auf. Über der einfachen Kleidung trugen sie schwarze, glänzende Überhänge.

„Horsten, wir raten dir dringend ab, diesem Fremden zu vertrauen. Woher willst du wissen, dass sein sogenanntes Heilmittel euch nicht noch mehr schadet?“

„Wir haben nichts mehr zu verlieren, Kirren. Dass die Krankheit tödlich ist, wissen wir. Entweder es hilft uns oder nicht. Mehr als sterben können wir nicht.“

„Er ist fremd. Wer weiß, was er vorhat“, wandte Kirren ein. Er ignorierte Tarwen, der ihn interessiert beobachtete, völlig.

„Wir haben auch euch vertraut, als ihr vor Monaten zu uns kamt“, entgegnete Horsten. „Ich bin euch sehr dankbar, dass ihr versucht habt, uns nach den ersten Toten zu helfen. Leider wirkte euer Mittel nicht. Vielleicht hilft seines.“

Kirren sah immer verärgerter aus. „Das wird es nicht! Es ist böse Zauberei. Das kannst du nicht zulassen.“

„Also wirklich!“ Horsten schnaubte durch die Nase, dass feine Tröpfchen wegflogen. „Was soll denn der Unsinn? Zauberei! Das ist Kinderkram. Erwartest du wirklich, dass ich an einen solchen Blödsinn glaube?“

Tarwen grinste kurz und fragte: „Wo ist Raid? Sie stammt nicht aus diesem Dorf. Ich werde sie zuerst behandeln. Die Wirkung sollte schnell eintreten.“

Er trat zu dem Mädchen, das auf dem Boden saß und sich erschöpft an einen Pfosten lehnte. „Es wird ein klein wenig stechen“, erklärte der Timelord und injizierte ihr das Serum.

Die Menschenmenge wartete. Niemand verließ den Platz. Die beiden fremden Männer blickten ihn voller Wut an. Tarwen trat zu ihnen. Er schlug den Mantel etwas zurück, damit der Scanner zu sehen war und richtete ihn auf die beiden. Deren Augen wurden schlagartig riesengroß. Ihre Blicke zuckten von dem Gerät zu seinem Gesicht.

„Du bist kein Mensch. Wer bist du?“ zischte Kirren.

„Jemand, der nicht zulässt, dass ihr diesen Wesen schadet“, erwiderte Tarwen leise. „Ihr beide solltet diesen Planeten schnellstens verlassen. Was immer ihr vorhabt, es ist vorbei.“

„Woher kommst du? Warum mischst du dich ein? Willst du den Profit selbst einstecken? Wir lassen uns nicht betrügen.“

„Ihr wollt euch bereichern?!“ Tarwen war entsetzt. „Diese Welt gehört zur Kategorie D. Sie darf nicht beeinflusst werden und vor allem muss ihre Entwicklung ungestört bleiben. Das wisst ihr vermutlich genau. Geht, bevor ich den Judoon von euch berichte.“

Bei der Erwähnung der gefürchteten Polizeitruppe der Schattenproklamation erbleichten die beiden.

„Das ist nicht nötig, Tandor, oder wie immer du heißt. Wir hätten dieser Welt keinen echten Schaden zugefügt. Es sind nur zwei Dörfer. Diese Gegend ist fast unbewohnt. Niemand hätte bemerkt, dass wir das Strahlengestein abbauen.“

Tarwens Gesicht wurde immer finsterer. Die beiden Fremden warfen sich unsichere Blicke zu. Sie waren einfache Abenteurer, die hier auf reiche und vor allem risikofreie Beute gehofft hatten. Da sie Tarwen nicht einschätzen konnten, wagten sie nicht, ihn anzugreifen. Er hatte nur kurze Zeit benötigt, um den Erreger zu erkennen – und er schien keine Furcht vor den Judoon zu haben. Dabei ging fast jedes Volk diesen Wesen aus dem Weg. Sie griffen kompromisslos an und schonten oftmals auch Unschuldige nicht. 

„Bist du alleine hier? Sag uns, woher du kommst.“

„Das geht euch nichts an.“ Tarwen warf einen prüfenden Blick zum Himmel. Die Wolken wurden immer dichter. Hoffentlich begann es nicht zu regnen, bevor er alle Menschen behandelt hatte, überlegte er nebenher. Dann legte er eine Hand auf den Gürtel. Kurz rieb er über die Schnalle und tippte mehrmals darauf. Zufrieden bemerkte er, dass die beiden jede seiner Bewegungen argwöhnisch beobachteten. „Wie entscheidet ihr euch? Geht ihr freiwillig oder muss ich euch fortbringen lassen?“

Die beiden schluckten, ihre Blicke wanderten ebenfalls nach oben. Einhellig schüttelten sie die Köpfe. „Du hast im Orbit ein Schiff? Du brauchst es nicht zu rufen. Wir verschwinden. Werden deine Leute uns starten lassen?“

„Niemand wird euch anrufen oder aufhalten, das garantiere ich. Aber ich kontrolliere, ob ihr diesen Planeten wirklich verlasst. Wenn nicht, übergebe ich euch entweder diesen Menschen oder den Judoon. Das könnt ihr euch aussuchen.“

Beide pressten die Lippen aufeinander, wandten sich ab und verließen das Dorf. Tarwen schnallte den Gürtel nun endlich etwas enger, während er ihnen nachsah. Er hasste es, wenn die Hose auf die Hüften rutschte. Hoffentlich durchschauten diese Fremden seinen Bluff nicht und verließen Gondwana wirklich. Sie mussten irgendwo ein Raumschiff versteckt haben.

Langsam ging er zu Raid zurück. „Wie fühlst du dich?“

Das Mädchen strahlte: „Viel besser. Ich danke dir. Bist du ein Doktor?“

„Nein!“ Tarwen lächelte. „Aber ich habe einige Kenntnisse.“

„Ich glaube doch“, meinte sie sehr bestimmt.

„Warum?“                                                                

„Vater hat mir viel von früher erzählt. Er meinte, vor langer Zeit gab es nicht nur die Heiler, sondern auch sogenannte Doktoren. Es waren gute Menschen, die anderen halfen, immer und überall. Du bist so, deshalb bin ich sicher, dass du zu ihnen gehörst.“

„Das sind doch Legenden, Mädchen“, brummte Horsten, der ihre Worte hörte. Aber er lächelte dabei. „Tandor, bitte, wir möchten nicht mehr warten. Wir glauben dir. Kirren und Drobin haben das Dorf etwas zu eilig verlassen. Ihre Behauptungen waren ohnehin idiotisch. Es wundert mich allerdings, dass sie sich nicht ebenfalls von dir helfen lassen.“

„Weil sie nicht krank sind“, erläuterte Tarwen, ohne die Bitterkeit in seiner Stimme zu verbergen. „Ich befürchte, dass ihr ihnen dies alles zu verdanken habt. Sie wollten hier anscheinend nach Bodenschätzen suchen. Eure Dörfer sollten verschwinden.“

In Horstens Augen stand pures Entsetzen. Mehrmals schnappte er nach Luft, ohne ein Wort heraus zu bekommen. Tarwen legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte sie beruhigend. „Sie sind weg, und ich hoffe, dass sie niemals wiederkehren.“

„Das sollen sie wagen“, wütete der Mann. „Warum hast du das nicht sofort gesagt? Ich hätte sie töten lassen.“

„Genau deswegen“, antwortete Tarwen nachdrücklich. „Es ist nicht nötig, dass noch jemand stirbt.“ Er blickte auf die Menge, die erwartungsvoll zu ihnen schaute. „Dann wollen wir mal. Es wird schnell gehen.“

Am nächsten Morgen fühlte Raid sich – nach einem sehr reichlichen Frühstück – kräftig genug für den Rückmarsch. Horsten schloss sich Tarwen und ihr an. Sie brauchten einen halben Tag und der Timelord bedauerte sehr, dass er nicht mit der TARDIS fliegen konnte.

Als sie das Dorf erreichten, sahen die Menschen ihnen ungläubig entgegen. Jemand schrie aufgeregt nach Roman, der so rasch er noch konnte herbeikam.

„Raid!“ Er umarmte seine Schwester. Dann jedoch sah er berfremdet zu Tarwen. „Warum hast du sie hergebracht? Du weiß doch, dass sie jetzt auch krank wird.“

Raid lachte. „Nein, Roman! Ich hatte Fieber, wie alle in Horstens Dorf. Doch der Doktor half uns. Er wird alle gesund machen, nicht wahr?“ Voller Vertrauen blickte sie Tarwen an.

„Ja, aber ich bin kein … na schön, wenn du willst, dann nenne mich halt Doktor“, lenkte dieser amüsiert ein.

Horsten stand inzwischen Sorran gegenüber. Verlegen drehte er die Hände ineinander. Dann riss er sich zusammen. „Friede?“, fragte er. „Ich wollte euch nicht schaden. Wir dachten, diese Krankheit hättet ihr uns geschickt.“

„Das Gleiche glaubten wir von euch. Aber warte! Tandor, was sagt Raid da? Kannst du uns wirklich heilen?“

„Ja, Sorran! Lass alle auf den Platz kommen. Das Fieber wird in wenigen Stunden vorbei sein."

Er wandte sich Aluanin zu, die mit Atara gekommen war. Erleichtert schloss er beide in die Arme. „Geht es euch gut? Ist alles in Ordnung?“

„Ja, keine Sorge.“ Seine Gefährtin blickte auf die vielen Menschen, die den Platz füllten. Die meisten saßen auf dem Boden, da ihnen selbst das Stehen schwer fiel. „Du hast wirklich ein Mittel gefunden? Können wir dir helfen?“

Tarwen nickte. Er gab ihr Spritzen und eines der Fläschchen mit dem Serum. Während sie sich durch die Menge arbeiteten, setzte Atara sich zu Roman und Raid.

„Ich freue mich, dass ihr wieder zusammen seid. Dein Bruder machte sich sehr große Sorgen um dich“, meinte sie zu dem Mädchen gewandt.

Das erklärte bewundernd: „Roman hat mir gerade von dir erzählt. Bleibt ihr bei uns im Dorf? Dann könnten wir Freundinnen werden.“

Roman wurde verlegen bei ihren Worten, seine Wangen färbten sich. Er wünschte sich sehr, dass die hübsche Fremde hier heimisch wurde. Doch wagte er nicht, dies auszusprechen.

Atara verneinte jedoch zu seiner Enttäuschung. „Ich weiß nicht, was Vater genau plant. Wir gehen jedoch ganz sicher bald nach Hause.“

„Wie schade“, meinte auch Raid. „Aber ihr wohnt bei uns, so lange ihr da seid, bitte?“

Wieder hob Atara die Schultern. „Ich muss fragen.“

Als Tarwen eine Weile später zu ihnen trat, sprach sie ihn darauf an. Er lächelte. Zu Roman gewandt erläuterte er: „Das Angebot nehme ich für meine Familie gerne an. Ob ich ebenfalls bleibe, weiß ich noch nicht. Ich forsche nach gewissen Dingen und hoffe, dass Sorran mir dabei helfen kann.“

Mit dem Finger stupste Roman gegen Ataras Arm und blickte sie auffordernd an. Die sah von einem zum anderen. „Vater, Roman berichtete mir von einem alten Siedlungsgebiet. Er sagt, es ist sehr gefährlich. Niemand geht dorthin und die Anführer wollen auch nicht darüber sprechen.“

Tarwen sah den Jungen fragend an. Der schaute sich erst um, ob der Dorfanführer in der Nähe war. Als er sicher war, dass dieser und auch kein anderer ihnen direkt zuhören konnte, wiederholte er leise alles, was er schon Atara gesagt hatte.

„Sorran will nicht, dass wir darüber reden. Es gibt genug Dummköpfe, die sich dann wichtig machen wollen und dorthin gehen. Aber das überlebt niemand!“

„Interessant! Nun, ich bin zwar kein Dummkopf, aber ich werde dennoch diese Gegend erkunden. Ohne deshalb zu sterben, das versicherer ich dir. Mach dir keine Sorgen! Morgen spreche ich mit Sorran darüber, egal, wie er darüber denkt.“

Als der Platz sich langsam leerte, gingen Tarwen, Aluanin und Atara zu dem Häuschen der Geschwister. Das Mädchen war hin und her gerissen. Sie wollte gerne im Dorf bleiben. Sie mochte Roman, und seine Schwester schien ebenfalls sehr nett zu sein. Aber gleichzeitig war sie begierig darauf, ihren Vater zu begleiten.

Der lehnte dies jedoch sofort ab. Er schloss die Tür zu dem kleinen Zimmer, das ihnen Roman überlassen hatte, ehe er antwortete: „Irgendetwas Gefährliches gibt es dort. Deshalb möchte ich, dass ihr hierbleibt. Sicherheitshalber! Ich kann mich schützen und nehme außerdem die TARDIS. Darin kann mir gar nichts passieren.“

Obwohl sie enttäuscht wirkte, gab Atara zu Tarwens Überraschung sofort nach. „Dann kann ich mit Roman noch Zeit verbringen, ja?“

Ihre Mutter lachte. „Sicher. Ihr habt bestimmt viel Spaß miteinander. Geh ruhig zu ihm. Er freut sich sicher darüber.“

Das Mädchen lief eilig aus dem Zimmer. Tarwen sah ihr etwas verdutzt hinterher. Leise kichernd erklärte seine Gefährtin: „Roman ist ein netter Junge.“

„Er ist ein Mensch! Und ziemlich primitiv.“ Tarwen schüttelte den Kopf, dachte jedoch nicht weiter darüber nach. Sie blieben nur kurze Zeit auf dieser Welt und außerdem war Atara ein Kind. Es schadete niemanden, wenn sie ihn gern hatte, auch ihr selbst nicht.

Am nächsten Morgen ging er zu Sorran. Horsten war auch da. Die beiden schienen ihre Streitigkeiten beigelegt zu haben, bemerkte Tarwen erfreut. Wie erwartet, versuchte der Anführer des Dorfes, ihn von seinem Vorhaben abzubringen.

„Wir gehen niemals dorthin. Diese Gegend ist verflucht. Wer es wagte, die Schlucht zu durchqueren, kam entweder gar nicht wieder oder starb kurz danach.“

„Wurden sie krank? Ist das bekannt?“

„Mein Großvater berichtete mir davon. Als er jung war, wollten mehrere Männer unbedingt herausfinden, was die Schlucht und das alte Siedlungsgebiet so gefährlich macht. Nur einer von ihnen kehrte zurück. Er magerte von Tag zu Tag ab und konnte kaum Nahrung zu sich nehmen. Seine Haare fielen aus. Es war, als würde er lebendig verwesen. Es dauerte nicht lange, bis er starb.“

‚Also eine Vergiftung – oder Strahlung‘, überlegte Tarwen. „Du sagst ‚altes Siedlungsgebiet‘. Was weißt du darüber? Wer lebte dort, und woher kamen diese Menschen?“

Diesmal zuckte Sorran mit den Schultern. Die Gegend wurde seit Ewigkeiten so genannt, aber niemand im Dorf wusste, weshalb. Horsten, der bisher schweigend zugehört hatte, mischte sich ein.

„Dabei kann ich dir vielleicht helfen. Ich kenne Legenden darüber. Aber auch wir meiden dieses Gebiet. Sorran hat recht, es ist tödlich, und ich glaube gerne, dass ein Fluch auf dem Land liegt.“ Trotzdem war er bereit, preiszugeben, was die Alten seit Generationen über den geheimnisvollen Ort berichteten.

Dort sollte einst eine mächtige und kluge Sippe gehaust haben. Sie hatten viele Kenntnisse, die heute längst vergessen waren. Doch das Wissen, das sie besaßen, war gefährlich, wenn man es falsch anwandte. Und genau das sei geschehen. Diese Leute führten ihren eigenen Untergang herbei. Sie schufen ein Ungeheuer, das sich vor allen verbarg. Niemand könne es ansehen. Schon in dessen Nähe zu sein, wäre tödlich.

„Ich kann dich nur bitten, davon Abstand zu nehmen“, schloss Horsten seinen Bericht. „Es wird dich umbringen. Wir sind dir zu viel schuldig, als dass uns dein Schicksal gleichgültig sein könnte.“

Tarwen bedankte sich für diese Informationen, ließ sich aber natürlich nicht zurückhalten. Er war in der TARDIS vor so gut wie allen Gefahren geschützt. Noch am gleichen Tag brach er auf. Zuerst überprüfte er seine Instrumente und stellte fest, dass tatsächlich ein Schiff den Planeten verlassen hatte. Die Abenteurer hatten seine Drohung also ernst genommen. Tarwen hoffte, dass sie nicht wiederkamen und diese Welt, besonders die beiden Dörfer, vor ihnen geschützt waren.

Dann startete er und flog in der dünnen Wolkenschicht über das Land. Auf diese Weise konnte niemand, der zufällig nach oben sah, die TARDIS bemerken. Schließlich entdeckte er die Schlucht. Dahinter tauchte eine große, dichtbewachsene Ebene auf. Sie wurde von hohen Hügeln begrenzt, und an der Südseite wuchs eine fast senkrechte Felswand empor. Der Beginn einer Bergkette, die sich bis zum Horizont fortsetzte.

Tarwen las die Anzeigen der Außensensoren ab. „Kein Wunder, dass die Gegend verflucht ist. Die Strahlung ist tödlich.“ In diesem Gebiet konnte sich niemand länger als wenige Stunden aufhalten. In der Nähe der Felswand landete er. Hier zeigten die Scanner Reste von Gebäuden an. Tarwen gab der TARDIS einige Anweisungen, ehe er in einem schweren Schutzanzug das Schiff verließ.

Die Pflanzen bedeckten alles. Dichte Sträucher mit langen Ranken wuchsen fast mannshoch. Immer wieder schlangen sie sich um Arme und Beine, als wollten sie ihn festhalten. Erstaunt bemerkte Tarwen, dass sie sich tatsächlich bewegten. Die Tentakel griffen gezielt nach ihm. Diese Gewächse hatten sich vermutlich durch die Strahlung verändert und waren nun in der Lage, ihre Nahrung festzuhalten. Kein Wunder, dass er kaum tierisches Leben festgestellt hatte.

Es war schwierig, sich durch das Dickicht zu kämpfen. Tarwen musste immer wieder die klebrigen Triebe von dem Anzug herunterreißen. Endlich erreichte er eine der Ruinen. Enttäuscht stellte er fest, dass hier nichts Brauchbares zu finden war. Die Pflanzenwelt hatte alles überwuchert und zerstört. Sorgfältig suchte er mit dem Analysator alles ab. Aber die ehemaligen Gebäude waren völlig leer. Nur die Außenwände standen noch, obwohl auch diese meist große Lücken aufwiesen.

Erst als Tarwen das Gerät auf die senkrechte Bergwand richtete, erhielt er eine deutliche Anzeige. Dort gab es Höhlen, in denen Metall vorhanden war. Er wandte sich dorthin und bemerkte nach kurzer Zeit, dass das Vorwärtskommen leichter wurde. Die Pflanzen wuchsen immer spärlicher und etwa fünf Schritte vor der Felswand gab es gar keine mehr. Er untersuchte sie mit dem Scanner. Das Gestein besaß an einer Stelle eine andere Zusammensetzung, die eindeutig künstlich war. Doch es gab keinen sichtbaren Unterschied zu dem echten Felsen.

„Unglaublich gut gemacht“, murmelte er vor sich hin.

Behutsam tastete er den Bereich ab, es fühlte sich sogar wie Stein an. Erst mit dem Analysator wurde er fündig. Hinter einem künstlichen Vorsprung war ein Öffnungsmechanismus versteckt. Er vernahm ein lautes Knacken, dann bewegte sich die scheinbare Felswand. Ein kleiner Spalt tat sich auf. Tarwen konnte jetzt das Tor leicht beiseite ziehen und stand in einer geräumigen Höhle.

Atemlos vor Neugier schaltete er die starke Stablampe ein und sah sich um. In deren Lichtkegel tauchten Stühle, Schränke und Tische auf. Manche leer, andere mit technischen Gerätschaften vollgestellt. Die Vorfahren der jetzigen Dörfler mussten hochentwickelt gewesen sein!

Die Apparate waren alt, aber sehr gut erhalten. Nur leider nicht mehr funktionsfähig. Tarwen fand mehrere Datenspeicher und packte sie ein. Sonst konnte er allerdings nichts entdecken, das einen Hinweis auf die Heimat derjenigen gab, die diese Höhle eingerichtet hatten.

Nach einem anstrengenden Marsch erreichte er die TARDIS wieder. Der Eingangsbereich war jetzt, wie er verlangt hatte, eine Dekontaminationsschleuse. Geduldig wartete Tarwen die langwierige Prozedur ab, bis er in das Innere konnte. Hier ließ er sofort die Datenspeicher untersuchen. 

Die TARDIS benötigte fast zwei Tage, um herauszufinden, mit welchen technischen Mitteln die Informationen aufgenommen worden waren. Tarwen untersuchte derweil die Veränderungen der Pflanzen in diesem verstrahlten Gebiet und speicherte die genetischen Daten für die Forschungsinstitute auf Gallifrey. Früher durfte er ohnehin nicht ins Dorf zurückkehren, es wäre zu auffällig.

Endlich ließen sich die Bild- und Tonaufnahmen abspielen. Tarwen sah eine Anzahl Menschen, die sich in der Höhle zu schaffen machten. Ein Mann dokumentierte das Geschehen: „Inzwischen sind die Arbeiten am Schiff fast abgeschlossen. Unsere Entscheidung, die Reparatur zu versuchen, anstatt uns – wie die anderen – hier anzusiedeln, war richtig. Gestern testeten wir den Antrieb. Er wird uns, wie erhofft, aus der Lufthülle dieser Welt bringen und damit können wir endlich wieder zur Erde zurückkehren. Für die Gruppen, die hierbleiben wollen, hinterlassen wir alle Geräte, die wir nicht benötigen. Ihr werdet sie brauchen, wenn ihr die ersten, festen Ortschaften errichtet habt. Wir wünschen euch alles Gute.“

Die Stimme des Sprechers erstarb und der Monitor wurde dunkel. Tarwen benötigte keine weiteren Informationen. Die Strahlung legte Zeugnis ab, was danach geschehen war. Das Schiff musste beim Start explodiert sein. Die Menschen, die in ausreichender Entfernung gewesen waren, überlebten, konnten jedoch nicht mehr auf die hier vorhandene Technik zurückgreifen. Die späteren Generationen fielen in die Primitivität zurück und wurden zu den heutigen einfachen Dörflern.

Aber er hatte den Namen des Heimatplaneten dieser Menschen erfahren: Erde. Sie stammten also von der gleichen Welt, wie die Erbauer der riesigen Bibliothek, auf der er vor vielen Jahren gewesen war. Dieses Volk begann ihn zu interessieren.

Tarwen flog zum Dorf zurück. Noch ehe er dort war, zeigte die TARDIS ihm an, dass in ihren Speichern Daten über die Erde vorhanden waren. Fast bedauerte er dies ein wenig. Er musste also nicht auf die Bibliothekswelt reisen, um weitere Informationen über diesen Planeten zu erhalten. Aber irgendwann würde er noch einmal dorthin fliegen, beschloss er. Vielleicht mit Atara, es interessierte sie bestimmt. Neugierig studierte er die vorhandenen Angaben. Seine Augen leuchteten. Ristrattor wäre sicher zufrieden mit ihm und er hatte ein neues Ziel. Er würde die Erde besuchen und erforschen!

Er versteckte die TARDIS und lief das letzte Stück zum Dorf. Raid erblickte ihn als erste. „Der Doktor ist wieder da!“, rief sie erfreut aus.

Sorran kam ihm entgegen. „Endlich! Wir haben uns schon sehr große Sorgen um dich gemacht.“

Auf die vielen fragenden Blicke, die ihm nun zugeworfen wurden, erklärte er: „Mir geht es gut und mir wird auch nichts geschehen. Allerdings ist es tatsächlich sehr gefährlich, in diese Gegend zu gehen. Ihr würdet sterben. Meidet sie also, bitte, wie bisher auch. Ich wusste, wie ich mich schützen konnte, aber ihr besitzt diese Möglichkeit nicht.“

Mehr sagte er dazu nicht. Sorran, der fürchtete, das in den Legenden erwähnte tödliche Ungeheuer könnte vielleicht ins Dorf kommen, wurde von Tarwen beruhigt. Es sei nicht in der Lage, sein Gebiet zu verlassen.

Danach verabschiedeten sich die drei Reisenden von den Menschen. Roman sah Atara traurig an. „Werde ich dich jemals wiedersehen? Ihr lebt so weit weg.“

Das Mädchen drückte ihm die Hände. „Nein, Roman. Ich wünsche dir alles Gute und werde dich bestimmt nie vergessen.“

Etwas unsicher, aber dennoch entschlossen, bat der Junge dann Tarwen, ob er nicht mitkommen könnte. „Ich würde euer Dorf gerne kennenlernen.“

„Das geht nicht, Roman. Deine Schwester braucht dich. Du kannst doch deine Heimat nicht verlassen.“

Als sie zum Wald gingen, meinte Atara betrübt: „Es ist wirklich schade, dass wir ihm nicht die Wahrheit sagen konnten. Er hätte dann sicher besser verstanden, dass er nicht mit uns kommen kann. Ich würde ihn gerne irgendwann besuchen. Meinst du, das geht?“

„Unmöglich! Ich habe es dir doch erklärt. Diese Menschen sind noch nicht soweit, Wesen von anderen Welten zu akzeptieren“, erläuterte er ihr ein weiteres Mal.

Zurück auf Gallifrey übergab er alle Informationen seiner Reise an Ristrattor und versprach ihm, so bald wie möglich den Planeten Erde zu besuchen. Der alte Timelord war begeistert. „Das ist wunderbar. Ich werde gespannt auf Euren Bericht warten.“

Wenige Tage später rief Ristrattor ihn an. „Tarwen“, seine Miene war etwas schuldbewusst, „ich fürchte, ich habe Euch mit meiner Bitte in Schwierigkeiten gebracht. Der Hohe Rat möchte Euch sprechen. Ich bin Euch wirklich dankbar für die Daten und hätte gewiss nichts gesagt. Doch der Rat sieht das etwas anders.“

„Um was geht es überhaupt?“ Tarwen sah ihn verständnislos an.

Der Alte seufzte. „Das möchte der Hohe Rat selbst mit Euch besprechen. Aber seid versichert, dass ich für Euch gesprochen habe. Schließlich wolltet Ihr nur meinen Wunsch erfüllen.“

Mehr erklärte er nicht und Tarwen ging mit einem unbehaglichen Gefühl zur Zitadelle. Vier Ratsmitglieder empfingen ihn. Dorik ergriff das Wort: „Wir müssen Eure letzte Reise besprechen. Euer Verhalten auf dieser Welt war gegen jede Regel. Wie konntet Ihr Euch derart stark in die Angelegenheiten dieser Dorfbewohner einmischen? Ihr wisst doch, dass wir die Welten, die besucht werden, niemals beeinflussen.“

„Aber“, Tarwen sah von einem zum anderen, „anders hätte ich die Informationen, die Ristrattor von mir erbat, nicht erhalten.“

„Das spielt keine Rolle. Natürlich erkennen wir an, dass Ihr seinen Wunsch erfüllen wolltet. Dennoch müssen wir Euch dringend ermahnen, Euch niemals wieder so sehr einzumischen.“

Tarwen schluckte. Er wusste, was er gerne erwidern wollte: Er war überzeugt, richtig gehandelt zu haben. Denn die Dörfler wären ohne Einmischung von außen gar nicht erkrankt. Sie waren auf völlig unerlaubte Art und Weise angegriffen worden. Er hatte das nur rückgängig gemacht. Zudem ging es ausschließlich um zwei unwichtige Dörfer. Die Entwicklung dieser Welt und seiner Bewohner war auf keinen Fall betroffen. Er hatte die Zeitlinien ständig gewissenhaft kontrolliert. Sie hatten sich kaum verändert. Derart geringe Abweichungen kamen immer wieder vor und spielten keine Rolle.

Aber er brachte die Worte nicht hervor. Der vorwurfsvolle Blick Doriks verschloss ihm den Mund. Alle Ratsmitglieder waren überzeugt, dass er falsch gehandelt hatte. Wie konnte er dann das Gegenteil behaupten? Tarwen senkte den Kopf. „Natürlich“, sagte er leise. „Es tut mir leid.“

Torilon, der älteste der Anwesenden, meinte begütigend: „Vermutlich wart Ihr noch nie in einer solchen Lage, obwohl Ihr schon einige Erfahrungen mit fremden Welten gesammelt habt. Ihr werdet lernen, mit derartigen Situationen richtig umzugehen. Ihr seid ein sehr vielversprechender junger Timelord. Vergesst nur nicht: das oberste Gebot ist die Nichteinmischung!“

Tarwen nickte. Doch überzeugt war er nicht. Wenn eindeutig Unrecht geschah, warum sollte dieses nicht abgewehrt werden dürfen? Aber wieder schwieg er. Die Ratsmitglieder waren erfahrener als er. Und er wollte sie nicht noch mehr verärgern. Immerhin hatten sie in den letzten Jahrzehnten aufgegeben, ihn zu einem dauerhaften Leben in der Akademie zu überreden. Das sollte er anerkennen.

Nachdenklich ging er nach Hause. Aluanin spürte natürlich sofort, dass ihn etwas bedrückte. Er berichtete ihr von den Vorwürfen, die ihm gemacht worden waren. Liebevoll umfasste sie seinen Arm. „Tarwen, ich respektiere die Ratsmitglieder. Sicher sind es kluge, erfahrene Männer und Frauen. Doch ich bin genauso überzeugt wie du, dass du richtig gehandelt hast. Diese Menschen wären gestorben und ihre Welt ausgebeutet worden. Ein Unrecht zu verhindern, kann niemals falsch sein.“

Er war wieder einmal unendlich froh, eine Frau wie Aluanin gefunden zu haben. Es tat gut, verstanden zu werden. Fast ärgerte Tarwen sich nun darüber, dass er sich nicht verteidigt hatte. Schließlich hatte er sich schon öfters gegen den Rat durchgesetzt. Diesmal jedoch war er innerlich unsicher gewesen, gestand er sich ein.

 

Geister auf der Erde

Versonnen blickte Tarwen auf den Datenspeicher, der zwischen Hebeln, Schaltern, Griffen und Anzeigen auf der Steuerkonsole lag.

„Vater?“, fragte Atara. Sie legte ihm sanft die Hand auf den Arm. „Was ist? Du siehst so wehmütig aus.“

Ganz leicht zuckte er zusammen, ehe er sich seiner Tochter zuwandte. „Du bist fast so schlimm wie deine Mutter“, behauptete er.

„Das glaube ich nicht. Aber ich muss deine Stimmung nicht spüren können. Dein Gesicht sagt sehr deutlich, dass dich etwas bedrückt.“

„Bedrücken – nein, das nicht. Ich dachte gerade an Ristrattor. Wie gerne hätte ich ihm mehr über diese Erde, die Welt der Menschen, berichtet. Aber kurze Zeit nachdem wir von Gondwana zurückgekehrt waren, starb er. Es war, als sei mit den Nachrichten von dort sein Lebenswille erloschen. Danach gab es ständig andere Aufgaben, die scheinbar wichtiger oder faszinierender waren und ich verschob die Reise dorthin wieder und wieder. Seit fast vierzig Jahren!“ Er lachte leise. „Dabei war ich schon immer neugierig auf diese Welt. Ich kann selbst nicht verstehen, wie ich so lange darauf warten konnte.“

„Weil du versprochen hast, mich mitzunehmen“, konterte Atara amüsiert. „Und Mutter bestand darauf, dass ich älter werden muss, bis du mich wieder mitnehmen darfst.“ Sie drehte sich übermütig im Kreis. „Aber jetzt ist es endlich soweit. Es ist herrlich, wieder in der TARDIS zu sein.“

Tarwen betrachtete seine Tochter schmunzelnd und stolz zugleich. Ihr Studium an der Kunstakademie machte ihr große Freude und sie war sehr begabt. Obwohl sie noch eine Jugendliche war, galt sie inzwischen als anerkannte Künstlerin. Natürlich studierte sie, wie die meisten Gallifreyer, ständig weiter. Dennoch hatte sie alles stehen und liegen lassen, als er ihr anbot, mit ihm zur Erde zu fliegen.

Auf einem der Bildschirme erschien ein Symbol, gleichzeitig ertönte ein Summton. Tarwen wandte sich um und drückte einige Knöpfe. „Was machst du denn wieder?“, entfuhr es ihm.

Etwas verwundert sah Atara ihren Vater an. Er grinste. „Ich meine die TARDIS. Sie hat unseren Zielort verändert.“

„Wie meinst du das?“

„Es sieht aus, als gäbe es hier etwas Interessantes für uns. Ich hatte ursprünglich eine andere Zeitebene ausgesucht, doch jetzt landen wir im sechzehnten Jahrhundert. Genauer gesagt fünfzehnhundertachtundzwanzig n. Chr. in der Zeitrechnung dieser Welt.“

„Weshalb bringt das Schiff uns dorthin?“

„Keine Ahnung!“ Tarwens gerade noch wehmütige Augen blitzten jetzt vor Freude. „Wir werden es herausfinden.“

„Macht es dir nichts aus, dass dein Schiff dich einfach übergeht und ein anderes Ziel wählt?“

„Im Gegenteil! Das werden meist die schönsten Erlebnisse.“

Ataras blau-silbrigen Augen funkelten amüsiert. „Keine Anweisungen dieses Mal? Ich erinnere mich gut an deinen Vortrag damals.“

„Aber sicher. Wir kennen die Kultur hier nur wenig. Also müssen wir die Leute beobachten und uns ihrem Verhalten anpassen. Für die Menschen siehst du aus wie ein halbwüchsiges Mädchen, jünger als du in Wirklichkeit bist. Achte deshalb auf andere Kinder und ahme sie nach. Vor allem darf niemand ahnen, dass wir keine Menschen sind.“

„Das weiß ich doch alles. Ich werde nichts falsch machen. Komm, wir sind längst da.“

„Zuerst ziehst du dich um. In dieser Kleidung fallen wir viel zu sehr auf. Suche dir etwas aus.“ Er reichte ihr einige Bilder. Sie lachte über die Abbildungen, rannte jedoch bereitwillig zu den Garderoberäumen.

Gemeinsam traten sie aus der TARDIS. Tarwen trug über der dunklen Hose und dem fast weißen Hemd eine feste Weste mit vielen aufgenähten Taschen und einen schwarzen, wadenlangen Mantel. Dazu kam ein ebenso schwarzer, hoher Hut. Atara dagegen steckte in einem knöchellangen, hochgeschlossenen Kleid aus grauem Stoff mit einem etwas helleren Schultertuch. Ihre schönen, dunkelbraunen Haare waren fast komplett unter der spitzenbesetzten, weißen Haube versteckt.

„Uh!“ Sie rümpfte die Nase. „Hier stinkt es ja schrecklich.“

Tarwen deutete auf den Boden. „Pass auf, wo du hintrittst! Was du riechst, ist der Dung der Pferde und Ochsen, die als Zugtiere für die Karren und Kutschen benutzt werden.“

„Wo genau sind wir?“

„In London, einer Stadt in England, einem Inselstaat auf der nördlichen Halbkugel des Planeten.“

Sie gingen durch die Straßen. Überall lag Schmutz und Unrat. Die Menschen eilten mit gesenkten Köpfen an ihnen vorbei. Sie schienen überwiegend in eine bestimmte Richtung unterwegs zu sein. Tarwen und Atara folgten ihnen, doch er blieb immer wieder stehen. Fasziniert sah er in alle Gassen.

„Sieh nur, wie eng die Häuser aneinander gebaut sind. Man kann durchlaufen, aber hier passt mit Sicherheit keine Kutsche hinein.“

Tarwen machte einen Schritt vorwärts und sprang fast im gleichen Moment wieder zurück, da ihn beinahe ein breiter Karren streifte. 

„Pass doch auf, wo du hinrennst“, schimpfte der Mann, der das unförmige Gefährt vor sich her schob.

„Schon gut, schon gut“, gab Tarwen fröhlich zurück. „Was gibt es da vorne denn Besonderes? Ist vielleicht etwas Außergewöhnliches geschehen?“

„Hä?“ Der Mann richtete sich auf und warf einen misstrauischen Blick auf ihn und Atara. „Was soll denn passiert sein?“

„Keine Ahnung, irgendwas eben. Wo gehen zum Beispiel die ganzen Leute hin?“

„Zum Markt natürlich“, brummte der Händler. „Ebenso wie ich, also geh mir endlich aus dem Weg.“

„Hm.“ Tarwen sah ihm nach. „Der weiß anscheinend nichts. Aber es muss einen Grund geben, weshalb wir hier sind. Komm, sehen wir uns auf diesem Markt um.“

Sie gingen weiter und erreichten einen größeren Platz. Hier waren unzählige Buden und Karren aufgestellt. Atara sah mit großen Augen auf die Menge. Der Lärmpegel war unbeschreiblich. Ausrufer priesen ihre Waren an und die Kunden feilschten um die Preise.

„Vater“, sagte sie leise und zupfte an seinem Mantel, „das können doch niemals die Menschen sein, die Siedler nach Gondwana gebracht haben. Sie sind viel zu primitiv.“

„Unser Besuch dort war in einer zukünftigen Zeit, Liebes“, erklärte Tarwen ebenso verhalten. „Im Moment besitzen sie noch keine technische Zivilisation. Das kommt erst später, in mehreren Jahrhunderten laut der Daten im Schiff. Im Moment wissen sie nicht einmal, dass es andere Welten gibt.“

Vor ihnen ertönte lautes Geschrei. „Weg! Geht weg! Wie kannst du es wagen, mit einer Verseuchten hierher zu kommen? Willst du alle krank machen?“

Die Menschen wichen zurück und Tarwen konnte ein etwa zwölfjähriges Mädchen sehen, das sich an den Arm einer Frau klammerte.

„Sie hat keine Pest, nur Fieber“, beteuerte diese. „Wir brauchen Nahrung.“

Der Händler schwang drohend einen Stock in ihre Richtung. „Verschwinde mit ihr! Wenn es nicht die Pest ist, dann sicher das Schweißfieber. Ihre Haut ist gelb. Geht fort!“

Das Kind brach plötzlich zusammen. Ihre Mutter kniete sich neben sie. „Amanda!“

Die Menschenmenge wurde unruhig. Immer mehr begannen, die beiden zu beschimpfen. Drohungen wurden ausgerufen, einige Männer griffen nach Stöcken oder Steinen.

„Sie werden sie doch nicht angreifen?!“ Atara blickte den Vater entsetzt an.

Ohne darüber nachzudenken lief Tarwen zu den beiden und hob das bewusstlose Kind auf.

„Bist du wahnsinnig?“, brüllte der Händler. „Du wirst dich anstecken!“

„Unsinn! Halte lieber die Meute zurück. Oder willst du ein Blutvergießen zulassen?“, herrschte Tarwen ihn an. Dann wandte er sich an die Frau, ganz kurz musterte er sie. Ihr Kleid war einfach, aber gut gearbeitet. „Wo wohnt Ihr?“

Sie starrte ihn mit halb offenem Mund an. „Dort drüben“, stammelte sie und zeigte in eine der Gassen. „Aber wir sind einfache Leute, Herr.“

Tarwen begriff, dass er die falsche Anrede gewählt hatte. Allerdings konnte er das jetzt nicht mehr rückgängig machen. „Ich bin ein höflicher Mensch und Ihr seid eine respektable Person“, versicherte er ihr – und den umgebenden Zuhörern.

Er wandte sich in die angegebene Richtung und warf Atara einen auffordernden Blick zu. Sie ergriff den Arm der Frau. „Bitte, führt uns zu Eurem Heim. Vater wird Euch sicher helfen können.“

In der kleinen Wohnung legte Tarwen das Kind auf ein schmales Lager. Sie war wieder wach, wirkte jedoch lethargisch.

„Tara“, sprach er seine Tochter an. „Geh zum Markt zurück. Kaufe für die beiden ausreichend Nahrung ein.“ Er gab ihr ein prall gefülltes Geldtäschchen.

Atara wandte sich der Frau zu. „Was braucht Ihr denn?“

Ein verständnisloser Blick traf sie und Tarwen erklärte: „Tara ist es nicht gewohnt, einen Haushalt zu führen. Bitte, erklärt ihr, was Ihr genau benötigt.“

„Ihr seid sehr gütig, mein Herr“, stotterte die Frau. „Aber ich habe Geld, wenn auch nicht viel.“ Unsicher sah sie zu ihm auf. „Ich weiß nicht, ob ich Eure Hilfe bezahlen kann.“

„Das ist schon in Ordnung. Ihr seid mir dafür nichts schuldig.“

Ihr schossen die Tränen in die Augen. „Wie kann ich Euch danken? Ihr seid ein herzensguter Mensch.“

Atara führte sie hinaus. Tarwen zog aus einer der Innentaschen des Mantels den kleinen, handlichen Analysator heraus. Das Kind beobachtete ihn erstaunt, aber vertrauensvoll.

„Ihr seid ein Doktor, nicht wahr?“

Er zögerte, nickte dann jedoch. Es war vielleicht besser, wenn sie das glaubte. Eine Erinnerung kroch in ihm hoch. Er war schon einmal so genannt worden, von dem Mädchen auf Gondwana – auch einem Menschen.

Das Diagnosegerät zeigte einen starken Befall bestimmter Leptospirosen-Bakterien an. Sie hatten bereits die Leber angegriffen, was die Gelbfärbung der Haut erklärte. Die Kleine würde vermutlich daran sterben. Tarwen starrte auf das Gerät. Diese Krankheit war etwas völlig Normales auf einem primitiven Planeten. Das konnte nicht der Grund sein, weshalb die TARDIS hier gelandet war.

Er blickte in das kleine, schweißüberströmte Gesicht. Es wäre so einfach, sie zu retten. Doch er konnte fast die Stimmen der Mitglieder des Hohen Rats hören: ‚Timelords verändern niemals das Schicksal anderer Wesen!‘ Ganz leise seufzte er. Sobald Atara zurückkam, mussten sie gehen. Er durfte nicht in dieses Leben eingreifen! Wieder hörte er das schwere Atmen des Kindes. Sein Mitleid überwog. Es konnte nicht falsch sein, sie zu retten.

„Bleib liegen! Ich besorge ein Heilmittel“, versprach er ihr.

Er wartete, bis Atara mit einem großen, gut gefüllten Korb eintrat. Sie war ein wenig blass.

„Was ist geschehen?“, fragte Tarwen.            

„Ach, eigentlich gar nichts. Aber die Leute waren sehr unfreundlich. Nur weil wir der armen Frau helfen. Ich verstehe das nicht.“

„Wahrscheinlich haben sie Angst vor dem Fieber.“ Er wandte sich an die Mutter, die sich auf den Bettrand ihrer Tochter gesetzt hatte und ihr den Schweiß abwusch. „Kann Tara eine Weile hierbleiben? Ich muss weg. Es wird vielleicht mehrere Stunden dauern.“

„Natürlich. Ich mache dir eine gute Suppe, mein Kind. Du hast sicher Hunger. Mein Herr, könnt Ihr Amanda wirklich helfen?“

Tarwen nickte lächelnd. Dann eilte er zur TARDIS zurück. Im Labor stellte er ein Heilserum her. Dabei grübelte er über sein seltsames Verhalten nach. Warum war es ihm so wichtig, dieses Mädchen zu retten? Er war ein Timelord! Ein Forscher! Er hatte schon viele Welten besucht, ohne auch nur daran zu denken, sich in das Leben der dortigen Bewohner einzumischen. Was hatten die Menschen an sich, dass sie ihn vom ersten Augenblick an derart faszinierten?

Er untersuchte die Blut- und Gewebeproben genauer und staunte. Diese Wesen waren ihm genetisch verblüffend ähnlich. Einen Moment lehnte er sich zurück und überlegte. Es hatte in der frühen Geschichte Gallifreys Zeiten gegeben, in der regelmäßig Schiffe die Heimatwelt verließen. Viele Planeten waren damals besiedelt worden, und oftmals hatten sich die Kolonisten ihren neuen Welten genetisch angepasst. Vielleicht waren die Menschen Nachfahren solcher gallifreyischen Auswanderer. Konnte das eine Erklärung für sein Verlangen, ihnen zu helfen, sein? Ein unbewusstes Gefühl der Zusammengehörigkeit?

Immer noch nachdenklich marschierte er zur Stadt zurück. Als er über den Markt ging, bemerkte er eine dunkle Kutsche mit verhängten Fenstern. Der Fahrer sprach mit dem Händler, der auf Tarwen deutete. Dieser musterte den breitschultrigen Mann und prägte sich das Gesicht ein. Ob das ein Hinweis war, weshalb die TARDIS hier gelandet war? Er würde sich später nach der Kutsche erkundigen. Auf der Tür prangte ein Wappen, der Besitzer sollte leicht herauszufinden sein.

Als er die Wohnung betrat, blickte ihm die Frau entgegen. In ihren Augen stand Angst und Hoffnung zugleich. „Eurer Tochter wird es bald besser gehen“, versicherte Tarwen. Er rührte das mitgebrachte Pulver in einen Becher Wasser und gab ihn der Kleinen zu trinken. „Gebt ihr jeden Morgen und Abend die gleiche Menge. In wenigen Tagen wird das Fieber sinken und sie wird wieder gesund.“

Ihren überschwänglichen Dank wehrte er ab und verabschiedete sich gerade, als laut gegen die Eingangstür geklopft wurde. Ein kräftig gebauter Mann schob sich herein. Tarwen erkannte in ihm den Kutscher wieder. Dieser zog die Kappe vom Kopf, als er die Frau bemerkte, wandte sich jedoch an den Timelord.

„Fremder! Es heißt, Ihr habt Euch um das kranke Kind gekümmert. Seid Ihr ein Doktor oder Wunderheiler?“

„Also letzteres bestimmt nicht. Wenn es sein muss, ein Doktor“, gab Tarwen zurück.

„Dann soll ich Euch zu meinem Herrn bringen. Die Kutsche wartet unten. Kommt!“

Tarwen runzelte die Stirn. „Ist dein Herr krank?“

„Das wird er Euch selbst mitteilen. Ich habe den Auftrag, Euch zu ihm zu führen.“

„Was ist geschehen?“

„Woher …?“ Der Kutscher verstummte erschrocken. „Was wisst Ihr darüber?“

„Gar nichts“, gab Tarwen unbekümmert zu. „Deshalb frage ich ja.“

„Ich kann Euch nichts sagen. Mir wurde befohlen, Euch zu holen.“

„Verrate mir wenigstens, zu wem ich kommen soll.“

„Der Lord of Tarhoven verlangt nach Euren Diensten. Habt Ihr das Wappen nicht gesehen?“

„Ich kann nicht jedes Wappen kennen“, murmelte Tarwen. „Wir kommen mit.“

Gespannt stieg er mit Atara in den Wagen. Schon bald verließen sie die eng bebaute Stadt. Das Gefährt ratterte über holprige Wege entlang der Felder und hielt schließlich vor einem hohen Zaun. Ein breites Tor wurde geöffnet, dahinter erstreckte sich ein langer, sauber gekiester Weg. Er führte durch einen Park mit hohen Bäumen bis zu einem beeindruckenden Schloss. Atara riss die Augen auf und schob ihr Gesicht durch das kleine Fenster, um besser schauen zu können. Es war ein riesiger Bau mit mehreren Türmchen und vielen Erkern.

Die Kutsche fuhr an dem imposanten Eingang vorbei in den Wirtschaftshof. Von dort wurden sie durch einen Nebeneingang in das Gebäude gebracht.

„Ts“, meinte Tarwen, „anscheinend der Lieferanteneingang. Ich bin etwas enttäuscht.“

Sie marschierten hinter dem Lakaien durch mehrere Räume und Flure in das obere Stockwerk. Er öffnete eine Tür und verneigte sich demutsvoll. „Der Fremde, Mylord“, meldete er, wandte sich ab und verschwand.

Der Earl, ein Mann in den Fünfzigern, stand in einem großen Zimmer, das mit kostbaren Möbeln eingerichtet war. Er musterte Tarwen eingehend, ebenso Atara.  „Du bist also ein Doktor“, sagte er dann endlich. „Und wie weiter? Doktor Who?“

Tarwen überlegte einen Moment, dann schmunzelte er. „Nur Doktor, Lord Tarhoven. Das genügt.“

Mit einem Schulterzucken akzeptierte der Adlige die Antwort. „Es spielt keine Rolle. Du scheinst dich vor Krankheiten nicht zu fürchten. Sag mir, ob du dem Kind helfen konntest! Wird es gesunden?“

„Warum kümmert Euch das? Gehört die Kleine irgendwie zu Euch?“

„Selbstverständlich nicht!“ Der Earl schnaubte vor Empörung. „Ich möchte mich nur vergewissern, ob du über genügend Wissen verfügst.“

„Welches Wissen? Was ist geschehen? Ich bin sicher, dass ich Euch helfen kann.“ Tarwen wurde immer neugieriger. „Die Kleine ist in wenigen Tagen gesund“, fügte er hinzu.

Das Aufatmen des hochgewachsenen Mannes war nicht zu übersehen. „Ich benötige dich für meinen Sohn, Lord Kourghtnon. Du wirst über alles, was du siehst, schweigen! Das gilt auch für deine Tochter.“

Er führte sie durch eine weitere Tür wieder auf einen Gang und in ein anderes, ebenso großes Zimmer. Es war fast leer, doch unzählige brennende Kerzen waren auf dem Boden verteilt. Helle Stellen auf den Holzdielen zeigten, dass bis vor kurzem noch Möbel dort gestanden hatten. Neben dem großen, bodentiefen Fenster befand sich eine niedrige Schlafstätte. Man konnte es kaum als Bett bezeichnen. Anscheinend lagen die Matratzen direkt auf dem Boden.

Ein junger Mann kauerte darauf und sah ihnen erschrocken entgegen. „Wer sind diese Leute?“, rief er, seine Stimme überschlug sich. Er schien völlig entsetzt über ihr Erscheinen zu sein.

„Ein Doktor mit seiner Tochter. Er wird dir helfen“, beruhigte ihn der Hausherr.

Tarwen stutzte bei dem plötzlich sanften Tonfall. Der Adlige wurde ihm sympathischer. Die Tür öffnete sich erneut und eine ältere Frau mit einem großen Tablett auf den Armen trat ein. Sie knickste: „Verzeiht, Mylord. Ich dachte … das Abendessen für den Lord.“

„Schon gut. Stell es ab!“

Langsam, mit kleinen Schritten, näherte sie sich dem Lager. „Ich bin es, Mylord, Sophie. Ich bringe Euch das Essen.“

„Was für eine Krankheit hat Euer Sohn?“, fragte Tarwen etwas ratlos. Der junge Bursche wirkte gesund und kräftig, allerdings äußerst seltsam in dieser ängstlichen Haltung.

„Der Teufel ist vom Himmel gefallen. Er hat von ihm Besitz ergriffen“, entfuhr es der Frau.

„Sei still und erzähle keine Ammenmärchen!“, fuhr der Earl sie an. Sie senkte den Kopf und stellte das Tablett neben das Bett auf den Boden. „Jetzt verschwinde.“

Eilig verließ sie das Zimmer. Tarwen sah ihr hinterher. Dann wandte er sich dem jungen Mann zu. „Erzählt mir, was Euch widerfuhr, Lord Kourghtnon.“

„Er kann Tag und Nacht nicht mehr unterscheiden, leidet an Angstzuständen und Schlaflosigkeit“, zählte dessen Vater auf.

Tarwen sah ihn eindringlich an. „Würdet Ihr das Zimmer verlassen? Ich möchte mich mit Eurem Sohn alleine unterhalten.“

„Du sollst ihn untersuchen. Und selbstverständlich bleibe ich dabei.“

Ohne eine Miene zu verziehen, setzte Tarwen sich auf den Boden und sah zum Fenster hinaus. Der Adlige wartete einen Moment, seine Stirn zog sich zusammen. „Was soll das?“, fragte er schließlich.

„Ich warte.“

„Worauf denn, zum Donnerwetter?“

„Dass Ihr geht. Vorher mache ich gar nichts.“

Wütend starrte der Earl auf ihn herab, doch er rührte sich nicht. Schließlich gab der Adlige nach und stürmte hinaus. Tarwen grinste ein wenig. „Atara, sei so gut und suche diese Frau, Sophie. Vermutlich findest du sie in der Küche. Frage sie vorsichtig aus und lass dir alles von diesem Teufel erzählen, der angeblich vom Himmel fiel. Dann komm wieder her.“

Sie huschte aus dem Zimmer und Tarwen setzte sich zu dem jungen Mann, dessen Augen die ganze Zeit unruhig das Zimmer absuchten. „Wollt Ihr nicht essen?“

„Ich kann nicht. Ich muss sie beobachten. Sonst kommen sie.“

„Wer kommt? Und woher?“

„Aus den Schatten. Sie erscheinen immer in den dunklen Ecken. Sie flüstern und schreien.“

Das erklärte die Kerzen. „Wer sind sie?“

„Schemen. Wie Geister. Doch es sind keine. Es sind nur Schemen.“ Seine Stimme wurde immer verzweifelter und ängstlicher.

„Ich werde für Euch aufpassen“, versprach Tarwen.

Er deutete auf das Tablett. Langsam begann der junge Mann zu essen, blickte jedoch weiterhin ständig umher. Plötzlich schrie er leise auf. „Dort!“

In einer der etwas dunkleren Ecken flimmerte es, dann erschien ein Schatten, der an den Rändern zu schimmern schien. Oval und etwa halb so groß wie ein Mann. Ein Raunen war zu hören, gleichzeitig vernahm Tarwen einen schmerzhaft lauten Schrei in seinem Kopf. Der junge Lord stöhnte und presste die Hände an die Schläfen.

Tarwen blockierte seinen Geist, sofort wurde der telepathische Schrei leiser. Er stand auf und starrte das durchsichtige Wesen – die Wand dahinter blieb deutlich erkennbar – an. „Wer bist du? Warum bist du hier?“

Das Raunen intensivierte sich und Tarwen hörte Worte in seinem Kopf: ‚Du kannst uns hören? Hilf uns! Wir vergehen.‘

Das Wimmern des Mannes neben ihm wurde lauter.

„Ihr quält diesen Menschen. Hört auf, er kann eure Stimmen nicht ertragen. Ich werde euch helfen.“

‚Hilf uns. Wir vergehen. Hilf uns!‘ Die Sätze wiederholten sich immer wieder.

Tarwen trat auf die Gestalt zu, die schlagartig verschwand. Damit verstummten auch das hörbare Raunen und die telepathischen Rufe.

Der junge Lord atmete auf.  Sein Gesicht glänzte vor Angstschweiß. Er wischte sich mit den Händen darüber. Dann starrte er Tarwen an. „Du hast sie gesehen und gehört!“

„Ja, sicher. Warum?“

„Vater sagt, ich bilde mir das ein. Sie wären nicht da.“

„Da irrt er sich.“

„Ich bin nicht wahnsinnig?“

„Ganz gewiss nicht. Lord Kourghtnon, was ist in der Nacht geschehen, als dieses Etwas vom Himmel fiel?“

Eine ganze Weile blieb dieser stumm. Unsicher stammelte er schließlich: „Du fragst das, um mich einsperren zu lassen. Ich will nicht zu den Irren.“

„Ihr seid nicht verrückt, sondern völlig gesund. Was ist passiert? Sagt es mir!“

„Sophie hat recht“, gab der Lord leise zu. „Ich war vor neun Nächten draußen unterwegs. Das Pferd scheute und warf mich ab. Als ich wieder auf die Beine kam, sah ich es. Ein riesiges Feuer leuchtete am Himmel – rote und bläuliche Flammen zuckten daraus hervor. Eine Art Rauschen war zu hören, aber nicht sehr laut. Dann sank das Feuer zu Boden und verschwand. In derselben Nacht tauchten die Schemen zum ersten Mal auf. Sie verfolgen mich!“

Das klang, als ob ein Raumschiff abgestürzt wäre. „Es sind immer nur solche Schatten? Sie werden nicht deutlicher?“

Lord Kourghtnon schüttelte den Kopf und deutete entsetzt zur Wand. „Da! Sie lassen mich nicht in Ruhe!“

Die seltsame Gestalt tauchte wieder auf. Tarwen näherte sich ihr, doch schon nach den ersten Schritten verschwand diese wieder. „Interessant“, murmelte er. „Lord Kourghtnon, ich weiß jetzt, wie ich Euch zumindest etwas helfen kann. Ihr braucht jemanden, dem Ihr vertraut und der nicht allzu ängstlich ist. Derjenige soll jedes Mal einfach auf die Schemen zugehen, wenn sie auftauchen. Ihr seht doch, dass sie dann sofort verschwinden. So bekommt Ihr zumindest etwas Ruhe und Schlaf. Ich suche nach dem Ursprung dieser Erscheinungen.“

„Du glaubst wirklich, du kannst mich von diesen … diesen Dingern befreien?“ In den Augen des Mannes flackerte Hoffnung auf. „Aber wird Vater dir glauben? Er sieht sie nicht!“

„Ich rede mit ihm. – Nein“, hielt er Lord Kourghtnon auf, der zur Glocke eilen wollte. „Ich möchte auf meine Tochter warten. Erklärt mir solange, wo Ihr in jener Nacht wart.“

Tarwen bekam eine ausführliche Beschreibung des Ortes. Dann kam Atara zurück. Sie berichtete ihm von ihrer Unterhaltung mit der alten Köchin. Sophie hatte dasselbe gesehen wie ihr junger Herr und beschrieb es fast gleich. Nur war sie davon überzeugt, den Teufel gesehen zu haben.

Schließlich ließen sich die beiden wieder zu dem Earl of Tarhoven bringen. Der blickte sie mit zusammengekniffenen Augen an. Sein Gesicht war zornrot. „Doktor, ich lasse mich nicht gerne aus meinen eigenen Räumen vertreiben“, donnerte er.

„Es musste sein“, erwiderte Tarwen ruhig. „Sonst hätte ich die Wahrheit nicht erfahren. Ich kann Euch erklären, wie Ihr Eurem Sohn Ruhe verschaffen könnt, bis ich die Ursache der Schemen gefunden habe. Denn Ihr seht die Erscheinungen ebenfalls, auch wenn Ihr es nicht zugeben wollt.“

Ein paar Augenblicke zögerte der Hausherr, ehe er resigniert nickte. „Ja, aber ich wollte dieses unheimliche Etwas ignorieren. Ich glaubte, dass Richard sie ebenso verleugnen könnte. Vielleicht verschwinden sie dann.“

Tarwen erklärte ihm, wie er die geheimnisvollen Gestalten verscheuchen konnte. Der Earl of Tarhoven stieß mehrmals lautstark die Luft aus. „Dann ist er nicht krank? Auch wenn es für andere so wirkt?“

„Nein!“

„Kannst du ihn von diesen Geistern, oder was immer sie sind, befreien?“

„Ich werde es zumindest versuchen.“ Tarwen lehnte ab, im Schloss zu übernachten. „Kümmert Euch jetzt um Euren Sohn. Wir müssen gehen.“

„Aber musst du nicht hier bleiben, um diese Dämonen zu vernichten?“

Tarwen schüttelte den Kopf. „Vermutlich sind es nur Abbilder. Ich suche sie und rede mit ihnen.“ Er erkannte, dass der Earl kein Wort begriff. „Ich muss dorthin, wo das alles angefangen hat. Wenn es notwendig ist, komme ich wieder“, erklärte er deshalb.

Der Kutscher brachte sie zur Stadt zurück. Sie eilten in die schmale Gasse, in der die TARDIS stand. Tarwen holte sich einige Geräte, die wahrscheinlich hilfreich sein würden. Dann zögerte er. Durfte er nach diesem fremden Raumschiff suchen? Es ging ihn nichts an. Das war Sache der Menschen! Doch die begriffen überhaupt nicht, dass es sich um Außerirdische handelte. Und anscheinend brauchten die letzteren Hilfe.

Seufzend haderte der Timelord mit sich selbst. Es durfte ihn nicht interessieren, ob die Leute in dem abgestürzten Raumschiff lebten oder starben. Ebensowenig waren das Leben oder die geistige Gesundheit dieses jungen Mannes wichtig – jedenfalls für ihn. Denn dies alles war längst geschehen. Er war in der Vergangenheit!

Aber die Zeitlinien waren fließend. Es gab keine Überschneidungen, keine Fixpunkte. Ein Eingreifen führte also zu keinen größeren Veränderungen. Er wollte helfen! Er wollte diese Fremden finden! Außerdem war er viel zu neugierig. Wer waren sie? Hatten sie die Erde gezielt angeflogen oder war ihr Erscheinen Zufall?

 „Atara, ich möchte, dass du in der TARDIS bleibst. Wir wissen nicht, was das für Wesen sind. Für dich wird das zu gefährlich.“

„Aber ich möchte bei dir sein.“

Tarwen beharrte auf seinem Wunsch und machte sich alleine auf den Weg zum Waldrand. Dort, in einer Senke zwischen Feldern und Wald, sollte das Feuer zur Erde gefallen sein. Das Gebiet sah völlig unberührt aus. Es gab keine Anzeichen von verbrannten Stellen. Tarwen scannte schließlich die Gegend – und wurde endlich fündig. Etwa dreißig Schritte vor ihm existierte eine Dimensionsblase.

Er öffnete seinen Geist und dachte intensiv an die Schemen. In den Schatten der nahen Bäume flackerte es. Ein schwaches Leuchten tauchte auf. ‚Ich möchte euch helfen‘, dachte Tarwen. ‚Lasst mich zu euch.‘

‚Wir verstehen nicht. Wir sind hier.‘

‚Ihr schützt euch doch durch eine Dimensionsverschiebung. Öffnet sie.‘

‚Was meinst du damit?'

Tarwen setzte zum Antworten an, schloss den Mund wieder und überlegte: Wussten diese Wesen vielleicht gar nicht, dass sie in einem anderen Kontinuum waren? Dann musste er selbst einen Weg finden, in die Blase zu kommen. ‚Versucht nicht weiter, Kontakt mit anderen aufzunehmen. Ihr quält sie damit. Sie verstehen euch nicht und können auch nicht helfen. Ich komme bald wieder.‘

Er fühlte ihr Einverständnis und kehrte zur TARDIS zurück. Die Geräte des Schiffes konnten die Barriere lokalisieren und berechnen. Atara blickte auf die Monitore. „Was ist das?“

„Eine Dimensionsblase. Wir müssen da hinein. Tut mir leid, Atara. Ich wollte dich aus dieser Sache heraushalten.“

Das Mädchen lachte. „Ich bin froh darüber, schließlich bin ich ebenfalls neugierig, was das für Wesen sind.“

Die Maschinen sprangen an, die Energie in der Säule stieg auf und die TARDIS verschwand. In der Senke – und in der Blase – tauchte sie wieder auf. Jetzt sah die Gegend völlig anders aus. Es gab keine Felder und keinen Wald, sondern nur Felsen und Sand. In einem Krater lag die zerplatzte Hülle eines Raumschiffes.

„Du bleibst hier!“

„Ich möchte mit. Bitte, Vater!“

„Auf keinen Fall. Atara, ich weiß noch nicht einmal, mit was wir es zu tun haben. In der TARDIS bist du sicher. Versprich mir, dass du die Tür geschlossen lässt. Du kannst mich auf den Monitoren beobachten.“

Seufzend nickte sie und sah ihrem Vater nach, der in den Krater kletterte.

Durch eines der großen Lecks betrat Tarwen das Wrack. „Hallo! Hier bin ich. Wo finde ich euch?“

Ein schwaches Licht zuckte an der Wand auf und flackerte an ihr entlang. Er folgte ihm, kletterte über Streben und quetschte sich durch mehrere fast verschüttete Durchgänge. Schließlich erreichte er einen Raum, der kaum Schäden aufwies. Anscheinend die Zentrale. Doch sie war leer.

Tarwen sah sich um. Im Boden war ein Kreis markiert. Das Licht war verschwunden. „Hallo!“, versuchte er es noch einmal.

Über dem Kreis wurde es heller. Eine schemenhafte, humanoide Gestalt erschien. Ein Hologramm!

Eine Stimme erklang: „Danke! Kannst du uns helfen? Wir sind hier abgestürzt.“

Er stutzte, die Worte kamen von dem Abbild, wie seltsam. „Das sehe ich. Euer Schiff ist ein Wrack. Aber wo seid ihr? Dies ist ein Hologramm.“

Das Bild flackerte. „Wir sind das Schiff. Was du siehst, ist eine ungefähre Gestalt von dir. Wir haben keine individuelle Form, bilden aber eine aus, wenn wir mit körperlichen Geschöpfen kommunizieren. Das ist für euch einfacher.“

„Dann seid ihr aber schwer verletzt“, meinte Tarwen voller Mitgefühl. „Ich habe keine Ahnung, wie ich euch helfen soll. Hier ist zu viel zerstört worden.“

„Die Hülle ist uninteressant. Die können wir selbst wieder richten. Unsere Energiespeicher haben sich entladen. Wir können gerade noch so viel aufbringen, um Kontakt zu suchen.“

„Ach so! Das ist kein Problem. Zeigt mir, wo die Speicher sind. Ich leite euch Energie zu.“ Neugierig fragte er weiter: „Reist ihr mittels einer Dimensionsblase? Warum haltet ihr sie aufrecht? Das kostet doch sicher sehr viel Kraft.“

„Was meinst du damit? Unser Antrieb basiert auf Karolinkristallen, falls du sie kennst. Glaubst du denn, wir wären in einem anderen Kontinuum? Allerdings messen wir bei dir tatsächlich seltsame Energiemerkmale.“

„Es ist wirklich so. Um euch herum existiert eine Dimensionsblase.“ Tarwen fiel etwas ein. „Hoffentlich ist unsere Energie für euch überhaupt nutzbar.“

Er konnte das Erstaunen dieser Wesen fühlen, die telepathische Verbindung bestand also immer noch. Es schienen mehrere zu sein, obwohl sie sich als das Schiff bezeichneten.  „Können wir deshalb nicht mit den Organischen hier Verbindung aufnehmen?“, fragte das Hologramm. „Wir haben es immer wieder versucht. Manchmal hatten wir den Eindruck, jemand hört uns. Trotzdem gelang es nie, eine echte Kommunikation herzustellen.“

„Die Bewohner dieser Welt begreifen nicht einmal, was ihr seid. Sie sind viel zu primitiv.“

Er verband die TARDIS mit den Speichern des Wracks. Ein erleichtertes Seufzen ertönte. „Das tut gut. Ja, deine Energie ist anders, aber wir können sie umwandeln. Wir danken dir sehr.“

Es dauerte nicht lange, bis das lebende Schiff wieder ausreichend versorgt war. Immer mehr Instrumente begannen zu arbeiten. Im Inneren des Wracks wurde es lebendig. Kleine Roboter, kaum größer als Tarwens Hand, huschten durch die zerstörten Gänge und begannen, dass Schiff instand zu setzen.

„Bald können wir wieder starten. Du bist sehr zuvorkommend. Das findet man bei euch Organischen selten. Bist du ein Doktor?“

Jetzt wurde er schon von völlig fremdartigen Geschöpfen so genannt. Wie seltsam. „Wieso glaubt ihr das?“

„Manche Einzelkreaturen bei den Völkern in unserem Kontinuum werden so bezeichnet. Es sind besondere Wesen, die hoch geachtet werden. Wo immer Hilfe benötigt wird, geben sie diese. Du handelst wie sie. Deshalb vermuten wir, dass du ein solcher bist.“

Irgendwie gefiel Tarwen diese Erklärung. „Ich unterstütze euch gerne. Aber ich möchte euch bitten, diesen Planeten so bald wie möglich wieder zu verlassen. Die Menschen müssen erst noch lernen, dass es andere Welten gibt. Nehmt keinen Kontakt mehr mit ihnen auf.“

„Natürlich entsprechen wir deinem Wunsch. Sobald wir funktionsfähig sind kehren wir in unsere Heimat zurück. Wir hatten Glück, dass du uns hier gefunden hast, Doktor. Vielen Dank, lange hätten wir unsere Existenz nicht mehr aufrechthalten können.“

Eine Weile schaute er zu, wie das Schiff sich selbst reparierte. Die kleinen Roboter schufteten mit erstaunlicher Schnelligkeit.

„Wir sind gleich startbereit“, ließen sich die Wesen wieder hören. „Die restlichen Schäden beheben wir während des Fluges. Wir haben unseren Standort berechnet. Du hast recht, wir sind in ein fremdes Kontinuum geraten. Es wird viel Energie kosten, von hier wegzukommen. Wir wissen nicht, ob dies den Planeten in deiner Dimension beschädigt. Es ist besser, wenn du dich entfernst.“

„Was kann geschehen?“ Tarwen war beunruhigt.

„Eventuell bricht ein Feuer aus.“

Das klang nicht allzu schlimm. Im Gegenteil. Dann sah es aus, als habe Tarwen die „Geister“ vernichtet. Der Earl würde sich bestimmt eine Erklärung ausdenken, die er begreifen konnte.

Er verabschiedete sich von dem Schiffswesen und ließ die TARDIS wieder in seine eigene Dimension zurückfallen. Vorsichtshalber flog er ein gutes Stück weg und beobachtete dann die Senke. Einige Minuten später schlugen hohe Flammen aus dem Gras. Doch der Boden war nass und das Feuer fand nur wenig Nahrung.

„Selbst, wenn es den Wald erreicht – damit müssen die Menschen selbst fertig werden“, entschied Tarwen und gab die Koordinaten von Gallifrey in die Steuerung ein.

„Vater? Du siehst genauso ernst aus wie zu Beginn unserer Reise.“ Atara sah ihn fragend an.

Er seufzte ein wenig. „Der Hohe Rat wird wieder einmal sehr unzufrieden mit mir sein. Timelords sollen sich nicht einmischen.“

Gleichzeitig wusste er, dass er richtig gehandelt hatte. Ob er den Mut besaß, dies auch dem Rat gegenüber zu erklären?

 

Der Master

Sie hatten die Erde und das Zeitkontinuum verlassen. Tarwen korrigierte ein paar Einstellungen und wandte sich dann seiner Tochter zu. Bevor er jedoch ein Wort sagen konnte, wurde das regelmäßige auf- und abschwellende Geräusch in der TARDIS zu einem lauten, misstönenden Kreischen. Das Schiff schwankte hin und her. Sofort überprüfte Tarwen die Instrumente, konnte aber nichts feststellen. Krampfhaft hielt er sich fest, während die TARDIS sich immer stärker schüttelte.

„Vater, was ist los?“ rief Atara. Sie lag fast auf der Sitzbank und umklammerte die Kanten, um nicht durch den Raum geschleudert zu werden.

„Ich weiß es nicht. Irgendetwas zerrt an uns.“

Noch ein lauter Schlag, dann wurde es ebenso plötzlich, wie alles angefangen hatte, wieder ruhig. Tarwen las die Anzeigen ab. Er runzelte verwirrt die Stirn und schaltete die Außenmikrofone ein.

Auf der Stelle war eine barsche Stimme zu hören: „…los? Braucht Ihr eine Extraeinladung oder kommt Ihr endlich heraus, damit ich sehe, wem ich gerade den Hals gerettet habe?“

Tarwen blickte auf die Gestalt, die den Bildschirm ausfüllte. Einen Moment rang er nach Luft. „Was ist denn jetzt passiert? Komm, Atara, wir werden wohl bald Antworten erhalten.“ Er öffnete die Tür und trat auf den metallenen Boden. Sie befanden sich in einem gallifreyischen Forschungsschiff.

Der Mann an den Kontrollen starrte ihn an wie einen Geist: „Du??“

„Master“, grüßte Tarwen, wobei er sich Mühe gab, möglichst neutral zu klingen. Sie hatten sich seit Jahren nicht mehr gesehen. Noch immer trauerte er insgeheim dieser Freundschaft nach. „Wie kommen wir hierher? Etwas zerrte an der TARDIS. Und die Monitore zeigen verblüffende Daten.“

Die Wangenmuskeln des Masters spannten sich an, ehe er auf die großen Bildschirme seines Schiffes deutete. „Das da“, meinte er lakonisch.

Dann erblickte er Atara. Kurz hoben sich die dichten Augenbrauen. Er musterte das junge Mädchen auf eindeutige Weise. Sie wurde rot.

„Meine Tochter, Atara“, erklärte Tarwen mit einem leisen Knurren.

Sofort wurde der Blick des Masters gleichgültig, er wandte sich ab. Tarwens gewöhnliche Familie interessierte ihn nicht. Normale, gallifreyische Frauen beachtete er nur, ebenso wie diejenigen anderer Völker, wenn sie hübsch waren und er sich mit ihnen amüsieren konnte. Ansonsten galten sie ihm nichts.

Das Mädchen war zwar schön, aber dennoch absolut bedeutungslos für ihn. Er beachtete Atara nicht weiter und sprach sie auch nicht an. Aber natürlich mied er Tarwens Angehörige ganz gewiss nicht, weil er eine Bestrafung fürchtete. Niemals dachte er an die demütigende Unterhaltung, die Kanzlerin Flavia damals, vor Jahrzehnten, mit ihm geführt hatte. Das war vergraben und vergessen.

Stattdessen musterte der Master verdrossen den ehemaligen Freund. Er spürte, wie die Wut in ihm hochkochte. Warum musste es ausgerechnet Tarwens TARDIS sein, die er aus dem Energiesog herausgeholt hatte? Jetzt stand dieser Schwächling in seinem Schiff und staunte die Bildschirme an. Er sagte nichts und machte nichts. Natürlich, was sonst! Tarwen tat nie etwas! Flog nur einfach so durch das Universum, um irgendwelche Wunder zu sehen.

Wie ein scharfes Messer schnitt die Erinnerung durch sein Gehirn: Sie hatten es sich geschworen! Sie wollten alle Sonnen und deren Welten erkunden – zusammen. Er hatte daran geglaubt, war sicher gewesen, in Tarwen einen Freund gefunden zu haben. Endlich! Einen echten, wahren Freund, dem er vertrauen konnte. Sie hatten so viele Gemeinsamkeiten miteinander geteilt, waren beide alleine gewesen, ohne Familie, aber mit einer vielversprechenden Zukunft.

Wie oft hatten sie Pläne geschmiedet, was sie später alles machen wollten! Er war sicher gewesen, dass dieser Junge ihm folgen würde. Sie beide könnten in der Hierarchie Gallifreys ganz nach oben aufsteigen. Er als Führer und Tarwen als sein Begleiter. Sie hätten alles schaffen, die mächtigsten Timelords aller Zeiten werden können.

Viel zu spät erkannte er, wie falsch er gedacht hatte. Viel zu lange nahm er hin, dass die Ausbilder Tarwen bevorzugten. Nicht ihm, sondern dem schwächlichen, verängstigten Jungen bot man die interessantesten Lehrgänge an. Tarwen wurde von jedem gefördert, ihm jedoch schenkte man so wenig Beachtung wie möglich.

Dann endlich begriff er es. An dem Tag, an dem Tarwen die Ausbildung zum Timelord geschenkt wurde – und ihm verweigerte. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er sich diese Freundschaft nicht leisten konnte. Denn Tarwen war sein ärgster Konkurrent! Er stand plötzlich über ihm. Das war absolut indiskutabel. Er, der Master, war der Führende. Er war der Auserwählte! Nicht Tarwen!

Der Schmerz und die Enttäuschung darüber verwandelten sich schon nach kürzester Zeit in Wut. Und alles, was seitdem geschah, ließ diesen beißenden, alles verzehrenden Zorn wachsen. Nur Tarwens wegen sah man seine Leistungen nicht. Denn was immer er erreichte, Tarwen bekam es leichter, fast geschenkt. Tarwen wurde für seine Forschungen gelobt, bekam sogar Zugang zu den geheiligten Räumen der Zitadelle! Selbst diese alberne Beziehung mit einer gewöhnlichen Gallifreyerin trug ihm Anerkennung ein.

Ihn dagegen stieß man immer wieder zurück. Selbst die Regeneration und damit den Status als vollwertigen Timelord, gestand man ihm erst zu, als Tarwen für ihn sprach. Seine Forschungen wurden nie wirklich gewürdigt. Was hatte er nicht schon alles erreicht! Doch in den meisten Fällen hielt man ihm sogar vor, er habe zu direkt gehandelt. Habe seine Macht ausgenutzt und anderen dadurch Schaden zu gefügt.

Blödsinn! Er war ein Timelord! Nein, viel mehr, er war ein Krieger-Timelord! Warum sollten andere Völker das nicht wissen und ihn deshalb verehren? Er gehörte dem mächtigsten Volk des Universums an. Er war dafür prädestiniert, über andere zu herrschen, ihnen den Weg zu weisen und ihre Entwicklung zu steuern.

Aber der Hohe Rat akzeptierte das nicht. Nur wenige dachten wie er. All die anderen, die nie ins Universum hinausflogen und lieber in ihren verstaubten Roben in der Zitadelle saßen und debattierten, verachteten ihn. Der Master wusste, wie der Hohe Rat über ihn urteilte: Der Timelord mit dem übelsten Leumund! Nur, weil man ihn immer wieder mit diesem Schwächling verglich. Der Hass darüber ließ ihn mit den Zähnen knirschen. Den darunter verborgenen Schmerz beachtete er nicht, nahm ihn nicht einmal mehr wahr.

„Was meinst du mit ‚das da‘? Wo sind wir überhaupt? Und wie gelangten wir in dein Schiff?“ Tarwens Frage holte den Master in die Wirklichkeit zurück.

„Wir sind zum einen in der Zukunft. Und im Sternensystem Alpha 8-XNO-57. Auf dem Mond dort vorne befindet sich eine Station. Sie haben die TARDIS angepeilt, bevor sie wieder in das Raum-Zeit-Kontinuum zurückkehren konnte.“

„Stopp! Das geht nicht. Das hier ist ein Forschungsschiff, es kann nicht in der Zeit reisen. Außerdem ist es unmöglich, eine TARDIS aus dem Zeitstrom zu holen. Man bräuchte ungeheure Energien dafür“, wandte Tarwen ein.

„Genau! Ich wurde auf dieselbe Art wie du hierhergezogen. Nicht mein Schiff, die dort drüben holten mich in ihre Zeitebene. Zum Glück konnte ich mich verbergen. Sie suchten nach einer TARDIS gesucht rechneten nicht mit einem normalen Raumschiff. Seit zwei Tagen höre ich ihren Funk ab und erfuhr einiges über sie. Anscheinend handelt es sich um Maschinenwesen, obwohl ich mir da nicht ganz sicher bin. Die Instrumente orten auch organische Materie.“

„Zu welchem Volk gehören sie?“

„Kann ich nicht sagen. Die Sprache war nicht in den Speichern, sondern musste erst erforscht und übersetzt werden. Namen scheinen sie nicht zu verwenden, nur eigenartige Rangbezeichnungen: Dalek und jeweils eine Zahl dahinter.“

Tarwens Augen verengten sich, er überlegte, schüttelte dann jedoch den Kopf. „Den Begriff habe ich noch nie gehört.“ Er deutete auf die Instrumentenwand der Zentrale. „Gibt es überhaupt keine Informationen über sie?“

„Nein! Und was deinen zweiten Einwand angeht: Sie können die Hintergrundstrahlung des Universums anzapfen. Rechne dir selbst aus, welche Energiemengen ihnen damit zur Verfügung stehen.“

„Aber … Das ist unglaublich! Ist das dein Ernst? Wozu? Was wollen sie erreichen?“

„Das hast du immer noch nicht kapiert? Das ist typisch für dich“, höhnte der Master. „Sie wollen natürlich eine TARDIS erbeuten. Habe ich gerade schon erklärt, du solltest mal zuhören.“

„Dazu müssten sie unsere Schiffe kennen. Du sagtest, es ist ein unbekanntes Volk.“

„In unserer Zeitebene sind sie das. Aber nicht in dieser.“ Der Master bestätigte einige Schaltungen und Tarwen konnte die aufgenommenen Funksprüche hören.

Eine Weile hörte er zu und wurde blass. „Sie hassen uns. Es klingt … als würden sie gegen uns Krieg führen.“ Ungefragt tauchte eine Erinnerung in ihm auf. Er glaubte, wieder das Flüstern der Matrix zu hören: ‚Denn nach unseren Berechnungen wird Gallifrey schon bald bedroht werden. Dann beginnt eine Entwicklung, die wir gerne verhindern würden.‘ Er verdrängte sie sofort, wollte nicht weiterdenken.

„In welcher Zeit sind wir?“, erkundigte er sich.

„Ungefähr tausend Jahre in der Zukunft.“

Tausend! Bedeutete das für die Matrix ‚bald‘? Was waren das für Wesen dort? Tarwen fiel etwas anderes, noch erschreckenderes ein. „Moment! Du behauptest, sie haben die TARDIS aus dem Zeitstrom gerissen. Das heißt, sie kennen die Gesetze von Raum und Zeit und beherrschen sie. Ebenso wie wir.“

„Anscheinend nur in einem gewissen Umfang“, erläuterte der Master. „Deshalb wollen sie eine TARDIS erbeuten und erforschen.“

„Dann …“, Tarwen versagte für einen Augenblick die Stimme, der Master grinste verzerrt und schaltete wieder am Funkgerät. „Hier, höre es doch selbst. Das fing ich vor knapp zwei Stunden auf.“

Eine metallische Stimme ertönte: „Auch sie müssen sich irgendwann entwickelt haben. Einst waren sie primitiv. Wenn wir in diese Zeit gehen, können wir sie ungefährdet vernichten.“

„Unmöglich!“ Eindeutig jemand anderes, obwohl auch diesmal ein mechanischer Klang vorherrschte. Allerdings sprach das Wesen außerordentlich herrisch. „Vergiss nicht, dass der Schöpfer sie traf. Diese Begegnung muss stattfinden! Unsere Geschichte ist zu sehr mit ihrer verknüpft. Sämtliche vorhandenen Daten werden derzeit ausgewertet, um den passenden Zeitpunkt zu berechnen.“

„Das darf nicht geschehen. Damit zerstören sie die Stabilität der Zeit.“ Fast schrie Tarwen die Worte heraus.

„Sieht so aus, als sei ihnen das gleichgültig. Sie fürchten unsere jetzige oder vielmehr zukünftige Kampfkraft zu sehr.“ Der Master zeigte auf die Bildschirme. „Diese Station ist unglaublich gut geschützt. Ich versuche seit Tagen, die Energieschirme zu berechnen. Wenn ich es schaffe und hindurch gelange, ohne entdeckt zu werden, kann ich sie vernichten.“

„Sind dort keine Lebewesen?“                                               

„Keine Ahnung. Ist doch egal. Wenn, dann garantiert nur diese Maschinenwesen.“

Widerstreitende Gefühle kämpften in Tarwen. „Das vermutest du nur, wie du selbst gesagt hast. Es gibt auch echtes Leben, du hast es geortet.“

„Du wirst doch nicht etwa Mitleid mit ihnen haben?“ Der Master schüttelte verächtlich den Kopf. „Du bist und bleibst ein Schwächling. Begreifst du nicht, was sie mit diesen Energien anrichten können? Damit lassen sich die Zeitlinien selbst verzerren! Und anscheinend sind sie dazu auch fähig. Du hörst doch wie sie reden.“

Tarwen schluckte. Das stellte er sich lieber nicht vor. „Das würden sie niemals machen. Es gibt Regeln.“

„Regeln!“ Fast spuckte der Master das Wort heraus. „Spinnst du jetzt völlig? Warum sollten sich diese Wesen an unsere Gesetze halten? Sie bekämpfen uns!“

Atara, die bisher stumm zugehört hatte, schwankte plötzlich und krümmte sich.

„Was ist denn?“ Tarwen eilte zu ihr.

„Mir ist übel und schwindlig. Seit wir hier sind, habe ich Kopfschmerzen“, gab sie zu.

„Also doch“, murmelte der Master.

„Was – also doch?“, fragte Tarwen sofort nach.

„Die Energiemengen, die benötigt werden, um eine TARDIS aus ihrem Flug zu reißen, greifen organisches Leben an. Die Zellen werden zersetzt.“

Voller Entsetzen sah Tarwen ihn an. Das wäre Ataras Tod! „Gallifrey! Dort wird man ihr helfen können. Wir müssen sofort starten!“

„Das geht nicht“, widersprach der Master. „Dann peilt man die TARDIS wieder an. Es war Glück, dass ich die Energiestruktur durchbrechen konnte. Noch einmal gelingt mir das vermutlich nicht. Ihr würdet im Schiff sterben. Dann haben die Typen da drüben alle Zeit der Welt, um die Schutzvorrichtungen zu überwinden.“

Wenn es nicht darum ginge, dass dadurch eine TARDIS in feindliche Hände – wenn sie denn welche besaßen – geriet, hätte er bestimmt nichts gesagt. Niemals würde er freiwillig Tarwen helfen! Aber in diesem Fall war er gezwungen, ihn zu warnen.

„Atara darf nicht sterben. Es muss eine Möglichkeit geben, ihr zu helfen. Gibt es ein Mittel dagegen?“

Der Master kämpfte mit sich. Wie hoch war das Risiko, wenn er schwieg?

Auch Tarwen begann jetzt zu taumeln. Er hielt sich an einem Stuhl fest. „Master! Was kann man dagegen tun? Was weißt du darüber?“ Seine  Knie schienen nachzugeben. Er sank auf den Boden, sein Gesicht nahm eine leicht grünliche Färbung an.

Ungerührt sah der Master zu. Dem Mistkerl musste inzwischen furchtbar übel sein, so wie er ständig schluckte. Sein Hass frohlockte: Tarwen würde sterben und seine nichtsnutzige Tochter auch. Niemand würde die genauen Umstände erfahren. Doch sein Verstand hielt dagegen: Der Mann war ein Timelord! Er würde regenerieren. Und ihm, dem Master, lastete man dann den Tod des Mädchens an.

Widerwillig nickte er.

„Welches? Master! Sag es mir! Bitte!“

Dieser zeigte auf eine Wand. „Der Medikamentenschrank“, presste er hervor. „Du findest dort Toraxonhyperdolporid. Es verhindert die Zellwandauflösung.“

Innerlich fluchte er über sich selbst. Warum hatte er das gesagt? Nur, weil er keine andere Wahl hatte, versicherte er sich erneut. Als Tarwen sich mühsam auf die Beine stemmte, wandte der Master sich den Instrumenten zu. Aufmerksam studierte er die Sondierungsstrahlen, die ständig die Station und vor allem die sie umgebenden Schutzschirme abtasteten. In regelmäßigen Abständen kam es bei ihnen zu einer Abschwächung. Dann konnte er die Satelliten, die sie aufrecht hielten, kurz ausspionieren und bruchstückhaft Daten sammeln.

Tarwen stolperte die wenigen Schritte zum Schrank hinüber. Beinahe hätte er sich dabei übergeben. Er riss die Türen auf und durchsuchte mit zitternden Händen den Inhalt. Endlich! Er griff nach den Ampullen und sank neben Atara in die Knie. Rasch injizierte er ihr das Mittel, dann auch sich selbst. Fast sofort ließen Schwäche und Übelkeit nach. Er spürte, wie die Regenerationskräfte in ihm begannen, alle Zellschädigungen zu heilen. Mit einem flauen Gefühl im Magen blickte er an sich hinunter. Dann atmete er auf. Nein, die inneren Verletzungen waren nicht so stark, dass eine komplette Regeneration einsetzte.

„Ruh dich aus, Liebes. Es wird gleich besser“, redete er seiner Tochter zu. Sie nickte und schloss die Augen.

„Ich danke dir, Master“, versicherte Tarwen.

Der blieb mit dem Rücken zu ihm sitzen und zuckte nur mit den Schultern. Endlich konnte Tarwen wieder klar denken. Er sah auf die Station, die deutlich auf den Monitoren zu erkennen war. Sie befand sich auf einem kleinen Mond, der einen Gasplaneten umkreiste.

„Ist sie in Betrieb? Sind andere Schiffe von uns gefährdet?“

„Vermutlich.“

„Kannst du einen weiteren Zugriff wie auf meine TARDIS verhindern?“

Wieder hob der Master die Schultern. „Dazu habe ich nicht genug Daten. Die Station ist durch einen Gravitationsschirm geschützt. Ich kenne dessen Stärke nicht. Wenn ich angreife und sie nicht sofort vernichte, schlagen diese Typen zurück. Es gibt eine starke Flotte, dagegen habe ich keine Chance“ Er deutete auf einige Satelliten, die den Mond umgaben. „Ich zapfe die Speicher dort an, wenn die Energieschwankungen es zulassen. Aber es kann noch Stunden, wenn nicht Tage dauern, bis ich ausreichende Ergebnisse habe. Dann erst kann ich die Schirme zerstören und die Station vernichten.“

Tarwen beugte sich über die Kontrollen und studierte die vorhandenen Messwerte. „Wenn du dichter heranfliegst, haben die Virtufluctardstrahlen eine wesentlich höhere Wirkung. Dann müsstest du die Werte komplett herauslesen können.“

„Wenn ich näherkomme, werde ich entdeckt“, gab der Master wütend zurück. Bildete Tarwen sich ein, ihm, dem besten Krieger Gallifreys, Ratschläge geben zu können?

„Du musst ohnehin den Abstand verringern, wenn du angreifen willst.“

„Manchmal bist du wirklich zu dämlich. Begreifst du nicht? Ohne die Daten kann ich den Angriff nicht planen. Und wenn sie mich entdecken, habe ich die Zeit nicht mehr. Schließlich muss ich die Informationen noch berechnen.“

„Das mache ich.“

„Du?“

„Ja.“ Tarwen sah ihm fest in die Augen. „Ich bin kein Kämpfer, aber ich habe Grips. Du fliegst das Schiff wie bei einem Angriff. Ich finde mit den hereinkommenden Daten heraus, was du an Energie benötigst.“

„Weißt du eigentlich, wie knapp das wird? Wir haben nur wenige Minuten Zeit, bis sie uns vernichten.“

„Ja, das ist mir klar. Hast du einen besseren Vorschlag?“

„Du bist verrückt!“

„Vielleicht. Bist du verrückt genug?“

Der Master fixierte erst ihn, dann die Monitore. Schließlich nickte er.

Das Schiff beschleunigte und raste auf den Mond zu. Tarwens Finger huschten über die Tasten, jagten die Sondierungsstrahlen hinaus und suchten nach den Daten der Schutzschirme.

„Wir müssen abdrehen, sie werden uns jeden Augenblick orten!“

„Flieg weiter! Die Werte kommen herein.“ Tarwen sah nicht einmal auf. Fieberhaft gab er Zahlen ein und berechnete gleichzeitig so viel wie möglich im Kopf. Der Computer begann zu arbeiten.

„Wie weit bist du?“ Panik kam im Master auf. Noch nie war er ein solches Risiko eingegangen. Tarwen war schuld daran, wenn sie jetzt starben. Er hatte ihn dazu gebracht, diesen Irrsinn zu wagen.

„Sie haben uns entdeckt!“ Garantiert starteten gleich die Flotten dieser Wesen. Zusätzlich würden die Satelliten auf sie schießen. Er musste umkehren!

„Geh näher heran! Ich leite die Waffenenergie in die Schutzschirme.“

„Bist du völlig wahnsinnig? Womit soll ich dann die Station vernichten?“

„Kann man wieder umkehren“, kam es von Tarwen zurück. „So halten die Schirme den Beschuss aus. Ich brauche noch ein paar Minuten.“

Schweiß brach dem Master aus den Poren. Tarwen musste tatsächlich verrückt geworden sein. Aus den Augenwinkeln beobachtete er den ehemaligen Freund. Der schien nicht einmal zu bemerken, in welcher tödlichen Bedrohung sie sich befanden. Woher nahm er diesen Mut? Ausgerechnet er, der sich immer vor allem und jedem gefürchtet hatte?

Tarwen hielt sich fest, als das Schiff unter dem Beschuss immer stärker schwankte. Er weigerte sich, an die Gefahr dort draußen zu denken. In seinem Kopf wiederholte er immer wieder: ‚Du schaffst das! Du schaffst das! Es gibt eine Möglichkeit. Du findest sie.‘ Er durfte der Angst keinen Raum lassen! Ohne, dass es ihm bewusst wurde, flüsterte eine lautlose Stimme, die aus seinen tiefsten Erinnerungen stammte: ‚Angst ist wie ein Freund, ein Gefährte. Sie ist eine Superkraft und macht dich schneller und klüger.‘

Endlich hatte er genug Informationen. Der Computer gab die ersten Ergebnisse heraus. Tarwen rief sie durch den Lärm dem Master zu. „Lade die Antimolekular-Taster auf!“

„Was willst du denn damit? Das sind keine Waffen!“ Jetzt völlig durcheinander warf der Master ihm einen wütenden Blick zu.

„Doch! Wenn du sie überlädst schon. Die Schirme da drüben halten sie nicht auf. Sie gehen durch.“

„Und woher soll die Energie kommen? Unser eigener Schutz bricht zusammen, wenn du sie abziehst.“

„Gleichzeitig! Lade die Taster auf, dann lassen wir die Energie wieder in sie hineinfließen. Das geschieht in einer Nanosekunde. Du musst sofort feuern.“

Der Master fühlte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Er starrte in das Inferno, das die Monitore zeigten. Die gegnerischen Flotten kamen auf sie zu. In höchstens zwei Minuten waren sie nahe genug um anzugreifen. Das bedeutete ihren Tod. Und Tarwen wollte die Schutzschirme schwächen! Er musste wahnsinnig sein!

„Mach es!“

Dem Master wurde nicht bewusst, dass er dem Befehl gehorchte. In ihm war kein einziger klarer Gedanke mehr. Instinktiv betätigte er die Schaltungen.

Auch Tarwen arbeitete mit fliegenden Händen an den Instrumenten. Dann brüllte er: „Jetzt!“

Schweiß rann dem Master die Wangen herunter und von der Stirn in die Augen. Er hieb mit seiner Faust auf den Schalter. Das Schiff schlingerte und mehrere Alarme gellten durch die Zentrale. Der jetzt nicht mehr abgewehrte Beschuss schien die Außenhülle jeden Moment zu zerstören. Die Männer hielten sich krampfhaft fest. Atara lag längst am Boden und umklammerte eine Strebe, um nicht gegen die Wände geschleudert zu werden.

Ein violetter Lichtstrahl schoss auf den Mond zu, fächerte sich dabei auf und erreichte fast im gleichen Moment dessen Oberfläche. Das Gestein wurde förmlich auseinandergerissen. Der kleine, kaum hundert Kilometer große Himmelskörper zerbrach. Die Station explodierte und die dabei freiwerdende Energie zerstörte nicht nur die Satelliten, sondern auch einen Teil der Angriffsflotte.

Ein gellender Schrei in den höchsten Tönen brach aus dem Master heraus. Er riss das Schiff aus dem Kurs. Erneut flogen Tarwens Finger über die Kontrollen. Die Schutzschirme bekamen wieder Energie. Bockend und stoßend entkamen sie gerade noch rechtzeitig der unmittelbaren Gefahr.

Tarwen rang nach Luf und ließ sich in dem Sessel zurücksinken. „Geschafft“, stöhnte er. „Diese Wesen werden keine TARDIS erbeuten. Der Mond existiert nicht mehr.“

Der Master antwortete nicht, sondern starrte auf die Instrumente. Statt Befriedigung über den Sieg erfüllte ihn kalte Wut. Denn nicht er hatte dies erreicht. Natürlich würde der Hohe Rat auch ihn würdigen, doch der strahlende Held wäre Tarwen – wieder einmal. Der hatte diese verrückte, geniale Idee gehabt, wie die Station vernichtet werden konnte. Dass er, der Master, sie entdeckt und die Gefahr, die von ihr ausging, sofort begriffen hatte, würde niemanden interessieren.

Voller Bitterkeit beobachtete er, wie Tarwen sich aus dem Sessel stemmte und neben Atara kniete. Nur beiläufig sah er eine der Anzeigen auf dem Kontrollpult aufleuchten. Irgendwelche Sondierungsstrahlen trafen das Schiff. Der Master beachtete es nicht, es war ungefährlich. Sollten sie das Schiff doch abtasten. Obwohl er einzigartige Waffensysteme an Bord hatte, war es im Grunde ein Forschungskreuzer. Außerdem verließen sie in wenigen Augenblicken das Sonnensystem. Dann konnte die TARDIS sie alle in ihre eigene Zeitebene zurückbringen.

„Alles in Ordnung?“, fragte Tarwen voller Sorge seine Tochter, die bleich auf dem Boden kauerte.

Sie schaffte es zu lächeln, obwohl ihre Augen flackerten und sie totenbleich war. „Mir geht es gut. Sind wir wirklich außer Gefahr?“

„Ja! Der Master hat uns gerettet.“ Er wandte sich zu dem ehemaligen Freund. „Du hast es geschafft. Du hast uns vor diesen geheimnisvollen Wesen geschützt. Und nicht nur uns, sondern ganz Gallifrey.“

Der sah ihn verblüfft an. Meinte Tarwen das ernst? Würde er tatsächlich ihm den Ruhm überlassen?  Der Master studierte dessen Augen und seine Miene. Früher hatte er immer erkennen können, was Tarwen dachte. Jetzt war das nicht mehr so einfach. Sein Blick wirkte aufrichtig, gleichzeitig war sein Gesicht wie eine Maske.

„Du wirst dem Hohen Rat Bericht erstatten, nehme ich an“, meinte der Master. Er traute den Worten nicht. Tarwen sollte gefälligst deutlicher werden.

„Natürlich! Wir waren auf dem Weg nach Hause. Unsere Studien sind hochinteressant. Aber über diese Station informierst besser du den Rat. Wir kamen nur dazu. Ich kenne weder die Hintergründe, noch deine bisherigen Maßnahmen.“ Tarwen blickte ihn offen an.

Jetzt ließ der Master das Gefühl des Triumphes zu. Es durchdrang ihn wie Wasser eine ausgetrocknete Wüste. „In Ordnung!“ Mehr sagte er nicht. Wenn Tarwen so dumm war und dies tatsächlich glaubte, durfte er ihm keinen Grund geben, genauer darüber nachzudenken.

„Dann verschwinden wir jetzt. Wir schleppen dein Schiff mit, bis wir in unserer Zeit sind.“ Tarwen wandte sich an seine Tochter. „Atara, geh bitte schon in die TARDIS. Ich komme gleich nach.“ Er wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Meine Tochter verdankt dir ihr Leben, das werde ich niemals vergessen. Du hättest ihr nicht helfen müssen, aber du hast es getan. Danke!“

Der Master wich seinem Blick aus und zuckte mit den Schultern. Tarwen lächelte. Vielleicht – nur vielleicht – existierte ja doch noch etwas von ihrer Freundschaft.

 

Keiner von ihnen ahnte, was zur gleichen Zeit im Flaggschiff der gegnerischen Flotte geschah.

Ein Dutzend roboterähnlicher Wesen stand in der Zentrale verteilt. Die kegelförmigen Körper waren mit glänzenden Halbkugeln besetzt, offensichtlich Sensoren. Aus mehreren Öffnungen ragten verschiedene Werkzeuge hervor, die wie Arme und Hände benutzt wurden. Die runden Köpfe besaßen ein ausfahrbares Teleskopauge.

„Sind die Informationen vorhanden?“, schnarrte einer von ihnen.

„Es konnten nicht alle Speicher ausgelesen werden, Dalek Eins. Das Schiff entfernte sich zu schnell aus der Reichweite der Taststrahlen.“

„Welche Daten besitzen wir?“

„Noch unbekannt. Sie sind codiert. Wir benötigen Zeit, um sie zu entschlüsseln. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Koordinaten von Gallifrey enthalten sind, liegt bei 88,7 Prozent.“

„Wie lange dauert die Dechiffrierung?“

Der angesprochene Dalek zögerte. Er war jedoch nicht in der Lage, eine Unwahrheit gegenüber seinem Oberkommandanten auszusprechen.

„Ebenfalls unbekannt. Unter Umständen Jahre.“

Dalek Eins schien zu erstarren. Aber nur wenige Augenblicke später erklärte er: „Alle verfügbaren Computer sollen sich mit der Decodierung der erbeuteten Daten beschäftigen. Wir werden erfahren, wo sich der Planet der Timelords befindet. Selbst wenn bis dahin Jahrzehnte vergehen. Gallifrey wird fallen!“

 

Ein neuer Name

In aller Eile gab Tarwen Anweisungen, dass sein Schiff gründlich gewartet wurde. Anschließend brachte er Atara zur medizinischen Fakultät. Die Ärzte bestätigten nach einer kurzen Untersuchung, dass das Mädchen völlig gesund war. Das Gegenmittel hatte zwar länger gebraucht, als seine eigenen regenerativen Fähigkeiten, doch die Zellschäden waren ebenso zuverlässig behoben worden. Tarwen fiel ein Stein von der Seele. Er hätte sich nie verziehen, wenn seiner Tochter etwas geschehen wäre.

Auf dem Weg nach Hause, zupfte Atara ihren Vater am Arm. „Mutter wird sicher auch beruhigt sein, wenn sie den Bericht der Ärzte bekommt, nicht wahr?“

„Natürlich. Warum fragst du?“

„Ich fürchte, sie verlangt vielleicht, dass du mich in Zukunft nicht mehr mitnimmst. Ich kann ohnehin nur selten mitkommen, das Studium erfordert sehr viel Zeit.“

Tarwen musste lachen. „Das ist deine Sorge? Und ich dachte, nach diesem Erlebnis hättest du vielleicht keine Lust mehr auf weitere Ausflüge mit der TARDIS.“

Vehement schüttelte Atara den Kopf, ihre langen Haare flogen wie ein dichter Schleier durch die Luft. „Oh nein! Ich gebe zu, ich hatte Angst. Aber jetzt nicht mehr. Es war insgesamt herrlich. Ich möchte wieder auf die Erde. Die Menschen interessieren mich. Ich würde gerne erfahren, wie sie sich entwickeln. Können wir sie nicht in verschiedenen Zeiten besuchen?“

„Eine gute Idee. Eine sehr gute sogar. Ich bin sicher, dass Aluanin dich versteht.“

Diese schloss ihre beiden Liebsten fest in die Arme, als sie von deren Abenteuer erfuhr. Ein feines Lächeln spielte um ihren Mund, als sie ihre Tochter betrachtete.  „Du hast wirklich sehr viel von deinem Vater. Mach dir keine Sorgen, Atara, ich werde nichts dagegen sagen, wenn du weiterhin mit ihm zusammen reist. Ich weiß doch selbst, wie faszinierend es ist. Und ich bin vollkommen sicher, dass er dich immer zu mir zurückbringen wird.“

Später, als sie mit Tarwen alleine war, fragte sie ihn nach allen Einzelheiten aus. Nachdenklich meinte sie: „Ich werde in die Zitadelle gehen und nach dem Master fragen. Er hat euch gerettet. Ich möchte ihm dafür danken.“

„Das ist keine gute Idee“, wehrte Tarwen ab.

„Lehnt er uns immer noch ab? Er ist doch der Timelord, der uns damals im Park angesprochen hat, oder? Was hat er eigentlich gegen uns?“

„Nichts Spezielles. Aber er verabscheut mich, und ihr gehört zu mir“, erklärte Tarwen.

„Und du? Wie stehst du zu ihm?“

Er hob unsicher die Schultern. „Ich weiß es nicht. Einst, als Kinder, waren wir sehr gute Freunde. Inzwischen sieht er in mir einen Konkurrenten, obwohl ich nie verstanden habe, weshalb. Irgendwie hoffe ich darauf, dass er lernt, dass es so etwas wirklich gibt – Vertrauen und Freundschaft.“

„Du wirst darauf warten, wie ich dich kenne.“

Tarwen nickte.

„Aber dich beschäftigt noch etwas. Kann ich dir helfen?“

Trotz des ernsten Gesprächs umarmte und küsste er Aluanin. „Dir entgeht einfach nichts.“

„Ich liebe dich. Ist es nicht natürlich, dass ich spüre, was in dir vorgeht?“

„Bei dir schon.“ Tarwen strich ihr über die Haare. Einen Moment zögerte er, dann gab er zu: „Ich möchte gleich heute erneut fort. Bevor der Hohe Rat mich ruft. Denn sie werden wieder einmal mit meinem Handeln unzufrieden sein. Ich muss mir über etwas klar werden.“

Sie legte ihre Hände um seine Wangen und sah ihm in die Augen. Tarwen wusste, dass sie in ihn hineinhorchte. Ihre silbrigen Pupillen weiteten sich. „Es ist sehr wichtig für dich.“

„Ich muss etwas herausfinden. Über mich selbst. Und es wird … vermutlich … mein ganzes Leben betreffen.“

„Dann geh! Was immer du entscheiden musst, du wirst den richtigen Weg für dich finden, das weiß ich.“

Kurze Zeit später stand Tarwen erneut vor der Steuerkonsole seiner TARDIS. Er legte die Hände darauf und öffnete seinen Geist. ‚Bring mich an einen Ort, an dem ich gebraucht werde. An dem ich erkenne, ob es richtig ist, wie ich denke und fühle.‘

Er spürte das Tasten in seinem Kopf und achtete darauf, sich nicht dagegen zu wehren. Nur einen Moment später stieg die Energie in der Steuersäule empor. Gespannt wartete Tarwen. Als die TARDIS zur Ruhe kam, kontrollierte er nur hastig die wichtigsten Werte – Atmosphäre und Temperatur. Dann riss er dir Tür auf.

Unebenes Land, mit Gras und Büschen bewachsen, breitete sich vor ihm aus. Er ging einige Schritte, während er sich neugierig umsah. Ein helles Blitzen ließ ihn aufschauen. Tarwen lief darauf zu und stand am Ufer eines riesigen Sees. Die Oberfläche bestand aus unzähligen übereinander geschobenen, fast durchsichtigen, festen Schollen. Das Sonnenlicht brach sich darin und ließ kleine Regenbögen entstehen, die wie farbige Wellen in der Luft schwebten. Fasziniert beobachtete er das Schauspiel.

Doch sein Gehirn dachte schon weiter. Es war warm. Was das Wasser bedeckte, konnte kein Eis sein. Seine Nasenflügel blähten sich. Dieser Geruch … war dies kein See, sondern die Küste eines Meeres? Tarwen hockte sich ans Ufer und untersuchte die Brocken. Sie bestanden aus purem Salz.

Kaum zehn Meter weiter draußen wurde die unregelmäßige Oberfläche glatter und bildete eine blendend helle Schicht. Vorsichtig stieg Tarwen über die letzten Stolperfallen und klopfte mit der Faust darauf. Es klang dumpf. Er hielt den Analysator dicht darüber und starrte verblüfft auf die Anzeige: Das Salz war über einen Meter dick. Weiter vorne, vielleicht zweihundert Schritte weit, schätzte er, konnte er Wasser sehen. Es schwappte in kleinen Wellen über die Salzdecke.

„Nein, bitte! Lorm, bleib doch stehen. Geh dort nicht hin!“

Die laute, verzweifelte Stimme schreckte Tarwen auf. Er drehte sich um. Zwei Personen kamen auf ihn zu. Vorneweg ein junger Mann, der zielstrebig auf den See zulief. Hinter ihm rannte ein Mädchen, das immer wieder nach ihm rief. Als sie ihn einholte, versuchte sie, ihn am Arm festzuhalten. Der Mann wehrte sie ungehalten ab und eilte weiter.

Ohne Tarwen zu beachten, ging er wenige Schritte neben ihm vorbei Richtung Wasser. Das Mädchen gab die Verfolgung auf und blickte ihm weinend hinterher. „Lorm! Bitte, geh nicht weiter. Komm zurück!“

Er reagierte nicht darauf. Tarwen sah ihm unschlüssig hinterher. Er schien zu straucheln und das Mädchen schrie gellend. Im selben Moment versank der Mann im See.

Tarwen rannte los.

„Nein! Nicht! Du wirst sterben. Komm zurück!“

Irritiert hielt er inne und sah zu dem Mädchen zurück. „Wir müssen ihm doch helfen. Vielleicht können wir ihn herausziehen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Er ist weg. Wenn du weitergehst, ertrinkst du auch. Weißt du das denn nicht?“

Langsam stieg Tarwen über die Brocken zurück zum Ufer. „Nein. Ich … ich bin fremd hier. Was war das? Warum ist er hinaus gegangen? Er wusste doch bestimmt, wieweit das Salz tragfähig ist.“

„Es ist nicht dünn. Der See hat ihn geholt.“ Sie wischte die Tränen ab. Ihr Atem wurde ruhiger und sie musterte Tarwen von Kopf bis Fuß. „Woher kommst du denn? Hier weiß doch jeder Bescheid.“

 „Ich bin weit – gewandert.“ Tarwen deutete unbestimmt in eine Richtung. „Aber ich verstehe nicht, was du meinst.“

Das Mädchen hockte sich ins Gras. „Es geschieht immer öfter. Wer den Ruf hört, geht auf den See und versinkt. Niemand kann diejenigen aufhalten.“

Er setzte sich zu ihr. Trotz ihres verweinten Gesichtes sah sie recht hübsch aus. Die langen, dunklen Haare waren als Pferdeschwanz zusammengebunden. Er schätzte sie auf etwa zwanzig, obwohl die kleine Stupsnase ihr Gesicht kindlicher aussehen ließ.

„Wer ist – war er?“

„Mein Bruder. Ich bin Oliam. Wir leben im Dorf.“ Sie zeigte hinter sich. „Es ist nicht weit, hinter der Baumgruppe.“

„Ich heiße …“ Tarwen zögerte. Sollte er? Nein! Noch war er sich nicht sicher. „… Kent. Kannst du mir erzählen, was hier vor sich geht?“

„Der See ist böse. Er kann nach uns rufen. Nicht wie ein Mensch, man hört es nur im Kopf. Einer, Rulan, konnte widerstehen und berichtete, dass es wie ein Zwang ist. Man muss diesen Worten folgen. Oliam“, sie schluchzte leise und sprach stockend weiter: „Er stand einfach auf und lief los. Ohne ein Wort zu sagen. So reagieren alle. Niemand, der den See hört, lässt sich aufhalten. Wir haben es versucht, immer und immer wieder. Es nützt nichts. Sie kommen her und ertrinken. In den letzten drei Sommern sind über zwanzig von dem See geholt worden. Die anderen reden oft davon, zu fliehen. Doch wir wissen nicht, wohin. Die Wüste ist nicht weit von hier und dort kann niemand überleben. Und hinter dem Wald ist trockene Steppe. Auch da gibt es kaum Nahrung. Deshalb brauchen wir den See. Er ist fischreich.“

Mit gerunzelter Stirn starrte Tarwen über die helle Salzdecke. „Unterscheidet sich dieser Rulan irgendwie von euch? Wenn der Lockruf so stark ist, warum kann er ihn ignorieren?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Das weiß niemand. Vielleicht weil er verrückt war.“

„Wie meinst du das?“

„Naja, nicht irrsinnig oder so. Aber er war ziemlich dumm, hat kaum etwas begriffen und ständig Unsinn geredet.“

„Ist er auch jetzt noch so?“, wollte Tarwen wissen.

„Er lebt nicht mehr“, erklärte Oliam. „Wir glauben, der See rief ihn so lange, bis er völlig durchdrehte. Er jammerte immer wieder, er wolle das nicht ständig hören und hielt sich die Hände über die Ohren. Nach einigen Tagen begann er dann zu schreien. Stundenlang, bis er zusammenbrach.“

„Und dann?“

„Nichts! Er war tot.“ Das Mädchen zuckte mit den Schultern.

„Ich würde gerne versuchen, zu helfen. Glaubst du, deine Leute reden mit mir?“

„Warum denn nicht? Aber ich wüsste nicht, was du tun könntest. Du bringst dich nur selbst in Gefahr.“

„Wir werden sehen.“ Tarwen stand auf und hielt ihr auffordernd die Hand hin. Sie ließ sich von ihm hochziehen und führte ihn über einen Hügel. Dahinter befand sich das Dorf. Vor einem der Holzhäuser stand ein älterer Mann, der ihr entgegenlief.

„Wenigstens du kommst wieder. Ich befürchtete, auch du würdest auf den See gehen.“ Er schloss das Mädchen in die Arme. Wesentlich leiser fragte er: „Lorm?“

Oliam senkte den Kopf, und er seufzte tief. Dann blickte er zu Tarwen.

„Ich heiße Kent“, erklärte der. „Zufällig sah ich, was geschehen ist und möchte gerne helfen. Aber vorher müsste ich mehr erfahren. Wer kann mir berichten, wie diese Todesfälle anfingen?“

„Jeder!“, erwiderte der Mann. „Ich bin Mandren. Was willst du denn wissen? Warum glaubst du, uns beistehen zu können? Woher kommst du denn?“

„Von weit her. Ich habe … recht viel Erfahrung. Vielleicht finde ich eine Möglichkeit. Oliam sagte, dass seit drei Sommern immer mehr Menschen im See sterben. Hat dieser tödliche Ruf sich langsam gesteigert oder fing das Ganze plötzlich an?“

„Komm erst einmal herein. Du bist bestimmt hungrig. Dann reden wir.“ Mandren schien nicht an eine Hilfe zu glauben. Er wirkte völlig resigniert.

Das Häuschen war einfach, aber recht gemütlich eingerichtet. Anscheinend gab nur ein großes Zimmer. Wobei zwei schmale Türen auf dahinterliegende Kammern deuteten. Vermutlich schliefen die Bewohner dort. An einer Wand stand ein gemauerter Herd. Er schien mit Holz geheizt zu werden. Also eine recht primitive Zivilisation. Tarwens Blick wanderte weiter. Er stutzte: Auf einem halbhohen Schränkchen stand ein eindeutig hochtechnisches Gerät. Es wirkte in dieser Umgebung wie ein Fremdkörper.

„Was ist das denn?“ Er deutete darauf.

„Ein Funkgerät. Unsere Vorfahren brachten es aus den Städten mit. Es hat keine große Reichweite, und inzwischen ist es völlig nutzlos. Anscheinend wurden die anderen Siedlungen schon verlassen. Vermutlich müssen auch wir bald gehen. Der See tötet uns sonst alle.“

Inzwischen hatte Oliam sich in der Kochecke zu schaffen gemacht und stellte nun drei Schalen auf den Tisch. Die Suppe darin dampfte und roch appetitanregend. Tarwen nahm den Löffel, den sie ihm gab, und probierte. Lecker! Während er aß, blickte er Mandren auffordernd an. Dieser begann zu erzählen:

Weiter im Süden gab es große Städte. Trotz der vorhandenen technischen Geräte und vielen mechanischen Hilfen war das Leben hart. Die herrschenden Familien duldeten keine Änderungen oder Erleichterungen. Viele Menschen waren unzufrieden. Um Unruhen zu vermeiden wurde einigen Gruppen erlaubt, fortzuziehen. Allerdings durften sie außer ein paar Funkgeräten nichts mitnehmen. Zumindest war das so von den Alten berichtet worden. Die jetzt hier lebenden Menschen hatten diese Städte noch niemals gesehen.

In den Steppen war es nicht möglich, auf Dauer zu überleben. Es gab zu wenig Tiere. Deshalb ließen sich die Auswanderer am Ufer dieses großen Sees nieder. Fünf Dörfer entstanden. Mit den Funkgeräten hielten sie Kontakt miteinander. Ihr Leben war einfach, aber die Menschen kamen zurecht. Mit der Zeit wuchsen die Siedlungen sogar.

Doch seit drei Sommern war alles anders geworden. Die Salzschicht entstand und bedeckte bald das gesamte Ufer. Die Boote mussten immer weiter hinausgezogen werden, um an das Wasser zu kommen. Die tückische Tragfähigkeit des Salzes machte dies zu einem gefährlichen Unterfangen. Oftmals versank einer der Fischer bei dem Versuch, sein Boot zu erreichen. Zusätzlich gab es in allen Dörfern immer mehr Tote, die durch den geheimnisvollen Ruf auf den See gelockt wurden und dort ertranken.

„Moment“, unterbrach Tarwen. „Das Salz ist also unterschiedlich dick. Könnt ihr nicht die sicheren Wege markieren?“

Mandren schüttelte den Kopf. „Es verändert sich. Niemand kann sagen, wo es plötzlich dünner wird. Das ist jeden Tag anders. Ganz plötzlich bricht die Decke unter den Füßen ein, und man wird unter das Wasser gezogen. Danach dauert es nur wenige Augenblicke, bis das Salz die Oberfläche wieder völlig bedeckt und fest wie eine Mauer ist.“

„Und in den anderen Siedlungen geschieht das Gleiche?“

„Ja! Anfangs sprachen wir immer wieder miteinander und versuchten, eine Lösung zu finden. Aber es gibt keine. Letzten Sommer wurde das erste Dorf aufgegeben. Ihr Vorsteher teilte es uns noch mit. Danach wurde der Kontakt mit den anderen immer seltener. Seit der Winter vorbei ist, antwortet überhaupt niemand mehr auf meine Anfragen. Wahrscheinlich sind wir die letzten.“

„Ist vor drei Jahren irgendetwas Besonderes geschehen?“

Es kam nur ein Schulterzucken. Tarwen hätte ihn am liebsten geschüttelt. Der Mann war höflich, aber im Grunde interessierte ihn das Gespräch kaum. Er hatte aufgegeben.

Oliam jedoch wirkte plötzlich lebhafter. „Ja! Vater, erinnerst du dich nicht? Der große Sturm und die Flut.“

Tarwen fragte nach Einzelheiten und das Mädchen berichtete ausführlich. In fast jedem Frühjahr gab es einige recht heftige Umwetter. Hin und wieder wurde dadurch sogar eines der Häuser beschädigt. Aber vor drei Jahren war es viel schlimmer gewesen. Fast vier Tage lang schüttete es, als ob es nie mehr aufhören wollte. Dazu stürmte es in einer Weise, dass selbst die kräftigsten Männer sich kaum auf den Beinen halten konnten. Fast die Hälfte aller Dächer wurden abgedeckt, teilweise sogar völlig zerstört.

Der See trat weit über sein normales Ufer und überschwemmte die flachen Landstriche. Und nur zwei Tage nachdem das Wetter sich endlich wieder beruhigt hatte, kam eine riesige Flutwelle. Eine fast mannshohe Wand aus Wasser ergoss sich über das Land. Selbst Bäume wurden durch die Wucht mitgerissen. Erst die Hügel, die das Dorf umgaben, hielten die Welle auf. Wobei ein Teil der Flut dennoch bis ins Dorf kam und die Straßen erneut knöchelhoch unter Wasser standen. Es dauerte Tage, bis es wieder abfloss. Aber seitdem war der See größer als vorher. Dieser Sturm war der Anfang des Übels gewesen.

„In dem Sommer wurden die ersten zum See gelockt. Kurz darauf bildete sich die Salzdecke am Ufer“, beendete Oliam ihre Erzählung.

„Weiß jemand, was diese Flutwelle verursachte?“

Oliam sah ihren Vater an, der hob wieder die Schultern. „Nicht genau. Rickorn aus dem westlichsten Dorf meinte einmal, dass es in ihrer Nähe einen großen Hangrutsch gab. Dort beginnen nämlich die Berge, die die Wüste begrenzen. Felsen, Steine und eine gewaltige Masse Erde wären südlich des Dorfes niedergangen. Dadurch erhielt einer der vielen Teiche oben in den Bergen einen Abfluss in den See. Wahrscheinlich entstand dadurch diese Flut. Aber was soll das mit dem Ruf zu tun haben?“

„Das weiß ich nicht“, erwiderte Tarwen. „Es wäre allerdings ein großer Zufall, wenn diese beiden Dinge nicht in Verbindung miteinander stehen. Ich werde den See untersuchen.“

Mandren wehrte ab. „Von uns hilft dir niemand dabei. Wir gehen nur dorthin, wenn wir müssen, damit wir nicht hungern. Wahrscheinlich ziehen wir ohnehin bald fort. Sobald wir uns über die Richtung einig werden. Die Gegenden sind karg und wir wissen nicht, wo wir ausreichend Nahrung finden.“

Tarwen war das recht. So musste er keine Fragen beantworten, falls er Gerätschaften aus der TARDIS benötigte. Zuerst begutachtete er das Ufer. Das Salz reichte bis auf das Land. Das Gras darunter war stellenweise noch grün. Es konnte also nicht sehr lange davon bedeckt sein. Er fand auch unter dem ersten Wasserstreifen Pflanzen. Der See wurde also größer.

Plötzlich ‚hörte‘ er etwas. Erst leise wie ein Raunen, doch es wurde rasch lauter und zu verständlichen Worten. Allerdings nur in seinem Kopf, nicht mit den Ohren.

‚Komm! Komm zu mir. Komm, und du wirst ewig leben.‘ Eine unglaubliche Versuchung ging davon aus. Tarwen musste sich abblocken, um ihr nicht zu verfallen.

Er versuchte, die Richtung des Rufes zu bestimmen. Dieser kam eindeutig von weit draußen, vermutlich dem Zentrum des Sees. Langsam ging er ein Stück auf den See hinaus, achtete dabei aber sehr auf das Salz unter seinen Füßen. Er hielt sich parallel zum Ufer, was dem unbekannten Rufer nicht zu gefallen schien.

‚Komm hierher. Ich brauche dich. Komm zu mir.‘

‚Zeige dich mir. Wer bist du? Warum lockst du Menschen auf den See und ertränkst sie?‘, dachte Tarwen zurück.

Keine Antwort. Nur die betörenden kurzen Sätze wiederholten sich ständig. Tarwen wagte sich ein paar Schritte weiter hinaus. Ein leises Knirschen warnte ihn. Er warf sich nach vorne flach hin. Gleichzeitig brach die Decke unter ihm ein. Aber statt einzusinken, trieb Tarwen nun auf der Wasseroberfläche, von Salzbrocken umgeben. Die Öffnung wurde immer größer.

Er begann, in Richtung Ufer zu schwimmen, bemerkte leichte Berührungen und erkannte Fische, die ihn umschwärmten. Nun wurde ihm etwas mulmig. Sie sahen zwar nicht besonders groß aus. Allerdings hätte er ein Problem, wenn es Raubfische waren. Zum Glück wagten sich nur wenige in seine unmittelbare Nähe. Tarwen begriff, dass die Tiere von seinen Bewegungen abgeschreckt wurden und strampelte heftiger. Sofort zogen sich die Fische zurück.

Die Salzdecke verdichtete sich wieder und zwar so schnell, dass Tarwen Mühe hatte, nicht davon eingeschlossen zu werden. Er schob sich auf die Kruste hinauf, musste jedoch schon Kraft anwenden, um seine Füße aus dem schlagartig fest werdenden Salz herauszureißen. Dann saß er, pitschnass, wieder auf dem Trockenen.

Im selben Moment hörte er den Ruf erneut. Tarwen runzelte die Stirn. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass die betörende Stimme eine Weile verstummt war. Es spielte keine Rolle. Er stand auf, beachtete das ständig lauter werdende Locken nicht weiter, hüpfte über die Unebenheiten entlang des Ufers und sprintete zur TARDIS. Dort riss er sich die Kleidung herunter und wrang das Wasser aus. Im Labor untersuchte er es gründlich. Es war von unzähligem vegetabilen Kryll durchsetzt, allerdings keinem gewöhnlichen. Die winzigen Pflanzen bestanden überwiegend aus Zellen, die einem Gehirn glichen. Nach mehreren weiteren Tests und Messungen wusste Tarwen, was in dem See war: Ein riesiges Lebewesen, das aus einzelnen, voneinander getrennten Teilen bestand.

Er fand noch etwas heraus. Das Kryll konnte Salz aus dem Wasser herausziehen. Im Grunde schied es die kleinen Kristalle wie Abfallstoffe aus. Auf diese Weise wurde die feste Oberfläche gebildet. Als Nahrung benötigte es bestimmte Mineralien. Vermutlich hatten der Felsrutsch und das nachfolgende Wasser des Bergsees so viel davon herunter gespült, dass sich die winzigen Zellpflanzen stark vermehrten. Schließlich erreichte es eine Größe, die ein Bewusstsein zuließ. Das neuentstandene Lebewesen begann, gezielt Nahrung zu sich zu holen.

Tarwen runzelte die Stirn. Diese Schlussfolgerung war unlogisch. Menschen bestanden nicht aus Mineralien, oder zumindest nur in sehr geringem Maße. Er ging zum Ufer zurück und setzte sich auf den Salzstreifen. Mit einem Seufzen wappnete er sich und öffnete seinen Geist. Sofort vernahm er das suggestive Locken. Er ignorierte es so gut er konnte und rief seinerseits gedanklich nach dem Kryll.

Eine ganze Weile geschah nichts, dann veränderten sich die Worte in seinem Kopf: ‚Du kannst mich verstehen und mit mir sprechen. Wie ist das möglich?‘

‚Ich bin ein intelligentes Geschöpf‘, antwortete Tarwen. ‚Warum lockst du Menschen in den See und tötest sie? Sie sind als Nahrung für dich völlig ungeeignet.‘

‚Sie bestehen fast nur aus Wasser. Meine Helfer zerteilen sie und ich wachse. Bald werde ich das gesamte trockene Land bedecken, dann bin ich das mächtigste Wesen hier.‘

Das Kryll besaß offensichtlich Vorstellung davon, wieviel Land es gab. ‚Das dauert ewig‘, erklärte er. ‚Die Menschen sind hochentwickelt, wie du auch.‘ Es schadete sicher nicht, dieser Kreatur etwas zu schmeicheln. ‚Du darfst sie nicht töten. Es gibt sicher eine Möglichkeit, dass ihr nebeneinander existieren könnt.‘

‚Sie sind Wasser, mehr nicht.‘

Tarwen versuchte noch eine ganze Weile, sich mit dem Pflanzengeschöpf zu verständigen. Er erklärte auch, dass sich der Mineraliengehalt verdünnen würde, wenn der See zu schnell wuchs. Aber das Kryll war nicht schlau genug, um das zu verstehen.

‚Die meisten Menschen sind schon fort. Du wirst nicht mehr viele Opfer bekommen. Ich werde ihnen sagen, dass sie dich meiden müssen‘, drohte er schließlich. ‚Es wäre viel besser, wenn du versuchst, mit ihnen zusammenzuarbeiten.‘

‚Ich rufe sie zurück. Sie kommen immer, wenn ich es verlange. Du wirst sie nicht vor mir warnen. Ich hole dich zu mir.‘

Das Salz unter seinen Füßen wurde flüssig. Kleine Wellen schwappten ihm über die Schuhe. Es stieg rasch an. Tarwen stand auf und ging ein paar Schritte zurück. Verblüfft beobachtete er, wie das Wasser kleinste Bodenunebenheiten nutzte und um ihn herum strömte. Der See versuchte ihn einzuschließen!

Er wandte sich um. Die TARDIS stand am Fuß der Hügel. Ein genauerer Blick zeigte, dass auch dort schon Nässe durch das Gras schimmerte. Eilig watete er durch das flache Wasser. Es stieg erstaunlich schnell. Tarwen begann zu rennen. Der Boden unter ihm schien sich zu bewegen. Die Erde wurde schlammig. Er rutschte aus und fiel auf Hände und Knie.

„Au!“ Er rieb sich den Knöchel. „Du bist aber wirklich hartnäckig. Ich will schließlich nur vernünftig mit dir reden!“

Er bekam keine telepathische Antwort mehr. Tarwen rappelte sich auf und stolperte durch das jetzt wadentiefe Wasser weiter. „He! Erklär mir, wie du es fertig bringst, bergauf zu fließen. Nun, mach schon! Ich bin neugierig. Sag es mir! Es spielt doch keine Rolle, wenn du mich sowieso zu dir holst.“

In seinem Kopf blieb es still. Aber nun bildeten sich kleine Wellen und Strudel, die ihn ins Schwanken brachten und hin und wieder ein paar Schritte zurückzogen. Endlich erreichte er das Schiff und hielt sich am Türgriff fest. Das Wasser um die TARDIS war inzwischen einen halben Meter tief.

Glücklicherweise hatte das Kryll anscheinend keine Ahnung, was eine Tür war. Die Wellen versuchten eher, ihn zurückzuziehen, anstatt gegen den Eingang zu drücken. So konnte Tarwen sie ohne große Mühe aufziehen. Er trat ein und rief: „Starten und das Wasser hinausdrängen!“

Die TARDIS hob sich empor und kippte ein wenig. Fast wäre Tarwen rückwärts herausgefallen. „Das Wasser sollst du loswerden. Nicht mich“, schimpfte er und zog sich am Geländer weiter ins Innere.

Das Kryll gab nicht auf, sondern versuchte, ihn mit Wellen zu erreichen. Die TARDIS flog etwas höher. Fasziniert blickte Tarwen auf die menschenhohen Ausläufer, die fast lebendig wirkten, wenn sie platschend wieder in den See zurückfielen. Gegen dieses Wesen hatten die einfachen Dorfbewohner keine Chance, selbst wenn sie den Lockruf abwehren könnten.

Er könnte natürlich den neuen Zufluss aus den Bergen verschließen. Das Kryll erhielt weniger Nahrung und die Anzahl der Zellpflanzen würde sich verringern, bis es kein Bewusstsein mehr besaß. Dann war der See wieder harmlos. Andererseits war es im Moment ein denkendes Lebewesen und hatte als solches auch ein Recht auf seine Existenz. Auch wenn seine Intelligenz recht gering und nur auf seine Bedürfnisse ausgelegt war.

Tarwen flog über die Wasserfläche und die angrenzenden Gebiete. Der Bergrutsch war deutlich zu erkennen. Ein schmaler Bach schlängelte sich durch das Geröll bis zum See. Das war wohl der Rest des ehemaligen Bergteiches. Tarwen blickte nach oben. Auf den höchsten Gipfeln lag selbst jetzt im Sommer Schnee, der den neuen Fluss speiste. Das Kryll bekam also weiterhin mineralhaltiges Wasser und konnte eventuell noch etwas größer werden. Eine echte Gefahr war er aber nur für Menschen, die in seiner Nähe siedelten.

In der anderen Richtung fand Tarwen nach einem nicht allzu breiten Streifen Wüste fruchtbares Land. Hier gab es Flüsse, kleineTeiche – und Häuser. Sie wirkten recht neu. Er vermutete, dass es die Flüchtlinge aus den anderen Dörfern waren. Warum hatten sie sich nicht bei Mandren gemeldet?

Vorsichtig, um von den Menschen da unten nicht gesehen zu werden, umkreiste Tarwen das bewohnte Gebiet und flog zurück. Er versteckte die TARDIS und ging ins Dorf.

Mandren starrte ihn ungläubig an. „Du lebst noch?“

Tarwen grinste über dessen Miene. „Ja!“ Dann erklärte er ihm, dass der See seine Gefährlichkeit behalten würde. Es wäre wirklich sicherer, so schnell wie möglich fortzugehen. Auf einer grob skizzierten Landkarte zeigte Tarwen, wo die neuen Siedlungen lagen.

Der Dörfler starrte ihn an. „Das heißt, wenn wir den Wüstenstreifen durchqueren, finden wir gutes Land, das uns ernähren kann? Und die anderen leben schon dort? Warum haben Sie uns nicht gerufen?“

„Das musst du selbst in Erfahrung bringen. Ich mache mich wieder auf meinen eigenen Weg. Aber ich wünsche Euch Glück.“

„Willst du nicht mit uns kommen? Wir brechen so rasch wie möglich auf. Der See soll kein weiteres Opfer mehr holen.“

Tarwen konnte sehen, wie der Mann wieder neue Hoffnung schöpfte. Er schüttelte den Kopf: „Nein, ich ziehe weiter. Lebt wohl.“

Noch während er aus dem Dorf spazierte, hörte er, wie Mandren die Leute zusammenrief. Diese Menschen würden leben und eine Zukunft haben. Und das seltsame Wasserlebewesen konnte ebenfalls weiter existieren.

Er lächelte. Das bestätigte seine Vermutung, was sein eigenes Problem betraf. Es war möglich, zu helfen, ohne in die Entwicklung eines Volkes einzugreifen. Die Zeitlinien blieben unverändert, das hatte er genau beobachtet. Jetzt wusste Tarwen, was er wollte. Nun war er bereit, mit dem Hohen Rat zu sprechen.

Zurück auf Gallifrey rief er Dorik an und erfuhr, dass man ihn sofort erwartete. In der Zitadelle ging Tarwen den inzwischen vertrauten Weg nach oben in den großen, imposanten Raum des Hohen Rates, direkt unter der gläsernen Kuppel.

Kanzlerin Flavia ergriff das Wort: „Der Master übermittelte uns einen erstaunlichen Bericht über seine letzte Forschungsreise. Stimmt es, dass sein Schiff in eine andere Zeitebene verschleppt wurde?“

Tarwen nickte und berichtete von dem Angriff auf den Mond.

„Aber weshalb habt Ihr dies überhaupt nicht erwähnt?“

„Weil ich die genauen Zusammenhänge nicht kenne. Der Master entdeckte diese Station und erkannte ihre Bedeutung. Ich bin nur zufällig hinzugekommen und konnte ihn etwas unterstützen. Ohne ihn wäre meine TARDIS von diesen Wesen eingefangen worden.“

„Das betonte er mehrmals. Es ist also tatsächlich sein Verdienst, dass dieses Volk uns nicht mehr angreifen kann?“

Ohne zu zögern, bestätigte Tarwen dies. „Allerdings war es eine zukünftige Zeit“, führte er zusätzlich aus. „Es hatte den Anschein, als gäbe es einen Krieg zwischen diesen Wesen und uns. Wir sollten herausfinden, wer sie sind.“

„Auch darüber informierte der Master uns. Seine Daten werden gründlich ausgewertet. Wir müssen diese Maschinenwesen aufspüren. Sie sind offensichtlich hochentwickelt und könnten uns gefährlich werden.“

Einen Moment wandte die Kanzlerin sich den Unterlagen zu, die auf dem riesigen Tisch lagen. Dann blickte sie Tarwen wieder an. „Es gibt noch eine Punkt, den wir besprechen müssen“, erklärte sie. Ihr Gesicht wirkte nun nicht nur ernst, sondern auch streng. Wir hätten gerne eine Erklärung! Ihr seid ein hervorragender Forscher. Deshalb verstehen wir nicht, weshalb Ihr Euch immer wieder in die Belange unterentwickelter Völker einmischt. Euer Handeln auf dieser Welt Erde war inakzeptabel. Wie konntet ihr ein völlig unwichtiges Menschenkind retten? Zusätzlich habt Ihr Euch bei diesen sogenannten Adligen höchst auffällig verhalten. Glaubt Ihr denn, dass diese Menschen sich keine Gedanken darüber machen, wer Ihr wirklich seid?“

Tarwen holte tief Luft. Seltsamerweise war es gar nicht mehr schwer, an seiner Überzeugung festzuhalten. Ein wenig lächelte er über sich selbst. Er würde sich wohl nie wieder dem Hohen Rat einfach so beugen wie bisher.

„Ihr irrt Euch, Lord Kanzlerin. Es gibt kein unwichtiges Leben. Und eine unerlaubte Einmischung war es ebenfalls nicht. Seit Jahrhunderten haben wir Kontakte zu anderen Völkern. Inzwischen ziehen wir uns immer mehr zurück, das stimmt. Ich bin durchaus der Meinung, dass wir dabei richtig handeln. Aber wenn es zu unserem Vorteil ist, versuchen wir dennoch, unseren Einfluss auf anderen Planeten aufrecht zu halten. Denkt nur an Largit fünf. Die Regierung dort ist durch uns an die Macht gekommen, weil wir von ihnen die alten Unterlagen über die Reiche der Akotkrieger erhalten.“

Flavia sog die Luft ein. „Das ist etwas völlig anderes.“

„Stimmt! Der Hohe Rat hat dies gezielt durchgesetzt, damit die Machthaber uns zu Dank verpflichtet sind. Mir jedoch sind eigene Vorteile gleichgültig. Ich habe versucht zu helfen und werde weiterhin so handeln. Denn wozu sind wir Timelords? Wir erkennen, wann wir eingreifen können, und wann ein Ereignis in der Zeit fixiert ist und somit unverändert bleiben muss.“

Er hob die Hand, als Dorik ihn unterbrechen wollte. „Bitte lasst mich weitersprechen! Der Tod dieses Menschenmädchens wurde durch mich verhindert. Aber das hat ausschließlich für sie selbst und ihre Mutter Auswirkungen. Was ist schlecht daran, anderen etwas Glück zu bringen? Für die Entwicklung und weiteren Geschehnisse ihres Volkes ist das Schicksal der beiden völlig unwichtig. Die Zeitlinien haben sich nicht verändert. Und das Schiffswesen hätte unbeabsichtigt ein Leben zerstört, wenn ich nicht eingegriffen hätte. Hilfe zu geben und Unrecht zu verhindern kann niemals falsch sein, so lange die Gesetze der Zeit dabei beachtet werden.“

„Seid Ihr Euch im Klaren darüber, dass Ihr mit dieser Ansicht die Sicherheit Gallifreys aufs Spiel setzt?“

„Nein! Woher ich komme, erfährt keiner. Ich werde mich, wenn irgend möglich, auch nicht als Timelord zu erkennen geben. Obwohl es auf vielen Welten Berichte über uns gibt.“

Seine Stimme wurde mit jedem Wort fester und überzeugter. Die Kanzlerin presste ärgerlich die Lippen zusammen. Wenn Tarwen so sprach, war jedes weitere Wort überflüssig. Normalerweise war dieser junge Timelord nachgiebig und oftmals leicht zu beeinflussen. Aber er konnte auch absolut stur sein, wie sie in den vielen Jahrzehnten feststellen musste. Dann konnte niemand ihn von seiner Meinung abbringen. Und im Moment war es schwierig, ihm zu widersprechen. Er hatte seine Argumente gut durchdacht, das musste sie zugeben, auch wenn es ihr überhaupt nicht gefiel. Das Lächeln, das nun um seinen Mund spielte, zeigte, dass er sich dessen bewusst war. Seine Gestalt schien sich zu straffen. Flavia seufzte.

Tarwen blickte erst sie, dann jeden Einzelnen an, bevor er weiterredete: „Meine letzte Reise überzeugte mich endgültig davon, dass ich mich richtig entschieden habe. Deshalb werde ich von nun an einen anderen Namen tragen und nach diesem handeln.“ Seine Augen begannen zu leuchten. „Dieser Name soll ein Versprechen sein: Ich werde nie wieder feige weglaufen oder einfach wegsehen, wenn ich Unrecht erkenne. Ich werde handeln und helfen und niemals dabei aufgeben.“

„Und wie lautet Euer neuer Name?“, erkundigte sich Kanzlerin Flavia. Gegen ihren Willen war sie von diesen Worten beeindruckt.

„Doktor!“

 

Schöpfer der Daleks

„Guten Abend, Schwester. Ist der Doktor da?“

Aluanin lächelte Nisaras Abbild auf dem Monitor zu. „Aber ja. Er hat sich in seinem Arbeitszimmer vergraben.“

„Ich möchte ihn nicht stören, wenn er beschäftigt ist.“

„Im Gegenteil. Dein Anruf gibt mir Gelegenheit, ihn da herauszuholen. Du kennst ihn doch. Er vergisst bei seinen Forschungen immer alles um sich herum.“

„Dann wirst du nicht erfreut sein, wenn du hörst, weshalb ich mich melde. Der Doktor wollte verschiedene geschichtliche Daten haben, die ich für ihn herausgesucht habe. Kann sein, dass er jetzt noch mehr zu tun hat.“ Nisaras Augen verdunkelten sich etwas, wie immer, wenn sie sich Sorgen machte.

Aluanin schmunzelte jedoch nur über. Sie wusste, weshalb die jüngere Schwester so reagierte. Eine Beziehung zwischen einer normalen Gallifreyerin und einem Timelord war schwierig genug, aber der Doktor war geradezu besessen von seinen Forschungen und Zeitreisen. Nisara, die im Gegensatz zu ihr die Timelordgene besaß, befürchtete insgeheim, dass es irgendwann für Aluanin zuviel werden würde.

„Das bedeutet eher, dass er wieder reisen wird“, erklärte sie deshalb betont fröhlich. „Und dabei vergisst er niemals, pünktlich wieder heimzukommen. Ich sehe ihn seltener, wenn er hier oder in der Zitadelle arbeitet. Warte bitte kurz.“

Aluanin ging in den hinteren Teil des Hauses zum Arbeitszimmer. „Tarwen, Nisara möchte dich sprechen. Sie scheint die Daten zu haben, die du möchtest.“

Der Doktor blickte auf. Als er seine Gefährtin ansah, wurde sein Blick sofort liebevoll warm. Aluanin wirkte zwar längst nicht mehr so jung, wie zu Beginn ihrer Beziehung. Trotzdem war sie für ihn die schönste Frau im ganzen Universum. Und die Einzige, die ihn noch Tarwen nannte. Für alle anderen war er seit fast hundert Jahren der Doktor. So war sein ursprünglicher Name etwas Besonderes geworden. Ein Synonym der Verbundenheit zwischen ihm und der Frau, die er über alles liebte.

Er stand sofort auf. „Da hat sie sich aber beeilt. Wunderbar. Ich bin auf etwas sehr Interessantes gestoßen.“

„Als gäbe es für dich etwas Anderes als ‚sehr interessant‘“, neckte Aluanin ihn.

Rasch, aber sehr innig, umarmte der Doktor sie und drückte ihr einen Kuss auf die vollen Lippen. Dann eilte er zum Kommunikator. Aluanin verfolgte schmunzelnd sein Gespräch mit Nisara. Ihre Vermutung, er plane eine Reise, bestätigte sich.

Als der Doktor sich wieder seiner Gefährtin zuwandte, erklärte er: „Brauchst du mich morgen? Sonst bin ich weg. Aber ich komme bestimmt spätestens zum Essen wieder, versprochen.“

„Das weiß ich doch. Nimmst du Atara mit? Es ist eine Weile her, dass sie dich begleiten konnte.“

„Nein, ich fliege nicht zur Erde. Diese Daten betreffen ein seltsames Sonnensystem. Dort scheint es einige Merkwürdigkeiten zu geben. Aber natürlich reise ich demnächst mit Atara wieder zu den Menschen.“

„In welcher Zeit seid ihr inzwischen? Sie hat doch die Entwicklung dieses Volkes kontinuierlich beobachtet. Ihre Berichte darüber werden regelmäßig in den Bildungszentren gezeigt.“ Aluanin konnte man ihren Stolz darüber ansehen.

Auch der Doktor lächelte. „Im vierunddreißigsten Jahrhundert. Ja, sie ist inzwischen als Forscherin fast ebenso bekannt wie als Künstlerin. Die Menschheitsgeschichte ist faszinierend.“

Er verabschiedete sich, um in der Zitadelle nach seiner TARDIS zu sehen und alles vorzubereiten. „Ich schlafe dort und starte gleich morgen früh.“

 

Gebannt blickte der Doktor auf die Monitore. Zusammen mit den vielen, teils fast mondgroßen Gesteinsbrocken wurden auch deren Bewegungen angezeigt.

„Was hat diese Bahnen durcheinandergebracht?“, überlegte er. „Sie sollten viel gleichmäßiger verlaufen. Auch die magnetischen Werte sind physikalisch kaum erklärbar. Als ob dieser Asteroidenring gezielt manipuliert wird.“

Er steuerte die TARDIS näher heran. Plötzlich wurde das Schiff aus dem Kurs gerissen, gleichzeitig beschleunigte es stark. Der Doktor prallte heftig gegen die Steuerkonsole und schrie vor Schmerz auf. Obwohl er versuchte, sich an den Griffen festzuhalten, schleuderte ihn das nächste Schütteln auf den Boden. Dann beruhigte sich alles wieder. Mit einem Stöhnen kam er auf die Beine.

„Was war das denn?“ Verblüfft sah er auf die Bildschirme. Anstatt des Weltraumes mit den Asteroiden zeigten diese nun einen metallenen Boden und Wände. Die TARDIS war in einem Raumschiff! Der Doktor schüttelte den Kopf und rieb sich die Schulter. Er würde wohl einen großen Bluterguss bekommen.

Die Aufzeichnungen der letzten Minuten brachten keine wirklichen Erklärungen: Eine Art Gravitationsstrahl hatte das Schiff ergriffen und hierher transportiert – wo auch immer ‚hierher‘ war. Dann sah er eine andere Anzeige und schnappte nach Luft. Er befand sich zwar immer noch in dem System, das er angesteuert hatte, aber nicht mehr in seiner Zeit: Dieses ‚Jetzt‘ lag eintausendneunhundert Jahre in der Zukunft!

Neugierig verließ der Doktor die TARDIS und sah sich um. Diffuses Licht erhellte die Umgebung gerade ausreichend, um zu erkennen, dass er alleine war. Sein Schiff stand direkt vor einer Wand und nur ein paar Schritte vor ihm war ein Schott. Platzangst durfte man hier nicht haben, stellte er fest. Er drückte auf den Öffnungsmechanismus. Ein breiter, wesentlich hellerer Gang erstreckte sich in einer leichten Kurve vor ihm. Es gab mehrere Türen und Abzweigungen in den Wänden. Der Doktor ging einfach geradeaus bis der Weg vor einem anderen Zugang endete. Auch hier gab es eine deutlich erkennbare Platte zum Entriegeln.  

Er trat ein und blieb sofort, noch dicht am Eingang, stehen. Vor ihm erstreckte sich großer Saal, aber er war nicht leer. Vier kegelförmige, metallene ‚Gestalten‘ mit halbkugeligen Köpfen standen vor einer Instrumentenwand. Einer drehte den Kopf herum, als er das Schott hörte. Fast konnte man dessen Erstaunen erkennen, obwohl die Metallhülle natürlich keinerlei Mimik besaß. Das Ding stieß eine Reihe Töne aus, die drei anderen wandten sich ebenfalls um.

„Hallo. Tut mir leid, euch zu stören. Irgendetwas hat mich in euer Schiff katapultiert. Ich versichere euch, dass es keine Absicht war.“ Der Doktor überlegte, ob diese Roboter die Herren des Schiffes waren, oder ob es noch andere, organische Wesen hier gab.

„Du gehörst nicht hierher. Wer bist du?“, erklang eine blecherne Stimme.

„Ich bin der Doktor. Wer seid ihr? Gibt es Lebewesen an Bord?“ Er musterte die vier neugierig. Am Kopf war ein beweglicher Teleskoparm befestigt, der eindeutig ein Auge darstellen sollte. Die kegelförmigen Körper bedeckten etwa handgroße, glänzende Halbkugeln. Sensoren? Er trat etwas näher, blieb aber stehen, als sich ihre Waffenarme unisono hoben.

„Du wirst überprüft. Bewege dich nicht.“

Instinktiv zog der Doktor die Bauchmuskeln ein, als  der Scannerstrahl über ihn hinwegglitt. Aber er spürte nichts, also war das wohl harmlos.

„Du bist organisch. Wie kommst du hierher?“

„Wie ich sagte, es geschah ohne jede Absicht“, wiederholte er, wurde aber gleich unterbrochen: „Ein kleines Objekt, das Zeitenergie emittierte, näherte sich in einer vergangenen Zeit dem Schutzring und wurde eingefangen. Warst du das?“

„Vermutlich. Sofern ihr damit den Asteroidenring meint. Ich wollte ihn untersuchen, die Bahnen der Brocken sind sehr seltsam. Allerdings …“

Wieder ließ man ihn nicht aussprechen. „Die Überprüfung ist positiv. Der Schöpfer wird über dich informiert.“

Na gut, dann erwähnte er die Zeitversetzung eben später. „Wer seid ihr überhaupt?“, erkundigte sich der Doktor erneut.

„Wir sind Daleks. Der Schöpfer wird feststellen, ob du der Gesuchte bist.“

Überrascht hob er die Augenbrauen. „Wen sucht ihr denn?“

Er bekam keine Antwort. Stattdessen begann die Luft zu schimmern und vor der Instrumentenwand bildete sich ein Hologramm. Eine humanoide Gestalt wurde erkennbar. Der Doktor blickte in ein schrecklich anzusehendes, völlig ausgemergeltes Gesicht. Beinahe hätte er sich vor Entsetzen geschüttelt. Der Mann schien nur aus Haut und Knochen zu bestehen.

„Doktor?“, ertönte eine zornige Stimme. „Es gibt nur ein Wesen im Universum, das sich einfach nur als Doktor bezeichnet. Bist du das?“

„Ich nenne mich so, ja. Wer bist du?“

„Dein Gesicht ist anders. Aber das kann sein. Sage mir, wie du an Bord gekommen bist. Wo ist dein Schiff?“

Der Doktor biss sich auf die Lippen, zuckte dann jedoch mit den Schultern. Sie würden die TARDIS ohnehin finden, wenn sie danach suchten. Aber hinein konnten sie nicht. Er hatte den größten Sicherheitsschutz aktiviert. Gleichmütig zeigte er nach hinten. „In einer Art Lagerraum steht es. Was meinst du damit, mein Gesicht sei anders?“

„Der Doktor sah anders aus als du.“ Der Fremde starrte ihn immer noch an, als wolle er ihn sezieren.

„Sagst du mir, wer du bist?“, fragte der Doktor vorsichtig nach.

„Davros, der Schöpfer der Daleks.“                                              

„Was meinst du damit? Du hast diese Roboter gebaut?“

Der Mann schnaubte. „Willst du behaupten, du weißt nicht, wer die Daleks sind?“

„Sollte ich?“

„Der Doktor kennt uns genau“, wütete der Fremde. „Daleks und Timelords sind Todfeinde!“

„Was?“ Nur mit Mühe behielt der Doktor die Fassung. „Ich weiß ehrlich nicht, wovon du sprichst.“

Wieder musterte dieser Davros ihn gründlich. „Du erinnerst dich an mich?“

„Nein! Ich bin sicher, dass ich dir noch niemals begegnet bin.“ Er trat beiseite, als eines der Metallwesen auf ihn zukam, doch es rollte einfach an ihm vorbei aus dem Raum.

Fieberhaft überlegte der Doktor. Irgendetwas hier kannte er. Aber er konnte die Erinnerung einfach nicht greifen. Das war ungewöhnlich. Allerdings verspürte er ein sehr deutliches Gefühl großer Gefahr.

„Am besten, ich verschwinde einfach wieder, in Ordnung?“ Er ging langsam rückwärts zur Wand. Erschrocken verhielt er den Schritt, als er eine Bewegung bemerkte. Doch es war nur das Ding – oder war es doch ein Wesen? – das vorhin hinausgeeilt war.

Es rollte bis vor das Abbild des Fremden. Mit vor Aufregung scheppernder Stimme erklärte er: „Es ist eine TARDIS! Er ist ein Timelord!“

„Dann bist du tatsächlich der Doktor! Du wirst sterben!“ Davros‘ Gesicht verzerrte sich vor Wut und Hass.

Blitzschnell bauten sich die Daleks in einem Halbkreis vor dem Doktor auf. Erneut hoben sich ihre Arme. Die Mündungen der Waffen glitzerten tödlich.

„Einen Moment! Kann ich wenigstens noch erfahren, warum ihr mich töten wollt? Ich sterbe ungern ahnungslos.“ Er tastete hinter sich nach dem Öffnungsmechanismus. Wenn er die Tür schließen konnte, sobald er draußen war, gewann er etwas Zeit. Er musste es zurück zum Schiff schaffen. Dort war er sicher.

„Du bist der Doktor. Du bist unser Todfeind!“

„Warum? Davros, ich bin dir noch nie begegnet. Wie können wir da Feinde sein?“

„Oh doch! Das bist du! Du hast damals anders ausgesehen. Aber das spielt keine Rolle. Ich habe inzwischen herausgefunden, dass du einer der verfluchten Timelords bist.“ Davros beugte sich vor. „Du kannst es nicht vergessen haben! Seit damals suche ich dich. Ich habe geschworen, dass ich dich töte!“ Der Mann hob einen Gegenstand hoch. „Das hast du mir gegeben. Erkennst du es?“

Der Doktor musterte das längliche Ding und schüttelte den Kopf.

„Ein Schallschraubenzieher. Tu nicht so. Du musst ihn kennen!“, fauchte Davros.

„Das habe ich nie gesehen. Aber die Idee ist gar nicht so schlecht. Vielleicht baue ich mir mal so etwas.“ Gegen die Wand gepresst glitt er unmerklich immer weiter zur Türöffnung.

„Du lügst! Du nennst dich Doktor. Es gibt nur einen Doktor! Und dieser muss sterben!“ Davros‘ Gesicht verzerrte sich wieder zu einer Fratze des Hasses.

Er brauchte mehr Zeit! Aber wenn er sich schneller bewegte, würden diese Daleks sofort aufmerksam werden.

„Dann sage mir wenigstens, was ich getan haben soll.“

„Du hast mich dem Elend überlassen. Es war deine Schuld! Du hast mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Du wirst für das, was du mir angetan hast, bezahlen. Mit deinem Tod!“

„Wie? Was genau habe ich getan?“

„Du hast mir gezeigt, wie falsch Gefühle sind. Sie bringen Schmerz und Verzweiflung. Du hast mich diesen Gefühlen ausgeliefert. Meine Geschöpfe sind deshalb frei von ihnen.“ Davros Arm hob sich und zeigte auf die Metallwesen. „Ich habe sie geschaffen, um alles Organische und vor allem euch Timelords zu vernichten. Doch dich will ich selbst töten!“

Endlich stand der Doktor vor der Öffnung. Seine Finger legten sich auf die kleine Platte des Bewegungsmechanismusses. „Ich versichere dir noch einmal, ich kenne dich nicht.“ Er schlüpfte in den Gang, verschloss die Tür und spurtete los. Hinter sich hörte er die Daleks rufen. Nur Augenblicke später brummte es – die Tür öffnete sich wieder. Er rannte schneller.

„Bringt ihn mir! Oder eliminiert ihn! Er darf nicht entkommen!“

Davros‘ wutentbrannte Schreie jagten ihm einen Schauder über den Rücken. Er fiel fast durch das schmale Schott in den Lagerraum und warf sich gerade noch rechtzeitig zur Seite. Schüsse schwärzten die Wand, vor der er gestanden hatte. Der Doktor stürzte auf die TARDIS zu, riss die Tür auf und raste hinein. Erleichtert vernahm er das dumpfe Plopp, als sich der Eingang sofort wieder schloss.

Keuchend stützte er sich am Geländer ab und horchte. Die Daleks schienen sich um sein Schiff zu versammeln. Immer wieder dröhnten ihre Waffen auf. Doch jetzt hatte es der Doktor nicht mehr eilig. Die Schutzschirme der TARDIS waren stark genug. Er setzte sich auf den nächsten Sessel und dachte nach. Dann erhellte sich sein Gesicht. Endlich tauchte die richtige Erinnerung auf. Den Begriff ‚Dalek‘ hatte er schon einmal gehört, aber geglaubt, es handele sich um Rangabzeichen. Und auch dieses Erlebnis hatte in einer zukünftigen Zeit stattgefunden. Einer, in welcher die Daleks einen Krieg gegen die Timelords führten. Davros hatte ebenfalls davon gesprochen, dass sie Todfeinde seines Volkes waren.

Konnte er die Ursache dafür sein? War es möglich, dass Davros‘ Anklage stimmte? Trug er tatsächlich die Schuld an dem Schicksal dieses schrecklich aussehenden Mannes? Dieser Schallschraubenzieher hatte wirklich gallifreyischer Technik geähnelt. Der Doktor erinnerte sich, dass er als Kind so etwas gebaut hatte. Aber das waren Spielzeuge gewesen. Davros‘ Gerät war alles andere als ein Spielzeug. Obwohl er es nur kurz gesehen hatte, waren ihm mehrere Zusatzschaltungen aufgefallen. Trotz seiner prekären Lage wanderten die Gedanken des Doktors weiter und überlegten, wie er so etwas bauen könnte. Es wäre ein sehr praktisches Werkzeug. Man könnte…

Er schüttelte den Kopf, das war jetzt unwichtig. Doch wenn es wirklich von ihm stammte … Davros hatte behauptet, er habe ein anderes Gesicht besessen! Der Doktor fuhr sich mit den Händen darüber, als ob er es abtasten wolle. Es konnte eine Erklärung dafür geben: Irgendwann, in seiner Zukunft, in einer anderen Inkarnation, würde er eine Zeitreise unternehmen – und Davros begegnen. Was würde dann geschehen? Oder was war damals geschehen?

Er brauchte Informationen.

Nach einem kurzen Blick auf die Monitore – die Daleks schossen noch immer unaufhörlich auf die TARDIS – betätigte er einige Schaltungen. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Sensoren einen Zugang zu den Datenleitungen dieses Schiffes fanden. Sorgfältig suchte der Doktor nach geschichtlichen Informationsspeichern. Entsetzt starrte er dann auf die Bildschirme. Unzählige Planeten, bewohnte und unbewohnte, waren von diesen Wesen schon zerstört worden. Anscheinend griffen sie unbarmherzig jede Welt an, die sie entdeckten, und vernichteten oder versklavten deren Bewohner. Auch wurde deutlich, dass es sich bei den Daleks tatsächlich nicht um reine Maschinen handelte. Es waren Mutanten, die von Geburt an in diesen Hüllen lebten.

Wann hatte diese Entwicklung begonnen? Wenn Davros dafür verantwortlich war, musste die Begegnung mit seiner späteren Inkarnation noch früher gewesen sein. Der Doktor wollte und musste die Wahrheit erfahren! Er wählte eine passende Zeitebene aus, den genauen Ort und Zeitpunkt würde das Herz der TARDIS finden.

Das Schiff materialisierte in einer wüstenhaften Gegend. Der Doktor trat in den Sand und blickte sich in allen Richtungen um. Er war allein, aber in einiger Entfernung erkannte er Gebäude. Als er sich ihnen näherte, bemerkte er die ersten Lebewesen. Er atmete auf, sie waren humanoid – keine Daleks. Drei Männer in uniformähnlicher Kleidung kamen auf ihn zu. Misstrauisch musterten sie ihn.

„Du bist ein Fremder. Woher kommst du?“

Der Doktor zeigte nach hinten. „Aus der nächsten Stadt. Ich suche Davros. Wisst ihr, wo ich ihn finde?“

Der Sprecher der Männer runzelte die Stirn. „Was willst du von ihm? Wer bist du?“

„Dormen.“ Wenn Davros ihm wirklich schon begegnet war, sollte er sich hier garantiert nicht als Doktor zu erkennen geben. „Ich hörte von ihm und möchte mit ihm sprechen.“

Sie nahmen ihn in die Mitte und führten ihn in die Stadt. Der Doktor erkannte, dass die meisten Gebäude militärischer Natur waren. Es gefiel ihm überhaupt nicht. Das bedeutete nur Ärger. Man brachte ihn in eines der Bauten und zu einem großgewachsenen Mann. Dessen Uniform war deutlich protziger, mehrere bunte Abzeichen schmückten die Brust. Die drei machten Meldung und berichteten, wo und wie sie auf ihn gestoßen waren.

„Ich bin Kommandant Kolwan. Was hast du mit Davros zu tun?“

„Ich möchte mich nur mit ihm unterhalten. Was ist daran so schlimm?“

„Seine Arbeiten sind geheim. Wie kommst du darauf, dass wir jeden Fremden einfach zu ihm lassen?“

„Kann er das nicht selbst entscheiden? Sag ihm, ich möchte über den Doktor sprechen.“

„Woher soll ich wissen, dass du nicht ein Spion der Thal bist?“

Wer oder was waren die Thal? Der Doktor seufzte. „Würde ich dann so offen auftauchen?“

Der Kommandant überlegte eine ganze Weile. Dann nickte er endlich. „Gut. Warte! Ich rede mit Davros, ob er dich sehen will.“

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Der Doktor saß in einem kleinen, kahlen Raum und starrte die Wände an. Nur einmal versuchte er, die Tür zu öffnen. Die Wache davor machte ihm unmissverständlich klar, dass er sich hier nicht frei bewegen durfte.

Endlich kam Kolwan wieder. „Davros kennt dich nicht, Dormen. Aber er möchte mit dir sprechen. Komm mit!“

Der Doktor folgte ihm durch eine Reihe von Gängen. Immer wieder kamen sie an Wachen vorbei. Schließlich blieb Kolwan vor einer stark gesicherten Tür stehen. Davor standen noch drei bewaffnete Männer. Einer von ihnen betätigte den Öffnungsmechanismus und ließ sie eintreten. Der Doktor fragte sich langsam, ob Davros so stark geschützt werden musste, oder vielmehr ein Gefangener war.

„Hier ist der Fremde.“

Im Raum stand ein junger Mann. Zur Erleichterung des Doktors wirkte er gesund. Zumindest war er also nicht schuld an dem schrecklichen Aussehen des älteren Davros.

„Was weißt du über den Doktor?“, fragte Davros, während er den Doktor sehr argwöhnisch musterte.

Der warf einen sprechenden Blick auf den Kommandanten und schwieg. Davros zog die Augenbrauen hoch. „Kommandant? Ich möchte alleine mit ihm sprechen.“

„Dafür bis du zu wertvoll. Was ist, wenn er zu unseren Feinden gehört?“

„Ich verlange es!“

Die beiden fochten einen kurzen, stummen Kampf mit ihren Augen aus, dann nickte Kolwan widerwillig und ging hinaus.

„Nun?!“

Der Doktor setzte sich ungebeten auf einen der harten, recht unbequemen Sitzmöbel. „Ziemlich unfreundlich, dieser Kommandant. Und auch deine Umgebung hier ist reichlich unschön“, bemerkte er leichthin.

„Ich habe dich etwas gefragt“, fuhr Davros wütend auf.

Er seufzte ein wenig. „Der Doktor wollte erfahren … wie es dir geht. Ob bei dir alles in Ordnung ist“, antwortete er dann ausweichend. „Er macht sich Vorwürfe. Er wollte dir keinen Schaden zufügen“, improvisierte er weiter.

Davros lachte bitter. „Behauptet er das? Was will er damit erreichen? Ich habe ihm einmal geglaubt. Habe zugelassen, zu hoffen. Doch Hoffnung ist ein Irrglaube, wie alle Gefühle.“

„Wieso sagst du das? Es ist das Wichtigste im Leben.“

Davros Blick wurde sofort wieder misstrauisch. „Kommst du vielleicht doch von den Thal? Die glauben an solchen Unsinn: Hoffnung und Vertrauen. Aber ich weiß, dass das falsch ist.“

„Nein! Ich habe mit den Thal nichts zu tun“, wehrte der Doktor ab. „Erkläre mir, warum du gegen gute, starke Gefühle bist.“

„Weil wir diesen ewigen, entsetzlichen Krieg verlieren werden, wenn wir uns davon leiten lassen“, brach es aus Davros hervor. „Weißt du nicht, was mit uns geschieht?“ Er lehnte sich zurück. „Natürlich nicht. Das Militär verhindert, dass die Kaled die Wahrheit erfahren. Sie ist zu schrecklich. Und da niemand freiwillig ins Ödland geht, wird es nicht bekannt.“

Hastig überlegte der Doktor und wagte einen Schuss ins Blaue. „Die Strahlung?“

„Du weißt es also doch.“ Davros Blick wurde stechend. „Die Veränderungen greifen immer weiter um sich. Schon bald wird es für alle offensichtlich.“

„Was wird genau geschehen? Du klingst, als ob du es herausgefunden hast.“

„Ich habe es berechnet.“ Davros Stimme klang stolz. „Niemand außer mir war dazu in der Lage. Deshalb holten sie mich hierher. Sie glauben, mich für ihre Zwecke benutzen zu können. Ich bekomme alles, was ich brauche, weil sie überzeugt sind, mich kontrollieren zu können. Doch sie irren sich.“ Er lachte leise. Immer rascher kamen seine Worte, als würde er sich daran berauschen. „Sie sind sehr nützlich für meine Pläne. So kann ich diesen Krieg beenden. Wir werden überleben und siegen.“

„Wie?“ Ganz leise fragte der Doktor, um Davros nicht aus seiner mitteilsamen Stimmung zu reißen.

Das Lachen seines Gegenübers wurde schrill, dessen Pupillen begannen zu glitzern. ‚Wie weit ist dieser Mann noch vom Wahnsinn entfernt?‘, fuhr es dem Doktor durch den Kopf.

„Die durch die Strahlung verursachten Veränderungen können nicht verhindert werden. Aber anstatt zu lebensunfähigen Monstern zu werden, steuere ich sie. Wir entwickeln uns zu neuen übermächtigen Wesen, die nicht an solche unfähigen, verräterischen Gefühle glauben. Hoffnung, Vertrauen, Angst und all die schmerzhaften Dinge, die dazugehören, gibt es dann nicht mehr. Nur so können wir den Krieg gewinnen und die Thal zurückschlagen!“

„Nein!“, entfuhr es dem Doktor. „Davros, das kannst du nicht machen. Du wirst dein Volk zerstören!“

„Oh doch! Ich kann! Es ist schon im Gange. Niemand wird es aufhalten.“ Wieder verengten sich Davros Augen. „Du hast mir nicht gesagt, woher du den Doktor kennst. Wo ist er? Ich muss ihn finden!“

Erschüttert und mitleidig zugleich sah der Doktor ihn an. „Ich weiß nicht, wo er genau ist. Er sucht dich. Er möchte nicht, dass du dein Leben zerstörst, weil er sich falsch verhalten hat.“ Er wusste immer noch nicht, was er getan hatte, oder vielmehr irgendwann tun würde. Aber es hatte diesen jungen Mann anscheinend auf entsetzliche Weise geprägt.

„Das ist lächerlich. Es war ihm gleichgültig. Und genau so werden wir siegen. Indem das Leid anderer bedeutungslos für uns ist!“ Davros stand auf. „Er ließ mich zurück! Dein Gerede ist unsinnig und wertlos, wenn du nicht weißt, wo ich diesen Mann finden kann.“ Seine Stimme wurde leiser, als spräche er nur zu sich selbst: „Er ist nicht bereit, sich mir zu stellen. Doch irgendwann wird er es müssen. Und dann töte ich ihn.“

Er drückte auf einen Knopf und im nächsten Moment trat der Kommandant wieder ins Zimmer. „Nimm ihn mit. Er nützt mir nichts.“ Davros wandte sich ab.

Der Doktor öffnete den Mund, wurde jedoch von Kolwan unterbrochen: „Komm mit!“ Die Wachen, die mit ins Zimmer getreten waren, machten deutlich, dass es sinnlos war, sich gegen den Befehl zu sträuben. Sie brachten ihn hinaus und führten ihn mehrere Stockwerke in die Tiefe.

Nur nebenher und fast automatisch merkte der Doktor sich den Weg. Seine Gedanken waren bei Davros. Aber je länger er nachdachte, desto bewusster wurde ihm, dass er nichts mehr tun konnte. Was immer zwischen ihnen beiden vorgehen würde, es ließ sich nicht ungeschehen machen. Er musste keine Einzelheiten wissen, um zu erkennen, dass es zu denjenigen Ereignissen gehörte, die nicht verändert werden durften.

Noch etwas begriff der Doktor: Er mochte Davros beeinflusst haben, aber die Veranlagung zu dieser Reaktion, zu diesem Hass auf positive Gefühle, musste schon in ihm geschlummert haben. Jedes andere, ähnliche Ereignis hätte diese Entwicklung ebenfalls hervorgerufen. Das war weder eine Rechtfertigung, geschweige denn eine Entschuldigung für das, was er getan hatte – was auch immer das sein würde. Es war einfach eine Tatsache.

Er blickte sich um und bemerkte erst jetzt, dass man ihn in eine Zelle gesteckt hatte.  Ein kleines Kästchen über der Tür war mit Sicherheit eine Kamera. Er wurde also überwacht. Der Doktor seufzte leise. Es wäre ihm viel lieber, wenn er unauffällig verschwinden könnte. Er setzte sich auf den Boden und wartete.

Ein grässlich quietschendes Geräusch weckte ihn auf. Er rieb sich den Nacken und starrte auf die Klappe, die sich in der Tür geöffnet hatte. „Habt ihr kein Öl?“, entfuhr es ihm.

„Werd‘ nicht auch noch frech“, brummte eine Stimme. „Hier, nimm! Sonst bekommst du heute nichts mehr.“

Ein Tablett wurde sichtbar. Der Doktor griff rasch zu, bevor es auf den Boden fiel. Die Klappe schloss sich wieder. Er betrachtete skeptisch das breiige, unappetitlich aussehende Essen in der Schale. Probeweise stippte er den Finger hinein und begann zu grinsen. Das Zeug klebte. Sein Blick glitt zur Kamera – zu weit oben.

„Heh! Warte mal“, schrie er. „Wie sieht es mit einem Löffel aus?“

„Was glaubst du, wo du bist? In einem Luxushotel?“

„Dafür ist euer Service zu miserabel“, gab der Doktor zurück. „Aber ich esse ungern mit den Fingern. Das könntet ihr mir wenigstens zugestehen.“

Kurze Zeit später quietschte es wieder, eine Hand erschien und ließ einen länglichen Gegenstand fallen. „Sonst noch Wünsche?“, erkundigte sich der Wächter sarkastisch.

Der Doktor hob den Löffel auf und bog ihn leicht. Das Metall federte in seine ursprüngliche Form zurück.

„Nein, das ist perfekt“, bedankte er sich freundlich und wartete, bis die Klappe wieder zufiel.

Er stellte sich an die Wand, füllte den Löffel mit dem dunkelbraunen Brei und zielte. Mit einem satten ‚Mmmtsch‘ klatschte die Masse vor die Kameralinse. Sofort ertönte eine andere Stimme, die eindeutig aus einem Lautsprecher kam.

„Was soll das? Wisch das weg oder du bekommst in den nächsten Tagen überhaupt nichts mehr.“

Leise lachte der Doktor. Eilig, bevor die Wachen den Befehl bekamen, hier nach dem Rechten zu sehen, drückte er auf den am Gürtel verborgenen Kontakt. Die TARDIS würde das Signal empfangen und ihn orten. Das Quietschen der Klappe warnte ihn. Er schoss mit der Löffelschleuder eine weitere Ladung ab, die den Wachmann anscheinend voll traf, nach den wüsten Flüchen zu urteilen. Dann materialisierte die TARDIS vor der Wand. Der Doktor schlüpfte hinein und einen Augenblick später war die Zelle leer.

 

Kommandant Kolwan marschierte zu Davros Räumen, das Gesicht rot vor Wut. „Was hast du mit diesem Dormen besprochen? Er ist spurlos verschwunden!“

Davros starrte ihn an. Widerwillig berichtete der Kommandant die Einzelheiten. Verwirrt schüttelte der junge Mann den Kopf. Auch er hatte keine Erklärung dafür. Jetzt machte er sich Vorwürfe, dass er den Fremden nicht intensiver ausgehorcht hatte. Doch er hatte so harmlos gewirkt. Allerdings war er ebenso aus dem Nichts heraus aufgetaucht und wieder verschwunden, wie damals der Doktor. Davros Gedanken wanderten in die Vergangenheit.

 

Er war noch ein Junge und hatte Angst, furchtbare Angst. Er wagte kaum zu atmen, stand stocksteif. Um ihn herum ragten die Minen aus dem Boden. Hände, die sich drehten und nach Opfern suchten. Die Augen in der Innenfläche blinzelten nicht, starr beobachteten sie alles in ihrer Umgebung. Allerdings konnten sie nicht richtig sehen, nur Bewegung wurde von ihnen wahrgenommen. Dann waren sie tödlich, die Finger packten ihre Beute und rissen sie hinunter in die Tiefe.

Verzweifelt rief Davros um Hilfe. Doch wer sollte kommen? Die Schlacht war längst vorüber, die wenigen Überlebenden geflohen. Und wenn jemand auftauchte – wie sollte er wissen, ob es ein Freund oder Feind war? Die Angst brachte ihn fast um.

Aus dem Dunst erschien ein Mann – Rettung oder Tod? Er sprach seltsam, klang aber freundlich. Der Fremde stellte sich als Doktor vor und versicherte ihm, dass er eine Chance hätte. Er musste nur daran glauben, sich darauf konzentrieren.

„Heb ihn auf.“ Er warf ihm ein längliches Gerät zu. „Wie heißt du denn?“ 

Hoffnung erfüllte Davros. Automatisch antwortete er. Plötzlich veränderte sich der Ausdruck in den Augen des Mannes. Der Junge sah Entsetzen in ihnen, zusammen mit Abscheu. Der Fremde wandte sich ab und verschwand.

Was war geschehen? Vorsichtig sah Davros sich um, nichts hatte sich verändert. Noch immer lauerten die Handminen. Er rief, hoffte inständig auf Antwort und seine Angst wuchs ins Unermessliche. Würde der Doktor sein Versprechen halten? Würde er ihm helfen? Der Junge starrte auf das unbekannte Gerät, das der Fremde ihm zugeworfen hatte. Warum war er gegangen? Er hatte doch nichts getan, hatte alles gemacht, wie der Doktor es verlangt hatte. Er hatte seine Fragen beantwortet, ihm seinen Namen genannt.

Davros senkte den Kopf. Er war entsetzlich dumm gewesen, hatte tatsächlich auf Hilfe und Verständnis gehofft. Obwohl es das nicht gab. Hier auf Skaro kämpfte jeder gegen jeden. Das war seit jeher so gewesen und würde es immer sein. Er schluchzte. Das Schlimmste an dem ewigen Krieg war die Angst. Nicht die Kämpfe, die mussten sein. Er kannte es nicht anders. Doch die Furcht, zu verlieren, gefoltert, verstümmelt und getötet zu werden, war grässlich. Und nun war sie noch entsetzlicher geworden – jetzt, da er begonnen hatte, zu hoffen. Aber nur die Schwachen hofften, die Versager. Davros biss die Zähne zusammen und zwang seine Tränen zurück. Aus seiner Verzweiflung wurde Wut und Hass. Hass auf diesen Fremden, der ihm erst Zuversicht eingeflößt hatte, und ihn nun dem Grauen überließ.

Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Der Doktor war wieder da. Davros starrte ihn an. Angst und Zorn kämpften gegen die Hoffnung, die wieder – gegen jede Vernunft – in ihm aufkeimte. Der Fremde blickte ihn an: „Ich werde jetzt meine Freundin retten.“

Verständnislos sah Davros zu ihm, er begriff seine Worte nicht. Außer ihnen beiden war niemand hier. Der Doktor hob die Hand, in der eine seltsame Waffe lag. Unglaublich rasch schoss er auf die Minen und vernichtete sie.

„Wer sind Sie? Sind Sie der Feind?“, fragte Davros misstrauisch.

„Das ist nicht wichtig. Wichtig ist einzig und allein Gnade. Sei immer bereit, gnädig zu sein.“ Ein eigenartiges Lächeln begleitete die Anwort.

Der Junge stolperte davon. Er wollte nicht mehr mit diesem Fremden sprechen, der so seltsame Worte sagte. Er war ihm unheimlich. Davros fürchtete sich vor diesem merkwürdigen Mann. Warum hatte er ihn erst im Stich gelassen und dieser entsetzlichen Angst ausgeliefert? Die Scham darüber, dass er geweint hatte, wie ein dummes Kind an ein Wunder – an Mitgefühl und Hilfe – geglaubt hatte, ließen die Wut in Davros noch stärker werden.

Nur unbewusst, in einer kleinen Kammer der Erinnerung fest verschlossen, blieb ein Wort des Fremden in seinem Gehirn, wie eingebrannt: Gnade. Zusammen mit dem Mitgefühl, das er ausgestrahlt hatte, als er die Minen vernichtete.

Doch dies wurde Davros nicht bewusst. Er fühlte nur den Hass auf den Fremden, so stark, dass er ihn zu verbrennen schien. Er schwor sich etwas: Er würde den Doktor finden und vernichten. Damit würde auch die Scham getilgt werden, für die der Fremde verantwortlich war. Von nun an war der Doktor sein Todfeind.

 

Trau keinem Traum

Voller Unruhe ging Aluanin im Park auf und ab. Alle paar Sekunden blickte sie in Richtung der imposanten Zitadelle, deren Türme mit den gläsernen Kuppeln weit über die Stadt hinausragten. Doch die Gallifreyerin hatte heute keinen Blick für die Schönheit dieses Bauwerks übrig. Sie atmete auf, als sie endlich die Gestalt ihrer jüngeren Schwester Nisara erblickte. Die Timelady schloss Aluanin in die Arme.

„Du hast so ernst geklungen. Ist etwas passiert?“, fragte sie.

„Das nicht. Ich mache mir aber immer größere Sorgen um Tarwen. Seit er von seiner letzten Reise zurückkam, ist er verändert. Er vergräbt sich in seinen Arbeitsräumen in der Zitadelle. Und selbst, wenn er bei uns zu Hause ist, wirkt er ständig bedrückt. Ich kann seine Anspannung fühlen. Nein! Das ist nicht das richtige Wort. Eher eine Last, die auf ihm liegt und ihm keine Ruhe lässt. Aber er sagt mir nicht, was es ist. Du siehst ihn oft während seiner Arbeit. Weißt du, was ihn so beschäftigt?“

Nisara zog ihre Schwester zu einer der breiten Bänke und setzte sich neben sie. Sie seufzte. „Nein, genau weiß das keiner. Ich habe seine Berichte studiert. Er ist in der Vergangenheit auf Wesen gestoßen, die irgendwann in ferner Zukunft zu gefährlichen Gegnern für uns werden.“

Ihre Stirn krauste sich, sie blickte in die Ferne und fuhr dann leise fort: „Ich vermute, dass es mit diesem Davros zu tun hat. Er scheint dafür verantwortlich zu sein.“

„Wer oder was ist das?“

„Allem Anschein nach war er ein geradezu genialer Wissenschaftler. Er nahm entsetzliche genetische Veränderungen an seinem Volk vor. Dadurch wurden bzw. werden sie irgendwann zu denjenigen, die uns hassen und anscheinend versuchen, einen Krieg gegen uns zu führen.“

Aluanin zog die Stirn zusammen. „Was nun? Ist das geschehen oder liegt es in der Zukunft?“

„Es wird erst noch passieren. Der Doktor spricht nicht darüber. Aber ich habe den Eindruck, er glaubt, dass er hätte eingreifen müssen. Die Gelegenheit dazu hatte er wohl. Aber das ist Unsinn. Das ist eine Entwicklung, die nicht verändert werden darf, so erschreckend sie auch ist. Die Zeitlinien und Fixpunkte sind eindeutig.“

„Wie können wir Tarwen helfen?“ Aluanin legte die Hand auf den Arm ihrer Schwester und sah sie bittend an.

Eine Weile überlegte die junge Timelady, dann hellte sich ihr ernstes Gesicht auf. „Hat Atara vielleicht Zeit, um mit ihm zu reisen? Sie studiert doch die Menschheitsgeschichte. Das würde den Doktor bestimmt ablenken. Die Erde fasziniert ihn, das weiß ich. Und wenn Atara ihn darum bittet, schlägt er es ihr garantiert nicht ab. Das kann er gar nicht.“ Ein Schmunzeln huschte über ihr Gesicht. „Er ist viel zu vernarrt in seine Tochter.“

„Ich spreche noch heute mit ihr.“ Aluanins Augen leuchteten wieder. „Du hast recht, eine Reise zu dieser Welt hilft ihm bestimmt. Er mag die Menschen. Tarwen muss endlich seine innere Ruhe wiederfinden.“

„Ich bin sehr froh, dass er dich hat.“ Das klang so ernst, das Aluanin ihre Schwester erstaunt ansah. Diese lächelte etwas gezwungen. „Du spürst seine Stimmungen. Ach, Aluanin, Timelords werden beneidet und bewundert. Aber die wenigsten erkennen, welche Last sie im Laufe ihres Lebens tragen müssen.“

„Du auch? Ich spüre bei dir aber niemals etwas Bedrückendes. Du bist immer zufrieden mit dir und deinem Leben.“

„Ich lebe in der Akademie. Bisher hatte ich nie das Verlangen, zu reisen, wie der Doktor. Doch die Timelords, die wie er andere Welten zu den verschiedensten Zeiten besuchen, erleben und erkennen so viel Leid. Sie sehen Schmerz, Tod und Vergehen. Der Doktor hat seinen Weg gefunden, um damit umzugehen. Wenn er darf, versucht er zu helfen. Aber es ist mit Sicherheit oft schwer, diese Erlebnisse zu verarbeiten. Du weißt, dass wir nichts vergessen können.“ Nisaras Augen schimmerten voller Wärme. „Deine Liebe gibt ihm die Kraft dazu.“

„Dann stehe ich ihm auch diesmal bei.“ Dankbar drückte Aluanin die Hand der Schwester. Sie wusste, dass diese recht hatte. Schon oft hatte sie Tarwens Schmerz gespürt, wenn er von einer Reise zurückkehrte. „Kannst du dafür sorgen, dass er heute zu uns nach Hause kommt, anstatt in der Zitadelle zu übernachten?“

„Natürlich!“

Eine Weile plauderten sie noch miteinander, dann verabschiedete sich Nisara und kehrte in die Akademie zurück.

 

Als der Doktor abends das Haus betrat, erwartete seine Tochter ihn bereits. „Ich habe in den nächsten Tagen Zeit. Du hast mir versprochen, endlich wieder einmal zur Erde zu reisen“, überfiel sie ihn so stürmisch, als sei sie noch ein Kind.

Der Doktor zwang sich zu einem Lächeln. Er öffnete den Mund, um abzulehnen. Da sah er die Sorge in ihren Augen, die ihre betonte Unbeschwertheit Lügen strafte. Einen Moment senkte er den Blick und gab sich einen Ruck. Er musste die Erinnerung an Davros und dessen anklagende Worte endlich in sich vergraben. Zu all den anderen Geschehnissen und Geheimnissen, die er mit sich herumtrug.

Mit einem tiefen Luftholen meinte er deshalb: „Eine gute Idee. Wenn Aluanin nichts dagegen hat, fliegen wir morgen los.“ Er sah dabei zu seiner Gefährtin.

Sie lachte, doch er erkannte ihre Erleichterung. Die beiden hatten sich also abgesprochen. Wärme und ein unendlich tiefes Gefühl der Verbundenheit erfüllte ihn. Er war ein Glückspilz! Mit diesen beiden – und Nisara, die garantiert ebenfalls zu der Verschwörung gehörte, da war er sich sicher – konnte er alles überstehen.

„Im Gegenteil“, versicherte seine Gefährtin prompt. „Atara brennt darauf, ihre Forschungen weiter betreiben zu können und dir tut diese Reise auch gut.“

„Wunderbar. Ich warte morgen früh vor der Zitadelle auf dich, Vater.“ Damit wirbelte Atara aus dem Haus.

„Danke!“ Der Doktor schloss Aluanin in die Arme. Er brauchte nichts weiter zu sagen. Sie spürte, was er meinte.

 

Am nächsten Morgen betrat Atara zusammen mit dem Doktor die Zitadelle. Fröhlich begrüßte sie in den Gewölben den schon älter wirkenden Timelord: „Guten Morgen, Kochestem!“ Sie mochte den immer freundlichen Mann, der die TARDIS-Schiffe betreute. Trotz seiner Robe mit dem breiten, hohen Kragenkranz wirkte er längst nicht so erhaben, wie die meisten anderen hier.

„Sei willkommen, junge Atara. Guten Morgen, Doktor. Dann reist Ihr wohl wieder zu dieser Erde, wenn Ihr Eure Tochter mitnehmt?“

Lachend bestätigte die junge Frau dies und lief übermütig voraus. Es war nicht weit bis zu der Parkbucht, in der die TARDIS des Doktors stand. Sie legte die Hand auf die Tür. Das Schiff kannte Atara und ließ sie hinein. Den Schlüssel, der eigentlich dazu nötig war, benutzte sie hier auf Gallifrey nie. Die Sicherheitsschaltungen waren im Allgemeinen nur auf anderen Welten aktiviert.

„Sechsunddreißigstes Jahrhundert?“, fragte der Doktor sie.

„Gerne. Ich bin gespannt, wie es dort aussieht.“

Es dauerte nicht lange bis sie sich die Bilder auf den Monitoren anschauen konnten. Wie meistens bisher waren sie in London gelandet. Atara studierte vor allem die Kleidung der vorbeieilenden Menschen.

„Sehr farbenfroh. Ihre Mode gefällt mir. Ich suche mir schnell etwas aus den Garderoberäumen aus.“ Sie grinste ihren Vater an. „Wirst du dich auch einmal umziehen?“

Er hob nur amüsiert die Augenbrauen. „Wozu? So sehr falle ich nicht auf.“

Seine Tochter hatte mit keiner anderen Antwort gerechnet. Schon seit einiger Zeit lehnte ihr Vater es ab, sich der jeweils herrschenden Kleiderordnung anzupassen. Er trug einfach schwarze Hosen und einen dünnen, tiefblauen Pullover mit einem hellen Mantel darüber.

Arm in Arm schlenderten sie über den großen Platz, der den Fluss säumte. Verträumt blickte Atara in das Wasser. Wie oft hatte sie die Themse nun schon gesehen? Sie blieb immer gleich, doch die Ufer veränderten ihr Aussehen. Mal gab es schlammige, kleine Teiche, in anderen Zeiten waren die Häuser bis dicht ans Wasser gebaut. Bei ihrem letzten Besuch hatten sich große Parks zu beiden Seiten des Flusses ausgebreitet.

Diesmal bildete ein schmaler Grünstreifen das Ufer, der in den mit glitzernden, riesigen Steinplatten ausgelegten Platz überging. Weiter vorne erkannte Atara hohe Häuser, die bis dicht an das Wasser reichten. Die breiten Wege dazwischen waren nur von Fußgängern bevölkert. Sie sah nach oben. Dort schwebten, mindestens zwanzig Meter über ihr, verschiedene flache Schalen, manchmal auch kugelförmige Fahrzeuge durch die Luft.

„Es ist schön hier“, stellte sie fest.

Der Doktor nickte ihr zu. Auch er hatte sich neugierig umgesehen. „Sieh mal, da vorne.“ Er wies auf ein sehr auffälliges Gebäude, welches alle anderen weit überragte. Seine Fassade schimmerte in sämtlichen Regenbogenfarben und auf dem Dach leuchtete ein bunter Halbkreis aus Licht.

Staunend trat Atara einen Schritt zurück, um das Ganze besser überblicken zu können. Dabei stieß sie an jemanden und fühlte gleichzeitig einen Fuß unter dem ihren. Ein kurzes, schmerzhaftes Japsen erklang.

Hastig wandte sie sich um. „Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht treten.“

Hinter ihr stand ein junger Mann. Sein Gesicht, gerade noch unwillig verzogen, glättete sich, als er in ihre blau-silbrigen Augen sah.

„Nichts passiert“, versicherte er und musterte sie fasziniert.

„Ich wollte mir nur das Gebäude dort genauer betrachten“, erklärte Atara. Sie muste sich räuspern, um ihre Verlegenheit zu verbergen. Seine Bewunderung war deutlich zu erkennen.

„Der Traumpalast. Ja, von außen sieht er herrlich aus.“

Etwas in seinem Tonfall ließ den Doktor aufhorchen. „Was ist denn drinnen?“

„Sie sind wohl fremd hier“, stellte der Mann fest.

„Ja, wir sind – Durchreisende. Ich bin der Doktor, dies ist meine Tochter Atara.“ Die Menschen waren so weit entwickelt, dass es nicht mehr notwendig war, Namen zu erfinden, die den ihren ähnlich waren.

„Jenson Tordish“, stellte der Einheimische sich vor. „Der Traumpalast wird von vielen bewundert.“ Er zögerte kurz. „Allerdings würde ich empfehlen, dass Sie ihn nur von außen ansehen.“

„Weshalb?“

„Genau kann ich es nicht erklären. Dort werden Träume verschenkt. Ich kenne viele, die gerne hineingehen. Aber manche kommen völlig verstört wieder heraus. Sie wollen nicht darüber sprechen, was mit ihnen geschehen ist. Es scheint, dass immer mehr Leute so verwirrt reagieren. Sie wirken irgendwie desorientiert, manchmal sogar verängstigt. Aber niemand gibt es zu.“

„Aber was ist dort? Ich verstehe nicht ganz.“ Atara lächelte unwillkürlich, als sie zu ihm aufsah. Seine braunen Augen zeigten deutlich, wie sehr sie ihm gefiel. Er wirkte sehr nett und sympathisch mit seinem offenen Gesicht und den kurzen, etwas gelockten Haaren.

„Naja, es gibt unzählige Räume, in denen man sich hinlegen kann. Dann schläft man ein und träumt. Ich war nur einmal dort. Es war ein wirklich schönes Erlebnis, das muss ich zugeben. Aber irgendwie kam es mir dennoch unheimlich vor.“

„Klingt interessant“, meinte der Doktor. Sein Tonfall klang locker, doch seine Miene war eher nachdenklich. „Also eine Art Vergnügungseinrichtung. Wird es denn von vielen genutzt? Ich kann mir vorstellen, dass es kein billiger Spaß ist.“

„Das ist ja das Verrückte daran. Es kostet absolut nichts. Der Betreiber erklärt in seiner Werbung ständig, dass ihm nur das Wohl und Glück seiner Mitmenschen am Herzen liegt.“

Atara bemerkte, wie ihr Vater sich anspannte, obwohl er weiterhin so tat, als wäre er nur oberflächlich interessiert. So reagierte er immer, wenn ihn etwas faszinierte – oder beunruhigte. Oftmals lag er mit seinem Bauchgefühl richtig und entdeckte dadurch Missstände.

Selbst ihr fiel der Widerspruch dieser Worte gegenüber den sonstigen Verhältnissen hier auf. Bei ihrem bisherigen Spaziergang hatten sie eine Menge Angebote gesehen, teils verschiedenste Nahrungsmittel, aber auch die typischen Touristenangebote. Doch für alles wurde Bezahlung verlangt!

„Wer ist der Inhaber? Und was hat er davon? Das Gebäude sieht prunkvoll aus und alleine die Technik für künstliche Träume ist sehr aufwändig. Wie bekommt er diese Kosten wieder herein?“, erkundigte sich der Timelord.

„Das weiß niemand. Er scheint in Geld zu schwimmen. Da drüben ist eine Werbesäule. Dort können Sie Josh Falloun sehen. Er ist der Besitzer.“

Das Video begann automatisch, als sie davor standen. Ein freundlich lächelnder Mann im mittleren Alter pries den Traumpalast in mitreißenden Worten an. Mehrmals wurde betont, dass kein Eintrittsgeld oder anderer Gegenwert dafür verlangt wurde.

„Ich schaue mir das genauer an“, entschied der Doktor. Erst jetzt wirkte er ernster. „Aber es wäre mir lieber, du kämst nicht mit, Atara. Zumindest, solange ich nicht weiß, was dahintersteckt.“

„Vielleicht …“, Jenson Tordish zögerte ein wenig. „Wenn Sie mögen, zeige ich Ihnen die Stadt. London ist sehr schön.“

Atara nickte erfreut. Das war wesentlich angenehmer, als in der TARDIS zu bleiben und auf ihren Vater zu warten. Außerdem gefiel ihr dieser junge Mann.

„Eine gute Idee“, fand auch der Doktor. „Falls ihr fertig seid, ehe ich zurückkomme, gehst du dann – zurück.“

Atara lächelte und blickte ihn verständnisvoll an. Natürlich würde sie niemandem die TARDIS zeigen, sondern sich vorher von Jenson verabschieden. „Aber sehr spät kann es doch eigentlich nicht werden. Es ist gerade erst Mittag“, meinte sie.

„Bis Sonnenuntergang bin ich garantiert wieder da“, versicherte der Doktor ihr. „Viel Spaß bei der Stadtbesichtigung.“

„Was interessiert Sie besonders?“, fragte der junge Mann, als sie über den Platz gingen.

„Alles“, meinte sie lachend und zeigte nach vorne. „Was ist dort?“

„Der Lindoch-Park. Er ist sehr schön, mit vielen Kunstwerken und Wasserspielen. Wollen wir hingehen?“

Sie stimmte sofort zu. Jenson erklärte ihr die Bedeutung der verschiedenen Skulpturen. Dabei blickte er ihr immer wieder bewundernd in die Augen. Bei einer Gruppe steinerner Fantasiewesen blieben sie länger stehen. Atara strich über die fein gearbeiteten Flügel eines Pegasuspferdes.

„Das ist herrlich! Obwohl es Stein ist, kann man die Weichheit der Federn regelrecht spüren. Der Körper fühlt sich sogar warm an. Wie kann das sein?“

Jenson lächelte. „Das ist das Geheimnis des Künstlers. Krowaltek ist ein Genie. Seine Werke findet man auf vielen Welten.“

Atara ging um die Figuren herum. „Sie sind unglaublich lebensecht. Kennen Sie denn andere Werke von ihm? Waren Sie schon auf vielen Welten?“

„Oh ja. Ich bin Ingenieur für Wasserenergetik. Da kommt man herum. Und sieht dabei vieles.“

„Dieser Krowaltek muss wohl auch viel reisen, wenn seine Werke überall zu finden sind“, überlegte Atara.

„Das schon.“ Jenson grinste. „Er hat eine eigene Yacht, mit der er ständig unterwegs ist. Er sucht überall nach Legenden und mythischen Gestalten, denen er dann Leben einhaucht. So wie hier.“ Er zeigte wieder auf die Figuren.

„Sie kennen ihn gut, scheint mir. Ich habe noch nie von ihm gehört. Aber ich würde mich gerne über ihn informieren. Kann man ihn vielleicht sogar einmal treffen?“ In Atara erwachte die Forscherin. Diesem Künstler würde sie gerne einen Bericht widmen. Mit Bildern von seinen Werken würde das viele Gallifreyer interessieren.

 „Er selbst ist völlig unbekannt. Er gilt als scheu und zeigt sich so gut wie nie in der Öffentlichkeit.“

„Aber woher wissen Sie dann so viel über ihn?“

„Er ist ganz zufällig mein Bruder. Wieso wollen Sie ihn treffen? Die meisten bewundern seine Kunst, aber kaum einer fragt nach dem Erschaffer.“

Atara zögerte, dann erklärte sie: „Ich veröffentliche Berichte über besonders eindrucksvolle Werke und Geschehnisse. Bei uns zu Hause werde diese sehr gerne gesehen. Ihr Bruder würde sicher noch mehr bewundert werden.“

„Woher kommen Sie denn?“

„Oh, das … von …“ Sie verstummte und blickte zu Boden. Wenn sie bisher hin und wieder nach ihrer Heimat gefragt worden war, hatte sie immer eine harmlose, unbekannte Welt genannt. Doch diesem jungen Mann gegenüber wollte die Lüge einfach nicht über ihre Lippen.

„Was ist denn?“, fragte Jenson. „Ist meine Frage so schlimm?“

„Ich – ich darf nicht darüber sprechen“, stammelte Atara. „Ich möchte Sie nicht belügen“, gab sie dann noch leiser zu.

Er hob sanft ihr Kinn hoch und sah in ihre Augen. Ganz leicht strich er über die Wangen. „Dann vergessen Sie meine Frage. Sie müssen nichts sagen, was Sie nicht wollen.“

„Sie sind nicht böse deshalb?“

„Nein! Sie haben sicher Ihre Gründe dafür.“

Ataras Erleichterung war so deutlich zu erkennen, dass Jenson zu kichern begann. Er zog sie weiter. „Sehen Sie, dort vorne gibt es Früchte und Eis. Mögen Sie das?“, lenkte er ab.

Willig ließ Atara sich hinführen. Sie fand den Nachmittag herrlich. Dieser junge Mann war unglaublich nett. Die Zeit verging wie im Flug. Erstaunt blickte sie zum Horizont, als es dämmrig wurde und der Himmel sich rot färbte.

„Ich sollte zurück. Vater wird wohl schon warten“, meinte sie. Sie schluckte die Traurigkeit hinunter. Es war ein schöner Tag gewesen – und sie wusste schließlich, dass sie mit Einheimischen nicht zu vertraut werden durfte.

„Wo wollen Sie ihn denn treffen? Ich bringe Sie gerne hin“, schlug Jenson vor.

Atara überlegte. Zur TARDIS konnte sie ihn nicht führen, doch sie wollte gerne noch eine Weile bei ihm bleiben. „Am besten, wie gehen dahin, wo wir Sie getroffen haben.“

„Und das im wahrsten Sinne des Wortes“, neckte er sie. „Kommen Sie! Es ist nicht weit. Wir sind eigentlich fast im Kreis gegangen. Schauen Sie!“ Er zeigte nach vorne. „Dort ist der Traumpalast.“

Auf dem großen Platz blickte das Mädchen sich überall um. Ihr Vater war nicht zu sehen.

„Würden Sie kurz warten?“, bat Atara ihren Begleiter. „Ich möchte nachsehen, ob Vater schon … zuhause ist. Wenn nicht, komme ich wieder. Es dauert nicht lange.“ Unsicher, wie er darauf reagierte, sah sie zu ihm hoch.

„Sie sollen mir nicht zeigen, wo Sie wohnen, nicht wahr? Nein! Sie müssen nicht antworten. Es ist ziemlich eindeutig, dass Sie beide Geheimnisse haben. Ich warte gerne. Aber woher weiß ich, ob Sie zurückkehren?“

„Ich komme auf jeden Fall“, versprach das Mädchen. Rasch lief sie zum Ufer hinunter und in eine der Seitenstraßen. Die TARDIS stand völlig unauffällig zwischen zwei Lagerhallen. Auch hier war ihr Vater nicht. Inzwischen war es fast dunkel. Langsam begann sie, sich Sorgen zu machen. Sie lief zu Jenson Tordish zurück.

„Wie lange dauert so ein Traum, wissen Sie das?“, überfiel sie ihn regelrecht.

„Etwa zwei oder drei Stunden, maximal“, erwiderte er. „Vielleicht ist Ihr Vater einfach nur aufgehalten worden“, versuchte er, sie zu beruhigen.

„Hoffentlich. Im Allgemeinen verspätet er sich nicht“, erklärte sie.

Sie setzten sich auf eine der vielen Bänke und warteten. Einerseits freute es Atara, sich noch länger mit diesem sympathischen, jungen Mann unterhalten zu können. Doch gleichzeitig beunruhigte es sie, dass ihr Vater so lange fort blieb.

Was war in dem Traumpalast geschehen?

 

Der Doktor ging zu dem riesigen Gebäude. Große Säulen zierten den breiten Eingang. Ständig gingen Menschen hinein, doch keiner kam heraus. Er runzelte die Stirn und stieg die flachen Treppen hinauf. Über den gläsernen Türen stand in leuchtend bunten Worten: Tritt ein und deine Träume werden wahr.

In der Eingangshalle fand er verschiedene Hinweistafeln. Sie erklärten, wo man welche Art Träume finden würde und dass es von den einzelnen Abteilungen extra Ausgänge gäbe.

„Aha“, murmelte der Doktor vor sich hin. „So verhindert dieser Falloun, dass die Leute sehen, wer verstört reagiert. Aber was bezweckt er mit dem Ganzen?“

Breite Flure führten zu den Schlafkammern. Der Doktor schmunzelte, die meisten Besucher gingen in den Gang, der Träume für Glück und Wohlstand versprach. Er selbst wählte die Kategorie: Keine besonderen Wünsche.

Er sah sich genau um, während er zwischen den anderen Menschen den Weg entlang schlenderte. Einige unterhielten sich miteinander und der Doktor hörte aus allem die Begeisterung heraus. Manche hatten den Palast schon oft aufgesucht und berichteten von ihren fantastischen Träumen.

Ein kleiner, dafür umso beleibter Kerl mit unangenehmen schwarzen Augen erklärte seinem Begleiter lautstark: „Ich kann wirklich nicht verstehen, dass es Idioten gibt, die sich weigern hierher zu kommen. Kenne keine bessere Entspannung – außer Sex natürlich – hahahaha.“

Der junge Mann neben ihm lächelte dünn. „Ich hörte, dass manche die Träume nicht verkraften oder so. Vielleicht gibt es eine Art Allergie dagegen“, wagte er einzuwenden.

„Blödsinn!“, widersprach der Dicke vehement. „Schließlich träumt doch jeder. Schwächlinge sind das, nichts weiter.“ Er blickte auf eine kleine Münze in seiner Hand. „Hier ist meine Kammer. Also viel Vergnügen, wir sehen uns morgen in der Firma.“

Er verschwand durch die Tür.  Der andere atmete tief ein und ging rasch weiter. Der Doktor bemerkte, dass er dabei die Münze in eine der überall in der Wand eingelassenen Abfallklappen warf. Hinter der nächsten Biegung wies ein großes Schild auf den nächsten Ausgang hin. Der junge Mann ging zielstrebig darauf zu.

„Entschuldigung“, hielt der Doktor ihn auf. „Sie haben anscheinend keine Lust, sich einen Traum schenken zu lassen. Warum nicht?“

Der Angesprochene zuckte zusammen. „Wer sind Sie? Hat … hat er sie geschickt? Ich kann das erklären.“

„Falls Sie den Dicken meinen, nein. Ich kenne ihn nicht. Mich interessiert aber sehr, weshalb es Menschen gibt, die diese Träume meiden.“

„Nicht hier“, zischte der Mann und sah sich um. „Kommen Sie mit in eine der Ruhezonen. Dort können wir reden. Ich möchte nicht, dass jemand zuhört.“

Er führte den Doktor zu einer Nische, in der bequeme Sessel standen. „Wer sind Sie überhaupt?“, fragte er dann noch einmal.

„Der Doktor“, wurde ihm lakonisch erklärt. „Und wie heißen Sie?“

„Skarim.“

„Also, was stimmt an diesen Träumen nicht?“

„Ich weiß es nicht. Ich bin einmal in diese Kammer gegangen. Nie wieder!“ Skarim schüttelte sich. „Ich habe keine Ahnung, was ich erlebt habe. Ich kann mich daran nicht erinnern. Nur, dass es entsetzlich war. Als ob ich in einem unendlichen Alptraum gefangen gewesen wäre. Ich möchte das nicht noch einmal durchmachen.“

Nachdenklich musterte der Doktor ihn. Er mochte Mitte Zwanzig sein und seine Angst war offensichtlich echt.

„Die meisten scheinen es aber zu lieben“, wandte er ein.

„Ja“, gab Skarim zu. „Aber die anderen, diejenigen, die wie ich reagieren, sprechen nicht darüber. Es ist nicht gut, das zuzugeben.“

„Warum nicht?“

Der Junge lachte bitter. „Sie sehen doch, wie viele hier hereinströmen. Wenn man zugibt, dass man die Träume hasst und fürchtet, wird man ausgelacht. Ich würde meinen Job verlieren. Es ist“, kurz zögerte er, „wie eine Sucht, die alle ergriffen hat. Niemand kann sich diesem Verlangen entziehen. Egal, wo Sie hingehen, alle reden nur darüber, was sie hier erlebt haben.“

„Eine Sucht!“, wiederholte der Doktor. „Ich möchte wirklich wissen, was dahinter steckt. Nun, mal sehen. So langsam bin ich sehr gespannt darauf, was ich träumen werde.“

„Vermutlich sind Sie danach genauso begeistert, wie die meisten anderen. Woher kommen Sie denn? Inzwischen gibt es in vielen Städten der Welt diese Paläste. Und es werden ständig mehr.“

„Ich bin nicht von der Erde.“

„Ach so. Tja, dann wünsche ich viel Spaß. Und bitte verraten Sie mich nicht bei meinem Chef.“

„Nein, nein. Gehen Sie nur.“

Eine Weile sah der Doktor ihm nach, dann suchte er die Nummer seiner Traumkammer. Darin stand eine breite Liege. Ein weiteres Hinweisschild erklärte, er möge es sich dort bequem machen. Ob bekleidet oder nackt sei völlig egal. Es stünden selbstverständlich auch Schlafcapes bereit.

„Ganz bestimmt nicht“, entfuhr es dem Doktor, als er die farbenfrohen, allerdings hauchdünnen Umhänge begutachtete.

Er legte sich hin. Ein feines Summen war zu hören. Der Doktor lauschte in sich hinein und wartete. Einen Timelord gegen seinen Willen einzuschläftern war nicht leicht. Es sei denn, man arbeitete mit Betäubungsmitteln, doch selbst das würde er bemerken.

Verblüfft sah er sich um. Er stand in einem Park, das rote Gras leuchtete im Sonnenlicht. Eines der vielen hier heimischen Nagetiere suchte in den kleinen, extra dafür aufgestellten Kunststoffschalen nach den nussartigen Früchten, die es liebte. Er musste lächeln und beobachtete das niedliche Wesen. Dann ging er langsam in der herrlich duftenden Luft spazieren. Weit vorne lagen die ihm wohlbekannten hohen Berge mit den schneebedeckten Gipfeln. Er verspürte den Wunsch, sie zu besteigen.

Er blinzelte und starrte auf die Felswände dicht vor ihm. Ein steiler Pfad führte hinauf. Der Doktor blickte zurück in das tief unter ihm liegende Tal. Er grinste und trabte weiter, es konnte nicht mehr weit sein, bis zu dem breiten Plateau, das knapp unter dem eigentlichen Gipfel lag. Plötzlich runzelte er die Stirn. War er nicht gerade eben noch in dem Naturpark gewesen? Und überhaupt … wie war er nach Gallifrey gekommen? Er überlegte. Die Erde, er war mit Atara zur Erde geflogen – und in diesen Traumpalast gegangen. Jetzt wusste er es wieder.

Er blickte die Berge genauer an. Sie sahen absolut richtig aus und er fühlte sich auch, als wäre er zu Hause. Die wenigen Pflanzen, die so weit oben noch wuchsen, wirkten ebenfalls lebensecht. Alles war perfekt. Doch das konnte es nicht sein, er lag in einer der Schlafkammern und träumte. Woher hatten die Geräte, oder was immer dafür verantwortlich war, diese Kenntnisse? Niemand auf der Erde wusste, wie es auf Gallifrey aussah. Also: aus seinem Kopf!

Der Doktor blockte sich geistig ab. Der Traum verschwand nicht. Er konzentrierte sich stärker. Da war etwas! Irgendetwas wühlte in seinem Kopf herum! Mit aller Kraft wehrte er sich gegen die Beeinflussung, allerdings ohne Erfolg. Im Gegenteil! Er spürte, wie seine Erinnerungen angezapft wurden. Fast, als ob sein Gehirn eine Datenbank in einem Computer war, die nun gelesen wurde.

Er versuchte aufzuwachen und scheiterte auch damit. Aber nicht ganz. Er fand eine Art Gegenpol und klinkte sich darin ein. Jetzt konnte er ‚sehen‘, was mit den Informationen geschah, die ihm entzogen wurden. Sie flossen in einen Speicher. Dort wurden sie gefiltert und sortiert. Unzählige weitere Leitungen endeten hier.

Das also geschah während der Träume. Man spionierte die Menschen aus! Der Doktor suchte gedanklich weiter. Die meisten Daten kamen in eine Art Pool, doch manche wurden weitergeleitet. Er fand Fakten über finanzielle Geschäfte, Einzelheiten verschiedener Staaten der Erde, militärische und politische Gegebenheiten. Der Doktor begriff. Auf diese Art und Weise konnte die Menschheit mit Leichtigkeit beherrscht werden. Wer immer hinter den Traumpalästen steckte, er war unglaublich gefährlich.

Und derjenige wusste nun, dass er ein Timelord war. Noch schlimmer, auch alle Daten über Gallifrey befanden sich in dem Speicher! Jetzt ging es nicht mehr nur um die Menschen. Er musste unbedingt herausfinden, wer dafür verantwortlich war und diese Informationen löschen. Gallifrey war sonst in Gefahr!

Wieder konzentrierte der Doktor sich. Die Technik, die hinter den Datenleitungen steckte, wurde sichtbar. Der Schock traf ihn bis ins Mark – und weckte ihn auf. Am ganzen Körper zitternd rollte er von der Liege herunter. Auf Händen und Knien keuchte er wie nach einem meilenweiten Rennen.

Das war Timelordtechnik gewesen!

Seine wild pochenden Herzen beruhigten sich langsam. Gleichzeitig begann die Unsicherheit. Hatte er richtig gesehen? Oder waren es Geräte, die den gallifreyischen nur sehr ähnlich waren? Er konnte es nicht genau sagen. Er musste es feststellen!

Der Doktor setzte sich und überlegte. Er befand sich in der Zukunft – und in dieser Zeit war seine Heimat völlig unbekannt. Es gab nirgends Hinweise darauf, dass andere Völker von Gallifrey wussten. Das musste so bleiben, sonst wurden die Zeitlinien geschädigt. Wer außer ihnen besaß derartige Geräte? Oder trieb sich ein anderer Timelord hier herum? Was aber bezweckte er mit diesem Traumpalast?

Der Doktor stand auf und blickte sich um. Hatte man bemerkt, dass er die Technik hinter den Träumen erkennen konnte? Vorsichtig verließ er den Raum. Keiner beachtete ihn. Er atmete auf und lief den Gang entlang zum nächsten Ausgang. Auch hier stellte sich ihm niemand in den Weg. Verblüfft bemerkte er, dass es schon dunkel war.

Das Werbevideo hatte erklärt, dass ein Traum etwa zwei Stunden dauerte. Entweder reagierte er anders – oder etwas hatte ihn in dem künstlichen Schlaf gefangen gehalten. Auch das würde er herausfinden. Doch zuerst musste er Atara in Sicherheit bringen. Unter Umständen bot jetzt selbst die TARDIS keinen ausreichenden Schutz mehr. Ein Timelord wäre durchaus in der Lage, sich Eintritt zu verschaffen.

So rasch es ging, ohne aufzufallen, eilte der Doktor zu dem Platz. Erleichterung durchströmte ihn, als er seine Tochter auf sich zulaufen sah.

„Vater! Endlich! Was ist geschehen? Du bist ganz blass!“

„Ich weiß jetzt, was in diesem sogenannten Palast geschieht.“ Er wandte sich an Jenson Tordish. „Ihre Abneigung gegen die Träume ist sehr berechtigt, junger Mann.“

Beide sahen ihn fragend an.

„Man spioniert die Menschen aus, während sie schlafen. Ihre gesamten Erinnerungen, ihr Wissen, alle Informationen werden aus ihren Gehirnen ausgelesen und gespeichert.“

„So etwas ist unmöglich!“ Ungläubig starrte Jenson den Doktor an.

„Leider ist es sehr wohl machbar. Deshalb gehe ich sofort zurück. Ich muss erfahren, wer dahintersteckt. Denn derjenige weiß jetzt auch – über uns Bescheid“, wandte er sich an Atara. „Vorher möchte ich dich in Sicherheit bringen. Das Problem dabei ist …“, der Doktor zögerte einen Atemzug lang, „ich weiß nicht, ob du in der TARDIS geschützt bist.“

„Was bedeutet: über uns?“, fragte Tordish nach. Ohne Pause fuhr er fort: „Ihre Tochter sagte mir, dass Sie nicht über Ihre Herkunft sprechen. Ist es so wichtig, dass dies geheim bleibt?“

Der Doktor blickte von ihm zu Atara. Die ergriff besänftigend seinen Arm. „Bitte, sei nicht böse. Ich wollte Jenson nicht anlügen“, gestand sie.

Sein prüfender Blick wurde von dem jungen Mann offen zurückgegeben.

„Ich verstehe nicht, was hier los ist. Aber ich vertraue Ihnen. Auch wenn ich nicht sagen könnte, weshalb“, erklärte Jenson.

„Wir sind nur Reisende – und harmlos.“ Der Doktor verzog das Gesicht zu einem etwas gezwungenen Lächeln, ehe er wieder ernst wurde. „Das da“, er zeigte auf den Traumpalast, „bedeutet für die Menschen eine große Gefahr. Mit den Daten, die dort gesammelt werden, können Regierungen manipuliert und eure Welt ohne euer Wissen gesteuert werden.“

„Das ist aber nicht der Grund, weshalb Sie sich darum kümmern wollen.“

„Es wäre Grund genug“, gab der Doktor zurück. „Aber Sie haben recht. Ich wurde ebenfalls ausspioniert. Damit ist unsere Heimatwelt in Gefahr.“

Atara schlug die Hand vor den Mund. „Wie kann das sein? Wie kann jemand in dein Gehirn eindringen? Du bist …“

„Es ist so, weil es unsere Technik war. Zumindest glaube ich das.“

Die Augen seiner Tochter wurden immer größer. „Wie …“

„Genau das werde ich herausfinden. Doch wo soll ich dich jetzt hinbringen? In London kannst du nicht bleiben. Das ist mir zu unsicher.“

„Ich möchte dir helfen.“

„Auf keinen Fall!“

Jenson war dem Wortwechsel aufmerksam gefolgt. Jetzt mischte er sich ein: „Sie befürchten, dass man Ihre Tochter über die Informationen, die man Ihnen entzogen hat, ausfindig macht.“

Es war keine Frage, aber der Doktor nickte bestätigend.

„Nun, wenn Sie mir vertrauen … ich kann Atara mit mir nehmen. An der Ostküste besitze ich ein Haus. Dort sucht garantiert niemand nach ihr.“

„Warum wollen Sie das machen?“

„Wirklich erklären kann ich es nicht. Ich fühle einfach, dass Sie uns helfen wollen. So seltsam Ihre Behauptungen auch sind, ich glaube Ihnen. Und – nun – ich – ich mag Atara.“

„Dann verschwinden Sie mit ihr. Nein, sagen Sie mir nicht wohin. Vielleicht werde ich noch einmal ausgeforscht. Atara, verstecke die Adresse in der TARDIS. Ich komme sobald wie möglich.“

„Ich mache es sofort, Vater. Versprochen! Pass auf dich auf!“

Dankbar drückte der Doktor dem jungen Mann die Hand. Dann lief er zurück zu dem Palast.

 

Spoileralarm

Schon nach wenigen Schritten schüttelte der Doktor den Kopf und machte kehrt. Gegen eine so hochentwickelte Technik, wie sie im Traumpalast verwendet wurde, brauchte er Hilfsmittel. Er eilte zur TARDIS zurück. Sie war leer. Atara war also schon fort. Der Doktor schob sich mehrere Gerätschaften in die Manteltaschen. Zusätzlich gab er dem Schiff noch einige Befehle ein und aktivierte weitere Schutzmechanismen. Selbst ein anderer Timelord würde nun Schwierigkeiten bekommen, hier einzudringen.

Kurze Zeit später betrat er zum zweiten Mal den Eingangsbereich des geheimnisvollen Gebäudes und ging in den ihm bekannten Korridor. In der Ruhezone war ihm eine unscheinbare Tür aufgefallen. Richtig, sie führte in die nichtöffentlichen Bereiche. ‚Nur für autorisiertes Personal‘ erschien in Augenhöhe, als der Doktor versuchte, sie zu öffnen.

 Er lief zurück zu einem der Infostände. Dem höflich lächelnden Mann dort erklärte er kühl, er müsse sofort in den Wartungsbereich.

„Es tut mir leid, Sir, aber das dürfen ausschließlich dafür Berechtigte“, wurde ihm freundlich erklärt.

„Ich bin autorisiert“, knurrte der Doktor und hielt ihm die kleine Mappe mit dem gedankenmanipulierenden Papier vor das Gesicht. Er benutzte es selten, bei seinen normalen Forschungsreisen reichte seine Redegewandtheit meist aus.

Der Mann starrte darauf, seine Miene wechselte von verblüfft zu beflissen. „Selbstverständlich, Sir! Eine Sicherheitsüberprüfung. Aber wieso während der Öffnungszeiten? Wir versuchen im Allgemeinen, das Publikum nicht auf derartige Maßnahmen aufmerksam zu machen.“

„Dann sollten Sie das auch jetzt vermeiden und mir keine unnötigen Fragen stellen. Bringen Sie mich einfach zum Wartungsbereich“, konterte der Doktor.

„Natürlich! Wenn Sie mir bitte folgen wollen.“

Er wurde zu einer kleinen Nische im hinteren Bereich der Halle geführt. Hier gab es ebenfalls eine dieser unauffälligen Türen. Mit einem Codewort öffnete der Angestellte sie.

„Benötigen Sie noch etwas? Soll ich jemandem Bescheid geben?“, fragte er eifrig.

„Nein! Das ist nicht notwendig. Aber ich könnte einen Plan gebrauchen. Ist doch ein ziemliches Labyrinth“, behauptete der Doktor kühn.

„Sie finden überall neben den Eingängen Übersichtskarten. Das wurde längst eingeführt“, versicherte der Mann ihm.

„Danke, wirklich sehr erfreulich. Gehen Sie zu ihrem Arbeitsplatz zurück und schweigen Sie über meine Anwesenheit.“ Damit trat der Doktor durch die Tür und zog diese hinter sich zu.

Tatsächlich befand sich an der Wand ein großes, anscheinend sogar maßstabsgetreues Modell der verschiedenen Stationen. Aber die hier angegebenen Daten und Maschinen waren eindeutig menschlicher Herkunft. Es existierte allerdings ein unterirdischer Bereich, der keine Bezeichnung trug.

Der Doktor prägte sich den Weg dorthin ein. Anfangs gab es noch Lifte, dann kletterte er mehrere Treppen hinunter. Das Licht wurde dämmriger. Einmal stutzte er und horchte. Folgten ihm Schritte? Er schüttelte den Kopf, es musste ein Echo sein.

Schließlich stand er vor einem großen Tor, das mit einem Handrad gesichert war. Zusätzlich gab es ein Schaltkästchen, mit der das Rad in Gang gesetzt werden konnte. Er brauchte das Codewort. Eine Weile studierte der Doktor das Tastenfeld, dann schnappte er nach Luft.

„Das kann doch wohl nicht ...“ Seine Finger huschten über die Tastatur. Der erste Versuch, ‚Timelord‘, brachte kein Ergebnis. Er versuchte es erneut mit ‚Gallifrey‘. Ein grünes Licht leuchtete auf und das Handrad ließ sich drehen.

„Welcher Timelord macht sich auf dieser Welt zu schaffen? Und vor allem, weshalb?“ Der Doktor wurde immer neugieriger.

Der Öffnungsmechanismus rastete ein, und er zog das schwere Tor auf. Staunend wanderte er dann durch die Gänge. Dies war die eigentliche Zentrale des Gebäudes. Er sah ausschließlich gallifreyische Technik. Auf eine Art war dies eine Erleichterung. Es bedeutete zumindest, dass kein fremdes Volk durch die Informationen aus seinem Gehirn etwas über seine Heimat erfahren hatte. Hier war ein Timelord am Werk!

Der Doktor studierte die Anzeigen und Geräte. Alle Daten und Informationen aus den unzähligen Gehirnen der Träumenden wurden auf ihre Verwendbarkeit geprüft und sortiert. Hinter einer weiteren, diesmal ungesicherten Tür begann ein neuer Bereich. Der Doktor pfiff leise durch die Zähne.

„Manipulatoren! Also werden den Menschen, während sie schlafen, wahrscheinlich suggestive Befehle gegeben. So kann ein Einzelner über die gesamte Menschheit herrschen.“

In seiner Konzentration übersah er eine kleine Markierungslinie im Boden. Als er darüber hinwegtrat, ertönte ein Piepen. Gleich darauf wurde das bisher feine, kaum hörbare Summen lauter. Der Doktor fuhr herum und erstarrte. In den Wänden waren jetzt Öffnungen sichtbar – Thermoöffnungen! Das blasse Leuchten zeigte, dass die Waffen feuerbereit waren. Jede Bewegung seinerseits würde sie aktivieren.

Ganz vorsichtig schaute der Doktor sich um und seufzte. Die Notausschaltung war vorhanden, aber nicht in seiner Reichweite. Er brauchte mindestens drei Schritte, um an den Schalter zu kommen. Was zwei zuviel waren, denn er würde schon beim ersten verkohlt werden.

„Rühren Sie sich ja nicht!“, erklang plötzlich eine Stimme. „Die Dinger äschern Sie ein.“

Ein Blick in die Richtung zeigte dem Doktor einen jungen Mann, der wenige Meter hinter ihm stand. Ein langer, militärisch wirkender Mantel gab ihm ein etwas martialisches Aussehen. Das breite Lächeln jedoch wirkte offen und sympathisch. Ein Hauch Sarkasmus schlich sich in seinen Tonfall: „War ziemlich dumm von Ihnen, sich direkt davor zu stellen.“

„Wer sind Sie?“

„Ein Mensch. Danke übrigens fürs Öffnen. Ich hatte auf Timelord getippt, was falsch war.“

Innerlich schnappte der Doktor nach Luft. Woher kannte der Kerl diesen Begriff? Trotzdem erwiderte er trocken: „Gern geschehen. Was machen Sie hier, wenn sie ein Mensch sind?“

„Herausfinden, was gespielt wird. Genau wie Sie.“

„Woher wollen Sie wissen, warum ich hergekommen bin?“

Der Fremde lachte. „Sie führen Selbstgespräche, mein Bester. Aber so weiß ich wenigstens, dass wir auf derselben Seite stehen. Warten Sie, ich schalte diese netten Hitzestrahler wieder aus. Es gibt einen Weg hinter den Geräten entlang.“

„Nein! Da kommen Sie nicht heran. Der Notschalter ist von dort ebenfalls gesichert. Sehen Sie das nicht? Sie verbrennen dabei. Sieht aus, als müsste man von oben kommen.“

„Keine Chance! Diese Gänge sind mit bewaffneten Robotern gepflastert. Das habe ich schon vor einiger Zeit probiert. Es gibt da noch einen Eingang, der weniger gut gesichert ist. Aber ich kam nicht weiter. Deswegen war ich sehr erfreut, als ich Sie bemerkte. Machen Sie sich keine Gedanken. Mir passiert nichts. Bleiben Sie schön ruhig stehen. Es dauert nur ein paar Minuten.“

Er verschwand mit wehendem Mantel.

„Lassen Sie den Unsinn! Sie sterben dabei.“

„Keine Sorge, ich hänge am Leben“, kam es sorglos zurück.

Bei dem dröhnenden Fauchen der Thermostrahler gleich darauf zuckte der Doktor fast zusammen. Kurz presste er die Augen zu. Und riss sie völlig verblüfft weit auf, als der Fremde mit einem gewagten Purzelbaum hinter den Geräten hervorschoss, sich aufrichtete und lässig den Notschalter betätigte. Er schien völlig unverletzt zu sein.

„Wie haben Sie das gemacht?“

Wieder erschien das breite Lächeln. „Ich bin ein schneller Junge.“

„Wenn wir jetzt zusammen weitermachen, sollten wir uns vielleicht vorstellen“, schlug der Doktor vor.

Der Mann streckte ihm die Hand entgegen. „Jack Harkness.“

„Angenehm. Ich bin der Doktor.“

Jacks Augen weiteten sich. „Na so was! Warum sagen Sie das denn nicht gleich?“ Er musterte ihn von oben bis unten. „Sie haben ein anderes Gesicht, mein Lieber. Aber das kann bei Ihnen ja vorkommen.“ Er lachte fröhlich. „Wie in alten Zeiten, was? Dann lassen Sie uns mal loslegen. Wie viel wissen Sie?“

„Moment.“ Der Doktor starrte ihn verwirrt an. „Was meinen Sie? Kennen Sie mich denn?“

„Natürlich! Tun Sie nicht so, Sie wissen doch genau, wer ich bin. Captain Jack Harkness!“ Er zog die Augenbrauen zusammen. „Oder … verlieren Sie Ihr Gedächtnis, wenn Sie jemand Neues werden? Nein, das ist Blödsinn, bisher haben Sie sich immer an mich erinnert“, fügte er ohne Pause sofort hinzu.

Stumm blickte der Doktor ihn an und schüttelte langsam den Kopf. „Nein! Ich kenne Sie nicht. Ich wüsste es, wenn ich Ihnen schon begegnet wäre.“

„Aber sicher! Wir haben alles Mögliche zusammen erlebt. Die …“

„Schweigen Sie!“

Harkness verstummte und klappte den Mund zu. Doch sein Gesicht war eine einzige Frage. Der Timelord holte tief Luft. Es gab nur eine Erklärung.

„Ich sah anders aus?“

Ein Nicken war die Antwort.

„Dann dürfen Sie mir nichts sagen. Gar nichts, verstehen Sie?“

„Ehrlich gesagt, nein. Was ist mit Ihnen los?“

„Weil ich Sie NOCH nicht kenne.“

„Noch – verdammt! Sie und Ihre Zeitreisen! Ich kenne also einen späteren Doktor, vielmehr…egal. Wirklich interessant. Vor allem, da“, Harkness zögerte ein wenig, aber er sollte wohl nicht allzu deutlich zeigen, dass er mehrere Inkarnationen des Doktors kannte, „ ‚mein‘ Doktor deutlich jünger aussah, als Sie jetzt. Ok, ok, ich halte ja schon die Klappe. Obwohl“, er grinste ein wenig. „sind Sie nicht neugierig?“

Energisch schüttelte der Doktor den Kopf. „Mein Aussehen ist völlig unwichtig, das kann ich ohnehin nicht beeinflussen. Aber niemand darf etwas über seine Zukunft wissen. Das geht mit fast hundertprozentiger Garantie äußerst übel aus. Also überlegen Sie sich bitte gut, was Sie von sich geben.“ Er wandte sich ab und musterte die Geräte. „Und jetzt sollten wir uns vielleicht diesem Problem hier zuwenden.“

„Sie sind der Doktor, Doktor“, murmelte Jack und folgte ihm bereitwillig. „Wieso sind Sie eigentlich alleine hier? Keine Begleiterin zurzeit?“

„Was meinen Sie damit? Meine Tochter ist bei mir. Aber ich habe dafür gesorgt, dass sie in Sicherheit ist. Das ist viel zu gefährlich für sie.“

„Ihre Toch…“ Jack blieb die Spucke weg. Seine Gedanken überschlugen sich. Wie viel Zeit war eigentlich vergangen, zwischen dem Doktor, der gerade vor ihm stand und denjenigen, mit welchen er so viele Abenteuer erlebt hatte? Der erste damals, als er unsterblich geworden war, hatte ihm bestätigt, dass er der letzte seiner Art war. Seine Welt sei vernichtet worden. Aber jetzt sprach er von einer Tochter. Hieß das, sein Volk existierte noch? Wusste dieser Doktor hier schon, was mit seiner Heimat geschehen war – oder würde es erst später passieren?

Jack schluckte. Seine Amüsiertheit über dieses zeitlich verkehrte Zusammentreffen verschwand schlagartig. Er musste wirklich aufpassen, was er sagte.

„Also“, lenkte er von dem heiklen Thema ab, „was wissen Sie über diese seltsamen Träume hier? Was geschieht mit den Leuten?“

„Man spioniert sie aus. Die Informationen werden mit ziemlicher Sicherheit dazu benutzt, die Menschheit zu manipulieren und heimlich zu beherrschen. Ich weiß nur nicht, weshalb. Nach der Technik zu urteilen, muss …“ Er verstummte und sah Jack prüfend an. „Wie viel wissen Sie eigentlich über mich?“

„Sie sind ein Timelord. Also kein Mensch, auch wenn Sie so aussehen“, antwortete Jack langsam und wägte dabei jedes Wort ab.

„Ich war Ihnen gegenüber anscheinend sehr offen“, wunderte der Doktor sich.

„Wieso?“

„Wir schweigen normalerweise über uns.“

„Oh!“ Er sprach von ‚wir‘, nicht von sich alleine. „Tja, mir haben Sie es jedenfalls gesagt. Nun reden Sie schon, woher stammen diese Geräte? Sie kennen sie offensichtlich. Ich habe schon viel gesehen, kann damit allerdings nichts anfangen.“

„Es ist unsere Technik“, gab der Doktor zu. „Ich bin sicher, dass jemand aus meinem Volk hier ist. Manchmal gibt es Abtrünnige, die sich nicht an die Regeln halten. Ich muss herausfinden, wer es ist und ihn stoppen.“

Jack konzentrierte sich darauf, keine Regung zu zeigen. Das bedeutete, dieses Volk existierte tatsächlich noch. „Was für Regeln?“

„Wir mischen uns nicht in die Belange anderer Völker ein.“

„Na, da haben Sie sich …“ Er verstummte hastig.

„Was?“                           

„Nichts! Vergessen Sie es“, brummte Jack. „Sehen Sie mal, da vorne. Sieht aus, als würde es dort heller werden.“

Sie stoppten vor einer Energiesperre.

„Nur aus Neugier“, fragte Jack, während der Doktor die Geräte untersuchte. „Warum fürchten Sie derart um die Sicherheit Ihrer Tochter? Ihre Art ist nicht gerade leicht zu besiegen.“

„Atara ist kein Timelord“, gab der Doktor nach kurzem Zögern zu.

„Wie das?“ Jack begann zu grinsen. „Nun sagen Sie bloß, sie haben mit einer Menschenfrau getändelt. Ich muss schon sagen, das gibt mir zu denken. Bisher haben Sie immer …“ Er brach ab, als der Doktor eine Hand hochriss. „Tschuldigung. Da war ich wohl etwas zu forsch.“

„Das weniger. Im Übrigen irren Sie sich, was meine Tochter angeht. Aber ich werde Ihnen keine Erklärungen geben. Akzeptieren Sie es einfach!“ Der Doktor musterte ihn argwöhnisch. „Ich weiß nicht, woher Sie so viel über mich wissen …“

„Ich habe schon kapiert. Ich sage möglichst nichts über Sie. Nur“, wieder überlegte Jack sich jedes Wort, „falls Sie auf die Frage antworten können – oder wollen. Wenn Sie das hier erledigt haben, fliegen Sie dann wieder zurück nach Hause, zu Ihrem Heimatplaneten?“

„Soll das heißen, ich habe Ihnen verraten, woher ich komme?“

„Nicht so direkt. Ich weiß, dass Sie kein Mensch sind und von irgendeiner Welt müssen Sie ja stammen.“ Er hielt dem prüfenden Blick stand, achtete aber darauf, dass der Doktor aus seiner Miene nichts lesen konnte.

Schließlich hob der mit einer resignierten Geste die Schultern. „Ja, wir werden dann wieder heimfliegen. Aber erst will ich wissen, wer sich hier in die Angelegenheiten der Menschen einmischt.“

Jack senkte den Blick. Der Doktor besaß noch eine Heimat! Verdammt! Er würde sehr aufpassen und sein loses Mundwerk zügeln müssen. Sein Magen zog sich zusammen. Er erinnerte sich gut an die Trauer, die er so oft bei dem späteren Doktor gespürt hatte. Auch wenn dieser den Schmerz und die Einsamkeit immer durch seine lockere Art zu verbergen suchte.

„Die Sperre scheint ungefährlich zu sein.“ Der Doktor deutete auf den schwachen Lichtschein. „Weshalb sie hier ist, kann ich nicht erkennen. Ich werde es ausprobieren.“

„Lassen Sie mich das machen.“

Zu spät, der Doktor war schon vorgetreten. Ganz leicht schimmerte der Energievorhang, als er ihn berührte. Jack beobachtete ihn aufmerksam. Es schien nichts zu geschehen. Oder doch? Er bewegte sich nicht mehr, stand völlig bewegungslos, wie eine Statue.

„Doktor? Was ist mit Ihnen? Antworten Sie!“

Nichts. Harkness fluchte unterdrückt und streckte den Arm aus, um den Doktor zurückzuziehen. Er war auf alles gefasst, als er das Energiefeld berührte, spürte aber nur ein leichtes Kribbeln.

Jack blinzelte. Auf dem Boden vor ihm hockte der Doktor und sah mit leeren Augen ins Nichts. Und er selbst saß neben ihm, genauer gesagt, er lag. Er richtete sich auf, zwinkerte noch einmal und schüttelte den Kopf, um klar zu werden. Anscheinend fehlte ihm eine kurze Zeitspanne. Das hieß, er war wieder einmal gestorben. Das leichte Prickeln war wohl nicht ganz so harmlos gewesen.

„Doktor? Ist mit Ihnen alles in Ordnung?“

Er reagierte nicht. Jack schüttelte ihn – nichts. „Verdammt“, fluchte er erneut, holte aus und schlug dem Mann hart ins Gesicht. „Doktor! Kommen Sie endlich zu sich!“

Dessen Kopf flog zur Seite. Ein kurzes Ächzen erklang. Endlich kam wieder Leben in seine Augen und er blickte verwirrt um sich. Jack hielt ihm die Hand hin und zog ihn hoch.

Der Doktor sah von ihm zur Energiewand. „Sie sind echt, oder?“

„Bin ich!“, bestätigte Jack mit hochgezogener Augenbraue. „Was ist dort drin passiert?“

„Ich wurde in einen Traum gezogen. Absolut wirklichkeitsgetreu.“ Noch immer sah der Doktor misstrauisch aus. Dann bewegte er plötzlich den Kiefer leicht hin und her. „Mussten Sie so fest zuschlagen?“

„Ging nicht anders. Sie haben auf nichts reagiert.“

Doch der Doktor studierte schon wieder den Energieschirm. „Es ist der Eingang zur Steuerungszentrale des Ganzen hier. Irgendwie muss man da durchkommen.“

Er überlegte und Jack wartete ab. Mit dieser Art Technik kannte er sich nicht aus, nur der Timelord würde hier helfen können. Möglichst beiläufig musterte er ihn. Der Mann wirkte anders, als er ihn in Erinnerung hatte. Ernster, nicht so locker und über den Dingen stehend. Jack dachte an die vielen Jahrhunderte seines eigenen, manchmal so seltsamen Lebens – und verstand. Dieser Doktor musste wesentlich jünger sein. Der Schutzpanzer aus schrägem Humor und Leichtlebigkeit war noch nicht vorhanden, oder zumindest kaum.

„Ich gehe wieder hinein. Im Traum kann ich mich auf die Geräte konzentrieren. Vielleicht erkenne ich etwas, das uns weiterhilft.“

Jack wurde aus seinen Gedanken gerissen. „Und wie kommen Sie raus? Sie waren völlig weggetreten.“

„Das machen Sie. Geben Sie mir drei Minuten, dann wecken Sie mich.“ Der Doktor sah ihn ernst an, seine Augen funkelten jedoch. „Vielleicht etwas weniger schmerzhaft.“

„Ich könnte sie wachküssen", bot Harkness ihm lächelnd an.

„Auch wenn es einladend klingt, ich glaube nicht, dass das etwas bringen würde“, schmunzelte der Doktor. „Ein wenig größer müsste der Schock schon sein.“

Mit leicht schräggelegtem Kopf blickte Jack ihn nachdenklich an. „Sie sind noch nie darauf eingegangen. Das ist neu.“

Jetzt hatte er die volle Aufmerksamkeit des Doktors. „Jack, Sie sind ein hübscher Bursche. Aber ich hatte nicht vor, Ihnen mit meinen Worten gewisse Hoffnungen zu machen. Tut mir leid. Ich bin glücklich verheiratet.“

Er verstummte, als Jack breit grinste. „Kein Problem.“ Unter dem Lachen verbarg der jedoch sein Erschrecken. Jede dieser Bemerkungen zeigte, dass der jetzige Doktor ein völlig anderer war, als der einsame Wanderer, den er gekannt hatte.

„Sind Sie wirklich sicher, dass Ihnen nichts geschieht? Außer, dass Sie träumen?“

„Ziemlich.“

„Hoffentlich stimmt das“, murmelte Jack, aber der Doktor hörte nicht mehr zu. Er trat wieder in den Energievorhang. Wie bei ersten Mal erstarrte er sofort. Gespannt beobachtete Jack die Umgebung. Zu seiner Erleichterung geschah nichts. Kein Alarm, kein Zeichen, dass jemand auf die Eindringlinge aufmerksam geworden wäre.

Nach genau drei Minuten zerrte er den Doktor wieder zurück. Diesmal war Jack vorbereitet und spürte, wie er starb und sofort wieder erwachte. Er bückte sich und versetzte dem Doktor zwei schallende Ohrfeigen.

Benommen drehte der langsam den Kopf hin und her. „Nein, das mache ich nicht. Das ist nicht wirklich“, protestierte er halblaut.

„Doktor! Kommen Sie zu sich!“ Jack schüttelte ihn derb.

„Schon gut. Sie können loslassen.“ Mit skeptisch zusammengekniffenen Augen sah der Doktor ihn an. „Die Frage ist: Sind Sie echt oder eine Illusion?“

„Wenn Sie jetzt erklären, Sie hätten von mir geträumt, werde ich eitel.“

„Sie wissen ja nicht, was mir vorgegaukelt wurde.“ Er schaute sich um. „Ist aber wirklich schwierig, zu entscheiden, ob ich tatsächlich wieder wach bin. Es sah alles genauso aus wie hier.“

„Sie sind putzmunter.“ Jack kicherte. „Ich kann Sie natürlich doch noch küssen, wenn es Ihnen hilft.“ Allerdings gestand er sich ein, dass dieser Doktor längst nicht so attraktiv war, wie diejenigen, die er kannte. Er zog jüngere Männer vor, und dem jetzigen Timelord konnte man durchaus ein gewisses Alter ansehen.

„Nein, das genügt mir. Ich bin wach. Der Traum-Jack war nicht ganz so frech wie Sie.“

„Wie schade.“

„Haben Sie diesen Palast einmal ausprobiert?“

Jack verneinte.

„Dann wurden Sie also nie ausspioniert. Das würde die Ungenauigkeit in meinem Traum erklären. Man kennt Sie nicht gut genug.“ Der Doktor ging auf eines der Geräte zu und drückte einen Schalter herunter. Der Energievorhang verschwand.

„Nicht schlecht“, staunte Jack. „Verraten Sie mir, wie Sie das herausgefunden haben?“

„Ich kann mich während dieses Scheinschlafes in die Technik einklinken. Das hat derjenige anscheinend nicht berücksichtigt.“

Erst jetzt fiel Jack auf, wie ernst der Doktor geworden war. „Aber …?“

„Es ist eine Falle.“

„Was?“

„Das hier. Man rechnete damit, dass ich bis hierher komme und in die Energiesperre trete. Ich wäre in einem Traum gefangen gehalten worden. Allerdings sollte ich nicht erkennen, dass ich schlafe. Alles wäre weitergegangen, und ich hätte in einer Illusionswelt existiert. Zumindest bis ich verdurstet oder verhungert wäre.“

Während er sprach, ging der Doktor in den jetzt erkennbaren Raum hinein. Jack folgte ihm. Auch hier waren unzählige Geräte und Monitore in den Wänden installiert. Ansonsten gab es nichts – bis auf einen großen Sessel, der genau in der Mitte stand. Der Timelord setzte sich darauf.

„Willkommen, Doktor“, erklang plötzlich eine klare, volltönende Stimme.

Harkness fuhr herum, doch es war niemand da.

„Du irrst dich. Selbstverständlich wollte ich dich nicht töten. Der Traumvorhang sollte dich nur ein wenig aufhalten.“

„Warum?“

„Sagen wir, ich wollte dir nicht direkt begegnen. Ich wartete, bis du in der Nähe warst und verchwand erst vorhin aus der Zentrale. Nach diesem Gespräch verlasse ich die Erde. Sie gehört dir, Doktor. Mit allen Menschen darauf. Ich habe alles für dich vorbereitet.“

„Was meinst du damit? Wer bist du?“

„Ein Freund“, kam die Antwort. „Dein Freund! Du musst es nur noch erkennen.“

„Dann zeig dich.“

„Warum sollte ich? Finde es selbst heraus“, erklärte die Stimme. Jetzt war der Tonfall betont herausfordernd.

„Nicht nötig. Ich kann Ihnen ein Bild zeigen.“ Jack deutete auf einen Monitor. „Kanal drei. Ich habe mich mit der internen Kommunikation beschäftigt. Falloun bekam Anweisungen. Der Mann, der im Hintergrund die Fäden zog, sprach immer auf Kanal drei mit ihm.“

„Wen hast du da bei dir?“ Schlagartig klang der geheimnisvolle Fremde nicht mehr so höflich.

„Einen Freund“, erklärte der Doktor zynisch und schaltete den betreffenden Bildschirm ein. Harkness grinste beifällig.

Ein Gesicht erschien. Dem Doktor fiel die Kinnlade herunter. Der Mann, dem es gehörte, sah noch nicht sehr lange so aus. Er führte ein gefährliches Leben und hatte sich schon mehrmals regeneriert. Aber natürlich kannte er jedes seiner Gesichter.

„Master“, stieß er hervor. „Was hast du gemacht?“

„Wieso beschwerst du dich? Du beklagst dich schließlich ständig darüber, wie langsam die Menschen sich entwickeln. Nun kannst du es ändern. Tu nicht so entsetzt. Du bist nicht so vortrefflich, wie du immer behauptest. Na los, niemand wird es bemerken.“

 „Was soll das?“

„Warum bist du derart begriffsstutzig?“, fragte der Master mit beißender Ironie. Dann verengten sich seine Augen, Wut blitzte in ihnen auf. „Ich weiß, dass du beim Rat gegen mich interveniert hast. Du hast ihnen von Mularinaxakom berichtet.“

„Du hast dich zu ihrem Herrscher gemacht und sie für deine Zwecke benutzt“, hielt der Doktor ihm vor. „Wir beeinflussen andere Völker nicht.“

„Wir sind Timelords“, fauchte der Master. „Wir sind dazu geschaffen, andere zu führen. Im Rat sitzen Dummköpfe, die das nicht einsehen wollen. Ich weiß, dass du in Wirklichkeit nicht so denkst, wie du redest. Ich habe dich beobachtet. Auf Lizrofusaramir hast du dein wahres Gesicht gezeigt. Du bist mir weitaus ähnlicher, als du zugeben willst.“

„Wie meinst du das?“

„Glaubst du im Ernst, mir sei nicht sofort klar geworden, was du dort bezweckt hast? Warum du die Schattenwesen vertrieben und diesen armseligen Kolonisten gezeigt hast, wie sie sich vor ihnen schützen können? Sie verehren dich wie einen Gott!“

„Was ich nie wollte“, gab der Doktor zornig zurück.

„Das behauptest du immer. Aber ich klage dich nicht an.“ Die Stimme des Masters wurde schmeichelnd. „Im Gegenteil. Ich gebe dir die Gelegenheit, deinen Lieblingen zu helfen. Sie behindern sich ständig selbst und übervorteilen sich gegenseitig. Gerade ist einer dieser kleinen, dummen Staatschefs drauf und dran, einen Krieg anzuzetteln. Du kannst ihn verhindern!“

„Du hast sie manipuliert! Wozu eigentlich? Was willst du erreichen?“

„Gar nichts. Ich habe einfach ausprobiert, wozu die Menschen fähig sind. Es ist so leicht, sie zu beeinflussen. Eine kleine Idee hier, ein Vorschlag da. Ich bin neugierig, was diese Primitiven daraus machen werden. Aber du kannst alles wieder rückgängig machen, wenn du willst. Übernimm die Traumpaläste und führe die Menschheit. Lenke ihre Zukunft nach deinen Vorstellungen! Sollen sie als Eroberer zu den Sternen fliegen? Lass sie es werden. Es liegt in deiner Hand. Sollen sie auf diesem kleinen Planeten glücklich sein? Auch das ist möglich. Durch ihre Träume werden sie sich genau so entwickeln, wie du es für richtig hältst. Die Steuerung ist bereit für dich.“ Der Master verzog spöttisch das Gesicht und fügte drohend hinzu: „Wenn du es nicht tust, findet sich ein anderer. Vielleicht dein Begleiter oder sonst jemand. Die Menschen sind machtgierig. Du hast die Wahl.“

Jack rang nach Luft. Schockiert musterte er den Doktor. Dessen Miene war undurchdringlich. Nein, beruhigte er sich sofort. Dieser Mann würde einer derartigen Versuchung bestimmt nicht erliegen.

„Du bist verrückt!“ Damit schaltete der Doktor den Monitor aus und stand auf. Er deutete auf den Sessel und sah nach oben. Jack folgte seinem Blick. Langsam trat er zurück. Deshalb hatte dieser andere Timelord ihn nicht gesehen. Die Kamera an der Decke war auf den Sessel gerichtet.

Er nickte und zog eine Waffe aus den tiefen Taschen seines Mantels. Mit zwei kurzen, gezielten Schüssen vernichtete er Kamera und Sessel.

„Du Dummkopf“, kreischte der Master. „Hast du dir nicht überlegt, dass die Station sich selbst beschützt? Lass das und nimm sie in Besitz. Sonst greifen die Roboter dich an!“

Jack schoss noch einmal. Schlagartig verstummte die Stimme. „Sorry, Doktor, aber der Kerl ging mir auf die Nerven.“

„Kein Problem.“ Der Timelord hastete zu mehreren Geräten und schaltete so rasch er konnte. „Funktioniert nicht. Die Roboter sind auf dem Weg hierher. Wir müssen diese Steuerung vernichten.“

„Hier! Nehmen Sie das.“ Jack warf ihm kleine, ovale Teile zu. „Sprengsätze. Heften Sie sie an die wichtigsten Maschinen.“

„Wie wollen Sie die zünden? Hier gibt es wenig Deckung.“

„Fernzünder.“

Sie rannten hinaus.

„Halt!“

Harkness drehte sich um und fluchte inständig. Die Energiesperre leuchtete wieder.

„Ich muss wieder rein.“ Der Doktor trat auf den Eingang zu und der Vorhang verschwand.

„Das Ding ist auf Sie programmiert“, erkannte Jack. „Bleiben Sie stehen, bis ich drin bin. Dann verschwinden Sie. Ich zünde die Sprengsätze und komme nach.“

„Das überleben Sie nicht!“

Aus dem Gang, der weiter ins Innere führte, kamen immer lauterer Geräusche. „Die Roboter sind im Anmarsch. Wir haben keine Zeit. Glauben Sie mir einfach. Mir passiert nichts.“ Jack hetzte in den Raum. „Los, verschwinden Sie!“

Ein letzter skeptischer und gleichzeitig dankbarer Blick traf ihn, dann lief der Doktor los. Harkness wartete nur wenige Sekunden, ehe er den Zünder drückte. Er starb schnell. Sein Körper wurde durch den Eingang geschleudert und gegen die Wand geschmettert. Die Druckwelle vernichtete jedoch auch die ersten Roboter, die gerade herankamen.

Ein paar Sekunden vergingen, dann schnappte Jack nach Luft. Er hob den Kopf. Im Gang lagen Maschinenteile, weiter hinten standen bewegungslose, unförmige Gestalten. Es roch verbrannt – und es war reichlich warm. Er drehte sich um. Die Steuerungszentrale war völlig zerstört, Flammen schlugen ihm entgegen.

„Bloß weg hier, sonst werde ich gleich noch gegrillt“, murmelte er. Er jagte dem Doktor nach und holte ihn kurz vor dem Ausgang ein.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte der ihn an. „Wie konnten Sie das überleben? Sie können kein Mensch sein!“

„Doch, bin ich! Verschließen Sie endlich den Gang.“

In aller Eile drehte der Doktor das Handrad wieder zu, bis die Sperre einrastete. Jack schoss auf das Schloss und die Hitze verschweißte es endgültig.

„Das sollte genügen“, meinte er.

Einträchtig gingen sie zu den Treppen, die sie wieder zur Oberfläche bringen würden. Jack bemerkte den prüfenden Blick, der ihn förmlich abtastete, und seufzte ein wenig. „Ich kann nicht sterben. Der spätere Doktor weiß das. Ist schwierig zu erklären.“

„Deshalb!“

„Was … deshalb?“

„In Ihrer Nähe fühle ich etwas Seltsames. Ich konnte es mir nicht erklären. Sie gehören zu keiner Zeitlinie, das ist es.“

Der Doktor musterte ihn noch einmal forschend, fragte jedoch nichts mehr. Jack war froh darüber. Er sprach nicht gerne über sich. Zudem wäre es sicherlich nicht klug, zu verraten, dass er diese Unsterblichkeit im Grunde dem Doktor verdankte. Auch wenn Rose Tyler, dessen damalige – zukünftige? – Begleiterin ihm diese Fähigkeit vermacht hatte. Obwohl das Wort Unsterblichkeit irreführend war, denn er starb wie jeder normale Mensch. Nur wachte er jedes Mal sofort wieder auf und seine Wunden heilten innerhalb kürzester Zeit.

„Wer ist dieser Master?“, erkundigte er sich.

„Ein Timelord.“

„Das habe ich inzwischen auch begriffen“, murrte Jack. „Aber was sollte das alles eigentlich?“

„Eine Falle für mich.“

„Das sagten Sie vorhin schon.“

„Ich dachte, der Traumvorhang wäre die Falle, dabei war es das ganze Gebäude. Es sollte mich hierherlocken.“

„Und zu einer Art Gott machen?“

Der Doktor nickte. Er erinnerte sich an das letzte Gespräch, das er mit dem Master geführt hatte. Wie so oft waren sie gegensätzlicher Meinung gewesen. Voller Wut hatte dieser ihm vorgeworfen, die Regeln ebenso oft zu brechen wie er. Nur erkannte der Hohe Rat das nie. Er würde dafür sorgen, dass sich dies änderte. Schon sehr bald würden die Mitglieder des Rates begreifen, dass der Doktor längst nicht so vorbildlich war, wie sie glaubten. Der Traumpalast war anscheinend ein Versuch, das zu beweisen und offensichtlich zu machen.

Kurz wandte er sich um und blickte zurück. Er seufzte tief und ignorierte Jacks fragenden Blick. Wenn seine Ahnung nicht nicht trügte – und das glaubte er nicht – war dies erst der Anfang. Er musste etwas unternehmen, ob er wollte oder nicht. Denn sonst würde der Master sich irgendwann, vermutlich eher früher als später, wieder gegen ihn stellen. Und völlig Unschuldige litten dann darunter.

Endlich erreichten sie die Oberfläche und traten in das eigentliche Gebäude. Erstaunt blickten sie sich um. Überall hasteten die Menschen auf die Ausgänge zu. Schreie und Rufe zeigten eine beginnende Panik an. Die Angestellten versuchten, ohne großen Erfolg, die Leute zu beruhigen.

Jack hielt einen von ihnen auf. „Was, zum Teufel, ist denn los?“

„Die Traumkammern funktionieren nicht mehr. Alle sind gleichzeitig aufgewacht. Wir wissen nicht, was passiert ist. Mister Falloun ist nicht erreichbar.“

„Wenn er klug ist, lässt er sich auch nicht mehr blicken. Erklären Sie den Leuten am besten, dass der Palast ausgedient hat. Ich vermute, dass diejenigen in den anderen Städten ebenfalls nicht mehr funktionieren.“

Völlig verstört nickte der Mann. „Woher …?“

Doch Harkness grinste nur.

„Damit hat sich das Problem erledigt. Die Menschen werden wieder ihre eigenen Träume haben.“ Der Doktor wandte sich ab und verließ zusammen mit Jack das Gebäude.

„Was machen Sie jetzt?“, fragte der.

„Meine Tochter holen. Und …“

„… verschwinden?“

Als er nickte, streckte Jack ihm die Hand entgegen. „Es war schön, Sie zu sehen. Ich …“ einen Moment stockte er. Dann riss er sich zusammen und grinste fröhlich.

Unwillkürlich seufzte der Doktor, der Junge konnte sich gut verstellen, aber nicht gut genug. Ein Blick in dessen Augen zeigte ihm allerdings, dass Harkness dies bewusst war, denn sein Grinsen wurde noch breiter.

„Ich wünsche Ihnen alles Gute. Leben Sie wohl, Doktor.“

„Danke, Jack.“ Er lächelte ebenso unecht. „Und was immer Sie über mich wissen, schweigen Sie weiter darüber. Auch Ihnen alles Gute.“

„Ich kapiere jetzt wenigstens, warum Sie nichts gesagt haben.“

Der Doktor runzelte fragend die Stirn und Jack erklärte: „Als ich Sie zum ersten Mal traf, zeigten Sie mit keiner Regung, dass wir uns schon kennen. Ich habe da unten darüber nachgedacht. Sie wussten, was mit mir geschehen würde und konnten es nicht ändern.“ Er hob die Schultern. „Falls es Ihnen hilft – oder helfen wird – es ist in Ordnung. Ich habe mich längst mit meiner Unsterblichkeit arrangiert.“

„Sie waren es noch nicht?“

„Nein! Es – war eine Art Unfall.“

„Ich habe es nicht verhindert? Nein“, erklärte der Doktor sich selbst sofort, „das ist nicht möglich. Sie sind ein Fixpunkt. Tut mir leid, Jack.“

„Braucht es nicht. Ich genieße mein Leben.“ Mit einem freundlichen Nicken wandte Harkness sich ab und schlenderte fort.

Dem Doktor war es recht. Er hasste Abschiede. Eilig lief er über den Platz. Er bog in eine der Seitenstraßen ein und wandte sich um. Doch eigentlich war er sich sicher, dass Jack ihm nicht folgte. Richtig! Er konnte den auffälligen Mantel nicht mehr sehen.

Wenige Minuten später erreichte er die TARDIS und überprüfte sie. Anscheinend hatte der Master nicht versucht, hierher zu kommen. Er atmete auf und begann nach Ataras Hinweis zu suchen, wo sie sich befand. Zwei Stunden später fluchte er inständig, als er den Zettel endlich fand. Obwohl er gleichzeitig unglaublich stolz auf seine Tochter war. Sie hatte sich ein ausgezeichnetes Versteck überlegt. Er las die angegebene Adresse und flog zur Küste.

Das kleine Haus stand am Rand des Städtchens. Einige hundert Meter entfernt schlugen die ewigen Wellen der Nordsee an die Felsen. Ein hübsches Plätzchen. Der Doktor war versucht, einige Tage hier zu verbringen. Leider hatte er dafür keine Zeit. Er klopfte an die Tür und lächelte, als Jenson Tordish öffnete.

„Willkommen, Doktor! Wir wissen schon, dass Sie es geschafft haben. Es kam in den Nachrichten. Sämtliche Traumpaläste funktionieren nicht mehr.“

„Vater!“ Atara lief auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch. „Ist alles in Ordnung?“

„Jetzt wieder“, bestätigte er. „Wir können gehen.“

Verwundert bemerkte er die Veränderung in ihrem Gesicht. Atara wirkte plötzlich unsicher. Sie warf Jenson einen Blick zu und wandte sich dann zu ihrem Vater.

„Können wir kurz sprechen? Bitte, es ist wichtig. Ich … ich möchte gerne wiederkommen. Ich erkläre es dir.“

Tordish mischte sich ein: „Sie kennen mich kaum. Aber ich habe Ihre Tochter sehr gern. Und ich möchte sie wiedersehen. Natürlich können Sie sich über mich erkundigen. Ich versichere Ihnen, dass Sie nur Gutes hören werden.“

Das tiefe Seufzen des Doktors ließ ihn verstummen. Atara sah ihren Vater mit derart bittenden Blicken an, dass er keine Frage mehr stellen musste. „Du weißt, wie schwierig das ist, Kleines.“

Dann antwortete er dem jungen Mann: „Sie brauchen nichts zu erklären. Es geht überhaupt nicht um Sie, sondern um unsere Geheimnisse. Atara darf niemals über uns und unsere Heimatwelt sprechen. Das ist das Problem.“

Tordish führte sie in den Wohnraum. Eine Weile musterte er den Doktor und bat Atara mit einer Geste, abzuwarten. „Wir haben mit vielen Völkern Kontakte. Warum ist ausgerechnet Ihres so geheimnisvoll?“, fragte er schließlich.

„Auch darüber müssen wir schweigen. Es ist so.“

Erneut blieb er mehrere Minuten still. Der Doktor wartete geduldig. Er strich seiner Tochter über den Arm. Ihr fiel es wesentlich schwerer, ruhig zu bleiben.

Dann lächelte Jenson. „Wenn es wirklich kein anderes Problem gibt. Damit kann ich leben. Ich möchte Atara besser kennenlernen und ihr die Erde zeigen. Und … nun, dann sehen wir weiter.“

„Bitte!“, bettelte Atara. „Ich werde nichts sagen, versprochen.“

„Wie ich das deiner Mutter erklären soll, weiß ich wirklich nicht. Aber gut. Wir kommen wieder. In ein paar Wochen.“

Atara drückte ihn stürmisch und blickte so strahlend zu dem jungen Mann, dass der Doktor lieber wegsah. Er stand auf.

„Aber dennoch gehen wir jetzt. Es gibt ein Gespräch, das ich dringend führen muss.“ Sein Gesicht war bitterernst geworden. Der Master würde sich für sein Handeln verantworten müssen.

 

Gesucht ... Jack Harkness

Atara schaltete den Kommunikator ein und drückte auf einen Knopf. Die Bedienfläche drehte sich und eine neue tauchte auf. Ihr Vater hatte das Gerät, gegen den Willen des Hohen Rates, so modifiziert, dass sie problemlos ihre Familie erreichen konnte. Auf Gallifrey befürchtete man, Ataras irdischer Gefährte könne dadurch die Position des Planeten – ein seit Jahrhunderten streng bewahrtes Geheimnis – herausfinden. Doch der Doktor hatte darauf bestanden, dass seine Tochter jederzeit eine Verbindung mit ihm besaß.

Sie gab einen Code ein, der Monitor erhellte sich und Atara sah das Gesicht ihrer Mutter auf Gallifrey.

„Atara, Liebes, wie schön, von dir zu hören. Wie geht es Larnia? Wir müssen unbedingt bald wieder zu euch kommen. Die Kleine hat ja bald Geburtstag“, sprudelte diese heraus.

Anfangs war es Aluanin schwer gefallen, zu akzeptieren, dass ihre Tochter sich für Jenson, einen irdischen Mann, entschieden hatte und bei ihm auf der Erde lebte. Aber mit der TARDIS waren Besuche zum Glück kein Problem. Atara hatte nicht lange gebraucht, um sie mit der Situation zu versöhnen. Sie selbst liebte das kleine Haus an der Ostkünste Englands. Heimweh nach Gallifrey hatte sie nie verspürt.

„Oh, sie treibt ihren Vater mit ihren Einfällen manchmal in den Wahnsinn.“ Sie bemühte sich, fröhlich zu klingen.

„Tarwen hat eine holographische Darstellung der Galaxie entwickelt. Die wird ihr sicher gefallen.“ Gleich darauf seufzte Aluanin. „Ich würde ihr so gerne auch mal Gallifrey zeigen. Naja, vielleicht später, wenn sie erwachsen ist.“

„Ach, Mutter!  Du weißt, dass das nicht möglich sein wird. Larnia ist ein Mensch. Das wird nie erlaubt werden.“

„Ich hoffe da auf deinen Vater. Er besitzt großen Einfluss im Rat. Sie wollen immer wieder erreichen, dass er eines ihre führenden Mitglieder wird – und er lehnt es jedes Mal völlig entsetzt ab.“ Dann stutzte Aluanin. „Was ist los? Du siehst so ernst aus. Es ist doch hoffentlich nichts bei euch geschehen?“

„Nein, nein“, versicherte Atara ihr. „Aber Larnia hat etwas gefunden. Und ich muss deshalb unbedingt mit Vater sprechen. Ist er da?“

Ihre Mutter schüttelte den Kopf. „Er ist unterwegs. Aber du weißt, er ist immer pünktlich wieder zu Hause. Was soll ich ihm ausrichten?“

„Er möchte bitte so rasch wie möglich zu uns kommen. Hier geht etwas sehr Seltsames vor. Eventuell“, Atara spürte plötzlich einen Kloß in der Kehle, ihre Stimme klang gepresst, „sind wir in Gefahr.“

Aluanin erbleichte. Obwohl sie wusste, dass es unsinnig war, legte sie ihre Hand auf den Monitor. Auf die Stelle, an der Ataras Wange abgebildet war. „Wie schlimm ist es?“

„Ich weiß es nicht. Vielleicht irre ich mich auch. Vater kann es sicher überprüfen. Ich hoffe sehr, dass ich nur Gespenster sehe.“

„Das hoffe ich auch. Er wird bestimmt gleich morgen bei euch sein.“

Atara sah ihrer Mutter an, dass diese gerne mehr über ihre Befürchtungen wissen wollte. Aber sie wollte Aluanin nicht beunruhigen. So erzählte sie lieber von Larnia und ihren letzten Streichen, um von dem Thema abzulenken. Es gelang ihr auch. Aluanin lachte aus ganzem Herzen und auch sie selbst begann zu kichern. Schließlich beendete Atara das Gespräch und schaltete den Monitor aus.

„Hast du deinen Vater gesprochen?“ Jenson Tordish betrat den gemütlich eingerichteten Raum, schloss seine Frau in die Arme und drückte sie an sich.

„Nein, aber Mutter informiert ihn. Sicher kommt er morgen her.“ Sie lehnte sich an seine Brust. Sie hatte es nie bereut, sich für ein Leben auf der Erde entschieden zu haben. Jenson war ein wundervoller Mann.

„Larnia wird glücklich sein, ihren Großvater wiederzusehen“, meinte er.  Dass dieser anscheinend kaum Zeit benötigte, um von seiner Heimatwelt zur Erde zu gelangen, ignorierte Jenson ebenso, wie so manch andere Dinge. Die Familie seiner Frau war äußerst geheimnisvoll, das hatte er von Anfang an gewusst.

„Großvater kommt? Toll! Wann? Kommt Großmutter auch mit?“ Die fast achtjährige Larnia sprang ihrem Vater in die Arme. Er wirbelte sie durch die Luft.

„Diesmal wohl nicht.“ Atara wusste genau, ihr Vater würde niemals zulassen, dass Aluanin – wenn auch nur eventuell – in Gefahr geriet.

„Schade! Aber ich will ihn sofort sehen. Am besten, ich bleibe die ganze Nacht wach, damit ich ihn ja nicht verpasse.“

Jenson lachte. „Und morgen, wenn er da ist, schläfst du die ganze Zeit, weil du todmüde bist?“

Die Kleine überlegte, dann lenkte sie ein. „Nein, dann gehe ich doch lieber heute Abend ins Bett. Er wird nicht im Dunkeln kommen, oder?“

„Bestimmt nicht“, bestätigte ihr Vater immer noch grinsend.

Es wurde gerade hell, als es laut an der Tür pochte. Atara hob den Kopf und horchte. Es klopfte erneut, deutlich heftiger. Sie warf einen Blick auf ihren Mann, der verschlafen knurrte: „Wie spät ist es denn?“

„Kurz nach fünf Uhr.“

Jenson vergrub das Gesicht wieder in den Kissen. „Welcher Idiot stört denn derart früh? Warum meldet er sich nicht über die Rufanlage? Ignorier ihn, das muss ein Irrtum sein.“

„Ich fürchte, der Idiot ist mein Vater.“ Atara kicherte, schlüpfte aus dem Bett und in den Morgenmantel.

Jetzt wurde offensichtlich schon mit der Faust gegen den Eingang geschlagen. In aller Eile lief sie hinunter und riss die Tür auf: „Vater!“ Trotz der frühen Uhrzeit umarmte sie ihn herzlich. „Komm herein.“

„Was hast du denn an?“ Der Doktor musterte sie von Kopf bis Fuß.

„Einen Morgenmantel. Du bist sehr früh da.“

Er blickte durchs Fenster und dann wieder zu ihr. „Oh! Ist mir gar nicht aufgefallen. Habe ich dich etwa geweckt?“

„Ja, und mich auch“, kam es immer noch etwas verschlafen von der Treppe. Jenson sah seinen Schwiegervater kopfschüttelnd an. „Zwei Stunden später würde die Erde bestimmt auch noch existieren.“

„Hoffentlich“, gab der Doktor zurück und wurde schlagartig ernst. „Was ist geschehen?“

„Wenn ich das wüsste.“ Atara drückte ihn in einen Sessel und wedelte ihren Mann mit der Hand zur Küche. Der nickte bereitwillig und ging, um Kaffee zu machen.

„In letzter Zeit verschwinden immer wieder Menschen. Hauptsächlich in London“, begann Atara zu berichten. „Es gibt weder Anzeichen von Kämpfen noch irgendwelche Gemeinsamkeiten zwischen ihnen. Natürlich könnten das Zufälle sein. Aber jetzt hat Larnia etwas gefunden und damit sieht das Ganze anders aus.“

„Was?“                                                           

Atara stand auf und nahm von einem Regal einen länglichen Gegenstand. Sie legte ihn auf den Tisch. Der Doktor starrte es an und sog die Luft laut ein. „Woher hat Larnia das?“

„Sie war mit den anderen Kindern spielen, hinter dem alten Fabrikgebäude. Da geht eigentlich kaum jemand hin.“

„Was für Kindern? Seit wann hast du mehrere davon?“

„Spielkameraden“, erklärte Atara. „Hör zu! Vor drei Tagen verschwand dort ein Junge. Larnia spielte mit den anderen Verstecken und Ben tauchte nicht mehr auf. Eine Suchmannschaft kämmte die ganze Gegend durch, ohne auch nur eine Spur von ihm zu finden. Einen Tag später tauchte er völlig verstört hinter dem Wald auf. Das ist vier Kilometer entfernt. Natürlich wurde er sofort ärztlich untersucht. Körperlich ist er in Ordnung. Aber er kann nicht sagen, was mit ihm geschah. Er reagiert auf keine Ansprache und fürchtet sich, sobald ihm jemand näher kommt.“

„Hm“, meinte ihr Vater, „und du hast sofort erkannt, dass es da einen Zusammenhang gibt?“

„Nein! Wie auch? Doch gestern kam Larnia zu mir. Sie ging noch einmal zu der alten Fabrik, obwohl ich es ihr verboten habe. Sie hatte ihre Jacke dort liegenlassen. Mir war das egal, aber ihr leider nicht. Allerdings fand sie dabei dieses Ding. Und wenn ich recht habe und es das ist, was ich vermute …“ Atara sprach nicht weiter.

Der Doktor nahm das dünne, längliche Teil in die Hand und musterte es. Seine Lippen wurden zu dünnen Strichen. „Es ist die Kopfantenne eines Xolifras.“

Jenson blickte sie beide an. „Was sind das für Wesen? Ich habe diese Bezeichnung noch nie gehört.“

„Worüber du froh sein kannst“, erwiderte der Doktor. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Ihre Welt wurde vor über einem Jahrhundert zerstört. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, was geschah. Viele sagen, die Xolifras hätten in einem erbarmungslosen Krieg gegeneinander selbst die tödlichen Vernichtungswaffen eingesetzt. Diese jedoch behaupten, sie wären angegriffen worden. Jedenfalls entkamen mehrere Sippen in ihren Schiffen und entwickelten eine Art neue Kultur. Sie sind Piraten, die andere Welten überfallen. Und dabei sind sie gnadenlos.“

„Wie sehen sie aus?“ Jenson schnappte voller Entsetzen nach Luft.

„Sie sind etwas kleiner als Menschen, würden dir vermutlich ungefähr bis zur Brust gehen. Stell dir einen dünnen, runden Körper vor. Wie ein überdimensionierter Bleistift, der auf drei Stelzenbeinen läuft. Wobei das dritte oftmals auch als Greifarm verwendet wird. Sechs biegsame und sehr kräftige Tentakel mit verblüffend menschenähnlichen Händen sind in der oberen Hälfte des Leibs rundherum verteilt. Einen eigentlichen Kopf besitzen sie nicht, nur eine Öffnung zur Nahrungsaufnahme. Oben auf dem Bleistift sitzen vier Antennen mit Sinnesorganen. Sie ernähren sich …“ Er unterbrach sich und runzelte die Stirn, als Atara ihn anstupste.

„Du dozierst“, erklärte sie.

„Oh!“ Einen Moment wirkte der Doktor verwirrt. „Nun, jedenfalls ist es nicht gut, wenn sie sich hier auf der Erde herumtreiben. Das würde bedeuten, sie planen einen Überfall. Allerdings …“

„Können sie mit dem Verschwinden der Menschen zu tun haben?“, unterbrach ihn Jenson. „Atara befürchtet es.“

„Dazu wollte ich gerade kommen. Ich halte es für unwahrscheinlich. Es passt nicht zu ihrem gewöhnlichen Vorgehen. Es ist nämlich völlig untypisch für sie, sich überhaupt hier aufzuhalten. Normalerweise greifen sie mit ihren Schiffen an und landen erst, wenn sie alles zerstört haben. Dann sammeln sie ein, was sie brauchen: Gerätschaften, Erze, Mineralien, Lebensmittel, Wasser. Einfach alles eben. Aber irgendwoher muss diese Antenne kommen. Vom Himmel gefallen ist sie gewiss nicht.“ Der Doktor blickte auf das geheimnisvolle Teil. „Ich finde heraus, zu wem es gehört.“

„Wie willst du das machen?“

„Die … in meinem Schiff ist ein Labor. Dort untersuche ich das Ding. Vielleicht kann ich auch an der Stelle, wo es lag, etwas herausfinden. Hinter der alten Fabrik, hast du gesagt?“

„Dieses Schiff, das du niemandem zeigst“, grummelte Jenson. „Es muss wirklich etwas Besonderes sein.“ Er blickte hoch und grinste schwach. „Nein, du brauchst mich nicht so anzusehen. Ich frage nichts. Aber wenn hier tatsächlich Menschen entführt werden oder ein Angriff auf uns geplant ist, brauchst du Hilfe. Offizielle Hilfe. Außerdem muss die Regierung dann davon erfahren. Das dürfen wir nicht geheim halten. Allerdings wirst du dann deine Geheimnisse nicht mehr für dich behalten können.“

„Abwarten!“ Der Doktor stand auf. „Haltet euch von dieser Gegend dort fern.“

„Gehst du jetzt gleich? Larnia freut sich auf dich“, wandte Atara ein.

„Ich komme wieder. Sag ihr einfach …“

„Großvater!“ Das Mädchen raste die Treppe hinunter und warf sich in seine Arme. „Spielst du mit mir?“ Sie sah auf seine Hand und deutete auf den Gegenstand. „Das habe ich gefunden. Mama sagte, ich darf es nicht anfassen. Kann ich es wiederhaben?“

„Tut mir leid, Kleines. Das brauche ich. Wo genau lag es denn?“

Sie schilderte ihm ausführlich, wie sie ihre Jacke gesucht hatte und unter einem Busch dann die Antenne fand.

„Danke.“ Der Doktor stand auf.

Larnia bekam große Augen. „Du kannst doch nicht gleich wieder gehen? Ich habe mich so auf dich gefreut.“

„Ich weiß, Liebes. Aber heute geht es leider nicht. Ich komme bald zurück. Dann spielen wir zusammen.“

„Wann?“ Larnias Enttäuschung war nicht zu übersehen.

„Das kann ich noch nicht sagen. In ein paar Tagen, denke ich.“

„Ganz sicher?“

Er gab seiner Enkelin einen Kuss. „Ich verspreche es.“ Zu Atara gewandt, meinte der Doktor: „Es wäre besser, ihr würdet von hier weggehen.“

„In London verschwinden täglich Menschen.“

„Stimmt auch wieder. Bitte, passt gut auf euch auf und meidet einsame Gegenden.“ Er umarmte seine Tochter und drückte Jenson fest die Hand. „Achte auf sie“, bat er.

„Ganz bestimmt! Sag uns Bescheid, wenn du etwas findest.“

Mit der TARDIS flog der Doktor zu dem ehemaligen Fabrikgelände. Außer dem alten, großen Gebäude und ein paar halbverfallenen Lagerhallen stand hier nichts mehr. Das Schiff passte sich dem Aussehen einer dieser Hallen an und der Doktor schleuste einige Sonden aus, die das Gebiet scannten. Missmutig sah er auf die Anzeigen. Es gab absolut nichts Ungewöhnliches. Auch unter den Gebäuden oder dem Erdboden waren keine Hohlräume zu finden.

Andererseits war dies eine Erleichterung, seine Familie schien nicht gefährdet zu sein. Aber die Kopfantenne eines Xolifras musste irgendwie hierhergekommen sein. Er untersuchte sie gründlich, doch auch das brachte ihm keine neuen Erkenntnisse.

Der Doktor horchte auf. Einer der Sensoren begann zu piepsen. Irgendetwas war im Hauptgebäude der alten Fabrik. Er warf das fremde Ding in die Ecke und lief aus dem Schiff. Draußen war niemand. Er rannte zu dem Eingang. Vorsichtig drückte er die schief in den Angeln hängende Tür auf und trat in die dämmrige Halle. Sie war leer, von altem Gerümpel abgesehen. Der Scanner wies auf eine Ecke. Der Doktor richtete die Lampe dorthin und entdeckte einen festen, militärisch aussehenden Mantel. Er konnte noch nicht sehr lange hier liegen.

In einer der Taschen fand der Doktor eine kleine, handliche Waffe, die eindeutig menschlicher Herkunft war. Er suchte weiter. Das Kleidungsstück besaß eine Anzahl, offensichtlich nachträglich angebrachter, versteckter Öffnungen auf der Innenseite. Schließlich entdeckte er einen ovalen, fast handflächengroßen Gegenstand. Er schnappte nach Luft. Das war eine xolifraische Waffe!

Wem gehörte dieser Mantel? Er studierte ihn genauer. Keine Massenware. Und auch nicht wirklich militärisch. Irgendwann hatte er so etwas schon gesehen. Eine vage Erinnerung irrte durch seinen Kopf. Er konzentrierte sich darauf. Dann wusste er es wieder: Jack Harkness! Der Mann, der nicht sterben konnte, hatte so etwas getragen! Er sah sich genauer um und durchsuchte das gesamte Gelände, fand jedoch nichts mehr.

Nachdenklich kehrte der Doktor in die TARDIS zurück und tastete den Mantel dort noch einmal gründlich ab. Ergebnislos. Was hatte Harkness mit dieser Sache zu tun? War er ebenfalls auf die Xolifras aufmerksam geworden?

„Medien!“ entfuhr es ihm plötzlich. „Vielleicht ist dort etwas über ihn zu finden.“

Er gab den Geräten entsprechende Befehle. In rasender Geschwindigkeit suchten diese sämtliche Berichte der letzten Wochen durch. Ein Text erschien. Der Doktor las ihn: eine Suchanzeige! Jack Harkness gehörte zu den spurlos Verschwundenen. Das letzte Mal war er in London gesehen worden. Er musste dorthin und mit den Leuten sprechen, die Jack suchten.

 

Es dauerte nur Sekunden. Der Doktor trat aus der TARDIS und sah sich um. Sein Schiff stand vor einer Wand: Ein grauer, fensterloser Kasten. Auf der Tür war eine Aufschrift zu erkennen: ‚Verteiler 8/56/397. Kein Zutritt!‘ Er grinste anerkennend und musterte die Häuser. Die Adresse stimmte. Hier hatte jemand die Vermisstenanzeige aufgegeben.

Ein Aufzug brachte ihn in die fünfte Etage und vor eine grellgrüne Tür. Der Bewohner besaß anscheinend einen interessanten Farbengeschmack. Der Doktor klopfte und sah dann in zwei braune Augen, die ihn neugierig musterten.

„Ja?“ Die hübsche, junge Frau mit den kurzen, roten Haaren trug ein ebenso rotes, hüftlanges Shirt und schwarze, enge Hosen.

„Sie suchen nach Jack Harkness.“ Er hielt ihr die Anzeige vor das Gesicht.

Ihre Augen wurden groß. „Wissen Sie etwas über ihn? Kommen Sie herein.“ Sie zog ihn in die Wohnung. „So reden Sie doch! Lebt er? Wo ist er?“

Ihre Stimme wurde brüchig. Erstaunt bemerkte der Doktor, dass sie mit den Tränen kämpfte. Jack schien nicht nur auf Männer zu stehen. Sein Geschmack bei Frauen war zumindest nicht langweilig, stellte er leicht amüsiert fest. Er ließ sich von ihr in ein gemütlich eingerichtetes Zimmer schieben. Sie wandte sich kurz um und rief über die Schulter: „Taron! Komm schnell! Hier ist jemand, der etwas über Jack weiß!“

„Nein! Ich suche ihn ebenfalls“, versuchte der Doktor zu erklären.

Das hoffnungsvolle Leuchten in ihren Augen verschwand. Sie wischte sich rasch mit der Hand darüber. Auch der junge Mann, der aus einem der Zimmer gerannt kam, blickte den Doktor enttäuscht an. Seine Haare waren ebenso kurz wie die des Mädchens, aber grellorange, von einzelnen langen, schwarzen Strähnen abgesehen, die sich wie Schlangen bis auf die Schulter ringelten. Er wirkte sehr attraktiv. Der Doktor begann sich zu fragen, wer von den beiden zu Jack gehörte.

„Ich bin der Doktor“, stellte er sich vor und blickte von einem zum anderen.

„Taron“, erwiderte der junge Mann und zeigte auf das Mädchen. „Meine Schwester Harina. Wir dachten … woher kennen sie Jack denn?“

„Das ist schon eine Weile her. Ist das sein Mantel?“ Er zeigte ihnen das Kleidungsstück.

„Ja! – Wo haben Sie ihn gefunden?“

Der Doktor berichtete von seinem Fund. Die beiden jungen Leute starrten ihn an. „Wie kommt Jack an die Ostküste?“

„Wann sahen Sie ihn denn das letzte Mal? Und mit was beschäftigte er sich?“, fragte der Doktor zurück.

„Vor siebzehn Tagen. Jack wollte etwas über die Menschen herausfinden, die verschwunden sind.“

„Das will ich auch. Hatte er schon irgendetwas erfahren?“

Die beiden warfen sich Blicke zu. „Jaa“, dehnte Taron etwas zögernd. „Er hat einige Informationen gesammelt. Aber dann wurde er sehr schweigsam und sagte uns nichts mehr.“

„Wann war das?“

„Zwei Tage vor seinem Verschwinden.“

Gespannt sah der Doktor ihn an. „Bitte sagen Sie mir alles, was Sie von diesen zwei Tagen wissen. Haben Sie eigentlich die Polizei eingeschaltet? Die suchen doch bestimmt auch nach den ganzen Vermissten. Wissen die irgend etwas?“

Das Mädchen schnaubte abfällig. „Die suchen doch nicht nach Typen wie uns oder Jack. Sie behaupten, dass es da keine Zusammenhänge gibt. Jack sei bestimmt abgehauen. Aber das ist er nicht!“

„Sie sind seine – Freundin?“

„Nicht so. Naja, fast nicht so. Wir sind eigentlich die meiste Zeit nur Kumpel. Taron ist mit Jack zusammen.“

„Jack würde nicht einfach so gehen“, erklärte auch dieser. „Er ist ein feiner Kerl. Wenn er … wenn er weg wollte, würde er mir das sagen.“

Der Doktor nickte. „Erzählen sie mir von diesen zwei Tagen!“

Aufmerksam hörte er zu und sah sich dann alles an, was Jack an Informationen gesammelt hatte. Das meiste war unwichtig oder sagte ihm nichts. Er hob einen Datenspeicher hoch. „Was enthält er?“

Talon zuckte mit den Schultern. „Weiß ich nicht.“ Auf den fragenden Blick hin, meinte er: „Jack mag es nicht so sehr, wenn man an seine Sachen geht. Ich respektiere das.“

„Auch nachdem er verschwandt?“

„Er ist da ziemlich eigen.“

„Ich muss wissen, was da drauf ist.“

„Hören Sie, Doktor …“

„Wollen Sie ihn finden oder nicht?“

Der junge Mann gab schließlich zu: „Wir konnten das Ding nicht abspielen. Ganz ehrlich, so etwas habe ich noch nie gesehen.“

Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte der Doktor den Speicher. Nach xolifraischer Technik sah er nicht aus. „Ich nehme ihn mit. Ich habe gewisse Möglichkeiten und werde herausfinden, was er enthält.“

Das Mädchen sah ihn bittend an. „Kommen Sie wieder?“

„Ja, sicher. Ich verspreche es.“

Die genaue Untersuchung in der TARDIS ergab, dass es doch ein Speicher der Xolifras war. Allerdings um eine stark veränderte Technik, als die ihm bekannte. Er enthielt Informationen über einen unterirdischen Gebäudekomplex östlich von London.

Der Doktor erklärte den Geschwistern, dass er eine Spur gefunden hatte und dieser nachgehen würde.

„Können wir mitkommen und Ihnen helfen?“

„Nein! Das ist zu gefährlich. Bleiben Sie hier. Ich werde Jack finden.“

Taron sah ihn erschrocken an. „Worauf hat Jack sich da eingelassen? Hat die Regierung ihn geschnappt? Die gehen doch immer mehr gegen Leute wie uns vor.“

„Schwule?“

„Quatsch! Wen soll das denn stören? Leute, die sich nicht anpassen, natürlich.“

„Nein! Ich befürchte etwas viel Schlimmeres. Und deshalb ist es besser, wenn ich alleine gehe.“ Der Doktor ließ sich auf keine Diskussion mehr ein und flog mit der TARDIS zu dem angegebenen Ort.

Es war eine einsame Gegend, obwohl noch erkennbar war, dass hier irgendwann einmal Gebäude gestanden hatten. Jetzt überwucherten Gräser den Boden und die wenigen Mauerreste. Eine einzige mannshohe Wand existierte noch, über und über mit Graffiti bedeckt. Auf einem Schild daneben stand in großen Buchstaben: Privateigentum! Keine Graffiti!

Der Doktor schmunzelte. Einen Moment lang bewunderte er die verschiedenen Muster. Immer wieder erstaunte ihn die Fantasie der Menschen bei ihren Malereien – und die Reaktion der Behörden darauf. Für die schien die Farbenpracht nur eine Schmiererei zu sein. Dabei war es bunter und schriller als die Ballontürme auf dem vierten Mond von Akzebantum. Und die waren eine berühmte Touristenattraktion in der ganzen Galaxie.

Sorgfältig scannte er das Gelände. Bei einer der kaum noch erkennbaren Ruinen fand er einen verborgenen Eingang. Mühsam zog er die Tür – eher eine Klappe – auf und kroch hindurch. Kurz horchte er, doch es blieb alles still. Das Licht seiner Taschenlampe zeigte einen niedrigen Gang, gerade hoch genug, damit ein Xolifra hindurchpasste. Gebückt ging der Doktor weiter und schimpfte lautlos über deren geringe Größe.

Er atmete auf, als schon nach einigen Metern eine seitliche Öffnung zu erkennen war. Hier gab es einen Schacht, der in die Tiefe führte. So leise wie möglich kletterte der Doktor hinunter. Unten gab es wieder eine scheinbar uralte, verrostete Tür. Doch der Scanner zeigte an, dass dies eine Täuschung war. Sie bestand aus einer Legierung, die es auf der Erde nicht gab. Und der Öffnungsmechanismus war eindeutig Xolifra-Technik. Der Doktor legte die Hand darauf und das Portal schob sich beiseite. Helle, breite Gänge tauchten auf. Aufmerksam ging er weiter.

Ein greller Schrei ließ ihn zusammenzucken. Er rannte los, wandte sich an der nächsten Kreuzung nach rechts und prallte fast gegen ein Gitter. In dem Raum dahinter standen eine große Anzahl Liegen. Darauf lagen offensichtlich gefesselte Körper. An ihnen waren überall Kabel befestigt, die an der Decke entlang zu mehreren Schachteingängen führten.

Einer der Gefangenen zuckte mit den Armen und Beinen. Ein greller Blitz blendete den Doktor. Gleichzeitig schrie der arme Kerl erneut. Ein Xolifra erschien in dem Raum. Hastik wich der Doktor wich hastig zurück und linste vorsichtig um die Ecke. Das Wesen stakte auf die Liege, bzw. den Mann zu. Ein Zischen ertönte und der Körper erschlaffte. Der Außerirdische kontrollierte noch einige andere Liegen, dann verschwand er wieder.

Der Doktor überprüfte das Gitter, ohne einen Öffnungsmechanismus zu finden. Er ging zurück und suchte einen Gang, der zu diesem Raum führte. Zwei Abzweigungen später entdeckte er endlich ein Schott. Vorsichtig betrat er den Saal und ging von Pritsche zu Pritsche. Die Menschen darauf lagen völlig bewegungslos, atmeten jedoch.

„Jack! Jack Harkness! Sind Sie hier?“

Es blieb still. Der Doktor suchte mit den Augen den Raum ab. Es würde Zeit kosten, alle Liegen abzulaufen. Zudem wusste er nicht, ob es noch weitere Räume mit derartigen Gefangenen gab.

Ein leises Stöhnen ließ ihn aufhorchen. „Hier. Wer ist da?“ Es war fast nur ein Flüstern.

„Bleiben Sie liegen und bewegen Sie sich nicht!“, befahl der Doktor. „Sprechen Sie weiter, damit ich Sie finde.“

„In Ordnung.“ Die Stimme klang schon kräftiger. „Sagen Sie mir, wer Sie sind?“

„Der Doktor!“ Er sah, wie sich auf einer der Liegen jemand bewegte und sofort wieder ruhig wurde.

„Doktor! Passen Sie auf, dass die Xolifras Sie nicht erwischen! Ich glaube, sie kontrollieren uns regelmäßig.“

„Wann kommen sie wieder?“

„Keine Ahnung. Ich war die meiste Zeit bewusstlos.“

Er stand nun neben Jack. Der grinste ihn an, obwohl er sichtlich Schmerzen hatte. „Hallo! Lange nicht gesehen.“

Der lächelte zurück, studierte dabei aber die vielen Kabel und Schläuche an dessen Körper. „Wenn ich die entferne, lösen wir garantiert einen Alarm aus.“

„Dann beeilen Sie sich dabei.“

„Ich weiß nicht, welche Verletzungen ich Ihnen damit zufüge. Ich kann nicht erkennen, wie die Dinger angebracht sind.“

„Rupfen Sie sie einfach heraus, aber schnell. Es spielt keine Rolle, ob ich dabei brülle. Lassen Sie sich davon nicht stören.“

Betroffen sah der Doktor Jack an. Wieder erschien das breite Grinsen. „Ich habe eine schöne Stimme, das versichere ich Ihnen.“

„Zumindest haben Sie ihren Humor behalten“, murmelte er.

Jack wurde ernster. „Sie wissen doch: Mir passiert nichts.“

Der Doktor nickte und ergriff mehrere der Kabel. „Bereit?“

„Bereit!“

Ruckartig riss er die Kabel und Leitungen aus dem Körper. Jack stöhnte schmerzhaft auf. Beim dritten Mal fing er an zu schreien und sich aufzubäumen. Gleichzeitig versuchte er sich aufzusetzen, schaffte es jedoch nicht. Stattdessen sackte er mit einem Ächzen zurück und verstummte. Der Doktor zerrte mit zusammengebissenen Zähnen die letzten Schläuche heraus, packte sich den schlaffen Körper über die Schulter und stolperte, so rasch er konnte, aus dem Raum.

„Müssen Sie so schwer sein?“, beschwerte er sich dabei.

Er lief in den Gang, wandte sich seitwärts in eine Abzweigung und ließ Jack in eine Nische sinken. Besorgt lauschte er, ob Xolifras kamen. Noch blieb alles still. Erneut warf er einen Blick auf Jack und staunte, denn der bewegte sich wieder. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann richtete er sich auf.

„Danke, Doktor! Danke, dass Sie mich da herausgeholt haben.“

„Sie erholen sich wirklich schnell.“

„Ja.“ Das Lächeln wirkte schon wieder völlig unbekümmert. „Wo sind wir eigentlich?“

„In einer unterirdischen Station. Wissen Sie, was die Xolifras mit ihren Gefangenen machen? Wozu brauchen sie so viele Menschen?“

„Ich habe keinen Schimmer. Es passt nicht zu diesen Piraten. Deshalb versuchte ich, ihre Basis zu finden. Dabei erwischten sie mich. Der Rest ist eher verschwommen. Sie gaben mir irgendetwas. Ich war kaum bei Bewusstsein. Die Anderen spüren, glaube ich, gar nichts. Das Zeug knockt vermutlich jeden völlig aus. Wie kommen Sie hierher?“

In Kurzfassung berichtete der Doktor, was bisher geschehen war. Jack lächelte. „Braver Taron. Gut, dass Sie die beiden gefunden haben. Ich wusste, dass sie mich nicht einfach abschreiben. Er ist manchmal ein wenig schwerfällig, aber Harina ist ein pfiffiges Mädchen.“ Er blickte sich um. „Wie geht es weiter?“

„Wir müssen mit einem Xolifra sprechen.“

Völlig verduzt sah Jack ihn an. „Ja, klar! Glauben Sie im Ernst, die erzählen Ihnen einfach so, was Sie wissen wollen?“

„Haben Sie eine bessere Idee?“

„Sicher! Was immer die Xolifras vorhaben, mit menschlicher Unterstützung wäre es garantiert leichter. Wir bieten sie ihnen an.“

„Betrug?“

„Sie werden doch wohl keine Hemmungen haben, Doktor?“

„Wir müssen sehr überzeugend sein“, gab dieser zu bedenken.

Jack grinste. „Ich bin ein Betrüger. Schon immer gewesen. Glauben Sie mir, die Xolifras werden mir aus der Hand fressen.“

„Im Gegenteil. Sie tun vielleicht so. Aber in Wirklichkeit werden sie uns zum Narren halten.“

„Dürfen Sie.“ Jack stand auf. „Aber dabei sagen sie uns dennoch, was wir wissen müssen. – Wie kommen wir hier heraus?“

Im selben Moment hörten sie das typisch klackende Geräusch beim Auftreten der harten Füße der Xolifras. Ohne ein weiteres Wort liefen die beiden los. Kurz vor dem Ausgang zum Schacht riss der Doktor Jack in einen Seitengang.

„Da vorne stehen zwei von ihnen“, flüsterte er.

„Kommen wir vorbei?“

„Vorbei vielleicht. Aber nicht nach oben.“

Jack blickte sich um. Sie standen vor einem Wartungsraum. Er schlüpfte hinein und suchte eine Weile in den Einbauschränken.

„Perfekt“, erklärte er. „Ich lenke sie ab. Klemmen Sie das in die untersten Sprossen. Ich muss leicht drankommen. Aber die Xolifras dürfen es nicht sofort sehen. Klettern Sie hoch und warten dann auf mich!“

Er drückte dem Doktor eine Rauchfackel in die Hand.

„Wie wollen Sie denen entkommen? Sie wurden schon einmal geschnappt.“

„Da war ich zu leichtsinnig. Passiert mir nicht nochmal.“ Jack hob ein Seil in die Höhe. „Was glauben Sie, wie werden die Stelzenbeine der Xolifras damit fertig?“

Der Doktor wiegte den Kopf. „Könnte funktionieren. Dennoch wird man auf Sie schießen.“

„Ich wache schnell wieder auf. Rennen Sie los, sobald die Typen mich verfolgen.“ Jack verschwand in einem der Gänge.

Angespannt wartete der Doktor. Harkness würde etwas Zeit brauchen, bis er das Seil befestigt hatte. Dann hörte er lautes Rufen: „Heh, ihr Schlafmützen! Seid ihr blind?“

Die Xolifras fuhren herum und stakten los. Sekunden später zischten ihre Waffen. Der Doktor rannte zum Schacht. Bei Jacks höhnischem Lachen stieß er erleichtert die Luft aus. Gleich darauf vernahm er scheppernde Geräusche und die typisch hohen Schreie der Piraten.

Er steckte die Fackel in die Wandleiter und kletterte so schnell er konnte hinauf. Kurze Zeit später kam auch Jack nach oben. Er keuchte und der Doktor half ihm hinaus. Sie rannten weiter und krochen durch die Klappe ins Freie.

Erst dort erkundigte er sich: „Was wollten Sie mit der Fackel?“

„Hab‘ sie in die Steuerung des Schottes gestopft. Von den Schäden abgesehen, qualmt das Zeug derart, dass die Xolifras sicher einige Zeit beschäftigt sind. Sie fürchten Feuer. Ihre Außenhaut brennt wie Zunder.“

Der Doktor nickte anerkennend.

Jack sah sich um. „Haben Sie ihre TARDIS in der Nähe? Wir müssen nach Bristol.“

„Warum?“

„Wir brauchen etwas, um die Xolifras zu beeindrucken. Mit einem gut bewaffneten Stratokreuzer sollte das möglich sein“, erklärte der.

„Wo wollen Sie den herbekommen?“

Harkness grinste nur mehrdeutig. Der Doktor hob die Augenbraue. „Stehlen? Damit haben wir die hiesige Regierung auf dem Hals.“

„Nein! Die weiß davon gar nichts. Es ist auch kein echter Raub.“ Mehr war nicht aus Jack herauszubekommen.

„Woher kennen Sie mein Schiff?“ fragte der Doktor weiter. „Wir nehmen keine Fremden mit.“

„Oh! Tja, wissen Sie … äh, ich war schon mit Ihnen unterwegs.“ Jack hob die Schultern und grinste. „Soll ich sie Ihnen beschreiben?“

„Ich glaube es“, seufzte der.

Er führte ihn zur TARDIS, die unauffällig neben einem Gebüsch stand. Dabei musterte er seinen Begleiter. Jack tippte kurz gegen die Tür, ehe er eintrat. Es schien als wolle er etwas sagen. Doch das Innere, vor allem die Größe darin, schien ihn nicht zu überraschen.

„Ich möchte ehrlich wissen, warum ich Ihnen so viel über mich erzählt habe“, knurrte der Doktor und fügte sofort hinzu: „Halten Sie den Mund! Das war nicht so gemeint.“

Er ließ das Schiff abheben und steuerte nach Westen.

 

Menschenopfer

Sie landeten vor einem alten Schlösschen. Ein großes Schild war davor errichtet: Schützen und respektieren Sie die Schätze unserer Vergangenheit! Betreten verboten! Lebensgefahr!

Der Doktor warf Jack einen Blick zu. Der lachte. „Unsere Regierung kann sehr hilfreich sein. Sie versuchen, alte Artefakte zu erhalten.“

Durch eine Falltür ging es in ein hohes Gewölbe. Mit einem wehmütigen Seufzer stand Jack dann vor einem kleinen Stratokreuzer. Endlich bequemte er sich zu einer kurzen Erklärung: „Altes Torchwood-Arsenal. Davon weiß längst niemand mehr etwas.“

„Torchwood?“

„Fragen Sie nicht, Doktor. – Spoiler“, fügte er leise hinzu.

„Hm.“ Der Doktor folgte ihm ins Innere des Schiffes. Jack setzte sich in den Pilotensessel und begann, den Start einzuleiten. „Können Sie die Navigation übernehmen?“

Dieser musterte die Geräte und nickte dann. Über ihnen schob sich die Decke beiseite, Sonnenlicht fiel in das Gewölbe.

„Jack!“ Der Doktor sah den jungen Mann von der Seite an, als sie wieder nach Osten flogen. „Das wird ziemlich gefährlich werden. Wie gut kennen wir uns eigentlich?“

„Wie man es nimmt. Wirklich kennen ist vermutlich zu viel gesagt. Sie haben Ihre Geheimnisse, ich meine“, gab der, ohne zu zögern, zu. „Aber Sie haben mir Ihr Leben anvertraut – und ich Ihnen meins. Mehrmals!“

„Das genügt mir.“          

Kurz bevor sie das Gebiet von Brentwood erreichten, fragte Jack: „Wieso haben Sie die TARDIS zurückgelassen? Wäre es nicht hilfreich, wenn Sie die Möglichkeiten Ihres Schiffes zur Verfügung hätten?“

„Zu riskant. Wenn die Xolifras misstrauisch werden und sorgfältig suchen, können sie die Energien der TARDIS anmessen.“

„Hm! Akzeptiert!“ Harkness landete den Kreuzer auf dem Gelände, unter dem das Versteck der Xolifras lag. Er stieg aus und stellte sich mit ausgebreiteten Armen hin.

„Was ist? Nun tut nicht so, als ob ihr nicht genau wüsstet, dass wir hier sind. Kommt heraus. Wir wollen mit euch reden!“, rief er laut.

Der Doktor amüsierte sich. „Glauben Sie wirklich, diese Piraten damit aus ihren Schlupflöchern zu locken?“

„Wie sonst? Sehen Sie irgendwo eine Glocke, an der man läuten könnte?“

Ein leise schabendes Geräusch ließ sie aufhorchen. Hinter einem der Mauerreste kam ein Xolifra hervor. „Wer seid ihr? Woher wisst ihr von uns?“

Jack grinste breit. „Hallo, ich bin Captain Jack Harkness, und dies ist mein Chef, General Timetrave.“

Er ignorierte den missbilligenden Blick, den der Doktor ihm zuwarf, und redete unbekümmert weiter: „Er spricht nicht so gerne, also übernehme ich das Reden. Ihr führt Experimente an Menschen durch. Aber ihr habt vermutlich schon bemerkt, dass es immer schwieriger wird, welche zu entführen. Eure Aktivitäten sind nicht unbemerkt geblieben und die Menschen schützen sich. Nach London kommt ihr kaum noch hinein. Ebenfalls wurden im großen Umkreis zahlreiche Maßnahmen ergriffen, die es euch ziemlich schwer machen, an Opfer zu kommen. Wir sind bereit, euch zu helfen.“

Der Pirat schwieg und schien zu überlegen. Dann zirpte er: „Warum wollt ihr das machen? Ihr stellt euch gegen euer eigenes Volk?“

„Aber nicht doch“, wiegelte Jack ab. „Zum einen gibt es genügend überflüssige Exemplare, die niemand vermisst. Und außerdem“, er machte eine Kunstpause, „erwarten wir natürlich eine gewisse Gegenleistung von euch.“

„Was verlangst du für deine Hilfe?“

Jetzt schüttelte der Doktor den Kopf und Jack grinste. „Das verhandeln wir nur mit eurem Anführer. Bringt uns zu ihm.“

Wieder eine Pause. Schließlich drehte sich der Xolifra zur Seite, während seine Antennen weiter auf sie gerichtet blieben. „Einverstanden. Folgt mir!“

Hinter dem Mauerrest öffnete sich eine Luke. Die beiden folgten dem Wesen durch die Gänge bis in einen runden Raum. Hier standen acht Piraten, die die Ankömmlinge musterten. Ihre Antennen drehten sich hin und her, um alle Einzelheiten aufzunehmen.

Einer von ihnen stelzte vor. „Ihr könnt uns Körper besorgen? Was verlangt ihr dafür?“

„Technik“, antwortete Jack vage.

„Erkläre das genauer!“

Einen Moment zögerte Jack. Der Doktor brach sein Schweigen. „Ihr habt einen interessanten Abwehrschirm um dieses Gebiet gelegt. Jeder Mensch, der hierherkommt, fühlt sich unwohl und wird so rasch wie möglich wieder gehen. Diese Technik wollen wir von euch haben. Und Auskünfte!“

Die Piraten wandten sich einander zu. Ein hohes Pfeifen zeigte, dass sie sich in ihrer eigenen Sprache berieten, deren Frequenzen für Menschen nicht mehr hörbar waren. Der Doktor wartete geduldig, bis der Anführer wieder ‚normal‘ sprach: „Welche Informationen benötigst du?“

„Was macht ihr mit den Menschen eigentlich? Wofür braucht ihr sie?“

„Weshalb willst du das wissen?“

„Sie gehören zu unserem Volk. Wenn wir sie euch ausliefern, möchten wir selbstverständlich wissen, was mit ihnen geschieht.“

Erneut begannen die Xolifras zu diskutieren.

Jack hielt sich die Ohren zu. „Dieses Fiepen macht mich noch verrückt. Können die nicht anders reden?“

„Es ist ihre Art, sich zu verständigen. Für sie ist unsere Sprache seltsam“, erwiderte der Doktor trocken.

„Ich bekomme davon Kopfschmerzen“, beschwerte Jack sich dennoch missmutig.

Schließlich nickte der Anführer der Xolifras. „Wir brauchen noch mindestens fünfzig Menschen. Bringt sie uns, und ihr bekommt Antworten.“

„Nein“, lehnte der Doktor ab. „Ihr sagt uns jetzt, was wir wissen wollen. Wenn wir euch die Leute bringen, gebt ihr uns die technischen Mittel des Abwehrschirms.“

Die Antennen des Piraten zuckten. „Weshalb seid ihr hier eingedrungen?“, wollte er dann wissen.

„Nun …“ Der Doktor verstummte, als Jack ihm den Ellbogen in die Seite stieß. „Also wirklich, mein Bester“, fuhr dieser dann fort, während er den Xolifra mit hochgezogenen Augenbrauen musterte. „Ihr habt uns eingeladen. Schon vergessen?“

„Das meine ich nicht. Einer der Körper ist verschwunden und wir entdeckten einen Menschen, der jedoch entkam.“

„Vermutlich einer eurer Gefangenen, der floh“, schlug der Doktor vor.

„Das ist nicht möglich“, erklärte der Anführer. „Die Körper können keine eigenständigen Gedanken mehr entwickeln, geschweige denn zielgerichtete Handlungen planen oder ausführen.“

Der Doktor schnappte nach Luft, doch Jack stupste ihn erneut an. Gleichzeitig wandte er sich an die Piraten. „Tja, wir waren es jedenfalls nicht. Aber wenn jemand hier war und die britische Regierung über euch informiert, habt ihr sehr bald ein ziemliches Problem.“

„Wir sind stark.“

Jack lachte spöttisch. „Ihr habt keine Ahnung, welche Möglichkeiten wir Menschen besitzen. Gegen einen vereinten Angriff aller Regierungen habt ihr keine Chance.“

„Darüber machen wir uns später Gedanken“, mischte sich der Doktor wieder ein. „Wenn ihr unsere Hilfe haben wollt, sagt uns, wofür ihr so viele Menschen benötigt.“

„Wir brauchen eure Fortpflanzungsintervalle.“

„Was?“ Verblüfft sah der Doktor den Anführer an.

Der erklärte weiter: „Wir sind nur wenige und es gibt kaum Nachwuchs. Ihr vermehrt euch wesentlich schneller. Mit eurer Zellstruktur und der herausgefilterten DNA können wir unsere Körper dementsprechend verändern. Dann wächst unser Volk wieder.“

Dem Doktor verschlug es die Sprache. Auch Jack schluckte erst einmal. „Wie wollt ihr das mit fünfzig Menschen schaffen?“, fragte er.

„Wir haben schon viele Gefangene. Mit einer weiteren Gruppe ist es möglich, alle von uns umzuformen. Wenn die anderen Sippen sehen, wie schnell wir Nachwuchs bekommen, schließen sie sich uns bestimmt an.“

„Und dann?“

„Es gibt ausgezeichnete Planeten, die wir besiedeln können. Wir werden die Herrscher über alle Sippen sein und eine sesshafte Zivilisation errichten.“

„Welche Welt habt ihr euch dafür ausgesucht?“, wollte der Doktor wissen.

„Das verraten wir nicht“, erklärte der Xolifra. „Wir werden dort leben, bis wir Techniken entwickelt haben, um unsere Heimat wieder aufzubauen. Dann kehren wir dorthin zurück. Xola, unsere Welt, wird eine neue Blüte erleben.“

„Das ist ein großes Ziel. Allerdings seid ihr nicht gerade dafür bekannt, geniale Forscher zu sein.“

Die einstige Kultur der Xolifras war zwar für ihre Kriege und Brutalität bekannt gewesen, aber ihre Intelligenz war nicht überragend. Forschungen gab es höchstens für Waffen, und selbst diese waren nicht allzu hoch entwickelt gewesen. Was vermutlich zur Vernichtung ihrer Welt geführt hatte. Xola war überwiegend radioaktiv verseucht.

Die Antennen des Piratenanführers zitterten, er antwortete nur zögernd: „Das stimmt leider. Auch deshalb suchten wir uns euer Volk aus. Eure Gehirne sind sehr gut entwickelt. Wir pflanzen uns bestimmte Zentren von euch ein und vernetzen sie mit unserem Verstand. Dann können wir ebenso logisch denken wie ihr. Wir werden die klügsten und mächtigsten Xolifras sein.“

Harkness wurde blass. „Ihr benutzt die Gehirne euer Gefangenen?“, brachte er mühsam hervor.

Der Doktor starrte den Anführer minutenlang an. Dann nickte er plötzlich. „Ich helfe euch.“ Bei seinem Tonfall riss Jack den Kopf hoch. Der Doktor wich seinem Blick aus. „Ich kenne eine Welt, auf der ihr ungestört seid. Sie ist unbewohnt und kann von euch in Besitz genommen werden. Dort könnt ihr euch weiterentwickeln, bis eure Gehirne sich dem neuen Denken angepasst haben. Ich verlange nur, dass ihr die Erde sofort verlasst und keine anderen Welten mehr überfallt.“

Der Xolifra schien zu überlegen. „Warum willst du uns vorschreiben, welche Welt wir besiedeln? Und weshalb sollen wir sofort diesen Planeten hier verlassen? Hier sind die Körper, die wir benötigen.“

„Zum einen möchte ich sichergehen, dass ihr keine bewohnte Welt besetzt. Und außerdem seid ihr hier längst nicht mehr sicher. Schon sehr bald werden die Menschen euch finden und vernichten.“

„Warum willst du all das für uns machen?“, fragte der Xolifra. Seine Antennen zuckten hin und her, um jede Regung der beiden zu registrieren.

Das Gesicht des Doktors war todernst. „Ihr verdient eine Chance. Ich möchte sie euch geben.“

„Wir müssen uns beraten. Kommt in vier Stunden wieder, dann erhaltet ihr unsere Antwort.“

Jack blickte inzwischen immer wieder zwischen seinem Begleiter und den Piraten hin und her. Das sah nicht mehr nach Täuschung aus. Der Doktor schien seine Worte ernst zu meinen. Wollte er diesen Wesen wirklich helfen und ihren furchtbaren Plan unterstützen?

Kurz schloss Jack die Augen, als eine Erinnerung in ihm auftauchte: Der Mord an vielen Kindern, den er auf dem Gewissen hatte. Damals war er sicher gewesen, ihren Tod verantworten zu können. Ihr Leben gegen das unzähliger anderer, die er dadurch retten konnte. Er wusste längst, dass es eine Selbsttäuschung gewesen war. Seit damals versuchte er, diese Erinnerung so tief wie möglich in sich zu vergraben. Die Scham über sein Handeln – und die Reue – waren zu schmerzhaft.

Glaubte der Doktor jetzt ebenfalls, den Tod von fünfzig Menschen – diejenigen, die schon entführt worden waren, nicht mitgerechnet – akzeptieren zu können?

Stumm gingen die beiden zu dem Stratokreuzer. Der Doktor starrte an die Decke. Jack beobachtete ihn. Irgendwann hielt er das Schweigen nicht mehr aus. „Das kann nicht Ihr Ernst sein. Wollen Sie denen fünfzig arme Teufel ausliefern? Glauben Sie wirklich, die Xolifras werden sich mit diesen Opfern zufrieden geben und die Erde in Ruhe lassen? Was versprechen Sie sich überhaupt davon? Und – ist das, was sie mit den Gehirnen machen, überhaupt möglich?“

„Vielleicht geht es ohne Opfer“, erwiderte der halblaut. „Sie benötigen gewisse Zellstrukturen. Timelordtechnik kann vieles. Eventuell kann ich ihnen geben, was sie brauchen. Ihre Forpflanzungsrate zu steigern, ist ganz sicher kein Problem. Das andere – nun, es wäre einen Versuch wert.“

Er blickte Jack an. „Haben Sie schon einmal eine Welt gesehen, die von den Xolifras überfallen wurde? Sie zerstören alles Leben dort. Wenn sie wieder gehen, ist der Planet nur noch ein Schlackehaufen.“ In seinen Augen stand Qual. „Ich habe erlebt, wie sie vorgehen, ohne es verhindern zu können. Ich musste zusehen, wie ein ganzes Volk starb! Vielleicht ist dies die Gelegenheit, das zu beenden. Ihre jetzige Mentalität wird durch einen derartigen Eingriff ebenfalls verändert. Sie könnten friedlicher werden.“

Jack legte ihm eine Hand auf den Arm. „Wie weit gehen Sie für diese Chance, Doktor? Wollen Sie die Erde dafür opfern?“

„Nein!  Das natürlich nicht“, versicherte dieser sofort. „Meine Tochter lebt hier. Sie ist mit einem Menschen verheiratet.“

„Glauben sie, die Xolifras werden mit dem, was Sie ihnen anbieten, einverstanden sein und auf neue Gefangene verzichten?“

Der Doktor sah ihn an. Endlich erkannte Jack wieder den vertrauten, offenen Blick. „Sie erfahren diese Einzelheiten erst, nachdem sie die Erde verlassen haben.“ Er erklärte Jack seinen Plan.

Vier Stunden später standen sie wieder vor den Piraten. Ausführlich beschrieb der Doktor, wie er ihnen helfen wollte. Er versprach, ihnen ausreichendes Material zu geben, wenn sie sich von ihm auf eine andere Welt fliegen lassen würden. Allerdings sagte er nicht, wie dieses Material beschaffen sein würde.

Die Xolifras lehnten jedoch vehement ab, ihre schon vorhandenen Opfer zurückzulassen. Eine Weile versuchte der Doktor, mit ihnen zu diskutierten. Jack machte dem ein Ende. „Gut, nehmt die Menschen mit. Aber ihr müsst sofort starten. Es gibt immer mehr Anzeichen, dass die Regierung euch gefunden hat. Ich habe Funksprüche abgehört, die zeigen, dass militärische Einheiten zusammengezogen werden. Es wird schon bald zu Kämpfen kommen. Wir müssen von hier verschwinden.“

Der Doktor warf ihm einen völlig überraschten Blick zu. Jack zuckte mit den Schultern.

„Ihr kommt mit uns?“, fragte der Anführer der Außerirdischen. Obwohl sein Zirpen kaum Modulation besaß, hörte man sein Misstrauen heraus.

„Natürlich“, versicherte Jack.

Binnen kurzer Zeit wurden die Liegen mit den bewegungslosen Körpern in das große Schiff der Piraten gebracht. Den kleinen Kreuzer, mit dem sie gekommen waren, flogen sie in einen der Hangars.

Dabei erkundigte sich der Doktor bei Jack: „Wieso sind Sie plötzlich damit einverstanden?“

„Weil wir sie sonst nicht von hier wegbekommen“, erwiderte dieser. „Außerdem können wir den armen Teufeln nicht mehr helfen. Sie sind längst tot. Ihre Körperfunktionen werden künstlich aufrechtgehalten, damit die Gehirne versorgt werden. Aber im Grunde leben sie nicht mehr. Ich war nicht nur bewusstlos, wie ich glaubte. Ich starb immer wieder.“

Sie kehrten in die Zentrale des großen außerirdischen Schiffes zurück. Der Anführer wartete schon auf sie. Er startete und steuerte in die Atmosphäre hinauf. Ein Alarm ertönte.

„Verdammt!“, fluchte Jack. „Das Sicherheitssystem des Kreuzers. Kommen Sie, wir müssen es stoppen.“ Er zog den Doktor mit sich. Zu dem Piraten gewandt, erklärte er: „Wir sind gleich wieder da. Ich habe anscheinend vergessen, die Startabwehr auszuschalten.“

Sobald sie den Raum verlassen hatten, fragte der Doktor: „Startabwehr? Seit wann gibt es so etwas?“

„War gelogen.“ Jack rannte zu dem Hangar und in die Zentrale seines Schiffes. „Ich habe die Unterhaltungen unserer ‚Freunde‘ vorhin aufgenommen und übersetzen lassen. Da wir sie nicht hören können, waren sie sehr offen.“

Er aktivierte ein Gerät. Die zirpende Stimme eines Xolifras war zu hören. „Warum sollen wir machen, was diese beiden Menschen wollen? Hier haben wir alles, was wir brauchen.“

Der Anführer versicherte dem Sprecher jedoch: „Mit ihrer Hilfe erreichen wir unser Ziel viel schneller und risikoloser. Wir nehmen uns jetzt, was sie uns geben. Das wird reichen, um unser Volk zu überzeugen. Mit unseren zukünftigen Untertanen kehren wir zurück. Wir kennen schließlich die Koordinaten der Erde. Dann benutzen wir die Menschen, um alle Xolifras zu verändern. Die Erde wird unsere neue Heimat sein. Von hier aus erobern wir die Galaxie.“

Der Doktor fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. „Ich habe es befürchtet. Aber ich wollte einfach daran glauben“, murmelte er.

„Reißen Sie sich zusammen!“ Jack funkte die Zentrale des Piratenschiffes an. „Wir müssen euer Schiff verlassen. Der Kreuzer explodiert sonst, dabei würdet ihr vernichtet. Holt uns an der westlichen Küste ab. Und öffnet die Schleuse! Ich kann den Countdown der Selbstzerstörung nur auf diese Weise stoppen.“

„Das glauben sie Ihnen nie.“

„Abwarten.“ Einen Moment später begann Jack zu grinsen. Die Schleuse glitt zur Seite. Er steuerte den Stratokreuzer hinaus.

„Bleibt auf Empfang, damit wir euch nicht verlieren!“ befahl der Xolifra.

Jack bestätigte ihm das bereitwillig, deaktivierte jedoch das Mikrofon. Während er nach Westen steuerte, deutete er auf ein anderes Kommunikationsgerät. „Doktor, schalten Sie es ein! Kanal fünfunddreißig. Verlangen Sie General Korwanken und sagen Sie ihm, dass in Kürze ein unbekanntes Schiff in der Atmosphäre explodiert. Sie sollen den Flugverkehr warnen.“

„Was haben Sie getan?“

„Nun machen Sie schon. Ich erkläre es Ihnen später.“

Der Doktor gab die Warnung durch. Doch er wandte den Blick nicht von Harkness und hob auffordernd die Augenbrauen. Der zuckte mit den Schultern. „Ich habe den Xolifras kein Wort geglaubt. Tut mir leid! Ich bin nicht bereit, eine Rückkehr dieser Piraten zu riskieren. Während die Gefangenen umgeladen wurden, brachte ich in deren Schiff Sprengladungen an. Sie gehen in wenigen Sekunden hoch.“

„Das ist Mord! Und die Menschen im Schiff?“

„Sie sind doch schon tot.“ Jack sah ihn ernst an. „Die Xolifras wollen die Menschheit vernichten! Verdammt, Sie haben es selbst gehört. Wollen Sie das riskieren?“

Einen Moment blieb es still zwischen ihnen. Endlich senkte der Doktor den Kopf und nickte leicht. Jack atmete tief auf.

„Sie könnten es verhindern?“, fragte der Timelord sofort nach.

Jack blickte zur Seite. Seine Lippen pressten sich zusammen. „Ja!“, bekannte er widerwillig. Er hob den Kopf wieder und suchte dessen Blick. „Verlangen Sie es nicht von mir“, bat er inständig. „Ich achte Sie und möchte Sie mir nicht zum Feind machen. Aber ich bin nicht bereit, diese Verbrecher davonkommen zu lassen.“

Der Doktor öffnete den Mund. In diesem Moment schüttelte eine Druckwelle den Kreuzer durch. Am Himmel glühte ein Feuerball auf, dessen heller Schein nur langsam wieder schwächer wurde. Beide starrten aus dem großen Frontfenster.

Plötzlich tönte eine harte Stimme aus dem Empfänger: „Ihr habt uns verraten. Wir sterben. Doch ihr seid dafür verantwortlich, dass jetzt tausende Menschen ebenfalls getötet werden. Wir nehmen sie mit in den Tod!“

Unisono zuckten Jack und der Doktor zusammen. Was meinte der Xolifra damit? Fast im selben Augenblick klang es aus dem anderen Kommunikator: „Harkness, melden Sie sich! Hier fallen kleine Körper herab. Sie werden in verschiedenen Städten landen. Was geschieht da?“

„Abschießen!“, schrie Jack zurück. „Verdammt. Vernichtet sie! Sie sind tödlich!“

Die beiden Männer hörten, wie rasche Befehle erteilt wurden.

„Wer ist dieser Korwanken eigentlich?“, fragte der Doktor.

„Militärische Abwehr. Ich habe eine Zeitlang für sie gearbeitet. – Ja, ich weiß! Sie halten nichts von ihnen. Aber Korwanken ist ein vernünftiger Mann.“

„Warum suchten die dann nicht nach Ihnen, als sie verschwanden?“

Jetzt grinste Jack etwas verlegen. „Sagen wir, unsere Trennung war nicht ganz einvernehmlich.“

Der Kommunikator sprang wieder an. „Einer ist außer unserer Reichweite! Er wird bei Clacton on Sea herunterkommen. Die Bevölkerung wird gewarnt. Harkness, können Sie uns genau sagen, was hier eigentlich vor sich geht?“

„Es sind Weltraumpiraten! Ihr Schiff detonierte. Anscheinend konnten sie noch Bomben ausschleußen. Dann explodieren sie beim Aufschlagen! Oder es sind Rettungsschiffe! Dann versuchen die Insassen, sich zu verstecken, und werden zu einer tödlichen Gefahr für uns.“

Eine Hand krallte sich in seinen Arm.

„Was ist?“, fragte Jack erschrocken. Das Gesicht des Doktors war weiß wie ein Laken.

„Meine Tochter wohnt dort!“

„Rufen Sie an! Warnen Sie sie!“ Jack riss ein Handy aus einer Schublade.

Hastig tippte der Doktor auf die Tasten. „Atara! Wo bist du? – Nein, auf keinen Fall! Verschwinde von da! Geh nicht nach Hause! Warne Jenson! Sie müssen sofort aus dem Ort fliehen. Sofort! Atara, frag nicht! Warne ihn!“

Jack änderte den Kurs und flog nach Osten. Er drückte den Geschwindigkeitshebel bis zum Anschlag durch. Nach einem Blick auf den Doktor, deaktivierte er verschiedene Sicherungen und erhöhte die Geschwindigkeit noch weiter. Mehrere Alarme erklangen, Jack beachtete sie nicht. Der Kreuzer würde die Überlastung noch eine Weile aushalten.

Kurz bevor sie die Ostküste erreichten, schraubte sich eine dunkle, pilzförmige Rauchwolke in die Luft. Der Doktor stöhnte auf.

„Vielleicht haben sie es geschafft.“ Leise versuchte Jack, ihm Mut zu machen. „Wo?“ fragte er dann noch. Der Doktor zeigte auf den ehemaligen Stadtrand. Kurz davor landeten sie. Stumm blickten sie auf die zerstörten Häuser.

Mit steifen Beinen stieg der Doktor aus. Sirenen heulten, ständig kamen weitere Rettungskräfte an. Unzählige Männer suchten in den Trümmern nach Überlebenden und Leichen. Jemand versuchte den Doktor aufzuhalten. „Sie können da nicht hin. Das ist zu gefährlich. Es gibt überall noch Brandherde.“

„Atara!“

Voller Mitleid sah der Mann ihn an. „Ihre Familie?“

In diesem Moment erklang eine helle, verzweifelte Stimme: „Lassen Sie mich durch! Mein Mann und meine Tochter sind dort. Jenson! Larnia!“

Der Doktor fuhr herum. „Atara!“ Er rannte auf die junge Frau zu und presste sie an sich. „Du lebst!“

Ihr rannen die Tränen über die Wangen. „Weißt du etwas über Jenson und Larnia? Haben sie es geschafft? Bitte, Vater!“

Hilflos hob er die Schultern und sie sahen zu den Männern, die sich durch die Trümmer wühlten. Nach einer Weile wurden zwei schmale Bahren gebracht und auf den Boden gelegt.

„Es tut mir leid.“ Ein erschöpfter Mann mit rußverschmiertem Gesicht trat auf den Doktor zu. Dessen Gesicht verzog sich vor Schmerz. Er schob Atara zu Jack und folgte dem Helfer.

Jack nahm die junge Frau behutsam in den Arm und hielt sie fest, als sie ihrem Vater nachgehen wollte. „Nicht! Bitte!“

Atara sah zu ihm auf. „Wer sind Sie?“

„Ein Freund.“

Sie lehnte sich an ihn und weinte in sein Hemd. Ihr Schluchzen zerriss dem Doktor fast das Herz. Dann stand er vor den Bahren. Steif und ungelenk hob er eine der Planen leicht hoch. Er schluckte. Einen Moment zögerte er, sammelte alle Kräfte, um sich zu wappnen und kniete sich vor die andere.

„Vielleicht sollten Sie nicht …“ Der Rettungssanitäter verstummte. Der Doktor warf einen kurzen Blick unter die Plane und schloss sofort die Augen. In seinem Kopf hörte er die aufgeregte Stimme seiner Enkelin: ‚Spielst du mit mir?‘ Und seine Antwort: ‚Bald. Ich verspreche es.‘

„Ich wollte mein Versprechen halten“, flüsterte er. Mühsam stützte er sich auf den Arm des Helfers und zog sich hoch. Sein Gesicht sah alt und grau aus, als er zu Atara zurückkehrte.

„Ich möchte sie sehen.“

„Nein! Nein, Atara! Behalte sie so in Erinnerung.“ Seine Stimme brach, er nahm seine Tochter in den Arm.

Jack trat beiseite. Er kannte den Schmerz nur zu gut, den die beiden jetzt durchlebten. Er hatte ihn schon oft gefühlt in den vielen Jahrhunderten seines Lebens. Wie viel Male hatte er schon Menschen verloren, die er liebte und die ihm nahestanden? Das immer heftiger werdende Weinen der jungen Frau ließ ihn noch weiter zurückweichen. Er wollte es nicht hören.

„Komm mit mir, Atara. Komm mit mir zurück“, bat der Doktor.

„Sie freute sich so auf ihr Schwesterchen“, jammerte sie.

Der Doktor zuckte zusammen. „Du …?“

Sie legte ihre Hand auf den Bauch. Vorsichtig führte ihr Vater sie fort. Nur ganz kurz blickte er zurück zu Jack. Der nickte ihm stumm zu und hob verstehend die Hand zu einem letzten Gruß.

 

Das Kind von Boe

„Vielleicht ist es Tarain?“ Dennoch wartete Siusarn, bis ihre Mutter neben ihr stand, ehe sie die Tür öffnete. Doch es war nicht die Freundin. Ein hochgewachsender Mann in der imponierenden dunkelroten Robe der Timelords stand vor ihnen. Automatisch griff Atara nach der Hand ihrer Tochter und zog sie an sich.

„Ich habe nichts gegen die Kleine“, versicherte der Fremde. Er beugte sich zu dem Kind herab und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Ich grüße dich, Siusarn. Ich hörte, du gehst inzwischen zu den Unterrichtshäusern. Gefällt es dir dort?“

Die Zehnjährige lächelte schüchtern zurück und zuckte ein wenig mit den Schultern. „Eigentlich schon. Jetzt zumindest.“

Wie peinlich berührt presste der Mann die Lippen zusammen. Atara sah es mit Verwunderung. Die meisten Timelords missbilligten die Anwesenheit ihrer Tochter hier auf Gallifrey, da deren Vater ein irdischer Mensch gewesen war. Deshalb war der Doktor mit ihnen zusammen in einen anderen Bereich der riesigen Stadt gezogen. Im inneren Bezirk, in dem ausschließlich Timelords und ihre Angehörigen lebten, war das Knd von den Lehrenden nicht anerkannt worden. Keiner war bereit gewesen, es zu unterrichten.

„Ich bin Bromar“, stellte der Ankömmling sich vor. „Ich muss den Doktor sprechen, aber nicht in der Zitadelle.“

„Vater ist in seinem Arbeitszimmer. Kommt, ich bringe Euch hin.“

Der Doktor sah dem Eintretenden erstaunt entgegen. „Bromar! Ich grüße Euch. Was gibt es denn, dass Ihr hierher kommt? Ich bin doch fast täglich in der Zitadelle.“

„Dort kann ich aber nicht mit Euch sprechen, jedenfalls nicht über den Grund meines Kommens. Der Hohe Rat weiß nicht, dass ich hier bin. Die wichtigsten Mitglieder wären dagegen.“

Nun sehr gespannt, zeigte der Doktor auf eine der bequemen Sitzgelegenheiten. „Es geht hoffentlich nicht schon wieder um Siusarn? Sie ist meine Enkelin und gehört hierher!“ Schon mehrmals hatte der Hohe Rat versucht, ihn davon zu überzeugen, das halbmenschliche Kind von Gallifrey fortzubringen.

„Nein, nein“, wehrte Bromar sofort ab. „Das habe ich auch schon Eurer Tochter Atara versichert.“

Dennoch war seine Miene sehr ernst, als er sich dem inzwischen ergrauten Timelord gegenüber setzte. Der Doktor war hoch angesehen. Alle Mitglieder des Rates respektierten ihn, obwohl er sich sich in vielen Dingen immer wieder gegen dessen Entscheidungen stellte. So mancher dort war allerdings sehr froh darüber, dass dieser Mann sich vehement weigerte, dem Hohen Rat anzugehören. Trotzdem fragten viele nach seiner Meinung. Auch wenn sie nur zu oft anders handelten.

„Ich komme wegen dem Master“, erklärte er weiter. Sofort zogen sich die Augenbrauen des Doktors unwillig zusammen. Mit einer Geste, die seine Verlegenheit in dieser Sache deutlich machte, fuhr Bromar fort: „Er wurde für seine Manipulationen auf der Erde bestraft und seitdem gut überwacht. Eure Forderungen konnte der Rat nicht erfüllen.“ Er hob erneut die Hand, um einen Einwand abzuwehren. „Natürlich wäre es gerechtfertigt gewesen, ihn für immer hier auf Gallifrey festzusetzen. Doch er hat viele Gönner und Freunde, die ihn schützen.“

„Warum braucht Ihr mich nun?“ Der Doktor machte sich keine Mühe, seine Ungeduld zu verschleiern. Diese Erklärungen hatte er schon tausendmal gehört. Aber er kannte den Master. Das Verbot, jemals wieder eine TARDIS zu benutzen, hielt ihn unter Garantie nicht davon ab, seine verqueren Ziele – welche das auch immer waren – weiter zu verfolgen.

„Aus den Gewölben ist eine TARDIS verschwunden“, gab Bromar zu. „Ich bin mir sehr sicher, dass der Master dafür verantwortlich ist. Der Hohe Rat will nichts unternehmen und abwarten, bis man etwas von ihm hört. Ich befürchte allerdings Schlimmes. Ich bitte Euch, ihn zu finden. Ich habe die Berichte über sein Vorgehen auf der Erde studiert. Er ist gewissenlos. Ihr müsst ihn aufhalten.“

„Es gibt nicht viele, die so denken.“

„Mehr, als Ihr glaubt. Die meisten sind allerdings davon überzeugt, dass wir ihn kontrollieren können. Vergesst nicht, er handelte auf mehreren Welten durchaus zu unseren Gunsten. Durch ihn erhielten wir die alten Artefakte der Kriegerrasse von Drifkaonmer.“

„Ja, weil er die jetzigen Wesen dort täuschte und skurpellos belog“, gab der Doktor zurück. „Und wie oft schadete er schon anderen Völkern? Das erwähnt niemand!“

„Es führt zu nichts, wenn wir jetzt erneut über sämtliche Handlungen des Masters diskutieren“, versuchte Bromar, das Gespräch wieder in ruhigere Bahnen zu lenken. „Ich misstraue ihm ebenso wie Ihr. Genau deshalb bitte ich Euch, ihn zu suchen.“

„Besitzt Ihr einen Hinweis, wo er ungefähr sein könnte?“

„Es gab seltsame Zeitverzerrungen im System Ibalrin. Allerdings in einer zukünftigen Zeit, dem 51. Jahrhundert, in welcher dort Kolonien des Planeten Erde existieren. Zudem kann ich Euch die Bezeichnung der verschwundenen TARDIS geben. Ihr habt eine sehr enge Verbindung zu Eurem Schiff. Damit solltet ihr sie finden können.“

Der Doktor gab nach. „Nun gut! Ich sage meiner Familie Bescheid und fliege heute noch los.“

Bromar dankte ihm und verabschiedete sich.

Knapp zwei Stunden später stand der Doktor vor der runden Steuerkonsole seiner TARDIS. Er legte die Hände auf die offenen Verbindungsstellen zu deren Herz und dachte intensiv an sein Ziel. In seinem Gehirn fühlte er das telepathische Suchen. Dann hob sich die Energie in der großen Säule. Das typische, keuchende Ächzen erklang und das Schiff verschwand aus dem Zeitkontinuum.

Die TARDIS materialisierte neben einem hohen, schlanken Gebäude. Die Monitore zeigten eine hochtechnisierte Stadt. Doch es gab merkwürdige Gegensätze. Nur wenige Straßenzüge weiter wurden die Bauten schlagartig einfacher und kleiner. Anstatt moderner, fester Bodenbeläge bestanden dort die Wege zwischen den fast hüttenähnlichen Behausungen aus Sand. Und knapp außerhalb der besiedelten Fläche breitete sich eine Wüste aus.

Nach den Daten war er auf Boland gelandet, dem vierten Planeten des Systems Ibalrin. Der Doktor wollte das Schiff gerade verlassen, als der Kommunikator ansprang. Auf dem Monitor erschien das Gesicht eines Mannes, eindeutig ein Mensch.

„Mein Name ist Korven. Wir haben die Energien deines Schiffes angemessen. Wer bist du? Was willst du auf unserer Welt?“

„Ich bin der Doktor. Ich stellte ein paar Seltsamkeiten auf eurer Welt fest und war neugierig, was diese zu bedeuten haben“, antwortete er ausweichend.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir vertrauen kann. Vielleicht bist du ja dafür verantwortlich.“

„Für was?“, fragte der Doktor sofort nach.

„Hier geschehen eigenartige Dinge“, gab der Mann zu.

„Kann ich zu dir kommen? Ich möchte Näheres wissen. Vielleicht kann ich euch helfen.“

Eine Weile sah Korven ihn eindringlich an. Schließlich nickte er. „Ich lasse dich abholen. Gehe mit den Wachen. Sie bringen dich her.“ Damit beendete er das Gespräch. Der Monitor wurde dunkel.

Die beiden Wachen, in sandfarbene, kuttenähnliche Gewänder gekleidet, brachten den Doktor zu einem flachen, aber weitläufigen Gebäude. Im Inneren war es, im Gegensatz zu der trockenen, zum Husten reizenden Hitze auf den Straßen, angenehm kühl.

Ein schlanker, untersetzter Mann, in dem der Doktor seinen Gesprächspartner wiedererkannte, trat auf ihn zu. „Willkommen auf der Boeshane-Halbinsel. Zumindest, wenn du wirklich als Freund gekommen bist.“

„Das bin ich. Welche merkwürdigen Sachen sind passiert?“ Der Doktor hatte keine Lust, Zeit für irgendwelche höflichen Floskeln zu verschwenden. Wenn der Master hier war, wollte er das so rasch wie möglich herausfinden.

Korven führte ihn in einen Raum. Mehrere Personen saßen dort an einem großen Tisch. Eine Frau stand auf und musterte ihn.

„Woher willst du wissen, dass wir ihm vertrauen können? Wir wissen doch nicht einmal selbst, was Wirklichkeit ist und was nicht.“

„Was meinst du damit?“, erkundigte sich der Doktor. Das klang seltsam – und interessant. Er musterte die Instrumente an den Wänden. Dieses Volk war weit genug entwickelt, um offen sprechen zu können. „Hier traten Dimensionsschwankungen auf. Deshalb kam ich her.“

Blicke wanderten hin und her. „Das könnte eine Erklärung sein“, meinte Korven. Er wandte sich an den Doktor. „Vor einigen Tagen geschahen merkwürdige Dinge. Viele Menschen hatten plötzlich Erinnerungslücken. Andere waren sehr verwirrt, es war, als ob sie die Wirklichkeit nicht mehr erkennen konnten. Sie sprachen von Vorfällen, die gar nicht geschehen sind. Dafür kannten sie andere Ereignisse nicht mehr. Auch wir sind davon betroffen. Es wird noch seltsamer: Wir fanden Hinweise, dass diese falschen Erinnerungen eventuell doch Tatsachen sind. Was bedeuten würde, wir erleben und sehen jetzt eine falsche Realität. Ich kann es nicht genauer ausdrücken. Es ist unglaublich verworren.“

„Bitte, sieh mich einmal ganz genau an.“ Der Doktor studierte die Pupillen des Mannes, dann hob er die Hände und umschloss dessen Schläfen. Er konzentrierte sich, zuckte aber plötzlich zurück. Er rieb seine Finger aneinander, sie prickelten. „Es ist möglich, dass eure Vermutung stimmt. Eventuell wurde eure Vergangenheit verändert. Es gibt Anzeichen dafür.“

„Wie kannst du das erkennen?“

„Ich besitze gewisse telepatische Fähigkeiten. In deinen Erinnerungen ist etwas verfälscht worden.“

Eine der Frauen stand auf. „Ich bin Wimou. Was willst du damit sagen? Meinst du, gezielte manipulierte Erinnerungen? Das würde komplizierte Eingriffe in unser Gehirn bedeuten. Wie soll das bei uns allen durchgeführt worden sein? Ohne dass es jemand bemerkt? Es betrifft ja nicht nur uns hier. Fast alle in der Stadt haben diese Wahrnehmungslücken und sogar in anderen Städten tritt es auf.“

„Das kann geschehen – wenn etwas in eurer Vergangenheit verändert wurde.“ Der Doktor sah in verblüffte Gesichter und erkannte, dass niemand ihn verstand. „Die Zeit ist nicht stabil. Sie lässt sich umformen. Wird ein bestimmtes Ereignis verändert, kann es vorkommen, dass sich die gesamte darauf basierende Zukunft umstellt. Erstaunlich ist jedoch, dass ihr euch – wenn auch nur diffus – an die vorherige Zeitlinie erinnert.“

„Niemand kann etwas verändern, das schon geschehen ist“, wandte Wimou ein.

„Doch! Leider ist das möglich.“ Der Doktor hätte am liebsten vor Zorn geknurrt. Aber diese Menschen waren schon verwirrt genug. Sie würden das vermutlich auf sich beziehen, dabei galt seine Wut einem ganz anderen. Er war sicher, wer dafür verantwortlich war: Der Master! Er blickte von einem zum anderen. Sie waren intelligent genug, ihn zu verstehen. Also musste er jetzt offen sein. Auch wenn es sich eigentlich um gallifreyische Geheimnisse handelte. „Viele Geschehnisse können modifiziert werden, ohne dass sich das eigentliche Zeitgefüge verformt. Dann gibt es nur geringfügige Anpassungen, die keine schwerwiegenden Folgen haben. Allerdings gibt es auch Fixpunkte. Das sind Ereignisse, die für den Verlauf der Zeit extrem wichtig sind und niemals verändert werden dürfen.“

„Moment! Das würde bedeuten, dass Zeitreisen möglich sind. Und das ist ausgeschlossen!“ Korven sah sich um. „Wo ist eigentlich Parn? Er kennt sich mit dieser Art Wissenschaft am besten aus.“

„Er ging vorhin. Sagte, er müsse etwas Wichtiges erledigen“, antwortete Wimou, ließ den Doktor dabei aber nicht aus den Augen.

Der verstand die unausgesprochene Frage. „Es ist möglich!“

„Woher willst du das wissen?“

Mit einem schweren Seufzen hob der Timelord die Schultern. „Wir können durch die Zeit reisen. Aber es gibt strenge Regeln und Gesetze, gerade weil dies gefährlich ist. Eingriffe in das Geschehen einer Welt sind strikt verboten. Ich befürchte allerdings, dass genau dieses Tabu gebrochen wurde.“ Er biss sich auf die Lippen. „Eventuell ist jemand von uns hier auf eurer Welt. Ich möchte euch helfen. Lasst mich herausfinden, was euch angetan wurde. Ich muss denjenigen finden, der dafür verantwortlich ist.“

Von wegen ‚eventuell‘! Er war sich sicher! In Korvens Gehirn hatte er genug Hinweise gefunden. Alles deutete darauf hin, dass ein Fixpunkt der Zeit verändert worden war. Wie konnte der Master so etwas wagen? Er wusste genau, wie gefährlich das war! Aber es war besser, sich etwas vage auszudrücken. Er müsste sonst zu viel erklären.

„Kannst du das herausfinden?“ Korven war blass geworden, wie die anderen auch.

„Ja! Ich brauche die Erlaubnis, eure Erinnerungen zu studieren. In meinem Schiff habe ich die Möglichkeiten dafür. Wenn ich mehrere Erinnerungsabläufe miteinander vergleiche, kann ich erkennen, wann genau der Bruch eintrat – und welche Entwicklungen umgeformt wurden.“

Korven und Wimou nickten sofort. Die anderen blickten sich gegenseitig an. In ihren Mienen spiegelten sich Entsetzen, aber auch Misstrauen. Schließlich traten drei weitere vor. „Wir sind einverstanden. Aber sage uns vorher, weshalb ihr solche Verbrechen begeht. Was habt ihr davon? Und warum willst du uns helfen?“

„Gerade weil es ein Verbrechen ist“, gab der Doktor zurück. „Die Zeit ist eine sehr komplizierte Dimension. Wir können sie sehen. Und wir erkennen, wo wir auf keinen Fall eingreifen dürfen, da dadurch die Zeitdimension geschädigt wird. Das sind die Fixpunkte der Zeit, die ich erwähnte. Wenn meine Annahme stimmt, und hier eine derartige Veränderung vorgenommen wurde, muss ich helfen. Denn so etwas darf nicht geschehen!“

Er hob die Schultern. „Und warum euch das angetan wurde? Ich weiß es nicht, obwohl ich eine Vermutung habe.“

Schon damals auf der Erde hatte der Master versucht, ihn zu manipulieren und auf seine Seite zu ziehen. Inzwischen befürchtete er, dass dies hier ein erneuter Versuch war. Auch wenn er noch nicht erkannte, worum es eigentlich ging.

„Kannst du uns die sagen?“, fragte Wimou.

„Es ist nur eine Ahnung und schwer zu erklären. Eine lange Geschichte.“

Sie waren nicht zufrieden mit seiner Antwort, folgten ihm jedoch, als er auf den Ausgang deutete. Sie hatten kaum zwei Schritte getan, als ein Alarm losging. Eine laute Stimme übertönte das schrille Heulen: „Achtung! Raumschiff im Anflug. Identifiziert als Ubarkoruner.“

Wimou keuchte voller Entsetzen, rannte zu einem Kommunikator und tippte hastig darauf. „Kornar, die Abfangflotte!“ Dann stöhnte sie auf. „Wieder so eine falsche Erinnerung, verdammt!“

„Welche falsche Erinnerung und was sind Ubarkoruner? Die Bezeichnung kenne ich nicht“, erkundigte sich der Doktor.

„Sie greifen andere Welten gnadenlos an und töten Alles und Jeden. Sie beuten die Welten aus, suchen nach Rohstoffen. Alle Welten mit denen wir Kontakt haben, fürchten sie.“ Wimou fuhr sich mit der Hand über den Kopf. „Und wir besitzen keine Raumschiffe. Aber immer wieder schießen mir Bilder von ihnen durch den Kopf, als gäbe es sie. Ich kann sie sogar zeichnen. Anderen geht es genauso. Doch wir kennen keinen Standort, an dem diese Flotte sein soll.“

Ein Gedanke formte sich im Hirn des Doktors. Noch wollte er es nicht glauben. Das war einfach zu ungeheuerlich. Trotzdem …  „Wann sind die Ubarkoruner hier?“

„Sie bleiben in sicherem Abstand und schicken Drohnen. Die untersuchen die Welten. Sie sind klein und kaum bemerkbar. Nur wenn sie tiefer kommen, um Proben aufzusammeln, kann man sie überhaupt aufspüren. Finden sie Rohstoffe oder andere begehrte Materialien, fliegen sie über die ganze Welt und suchen nach Leben. Entdecken sie dieses, werden Bomben abgeworfen – aus dem Raum heraus. Es gibt kaum Gegenmaßnahmen.“

Korven brüllte derweil in den Kommunikator: „Versucht die Bevölkerung in unterirdische Bauten in Sicherheit zu bringen. Die Leute sollen sich verstecken!“ Er tippte noch einmal Zahlen ein und das Gesicht einer jungen Frau erschien.

„Vater! Was ist los?“ rief sie ängstlich.

„Verkriech dich irgendwo! Bitte! Die Ubarkoruner greifen an. Los, beeile dich!“

Totenbleich wandte er sich an den Doktor. „Es wird nichts nützen. Verschwinde von hier, bevor sie dich auch töten.“ Er presste die Hände vor das Gesicht. „Sie erwartet ein Kind, meinen Enkel. Sie wollte ihn Jarvic nennen.“

„Nein! Sie wird nicht sterben! Was geschieht, wenn die Drohnen nichts finden, was diese Typen gebrauchen können?“ Der Doktor schüttelte den Mann. Der versuchte, sich zu fassen.

„Sie fliegen weiter. Aber wir besitzen Rohstoffe, dazu eine gesunde Fauna und Flora. Die Halbinsel Boe hier ist Wüste, aber andere Gebiete sind sehr fruchtbar.“

Fieberhaft überlegte der Doktor. „Die Ubarkoruner kommen niemals selbst? Sie verlassen sich auf die Drohnen?“

Ein stummes Nicken war die einzige Antwort.

„Dann haben wir eine Chance. Ich versuche, deren Steuerung zu übernehmen. Mein Schiff sollte das schaffen. Gibt es Gebiete, die tödlich sind?“

„Ja!“ Korvens Gesicht belebte sich wieder. Er schien zu begreifen, was der Doktor plante. „Meinst du wirklich, das gelingt?“

Zusammen rannten sie zur TARDIS. Der Doktor bemerkte Korvens Verblüffung, als der eintrat.

„Ich weiß! Frag mich später. Jetzt haben wir keine Zeit dafür. Innen größer als außen. Akzeptiere es einfach.“ Er betätigte ein gutes Dutzend Schalter und Knöpfe an der Steuerkonsole. „Auf dem Monitor wird deine Welt abgebildet. Ich brauche ödes, lebloses Land, Wüste, noch leerer als hier, tödliche Gebiete, ohne Mineralien oder Erze. Markiere sie!“

Seine Hände flogen erneut über die Tasten, rissen mehrere Hebel nach unten, andere nach oben. Endlich erklang ein Piepsen. „Ja!“, frohlockte der Doktor. „Die erste Drohne ist gefunden. Mal sehen …“

Wieder schaltete er, drehte an mehreren Rädchen, dann huschte ein Grinsen über sein Gesicht. „Sie gehorcht der Steuerung. Los, Korven! Wohin soll ich sie schicken?“

Der zeigte auf ein Gebiet östlich der Halbinsel. „Dort ist die Mig-Wüste. In ihr lebt absolut nichts, es gibt nicht einen Tropfen Wasser. Nur Sand, ohne mineralische  Beimengungen.“

„Sehr gut!“ Der Doktor gab die Koordinaten ein und folgsam flog die Drohne dorthin. Sie beobachteten, wie das nur handgroße Gebilde niedersank, um eine Probe des Sandes aufzunehmen.

Ein weiteres Piepsen ertönte.

„Die nächste Drohne. Was kannst du noch bieten, Korven?“

„Einen Giftsee. Man kann sich dem See nicht einmal nähern, ohne die tödlichen Gase einzuatmen.“

„Perfekt!“ Auch diese Drohne nahm eine Probe der grünrötlichen Brühe, ehe sie sich wieder in den Himmel erhob.

Neun weitere der metallischen Spione wurden von ihnen abgefangen und zu tödlichen oder völlig verödeten, leblosen Gebieten gelotst. Dann warteten sie noch über eine Stunde, doch kein weiteres Piepsen ertönte.

„Glaubst du, wir haben alle gefunden?“, fragte Korven. Seine Stimme schwankte etwas. In ihm kämpfte anscheinend die Hoffnung mit dem Zweifel.

„Sieht so aus. Sieh das Raster! Die Dinger waren ursprünglich mehr oder minder gleichmäßig über eurem Planeten verteilt.“

Wimou meldete sich über den Kommunikator. Ihr frohes Lächeln zeigte schon, was sie zu sagen hatte. „Sie drehen ab! Die Ubarkoruner verschwinden! Doktor, wie können wir dir danken? Du hast unsere Welt gerettet!“

„Danke mir nicht! Der Zufall ist zu groß.“

„Was meinst du damit?“

Ernst sah der Doktor erst Korven, dann die Frau auf dem Bildschirm an. „Erst wird eure Zeit manipuliert, was zu einer veränderten Wahrnehmung führt. Dann greifen euch die Ubarkoruner plötzlich an. Da soll es keinen Zusammenhang geben? Das glaube ich nicht. Steht eure Zustimmung für die Untersuchung eurer Erinnerung noch? Dann kann ich herausfinden, was wirklich geschehen ist. Und mit etwas Glück auch, wo derjenige steckt, der dafür verantwortlich ist. Denn ich bin sicher, er ist noch hier.“

Der Master würde überprüfen wollen, ob sein Plan aufgegangen war. Aber was bezweckte er damit? Einen Fixpunkt der Zeit zu verändern, war ein ungeheures Risiko. Die Auswirkungen konnten das gesamte Universum betreffen.

Diesmal waren alle acht Männer und Frauen dazu bereit. Die Untersuchungen waren anstrengend. Der Doktor stellte den Menschen einen der Räume in der TARDIS zur Verfügung, damit sie sich erholen konnten. Stundenlang analysierte und verglich der Doktor ihre Erinnerungen. Dann hieb er mit der Faust auf den Tisch. Alle zuckten zusammen.

„Hast du etwas gefunden?“ Wimou, die fast eingeschlafen war, blickte zu ihm.

„Parn! Er taucht in keiner eurer verzerrten, früheren Vergangenheit auf. Interessant ist aber, dass er euer Zeitgefüge nicht wirklich umformte. Nur eure Erinnerungen sind manipuliert.“

Der Master hatte tatsächlich einen Weg gefunden, einen Fixpunkt zu modifizieren, ohne das Zeitgefüge selbst zu verletzen. Dennoch waren Dimensionsschwankungen aufgetreten. Es spielte keine Rolle, durch welche Methoden das ursächliche Geschehen verfälscht wurde. Das hatte der Master wohl nicht berücksichtigt.

„Ihr sagtet, eure Wahrnehmungsschwankungen treten nicht überall auf, sondern nur hier und in einigen weiteren Städten. Wo genau und bei welchen Personen? Haben sie mit eurer Sicherheit zu tun?“

„Ja! Dort gibt es Überwachungszentren, sowohl planetarische als auch intersolare.“ Korven runzelte die Stirn. „Zumindest glaube ich das. Nein!“, er schüttelte den Kopf, „das ist ja wieder falsch. Es gibt keine Überwachung innerhalb des Systems. Deshalb entdeckten wir die Ubarkoruner erst, als sie die äußersten Ränder unserer Atmosphäre erreichten.“

„Tja, da haben wir den Grund. Denn ihr besitzt diese Raumkontrolle. Ebenso eine Abfangflotte. Dieses Wissen ist tief in euch vergraben. Es ist ein Wunder, dass ihr überhaupt noch vage Erinnerungsfetzen daran besitzt. Eure Gehirne müssen sehr widerstandsfähig sein. Er hat euch manipuliert. Ich bin sicher, dass er damit diesen Angriff ermöglichen wollte. Denn ansonsten hättet ihr euch gut gegen die Ubarkoruner zur Wehr setzen können. Eure Flotte ist, nach allem, was ich gefunden habe, hervorragend ausgestattet.“

„Wer?!“, schrie Wimou. „Wer will uns vernichten? Und warum?“

„Ich finde es heraus“, versprach der Doktor. „Und wer? Der Mann, der sich Parn nennt.“

Korven war pragmatischer. „Wie hat er das gemacht? Kannst du uns unsere echten Erinnerungen zurückgeben?“

„Ich hoffe es. Wenn wir Parn finden, wird er mir sagen müssen, mit welchen Methoden er das errreicht hat.“

Eine planetenweite Suchaktion begann. Unzählige Menschen kontrollierten sämtliche Bewohner, doch Parn blieb verschwunden. Korvens Kollegen beteiligten sich daran. Er selbst blieb mit dem Doktor in der TARDIS. Einige Stunden später schreckte ein schriller Alarm beide auf. Die Energiesäule der Steuerkonsole erwachte. Das Licht in ihr wurde so grell, dass niemand mehr hineinsehen konnte.

„Aha“, kam es zufrieden vom Doktor. „Ich dachte mir schon, dass er versucht zu fliehen.“ Er tippte auf den Schalter des Kommunikators. „Keine Chance, Master“, sprach er ins Mikrofon. „Deine TARDIS wird blockiert. Ich möchte mit dir sprechen.“

Ein Knurren kam aus dem Empfänger. Dann eine vor Zorn bebende Stimme. „Wie hast du das gemacht? Verdammt, musst du mir immer in die Quere kommen?“

„Erkläre mir, wie du die Gehirne der Menschen manipuliert hast!“

„Ach, das erledigt sich von selbst“, wiegelte der Master ab. „Ein harmloses Mittel im Trinkwasser. In ein paar Wochen lässt die Wirkung nach.“

„Bis dahin wäre diese Welt zerstört und ausgebeutet. Hier würde kein Mensch mehr leben“, gab der Doktor voller Wut zurück. „Warum wolltest du sie vernichten?“

Stille.

„Antworte!“, brüllte der Doktor. „Oder ich liefere dich ihnen aus. Wenn du Gallifrey wiedersehen willst, redest du jetzt!“

Korven hob abrupt den Kopf. „Dieser Mann wird bleiben und sich hier verantworten, das verlange ich!“

Die Miene des Doktors drückte Verständnis aus. Dennoch schüttelte er den Kopf. „Ich verstehe dich gut. Aber das kann ich leider nicht zulassen. Ich versichere dir, der Master wird jedoch bei uns vor Gericht gestellt werden. Das klingt jetzt furchtbar, aber ihr seid im Grunde genommen unschuldige Opfer, die nur benutzt wurden. Ich bin das eigentliche Ziel. Wobei ich noch nicht weiß, worum es im Einzelnen ging.“

„Willst du damit sagen, er wollte uns vernichten, um dir zu schaden?“ Korven sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

„Ja! Leider!“

In diesem Moment knackte der Kommunikator wieder. „Das bringst du fertig“, tobte der Master. „Du wirst mich nicht bei diesen Primitiven lassen.“

„Dann antworte!“

„Na schön!“ Man hörte seinen Widerwillen, als der Master weiterredete. „Es geht um diesen verdammten Kerl, der dir auf der Erde half. Sage doch mal ganz ehrlich, was hättest du ohne ihn gemacht? Gib es zu, du hättest den Traumpalast übernommen, wenn kein Zeuge da gewesen wäre.“

Ein paar Sekunden war der Doktor sprachlos. „Spinnst du? Das hätte ich niemals. Und was hat Jack mit den Menschen hier zu tun? Dies hier ist eine zukünftige Zeit, lange nach dem Traumpalast.“

„Er stammt von dieser Welt und wird demnächst geboren. Es ist Korvens zukünftiger Enkel. Keine Ahnung, wie er in eine vergangene Zeitebene auf der Erde kam. Das konnte ich seltsamerweise nicht herausfinden.“

Korven wirkte jetzt völlig verstört. „Wovon faselt er da? Ich verstehe kein Wort.“

Der Doktor schloss nur die Augen. „Du vernichtest eine ganze Welt! Nur um einen jungen Burschen zu töten, der mir einmal half? Du bist wahnsinnig!“ Seine Stimme wurde eisig. „Ich habe die TARDIS, die du entwendet hast, an meine gekoppelt. Wir fliegen zusammen zurück.“

Erst jetzt wandte er sich an Korven. „Ich – es tut mir entsetzlich leid. Was hier geschehen ist, kann kaum wieder gut gemacht werden. Glücklicherweise ist wenigstens eure Erinnerung bald wieder normal. Ich bedaure sehr, was hier passiert ist. Bitte, glaube mir das. Aber verlange keine weitere Erklärung von mir. Die darf ich nicht geben.“

Eine ganze Weile standen sie Auge in Auge. Dann nickte der Einheimische. „Ich beginne zu begreifen. Es geht um das zukünftige Leben meines Enkels. Wenn ich etwas darüber erfahre, könnte das Veränderungen hervorrufen. Diese Dinge, die du Fixpunkte nennst.“ Er holte tief Luft. „Ich danke dir für deine Hilfe, Doktor. Aber ich möchte mit deinem Volk nie wieder etwas zu tun haben. Kannst du dafür sorgen, dass keiner von euch jemals wieder hierher kommt? Dann ist auch mein Enkel vor euch geschützt.“

„Ich verspreche es dir.“

Korven verließ die TARDIS und der Doktor gab die Koordinaten nach Gallifrey in die Steuerkonsole ein.

 

Der Heilige

Der Doktor griff mit beiden Händen in den Sand, formte eine Schüssel und hob so viel er konnte hoch. Langsam ließ er ihn durch die Fingerritzen rieseln. Sobald sie den Boden berührten, bewegten sich die verschiedenfarbigen Körnchen als wären sie lebendig und sortierten sich sofort wieder zu einem deutlich erkennbaren Muster. Nach kurzer Zeit waren die exakt abgegrenzten roten, braunen und gelben Streifen der Sanddüne erneut ohne Unterbrechnung.

Er wanderte weiter, grub dabei die Schuhspitzen in den Boden und schob den Sand durcheinander. Amüsiert beobachtete er, wie alles durcheinanderfloss, bis jede Krume ihren Platz gefunden hatte. Die Körner enthielten unterschiedliche Mengen an Eisen und reagierten mit dem stark magnetischen Untergrund dieser Welt. Die gesamte Dünenlandschaft vor und hinter ihm sah aus wie ein riesiges Mandala aus Streifen, Bögen und Schleifen.

Schließlich ging er zur TARDIS zurück. Es war ein wundervoller Ausflug gewesen, ohne Aufregungen oder Gefahren – und vor allem hatte es keine Störungen durch den Master gegeben. Kurz verfinsterte sich die Miene des Doktors. Die Zeit, in der er darauf gehofft hatte, die einstige Freundschaft irgendwann wiederbeleben zu können, war längst vorbei. Der Master war ein Übel, nein, ein Gegner geworden.

Der Traumpalast auf der Erde war wirklich erst der Anfang gewesen. Seitdem versuchte der Master immer wieder, ihm zu schaden. Er benutzte rücksichtslos andere Wesen und Völker für seine Pläne. Ob Unschuldige dabei litten, wie auf Boland, interessierte ihn nicht. Der Doktor vertrieb die Gedanken daran mit einem heftigen Kopfschütteln. Endlich, nach der furchtbaren Sache auf Zipraun, hatte der Hohe Rat den Master auf Gallifrey festgesetzt. Er durfte kein Zeitschiff, nicht einmal mehr die gewöhnlichen Forschungsschiffe, benutzen.

Ein wenig seufzte der Doktor, als er in den Kontrollraum trat. Leider würde er mit ziemlicher Sicherheit nicht sehr lange Ruhe vor dem Master haben. Dieser hatte einflussreiche Gönner, die es garantiert irgendwann schafften, die Einschränkungen zu umgehen.

„Es wird Zeit, nach Hause zu fliegen“, erklärte er dem Schiff beiläufig, während er die entsprechenden Schaltungen vornahm. „Aluanin wird den Tee fertig haben.“

Er drückte den Starthebel hinunter und blickte, ohne wirklich hinzusehen, auf die Monitore. Sie wurden, wie üblich, schwarz, als sie aus dem Zeitkontinuum verschwanden. Vier Sekunden später überschlug die TARDIS sich, schien einen Berg zu rammen oder wie ein Blatt durch einen Sturm zu wirbeln. Der Doktor prallte gegen die breiten Sessel, stieß sich das Schienbein blutig und krallte sich irgendwo fest.

Die Energie in der hohen Säule sank zusammen und verschwand. Die TARDIS bewegte sich nicht mehr. Der Doktor, inzwischen lag er wie ein Lumpenhaufen gegen eine Wand gepresst da, schob sich stöhnend auf Hände und Knie.

„Was war das denn?“ Er hob den Kopf und musterte die Kontrollen. Das Schiff schien sich selbst stillgelegt zu haben. Auch die Bildschirme zeigten nichts an.

Er stöhnte etwas vor sich hin, kam er auf die Füße und schaltete die Außensensoren ein. Nichts geschah. Ein Blick in den Schacht unter seinen Füßen ließ ihn erstarren. Er war dunkel! Die Energie schien sich bis in das Herz des Schiffes zurückgezogen zu haben. Lebte es noch oder war die TARDIS tot? Nein, ganz tief unten schimmerte ein Licht. Sicher erholte es sich bald – hoffte er.

„Wirklich seltsam. Was ist geschehen und wo bin ich hier?“

Wenn die Monitore nichts anzeigten, blieb ihm wohl nur, selbst nachzuschauen. Er öffnete die Tür. Ein bedrohlich wirkendes, rötliches Leuchten breitete sich vor ihm aus. Langsame Bewegungen darin bildeten Wellen und Wirbel. Mit offenem Mund staunte der Doktor es an.

„Zeitenergie“, flüsterte er. „Aber ungeformt. Was ist nur passiert?“.

Er ließ den Eingang offen und kehrte zur Steuerung zurück. Behutsam versuchte er, die TARDIS vorwärts zu bewegen. Aber ihm gelang nur eine Drehung auf der Stelle. Dabei wurde deutlich, dass er in dieser Energie eingeschlossen war.

„Als wäre ich in der Zeit eingefroren“, sinnierte er halblaut.

Er hatte kaum ausgesprochen, als ein boshaftes Lachen erklang. „Du hast meine kleine Überraschung für dich also erkannt“, ertönte die Stimme des Masters. „Diese Aufzeichnung spielt sich automatisch ab, du solltest deshalb zuhören und mich nicht unterbrechen. Es wird das Letzte sein, was du jemals hörst, Doktor.“

Dieser hob die Augenbrauen und setzte sich in den nächsten Sessel. „Was …“ Doch der Master sprach schon weiter.

„Du glaubtest, mich unschädlich machen zu können. Aber in Wirklichkeit habe ich mich köstlich amüsiert. Denn während du eifrig diesen arroganten Dummköpfen im Rat von meinen ach so schrecklichen Verfehlungen berichtet hast, besaß ich ausreichend Zeit, meine Vorkehrungen zu treffen. Die TARDIS ist unbeweglich. Sie kann die ungeformte Energie weder lesen noch benutzen. Du sitzt fest, für immer und ewig.“

Ein hämisches Kichern erklang, das dem Doktor eine Gänsehaut verursachte. Als der Master diese Rede von sich gegeben hatte, war er offensichtlich sehr siegessicher gewesen.

„Natürlich wirst du versuchen, zu entkommen. Und vielleicht – nur vielleicht – wird dir das auch gelingen. Doch wie viel Zeit ist dann im Universum vergangen? Du kannst es nicht wissen, denn du bist jetzt außerhalb jeder Dimension. Es können Jahrhunderte, sogar Jahrtausende sein. Und was kann alles währenddessen geschehen? Schon bald werde ich Gallifrey wieder verlassen. Ich habe auch schon ein Ziel, Doktor. Nämlich die Erde. Diese kleine, primitive Welt, die dir so am Herzen liegt. Ich werde sie besuchen und mich mit den Menschen amüsieren. Oh, ich habe viele, viele Pläne mit ihnen. Ein Krieg hier, eine Katastrophe dort. Es gibt unendliche Möglichkeiten, ihnen Schwierigkeiten, Leid und Tod zu bringen. Und irgendwann, wenn sie zerstört und gebrochen sind, sage ich ihnen, dass sie alles dir zu verdanken haben. Dem Doktor! Sie werden wissen, dass du die Ursache ihres Elends bist. Was glaubst du, wie denken sie dann über dich?“

Hysterisch lachend fuhr der Master fort: „Sie werden dich verfluchen, Doktor! Solltest du jemals zurückkehren, wirst du ihr Todfeind sein! Stell es dir vor, in deinem ewigen Gefängnis. Stell es dir vor!“ Immer lauter war der Master geworden, bis er den letzten Satz durch die TARDIS brüllte. Dann verstummte seine Stimme.

„Du bist wahnsinnig“, flüsterte der Doktor in die Stille hinein. Eine Weile starrte er vor sich hin, wie gelähmt vor Entsetzen.

Dann stand er ruckartig auf. „Nein! Das wird nicht passieren!“

Er riss die Abdeckungen unter der Steuerkonsole auf und kroch in den Hohlraum. Unzählige Leitungen, verschiedenste Geräte, die miteinander verkabelt waren, Spulen, Schalter und Schrauben breiteten sich vor ihm aus. Ohne Pause untersuchte der Doktor die Verbindungen, kontrollierte Anschlüsse und nahm jedes Teil auseinander.

Wie viel Zeit verging derweil draußen? Die Frage peinigte ihn. Mit aller Macht schob er diese Gedanken beiseite und machte weiter. Irgendwo hatte der Master etwas verändert, programmiert oder eingebaut. Er musste es finden! Wieso brauchte die TARDIS so viele Drähte und Maschinen? Er hatte sich noch nie ausführlich damit beschäftigt. In den dementsprechenden Lehrgängen früher war er meist gedanklich anderweitig beschäftigt gewesen, wenn er sie überhaupt besucht hatte.

Die Zeitschiffe waren autark und konnten sich überwiegend selbst instandhalten. Natürlich gab es Dinge, die die TARDIS nicht eigenständig erledigte. Bisher hatte er das immer irgendwie hinbekommen – oder einfach ignoriert. Er besaß sogar ein Handbuch, erinnerte er sich. Sollte er es suchen? Zeitverschwendung, entschied er und bastelte weiter.

Wofür war dieses kleine, unscheinbare Ding? Ach ja, die Ionenstrahlfixierung für den molekülbildenden Dimensionskonverter. Er musste damals an der Akademie doch wesentlich mehr von all diesen Dingen gelernt haben, als er dachte.

Da! Endlich hatte er es gefunden. Ein dunkles, kaum fingerlanges Etwas, das mit dem Herz der TARDIS verbunden war – und dort absolut nichts zu suchen hatte. Vorsichtig montierte der Doktor es ab. Ein Summen begann, ganz leise. Er lächelte, das Herz lebte also wirklich noch. Der Master hatte es nicht zerstört, nur irgendwie betäubt oder so etwas. Sorgfältig stöpselte er sämtliche Anschlüsse wieder zusammen. Immer mehr Geräte sprangen an. Schließlich kletterte der Doktor aus dem engen Loch heraus. Die Energiesäule leuchtete!

„Und jetzt zur Erde! Der Tee muss warten.“                     

Allerdings musste er zuvor aus diesem Dimensionsgefängnis herauskommen. Ungeformte Zeit war so empfindlich wie Knallgas neben einem brennenden Zündholz. Langsam, auch wenn seine Ungeduld immer größer wurde, ließ der Doktor die Energie des Schiffsherzens wie eine Wolke um die TARDIS fließen. Erste Reaktionen fanden statt. In dem rötlichen Leuchten bildeten sich kleine, dunkle Öffnungen. Die meisten verschwanden rasch wieder, doch einige verbanden sich. Er wartete, bis ein genügend großer Durchgang entstand und steuerte das Schiff hinein.

Die TARDIS beschleunigte immer stärker und schloss selbsttätig den Eingang. Der Doktor umklammerte die Haltegriffe, stemmte die Füße gegen die Steuerkonsole und machte sich bereit. Wie ein Sektkorken schoss das Schiff aus dem Nichts heraus, trudelte hin und her und knallte gegen irgendetwas.

„Au! Nicht schon wieder das Schienbein!“, schimpfte der Doktor und hinkte zur Tür. Er riss sie auf und prallte zurück. Vor ihm war eine dunkle Wand. „Nein! Sie kann doch nicht noch fester geworden sein.“

Dann sah er genauer hin. Er streckte die Hand aus und begann zu lachen. „Ein Baum! Nun, das lässt sich leicht ändern.“

Eine kleine Drehung des Schiffes reichte aus und er konnte an dem Stamm vorbei ins Freie schlüpfen. Ein blauer Himmel wölbte sich über ihm, in dem weiße Wolken schwebten. Der Boden vor seinen Füßen war mit Gras und unzähligen Pflanzen bewachsen. Kleine Büsche und einzelne Bäume verteilten sich unregelmäßig. Irgendwo links von ihm plätscherte Wasser, ein Bach anscheinend.

Der Doktor bückte sich, rupfte einen Grashalm ab und kaute ihn. „Eindeutig die Erde. Das ist schon mal gelungen. Hm, Mitte des elften Jahrhunderts. Nein, eher ein paar Jahre später, nicht gerade meine Lieblingszeit.“ Er leckte seinen Finger ab, an dem Erdkrumen hafteten. „Schmeckt nach Südengland, anscheinend Eastbourne. Seltsam, aber es wird einen Grund geben, warum ich hier gelandet bin. Ich befürchte stark, dieser Grund heißt Master. Finden wir also heraus, was er angerichtet hat.“ Und was immer das war, er würde es in Ordnung bringen, das schwor er sich.

Während er in die Stadt wanderte, sah er sich aufmerksam um. Auf den Feldern arbeiteten Menschen, sie lachten und manche sangen sogar. Ein Bauer überholte ihn mit einem Karren voller Hafer.

„Ich grüße Sie, Fremder. Ein herrlicher Sommer dieses Jahr.“

Freundlich erwiderte der Doktor einige Worte, dann fragte er: „Die Leute scheinen alle sehr fröhlich zu sein. Gibt es einen besonderen Anlass dafür?“

„Ja, sehen Sie es denn nicht? Die Felder tragen fast doppelt so viel Getreide und Früchte wie sonst. Es ist ein Wunder. Hoffentlich bleibt der Heilige noch lange bei uns.“

„Welcher Heilige?“

„Der in der Abtei lebt, natürlich“, erklärte der Mann, schnalzte mit der Zunge, um die Ochsen anzutreiben und rumpelte am Doktor vorbei.

„Das klingt ja wirklich interessant“, murmelte dieser und ging etwas schneller. Auch in der Stadt sah er überwiegend gutgelaunte Menschen und schnappte öfters Wortfetzen auf, die den wundertätigen Besucher des großen Klosters betrafen. Man pries sich glücklich, dass er gerade hierher gekommen war.

Deshalb wandte er sich erstaunt um, als eine laute, schimpfende Stimme hinter ihm erklang. Eine junge Frau stieß einen Seemann von sich. „Verschwinde endlich!“

„Hab dich doch nicht so. Bist ein hübsches Ding. Komm, ich lad‘ dich ein.“ Der Kerl packte ihren Arm und versuchte, sie mit sich zu ziehen.

Der Doktor packte dessen Hand und riss sie weg. „Sie haben es gehört. Lassen Sie sie in Ruhe.“

„He, ich war zuerst hier. Die Kleine gehört mir. Such dir eine andere.“

Die besagte ‚Kleine‘ stemmte zornig ihre Fäuste in die Seiten. „Du fängst dir gleich ein paar Ohrfeigen, du Rüpel. Hau ab, du bist betrunken!“

Endlich gab der Mann auf und marschierte leicht schwankend die Straße hinab zur Küste.

„Ich danke Ihnen, Fremder.“ Die Frau lächelte den Doktor an.

„Gern geschehen. Kommt so etwas öfter vor?“

„Leider ja. Eine Zeitlang sah es so aus, als würden sie verschwinden.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Aber jetzt ist das natürlich anders.“

„Was hat sich geändert? Und wer sind ‚sie‘?“

„Wissen Sie das nicht? Die Flotte meine ich. Seit Monaten sind sie hier. Manchmal laufen sie für einige Tage aus. Aber sie kehren immer wieder zurück. Die Mannschaften sind lästig, aber wirklich schlimm führen sich die Offiziere auf. Sie haben die Bauern gezwungen, einen Großteil der Ernte an sie abzugeben. Wir hatten keine Ahnung, wie wir den Winter überstehen sollten“, berichtete die junge Frau bereitwillig. „Vor ein paar Wochen gab es Gerüchte, sie würden endlich abziehen, da die Vorräte endgültig aufgebraucht seien. Es wäre eine Erleichterung gewesen. Gehungert hätten wir so oder so. Aber dann könnten die Kapitäne uns wenigstens nicht mehr drangsalieren. Dann kam der Heilige. Durch ihn haben wir jetzt mehr als genug zu essen. Allerdings bedeutet das auch, dass die Flotte bleibt.“

„Wann tauchte dieser Heilige denn auf?“

„Vor drei Wochen. Seitdem geschehen die Wunder.“

„Woher kam er?“

„Das weiß keiner. Er sprach mit den Mönchen und lebt seitdem in der Abtei. Niemand wird zu ihm gelassen. Aber die Priester fahren ihn jeden Tag über die Wege entlang der Äcker und er spricht geheimnisvolle Worte.“

„So, so! Danke, gute Frau“, meinte der Doktor. Er war sehr nachdenklich geworden. Mit Sicherheit steckte der Master hinter diesem Wunder. Was bezweckte er damit? Den Leuten ging es dadurch besser, was ganz gewiss nicht dessen Absicht war.

„Sehr seltsam“, murmelte er. „Wo ist denn dieses Kloster?“, fragte er.

„Dort, direkt an der Stadtmauer. Aber man wird Sie nicht hereinlassen.“

Er blickte in die Richtung und schwankte plötzlich. Hastig hielt er sich an einer Hauswand fest.

„Was haben Sie? Ist Ihnen nicht gut?“

Der Doktor öffnete die Augen wieder. Die junge Frau musterte ihn besorgt. „Äh, es ist alles in Ordnung“, antwortete er. Was war mit ihm los? Ein Schatten schien den Himmel zu verdunkeln, die Farben der Umgebung verblichen. Wieder schwindelte ihm. Er schüttelte den Kopf und blinzelte. Dann wurde ihm übel und alles um ihn herum schwarz.

Dumpf hörte er eine Stimme. Sie schien weit entfernt zu sein. „Langsam, Herr. Hier, trinken Sie! Es wird Ihnen guttun.“

Verdutzt blickte er auf. Vor ihm stand die Frau und hielt ihm einen Becher an die Lippen. Automatisch schluckte er die Flüssigkeit, warm und etwas blumig.

„Was …?“

„Kräutertee“, erklärte sie.

„Nein, ich wollte wissen, was passiert ist.“

„Sie wurden ohnmächtig. Zwei Männer halfen mir, Sie ins Haus zu bringen. Sie haben wohl länger nichts gegessen? Bleiben Sie sitzen!“, wurde sie energisch, als er sich hochstemmen wollte. „Sie benötigen noch ein wenig Ruhe. Ich mache Ihnen ein paar Brote. Danach geht es Ihnen bestimmt besser.“

Sie lächelte beruhigend und verschwand in einen Nebenraum. Der Doktor sah sich um. Er befand sich in einem kleinen, einfach eingerichteten Zimmer. Zwei Sessel, in einem saß er, ein Holztisch mit einem zierlichen Deckchen darauf und ein halbhoher Schrank waren die einzigen Möbel darin.

Mit einem Holzbrett in der Hand, tauchte seine Gastgeberin wieder auf. Darauf lagen zwei Schnitten. „Das essen Sie jetzt!“, befahl sie.

Er hielt es für das Klügste, ihr momentan den Willen zu lassen. „Sie wollen damit sagen, ich war völlig weggetreten?“, erkundigte er sich, während er in das Brot biss. Allerdings ließ sich anders kaum erklären, wie er hierhergekommen war.

Als sie nickte, murmelte er: „Ich werde nicht ohnmächtig.“

Sie lächelte nachsichtig. „Wer sind Sie eigentlich? Ich habe Sie in der Stadt noch nie gesehen.“

„Ich bin der Doktor.“

„Ein Heiler? Dann sollten Sie aber wissen, dass man regelmäßig essen muss. Ich heiße Clair Oswald“, stellte sie sich vor.

Er besann sich der allgemein üblichen Höflichkeit. „Ich möchte Ihnen danken, dass Sie mir geholfen haben, Clair.“

„Das ist doch selbstverständlich“, wehrte sie ab.

Er hörte kaum zu, sondern rief sich die letzten Momente, an die er sich erinnern konnte, ins Gedächtnis. Der Schatten, dann die Übelkeit.

Der Schatten!!

Der Doktor konzentrierte sich auf die überall vorhandenen Zeitlinien, die nur er erkennen konnte. Er ächzte unwillkürlich auf. Die einzelnen Verästelungen waren unscharf, die Verbindungen der Stränge gelockert. Sie schienen sich aufzulösen! Er musste sofort zur TARDIS und herausfinden, was hier vor sich ging.

„Ich muss gehen.“ Er sprang förmlich aus dem Sessel.

„Sind Sie sicher, dass Sie in Ordnung sind? Kommen Sie wieder?“

Mit gerunzelter Stirn musterte er sie. „Warum fragen Sie?“

Clair hob die Schultern. „Ich weiß es nicht. Aber ich möchte Ihnen helfen.“

„Nun. Vielleicht. Es ist möglich, dass ich noch Informationen brauche.“

„Ich weiß so ziemlich alles, was in der Stadt geschieht.“

„Auch über den Heiligen?“

Jetzt zogen sich ihre Augenbrauen zusammen. „Zumindest das, was allgemein bekannt ist. Er ist sehr geheimnisvoll.“

„Gut. Dann komme ich morgen früh zu Ihnen. Und nochmals vielen Dank für den Tee und die Brote.“

Er eilte hinaus und trabte im Laufschritt in der einsetzenden Dämmerung über die Wiesen. Jetzt war kaum noch jemand unterwegs, und er konnte seinen Gedanken nachhängen. Diese verblüffend gute Ernte war ganz sicher das Werk des Masters. Warum beeinträchtigte das die Zeitdimension derart stark?

Im Schiff holte er sich alle Daten dieser Zeit. Er befand sich tatsächlich in Eastbourne und zwar im Jahr 1066 n. Chr. Genauer gesagt, am 10. September dieses Jahres. Auf dem Monitor erschienen weitere Angaben. Hochkonzentriert studierte der Doktor sie.

Das war es! Die Schiffe! Das hatte der Master verändert. Natürlich ging es ihm nicht darum, den Menschen einen Hungerwinter zu ersparen. Eigentlich hätte König Harolds Flotte eigentlich schon am 08. September auslaufen sollen, um nach London zurückzukehren. Die Vorräte waren ausgegangen. Dadurch war die südliche Küste ungeschützt und der normannische Herzog Wilhelm konnte ungehindert in wenigen Wochen in Pevensey an Land gehen. Die Eroberung Englands durch ihn war eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte dieses Inselstaates – und ein Fixpunkt in der Zeit.

Der Doktor kniff die Augen zusammen, um besser nachdenken zu können. Die längere Anwesenheit der Flotte bedeutete eine Veränderung der Ereignisse. Unter Umständen wurde England gar nicht erobert! Er begann zu frösteln. An diesem Fixpunkt waren unzählige Zeitlinien verankert! Sie würden sich lösen, durcheinanderwirbeln. Das führte unweigerlich zu weiteren Katastrophen im Zeitgefüge. Unter Umständen wurde die gesamte Stabilität des Universums in Frage gestellt! Gut, das war die schlimmste Möglichkeit. Aber zumindest wäre die zukünftige Entwicklung dieses Planeten betroffen. Und die Menschheit beeinflusste irgendwann viele andere Welten, die dadurch ebenfalls verändert wurden. Eine Kettenreaktion würde beginnen! Wie konnte der Master so etwas in Gang setzen?!

Die Flotte musste zurück nach London segeln! Wie konnte er das erreichen? Jetzt, da die Versorgung der Mannschaften gesichert war, hatten die Kapitäne keine Veranlassung dazu.

‚Denk dir etwas aus‘, beschwor der Doktor sich selbst. ‚Es gibt immer einen Weg. Ich muss ihn nur finden.‘

Er wühlte sich durch weitere Informationen. Dann blitzten seine Augen auf. Das konnte funktionieren. Im Labor stellte er die notwendigen Mittel her. Die Bakterien mussten schnell wirken, durften aber auf keinen Fall eine so starke Erkrankung hervorrufen, dass die Männer daran starben. Er füllte mehrere Ampullen mit der klaren, geschmacklosen Flüssigkeit.

Am Morgen ging er in die Stadt zurück und klopfte an Clair Oswalds Haustür. Sie begrüßte ihn erfreut.

„Kann ich mit Ihnen etwas besprechen?“

„Natürlich! Kommen Sie herein.“

„Sie wollen doch, dass die Flotte verschwindet“ begann er. „Ich möchte das ebenfalls, wenn auch aus anderen Gründen. Doch es ist sehr wichtig und muss so bald wie möglich geschehen. Helfen Sie mir dabei?“

Clair überlegte keine Sekunde. „Ja! Was soll ich tun?“

Er erklärte es ihr. „Wie schwierig wird das für Sie?“

„Das ist einfacher, als sie denken. Die Mannschaften gehen meist ins ‚Old Hell Path‘. Ich helfe dem Wirt oft, wenn viel los ist.“

„Das passt hervorragend. Sie müssen nur darauf achten, dass ausschießlich die Seeleute das Zeug trinken. Wissen Sie auch, wo die Kapitäne und Kommandanten sich amüsieren?“

„Ebenfalls dort, aber natürlich nicht in der eigentlichen Schenke. Es gibt im ersten Stock gemütliche Räume, in denen sie essen und Karten spielen können.“

„Wer bedient dort?“

Clair überlegte. „Ich könnte sicher erreichen, dass ich zwischendurch auch oben arbeite.“

„Das wäre sehr gut. Ich kümmere mich um die anderen Einzelheiten. Wenn alles klappt, verlassen die Schiffe in spätestens drei Tagen die Häfen.“ Nachdenklich blickte er ihr ins Gesicht. „Warum machen sie das eigentlich? Sie kennen mich nicht und doch unterstützen Sie mich, ohne zu fragen.“

Sie hob die Schultern. „So genau kann ich das nicht sagen. Aber ich vertraue Ihnen. Irgendwie tief in mir drinnen weiß ich, dass ich Ihnen helfen muss.“

„Dann los!“, bestimmte er.

Bis zum Abend kursierten in der Stadt Gerüchte über schwere Erkrankungen in mehreren Dörfern weiter im Landesinneren. Es sollte auch schon Tote gegeben haben. Vermutlich sei es die Ruhr. Noch heimlicher und nur hinter vorgehaltener Hand wurde darüber gemunkelt, dass die Seuche an den Orten auftrat, die der Heilige angeblich besucht hätte, bevor er in die Stadt kam.

Schon bevor es dunkel wurde, war das Gasthaus ‚Old Hell Path‘ in der Nähe des Hafens brechend voll. Die Seeleute verlangten brüllend nach mehr Bier. Clair eilte von Tisch zu Tisch und knallte die schweren Krüge darauf. In dem Gedränge fiel es niemandem auf, dass sie immer wieder ein paar Tropfen aus den kleinen Ampullen in die Getränke gab.

Der Doktor hatte sich in eine Ecke verzogen und beobachtete alles. Nach einiger Zeit kam Clair zu ihm und flüsterte: „Ein Glücksfall. Die Kapitäne sind mit dem Essen fertig und verlangen nun ebenfalls nach Bier. Der Wirt lässt ihnen ein ganzes Fass heraufbringen. Ich gehe mit. Dabei finde ich gewiss eine Gelegenheit, das Zeug hineinzuschütten. Aber wie viel?“

„Nehmen Sie ein ganzes Fläschchen“, ordnete er ebenso leise an. „Was machen die Gerüchte?“

„Ich höre sie von vielen. Aber die Leute hüten sich, etwas laut zu sagen. Der Heilige wird von den Priestern geschützt. Solange niemand hier krank wird, traut sich garantiert keiner, ihn mit der angeblichen Seuche in Verbindung zu bringen.“

„Das wird sich ändern, keine Sorge. Ich kümmere mich morgen darum. Dann sollten die meisten der Flottenangehörigen schon Fieber haben.“

Er verließ die Schenke und schlich in der Dunkelheit zur TARDIS. Kurze Zeit später materialisierte sie in der Kabine des obersten Befehlshabers der Flotte. Der Doktor legte einen Brief auf dessen Schreibtisch.

‚Der Heilige ist in Wirklichkeit ein Bote des Teufels. Auf seinem Weg nach Eastbourne verbreitete er in vielen Dörfern die Ruhr. Die Seuche dringt langsam bis zur Küste vor. Er wird auch hier die Krankheit auslösen. Wenn nicht rasch Gegenmaßnahmen ergriffen werden, sterben viele Eurer Männer. Der Fremde ist ein Handlanger eines Feindes von Euch, der Eure Karriere zerstören will. Er hat einflussreiche Freunde bei König Harold und wird behaupten, Ihr trüget die Schuld an dem Geschehen. Ihr hättet Euren Leuten verseuchtes Wasser gegeben. Geht in London zu Henry Myghount. Er besitzt ein Heilmittel.‘

Wenn die ersten Symptome der Ruhr auftraten, glaubte der Kommandant den Zeilen sicher. Dem Quacksalber in Londen, der sich selbst als Heiler und Bader bezeichnete, würde der Doktor rechtzeitig vor dem Eintreffen der Flotte dort das Gegenmittel geben. Damit wurden die Leute rasch wieder gesund.

In der Morgendämmerung stand er schließlich vor der Klostermauer. Er kletterte hinüber und schlich durch den Garten. Der kleine Scanner in seiner Hand zeigte ihm, hinter welchem Fenster der Master zu finden war. Lautlos stieg er ein. Im Zimmer war es noch fast dunkel, aber auf dem Lager erkannte er eine Gestalt. Er zünderte mehrere Kerzen an.

„Master! Wach auf!“

Ein Gähnen, dann schimpfte eine mürrische Stimme: „Was ist denn? Lass mich gefälligst ausschlafen.“ Einen Augenblick war ein Keuchen zu hören. Der Master warf die Decke von sich und fuhr hoch. „Was … Wer? Du?“ Er starrte den Doktor ungläubig an. „Du kannst nicht hier sein. Du bist gefangen!“

„In der Zeitenergie? Ja, war ich. Aber nicht so lange, wie du anscheinend gehofft hast. Bist du wahnsinnig geworden? Du versuchst einen Fixpunkt der Zeit zu verändern! Du weißt, wie schlimm die Folgen sind“, warf dieser ihm an den Kopf.

„Es wird nur die Erde betreffen“, erwiderte der Master. Nun schien er endgültig wach zu sein. Seine Stimme veränderte sich und troff förmlich vor Bosheit. „Aber die Menschheit, die du so sehr liebst, wird natürlich darunter leiden. Alles entwickelt sich anders und ich versichere dir, nicht zum Besseren. Es spielt keine Rolle, dass du entkommen konntest. Es hat schon angefangen und lässt sich nicht mehr verhindern.“

„Das werden wir sehen“, gab der Doktor zurück. „Für dich allerdings ist das Spiel zu Ende. Die Leute werden dich nicht mehr als Heiligen ansehen, sondern als Gesandten des Teufels. Vielleicht weißt du, wie die Menschen dieser Zeit darauf reagieren. Du solltest verschwinden, bevor sie dich auf dem Scheiterhaufen verbrennen.“

„Quatsch! Warum sollten sie? Sie verehren mich.“

„Dann bleib von mir aus hier. Aber beschwere dich nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“ Der Doktor wartete keine Antwort ab, sprang wieder aus dem Fenster und versteckte sich im Garten.

Es dauerte nicht lange, bis der Master in einen der Schuppen rannte. Der Doktor grinste. Er hatte also herausgefunden, dass fast alle Seeleute schlagartig krank geworden waren. Vermutlich wurden auch die Gerüchte inzwischen nicht mehr nur geflüstert.

Dieses Problem war also erledigt, der Master verließ die Erde. Die TARDIS würde seinen Flug verfolgen. Der Doktor schlenderte in die Stadt zurück. Auf dem Wasser konnte er Segel sehen. Hatte sich die Flotte so früh schon auf den Weg gemacht? Innerlich jubilierte er. Als er die ersten Häuser erreichte, erkannte er die Menschengruppen, die sich auf den Plätzen und Wegen bildeten. Alle redeten von dem Fremden, der reiche Ernte versprochen und stattdessen eine tödliche Seuche gebracht hatte. Perfekt! Fast hätte er sich selbst auf die Schultern geklopft.

„Doktor!“ Clair eilte auf ihn zu. „Sind Sie verrückt? Wieso stehen Sie hier so sorglos herum? Wissen Sie denn nicht, dass die Priester Sie suchen?“

„Nanu? Warum das denn?“

„Der Heilige ist fort. Es heißt, er sei getötet worden. Man hat Sie bei der Abtei gesehen. Die Mönche behaupten, Sie hätten ihn verflucht und Lügen über ihn erzählt. Sie wollen Sie zur Rechenschaft ziehen.“ Sie stieß einen leisen Schrei aus. „Schnell! Da kommen sie schon. Sie hetzen die Leute gegen Sie auf. Sehen Sie doch!“

Eine Gruppe Männer lief ihnen entgegen. Schreie wurden laut: „Da ist er! Der Mörder! Tötet ihn! Er hat den Heiligen umgebracht!“

Damit hatte er nicht gerechnet.

„Schnell, zu mir!“ Clair rannte los und der Doktor hinter ihr her. Im Haus verrammelte sie den Eingang und schob mit erstaunlich viel Kraft einen Schrank davor. „In die Küche! Durch die Gärten können Sie fliehen, ohne gesehen zu werden.“

Doch als sie den schmalen Hinterausgang aufriss, bewegte sich eine tobende Menge durch die Büsche und Beete auf das Haus zu.  „Da! Sie hilft ihm. Sie ist eine Hexe!“

Clair warf die Tür wieder zu und schob den Riegel vor. „Lange wird sie das nicht aufhalten.“ Sie zerrte Tisch und Stuhl weg. Dann bückte sie sich und hob eine Falltür hoch. Der Doktor starrte in ein dunkles Loch, nur die ersten Stufen waren erkennbar.

„Rasch, gehen Sie hinunter! Unten finden Sie Fackeln. Der Gang führt zu der alten Mühle.“

Schwere Schläge donnerten gegen beide Hauseingänge.

„Sie können nicht hierbleiben, Clair! Kommen Sie mit mir, ich kann Sie beschützen.“ Der Doktor zog sie mit sich die Treppe hinunter.

„Nein! Dann folgen sie uns!“ Clair versuchte, seine Hand abzustreifen, aber er hielt sie fest. Schließlich gab sie ihren Widerstand auf und zeigte in eine Ecke. „Dort! Zünden Sie eine der Fackeln an.“

Der Doktor tastete sich an der Wand entlang und fand die dicken Hölzer. Er hörte Schritte und wandte sich um. Clair huschte die Stufen hinauf.

„Nein! Bleiben Sie hier!“

Aber sie war schon oben und packte die Falltür. Kurz sah sie ihm in die Augen. „Lauf! Lauf, du kluger Mann – und vergiss mich nicht.“

Die Klappe schloss sich. Der Doktor stand im Stockdunkeln. Gleich darauf krachte es. Anscheinend hatte die Meute die Haustür aufgebrochen. Der Lärm wurde immer lauter, dann erscholl ein gellender, hoher Schrei, der abrupt abbrach.

Er senkte den Kopf. „Clair“, flüsterte er voller Schmerz. „Warum hast du das gemacht?“

 Langsam, als ob es ihn große Kraft kosten würde, brachte er die Fackel zum Brennen und tapste so leise wie möglich durch den niedrigen Gang. Nach einer Weile wurde es vor ihm heller. Er bohrte die Flamme in den Boden, damit sie erstickte, und schlich hinaus. Dornenbüsche verbargen den Ausgang und zerkratzten ihm die Arme. Dann stand er in dem ehemaligen Hof einer Mühle, die halb verfallen war.

Er machte sich auf den Weg zur TARDIS, wobei er sehr darauf achtete, von niemandem gesehen zu werden. Zuerst überflog er den Hafen. Es war kein Schiff mehr zu sehen. Die Flotte war also tatsächlich auf dem Weg zurück nach London. Die geschichtlichen Ereignisse konnten wieder so verlaufen wie sie sollten. Er öffnete seine Sinne für das Zeitkontinuum. Auch hier war alles in Ordnung, die Auflösungserscheinungen gab es nicht mehr.

„Danke, Clair“, sprach der Doktor in die leere Luft.

Er wollte nur noch nach Hause. Aber ein kurzer Zwischenstopp in London war noch nötig, um dem Heiler das Mittel gegen die Ruhr zu geben. Er brauchte nicht lange dafür. Dann gab er mit einem tiefen Atemzug die Koordinaten von Gallifrey ein. Schließlich wartete Aluanin mit dem Tee auf ihn. Anschließend würde er mit dem Hohen Rat über den Master reden. Sie mussten endlich ernsthafter dafür sorgen, dass dieser nicht überall Schrecken und Leid verursachte.

 

Eine Verschwörung

In dem großen Raum unter den gläsernen Kuppeln der Zitadelle befanden sich nur zwei Personen. Der Doktor stand der Kanzlerin Flavia gegenüber. Seine Miene war ruhig, aber gleichzeitig forschend.

„Ich habe einen Auftrag für Euch, Doktor. Es ist sehr wichtig. Ihr sollt jemanden suchen und nach Gallifrey zurückbringen.“

Stumm wartete er ab.

„Wir wissen nicht genau, wo er sich befindet. Sehr wahrscheinlich im System von Serkalinum.“

„Das System der vierzehn Monde.“

Flavia nickte.           

„Warum ich? Und was ist so problematisch, dass Ihr Euch derart vage ausdrückt? Um wen handelt es sich?“ Langsam wurde der Doktor ungeduldig.

„Ihr seid vertrauenswürdig! Seit über fünf Jahrzehnten könntet Ihr ein Mitglied des Hohen Rates sein. Das wisst Ihr genau.“

Wie immer wies er dies weit von sich. Es mochte eine Ehre sein, doch er wollte sie nicht. Zu oft gefielen ihm die Entscheidungen des Rates nicht.

Ohne auf seine Abwehr einzugehen, sprach die Kanzlerin weiter: „Es geht um das Projekt Revenant. Ihr wurdet darüber informiert, obwohl es absolut geheim ist.“

Der Doktor schürzte die Lippen. Wenn es darum ging, würde er kaum mitmachen. Aber natürlich erinnerte er sich an diese Idee. Zu Beginn der Timelordära hatten die Gallifreyer wesentlich mehr Wissen besessen als heute. Die damaligen größten und klügsten Köpfe waren in der Matrix gespeichert. Jetzt gab es Überlegungen, jene Timelords wieder zum Leben zu erwecken.

„Ihr wisst, dass ich dieses Vorhaben ablehne. Es ist falsch, längst Verstorbene ins Leben zurück zu zwingen. Ihre Körper sind vergangen. Das kann niemals funktionieren. Eine Regeneration ist nicht mehr möglich.“ 

„Es gibt Lösungsansätze dafür. Nun stellte es sich jedoch heraus, dass es eine Verschwörung gibt, die vorhat, nur Rassilon, den Begründer des Timelordzeitalters, aus der Matrix zu holen.“

„Was wollt Ihr nun genau von mir? Welche Verbindung hat das System der vierzehn Monde mit Revenant?“

„Der Master ist dorthin geflohen. Wir wollten ihn befragen. Er weiß vermutlich über diese Verschwörung Bescheid.“

„Der Master!“ Nicht nur sein schlagartig finsteres Gesicht, auch sein Tonfall drückte deutlich seine Ablehnung aus

„Doktor, Ihr seid der Einzige, der ihn finden und zurückbringen kann. Ich weiß natürlich, wie ihr zueinander steht.“ Die Kanzlerin bemühte sich um einen versöhnlichen Tonfall. „Ihr wisst, dass der Master nach seiner Flucht damals hart bestraft wurde. Aber seine Arbeit ist geradezu genial. Hier in der Zitadelle kann er kein Unheil anrichten.“

„Offensichtlich doch!“ Der Doktor zog die Augenbrauen zusammen. „Denn sonst würden wir dieses Gespräch nicht führen. Der Master hat versucht, einen dicht besiedelten Planeten zu vernichten, indem er einen Fixpunkt der Zeit veränderte. Ein Verbrechen, das normalerweise die Auslöschung bedeutet! Doch als einzige Konzequenz verbot man ihm – zum wiederholten Male –, Gallifrey zu verlassen. Warum wurden keine strengeren Maßnahmen ergriffen?“

„Das haben wir versucht. Seine Gönner sind einflussreich und verhinderten es.“ Flavia seufzte. „Und ich muss zugeben, wir waren zu nachsichtig. Es gibt nicht viele Timelords mit einer ähnlich überragenden Begabung. Ich selbst stimmte gegen eine Persönlichkeitslöschung, um seinen Verstand für uns zu erhalten. Aber ich tat alles, um ihn zu kontrollieren. Was offensichtlich nicht genug war.“

„Dann erklärt mir endlich, warum der Master verschwand. Falls das bekannt ist.“ Es kümmerte ihn nicht, dass der Kanzlerin sein harscher Ton überhaupt nicht gefiel. Der Master war eine Gefahr für andere Völker. Gleichgültig wie brillant er war – was der Doktor noch nie geleugnet hatte.

„Wie ich schon sagte, der Master weiß über diese Verschwörung mit großer Wahrscheinlichkeit Bescheid. Wir müssen von ihm erfahren, wer dahintersteckt und was genau geplant wird. Er sollte darüber befragt werden und nutzte diese Gelegenheit, um zu fliehen. Er hinterließ eine Botschaft. Deshalb müsst Ihr ihn so rasch wie möglich finden und herbringen.“

Das Lächeln des Doktors war reiner Sarkasmus. „Lasst mich raten. Er will nicht reden.“

„Nein! Er erklärte, er würde lieber sterben, als uns sein Wissen mitzuteilen. Wenn er seine Drohung wahrgemacht hat, muss eine Regeneration eingeleitet werden. Wir benötigen also auf jeden Fall seinen Körper.“

Beinahe hätte der Doktor gelacht. Das war typisch für den Master. Er glaubte nicht einen Moment lang, dass dieser tatsächlich sein Leben wegwerfen würde. Der Master wollte leben – unter allen Umständen.

Er hatte große Lust abzulehnen. Sollte der Rat den Mist, den die sich eingebrockt hatten, doch ein einziges Mal selbst auslöffeln. Dann stahl sich ein anderer Gedanke in seinen Kopf. Die führenden Persönlichkeiten, allen voran die Kanzerlin wären ihm verpflichtet.

„Gut, ich suche ihn. Aber alleine.“

„Wir würden es vorziehen …“

„Ich sagte: alleine! Ich brauche niemanden, der mir erklärt, was ich darf und was dem Hohen Rat nicht gefällt.“

Ein paar Sekunden lang funkelte die Kanzlerin ihn an, doch der Doktor blieb hart. Ganz leise seufzte sie wieder. Er hörte die Resignation darin und atmete heimlich auf. Er wusste auch, weshalb sie ihm einen genervten Blick zuwarf. Oft genug hatte er schon gehört, dass man ihn – natürlich nur hinter seinem Rücken – als ebenso schwierig bezeichnete wie den Master, nur auf eine andere Art. Erneut huschte ein Lächeln um seinen Mund. Die Mitglieder des Hohen Rates bedauerten immer noch, dass es den leicht zu beeinflussenden Timelord, der er in seinen jungen Jahren gewesen war, längst nicht mehr gab. Er ordnete sich nicht mehr unter!

„Wenn Ihr darauf besteht … Aber bringt den Master zurück, egal wie.“

„Ich habe eine Bedingung!“

„Noch eine?“ Ihre Verärgerung interessierte ihn nicht. Sie brauchten ihn und würden ihm entgegenkommen müssen.

„Niemand versucht, Siusarn wegzubringen!“

„Wie kommt Ihr darauf?“ Zu seinem Erstaunen wirkte Flavias Verblüffung echt. „Das Kind gehört zu Atara. Selbstverständlich werden Mutter und Tochter nicht getrennt.“

„Ich weiß, dass es Bestrebungen gibt, Atara dazu zu zwingen, mit ihrer Tochter Gallifrey zu verlassen.“

Nun wurde die Kanzlerin verlegen. Dieses Kind, halb Gallifreyerin, halb irdischer Mensch, hatte zu vielen Debatten geführt. Es gab viele, die nicht damit einverstanden waren, dass der Doktor seine schwangere – von einem Menschen schwangere – Tochter zurück nach Gallifrey gebracht hatte.

„Diese Bedenken sind längst zerstreut“, erklärte sie schließlich. „Eure Enkelin fügt sich ohne Probleme in unsere Gesellschaft ein. Es ist nicht zu bemerken, dass sie menschliche Gene in sich hat. Ich versichere Euch, dass weder Eure Tochter noch das Kind von Gallifrey vertrieben werden. Sie gehören hierher.“

„Gebt mir das als offizielle Stellungnahme!“

Erst als er diese hatte, verließ der Doktor die Akademie. Er war mit seinem kleinen Sieg sehr zufrieden. Seine Gefährtin Aluanin umarmte ihn, als sie davon erfuhr. „Ich sage es gleich Atara. Sie wird froh sein, dass Siusarn endlich anerkannt wird. Viel Glück auf deiner Reise.“

Die TARDIS war frisch gewartet. Der Doktor programmierte den Kurs und zusätzlich eine Suche nach dem Master. Vielleicht fand die TARDIS heraus, wo er sich aufhielt und brachte ihn gleich an den richtigen Ort. Denn das System der vierzehn Monde war groß. Es gab alleine vier bewohnte Planeten, ganz abgesehen von den Monden. Die humanoiden Abkömmlinge des Planeten Serkalinum besiedelten schon seit Jahrhunderten alle Himmelskörper des gesamten Systems. Wo keine Atmosphäre existierte, gab es riesige Kuppeln auf den Oberflächen oder unterirdische, bewohnbare Bereiche.

Das Schiff materialisierte am Rand eines großen Platzes. Der Doktor kontrollierte die Sensoren, doch sie hatten den Master nicht orten können. Dennoch musste es einen Grund geben, waurm sein Schiff hier gelandet war. Er ging hinaus. Es war hell, obwohl es keine erkennbare Sonne gab. Die Hülle der stadtgroßen Kuppel ersetzte auf dem zweitgrößten Mond dieses Systems die Lichtquelle.

Es war recht belebt hier. Der Doktor schlenderte ziellos umher und sah sich dabei aufmerksam um, ohne etwas zu entdecken, das von Interesse gewesen wäre. Hin und wieder warf einer der Serkaler ihm einen neugierigen Blick zu. Er fuhr sich mit den Händen über den Kopf. Sein grauer Schopf, in dem sich nur noch wenige Strähnen mit der ursprünglichen hellbraunen Farbe zeigten, fiel hier auf. Die Serkaler besaßen rötliche Haare, allerdings in allen nur möglichen Schattierungen.

„Ein angenehmes Tagewerk wünsche ich.“

„Das wünsche ich ebenfalls“, gab der Doktor den hier üblichen Gruß zurück.

Die junge Frau, die ihn angesprochen hatte, lächelte schüchtern. „Ich möchte nicht aufdringlich sein, aber kommst du von den äußeren Monden? Wegen deiner Haare“, fügte sie erklärend hinzu. „Ich hörte, dass es dort üblich ist, andere Farben zu tragen. Es sieht originell aus.“

Der Doktor nickte bestätigend. Es würde vieles einfacher machen, wenn man ihn für einen Einheimischen hielt. Obwohl die Serkaler Raumfahrt kannten, mieden sie Kontakte mit anderen Völkern und schätzten Besucher nicht allzu sehr.

„Vielleicht kannst du mir helfen“, bat er. „Ich kenne mich leider nicht aus. Eigentlich sollte ich hier jemanden treffen. Aber er ist nicht gekommen.“

„Zu wem willst du denn?“

„Wenn ich das so genau wüsste. Kennst du diesen Mann vielleicht?“ Er zeigte ihr ein Bild des Masters. „Oder jemanden, der sich Master nennt?“

Bedauernd schüttelte die junge Frau den Kopf.

„Gibt es jemanden“, forschte der Doktor weiter, „der sich für andere Sonnensysteme, Planeten, fremde Völker oder Raumfahrt interessiert?“

Ihr Gesicht hellte sich auf. Dann runzelte sie die Stirn. „Ja! Doch er ist ein Einsiedler und hat kaum Kontakt mit anderen. Bist du sicher, dass du zu ihm möchtest? Er ist, naja, ein wenig seltsam.“

Der Master … ein Einsiedler? Das konnte der Doktor sich nun gar nicht vorstellen.

Seine neue Bekannte sprach weiter: „Er heißt Chronotis und lebt praktisch in den Studierhallen. Es gibt Leute, die behaupten, er wäre schon seit Jahren nicht mehr dort hinausgekommen.“ Sie lachte. „Aber ich glaube, so verrückt ist niemand.“

„Chronotis ist hier?“ Das wäre zumindest eine Erklärung, warum die TARDIS diesen Mond gewählt hatte. Vielleicht konnte er von ihm etwas über den Master erfahren.

Dieser Timelord war eine Legende. Älter als jeder andere, lebte er meist für sich. Seit vielen Jahrhunderten arbeitete er als Kurator im Panoptikum auf Gallifrey, behütete und studierte die längst vergessenen Artefakte. Der Doktor wunderte sich darüber, dass der Mann Gallifrey und seine einsame Arbeit aufgegeben hatte.

Die hilfsbereite, junge Frau zeigte ihm den Weg und der Doktor stieg schon bald die Stufen zu den Universitätshallen hinauf. Serkaler studierten so gut wie alles. Jeder konnte, wann immer er wollte, sein Wissen in den unzähligen Vorlesungen und Seminaren vergrößern oder alleine für sich selbst lernen und forschen. Ein paar weitere Fragen brachten den Doktor in einen abgelegenen Teil des riesigen Geländes. Er klopfte an eine schwere Holztür.

Ein missmutiges „Wer stört denn da? Verschwinde, ich möchte meine Ruhe haben!“, ertönte.

Der Doktor grinste, öffnete die Tür und trat ein. Ein zerfurchtes Gesicht wandte sich ihm zu. Der Mann hatte wirres, hellrotes Haar. Seine gebeugte Gestalt zeigte ebenfalls sein Alter an.

„Was …“ Chronotis verschluckte den Rest seiner Frage und sah seinen Besucher mit großen Augen an. „Wer bist du?“

„Der Doktor. Ich wundere mich sehr, dass Ihr hier seid. Ich vermutete Euch noch immer im Panoptikum. Es wurde nie darüber berichtet, dass Ihr es verlassen habt.“

Der alte Timelord warf einen Blick auf die immer noch offene Tür. „So, so. Schließ den Eingang und halte dich gefälligst an die hier übliche Sprechweise. Hat dir niemand beigebracht, dass man sich den Völkern, die man besucht, anpassen soll?“

„Doch, hat man.“ Der Doktor befolgte gehorsam den Befehl. „Aber du bist ebensowenig ein Serkaler wie ich.“ Er zuckte mit den Schultern. „Dennoch hast du natürlich recht.“

„So, so. Was willst du hier? Wieso störst du mich? Kann man nicht in Ruhe seine Studien durchführen, ohne sofort belästigt zu werden?“ Chronotis wandte um und schlurfte zu dem großen, nein, eher riesigen Tisch zurück, der über und über mit Papieren, Zeichnungen, Bildern und den verschiedensten Gerätschaften bedeckt war.

„Tut mir leid“, entschuldigte der Doktor sich, ohne es ernst zu meinen. „Vielleicht kannst du mir helfen. Ich suche den Master. Er ist irgendwo in diesem System. Weißt du etwas darüber?“

„Der Master! So, so. Wieso suchst du ihn denn?“

„Ich muss mit ihm reden.“

„Reden? So, so. Nur reden?“

„Vielleicht nicht nur“, gab der Doktor zu.

„Willst du ihm helfen?“ Chronotis Blick wurde durchdringend.

„Wobei?“

„Sag du es mir.“

Der Doktor schmunzelte anerkennend. Der alte Timelord würde garantiert nicht ein Wort mehr sagen, als er wollte. Hier kam er mit seiner üblichen Taktik nicht weiter.

„Ich muss ihn finden. Wenn du etwas weißt, dann sag es mir, bitte. Der Master besitzt Wissen, das wichtig ist. Und vielleicht auch gefährlich.“

„Gefährlich wohl kaum“, erwiderte Chronotis. Die dazugehörige Geste zeigte sehr deutlich seine Geringschätzung. „Revenant ist meiner Meinung nach zum Scheitern verurteilt. Das funktioniert nie. So, so. Rassilon ist tot und wird es bleiben.“

„Du weißt also davon. Wo finde ich den Master?“

Ein Seufzen war die Antwort. Chronotis setzte sich ächzend in den großen Sessel hinter dem Tisch und musterte den Doktor. Er schüttelte den Kopf. „Sag mir erst, ob du ihm helfen willst, oder ihn behindern – und lüg mich nicht an.“

„Weder noch.“ Der Doktor sah sein Gegenüber ebenso aufmerksam an. Dann entschied er sich. „Ich möchte … ich soll ihn nach Gallifrey zurückbringen. Der Hohe Rat will wissen, was er über Revenant weiß und ob deswegen eine Verschwörung existiert. Es gibt Gerüchte, dass manche versuchen, dies nur bei Rassilon durchzuführen.“

„Das wäre die größte Dummheit, die ihr machen könntet. Glaubt der Rat wirklich, Rassilon würde keinen Weg finden, wieder der Höchste zu werden?“

„Der Hohe Rat will das nicht, aber andere vielleicht.“

Chronotis kniff die Augen zusammen. „Das kann sogar sein“, murmelte er vor sich hin. „So, so. Das würde manches erklären. Warum suchst du ausgerechnet den Master?“, wollte er wissen.

„Weil er vermutlich Näheres darüber weiß“, wiederholte der Doktor. Inzwischen wurde es mühsam, seine Ungeduld zu verbergen.

„Ihn zu finden, wird schwierig werden“, erklärte der alte Timelord. Seine bisherige Abwehr machte einer Bereitwilligkeit Platz, die den Doktor völlig überraschte. Er blinzelte und hatte Mühe, dem Wortschwall zu folgen. „Er war hier, hat mir einen Haufen Fragen gestellt. So, so. Dann verschwand er ziemlich eilig. Ein paar Typen waren hinter ihm her. Serkaler, um genau zu sein. Sah für mich so aus, als hätte er sie ziemlich verärgert.“

„Wie sehr verärgert?“

„Sie trugen Waffen und sahen sehr ernst aus.“

„Nur die Ordnungshüter sind bewaffnet. Was hat er da wieder angestellt?“

„Woher soll ich das wissen? Sie fragten mich, seit wann ich ihn kenne. Ich habe ihnen wahrheitsgemäß gesagt, dass ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. So, so. Sie wollten sich zwar noch weiter nach allem Möglichen erkundigen, aber ich hatte keine Lust mehr, mit ihnen zu reden. Es ist nicht gut, Aufmerksamkeit zu erregen. Ich möchte hier noch eine Weile forschen. Das würden sie kaum gestatten, wenn sie herausfinden, dass ich kein Serkaler bin.“

„Wie bist du sie losgeworden?“

„Ach“, Chronotis lächelte und sah plötzlich unglaublich einfältig aus. „Wenn ich möchte, kann ich reichlich dumm wirken. So, so. Sie wissen, dass ich ein alter Mann bin und hielten mich wohl für etwas senil.“ Er grinste, dann runzelte er die Stirn. „Apropos senil. Ich glaube, ich habe dich nicht einmal gefragt, ob du Tee möchtest. Schmeckt sehr gut. Ein hiesiges Gebräu aus Wasser und gewissen Kräutern.“

Er wartete keine Reaktion des Doktors ab, stand auf und verschwand in einem Nebenraum. „Dauert nicht lange“, erklärte er dabei.

„Was ist mit diesen Serkalern? Und wo ist der Master jetzt?“, rief der Doktor ihm hinterher.

„Was?“

„Der Master und die Serkaler!“

„Du brauchst nicht zu schreien, als sei ich taub, mein Junge. Ich habe alle meine Sinne noch beisammen“, beschwerte Chronotis sich und kam mit einem Tablett zurück.

Der Doktor zwang sich zur Ruhe und nahm eine der Tassen. Das Zeug war heiß und scharf.

„Gut, nicht wahr?“

„Hm.“ Er sollte vielleicht lieber nicht sagen, dass er das Gebräu am liebsten ausspucken würde. „Weißt du, wo der Master sich aufhält?“ Langsam kam er sich vor, wie eine sich immer wiederholende Bandaufnahme.

„Ich vermute, auf dem fünften Mond. Dort gibt es unterirdische Lebensbereiche. Und niemand stellt Fragen, wo man herkommt oder hingeht.“

„Danke!“ Der Doktor stand auf. „Dann werde ich dich nicht mehr belästigen.“ Er wandte sich zur Tür.

„Doktor!“

Erstaunt blickte er zurück. Chronotis‘ Tonfall war regelrecht beschwörend.

„Pass auf dich auf! Rassilon ist ein guter Führer gewesen – damals. Aber sein Hauptziel war immer die eigene Macht. Diejenigen, die ihn wieder an der Spitze von Gallifrey sehen wollen, sind genauso.“

„Ich werde daran denken. Danke, Chronotis!“

In Gedanken versunken ging er über den Platz zurück. Weshalb hatte der Master die Einheimischen gegen sich aufgebracht?

„Geh weiter!“, erklang eine Stimme hinter ihm.

„Was?“ Ehe er sich umdrehen konnte, traten zwei Serkaler rechts und links neben ihn.

„Mach keinen Ärger – Fremder!“ Das letzte Wort kam sehr betont.

Beeindruckt sah der Doktor die beiden Ordnungshüter an. „Und ich dachte, ich falle nicht auf. Was wollt ihr denn von mir? Ich weiß, dass ihr nicht gerne Kontakt mit anderen Völkern habt. Aber es ist doch kein Verbrechen, zu euch zu kommen.“

„Wir überwachen Besucher. Du bist heimlich hier und zudem ein Dieb!“

„Wie bitte? Moment, das kann nur ein Irrtum sein.“

„Wir beobachten dich seit Tagen.“

„Na also!“ Der Doktor lächelte gewinnend. „Ich bin heute erst gekommen. Ihr verwechselt mich.“

„Das wird sich herausstellen.“

Anscheinend waren die beiden gegen Freundlichkeit immun. Sie erreichten nun eines der Gebäude erreicht. Mit einem Aufzug ging es nach unten. Auch auf diesem Mond waren viele Räume unterirdisch angelegt, der Platz an der Oberfläche war begrenzt.

Der Doktor versuchte mehrmals, weitere Informationen zu erhalten. Aber seine Begleiter reagierten nicht mehr darauf und blieben stumm. Nach einem längeren Marsch durch schmale Gänge wiesen sie ihn mit einer Kopfbewegung in einen Raum. Er zuckte mit den Schultern und trat ein.

Drei Männer erwarteten ihn. In ihren Augen erkannte er Zorn. Einer hatte sogar die Hände zu Fäusten geballt. Ein anderer, ein großer Mann in der uniformähnlichen Kleidung der Ordnungshüter ging einen Schritt auf ihn zu: „Wo ist das Schwarze Feuer? Wie kannst du es wagen, hierherzukommen und uns zu bestehlen?“

„Moment mal! Immer mit der Ruhe“, wehrte der Doktor ab. „Du verwechselst mich. Ich bin heute erst angekommen und habe keine Ahnung, wovon du redest. Was ist dieses Schwarze Feuer?“

„Du lügst. Wir mögen keine Fremden bei uns. Und jetzt zeigt sich wieder, wie recht wir damit haben. Ihr seid völlig respektlos.“ Die Stimme desjenigen mit den Fäusten überschlug sich vor Wut. Er war deutlich kleiner und trug einen dunklen Umhang.

„Das ist nicht wahr. Ich achte jedes Volk und versuche immer, mich den jeweiligen Gepflogenheiten anzupassen. Wieso glaubt ihr überhaupt, dass ich dieses Feuer gestohlen hätte?“

„Es war ein Fremder. Vor einigen Tagen war er bei dem alten Gelehrten in den Studierhallen. Warum sollte heute ein anderer Fremder zu ihm gehen? Du bist derjenige! Ihr seid vom gleichen Volk. Bisher interessierte der Alte uns nicht. Wir duldeten ihn, da er harmlos erschien. Zumindest dachten wir das.“

Der Doktor grinste. Chronotis hatte sich wohl gründlich getäuscht, wenn er glaubte, man hätte ihn nicht durchschaut. „Er ist harmlos. Er möchte bei euch nur forschen. Und ich war heute das erste Mal bei ihm. Fragt ihn doch.“ Gleichzeitig hatte er Mühe, seine Wut nicht zu zeigen. Anscheinend verwechselte man ihn mit dem Master.

„Wie heißt du?“

„Die Frage hättet ihr auch eher stellen können. Ich bin der Doktor.“

„Er nannte sich anders“, überlegte der Uniformierte. 

Der kleinere Mann neben ihm schnaubte abfällig. „Er lügt!“

„Das können wir herausfinden.“ Der Ordnungshüter wandte sich wieder an den Doktor. „Du hast recht. Trotz des unverschämten Diebstahls sollten wir einen gewissen Anstand bewahren. Mein Name ist Ipkork. Ich bin Leiter der Ordnungshüter. Dies hier“, er zeigte auf den kleineren Mann, „ist Akbinz, Leiter der geschichtlichen Hüter und Eflorn, der Hüter der äußeren Ordnung.“

Der dritte Mann neigte leicht den Kopf. Der Doktor erwiderte die Höflichkeit.

„Dann muss dieser Diebstahl eine besondere Bewandtnis haben, wenn drei so hochstehende Führer sich darum kümmern“, stellte er fest.

„Allerdings! Bist du bereit, dich einer Prüfung der Wahrheit zu stellen?“, fragte Ipkork.

Ratlos hob der Doktor die Schultern.

„Lege deine Hände dort auf die leuchtenden Flächen.“ Ipkork zeigte auf eine hüfthohe Säule an der Wand. Die ebene Oberfläche schimmerte matt. „Wenn du lügst, leuchtet sie hell auf. Es ist allerdings etwas schmerzhaft.“

„Wie schmerzhaft?“

„Genug, um dich zu lehren, die Wahrheit zu sagen“, fauchte Akbinz, doch der Ordnungshüter schüttelte den Kopf. „Es ist spürbar, mehr nicht.“

Etwas skeptisch legte der Doktor seine Hände auf die Säule.

„Hast du etwas mit dem Diebstahl des Schwarzen Feuers zu tun?“

„Nein! Ich weiß nicht einmal, was dieses Feuer ist.“

„Weshalb bist du hier?“ Akbinz blickte ihn finster an.

Ein wenig zog sich der Magen des Doktors zusammen. Jetzt musste er jedes Wort gut abwägen. „Ich suche jemanden. Sehr wahrscheinlich befindet er sich in eurem System. Ich möchte mit ihm sprechen.“

Akbinz musterte ihn scharf. „Hat derjenige das Schwarze Feuer geraubt?“

„Ich wüsste keinen Grund, warum er das tun sollte.“ Bei dem Auge der Harmonie, was wollte der Master mit diesem rätselhaften Feuer?

„Hat der Mann, den du suchst, etwas mit den anderen Fremden hier zu tun?“

„Was? Es sind noch mehr da?“ Der Doktor sah Ipkork an. Er brauchte seine Verblüffung nicht vorzutäuschen.

Der seufzte. „Akbinz, ich denke, das ist eindeutig. Er lügt nicht. Die Säule zeigt es.“ Er wandte sich wieder dem Doktor zu. „Vor wenigen Tagen kam eine Gruppe von sechs Personen. Sie verbergen sich. Wir sind besorgt darüber und vermuten, sie wollen das Schwarze Feuer mitnehmen. Dann wäre es für uns verloren.“

„Sagst du mir, was das eigentlich ist? Ich würde euch gerne helfen. Vielleicht finde ich einen Hinweis. Als Fremder fallen mir vielleicht andere Dinge auf, als euch.“

„Nein!“ Akbinz fuhr zu dem Ordnungshüter herum. „Er darf es nicht erfahren!“

„Du hast uns deinen Namen gesagt. Aber nicht, von welcher Welt du kommst“, mischte sich der bisher schweigsame Eflorn ein.

Eine Weile blieb der Doktor stumm. Dann schüttelte er den Kopf. „Diese Antwort kann ich nicht geben. Es tut mir leid. Wir sind Reisende, Forscher. Wir besuchen andere Welten, um zu lernen. Aber wir geben niemals preis, woher wir kommen. Unsere Heimatwelt muss unbekannt bleiben.“

Während Akbinz Miene immer finsterer wurde, lächelte Eflorn plötzlich. „Bist du ein Timelord?“

„Woher …“ Völlig überrumpelt starrte der Doktor ihn an.

Der Serkaler schmunzelte. „Das genügt als Antwort, denke ich. Dieses Volk ist geheimnisvoll. Doch sie kommen niemals als Feinde. So viel ist von ihnen bekannt.“

Der Doktor konnte nur noch nicken.

Der Hüter der äußeren Ordnung wurde wieder ernst. „Ich habe mich mit diesem seltsamen Volk der Timelords beschäftigt. Alle Berichte, die ich finden konnte, bezeugen, dass sie anderen Völkern keinen Schaden zufügen. Dennoch sind wir sicher, dass dieser andere Fremde das Schwarze Feuer stahl. Ebenso sicher sind wir, dass er, der alte Forscher und du von der gleichen Art seid. Timelords!“

Erneut nickte der Doktor. Obwohl seine Hände längst nicht mehr auf der Säule lagen, wollte er nicht riskieren, von diesem Gerät als Lügner überführt zu werden.

„Kannst du herausfinden, was geschehen ist? Denn wenn die Berichte über dein Volk stimmen, muss es eine Erklärung für diese Vorkommnisse geben. Vielleicht irren wir uns.“

„Ich werde ihn suchen und fragen. Und wenn es mir möglich ist, sorge ich dafür, dass ihr dieses Feuer wiederbekommt. Ich verspreche es.“

Eflorn sah ihm direkt in die Augen, der Doktor hielt dem Blick stand. „Komm mit!“ Der Hüter zeigte auf eine Tür hinter sich. Akbinz sog hörbar die Luft ein und verließ demonstrativ den Raum.

„Das Schwarze Feuer ist heilig“, bat Eflorn um Verständnis. „Es ist schwer für ihn, einem Fremden seine Eigenschaften zu offenbaren.“

Er trat in das hintere Zimmer und der Doktor folgte ihm. Der Serkalter öffnete eine Schatulle. Darin lag ein schwarzer, vieleckiger Stein. Behutsam nahm der Doktor ihn in die Hand. „Er ist verblüffend schwer“, stellte er fest.

„Er besteht aus Grisomgrantquarzom.“

„Oh! Ein sehr seltenes Mineral. Es ist im ganzen bekannten Universum bisher nur auf acht Planeten gefunden worden. Die Bedingungen für seine Entstehung sind außergewöhnlich. Die Temperaturen müssen exakt zwischen zweitausendeinhundert und …“, dozierte der Doktor, brach jedoch ab, als er in das Gesicht des Ordnungshüters sah.

„Du kennst es?“ Ipkork, der nachgekommen war, blickte den Timelord mit großen Augen an. „Wir dachten immer, es sei einzigartig und käme ausschließlich in unserem System vor.“

„Ich habe mich eine Zeitlang mit diesem Mineral beschäftigt und viel darüber gelesen, es aber noch nie gesehen.“

„Es gab eine Stätte bei uns, an der es gefunden wurde. Alle Stücke wurden schon vor Jahrhunderten abgebaut. Diese Steine sind wertvoll. Sie sind, oder besser waren, das Ausgangsmaterial für das Schwarze Feuer“, erklärte Eflorn. „Nur Legenden berichten darüber. Aber wenn man alles Mythische herausfiltert, bleiben gewisse Tatsachen: Vor etwa dreihundert Jahren lebte ein großer Führer, Azburt. Er muss besondere Fähigkeiten besessen haben und konnte diese Steine in gewisser Weise aufladen. In ihnen ist Strahlung eingeschlossen.“

„Moment.“ Der Doktor runzelte die Stirn. „Meinst du, dieses Mineral gibt Strahlung ab? Denn einschließen kann man sie nicht.“

„Nein, sie ist darin tatsächlich gefangen. Zumindest wird das berichtet. Der Stein verändert aufgrund dieser Aufladung ein klein wenig sein Aussehen und schimmert. Es ähnelt einer schwarzen Flamme.“

Der Doktor begutachtete das Mineral in seiner Hand. Tiefschwarz, aber es gab winzige Nuancen darin, die tatsächlich einem Feuer ähnelten. „Also eine Verstärkung dieses Effektes?“, fragte er.

„Ja! Doch das wirklich Erstaunliche ist die Eigenschaft, die es dadurch besitzt. Es kann die Persönlichkeit eines Wesens erkennen und in sich aufnehmen.“

„Was meinst du damit?“

„Es heißt, dass Azburt sein Wesen mit Hilfe dieser Steine immer wieder aus seinen alten, sterbenden Körpern herauszog und in jüngere einpflanzte. So lebte er fast fünf Generationen lang. Wie er dann starb, ist allerdings nicht überliefert.“

Eflorn seufzte schwer. „Das Schwarze Feuer ist der einzige dieser Steine, der heute noch existiert. Er ist für uns ein großes Heiligtum.“

Der Doktor begann zu begreifen. Wenn das stimmte, würde man damit den Geist Rassilons aus der Matrix herausfiltern können. Man brauchte nur einen passenden Körper dazu.

„Ich bringe euch diesen Stein zurück“, versicherte er.

„Und wenn tatsächlich einer deines eigenes Volk ihn raubte?“

„Auch dann!“

Besonders dann!

 

Das schwarze Feuer

Auf dem fünften Mond materialisierte die TARDIS in einem großen Hangar. Hier standen die verschiedensten Raumschiffe. Eines zusätzlich sollte somit nicht weiter auffallen. Während er den  Ausgang suchte, blieb der Doktor hin und wieder stehen und betrachtete die Flugkörper der genauer. An den Triebwerken erkannte er, dass alle nur für den interplanetarischen Verkehr gebaut waren.

„Sie sind und bleiben stur, die Serkaler“, lächelte er. „Seit bestimmt drei Jahrhunderten weigern sie sich, aus ihrem System zu fliegen. Nun, sie haben es auch nicht nötig. Es gibt wirklich genug Planeten und Monde hier.“

Außerhalb des Hangars blickte er sich volle Staunen um. Wenn man es nicht wusste, konnte man kaum erkennen, dass man sich nicht an der Oberfläche des Mondes befand. Es gab Parks und Grünflächen, ebenso wie Gebäude, Straßen und freie Plätze. Die Decke der Höhlenbereiche war hoch und wie ein offener Himmel gebildet. Einzig die gleichmäßige Helligkeit und die fehlenden Luftfahrzeuge waren ein Hinweis, dass alles unterirdisch war.

Ziellos wanderte der Doktor durch die Landschaft. Des Öfteren sah er auf sein Gerät, das ihm anzeigen würde, wenn ein Timelord – ein Wesen mit zwei Herzen – in der Nähe wäre. Dabei stieß er gegen einen halbwüchsigen Jungen. Der verzog belustigt das Gesicht, in seinen Augen funkelte der Schelm. Der Doktor entschuldigte sich und ging weiter. Unterschwellig beobachtete er, wie der Junge immer wieder in seine Tasche griff. Erst als dieser sich nach ihm umwandte und auffällig mehrmals zwinkerte, wurde ihm dessen Gebaren bewusst.

Er schob die Hand in die Manteltasche. Als er das kleine Stück Schreibfolie ertastete, zuckte seine Augenbraue nach oben. Der Bengel war gut! Der Doktor schlenderte in eine der schmalen Gassen, die von der Hauptstraße abzweigten. Hier liefen wesentlich weniger Personen herum. Er zog die Folie heraus und las: Speiseplatz acht, hinterer Raum.

Suchend blickte er sich um. An der Kreuzung, die er gerade passiert hatte, konnte er den nächsten dieser Orte erkennen, ein vorne offenes Gebäude mit einladend gedeckten Tischen. Es trug die Nummer sechs. Er ging daran vorbei, bis die Straße in einen Platz mündete. Hier war Nummer sieben. Der Doktor wandte sich nach links, Serkaler schrieben und zählten von rechts nach links. Richtig, nach kurzer Zeit entdeckte er den Speiseplatz acht.

Er ignorierte die leeren Tische und ging in das Gebäude. Der große Raum mit einigen Gästen konnte kaum der gesuchte sein. Eine hohe Rundbogentür führte weiter. Dahinter gab es kleine Nischen, in denen man ungestört sitzen konnte. Schallschluckende Energiewände verhinderten, dass man von außen die Unterhaltungen mithören konnte. In einer dieser Nischen saß ein Mann mit dem Rücken zur Öffnung.

Der Doktor blieb stehen. „Ich würde mich gerne dazusetzen“

Die Energiewand öffnete sich und er trat an den Tisch. Der Master blickte mit einem gezwungen wirkenden Lächeln zu ihm hoch.

„Woher wusstest du, dass ich dich suche?“, wollte der Doktor wissen.

„Chronotis“, war die kurze Antwort.

Er setzte sich und gab eine Bestellung in das Display auf dem Tisch ein. Sein Blick wurde eindringlich. „Wo hast du diesen Stein, das Schwarze Feuer? Ist dir klar, wie wütend die Serkaler über den Diebstahl sind?“

„Habe ihn nicht. Und die Serkaler interessieren mich nicht“, stieß der Master abgehackt hervor.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte der Doktor sein Gegenüber. Dieser presste eine Hand um den Unterarm.

„Beginnende Regeneration“, folgerte der Doktor. „Du versuchst, es zu verzögern. Was ist passiert?“

Der Master lehnte sich zurück und ließ zu, dass seine Anstrengung und Erschöpfung deutlicher erkennbar wurden. „Sie haben mich belogen, wollen sich um die Belohnung drücken, die mir zusteht.“

„Wer sind sie?“

„Wornumar und seine Gruppe.“                                    

Unwillig glitt der Blick des Doktors über den Master hinweg. Er wollte sich keine Sorgen machen, doch ganz konnte er es nicht verhindern. Eine Regeneration zu bekämpfen, war nicht einfach – und schmerzhaft dazu. „Erzähl von Anfang an!“, verlangte er.

Einen Moment lang schien es, als ob der Master sich weigern wollte. Dann zuckte er mit den Schultern. „Wornumar möchte Rassilon aus der Matrix holen und neu beleben. Das weißt du vermutlich. Die vom Hohen Rat dazu vorbereiteten Möglichkeiten genügen ihnen jedoch nicht. Rassilon müsste in einem künstlichen Körper existieren.“

Der Doktor verzog das Gesicht, das waren keine angenehmen Aussichten. Es war längst bekannt, dass eine rein geistige Existenz ohne lebendigen Körper in den Wahnsinn führen konnte.

„Sie wollen ihm einen Körper beschaffen, aber es gibt kein Verfahren, seine Persönlichkeit dort hinein zu transferieren.“

„Das Schwarze Feuer“, insistierte der Doktor.

„Ja! Die Strahlung dieses Minerals ist mehr als seltsam. Kaum messbar und anscheinend tatsächlich innerhalb des Steins eingeschlossen. Wornumar ist davon überzeugt, dass die Legenden auf Tatsachen beruhen. Das würde bedeuten, Rassilon könnte mit Hilfe dieses Steins ein echtes Leben erhalten. Er machte mir ein Angebot. Eines, das ich nicht ablehnen konnte.“

„Welches?“ Zu seinem Erstaunen antwortete der Master ohne zu Zögern. Entweder war er wesentlich geschwächter, als er wirkte – oder der Andere wollte etwas bei ihm erreichen. Der Doktor vermutete eher das Letztere.

„Einen weiteren, kompletten Regenerationszyklus. Dazu die Kenntnis, wie das Verfahren mit diesem Stein funktioniert.“ Die Stimme des Masters wurde immer begehrlicher, beschwörender. „Damit könnte ich ewig leben. Kannst du dir das vorstellen?“

Der Doktor erinnerte sich an ein Gespräch, das er als junger Timelord geführt hatte. Ristrattor erklärte ihm damals, dass irgendwann der Zeitpunkt kam, an dem man bereit war abzutreten. Andererseits lebte Chronotis schon Jahrtausende und schien durchaus noch gewillt, weiterzuleben. „Vorstellen kann ich es mir nicht. Aber ich begreife die Versuchung.“

Und natürlich war der Master ihr erlegen. Diesmal kam keine Erwiderung, also fuhr der Doktor fort: „Sieht aber nicht so aus, als wollten sie ihr Wort halten.“ Er deutete auf das leichte, kaum wahrnehmbare Leuchten, das immer wieder in den Händen des Masters aufflackerte.

„Nein! Sie wollten mich als lästigen Zeugen loswerden.“

„Das ist doch sinnlos! Du stirbst nicht, sondern regenerierst.“

„Das kostet Zeit, in der sie ihre Pläne umsetzen können. Du weißt genau, dass man hinterher immer etwas durcheinander ist.“

„Nur theoretisch“, murmelte der Doktor. „Wornumar hat also das Schwarze Feuer? Dann sollten wir uns beeilen, bevor sie das System verlassen.“

„Was meinst du damit?“ War das Erstaunen echt, oder funkelte in den dunklen Augen nicht doch ein gewisses Lauern?

„Willst du ihn mit seinem Betrug davonkommen lassen? Wir holen uns den Stein zurück“, lächelte der Doktor unschuldig.

„Wozu?“, fragte der Master. Diesmal war das Misstrauen offensichtlich.

„Damit kannst du ihn zwingen, dir die versprochene Belohnung zu geben.“

„Und er erhält das verdammte Ding wieder?“

„Natürlich nicht. Er gehört den Serkalern.“

Einen Moment überlegte der Master, dann grinste er. „Das ist Betrug, mein Lieber. Du bist nicht so ehrlich, wie du immer tust.“

„Wornumar hat als erster gelogen.“

Immer noch argwöhnisch musterte der Master ihn. „Warum interessiert es dich, ob ich meinen Lohn erhalte?“

„Spielt das eine Rolle? Für dich sollte es Grund genug sein, mir zu helfen“, konterte der Doktor.

Endlich nickte der Master und der Doktor atmete auf. Damit stiegen die Chancen, dass er ihn ohne größere Schwierigkeiten zurück nach Gallifrey bringen konnte. „Gut! Weißt du, wo sie sich versteckt halten?“

„Sicher! Ihre TARDIS steht gut verborgen auf dem neunten Mond.“

„Woher weißt du das?“ Ipkork hatte also recht gehabt, dass sich in diesem System weitere Fremde aufhielten. Die Wahl des Trabanten war perfekt. Auf den Planeten gab es nur Wohngegenden, weder Forschungs- noch Regierungseinrichtungen. Die meisten davon befanden sich auf dem neunten Mond, dem zweitgrößten.

Der Master grinste. „Ich habe ausgezeichnete Sensoren. Deine Ankunft ist mir ebenfalls nicht entgangen.“

Ein gleichmütiges Nicken war die einzige Reaktion des Doktors darauf. „Du hast also ein Schiff hier.“ Seine Gedanken dazu behielt er für sich. Aber langsam entwickelte sich eine brauchbare Idee.

„Mein Schiff, ja. Warum?“

„Der Hohe Rat wird es wohl nicht als dein Eigentum ansehen“, meinte der Doktor halblaut. „Du darfst es offiziell nicht mal benutzen.“

Ehe er weitersprechen konnte, fauchte der Master: „Es ist meins! Ich habe viele Geräte eingebaut und andere umgebaut. Es ist kein einfaches Forschungsschiff mehr. Und das ist alleine mein Verdienst!“

„Schon gut“, beschwichtigte der Doktor. „Ich sage ja gar nichts dagegen. War nur eine dumme Bemerkung. Wir parken meine TARDIS in einem der Hangars und fliegen zum neunten Mond. Das gibt dir genug Zeit, um zu regenieren. Ich helfe dir, dich möglichst rasch zu erholen. Wir finden heraus, wo genau Wornumar mit seinen Helfern ist, und holen das Schwarze Feuer zurück.“

Die TARDIS war schnell verstaut und der Master gab den Kurs ein. „Kannst du das Schiff landen?“ Seine Stimme klang verzerrt.

„Kein Problem.“ Unauffällig sah der Doktor sich um. Hier gab es tatsächlich inzwischen einige Waffensysteme, die normalerweise kein Forschungsschiff besaß. Er war sich sicher, dass zumindest ein Teil davon aus dem Omega-Arsenal stammte. Wie war der Master an diese Maschinen gekommen?

Das Leuchten in den Händen des Masters wurde stärker. Einen Augenblick später brachen grelle Lichtsäulen aus seinem Körper. Er sank zu Boden. Der Doktor wartete, bis ihn die Regenerationsenergie völlig umhüllte. Dann spurtete er zur TARDIS. In aller Eile ließ er das Suchprogramm anlaufen. Es würde eine andere TARDIS rasch orten.

Anschließend rannte er in den Maschinenraum des Forschungsschiffes. So schnell er konnte, blockierte er die Waffen und gab verschiedene Befehle ein. Zufrieden rollte er die Schultern, um die Muskeln zu entspannen. Mit diesen kleinen Manipulationen konnte der Master keinen Angriff mehr starten. Er hoffte zwar, dass seine Maßnahme unnötig war, wollte aber sichergehen.

Wieder in der Zentrale, beschäftigte er sich eine Weile mit der Steuerung und brachte ein kleines, unscheinbares Gerät an. Dabei musterte er den Master, doch die Regeneration war noch nicht abgeschlossen. Gerade als er fertig war, wurde der neue Körper des Masters sichtbar. Das Licht um ihn erlosch. Er lag völlig erschöpft am Boden. Der Doktor hob ihn an und setzte ihn in einen der Sessel.

„Erhole dich! Wir haben noch Zeit.“

„Zeit? Was …?“ Der Master runzelte die Stirn. „Ich kann mich nicht erinnern.“

„Wir sind im System der vierzehn Monde. Bei den Serkalern. Du hilfst mir, das Schwarze Feuer zurückzuholen. Wornumar hat dich betrogen.“

„Stimmt! Mir fehlen aber Einzelheiten.“

Der Doktor begann, ausführlicher zu berichten, um die geistige Regeneration zu beschleunigen. Schließlich fielen dem Master die Augen zu. Einen Moment wartete der Doktor noch, aber der andere schien tatsächlich tief zu schlafen. Eine normale Reaktion, wie er wusste. Trotzdem verließ er die Zentrale auf Zehenspitzen. Erst im Gang lief er schneller und suchte erneut seine TARDIS auf. Das Suchprogramm war beendet. Er grinste, als er das Ergebnis las.

Ein warnendes Piepsen schreckte ihn auf. Er eilte in die Zentrale des Masters zurück. Sie näherten sich dem neunten Mond. Der Doktor kontrollierte die Tarnung, um unbemerkt von den Serkalern landen zu können. Behutsam ließ er das Schiff dann weitab der bewohnten Kuppeln zur Oberfläche sinken. Hier gab es nur Geröll und verschiedene uralte Krater. In einem davon landete er.

„Warum ausgerechnet hier?“ Der Master war wieder wach und offensichtlich völlig klar.

„Willst du von den Serkalern entdeckt werden? Sie wissen, dass du ihren heiligen Stein gestohlen hast, und sind nicht gerade erfreut darüber.“ Der Doktor reichte ihm einen Becher. „Trink das! Es heilt die letzten Schäden.“

Widerwillig nickte der Master. „Hast du die andere TARDIS entdeckt?“

Er bedankte sich nicht für die Hilfe. Der Doktor lächelte still vor sich hin, doch es war ein bitteres Lächeln. Er zeigte auf einen der Bildschirme. „Sie befinden sich in der Kuppel der Forschungsstationen. Dort fallen fremde Gesichter nicht auf. Die Serkaler haben viel zu viele verschiedene Projekte laufen und unzähliges Personal dort.“

Der Master studierte die Anzeigen. „Perfekt“, meinte er dann. „Die Kuppel ist nicht mit den anderen verbunden. Es genügt, die Hülle zu zerstören. Die daraus resultierende Explosion vernichtet alles Leben und auch Wornumar und seine Helfer werden nicht rasch genug fliehen können.“

Er wandte sich der Waffensteuerung zu.

„Lass das! Bist du verrückt geworden?“ Fassungslos sah der Doktor ihn an. „Was ist mit deiner Belohnung?“, änderte er rasch seine Taktik. „Ich denke, du willst Wornumar zwingen, dir einen weiteren Regenerationszyklus zu ermöglichen.“

„Ich habe nachgedacht. Das wird er nie machen. Außerdem glaube ich nicht mehr, dass er die Möglichkeit dazu hat.“ Der Master sah den Doktor lauernd an. „Dir war das von Anfang an klar, oder?“

Ohne zu zögern nickte der.

„Na also.“ Der Master legte die Hände auf die Waffensteuerung. „Mit diesem Schiff kann ich selbst eine TARDIS vernichten. Er wird für seinen Betrug bezahlen.“

„Hör auf!“, befahl der Doktor „Willst du tatsächlich Timelords töten und dazu Tausende unschuldiger Serkaler?“

„Wen interessieren die Serkaler? Wornumar ist selbst schuld. Ich lasse mich nicht betrügen! Außerdem wird ihn der Hohe Rat ohnehin verurteilen.“

„Genau das wird auch geschehen. Es wird niemand sterben!“

„Du redest wie ein jämmerlicher Feigling. Aber das ist nichts Neues bei dir. Willst du höflich bei Wornumar anklopfen und ihn um den Stein bitten? Sobald er uns bemerkt, verschwindet er mitsamt dem Ding. Du kannst eine TARDIS nicht aufhalten. Wir müssen ihn erledigen, bevor er reagieren kann.“

„Wir greifen niemanden an! Wir überlisten Wornumar. Ohne Gewalt! Ohne dass jemand zu Schaden kommt. Vor allem keine Unschuldigen. Das lasse ich nicht zu.“

Der Master fuhr auf: „Wieso glaubst du, mir Befehle geben zu können?“

„Weil du auf meine Hilfe angewiesen bist“, erwiderte der Doktor ruhig. Er hütete sich, seine Wut – und seine Enttäuschung – zu zeigen. „Der Hohe Rat weiß, dass du eine Rolle in dieser Verschwörung spielst. Ich kann bezeugen, dass du mir geholfen hast, Wornumar aufzuhalten. Andernfalls hast du auf Gallifrey einen ziemlich schweren Stand. Diesmal werden dich deine sogenannten Freunde nicht unterstützen, denn dann riskieren sie ebenfalls eine Anklage.“

Ein Knurren entwich dem Master durch die zusammengepressten Zähne. Er ballte die Fäuste, keuchte wie nach einem schnellen Lauf. Aber innerhalb von wenigen Sekunden  hatte er sich wieder in der Gewalt. Nur in seinen Augen funkelte es noch gefährlich.

„Du hast dir das gut ausgedacht, wie? Schön, dann erkläre, wie du in Wornumars Schiff kommen willst, ohne dass er es merkt?“

„Wir lassen meine TARDIS in seiner materialisieren. Gut versteckt natürlich. Dann suchen wir das Schwarze Feuer.“

„Das schaffst du nicht! Mit Sicherheit sind seine Schutzschaltungen aktiviert.“

„Er wird sie abschalten, wenn in der Kuppel Alarm ausgelöst wird. Die Serkaler besitzen eine sehr gute Technik und das weiß Wornumar genau. Wenn sie nach einer Störung suchen, könnten sie diese Energien anmessen. Du lässt eine Sonde zur Kuppel fliegen, die durch eine der Schleusen ins Innere eindringt. Das sollte genügen.“

„Eine Sonde? Eine Bombe wäre wesentlich sinnvoller. Die richtet genug Schaden an, um die Serkaler aufzuscheuchen und Wornumar zu erschrecken.“

„Nein! Wir zerstören nichts!“

Die Blicke des Masters waren nun wie Dolche, doch der Doktor wartete einfach ab. Erneut dauerte es nicht lange, bis der Andere wieder ruhiger wirkte und seine Erregung verbarg.

„Du bist verrückt. Warum so kompliziert? Eine Bombe wäre wesentlich einfacher. Und eine zweite hinterher, wenn die Schutzmaßnahmen der TARDIS abgestellt sind. Dann wäre alles erledigt.“

Obwohl der Doktor widerwillige Bewunderung für dessen Selbstbeherrschung empfand entsetzte ihn diese Gewaltbereitschaft. Was hatte den früheren Freund derart kalt und gefühllos werden lassen? Ehe er es verhindern konnte, sprach er die Frage aus.

Der Master sah ihn höhnisch lachend an. „Warum schockiert dich das?“ Dann nickte er plötzlich und fuhr mit verächtlicher Miene fort: „Natürlich, wie sollst du sonst denken? Du fliegst ja zum Vergnügen durch das Universum. Du hast keine Ahnung von der Wirklichkeit, Doktor. Schau dich doch auf den Welten richtig um, beobachte die Wesen und wie sie leben. Alle sind nur darauf aus, so viel Macht wie möglich für sich zu erreichen. Und keiner nimmt Rücksicht auf andere. Verlierer sterben! Sie haben es nicht anders verdient. Die Starken gewinnen und überleben. Rassilon wusste das. Er war ein genialer Führer. Deshalb ließ ich mich auf diese Sache ein.“

Mit jedem Wort verstärkte sich die Betroffenheit des Doktors. Im Prinzip musste er dem Master sogar recht geben. Doch die kalte Art, wie dieser inzwischen über das Leben anderer urteilte, erfüllte ihn mit Grauen. Er erinnerte sich an einen Satz, den er als ganz junger Timelord einmal gehört hatte: Das Töten. Nach einer Weile ergreift es von dir Besitz. Und wenn es das tut, bleibt es für immer.

„Nein! Ich glaube nicht, dass dies der einzige Weg ist. Man kann auch anders handeln. Es gibt immer eine Wahl, man muss nur eine Möglichkeit finden.“ Er musterte den Master eindringlich. „Und hier gibt es auf jeden Fall eine friedliche Lösung. Wir machen es auf meine Art!“ Es fiel ihm schwer, doch der Doktor zwang sich zu einem Lächeln, um seinen Worten die Schärfe zu nehmen. „Es wird dadurch interessanter, und das sollte auch dir zusagen.“

In der finsteren Miene des Masters zuckte es mehrmals. Dann hob er die Schultern. „Von mir aus. Du bestehst ja ohnehin darauf.“ Er stand auf. „Ich brauche andere Kleidung und komme dann in deine TARDIS.“

Der Doktor blickte ihm hinterher. Leise seufzte er. Dann ging er zum Hangar, programmierte sein Schiff und wartete auf den Master.

Die TARDIS erschien in einem kleinen Abstellraum. „Perfekt!“ Der Doktor blickte auf den Monitor. „Wir sind in Wornumars Schiff. Komm!“

Zusammen schlichen sie in den nächsten Gang.

„Am besten trennen wir uns, um den Stein zu suchen. Wer weiß, wo Wornumar ihn aufbewahrt.“

„Auf jeden Fall an einem Ort, den er ihn gut überwachen kann“, gab der Master zurück. „Aber in Ordnung. Wer den Stein findet, kommt hierher zurück.“

Der Doktor ging langsam weiter und horchte auf die Schritte des Masters. Als diese nicht mehr zu hören waren, machte er kehrt und raste zur TARDIS zurück. Er legte einen kleinen Hebel um und wartete. Seine Geduld wurde strapaziert, doch endlich leuchtete die gesuchte Anzeige auf. Ein bestimmter Raum wurde bezeichnet. Er studierte den Weg dorthin, deaktivierte das Gerät und eilte aus dem Schiff.

Er rannte durch mehrere Korridore, dabei ließ er einige kleine Kügelchen fallen. Dreimal nach links, dann sprang er zwei Treppen hinunter. Ganz langsam schob er eine Tür auf und lugte durch den Spalt. Richtig, dies war die Steuerzentrale. Wornumar stand vor den Geräten. Der Doktor drückte auf den kleinen Zünder in seiner Tasche. Sofort erklang ein durchdringender Warnton. Wornumar fuhr herum.

„Was ist jetzt schon wieder?“ Er schaltete den Kommunikator ein. „Filorn, was machen die Serkaler denn? Haben sie schon wieder Alarm ausgelöst?“

„Nein! In der TARDIS ist etwas geschehen. In mehreren Gängen ist dichter Rauch.“

„Was? Ich komme.“ Wornumar eilte hinaus.

Sofort schlüpfte der Doktor durch die Tür und lief zu einer der grellroten Wände. „Der Mann hat einen schrecklichen Geschmack, das schmerzt ja in den Augen“, entfuhr es ihm halblaut. Er zog mehrere Schubladen auf. Zufrieden begann er zu grinsen und entnahm einer den schwarzen, mattglänzenden Stein. Einen Augenblick lang bewunderte er das feine Schimmern, ehe er ihn in die einsteckte.

Anschließend trat er an die Steuerkonsole und hob zwei der Bodengitter hoch. Er kroch unter die große Säule und hantierte an den nun freiliegenden Kabeln. Aus den Tiefen seines Mantels holte er mehrere kleine Geräte und verband sie mit der Steuerung. Dann kletterte er wieder hinauf und legte die Gitter wieder an ihren Platz. In diesem Moment glitt eine der Türen auf. Der Doktor huschte hinter die nächste Sitzgelegenheit. Als zwei Timelords in die Zentrale traten, zog er gerade noch rechtzeitig die Füße an, damit sie nicht hervorsahen.

„Das war kein Zufall.“ Wornumar blickte Filorn aufgebracht an. „Lasst die TARDIS durchsuchen. Hier ist jemand! Und ich wette, es ist der Master.“

„Dann müsste er sich schnell erholt haben.“

„Unwichtig. Findet ihn einfach!“

Mit gerunzelter Stirn stand der ältere Timelord dann vor der Steuerkonsole. „Es muss gelingen!“, flüsterte er. „Nur Rassilon gibt uns die Macht, die uns zusteht. Die alten Familien müssen auferstehen. Dann besitzt Gallifrey erneut die Macht, die uns Timelords auszeichnet. Das Universum wird auf uns hören und die Völker zu uns aufsehen.“

Der Doktor zog unwillkürlich die Schultern hoch, als er die leise, geradezu besessene Stimme hörte. Kurz darauf öffnete sich wieder eine Tür. Fünf Männer traten ein und stießen den Master vor sich her.

„Wir haben diesen da gefunden. Er durchsuchte das Labor.“

Wornumar musterte ihn von Kopf bis Fuß. „Etwas jünger als bisher – Master. Ihr habt Euch sehr rasch erholt. Erstaunlich.“ Er hob eine kleine Waffe und richtete sie auf seinen Gefangenen. „Allerdings wird Euch das nicht noch einmal gelingen. Zwei Regenerationen so rasch hintereinander sind anstrengend. Meist wird das Gehirn dabei sehr in Mitleidenschaft gezogen.“ Ein boshaftes Lächeln überzog sein Gesicht.

Der Master erbleichte. In diesem Moment erklang eine ruhige, fast gelassene Stimme: „Das wollen wir lieber bleiben lassen.“ Der Doktor erhob sich.

„Noch einer!“ Wornumar und seine Gefährten fuhren erschrocken herum. „Wer seid Ihr?“

„Der Doktor.“

Der ältere Timelord zog die Stirn zusammen. „Der Doktor und der Master sind keine Freunde. Im Gegenteil. Warum wollt Ihr ihm helfen? Was wollt Ihr hier überhaupt?“

„Das ist meine Sache. Wenn Ihr den Master angreift, vernichte ich das hier.“ Der Doktor hob die Hand. Darin lag, durch dünnes Papier geschützt, ein dunkler Stein.

„Das Schwarze Feuer!“

„Es war leicht zu finden.“ Geradezu liebenswürdig blickte der Doktor die beiden anderen Timelords an. „Ach ja, ich würde es vorziehen, wenn Ihr mit dem Ding woanders hinzielen würdet.“

„So leicht kann man dieses Material nicht zerstören.“ Filorn lachte gehässig.

Der Doktor hob die andere Hand und legte einen kleinen Gegenstand auf den Erzbrocken. „Wenn ich ihn fallen lasse, explodiert die Morastructbombe. Sie zerreißt die Molekularstruktur.“

„Das wagt Ihr nicht. Dieser Stein ist unersetzlich!“

„Außerdem habt ihr ohnehin verloren“, fuhr der Doktor in aller Ruhe fort. „Seht nach draußen. Die Serkaler umstellen gerade die TARDIS.“

Wornumar starrte ihn an, dann schaltete er einen der Monitore an. Eine Gruppe finster aussehender, bewaffneter Männer wurde sichtbar. „Das ist zwecklos. Wir verschwinden einfach. Und Ihr, Doktor, gebt mir sofort den Stein!“ Er richtete die Waffe erneut auf den Master. „Oder er stirbt! Ob ihm noch einmal eine Regeneration gelingt, ist fraglich.“

Die Blicke des Masters flogen zwischen den Männern hin und her. „Gib ihm das verdammte Ding!“

Der Doktor zögerte.

„Los!“, zeterte der Master.

Schließlich resignierte der Doktor und streckte die Hand aus. Wornumar riss das Papier mit dem Stein an sich.

„Ich denke, wir machen den Serkalern ein Geschenk. Ihr geht hinaus.“ Er lachte gehässig. „Sie werden euch beiden kaum glauben, dass ihr nicht die Diebe ihres Schwarzen Feuers seid.“

„Das könnt Ihr nicht machen!“ Der Master wich zurück.

„Raus!“

Langsam traten der Master und der Doktor aus der TARDIS. Nur Augenblicke später flackerte das Schiff und verschwand. Sie standen den aufgebrachten Serkalern gegenüber, die ihre Waffen auf sie richteten.

„Wartet! Nicht so eilig“, bat der Doktor und wandte sich einem von ihnen direkt zu. „Ipkork, ich versprach dir, das Schwarze Feuer zurückzubringen. Hier ist es. Der Master“, er zeigte auf ihn, „nahm ihn an sich, um ihn zu schützen. Bei euch war es leider nicht sicher genug, und er war überzeugt, dass ihr ihm nicht vertrauen würdet.“

Der Master starrte ihn ungläubig an. Der Doktor grinste ihn an. „Wornumar sah ihn nicht gründlich genug an. Ich bekam von Ipkork einen Grisomgrantquarzom. Er gleicht dem Schwarzen Feuer, zumindest auf den ersten Blick.“

Der Leiter der Ordnungshüter trat vor. „Heißt das, du hast das Schwarze Feuer bei dir?“

Der Doktor zog den Stein aus der Manteltasche. „Hier! Wenn du uns gehen lässt, sorge ich dafür, dass diese Leute“, er zeigte auf die verschwundene TARDIS, „keinen Versuch mehr unternehmen können, ihn noch einmal zu stehlen.“

„Wie willst du das machen? Sie sind weg.“

„Ich weiß, wo sie sich jetzt aufhalten. Wenn ich rechtzeitig mit den richtigen Leuten reden kann, wird man sie fassen und bestrafen.“

„Wie?“

„Nicht weit von hier ist sein Schiff.“ Wieder deutete der Doktor auf den Master. „Bringt uns so schnell wie möglich dorthin und lasst uns starten. Ich verspreche dir, dass diese Gruppe dann keine Gelegenheit haben wird, noch einmal hierher zu kommen.“

Kurze Zeit später standen sie in der Zentrale des Forschungskreuzers. Der Master leitete den Start ein, während der Doktor Gallifrey anrief. „Lordkanzlerin Flavia?“

„Doktor! Wo seid Ihr? Habt Ihr den Master gefunden?“

„Er steht neben mir. Doch es gibt Dringenderes. In den Gewölben müsste eine TARDIS aufgetaucht sein. Darin sind Wornumar und seine Verbündeten.“ Der Doktor nannte ihre Namen. „Sie sind der Kern der Verschwörung, die versucht, Rassilon wieder an die Spitze von Gallifrey zu bringen. Sie griffen deshalb ein anderes Volk an! Sorgt dafür, dass sie bestraft werden.“

Einen Moment wirkte die Kanzlerin fassungslos. Sie schnappte nach Luft. Dann riss sie sich zusammen und gab mehrere Befehle weiter. Anschließend wandte sie sich wieder dem Doktor zu. „Welche Rolle spielte der Master dabei?“

„Er half mir, diese Gruppe zu finden und ihr Vorhaben zu vereiteln. Alles Weitere berichte ich Euch später, wenn wir zurück sind.“

Flavia nickte und der Doktor beendete das Gespräch. Der Master blickte ihn an, seine Augenbrauen waren so eng zusammengezogen, dass sie wie eine einheitliche Linie aussahen. „Du hast sie angelogen.“

„Aber nicht doch! Du hast mit mir zusammengearbeitet“, widersprach der Doktor.

„Du wolltest, dass sie mich fassen“, warf der Master ihm vor. „Woher weißt du überhaupt, ob Wornumar tatsächlich nach Gallifrey geflogen ist?“

„Weil ich ihre Steuerung manipulierte. Ich verband sie mit der in meiner TARDIS. Sobald Wornumar startete, übernahm diese die Kontrolle. Sie war natürlich auf Gallifrey programmiert. Und ja, ich rechnete mit deiner Gefangennahme. So hatte ich die Zeit, alles in ihrer Zentrale vorzubereiten.“

„Noch komplizierter ging es wohl nicht? Es hätte einfachere Wege gegeben.“

„Kaum. Du hattest vor, einen von ihnen in deine Gewalt zu bringen. Glaubst du, ich wüsste nicht, dass du mehrere Waffen eingesteckt hattest? Es hätte Verletzte oder sogar Tote gegeben.“

„Du bist verrückt. Du kannst nicht immer verhindern, dass jemand zu Schaden kommt. Das geschieht nun einmal.“

„Ich versuche es zumindest.“

„Das ist albern! Wozu? Was hast du davon? Wir hätten den Stein behalten können, wenn du auf mich gehört hättest.“

Der Doktor blickte kurz zu Boden. Dabei lehnte er sich an eine der Instrumentenwände. Hinter dem Rücken aktivierte er das kleine Gerät, das er eingebaut hatte. Damit würde das Schiff nach Gallifrey fliegen, egal, welches Ziel der Master eingab. Erst danach sprach er weiter: „Vielleicht hast du recht gehabt.“

„Natürlich hatte ich das“, gab der Master zurück. „Wir hätten Wornumar viel einfacher aufhalten können.“

„Das meine ich nicht.“

„Wovon redest du dann?“

„Du sagtest einmal, es war eine Kinderfreundschaft.“ Der Doktor sah ihm nun direkt in die Augen. „Uns hat vieles verbunden, aber jetzt sind wir keine Kinder mehr. Wir denken zu unterschiedlich. Du begreifst nicht, wie wertvoll das Leben ist. Du willst zerstören, Chaos bringen. Es tut mir leid. Ich kann deine Art zu leben und zu handeln weder verstehen noch akzeptieren. Du hast recht, wenn du sagst, wir sind keine Freunde mehr.“ Sein Blick wurde hart. „Ich habe jetzt endgültig erkannt, wie du denkst.“

„Ich kämpfe für Gallifrey! Und was tust du? Gar nichts!“

„Du kämpfst für dich selbst, nicht für Gallifrey. Das wissen wir beide doch ganz genau.“

„Und wie lebst du? Rennst von einer Welt zur anderen, ohne irgendetwas zu bewirken.“

„Da irrst du dich. Ich habe ein Versprechen gegeben. Mir selbst.“

Der Master sah ihn fragend an.

„Ich werde niemals wegsehen, wenn irgendwo Unrecht geschieht, sondern versuchen, zu helfen.“ Langsam und fast seufzend atmete der Doktor aus. „Unsere Kinderfreundschaft gibt es nicht mehr. Es wird Zeit, sich damit abzufinden.“

Es tat weh, diese Sätze auszusprechen. Noch schmerzhafter war es, sie auch zu glauben. Der Doktor wandte sich ab und presste einen Finger auf das Peilgerät, das seine TARDIS zu ihm rufen würde. „Ich verschwinde. Lebe dein Leben weiter, wie du es für richtig hältst. Ach ja, vergiss nicht, Gallifrey anzusteuern. Der Hohe Rat will mit dir sprechen.“

Er sagte es ganz ruhig, wollte dem Master wenigstens die Chance geben, selbst dorthin zu fliegen. Aber auch, wenn er ein anderes Ziel eingeben würde, die von ihm vorgenommenen Programmierungen würden das Schiff auf jeden Fall nach Gallifrey bringen.

An der Wand flackerte es, die TARDIS erschien.

Der Master starrte ihn an. Zuerst brachte er keinen Ton hervor, dann brach es aus ihm heraus: „Moment. Hör mir zu!“

Der Doktor schüttelte den Kopf und öffnete den Eingang seines Schiffes.

„Bleib stehen!“ Der Master starrte auf die Tür, die sich hinter dem Doktor wieder geschlossen hatte. In diesem Moment erkannte er, dass ihre Freundschaft nicht zu Ende war. All die vielen Jahrzehnte, ja, Jahrhunderte, hatte er in Wirklichkeit darauf gewartet, einen Weg zu finden, der sie wieder zusammen bringen würde. „Was willst du damit sagen? Du irrst dich! Es ist nicht vorbei!“

Er sprach ins Leere, die TARDIS war verschwunden. Heftig schüttelte der Master den Kopf. Nein, das konnte nicht sein! Bitterkeit erfüllte ihn. Der Doktor und seine verdammte Selbstgerechtigkeit. Er glaubte, allwissend zu sein, immer richtig zu handeln. Doch er, der Master, wusste es besser. Diese widerliche Hilfsbereitschaft, dieses schwächliche Verstehen, wie andere denken – das brachte nichts. Irgendwann, das schwor er sich, musste der Doktor erkennen, dass er nicht perfekt war. Dann würden sie wieder Freunde werden.

Laut sprach er in den leeren Raum: „Ich werde meinen Freund wiederfinden. Du wirst es sehen. Ich werde DICH finden, den wahren Doktor. Du bist nicht so gut und friedlich, wie du tust.“

 

Diebstahl einer TARDIS

Mit ohrenbetäubendem Rauschen prasselte der Wasserfall in das schmale Wasserbecken. Der Doktor stand wenige Schritte daneben auf dem Felsenvorsprung und sah in die Höhe. Der knapp vier Meter breite Wasserstrom stürzte mehrere hundert Meter über ihm die senkrechte Felswand herunter. Die Strahlen der tiefstehenden, roten Sonne brachen sich in dem Nebel und der Gischt vielfach. Unzählige Regenbögen leuchteten in der Luft über der riesigen Schlucht.

Der Doktor trat bis an die Kante der Felsen, ohne darauf zu achten, dass er langsam aber sicher völlig durchnässt wurde. Er blickte nach unten. Durch die dichten Wasserschleier waren die fast fünfhundert Meter tiefer liegenden grünen Wipfel der riesigen Urwaldbäume nur schwach erkennbar. Und selbst diese erhoben sich noch weit über siebzig Meter über dem eigentlichen Boden. Dort lebten die gewaltigen, durchschnittlich dreißig Meter langen und menschendicken, schlangenähnlichen Mammutwürmer, die in den dichten Urwäldern die beherrschende Lebensform darstellten. Rarkannton war eine Welt der Superlative.

Immer noch begeistert lächelnd über den herrlichen Ausblick trat der Doktor wieder in die TARDIS. Er schüttelte sich das Wasser aus den grauen Haaren und achtete nicht auf die kleinen Pfützen, die er mit jedem Schritt auf dem Boden hinterließ. Zielstrebig ging er auf die hintere Tür zu, die zu seinen Wohnräumen führte. Aus den Augenwinkeln bemerkte er auf der Steuerkonsole ein flackerndes Licht.

„Nanu, wer will denn da etwas von mir?“ Neugierig öffnete er den Kommunikationskanal. Im nächsten Moment begann sein Gesicht zu strahlen. „Siusarn, wie schön, dich zu sehen. Das heißt, dir geht es besser. Wirst …“, er unterbrach sich selbst, als er den Ausdruck auf ihrem Gesicht registrierte. „Was ist passiert?“

„Großvater, ich mache mir solche Sorgen. Seit zwei Tagen meldet sich Nisara nicht mehr. Ich kann weder sie, noch Mutter oder Großmutter erreichen. Ich verstehe das nicht.“

Der Doktor wurde mit jedem Wort ernster. Das war allerdings seltsam. Nisara war mit ihrer Schwester und Atara nach Bormulaartafin geflogen. Ursprünglich wollten die Frauen auf diese Weise Siusarns sechzigsten Geburtstag feiern. Damit zählte sie auf Gallifrey zu den Jugendlichen. Doch das Mädchen hatte sich eine der wenigen Krankheiten zugezogen, die es noch gab. Es war nichts Ernstes, musste aber behandelt werden.

Siusarn hatte selbst darauf gedrungen, dass die drei Frauen trotzdem flogen, denn auf Bormulaartafin war jetzt die Zeit der atmosphärischen Lichtspiele. Es gab dort regelmäßig starke Sonnenstürme, welche auf die Atmosphäre prasselten. Durch eine gezielte Steuerung des planeteneigenen Magnetfeldes wurde diese Strahlung genutzt, um wundervolle Lichterscheinungen entstehen zu lassen. Dadurch waren sie nicht nur in den polaren Regionen zu sehen, sondern auf der ganzen Welt.

Nisara hatte diese eindrucksvollen „Polarlichter“ aufgenommen und täglich mit der TARDIS nach Gallifrey gesendet, so dass Siusarn alles miterleben konnte, wenn auch nicht so hautnah.

„Sagten sie etwas davon, dass sie sich eine Zeitlang nicht melden?“, forschte der Doktor nach.

Siusarn schüttelte den Kopf. „Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil. Mutter meinte in unserem letzten Gespräch, dass die magnetischen Leuchterscheinungen der nächsten Tage noch eindrucksvoller sein sollen. Aber seitdem hörte ich nichts mehr von ihnen.“

Der Doktor rief sich die Einzelheiten von Bormulaartafin ins Gedächtnis. Es war eine hochtechnisierte Welt mit einer weit entwickelten Zivilisation. Die vogelähnlichen Lebewesen dort waren an Besucher von anderen Planeten gewöhnt. Vor allem zu diesen galaxienweit bekannten Lichtspielen kamen unzählige Wesen. Es gab dort keine Gefahren. Selbst wenn etwas geschehen wäre – Nisara war eine ausgebildete Timelady. Allerdings besaß sie kaum eigene Erfahrungen mit Reisen zu fremden Welten. Dennoch wüsste sich in irgendwelchen Schwierigkeiten zu helfen.

„Vielleicht ein technischer Defekt“, versuchte der Doktor, seine Enkelin zu beruhigen. „Mach dir keine Sorgen, ich fliege sofort dorthin und schaue nach ihnen.“

„Danke, Großvater! Melde dich dann bitte rasch bei mir, ja?“

Er versprach es und beendete das Gespräch. Während er sich etwas Trockenes anzog, ließ er sich aus den Speichern alle Daten über den fünften Planeten der riesigen und heißen Sonne Bormulaar anzeigen. Seine Erinnerung hatte ihn nicht getrogen. Auf dieser Welt dürften keine wie auch immer geartete Gefahren existieren.

 Er versuchte Kontakt zu Nisaras Schiff aufzunehmen, doch es misslang. Inzwischen sehr beunruhigt gab der Doktor die angegebenen Koordinaten ein und zog den Starthebel nach unten. Die TARDIS schoss in den Himmel empor und verschwand in der Unendlichkeit des Raumes.

Langsam sank das Schiff in die Atmosphäre. Der Doktor streckte die Hand aus, um die Bildschirme wieder zu aktivieren. Ein harter Schlag ließ ihn gegen den Sessel taumeln. Die TARDIS begann zu schwanken und zu bocken, als würde ein Riese sie hin und her werfen. Ächzend zog der Doktor sich zur Steuerkonsole und klammerte sich fest. Er fluchte, als er Daten anfordern wollte, aber immer die falschen Tasten traf. Endlich tauchten mehrere Zahlenreihen auf dem Monitor auf.

„Was … Das kann doch nicht wahr sein!“, entfuhr es ihm.

Mit immer größerer Geschwindigkeit stürzte das Schiff der Oberfläche des Planeten entgegen. Der Doktor hieb auf Knöpfe, riss verschiedene Hebel nach unten und betätigte mehrere Schalter. Schließlich verringerte sich die Fallgeschwindigkeit etwas, doch es war zu spät.

Die TARDIS brach durch die Baumwipfel und schlug krachend auf dem Erdboden auf. Mehrere Sessel und unzählige Geräte flogen durch den Raum. Der Doktor warf sich unter die Steuerkonsole. Er rang nach Luft, irgendetwas hatte ihn an der Brust getroffen. Schließlich kehrte wieder Ruhe ein.

Ein Blick nach oben ließ ihn blass werden. In der Energiesäule bildete sich ein Riss. Unglaublich helles Licht begann hindurch zu sickern. Unfähig, sich zu regen, starrte der Timelord darauf. Wenn die Energie der TARDIS frei wurde, wäre das sein Tod. Doch diese schien sich stattdessen um den Riss zu verteilen. Langsam, wie in Zeitlupe, schloss er sich und verschwand wieder.

Erleichtert atmete der Doktor auf und sah sich um. Das Innere der TARDIS war ein Trümmerhaufen. Er untersuchte die Steuerkonsole. Die Schäden waren auch hier immens. Immerhin war die Energiesäule wieder intakt. Mit etwas Glück gelang ihm ein Notstart. Dann flog das Schiff automatisch nach Gallifrey.

Doch erst musste er seine Familie finden!

Selbst die Außentür klemmte. Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung gelang es ihm endlich, sie zu öffnen. Der Doktor riss die Augen auf. Überall lagen Trümmer, umgestürzte Bäume, zerstörte Fahrzeuge. Das konnte niemals durch den Absturz der TARDIS geschehen sein! Er sah er sich um. Auch die Gebäude der Bewohner, die normalerweise wie riesige, kugelförmige Nester am Boden aussahen, zeigten deutliche Zeichen von gewaltsamer Zerstörung. Keines der Gebäude besaß noch die üblichen bunten Glasöffnungen. Einige hatten überhaupt keine Türen mehr. Bei anderen hingen oder lagen sie kaputt an bzw. vor den Eingängen.

Was war hier geschehen?

Beim Anflug hatte er eine andere TARDIS angemessen. Nisaras Schiff musste also in der Nähe sein. Er wanderte ein Stück weit über die breite Fahrstraße, die jetzt eher einem verlassenen Schlachtfeld glich. Mit dem Fuß stieß er an eines der vielen Bruchstücke.

Der Doktor stockte und starrte auf das Teil. Ganz langsam bückte er sich und hob es an. Ein entsetztes Stöhnen entrang sich seiner Kehle. Das war Material einer TARDIS! Mit wild klopfenden Herzen blickte er genauer auf den vor ihm liegenden Trümmerhaufen. Es waren tatsächlich die Einzelteile eines TARDIS-Schiffes.

Ihm gefror das Blut in den Adern. Unter einem flachen Wandstück ragte eine Hand hervor! Er stolperte hinüber, zerrte es fort – und schloss die Augen. Seine Hände zitterten. Er zerrte sich den Mantel herunter und legte ihn behutsam über das, was einmal Nisaras Kopf gewesen war. Mit zusammengebissenen Zähnen hob er den Leichnam hoch und schleppte ihn zu seinem Schiff. In einer Nische legte er die Tote ab.

Mit Tränen in den Augen sah er auf seine Schwägerin nieder. Er musste sich überwinden, suchte schließlich doch nach der Beichtscheibe. Er wusste, dass sie diese immer bei sich trug. Endlich fand er sie. Liebevoll strich er darüber. Wenigstens dieser Teil von ihr konnte in der Matrix gespeichert werden. Bei diesen furchtbaren Verletzungen war eine Regeneration nicht mehr möglich. Nisara war tot!

Wo waren Aluanin und Atara? Der Doktor hoffte inständig, dass sie noch lebten. Er verließ die TARDIS wieder und sah sich suchend um. Plötzlich bemerkte er in einiger Entfernung eine Bewegung. Im Eingang eines nur wenig zerstörten Hauses stand jemand und winkte ihm auffordernd zu.

Der Doktor raste hinüber. Ein Kind sah ihm mit den großen, dunklen Augen der Einheimischen entgegen. Der schnabelähnliche Mund klappte mehrmals auf und zu, ehe das Mädchen es schaffte, für ihn hörbare Töne hervorzubringen.

„Kommst du von Koralan? Kannst du uns wegbringen?“

„Uns? Wie viele seid ihr?“

„Acht. Die Eltern wiesen uns an, uns hier zu verkriechen. Beinahe hätten wir es nicht mehr geschafft. Aber die beiden fremden Frauen halfen uns. Seitdem warten wir. Wir riefen Koralan an, dort herrscht auch Chaos. Sie versprachen, uns Rettung zu schicken“, sprudelte das Mädchen hervor. „Wir müssen doch weg, bevor die Strahlung uns zu sehr schadet.“

Er hörte vor allem zwei Worte heraus: Fremde Frauen! „Wo sind diese Frauen?“

„Hier bei uns.“ Schlagartig wirkte das Kind betroffen.

Erst jetzt begann der Doktor die Worte der Kleinen zu begreifen. „Wie stark ist die Strahlung? Wann hast du mit dem Rettungstrupp gesprochen? Koralan ist weit weg.“ Es war die größte Stadt in der Region, fast zweihundert Kilometer entfernt.

Er musterte das Mädchen. Sie mochte etwa dreizehn sein, eine Jugendliche in ihrer Welt. „Entschuldige, ich bin völlig durcheinander. Wie heißt du eigentlich?“

„Bikawarino. Bika“, kürzte sie den Namen für ihn ab. „Wenn wir bis zum Abend nicht wegkommen, werden uns die medizinischen Einrichtungen nicht mehr helfen können“, erklärte sie erstaunlich ruhig.

Tröstend strich er ihr über die fedrigen Haare. „Ich bin der Doktor. Ich bringe euch in Sicherheit, versprochen. Aber bitte, ich suche meine Familie! Sie war hier auf eurer Welt. Sag mir, wo die Frauen sind, von denen du gesprochen hast.“

„Der Doktor!“ Sie klappte den Mund mehrmals auf und zu, ein Zeichen des Staunens. „ Sie sagte, dass du kommen würdest. Sie hat auf dich gewartet.“

Sie zog ihn mit sich, doch ihr Gesicht wurde dabei traurig. In dem teilweise zerstörten Haus zeigte sie auf eine Ecke, in der etwas lag. Ein weiteres Vogelmädchen saß davor.

„Es tut mir so leid“, Bikas Stimme wurde immer leiser. „Die eine Frau ist leider tot. Hava trauert sehr um sie. Die Fremde rettete ihr Leben. Sie warf sich über sie, als die Wand einstürzte.“

Er konnte kaum noch atmen. Mit Beinen so schwer wie Blei trat der Doktor neben das andere Kind und hob die leichte Decke an. Er sah in Ataras bleiches Gesicht. Ein dicker Kloß bildete sich in seiner Kehle.

„Meine Kleine“, flüsterte er.

Hava sah zu ihm auf. „Sie war lieb und gut. Sie lachte, als die Lichterspiele begannen und tanzte mit uns. Und sie hat mich beschützt.“ Tränen liefen ihr über das Gesicht.

Der Doktor nahm ihre kleine Hand mit den drei langen Fingern in seine und drückte sie. „Ja, das war sie“, presste er hervor.

Bika zupfte leicht an seinem Ärmel. „Die andere Frau ist dort hinten“, flüsterte sie.

Er fuhr sich über die Augen und wandte sich in die angegebene Richtung. „Aluanin!“ Seine Knie gaben nach, er sank neben das einfache Lager. „Bitte! Aluanin, öffne die Augen! Ich bin hier“, flehte er.

Ihre Lider flatterten, dann hoben sie sich. „Tarwen“, hauchte sie, „du bist hier. Jetzt wird alles gut.“ Ihre Stimme erstarb. Ihre Augen schlossen sich wieder.

Er versuchte sie abzutasten. Bika hinderte ihn sofort daran. „Nicht, es verstärkt ihre Schmerzen. Sie hat schwere innere Verletzungen. Wir haben hier keine Medizin und kennen auch ihren Körperbau nicht.“

„Sie muss in die TARDIS. Dort kann ich ihr helfen.“ Im selben Moment fiel ihm ein, dass auch das Schiff schwer beschädigt war. Er musste sofort nach Gallifrey zurück!

„Könnt ihr mir helfen, sie dorthin zu tragen?“

Alle Kinder standen inzwischen um ihn herum. Sie nickten einstimmig. „Wo ist dein Schiff? Kannst du uns mitnehmen?“

Ganz kurz biss er die Zähne zusammen. Wenn er die Kinder erst in der Stadt absetzte, würde er Zeit verlieren. Aber sonst starben sie! Der Doktor nickte. Erstaunt beobachtete er, wie die Kinder das gesamte Lager mit Aluanin anhoben. Sie waren verblüffend kräftig. Bika sah ihn fragend an. Er zeigte in die Richtung, in der die TARDIS lag.

Dann nahm er Atara auf die Arme, verdrängte den Schmerz um ihren Verlust und lief, so rasch er mit seiner Last konnte, den Kindern voraus.

„Doktor!“ Bikas Stimme hatte einen seltsamen Klang, der ihn stoppte, als wäre er vor eine Wand gelaufen.

Er legte Ataras Körper ab. Die Kinder ließen das Lager mit seiner Gefährtin zu Boden sinken. Er brauchte nicht zu fragen, weshalb. Ihre Gesichter sagten ihm, was geschehen war.

„Nein!“ Er nahm Aluanins Hände in seine. „Nein, geh nicht. Bleib bei mir. Aluanin!“

Doch ihre Augen öffneten sich nicht mehr. Der Schmerz schien in seiner Brust zu explodieren. Er konnte nicht mehr atmen, nichts mehr sehen. Minutenlang saß er so da, wollte nicht mehr aufstehen, wollte gar nichts mehr.

Müde hob er den Blick. Die Kinder standen stumm um ihn herum, trauerten mit ihm. Keines drängte ihn, weiterzugehen. Sie warteten. Die Versuchung, sitzen zu bleiben wurde riesengroß. Einfach hier bleiben. Die Strahlung würde ihn irgendwann töten. Was gingen ihn die fremden Kinder an? Sie hatten ja nach Rettung gerufen. Sicher würde rechtzeitig jemand kommen und sie wegholen.

Er allerdings würde bleiben, hier bei seiner Gefährtin, seiner Tochter und Schwägerin. Vielleicht ging er mit ihnen in die TARDIS. Dann fand er dort den Tod, zusammen mit ihnen und dem Schiff.

Eine Stimme in seinem Inneren begann zu wispern: Du bist der Doktor. Dein Name ist ein Versprechen. Hast du es vergessen? Er schüttelte den Kopf und flüsterte lautlos: Sei niemals feige, sei niemals grausam. Laufe niemals weg. Gib niemals auf!

Mehrmals atmete er tief ein und aus. Der Schmerz über den Verlust seiner Familie wurde damit nicht geringer, aber er konnte wieder denken. Der Doktor rappelte sich auf.

„Kommt weiter“, erklärte er heiser und nahm seine tote Tochter erneut auf die Arme.

In der TARDIS legte er Aluanin und Atara neben Nisara. Nun endlich flossen auch seine Tränen. Er wischte sie nicht weg.

Fast blind tastete er über die Schaltungen. Die TARDIS ächzte und krachte, doch sie hob schließlich vom Boden ab. Schlingernd flog sie über das zerstörte Land. Nach einer Weile, schaffte der Doktor es sogar, eine Funkverbindung nach Koralan aufzubauen.

„Ich habe acht Kinder an Bord. Sie sind verstrahlt. Wo kann ich sie hinbringen?“

Der Schnabel des Mannes auf dem Bildschirm klappte entsetzt auf und zu. „Du kommst aus Rinst? Ich dachte, die Kinder sind längst in Sicherheit? Turanvolaum wollte sie holen!“

Bika schüttelte den Kopf und der Doktor erwiderte: „Hier kam außer mir niemand an.“

„Wir haben am Stadtrand ein großes Zentrum errichtet. Kannst du dort landen? Die Kinder werden sofort behandelt. Brauchst du ebenfalls Hilfe?“ Etwas unsicher sah der Mann ihn an.

„Nein!“, lehnte der Doktor ab. Seine Regenerationskräfte hatten längst begonnen, die Strahlungsschäden zu beheben. „Was ist hier eigentlich geschehen?“

„Genau können wir es selbst nicht erklären. Die Steuerung der Magnetfelder unserer Welt versagte. Dadurch konnte die Strahlungswelle der Sonne fast ungehindert bis zur Oberfläche gelangen. Es kam zu schlagartigen, unglaublich starken Stürmen. Gleichzeitig entstanden in der Atmosphäre extreme magnetische Störungen. Die gesamte Tagseite des Planeten wurde großflächig zerstört. Es ist eine entsetzliche Katastrophe.“

Das hatte die vermutlich kaum geschützte TARDIS von Nisara zerstört. Wozu hätte sie auch sie Schutzmaßnahmen einschalten sollen, auf dieser normalerweise absolut sicheren Welt? Müde fuhr der Doktor sich mit der Hand über die Stirn. Er konnte kaum denken vor Schmerz und Kummer. Er bestätigte dem Mann, dass er die Kinder am medizinischen Zentrum absetzen würde.

Die Landung war hart und beschädigte die TARDIS noch mehr. Er ließ die Kinder hinaus und wartete, bis sie von den herbeieilenden Einheimischen weggeführt wurden. Dann starrte er auf die Energiesäule. Jetzt konnte er wirklich nur noch hoffen, dass der Notstart klappte. Die üblichen, notwendigen Schaltungen reagierten nicht mehr.

Er blickte zu den drei Toten. Erneut durchfuhr ihn der Gedanke, ob es nicht besser wäre, ihnen einfach zu folgen. Zwei Schritte ging er in ihre Richtung, wollte sich zu ihnen setzen. Alles andere verdrängen, vergessen. Ein Wort fuhr ihm durch den Kopf. Nein! Ein Name: Siusarn! Es rüttelte ihn auf. Er durfte nicht sterben. Nicht hier und jetzt! Auf Gallifrey wartete seine Enkelin! Sie brauchte ihn, jetzt mehr als je zuvor.

Der Doktor griff nach dem Starthebel und zog ihn nach unten. Die Energie in der Säule waberte, wurde dunkler, dann wieder heller. Er konnte förmlich spüren, wie mühsam das Schiff sich seinen Weg durch die Dimensionen bahnte.

Die TARDIS fiel hart zu Boden, schlingerte und stürzte schließlich um. Der Doktor stemmte sich auf die Beine und kletterte entlang der Wand zur Außentür. Noch ehe er sie erreichte, wurde sie aufgerissen.

Kochestems Gesicht erschien. „Doktor! Was ist geschehen? Das Schiff sieht schrecklich aus.“

Ein tiefes Aufatmen. Kurz schloss der Doktor vor Erleichterung die Augen. Er hatte Gallifrey erreicht. In wenigen Worten erklärte er, was geschehen war. Weitere Helfer erschienen und bargen die Toten aus dem Schiff. Er selbst machte sich auf den schweren Weg nach Hause, um seiner Enkelin die furchtbare Nachricht zu bringen.

Die nächste Zeit verbrachten die beiden in einem Meer aus Trauer. Immer wieder saßen sie beieinander und hielten sich gegenseitig fest. Die Beisetzungen und feierlichen Abschiede von ihren geliebten Toten konnten daran nichts ändern.

Erst zwölf Tage später raffte sich der Doktor auf. Er ging in die Gewölbe der Zitadelle, um nach seiner TARDIS zu sehen. Kochestem führte ihn zur Wartungsbucht.

„Leider sind die Schäden immens. Es wird lange dauern, bis das Schiff wieder einsatzbereit ist“, erklärte er.

Geradezu sanft strich der Doktor über die Kontrollen und nickte stumm. Kochestem blickte von ihm zur Wand, dann wieder zurück. „Vermutlich seid Ihr wütend über den Beschluss“, meinte er. „Ihr sollt wissen, dass ich dagegen gestimmt habe.“

„Von was sprecht Ihr denn?“

„Aber – der Hohe Rat hat Euch doch sicher inzwischen informiert? Wegen Eurer Enkelin!“

Der Doktor runzelte die Stirn. Seine Stimme wurde fester. „Welcher Beschluss?“

Erneut schaute Kochestem von rechts nach links, als suche er einen Ausweg. Schließlich berichtete er: „Einige Timelords erklärten dem Hohen Rat, dass es an der Zeit wäre, Eure Enkelin von Gallifrey zu entfernen. Jetzt, da die Mutter nicht mehr lebt. Sie sei zu menschlich. Es gab Diskussionen darüber, aber schließlich stimmte der Rat zu. Das Mädchen wird auf die Erde gebracht. Damit sie dort nicht über uns Auskunft geben kann, sollen ihre Erinnerungen und ihr Wissen über Gallifrey in ihrem Gehirn gelöscht werden.“

Wie erstarrt hörte der Doktor zu. Kochestem las in seinem Gesicht und meinte fassungslos: „Aber man muss Euch dies doch mitgeteilt haben!“

Die Augen des Doktors verengten sich, seine Miene wurde hart. Nein, das hatte der Hohe Rat wohlweißlich unterlassen. Sie konnten sich denken, wie er reagieren würde. Vermutlich warteten sie, bis er nicht eingreifen konnte und wollten Siusarn dann holen. Sein Magen zog sich zusammen. Das bedeutete, dass sie jetzt gerade in Gefahr war!

„Danke, Kochestem! Ich habe im Moment keine Zeit mehr. Ihr kümmert Euch sicher weiter um das Schiff?“

„Natürlich“, versicherte dieser ihm, sichtlich verwirrt über seine scheinbar gelassene Reaktion.

„Wenn nichts dagegen spricht, hole ich noch einige persönliche Sachen aus den Räumen, bevor ich gehe“, sprach er ebenso ruhig weiter, obwohl es ihn unglaubliche Kraft kostete, seine Wut nicht zu zeigen.

„Soll ich Euch helfen?“

„Nein, nein, geht nur. Das erledige ich selbst.“

Endlich verabschiedete Kochestem sich und ging. Der Doktor atmete auf. Kurz blickte er sich im Inneren seiner TARDIS um. Nein, es war unmöglich! Sie war derzeit absolut untauglich.

„Es tut mir leid, meine Gute. Ich bin gerne mit dir zusammen geflogen. Aber ich brauche jetzt ein anderes Schiff“, flüsterte er und fuhr abschiednehmend mit den Fingern über die Steuerkonsole. Dann verließ er die TARDIS. An einem Kommunikator blieb er stehen und rief Siusarn zu Hause an.

„Liebes? Hör mir zu und stell jetzt keine Fragen. Verschließe sofort alle Ausgänge des Hauses. Öffne niemandem! Reagiere nicht einmal, wenn sich jemand anmeldet. Hast du das verstanden?“

„Aber weshalb denn, Großvater?“

„Für Erklärungen ist keine Zeit! Ich komme so schnell es geht mit einem Gleiter. Ich kreise drei Mal über dem Haus. Nur dann öffnest du die Absperrungen! Ich erkläre dir später alles. Packe zusammen, was du für eine längere Reise benötigst. Nimm alles mit, was du auf keinen Fall hier zurücklassen willst. Und beeile dich!“

Er sah sie beschwörend an. Siusarn nickte, ihr Gesicht war allerdings eine einzige Frage. Der Doktor lächelte kurz und schaltete das Gerät ab. Im Laufschritt eilte er durch die Gänge zum nächsten Ausgang. Zum Glück parkten mehrere Fluggleiter davor.

Er startete und steuerte zur Stadt. Aus den Augenwinkeln sah er etwas blinken und wandte sich um. Von einer der höchsten Plattformen der Zitadelle hoben drei Fahrzeuge ab, nahmen Kurs auf das Gebiet, in dem er wohnte.

„Oh nein!“, knurrte der Dokor. „Da muss ich euch wohl etwas beschäftigen, damit ihr mir nicht in die Quere kommt.“

Er landete wieder und rannte zurück ins Gebäude. Kurz orientierte er sich und stürmte dann einen Gang entlang bis zu einer Tür, die deutlich gekennzeichnet war: ‚Sicherheitspersonal‘.

Der Doktor legte die Hand auf den Öffnungsmechanismus. Ein bitteres Grinsen umspielte seinen Mund. Er hatte die Mitgliedschaft in den Hohen Rat immer wieder abgelehnt, jedoch die damit verbundenen Berechtigungen trotzdem erhalten. Die Tür glitt lautlos auf.

An den Wänden zeigten unzählige Monitore die vielen Gänge und Flure der stadtgroßen Zitadelle. Der Doktor schaltete an einigen Geräten, bis er das Innere eines bestimmten Raumes auf dem Schirm hatte. Er veränderte noch mehrere Einstellungen. Ein Alarm setzte ein und wurde mit jeder Sekunde lauter und dringender.

„Das sollte sie ablenken“, murmelte er und spurtete wieder zum Ausgang. Ein Blick zum Himmel zeigte, dass seine Vermutung richtig war. Die Gleiter flogen zur Zitadelle zurück. „Eine Störung in der Matrix ist euch immer noch wichtiger als meine Enkelin.“

Er sprang wieder in das Fahrzeug und flog über die Stadt nach Hause. Wie versprochen kreiste er dreimal über seinem Haus und landete dann direkt vor der Tür. Siusarn erwartete ihn.

„Was ist denn nur passiert, Großvater?“

„Hast du alles fertig gepackt?“

„Ja, aber erkläre mir doch …“

„Es tut mir leid, aber wir müssen Gallifrey verlassen.“

„Ich verstehe nicht ...“

Der Doktor biss sich auf die Lippen. Dann bekannte er: „Der Hohe Rat will dich zur Erde bringen lassen.“

Siusarns Gesicht wurde schneeweiß. „Du ... du willst mich wegbringen? Fort von dir?“

„Nein! Wir gehen gemeinsam. Was soll ich auf einer Welt, die mir meine Familie nehmen möchte? Ich habe hier nichts mehr verloren. Wir bleiben zusammen. Ich zeige dir die Welt deines Vaters. Du wirst sie lieben. Aber wir haben nicht viel Zeit. Komm! Wir bringen das Gepäck ins Arbeitszimmer.“

Sie stellten alles eng zusammen auf.

„So!“ Zufrieden musterte der Doktor den Haufen. „Das holen wir ab.“ Er streichelte dem Mädchen über die Haare. „Hab keine Angst. Es wird alles gut. Wir fliegen jetzt zurück zur Zitadelle. Wir brauchen eine TARDIS!“

Sie folgte ihm zum Gleiter, war aber immer noch völlig verstört. Auf dem Weg erklärte der Doktor ihr ausführlicher, was er vorhatte.

Siusarns Augen weiteten sich. „Aber warum? Wenn ich sowieso zur Erde soll, warum stiehlst du dann eine TARDIS?“

„Weil der Hohe Rat dich von mir trennen möchte. Sie wollen dein Gedächtnis löschen und dich irgendwo auf der Erde aussetzen. Das lasse ich nicht zu.“

Voller Entsetzen blickte das Mädchen zu ihm hoch. Er drückte ihre Hand. „Hab keine Angst! Das geschieht nicht.“

In der Zitadelle führte er Siusarn zu einem der vielen Aufzüge. Sie glitten lautlos in die Tiefe. Als sich die Tür wieder öffnete, sah der Doktor sich erst um, bevor er hinaustrat. „Komm! Wir müssen uns beeilen.“

Er zog sie nach links. „Nicht nach hinten schauen. Diese Richtung sollte man meiden.“

„Was ist da?“

„Dort geht es zur Matrix. Hier jedoch kommen wir zurück zu den Wartungsbuchten. Der Gang wird nicht mehr benutzt, seit einmal Sliders gesichtet wurden.“

„Was sind …“

„Schhh. Das brauchst du nicht zu wissen. Sieh! Es wird schon heller. Jetzt sei leise! Wir wollen nicht auffallen.“

Er führte seine Enkelin noch ein ganzes Stück weiter. Einen Moment überlegte er dann. Eine startbereite TARDIS konnte er nicht ohne Kochestems Wissen nehmen. Das würde der Hohe Rat erfahren. Er war sicher, dass man dann versuchen würde, ihn aufzuhalten. Denn er selbst sollte auf Gallifrey bleiben und für weitere Forschungen zur Verfügung stehen.

Nur über seine Leiche! – Wo hatte er diesen blöden Spruch her? Egal, es klang gut.

Er wandte sich wieder dem Wartungsbereich zu. Die Schiffe hier waren nicht völlig in Ordnung, aber die Größe der Schäden war unterschiedlich. Er würde eines wählen, das nur geringe Defekte hatte. Vor einer der Buchten blieb er stehen. Die Angaben über die darin befindliche TARDIS gefielen ihm. Er wollte sie nehmen, öffnete die Tür und schob Siusarn hinein.

In diesem Moment hörte er eine Stimme, freundlich, aber fast befehlend: „Doktor!“

Er fuhr herum. Eine junge Frau stand vor ihm, hübsch, mit langen, dunklen Haaren und einem seltsam eindringlichen Blick.

„Ja, was ist? Was wollt Ihr?“, fragte er. Hatte Kochestem begriffen, was er vorhatte und sie geschickt, um sein Vorhaben zu verhindern?

„Verzeihung! Ihr seid dabei, einen schwerwiegenden Fehler zu begehen.“ Ihr Lächeln war rätselhaft.

Plötzlich lehnte sie sich entspannt an die Wand. „Klaut nicht das Modell.“ Nun klang ihre Stimme fast frech. „Nehmt lieber die hier.“ Sie deutete auf den danebenliegenden Eingang.

„Das Navigationssystem ist defekt“, erklärte sie und schmunelte dabei. „Ist viel witziger.“

Er schüttelte den Kopf, hatte das Gefühl, hier stimme etwas nicht. „Wer seid Ihr?“ Dann sah er genauer hin. In winzigen Details unterschied sie sich von ihm – von Gallifreyern. Er riss die Augen auf. „Du bist keine Gallifreyerin. Wie kommst du hierher?“

„Du kennst mich noch nicht. Aber ich bin eine Freundin. Nimm diese TARDIS und lauf, du kluger Mann!“

Mit diesen Worten wandte sie sich um und eilte den Gang zurück. Noch ehe er sich von seiner Verblüffung erholt hatte, war sie um eine der vielen Biegungen verschwunden. Er machte einen Schritt vorwärts, wollte ihr folgen und herausbekommen, wer sie war. Doch eine innere Stimme hinderte ihn daran: ‚Lass sie gehen, du wirst es irgendwann erfahren.‘

Er sah zu der Wartungsbucht, auf die die seltsame, junge Frau gezeigt hatte. Warum eigentlich nicht? Er rief Siusarn, lächelte beruhigend bei ihrem ängstlichen, fragenden Blick und öffnete diesen Eingang. Sie rannten zu dem Schiff. Jetzt musste er sich beeilen. Ein unbefugtes Eindringen in eine TARDIS löste sofort einen Alarm aus.

Der Doktor lief zur Steuerkonsole und presste seine Hände auf die Verbindung zum Herzen der TARDIS. Erleichtert spürte er die telepathischen Impulse. Mit einer Hand gab er die Daten seines Hauses ein, mit der anderen hielt er den Kontakt zum Herzen des Schiffes aufrecht.

‚Dein Navigationssystem ist defekt, ich weiß. Doch dieser Sprung durch den Raum muss funktionieren. Es ist wichtig‘, dachte er und drückte den Starthebel nach unten.

Die TARDIS materialisierte in seinem Arbeitszimmer. Zugleich wurden die dort bereitgestellten Gepäckstücke im Inneren des Schiffes sichtbar.

„Damit sind wir startbereit. Ist alles da, Siusarn?“

Diese zählte nach. „Ja!“ Unsicher blickte sie ihn an. „Kommen wir irgendwann hierher zurück?“

„Wohl kaum.“ Der Doktor presste die Lippen aufeinander. Seine Wut auf den Hohen Rat war in seiner Stimme deutlich hörbar. Er wollte im Moment mit dieser Welt und den Timelords nichts mehr zu tun haben. Sie hatten ihn zu sehr enttäuscht.

Er ging wieder zur Steuerkonsole und gab die nächsten Koordinaten ein. „Fliegen wir zur Erde. Ich kann nicht versprechen, dass wir genau dort ankommen. Das Schiff hat einen leichten Defekt. Aber so wichtig ist das nicht. Obwohl“, er überlegte. „Wir könnten eigentlich auch noch einen kurzen Abstecher machen. Vielleicht möchtest du dir zuerst eine andere Welt ansehen?“

„Ich weiß nicht, Großvater. Wenn du willst, gerne. Können wir später auf der Erde in die Zeit gehen, in der Vater lebte?“

„Es tut mir leid, Liebes, das geht leider nicht. Wir würden damit ein Paradoxon entstehen lassen. Aber ich zeige dir die schönsten Orte und Zeiten seiner Welt.“

Er zog den Starthebel hinunter. Die TARDIS flackerte kurz und verschwand.

 

 

Schlusswort

 

Die weiteren Erlebnisse des Doktors wurden von der BBC ab dem Jahr 1963 bis 1989 verfilmt und ausgestrahlt. Seit 2005 gibt es neue Staffeln ab dem neunten Doktor.

Impressum

Bildmaterialien: Created by © HS-CoverDesign
Cover: Created by © HS-CoverDesign
Tag der Veröffentlichung: 19.11.2018

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei dem Autor Jimi Wunderlich bedanken. Seine Tipps, Hinweise und die kreative Kritik haben mir bei dieser Geschichte sehr geholfen.

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