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Vorwort

 

Ich habe mich oft gefragt, was wohl aus Rose Tyler in dem Paralelluniversum wird. Immerhin ist sie die einzige Begleiterin, bei der ziemlich offensichtlich wurde, dass der Doktor sich in sie verliebt hat. Und sie blieb ja mit dem "Klon"-Doktor in der Parallelwelt.

 

Ich habe die Special-Episode aus Staffel 4 (Epi 15) - Planet der Toten - genommen und etwas umgeschrieben.

 

In meiner Kurzgeschichte geht es deshalb nicht vorrangig um die Rettung der Menschen im Bus, sondern um den Doktor und seinen endgültigen Abschied von Rose Tyler. Um ihrer Mutter das Sterben zu erleichtern sucht Nikola, die Tochter von Rose und dem "Klon"-Doktor nach dem echten Doktor. Noch ein einzige Mal kann dieser mit ihr in Kontakt treten und erfährt, ob sie in ihrem Leben glücklich wurde.

 

Ich hoffe, die Idee gefällt euch

 

Gruß

Anne Grasse

Auf dem Wüstenplanet

Fieberhaft arbeiteten die Menschen, um den Bus wieder flott zu bekommen. Immer wieder sahen sie dabei ängstlich in die Richtung des Sturmes. Noch war er weit entfernt. Aber er näherte sich stetig und er brachte den Tod. Sie mussten zurück.

Der Doktor legte das Handy beiseite. „Sie helfen uns auf der anderen Seite. Sie versuchen, das Wurmloch zu stabilisieren.“

Er verschwieg, dass selbst UNIT das nicht schaffen würde. Die Öffnung wurde immer größer. Nicht nur sie selbst konnten durch die Öffnung auf die Erde zurück. Auch der Schwarm, der mit dem Sturm auf sie zukam, würde das Wurmloch nutzen. Sie würden auf die Erde gelangen und dann sähe es dort in kürzester Zeit ähnlich aus wie hier. Eine Sandwüste ohne Leben.

Erstaunte Rufe erklangen. Der Doktor lief aus dem halb zerstörten Bus. Zwei Gestalten rannten auf sie zu. Keuchend blickten die Frau und der Mann auf die Gruppe. Die Frau riss die Augen auf. „Doktor!“

Er betrachtete sie verblüfft und suchte in seinem Gedächtnis. Er kannte sie nicht. „Kenne ich Sie?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Aber ich weiß, wer Sie sind.“

Der Mann unterbrach sie: „Wir müssen fort. Der Sturm wird schneller.“

Der Doktor sah hoch und erschrak. Die Sandwolken waren viel zu nah.

„Mitkommen! Rasch!“ Die Frau zerrte an seinem Arm, während sie gleichzeitig Nathan anstieß. „Los! Starren Sie nicht. Laufen Sie!“

„Wohin? Es gibt hier keine Deckung.“ Dennoch rannte der Doktor. Er riss Carmen mit sich, die wie erstarrt wirkte.

„Wir werden alle sterben“, weinte Angela.

„Nicht, wenn Sie schneller laufen“, schrie die fremde Frau und trieb sie damit alle weiter voran. „Wir haben ein Versteck. Dort sind wir sicher.“

So rasch es ihnen möglich war, liefen sie durch den tiefen Sand. Das Brausen des Sturmes wurde immer lauter. Hinter einer Düne ließ sich der Mann auf die Knie fallen und hieb auf etwas, das unter dem Sand verborgen war. Eine Öffnung tauchte auf.

„Springen!“, befahl die Frau, packte Angela und ließ sich mit ihr hinunterfallen. Keiner zögerte, ihr zu folgen. Sie prallten auf einer federnden Unterlage auf. Die etwas sportlicheren rollten sich ab. Die anderen kämpften sich mühsam auf die Füße. Der fremde Mann spurtete schon zu einer Konsole und schaltete hastig. Die Frau riss einen länglichen Gegenstand von der Wand.

„Keiner bewegt sich!“

Der Doktor sah interessiert zu, wie sie mit dem Ding den Raum abtastete. Er wollte nach dem Schallschraubenzieher greifen, doch ihr Knurren hielt ihn zurück. „Warten Sie. Sie stören die Messung.“

Dann atmete sie erleichtert auf. „Es ist nichts mit durchgekommen.“

„Wer sind Sie? Und was ist nicht durchgekommen?“

„Das da draußen“, erklärte die Frau ruhig. „Und mein Name ist Nikola. Dies ist Roger. Wir können Sie in Sicherheit bringen.“

„Können Sie uns zurückbringen? Durch dieses Ding, dieses Wurmloch? Zur Erde.“ Nathan sah die beiden so plötzlich aufgetauchten Fremden hoffnungsvoll an. „Der Doktor hat gesagt, das geht nur mit dem Bus. Wegen der Abschirmung.“

„Kommen Sie erst einmal mit. Sie brauchen keine Angst mehr zu haben. Der Schwarm kann hier nicht hereinkommen.“

Sie folgten den beiden bis in einen etwas wohnlicheren Raum. Die meisten ließen sich erschöpft auf den verschiedenen Sitzgelegenheiten nieder. Der Doktor sah, wie die beiden Fremden einen Blick tauschten.

„Ich besorge uns erst einmal etwas Wasser und Essen. Sie werden inzwischen bestimmt hungrig und durstig sein“, wandte er sich an die Gruppe.

Alle nickten.

„Nun, dann kommen Sie am besten gleich mit mir“, lächelte er.

Der Doktor blieb zurück und musterte die Frau. „Wer sind Sie, Nikola? Wie kommen Sie hierher?“

„Ich habe Sie gesucht.“

„Weshalb?“

Nikola seufzte ein wenig und setzte sich auf einen niedrigen Sessel. Sie wies auf einen anderen und schulterzuckend setzte er sich ihr gegenüber.

„Das ist eine längere Geschichte.“

„Ich höre.“

„Ich kenne Sie aus den Erzählungen meiner Mutter.“ Sie machte eine kleine Kunstpause. „Rose Tyler.“

Ihm blieb der Mund offen stehen.

„Wir suchen Sie schon lange, studieren alles über Sie, um Sie endlich zu finden.“

„Das ist unmöglich“, brachte er endlich heraus. „Rose Tyler ist in einem Paralleluniversum.“

„Ja“, bestätigte sie. „Und es war verdammt schwierig, hierher zu kommen.“

In seiner Verblüffung übersah er ihre Handbewegung, spürte nur den kleinen Stich. Er blickte an sich herunter, dann sackte er zur Seite.

Die Frau fing ihn auf und ließ ihn sachte zu Boden gleiten. Dann griff sie in ihre Tasche und holte ein Handy heraus. Sie tippte rasch eine Nummer.

„Wir haben ihn“, sprach sie in das Mikrofon.

„Der Doktor?“

„Ja. Er ist bewusstlos.“

„Wir kommen. Passen Sie auf ihn auf.“

Nikola

Er war irgendwo. An einem Ort ohne Schmerz. Voller Frieden. Er hätte für ewig an diesem Ort bleiben können. Doch obwohl er nicht dachte, war ihm bewusst, dass er nicht bleiben konnte.

Langsam kehrte sein Bewusstsein zurück. Und damit auch die Erinnerung – und der Schmerz. Das Elend, der Letzte zu sein. Die Qual, alleine zu sein. Immer wieder Freunde zu finden. Menschen und andere Lebewesen, die ihm etwas bedeuteten. Manchmal sogar sehr viel bedeuteten. Und doch durfte er ihnen nie mehr sein als ein Freund. Durfte nie wirklich dazugehören. Denn er verlor diese Freunde wieder. Immer und immer wieder – durch die Umstände und vor allem durch die Zeit. Die Zeit, die ihn nicht veränderte. Aber die seine Freunde altern ließ – und sterben.

Als der Schmerz und das Elend ihn völlig ausfüllten, öffnete er die Augen. Er sah das Gesicht über sich, blickte in die grauen Augen, die ihn besorgt musterten, und grinste.

„Aber hallo. Da bin ich wieder.“ Munter und fröhlich kamen ihm die Worte über die Lippen. „Schauen Sie nicht so besorgt, ich war nur etwas weggetreten.“

„Wo sind wir eigentlich?“ Er rieb sich den Schädel und versuchte, sich zu erinnern. Was war geschehen? Er war in dem unterirdischen Raum gewesen, hatte ihr zugehört. Ihre Worte hatten so unglaublich geklungen. Aber was hatte ihn ausgeknockt?

„Ganz ruhig. Lassen Sie es langsam angehen, Doktor. Ich habe Sie betäubt.“

Ungläubig sah er Nikola an. „Wozu denn das?“

Sie sah bekümmert aus, doch er wusste nicht, ob er ihr dies glauben sollte.

„Es tut mir wirklich leid. Aber es musste sein. Sie wären nicht einverstanden gewesen.“

„Einverstanden mit was?“

„Dass ich sie hierher bringe.“

„Wohin?“ Er setzte sich auf. „Wo sind die anderen? Die Menschen aus dem Bus? Verdammt, sie sind in Gefahr. Der Planet ist tödlich.“

„Sie sind in Sicherheit“, versuchte sie, ihn rasch zu beruhigen.

Er fuhr zu ihr herum. „Was heißt das?“

Die Frau seufzte ein wenig. „Wir haben sie zurückgebracht. Mit einem – nennen wir es Gefährt – haben wir sie durch das Wurmloch zur Erde zurückgeschickt. Sie werden vielleicht etwas Schwierigkeiten haben, den Leuten dort ihre Geschichte glaubwürdig zu erzählen“, sie grinste ein wenig. „Aber zu diesem Zeitpunkt war bestimmt schon UNIT dort.“

Der Doktor nickte. „UNIT war dort.“

„Die glauben ihnen bestimmt. Vor allem, wenn sie Ihren Namen nennen.“

„UNIT wusste, dass ich da bin. Ich habe mit ihnen gesprochen. Wir haben nach einer Lösung gesucht, als Sie auftauchten. Was ist mit dem Wurmloch?“

„Es ist geschlossen. Der Schwarm konnte nicht hindurch.“

Langsam nickte er, seltsamerweise glaubte er ihren Worten. Aber so eigenartig war das gar nicht, vor allem, wenn ihre Erzählung stimmte. Wenn sie Rose Tylers Tochter war, würde sie niemanden in Gefahr zurücklassen.

Rose Tylers Tochter! Er konnte es immer noch nicht fassen. Er wollte so viel wissen: Ging es ihr gut? Konnte sie lachen? Hatte sie  – ihn – vergessen? War sie mit dem – anderen – glücklich geworden?

„Sie verschweigen mir immer noch etwas. Warum haben Sie mich hierher gebracht, wo auch immer wir gerade sind?“

Wieder nickte sie. „Das gehört noch zu meiner Geschichte. Sind Sie wieder sicher auf den Beinen?“ Noch immer etwas besorgt, musterte Nikola sein Gesicht.

„Bin völlig fit.“

„Sie sind wesentlich früher aufgewacht, als wir vermuteten.“

„Ich bin ein Timelord“, war die etwas arrogante Antwort.

„Ja“, murmelte sie, „mit der Kraft der zwei Herzen.“

Er musste grinsen. „Klingt ja grässlich, wenn es auch stimmt.“

„Sorry, ein uralter Werbespruch. Ich hatte mal eine Phase, in der ich mir ständig alle möglichen Werbespots aus dem frühen Fernsehzeitalter angesehen habe. Aus Mutters Zeit.“ Das letzte kam etwas zögerlich.

„Sagen Sie mir jetzt endlich, wo wir sind? Und vor allem, wie Sie in mein Universum gelangen konnten?“

Sie sah ihn bittend an. „Ich würde gerne einfach meine Geschichte weitererzählen. Wo wir sind, kommt dann noch. Wenn Sie erlauben.“

Er hob nur die Augenbrauen. „Sie haben ihre Erzählung unterbrochen, nicht ich.“

„Stimmt. Kommen Sie.“

 

Rose Tylers Wunsch

Sie öffnete die Zimmertür. Mit leicht zusammengezogener Stirn folgte er der jungen Frau. Und staunte. Vor ihm lag ein herrlicher Park. Grünes Gras wuchs zwischen kleinen und großen Sträuchern. Dazwischen überall bunte Blumen. Große Bäume spendeten Schatten unter dem blauen, wolkenlosen Himmel. Schmale Wege führten kreuz und quer durch das Grün. Links blinkte Wasser im Sonnenlicht auf. Vogelgezwitscher und das Schnattern von Enten ließen ihn unwillkürlich lächeln.

Während sie langsam durch den Park gingen, sprach sie weiter: „Wir sind viel gereist. Haben uns die schönsten Orte der Erde angesehen. Aber ich wusste – wir alle wussten –, dass Mom überall nach einer Möglichkeit suchte, wieder zu Ihnen zurück zu gelangen.“

Jetzt konnte er die Frage nicht mehr zurückhalten. „Ist sie glücklich geworden?“

Nikola nickte rasch. „Oh ja. Sie lachte gerne und viel. Immer, wenn sie von Ihnen erzählte. Ich bin mit den Geschichten über Sie aufgewachsen.“

„Und – mit Ihren Vater? War sie mit ihm glücklich?“

Die junge Frau wandte sich ihm zu, blickte ihm in die braunen Augen. Sah die Frage, die Hoffnung – und die Angst. Leise antwortete sie: „Sie lächelte, wenn sie ihn ansah.“

Er wandte den Blick ab. „Und er?“

Wieder lächelte sie, diesmal versonnen. „Dad hat sein Leben lang versucht, so zu werden wie Sie. Den Zorn zu überwinden und Frieden zu finden.“

„Wusste er es?“

„Oh ja. Natürlich. Er war schließlich genau wie Sie. Natürlich wusste er es.“ Seltsam, solange ihre Mom lebte, hatte es niemals jemand ausgesprochen. Und jetzt, nach so vielen Jahren konnte sie es plötzlich. Es fiel ihr nicht einmal schwer, es war richtig.

„Sie liebte ihn. Weil er so aussah wie Sie, so sprach, dachte und fühlte. Weil er genau so war wie Sie. Deshalb konnte sie ihn lieben. Doch sie hat nie vergessen, dass er nicht das Original war. Sie konnte es nicht. Ihre Liebe galt immer Ihnen, dem echten Doktor.“

Er sah in die Bäume, über die Blumen und das Wasser – nur nicht zu ihr. Er wollte nicht, dass sie in seinen Augen lesen konnte.

„Sie sind noch nicht fertig mit Ihrer Geschichte.“

„Nein“, sie akzeptierte sein Ablenken sofort. „Ich war vierundzwanzig, als wir in der Antarktis einen wunderschönen Ort fanden. Die Regenbogenfälle. Sie liegen in einem geschützten Tal mitten in der Eiswüste. Eiskaskaden, die in herrlichen Formen wie ein Wasserfall die Eisberge herabstürzen. Sie schimmern in allen Regenbogenfarben, so zart, dass man meinen könnte, sie wären durchscheinend. Mutter stand dort, wie vom Donner gerührt.“

Jetzt endlich sah er sie wieder an. „Warum? Was war mit diesen Eiswasserfällen?“

„Sie kannte diesen Anblick. Dieser Ort sieht genauso aus wie die Medusa-Kaskade.“

Er riss die Augen auf. „Das ist unmöglich.“

Sie schmunzelte etwas. Er begriff natürlich sofort. „Nein“, widersprach sie leise. „Sie haben den Riss in der Kaskade verschlossen. Damit wurde die Gefahr, dass Geschehnisse aus den Parallelwelten diejenigen Ihres Universums beeinflussten, endlich gebannt. Gleichzeitig wurden auch sämtliche Verbindungen zwischen den Paralleluniversen versiegelt. Auf unserer Erde befand sich die andere Seite des Risses. Die Rückseite sozusagen.“

„Was haben Sie getan?“

„Lange Zeit gar nichts. Wir haben versucht, herauszufinden, was der Riss wirklich ist. Ob es möglich ist, ihn wieder zu öffnen – ohne, dass es zu einer Katastrophe kommt. Es hat lange gedauert – viel zu lange.“

„Zu lange für was?“ Er stellte oft und gerne Fragen. Doch langsam wurde er ungeduldig. Was verschwieg sie ihm? Was wollte sie ihm nicht sagen?

Sie atmete tief ein. „Zu lange für Mom. Sie wurden alt – beide wurden alt.“

Er schluckte.

Rasch sprach sie weiter. „Sie wollte Sie wiedersehen. Nur ein einziges Mal noch. Das war ihr größter Wunsch. Dad hätte alles getan, um ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Also versuchten wir es, suchten nach einer Möglichkeit dafür.“

„Wer ist wir?“ Seine Stimme war heiser.

„Granddad hat eine Forschungsstiftung gegründet. Offiziell, um die physikalischen Zusammenhänge des Weltraums zu erkunden. In Wirklichkeit, um Sie zu finden. Vielmehr einen Weg zu Ihnen. Wir brauchten Zeit, um den Riss zu öffnen. Doch meine Eltern waren einfach schon zu alt.“

Wieder stockte sie.

„Was. Haben. Sie. Getan?“

In ihren Augen glänzten Tränen. „Die medizinische Forschung hatte eine Möglichkeit gefunden, ein Gehirn ohne den Körper am Leben zu erhalten. Es war – es ist eine grauenhafte Art, jemanden nicht sterben zu lassen. Aber Mutter wollte es so. Die meiste Zeit ist sie in einem schlafähnlichen Zustand. Sie leidet nicht. Hin und wieder wacht sie auf. Dann fragt sie nach Ihnen. Dies hier ist „The Hollow Sleep“. Dieser Park ist völlig isoliert und abgelegen. Niemand darf hierher, damit die Schlafenden nicht gestört werden. Wir sind dabei, Mutter zu wecken. Ich möchte Sie bitten, mit ihr zu sprechen. Deshalb haben wir Sie hierher gebracht.“

Ein letztes Gespräch

Er starrte sie fassungslos an, in ihre tränenfeuchten, bittenden Augen. Er blickte sich um. Inmitten der Büsche und Blumen hatten sie ein kleines Gebäude erreicht, das fast ebenso grün war wie der Park. Sie nickte auf seinen fragenden Blick.

Er sah wieder auf das Gebäude. Noch konnte er dort nicht hineingehen. Es gab zu viele Fragen. Er brauchte die Antworten.

„Sie sprechen, als ob dies schon lange her wäre. Doch Sie sind sehr jung. Sie müssten älter sein.“

„Ich bin älter.“

Sein Blick glitt über ihr Gesicht, nahm jede Einzelheit auf. Die vollen Lippen, das glatte, nur allzu junge Kinn mit dem kleinen Grübchen. Die jugendlichen Wangen ohne jede Falte. Die kleine, gerade Nase. Bei den Augen stutzte er. Sein Blick bohrte sich in den ihren. Wieso war ihm das vorher nicht aufgefallen?

„Wie alt sind Sie?“, stieß er hervor.

„Einhundertachtundneunzig Jahre.“

Er ächzte: „Wie?“ Doch er ahnte die Antwort, auch wenn er sie kaum glauben konnte. „Wie viele Herzen haben Sie?“

„Eines. Ich bin ein Mensch. Ich altere, allerdings wesentlich langsamer als normale Menschen. Allerding nur innerlich. Ich habe mich seit ich circa fünfundzwanzig war, äußerlich nicht mehr verändert. Doch mein Körper ist älter. Ich habe die Konstitution einer gut Achtzigjährigen. Obwohl dies nicht bemerkbar ist. Die Ärzte haben mir erklärt, dass die Alterung bei mir irgendwann schlagartig einsetzen wird. Dann sterbe ich – ziemlich schnell.“

Er tastete nach einem Ast, er brauchte einen Halt.

Sie lächelte wieder. „Ein klein wenig Timelord ist in mir.“

Langsam nickte er, wandte den Blick zu dem Gebäude. „Sie sagen, Ihre Mutter – Rose – ist hier. Was ist mit ihrem Vater?“

Sie schüttelte den Kopf. „Er wollte es nicht. Er wusste nicht, was geschehen würde. Er war ein Timelord, auch wenn sein Körper menschlich war. Als er starb, wurde er auf seinen Wunsch verbrannt.“

Der Doktor holte tief Luft. Er war bereit. Er musste es nicht sagen. Nikola sah es ihm an. Sie trat auf die hübsch verzierte Tür zu und öffnete sie. Sie standen in einer kleinen Schleuse. Skeptisch betrachtete er die Wände.

„Es dauert nicht lange und ist völlig ungefährlich.“

Trotz ihrer Versicherung tastete er die Wände mit dem Schallschraubenzieher ab. Sie hinderte ihn nicht daran. Beruhigt steckt er das Gerät wieder ein. Sie wurden anscheinend gründlich desinfiziert. Kurz darauf öffnete sich eine weitere Tür und sie betraten einen kleinen Raum, höchsten drei mal vier Meter. In den Wänden waren überall Fenster, die das Licht und die Farben des Parks hereinließen. Ebenso roch er immer noch den Duft der Blüten und Gräser, hörte das leise Plätschern des Wassers und die Vögel. Er sah sich um. Kein Staub. Es gab in Wirklichkeit keine Öffnungen, die Fenster waren absolut dicht.

„Übertragung?“, fragte er leise.

Sie nickte. „Es darf nicht verunreinigt werden.“

Auf einem fast schulterhohen Sockel lag eine Kugel. Undurchsichtig und mit unzähligen Kabeln verbunden, die dahinter in der Wand verschwanden. Nikola strich sanft darüber.

„Mutter? Bist du wach?“

„Nicki! Wie schön, deine Stimme zu hören. Wie lange ist es her?" Roses klare Stimme ertönte.

Der Doktor trat näher an die Kugel heran.

„Einige Zeit.“

„Seid ihr weitergekommen?“

Unter Tränen lächelte Nikola. „Ich habe ihn dir mitgebracht, Mutter.“

Einen Moment blieb es still.

„Den Doktor? – Doktor, sind Sie wirklich da?“

Er fasste sich mühsam. „Ja, Rose Tyler. Ich bin hier. Ihre Tochter hat mich gefunden.“

„Ich möchte sehen.“

Nikola zog sachte an seinem Arm und zeigte auf eine glänzende Platte an der Wand. Der Doktor stellte sich davor und zwang sich zu lächeln. „Hallo Rose.“

Ein Seufzen erklang. „Sie haben sich nicht verändert.“

„Nein. Bin immer noch derselbe.“

„Haben Sie jemanden gefunden? Begleitet Sie jemand?“

„Ja, manchmal. Hin und wieder.“

„Ich danke Ihnen, Doktor. Für die Zeit mit Ihnen in der TARDIS.“ Einen Moment war es still. Dann sprach Roses Stimme weiter. „Und für die Zeit danach.“

„Waren Sie glücklich, Rose?“, fragte er leise.

„Ja. Sie haben mir die Möglichkeit gegeben, glücklich zu werden. Danke, Doktor. Ich wünschte nur, ich könnte auch etwas für Sie tun.“

„Das haben Sie, Rose Tyler. Sie wissen es.“

„Können Sie Nicki mit sich nehmen? Ich wünsche es mir so.“

Er presste die Lippen aufeinander. Dann sah er Nikolas Hände. Lautlos beschwor sie ihn, zu antworten.

„Ja, Rose. Nikola wird mit mir kommen“, log er.

„Zeigen Sie ihr die Sterne. All die herrlichen,  wundervollen Orte, an denen wir waren.“ Roses Stimme wurde leiser.

„Das mache ich.“

„Nicki. Schatz.“

„Ich bin hier, Mom.“

„Ich freue mich für dich. Sei nicht traurig, bitte. Aber es wird Zeit. Doch für dich fängt jetzt ein wundervolles Leben an.“ Roses Stimme erstarb.

Nikola wandte sich weinend einer Konsole zu. Sie tastete wie blind darüber. Dann schniefte sie und riss sich zusammen. „Ich liebe dich, Mom“, flüsterte sie.

Sie drückte auf einen Knopf.

„Nicht!“ Er legte seine Hand über die ihre. Dann sah er auf die Anzeigen. „Es tut mir leid.“

Sie lehnte sich ganz kurz an ihn, nur für einen Moment genoss sie den Halt und die Stärke. Dann trat sie zurück. „Sie war schon tot. Es waren nur noch die Versorgungsleitungen.“

Stumm verließen sie das Gebäude und gingen durch den Park zurück. Er sah sie immer wieder von der Seite an.

„Sie …“

„Ich weiß“, unterbrach sie ihn. „Es ist nicht möglich. Es war schwierig genug, den Riss so lange zu öffnen, dass ich Sie finden konnte. Wir können Sie natürlich auch wieder zurück bringen. Aber dann muss der Riss wieder völlig geschlossen werden. Die Risiken sind immens. Ich gehöre nicht in Ihr Universum. Ich habe keine Ahnung, was durch mich geschehen könnte.“

Sie lächelte ihn an und er erkannte sein eigenes Lächeln darin wieder. „Außerdem bin ich eine alte Frau, auch wenn ich nicht so aussehe. Aber ich möchte Ihnen danken.“

„Ich habe gelogen.“

„Genau deshalb danke ich Ihnen.“

Irgendwann, einige Tage später, standen sie vor dem schimmernden Eiswasserfall.

„Es sieht wirklich genauso aus.“ Der Doktor sah sich um. „Ziemlich kalt hier.“

Sie lachte. Er hasste Abschiede. Natürlich.

„Kommen Sie. In der Station ist es wärmer.“

Eine im Eis verborgene Tür führte in eine Welt aus Metall, Technik und Elektronik. Nikola brachte ihn ohne große Umstände bis zu einer kleinen Halle.

„Stellen Sie sich in den Kreis. Wir aktivieren die Öffnung. Sie sind mit der TARDIS verbunden. Sie werden also dort materialisieren. – Alle Gute, Doktor.“

Er nickte ihr noch einmal zu. „Auch Ihnen alles Gute, Nikola.“

Dann verschwand er.

Impressum

Cover: Park von Roman Grac auf Pixabay, Gebäude von MaryW auf Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 06.09.2018

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